ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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anschließenden oft sehr aufschlussreichen Endnoten hätten nach<br />
e<strong>in</strong>er Umwandlung <strong>in</strong> Fußnoten ihren Leserkreis noch erweitern<br />
können. Editorische Bemerkungen und e<strong>in</strong> Ortsregister beschließen<br />
das Buch.<br />
Karsten Kühnel, Berl<strong>in</strong><br />
GESCHICHTE – UNTERNEHMEN – ARCHIVE<br />
Festschrift für Horst A. Wessel zum 65. Geburtstag.<br />
Hrsg. von Wilfried Feldenkirchen, Susanne Hilger und<br />
Kornelia Rennert. Klartext Verlag, Essen 2008. 550 S.,<br />
21 Abb., geb. 39,90 €. ISBN 978-3-8375-0007-3<br />
Wer sich durch e<strong>in</strong>e beachtliche Bandbreite wissenschaftlicher<br />
und archivischer Interessen, Tätigkeiten und Publikationen<br />
auszeichnet, wer sich als <strong>in</strong>itiativer Organisator bewährt hat, wer<br />
zudem das Licht der Öffentlichkeit nicht scheut und Geselligkeit<br />
nicht meidet, der kann über e<strong>in</strong>en Mangel an Freunden, Kollegen<br />
und Weggefährten nicht klagen. Steht e<strong>in</strong>e Festschrift zu se<strong>in</strong>en<br />
Ehren an, ist es den Herausgebern e<strong>in</strong> Leichtes, e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />
<strong>in</strong>teressanter, anregender und gelehrter Autoren zu mobilisieren.<br />
E<strong>in</strong>en Sammelband anlässlich des 65. Geburtstags von Horst A.<br />
Wessel, des Leiters des Mannesmann-Archivs, zu komponieren,<br />
dürfte deshalb nicht allzu schwierig gewesen se<strong>in</strong>, obgleich den<br />
Interessen des Jubilars entsprechend e<strong>in</strong> breit gefächertes Themenfeld<br />
abzudecken war: von der Wirtschafts- und Technikgeschichte<br />
über die Unternehmens- und Unternehmergeschichte bis<br />
zum Wirtschaftsarchivwesen und zur Regional- und Lokalgeschichte.<br />
Von 26 Autoren unterstützt, ist den Herausgebern dies<br />
mit e<strong>in</strong>er abwechslungsreichen Komposition durchweg gehaltvoller<br />
Beiträge gut gelungen. Zu Gunsten der Übersichtlichkeit<br />
haben sie die Aufsätze <strong>in</strong> drei Gruppen geordnet: „Das Umfeld<br />
unternehmerischer Tätigkeit“, „Unternehmensgeschichte <strong>in</strong> ihren<br />
Facetten“ und „<strong>Archive</strong> als Träger der historischen Überlieferung“.<br />
Aus ihnen greift der Rezensent se<strong>in</strong>en persönlichen Vor -<br />
lieben folgend e<strong>in</strong>ige Beiträge heraus:<br />
Unter dem Titel „Rohrleitungen, Ratsprotokolle und der Rückzug<br />
des Todes – zur ‚Assanierung’ der Stadt Düsseldorf 1860-1910“<br />
stellen Jörg Vögele und Ulrich Koppitz e<strong>in</strong> Forschungsprojekt<br />
vor, das, ausgehend von der Beobachtung, dass „seit der Hoch<strong>in</strong>dustrialisierung<br />
die städtische Lebenserwartung rascher und<br />
deutlicher anstieg als im Landesdurchschnitt“ (S. 43), dem Zu -<br />
sammenhang von Verbesserung der hygienischen Infrastruktur<br />
und dem Rückgang der Säugl<strong>in</strong>gssterblichkeit nachgeht, der<br />
häufig v. a. auf die Zunahme des allgeme<strong>in</strong>en Lebensstandards<br />
zurückgeführt wird. Ebenfalls e<strong>in</strong> Projekt ist die von Michael<br />
Farrenkopf beschriebene Zeitzeugensammlung des deutschen<br />
Kokereiwesens. Sie soll e<strong>in</strong>en Fundus an persönlichen Er<strong>in</strong>nerungen<br />
begründen, „die <strong>in</strong> ihrer Gänze gleichsam als kollektives<br />
Gedächtnis e<strong>in</strong>er Branche anzusehen s<strong>in</strong>d“ (S. 525).<br />
In se<strong>in</strong>em Beitrag über das Verhalten des späteren Reichspräsidenten<br />
Friedrich Ebert beim Berl<strong>in</strong>er Munitionsarbeiterstreik von<br />
Januar 1918 setzt sich Gerd Krumeich mit dem berüchtigten<br />
Urteil e<strong>in</strong>es Magdeburger Schöffengerichts von 1924 ause<strong>in</strong>ander,<br />
das Ebert des Hochverrats für schuldig erklärte. Die Geschichtswissenschaft<br />
hat diesen Spruch <strong>in</strong> seltener E<strong>in</strong>mütigkeit kriti-<br />
189<br />
siert, wogegen Krumeich für den Versuch plädiert, die „wirklich<br />
tragische Dimension, die tatsächliche Unauflöslichkeit des<br />
Konflikts“ stärker zu betonen. Die Historiker sollten endlich<br />
