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ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

LITERATURBERICHTE<br />

Unter fangen, das möglicherweise wenig Erkenntnisgew<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> -<br />

br<strong>in</strong>gt – was nicht bedeutet, dass man es nicht e<strong>in</strong>mal getan<br />

haben sollte.<br />

Anselm Faust, Rat<strong>in</strong>gen<br />

GUNTER HOLZWEIßIG, QUELLENKUNDLICHE<br />

ANMERKUNGEN ZUR DDR-HISTORIOGRAPHIE<br />

Wirtschaftsverlag NW GmbH, Bremerhaven 2006. 176<br />

S., 27 Abb., Paperback. 12, -€. ISBN 978-3-86509-444-5.<br />

(Materialien aus dem Bundesarchiv, H. 17)<br />

Die klassische Aktenkunde als e<strong>in</strong>es der archivwissenschaftlichen<br />

Kernfächer ist <strong>in</strong> der letzten Zeit wie es sche<strong>in</strong>t etwas <strong>in</strong> den<br />

H<strong>in</strong>tergrund gedrängt worden. Probleme der Bewertung und der<br />

Archivierung elektronischer Unterlagen sowie der Bestandserhaltung<br />

bestimmten vielmehr die Diskussionen <strong>in</strong> den Fachkreisen.<br />

Insbesondere sche<strong>in</strong>t die Beschäftigung mit dem <strong>in</strong>neren Aufbau<br />

des Schriftgutes der letzten Jahrzehnte vernachlässigt worden zu<br />

se<strong>in</strong>. Nahezu vergeblich sucht man etwa nach neuerer Literatur<br />

zu Aktenkunde und Schriftgutverwaltung der NS-Zeit und der<br />

DDR. Dabei ist gerade die Verb<strong>in</strong>dung von öffentlicher Verwaltung<br />

mit e<strong>in</strong>er staatstragenden Partei e<strong>in</strong> historisches Phänomen,<br />

das es so vorher nicht gegeben hat und das sicherlich auch <strong>in</strong> der<br />

Schriftgutverwaltung e<strong>in</strong>schließlich der Aktenführung tief grei -<br />

fende Spuren h<strong>in</strong>terlassen hat. Den mit der archivalischen Überlieferung<br />

dieser Zeiträume befassten Archivaren und Archivar<strong>in</strong>nen<br />

dürfte dies sicher klar se<strong>in</strong>, gleichwohl fehlt es an entsprechenden<br />

Forschungen. Dabei wären solche auch im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Benutzerbetreuung nötig und hilfreich.<br />

Somit ist die vorliegende Veröffentlichung zu begrüßen. Sie<br />

widmet sich allerd<strong>in</strong>gs nur e<strong>in</strong>em Teil der Problematik, nämlich<br />

den Besonderheiten des DDR-Schriftguts. Und sie ist aus der<br />

Perspektive e<strong>in</strong>es langjährigen Benutzers dieses Schriftguts ge -<br />

schrieben. Dementsprechend operiert der Verfasser auch nicht<br />

mit den klassischen archivwissenschaftlichen Term<strong>in</strong>i, sondern<br />

eher mit denen des Historikers und sieht se<strong>in</strong>e Studie als „Quellenkunde“.<br />

Zugleich deutet er mit der E<strong>in</strong>schränkung „Anmerkungen“<br />

an, dass er ke<strong>in</strong>e umfassende und erschöpfende Untersuchung<br />

zum Thema vorlegen wollte.<br />

Das Buch gliedert sich <strong>in</strong> neun unterschiedlich lange Abschnitte,<br />

die teilweise noch weiter unterteilt s<strong>in</strong>d. Davon bilden die Abschnitte<br />

2 bis 4 – Abschnitt 1 ist lediglich das Vorwort – die<br />

wissenschaftliche E<strong>in</strong>leitung bzw. den erläuternden Begleittext zu<br />

der <strong>in</strong> Ab schnitt 5 (Texte) und 6 (Fotos) vorgelegten Edition<br />

faksimilierter Dokumente. Die restlichen Abschnitte enthalten<br />

das Abkürzungsverzeichnis, das Literaturverzeichnis und e<strong>in</strong>en<br />

Personen<strong>in</strong>dex. Den Vorbemerkungen vorgeschaltet ist noch e<strong>in</strong><br />

Verzeichnis der edierten bzw. faksimilierten Dokumente mit<br />

ausführlichen Er läuterungen.<br />

In Abschnitt 2, dem ersten der E<strong>in</strong>leitung, geht der Autor auf die<br />

Herrschaftspraxis im SED-Staat e<strong>in</strong>, um die gesellschaftlichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu skizzieren, <strong>in</strong> denen die dann im nächs -<br />

ten Abschnitt näher vorgestellten Schriftquellen entstanden s<strong>in</strong>d.<br />

