ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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Landesteil Nordrhe<strong>in</strong>, den Sprengel des Düsseldorfer Archivs.<br />
Zwar handelt es sich fast immer nur um sehr dünne Aktenhefte,<br />
trotzdem ist für die Mitte der 1950er Jahre für diesen<br />
Archivsprengel e<strong>in</strong> Papier-Volumen <strong>in</strong> der Größenordnung<br />
von 200, neuerd<strong>in</strong>gs weit über 300 Regalmetern Akten pro<br />
Jahr anzunehmen.<br />
2.) die M<strong>in</strong>derung des Quellenwertes durch e<strong>in</strong>e gewisse Normierung<br />
<strong>in</strong> den Testamentstexten, da es üblich geworden ist,<br />
Notare, also ausgebildete Juristen, bei der Abfassung e<strong>in</strong>zuschalten,<br />
und da das „Berl<strong>in</strong>er Modell“, nach dem beide Ehe -<br />
partner sich im geme<strong>in</strong>samen Testament gegenseitig zu Erben<br />
e<strong>in</strong>setzen, weite Verbreitung gefunden hat. Individuelle Formulierungen<br />
und Sonderregelungen s<strong>in</strong>d so eher selten ge -<br />
worden.<br />
3.) die Erfahrung, dass die Gerichte heute unter rechtlichen<br />
Aspekten nach mehr als etwa 80 Jahren praktisch nicht mehr<br />
oder nur noch extrem selten auf die alten Dokumente zurückgreifen.<br />
Danach kann für die Zeit ab 1900 e<strong>in</strong>e Ausschnitt-Archivierung<br />
S<strong>in</strong>n machen. In Düsseldorf wurde zunächst e<strong>in</strong>e exemplarische<br />
Überlieferung ausgewählter Amtsgerichtsbezirke – diese dann<br />
komplett – angestrebt, wobei unterschiedliche Bevölkerungs- und<br />
Siedlungsstrukturen abgebildet werden sollten. Bei den Testa -<br />
men ten wurden die Amtsgerichte Essen (archivierte Jahrgänge:<br />
E<strong>in</strong>zelstücke ab 1642 dann 1879-1955), Essen-Steele (1879-1968),<br />
Essen-Werden (1800/1879-1955), Mettmann (1879-1967) und<br />
Wald bröl (1900-1970) ausgewählt, deren Bevölkerungsanteil<br />
zusammengerechnet 7,5 % des Archivsprengels ausmacht, bei den<br />
Erbbesche<strong>in</strong>igungen (IX bzw. VI) lediglich das Amtsgericht Mett -<br />
mann (mit 1,5 % Bevölkerungsanteil), von dem heute die Jahrgänge<br />
1879-1967 archiviert s<strong>in</strong>d. Die Erschließung ist bisher nur<br />
summarisch geplant bzw. zum Teil durchgeführt.<br />
Dagegen wurden die anderen bis 1970 <strong>in</strong>s Archiv übernommenen<br />
Bestände dieser Schriftgutserien mit Jahrgängen überwiegend um<br />
1900/1920 aus weiteren 30 Amtsgerichtsbezirken bei den Testamenten<br />
und 29 Amtsgerichten bei den Erbsche<strong>in</strong>en bald nicht<br />
mehr als archivwürdig e<strong>in</strong>geschätzt; die jüngsten dieser Akten<br />
stammen aus den Jahren 1970 bzw. 1955. Sie konnten und können<br />
derzeit nicht an die Justiz zurückgegeben werden. Vorerst werden<br />
sie weiterh<strong>in</strong> ohne besondere konservatorische Pflege im Hause<br />
gelagert und sollen jahrgangsweise nach Ablauf der e<strong>in</strong>hundertjährigen<br />
Aufbewahrungsfrist der Vernichtung zugeführt werden,<br />
womit auch schon begonnen wurde.<br />
NACHLASSAKTEN IM<br />
ARCHIVIERUNGS MODELL JUSTIZ<br />
DES LANDESARCHIVS NRW<br />
E<strong>in</strong>en Richtungswechsel bedeutet das neue Archivierungsmodell<br />
„Justizakten“ des Landesarchivs NRW. 6 Danach gelten ab sofort<br />
für die genannten Serien alle noch vorhandenen Akten der Zeit<br />
vor 1900 komplett als archivwürdig, für die Zeit ab 1900 jedoch<br />
nur noch „Besondere E<strong>in</strong>zelfälle (nach Liste prom<strong>in</strong>enter Persönlichkeiten)“.<br />
Bereits vorhandenes Archivgut, das diesem zweiten<br />
Kriterium nicht entspricht, wird allerd<strong>in</strong>gs nicht nachträglich<br />
kassiert.<br />
Dies bedeutet e<strong>in</strong>erseits, dass die genannte exemplarische Archivierung<br />
ausgewählter Amtsgerichtsbezirke mit summarischer<br />
Verzeichnung <strong>in</strong> Düsseldorf abgeschlossen ist und nicht weiterge-<br />
201<br />
führt wird. Sollte <strong>in</strong> fernerer Zukunft doch noch e<strong>in</strong>mal erwogen<br />
werden, die komplette Serie des e<strong>in</strong>en oder anderen der oben<br />
genannten ausgewählten Amtsgerichtsbezirke fortzusetzen, wäre<br />
dies ohne das Risiko e<strong>in</strong>er Überlieferungslücke möglich, da bei<br />
e<strong>in</strong>er vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist von 100 Jahren die<br />