auch die Argumente der Gegner Friedrich Eberts ernst nehmen,<br />
um „beiden Seiten <strong>in</strong> gleicher Weise ‚verstehend’ gerecht zu<br />
werden“ (S. 91 f.).<br />
„Produktive Arbeit“ versus „verschwenderischer“ Konsum – dem<br />
Diskurs der letzten 200 Jahre über dieses tatsächliche oder ver -<br />
me<strong>in</strong>tliche Gegensatzpaar nähert Christoph Nonn sich mit<br />
lesens werten Überlegungen, womit er aber auch Angriffsflächen<br />
bietet. Denn so gewiss die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft<br />
seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich dazu<br />
beigetragen hat, die traditionelle Diffamierung des Konsums zu<br />
beenden, so gewiss ist, dass die Wertschätzung der Verbraucher<br />
bereits spätestens <strong>in</strong> den 1920ern mit der Formulierung e<strong>in</strong>er<br />
nachfrageorientierten Konjunkturtheorie e<strong>in</strong>setzte, die auch den<br />
Nationalsozialisten durchaus geläufig war. In dieser Tradition<br />
stehen gegenwärtig nicht nur viele gewerkschaftliche Tarifforderungen,<br />
sondern auch die wiederkehrenden Appelle von Wirtschaftspolitikern<br />
unterschiedlichster Couleur an die Bevölkerung<br />
e<strong>in</strong>schließlich der Hartz IV-Empfänger, zu Gunsten des Wirtschaftswachstums<br />
doch bitteschön munter zu konsumieren.<br />
Sehr prägnant beschreibt Andrea H. Schneider die Entwicklung<br />
der deutschen Unternehmensgeschichtsschreibung der letzten<br />
50 Jahre fort von der ehemals üblichen Firmenchronik h<strong>in</strong> zur<br />
theoriegeleiteten Unternehmensgeschichte, die das sozioökonomisch-politische<br />
Umfeld explizit mit e<strong>in</strong>bezieht. Die <strong>in</strong> dem<br />
Genre verbreitete Auftragsforschung sei nach wir vor unverzichtbar,<br />
sofern sie wissenschaftlichen Standards genüge, zumal sie<br />
nachweislich positive Auswirkungen auf den Ausbau der Unternehmensarchive<br />
und auf die allgeme<strong>in</strong>e Zugänglichkeit der<br />
Unternehmensakten zeitige.<br />
Die Probleme der Wirtschaftsarchive im Wandel der Unternehmens-<br />
und Wirtschaftsstrukturen beschreibt Kornelia Rennert<br />
am hierfür besonders „geeigneten“ Exempel des Mannesmann-<br />
Archivs und befürwortet nachdrücklich die Umwandlung der<br />
unternehmenseigenen <strong>Archive</strong> <strong>in</strong> dauerhaft stabile Stiftungen als<br />
Schutz vor den Auswirkungen ökonomischer Wechselfälle, aber<br />
auch als „Schutz vor eventuell übereilten Entscheidungen des<br />
Managements“ (S. 473). Um vergleichbare Probleme – wiewohl<br />
aus der Sicht der öffentlichen <strong>Archive</strong> – geht es bei Wilfried<br />
Re<strong>in</strong>ighaus’ Beschreibung der Bemühungen des Leiters des West -<br />
fälischen Archivamtes (1974-1987) Helmut Richter<strong>in</strong>g um die<br />
Sicherung wirtschaftshistorischer Quellen anlässlich des Strukturwandels<br />
im Ruhrgebiet.<br />
Sab<strong>in</strong>e Lenk diskutiert sehr praxisbezogen die aktuellen Probleme<br />
<strong>in</strong>sbes. der kle<strong>in</strong>eren <strong>Archive</strong> mit den An- und Herausforderungen<br />
der digitalen Techniken bei der Filmarchivierung. Ihr Rat,<br />
vor dem E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e hochwertige Digitalisierung analoger<br />
Bestände Nutzen und Kosten sorgfältig abzuwägen, ist allemal<br />
bedenkenswert. E<strong>in</strong>e „kle<strong>in</strong>e Lösung“ sei nicht immer zu verachten,<br />
wenn sie sich z. B. bei der Digitalisierung e<strong>in</strong>es Films mit<br />
e<strong>in</strong>er preiswerteren TV-Qualität anstelle e<strong>in</strong>er kostspieligen, aber<br />
selten benötigten K<strong>in</strong>o-Qualität begnüge.<br />
E<strong>in</strong>en kompakten historischen Abriss der Industrie- (genauer der<br />
Werks-) Fotografie im Ruhrgebiet liefert Karl-Peter Ellerbrock,<br />
der sich auch als Kenner des Œuvres des Fotokünstlerpaares Hilla<br />
und Bernd Becher ausweist. Deren weltweit gerühmten „anonymen<br />
Industrieskulpturen“ allerd<strong>in</strong>gs mit unternehmenseigener<br />
Industriefotografie <strong>in</strong> Beziehung zu setzen, ist e<strong>in</strong> gewagtes<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009