ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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die Werte, die Herkunft und die Geschichte, kurz: die Wurzeln<br />
und das Erbe e<strong>in</strong>es Unternehmens, e<strong>in</strong>er Institution oder Organisation“.<br />
Im Vordergrund des Buches steht der Wert e<strong>in</strong>er auf<br />
Geschichte ausgerichteten Kommunikationsstrategie für die<br />
Wir tschaft. Sicher mag diese auch auf andere Organisationen<br />
übertragbar se<strong>in</strong>, aber dies wird nicht so sehr herausgearbeitet.<br />
Der <strong>in</strong>ternen Wertediskussion und -def<strong>in</strong>ition messen die Herausgeber<strong>in</strong>nen<br />
e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung zu. Die Werte von älteren<br />
Unternehmen stiften zugleich Identität – Traditionen und Er<strong>in</strong>nerungen<br />
s<strong>in</strong>d nicht nur für Marken, sondern ebenso für die<br />
Mitarbeiter und das Umfeld wichtig. Es wird aber auch empfohlen,<br />
nicht nur auf Althergebrachtem zu beharren, sondern <strong>in</strong> der<br />
stetigen Erneuerung der Traditionsvermittlung e<strong>in</strong>e Aufgabe zu<br />
sehen. In ihrem Hauptbeitrag über die Chancen, die sich aus der<br />
Kommunikation über Traditionen und Werte ergeben, stellen die<br />
beiden Kommunikationswissenschaftler<strong>in</strong>nen dar, warum sich<br />
Institutionen überhaupt mit der Traditionskommunikation<br />
be f assen sollen. Bevor dies aber gesehen soll, müssen drei Hauptaufgaben<br />
erledigt werden: Zuerst müssen die historischen Fakten<br />
professionell aufgearbeitet werden, dann e<strong>in</strong>e Kommunikationsbasis<br />
zu den unterschiedlichen Nachfragegruppen geschaffen<br />
werden und schließlich die geschichtlichen Fakten mit der<br />
Kommunikationsstrategie verknüpft werden. Für die beiden<br />
Herausgeber<strong>in</strong>nen birgt die Heritage Communication verschiedene<br />
Potenziale <strong>in</strong> sich. Als e<strong>in</strong>es der wichtigsten wird das von<br />
Information und Organisation genannt. Dabei wird Wert darauf<br />
gelegt, dass nur richtige Informationen weitergegeben und Fakten<br />
nicht manipuliert werden. Die Zusammenarbeit der Kommunikationsabteilungen<br />
mit den Historikern und vor allem den<br />
Archivaren wird propagiert. Weitere Potenziale werden gesehen<br />
bei der emotionalen B<strong>in</strong>dung an das Unternehmen, bei der F<strong>in</strong> -<br />
dung von Problemlösungen, <strong>in</strong> der Schaffung neuer Netzwerke<br />
und sogar bei der Krisenprävention und der Bewältigung von<br />
Krisen. Mittels e<strong>in</strong>es Corporate-Identity-Modells, das die Herausgeber<strong>in</strong>nen<br />
(weiter-)entwickelt haben, soll das Geschichtsbe -<br />
wusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Kommunikation e<strong>in</strong>fließen. Dazu seien stärker<br />
„Instrumente“ zu unterstützen, wie Museen, Ausstellungen,<br />
Events, Veröffentlichungen etc. An erster Stelle nennen Bühler<br />
und Dürig das Unternehmensarchiv. In e<strong>in</strong>em eigenen Kapitel<br />
über die „Instrumente“ wird das Archiv besonders hervorgehoben.<br />
An dieser Stelle (S. 71) werden auch die klassischen Archivaufgaben<br />
postuliert, ohne die e<strong>in</strong>e Geschichtskommunikation<br />
nicht stattf<strong>in</strong>den könne.<br />
Die beiden Herausgeber<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d Kommunikations-Professor<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> Pforzheim (Bühler) und Berl<strong>in</strong>/Potsdam (Dürig). Letztere<br />
leitet im Hauptberuf die Unternehmenskommunikation der<br />
Bosch-Gruppe <strong>in</strong> Stuttgart, so dass auch der Praxis-H<strong>in</strong>tergrund<br />