Anschlussjahrgänge noch auf lange Sicht <strong>in</strong> den Gerichten vor -<br />
handen se<strong>in</strong> werden. – Allerd<strong>in</strong>gs kann es se<strong>in</strong>, dass die der -<br />
zeitigen Digitalisierungspläne der Justiz sehr rasch zu erneuten<br />
Überlegungen <strong>in</strong> der Bewertungsfrage bzw. zu Bewertungsaktionen<br />
weit vor Ablauf der Frist zw<strong>in</strong>gen.<br />
Im positiven S<strong>in</strong>ne – andererseits – gibt das neue Modell den<br />
nordrhe<strong>in</strong>-westfälischen Staatsarchiven jene Richtung vor, die<br />
bereits die „Empfehlungen“ 1999 als bundesweit anzustrebende<br />
L<strong>in</strong>ie angesprochen hatten, 7 nämlich die Archivierung lediglich<br />
e<strong>in</strong>zelner herausragender Fälle.<br />
Aber wie diese Fälle f<strong>in</strong>den? E<strong>in</strong> Appell an die Amtsgerichte,<br />
solche Nachlassakten von Prom<strong>in</strong>enten <strong>in</strong> ihren Beständen zu<br />
suchen und dem Düsseldorfer Archiv zu übergeben, erschien<br />
nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bei den Zivilprozessakten<br />
wenig ratsam. Das e<strong>in</strong>gangs erwähnte Dokument des<br />
Bundeskanzlers hätten wir wohl irgendwann bekommen, aber<br />
das e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>isters der Weimarer Zeit eher nicht und noch<br />
weniger die E<strong>in</strong>zelfallakten herausragender Hochschullehrer,<br />
Unternehmer, Künstler. Die naturgemäß fehlenden H<strong>in</strong>weise auf<br />
dem Aktendeckel und im Aktenregister, die eigene Ressourcenknappheit<br />
(sprich Personalnot) der Justiz, auch das Fehlen<br />
mechanisch anwendbarer Kriterien – all das wären unüberw<strong>in</strong>dbare<br />
H<strong>in</strong>dernisse gewesen.<br />
LISTE PROMINENTER<br />
PERSÖNLICHKEITEN<br />
Als Konsequenz stellte sich daher jene Aufgabe, die das Archiv<br />
bereits seit 1994 vorbereitet und seit 2004 praktisch umgesetzt<br />
hat, nämlich e<strong>in</strong>e Liste prom<strong>in</strong>enter Persönlichkeiten selbst zu<br />
erstellen und die zu diesen angelegten Nachlassakten von den<br />
Gerichten anzufordern, gesondert zu archivieren, dabei e<strong>in</strong>zeln<br />
namentlich nachzuweisen und <strong>in</strong> konservatorischer H<strong>in</strong>sicht zu<br />
kontrollieren und zu pflegen.<br />
1 Vgl. Ruth E. Mohrmann: Zwischen den Zeilen und gegen den Strich – Alltagskultur<br />
im Spiegel archivalischer Quellen, <strong>in</strong>: Der Archivar 44 (1991), Sp. 234-<br />
246, hier Sp. 241 f.<br />
2 Seit 1937 reichse<strong>in</strong>heitlich – Deutsche Justiz 1937 S. 643; seit 1952 bundese<strong>in</strong>heitlich,<br />
lange Zeit gültig unter der Bezeichnung „Aufbewahrungsbestimmungen“<br />
(AufbewBest.), Bestimmungen über die Aufbewahrungsfristen für das<br />
Schriftgut der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaften und der<br />
Justizvollzugsbehörden, Beschluss der Konferenz der Justizverwaltungen des<br />
Bundes und der Länder vom 23. und 24. November 1971 <strong>in</strong> Düsseldorf, mit<br />
ihren späteren Änderungen jeweils als AV des JM NRW <strong>in</strong> Kraft gesetzt; heute:<br />
Anlage zur Verordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut <strong>in</strong> der Justiz<br />
und Justizverwaltung des Landes Nordrhe<strong>in</strong>-<strong>Westfalen</strong> (Aufbewahrungs-<br />
VO NRW) vom 6.5.2008 – GV NRW. 2008 S. 404.<br />
3 Änderung der „Aufbewahrungsbestimmungen“ (AufbewBest., vgl. Anm. 3) –<br />
AV des JM vom 27.Juli 2004 (1452 – I 128) – JMBl. NRW. S. 205.<br />
4 Empfehlungen zur Archivierung von Massenakten der Rechtspflege, Abschlußbericht<br />
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Fragen der Bewertung und<br />
Archivierung von Massenakten der Rechtspflege <strong>in</strong> Deutschland, Redaktion:<br />
Ra<strong>in</strong>er Stahlschmidt, Der Archivar Beiheft 2, Düsseldorf 1999, S. 15 u. 36 f.<br />
5 Genaue Zahlen für NRW, ohne regionale Aufschlüsselung, bietet jeweils die<br />
jährliche „Übersicht“ der Justizgeschäftsstatistik, abgedruckt im JMBl. NRW.<br />
6 Archivierungsmodell Justiz, vorbehaltlich e<strong>in</strong>er möglichen Neuregelung der<br />
Archivierung von Grundakten am 3.6.2008 <strong>in</strong> Kraft gesetzt; Publikation ersche<strong>in</strong>t<br />
nach Entscheidung der Fragen zur Archivierung von Grundakten.<br />
7 Empfehlungen (s. Anm. 4) S. 15 u. 36 f.<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009