Besonderen Wert legt er auf die – expressis verbis auch <strong>in</strong> Artikel<br />

1 der DDR-Verfassungen von 1968 und 1974 verankerte – Füh -<br />

rungs rolle der SED und ihr daraus resultierendes Informationsmonopol.<br />

Diese hatte natürlich auch Auswirkungen auf den<br />

Umgang mit den Informationsträgern, im engeren S<strong>in</strong>ne also<br />

auch auf die Schriftgutverwaltung.<br />

Im nächsten Abschnitt beschäftigt sich Holzweißig dann mit den<br />

Quellen selbst. Diese unterteilt er nach ihrer Herkunft bzw.<br />

Provenienz <strong>in</strong> Quellen aus der DDR und aus der Bundesrepublik<br />

sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e von ihm als „offene Quellen“ bezeichnete Gruppe.<br />

Darunter versteht er <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Veröffentlichungen aus der<br />

DDR. Beschlossen wird dieser Abschnitt mit e<strong>in</strong>em Exkurs über<br />

„Erfahrungen mit Zeitzeugenberichten“. Gerade <strong>in</strong> diesem Teil<br />

des Buches wird der Ansatz bzw. die Perspektive des auswertenden<br />

Historikers deutlich.<br />

Im dritten und letzten Abschnitt der E<strong>in</strong>leitung widmet sich der<br />

Autor dem Informationsgehalt der Quellen. Dabei behandelt er<br />

zunächst verschiedene Textgattungen wie Protokolle, Beschlüsse,<br />

Berichte usw. E<strong>in</strong>mal mehr wird hier die Notwendigkeit des, wie<br />

der Autor es verschiedentlich nennt, „Übersetzens“ der Texte<br />

betont. Sie sprächen nämlich nicht unbed<strong>in</strong>gt unmittelbar Klar -<br />

text, sondern bed<strong>in</strong>gt durch die im ersten Abschnitt dargelegten<br />

gesellschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen sei e<strong>in</strong>e Art Kunstsprache<br />

entstanden, deren voller Informationsgehalt sich nicht sofort<br />

erschließe. H<strong>in</strong>zu kommt e<strong>in</strong>e gewisse Fragmentierung der Über -<br />

lieferung, d. h. die Vorgänge s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel eben nicht vollständig<br />

dokumentiert. Wichtige Kontext<strong>in</strong>formationen, aber auch<br />

Entscheidungen selbst würden häufig fehlen. Charakteristisch<br />

steht dafür das von Holzweißig herangezogene Zitat von Günter<br />

Schabowski vom 8. November 1989: „Zu e<strong>in</strong>er spezifischen Form<br />

der Information wurde die Nicht<strong>in</strong>formation“ (S. 58).<br />

Diesen grundsätzlichen Feststellungen ist eigentlich kaum etwas<br />

h<strong>in</strong>zuzufügen. Und doch bleibt nach der Lektüre des Buches e<strong>in</strong><br />

gewisses Gefühl der Unzufriedenheit zurück. Dies ist weniger<br />

dem Autor anzulasten, sondern es erwächst vielmehr aus dem<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, dass hier auf e<strong>in</strong> Defizit der archivwissenschaftlichen<br />

Forschung aufmerksam gemacht wurde, welches dr<strong>in</strong>gend<br />

behoben werden müsste. Insbesondere vor dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />

zunehmenden Transparenz der archivalischen Überlieferung im<br />

Internetzeitalter, die auch vor diesem Schriftgut nicht halt macht,<br />

sche<strong>in</strong>t es geboten, den Benutzer mit ihren Besonderheiten nicht<br />

alle<strong>in</strong> zu lassen. Und auch für die Erschließung haben diese<br />

Besonderheiten Konsequenzen, worüber glücklicherweise <strong>in</strong><br />

letzter Zeit e<strong>in</strong>e Diskussion angelaufen ist. Denn die vor 1989<br />

vorgenommenen Erschließungen genügen heutigen Anforderungen<br />

vielfach nicht mehr.<br />

So hat denn die Lektüre dieses Buches e<strong>in</strong>es Historikers den<br />

Rezensenten vor allem zum Nachdenken über archivwissenschaftliche<br />

Defizite, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den Bereichen Schriftgutverwaltung<br />

und Aktenkunde des 20. Jahrhunderts, angeregt. Gleichwohl<br />

kann es Benutzern, die sich erstmals dieser Überlieferung<br />

annähern, e<strong>in</strong> nützlicher Ratgeber se<strong>in</strong> und sie vor manchem<br />

Fehlurteil und <strong>in</strong> den Akten lauernden Fallstrick bewahren.<br />

Dirk Schle<strong>in</strong>ert, Magdeburg

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