gegeben ist. Die Beiträge der Herausgeber<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d für denjenigen<br />
Leser, der sich mit der professionellen Vermittlung von<br />
Geschichte <strong>in</strong> Unternehmen – und partiell auch von anderen<br />
Institutionen – beschäftigen will, auf jeden Fall lohnend. Dies<br />
kann über die anderen Handbuchbeiträge nicht unisono behauptet<br />
werden. Manche Beiträge – über Story-Tell<strong>in</strong>g, die Kommunikationsstrategie<br />
bei Greenpeace, das Unimuseum <strong>in</strong> Freiburg und<br />
besonders über das Identitätspotential von Heimat <strong>in</strong> Baden-<br />
Württemberg s<strong>in</strong>d zwar nett, aber bieten kaum Informationen<br />
zum Thema. Der Leser ist schlichtweg überfordert mit der Über -<br />
legung, was diese Beiträge eigentlich <strong>in</strong> dem Handbuch sollen.<br />
Auch die E<strong>in</strong>leitung beantwortet die Frage nicht. Die Beiträge<br />
über BASF und Haniel h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d wirklich lesenswert. Zu<br />
199<br />
empfehlen s<strong>in</strong>d auch die Interviews mit dem Bosch-Chef Franz<br />
Fehrenbach und dem Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp, weil<br />
diese verständlich machen, warum Tradition <strong>in</strong> der heutigen<br />
Unternehmenskultur und <strong>in</strong> Entscheidungsprozessen e<strong>in</strong>e<br />
wichtige Rolle spielt. Die Informatikprofessor<strong>in</strong> Elke Theobald,<br />
neben e<strong>in</strong>em Soziologen und den beiden Unternehmern nicht<br />
aus der Kommunikationsbranche stammend, stellt die Möglichkeiten<br />
des Internets für die Heritage Communication dar. Abgesehen<br />
davon, dass der Beitrag wenig Neues bietet, ist es natürlich<br />
e<strong>in</strong> schöner Wunschtraum, wenn sie anregt: „Unternehmensarchive<br />
können digitalisiert Internetnutzern oder Mitarbeitern<br />
weltweit zur Verfügung gestellt werden“ (S. 102). Vermutlich<br />
me<strong>in</strong>t sie bestimmte Quellen. Neben den beträchtlichen Kosten –<br />
und selbst Großunternehmen sparen allen Sonntagsreden zum<br />
Trotz gerne an den eigenen <strong>Archive</strong>n oder sehen deren Notwendigkeit<br />
nicht e<strong>in</strong> – ist die Komplett-Aufnahme <strong>in</strong> das Internet<br />
nicht wünschenswert. Hier – wie auch an anderer Stelle – hätte<br />
der Diskurs mit den Archivaren dem Buch sicher gut getan. Denn<br />
unter den 19 Autoren bef<strong>in</strong>det sich ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Archivar. Es fehlt<br />
auch e<strong>in</strong> Beitrag über Unternehmensarchive. Dies ist umso ver -<br />
wunderlicher, da nicht nur die Frühjahrstagung der Wirtschaftsarchivare<br />
2007 zu diesem Thema genannt wird, sondern auch<br />
e<strong>in</strong>e der Herausgeber<strong>in</strong>nen zu den Referenten dieser Tagung<br />
gehörte. Mit gutem Willen kann vermutet werden, dass hier<br />
versehentlich die Fachleute für die Aufarbeitung der historischen<br />
Informationen, deren Stellenwert <strong>in</strong> manchen Kapiteln auch be -<br />
nannt wird, völlig außer Acht gelassen wurden. Oder s<strong>in</strong>d Unternehmensarchive<br />
nur „Instrumente“ für die Kommunikationsabteilungen<br />
und damit auch die Archivare nur Zulieferer? E<strong>in</strong>er<br />
solchen Betrachtung stünde das Berufsbild des modernen Wirtschaftsarchivars<br />
diametral entgegen. In Deutschland hätten zahl -<br />
reiche Wirtschaftsarchivare Beiträge zu dem Buch aus eigener<br />
Erfahrung liefern können. Schade, dass dieses Angebot <strong>in</strong> dem<br />
Handbuch nicht gemacht wird.<br />
Ulrich S. Soénius, Köln<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009