ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />
LITERATURBERICHTE<br />
tische Aufzählung archivalischer Quellen auf S. 250 (man spricht<br />
im dortigen Zusammenhang von „prozessproduzierten Quellen“)<br />
beg<strong>in</strong>nt mit „Dokumenten“ (!), lässt aber Akten unerwähnt –<br />
Ahasver von Brandts „Werkzeug des Historikers“ kann es besser.<br />
Und um noch e<strong>in</strong>mal die Studierenden der Geistes- und Kulturwissenschaften<br />
zu bemühen: Angehende Kunsthistoriker vermissen<br />
www.fotomarburg.de, den Verweis auf die wichtigste Bilddatenbank<br />
zur kunsthistorischen Dokumentarfotografie <strong>in</strong> Mittel -<br />
europa; fortgeschrittene Germanistik- oder Philosophie-Studenten,<br />
die Autorennachlässe und Autographen suchen, wären be -<br />
stimmt dankbar für Angaben über die klassischen Literaturarchive<br />
<strong>in</strong> Marbach (www.dla-marbach.de) bzw. Wien (www.onb.<br />
ac.at/ sammlungen/litarchiv.htm). Immerh<strong>in</strong> stoßen Studierende<br />
der Neueren Geschichte bzw. der Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />
auf e<strong>in</strong> kompaktes Vademecum über das Verhältnis ihrer<br />
Zweigwissenschaft zum WWW, doch hätten sich die Autoren<br />
besser nicht zu jener Multidiszipl<strong>in</strong>arität versteigen sollen, die<br />
e<strong>in</strong>gangs beschworen wird. Dem Buchprojekt hätte es sicher gut<br />
getan, wenn e<strong>in</strong> Archivar die Bearbeitung e<strong>in</strong>iger weniger Passagen<br />
übernommen hätte; dem fundamentalen Anliegen, nach<br />
welchem <strong>Archive</strong> onl<strong>in</strong>e und Geschichtswissenschaft onl<strong>in</strong>e im<br />
21. Jahrhundert e<strong>in</strong>iges mite<strong>in</strong>ander zu tun haben sollten, hat<br />
dieses Lernbuch jedenfalls ke<strong>in</strong>en guten Dienst erwiesen. Das ist<br />
für beiden Seiten bedauerlich.<br />
Matthias Kordes, Reckl<strong>in</strong>ghausen<br />
GERAUBTE LEBEN<br />
Zwangsarbeiter berichten. Hrsg. von der Stiftung<br />
„Er<strong>in</strong>nerung, Verantwortung und Zukunft“. Bearb. von<br />
Kathr<strong>in</strong> Janka. Böhlau Verlag, Köln – Weimar – Wien<br />
2008. 357 S., zahlr. Abb., geb. 22,90 €. ISBN 978-3-<br />
412-20092-3<br />
Die hier von der Stiftung „Er<strong>in</strong>nerung, Verantwortung und Zu -<br />
kunft” vorgelegte und von Kathr<strong>in</strong> Janka bearbeitete Veröffentlichung<br />
bietet dem Leser 35 Berichte ehemaliger Zwangsarbeiter<br />
/<strong>in</strong>nen, die während des Zweiten Weltkriegs entweder im Reich<br />
oder auf von Deutschen oder ihren Verbündeten kontrolliertem<br />
Territorium e<strong>in</strong>gesetzt waren. Die Berichte s<strong>in</strong>d den Antragsunterlagen<br />
überlebender Betroffener aus fast allen Teilen Europas,<br />
vor allem aber aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion ent -<br />
nommen, die auf diese Weise ihr Schicksal und damit e<strong>in</strong>en An -<br />
spruch auf e<strong>in</strong>e Zahlungsleistung der Stiftung glaubhaft machen<br />
wollten. Es lohnt sich daher, zuerst das Nachwort zu lesen, <strong>in</strong><br />
dem man erfährt, dass die Texte nicht im H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>e Ver -<br />
öffentlichung geschrieben worden s<strong>in</strong>d. Dem entspricht die<br />
unterschiedliche Qualität <strong>in</strong> Stil, Str<strong>in</strong>genz und emotionaler Aus -<br />
gewogenheit, an deren Maß der Leser e<strong>in</strong>e gewisse Erwartung<br />
stellt, die das Gebotene nicht immer erfüllt. Die Texte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
vielen Fällen sehr von ihrem Entstehungszusammenhang im<br />
Kontext der Antragstellung geprägt. Sie dokumentieren dadurch<br />
auch e<strong>in</strong> Stück der deutschen Entschädigungsgeschichte seit 1945.<br />
Hervorzuheben ist dabei, dass e<strong>in</strong>e Publikation, die sich an den<br />
Unterlagen e<strong>in</strong>es konkreten Leistungsprogramms orientiert,<br />
natürlich nur die Opfergruppen <strong>in</strong> den Fokus nehmen kann, die<br />
<strong>in</strong> den Kreis der als leistungsberechtigt def<strong>in</strong>ierten Leidens -<br />
schick sale fallen. Andere große Opfergruppen bleiben bei der<br />
Betrachtung außen vor. Die Bearbeiter<strong>in</strong> hat sich allerd<strong>in</strong>gs große<br />
Mühe gegeben, dieses Dilemma durch e<strong>in</strong>e geschickte Auswahl<br />
der Berichte e<strong>in</strong>igermaßen zu kompensieren. Da ist etwa der<br />
Russe Aleksandr K. Er wurde als Kriegsgefangener nach Deutschland<br />
gebracht. Dort gelang ihm die Flucht, er wurde aber wieder<br />
aufgegriffen und strafweise <strong>in</strong> das Konzentrationslager Mauthausen<br />
e<strong>in</strong>geliefert. Auch von da konnte er entkommen und verd<strong>in</strong>gte<br />
sich als gleichsam illegaler Zwangsarbeiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Eisenbahn-Reparaturbetrieb<br />
im Saarland. Erneut geflohen, griffen ihn<br />
die Amerikaner auf und brachten ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong> DP-Lager. Auch von<br />
dort entfernte er sich und lief e<strong>in</strong>er Patrouille der Roten Armee <strong>in</strong><br />
die Arme, die ihn sofort wieder <strong>in</strong> ihre Dienste nahm. Dieser<br />
Bericht bezieht beispielsweise das Schicksal der nach dem Stiftungsgesetz<br />
an sich nicht leistungsberechtigten 4,6 Millionen<br />
Kriegsgefangenen <strong>in</strong> freilich nicht repräsentativer Weise immerh<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> die Betrachtung e<strong>in</strong>.<br />
Für viele Betroffene war die Niederschrift ihrer Erlebnisse wesentlich<br />
mehr als nur Teil e<strong>in</strong>es Leistungsantrags. Sie verarbeiteten<br />
und bewältigten e<strong>in</strong> Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte,<br />
das oft über Jahrzehnte verdrängt <strong>in</strong> ihrem Innern geschlummert<br />
hatte. Dadurch s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige der hier wiedergegebenen Berichte<br />
deutlich ausführlicher als es für e<strong>in</strong>e Leistungszusage notwendig<br />
gewesen wäre. Sie bee<strong>in</strong>drucken durch ihre Details und trotzdem<br />
prägnante Aussagekraft. Besonders nachhaltig wird den Leser die<br />
aus dem Rahmen der übrigen Auswahl fallende literarische Er -<br />
zählung von Adolf<strong>in</strong>a Sovová mit dem Titel „Margot“ be rühren,<br />
<strong>in</strong> dem sie ihre Erlebnisse <strong>in</strong> Auschwitz zu verarbeiten sucht.<br />
Kathr<strong>in</strong> Janka scheut sich nicht, das Schicksal ehemaliger KZ-<br />
Häftl<strong>in</strong>ge mit dem der zeitgenössisch als zivile ausländische<br />
Arbeitskräfte Bezeichneten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch und <strong>in</strong> vermischter<br />
Reihenfolge darzustellen. Das mag mitunter kritisiert werden.<br />
Jedoch ist der Begriff der Zwangsarbeit ke<strong>in</strong> Term<strong>in</strong>us, der ge -<br />
eignet wäre, graduelle Aspekte des Leidens widerzuspiegeln.<br />
Insofern ist der Handhabe der Bearbeiter<strong>in</strong> durchaus zuzustimmen.<br />
Die Lektüre der Berichte br<strong>in</strong>gt vielfältigen Gew<strong>in</strong>n. Aspekte,<br />
die <strong>in</strong> der Literatur oft nur am Rande beachtet wurden,<br />
sche<strong>in</strong>en mitunter hell auf. Dazu gehören beispielsweise die Kon -<br />
flikte zwischen Betroffenen verschiedener Nationalitäten.<br />
Das Werk ist e<strong>in</strong>e weitere Veröffentlichung im <strong>in</strong>zwischen be<strong>in</strong>ahe<br />
schon unübersehbar gewordenen Sortiment von Er<strong>in</strong>nerungsund<br />
Erlebnisberichten ehemaliger Zwangsarbeiter(<strong>in</strong>nen), die <strong>in</strong><br />
unterschiedlichen Kontexten, vielfach von Begegnungsprogrammen,<br />
herausgegeben wurden. Der <strong>in</strong>ternationale Rang der Stiftung<br />
EVZ kann sicher der Veröffentlichung besonderes Gewicht<br />
im Bestreben zur weiteren Rehabilitation der Geschädigten <strong>in</strong><br />
ihren Heimatländern verleihen. E<strong>in</strong> weiterer Wert liegt <strong>in</strong> ihrer<br />
engen Verflechtung zum Prozess der Leistungen aus dem Stiftungsfonds<br />
der Stiftung EVZ an die Opfer. Das Werk trägt damit<br />
ausschnitthaft und ohne Anspruch auf e<strong>in</strong>e repräsentative Aus -<br />
wahl zur Dokumentation der deutschen Entschädigungsverwaltung<br />
im weiteren S<strong>in</strong>n während e<strong>in</strong>er zwar knappen, aber enorm<br />
bedeutsamen Phase bei.<br />
Außer den 35 Berichten f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> dem Buch e<strong>in</strong> Geleitwort<br />
von Noach Flug und e<strong>in</strong> Vorwort von Günter Saathoff. Im bereits<br />
mehrmals erwähnten Nachwort führt Kathr<strong>in</strong> Janka auf 22<br />
Seiten <strong>in</strong> die historische Thematik e<strong>in</strong>, erläutert die Entstehung<br />
der Veröffentlichung und gibt wertvolle <strong>in</strong>haltsbezogene H<strong>in</strong>weise<br />
zu den Berichten. Die an jedes Kapitel und jeden Bericht