ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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schen Herangehen scharfe Bewertungsfragen erwarten. Jan<br />
Schmidt hat dies, ohne das Wort Bewertung zu verwenden, <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Beitrag über Hierarchien <strong>in</strong> der „Blogosphäre“ im Tagebuch-Katalog<br />
aufgeworfen (S. 115-117). Die Angebote der „A-List“<br />
erreichen e<strong>in</strong> großes Publikum, Long Tail-Angebote erzielen nur<br />
e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Reichweite und s<strong>in</strong>d daher weitgehend zu vernachlässigen.<br />
Offen ist freilich, wer wie wo überhaupt etwas archivieren<br />
soll. Wer ist zuständig? Reicht das Netz als Speicher? Antworten<br />
auf diese Fragen gibt es nach Wissen des Rezensenten nicht.<br />
Der Verweis <strong>in</strong> beiden Katalogen auf Ähnlichkeiten zwischen<br />
Briefen und E-Mails, Tagebüchern und Weblogs lässt es geraten<br />
se<strong>in</strong>, die jeweiligen digitalen Versionen auf die Agenda der<br />
<strong>Archive</strong> zu nehmen.<br />
Wilfried Re<strong>in</strong><strong>in</strong>ghaus, Senden<br />
FRANZ X. EDER, HEINRICH BERGER, JULIA CASUTT-<br />
SCHNEEBERGER, ANTON TANTNER, GESCHICHTE<br />
ONLINE<br />
E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das wissenschaftliche Arbeiten. Böhlau<br />
Verlag, Köln – Weimar – Wien 2006. 328 S., 80 Abb.<br />
19,90 €. ISBN 978-3-8252-2822-4<br />
Zu Recht wird von Archivaren und Historikern beklagt, dass <strong>in</strong><br />
der Kommunikation zwischen dem Archivwesen und den historischen<br />
Wissenschaften Defizite bestehen, dass es e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Herausforderung sei, h<strong>in</strong>sichtlich des Aufbaus e<strong>in</strong>er modernen<br />
Informationsgesellschaft die bestehende Kluft zwischen <strong>Archive</strong>n<br />
und akademischen Forschungse<strong>in</strong>richtungen zu überw<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong><br />
wichtiges B<strong>in</strong>deglied zwischen Archivaren und Historikern waren<br />
bisher die „klassischen“ Historischen Hilfswissenschaften, also<br />
jener gute, alte „Instrumentenkoffer“, der – sozusagen „auf<br />
Mabillons Spur“ – erst die Handhabe bietet, e<strong>in</strong>em Authentikum<br />
historisch-kritischen Respekt zu zollen. Die Geschichtswissenschaft<br />
im digitalen Zeitalter braucht natürlich erst recht e<strong>in</strong>e gut<br />
ausgestattete „Tool-Bar“, die Standards, Medien und Techniken<br />
der elektronischen Ermittlung, Erschließung und Auswertung<br />
historischer Informationsträger bereitstellt. Die derzeitige wissenschaftsgeschichtliche<br />
Situation ist wiederum gekennzeichnet<br />
durch den Schwund der Historischen Hilfswissenschaften an den<br />
Universitäten e<strong>in</strong>erseits und den im Rahmen des sog. Bologna-<br />
Prozesses vollständig modularisierten BA- und MA-Studiengängen<br />
andererseits, die zwar Praxisbezogenheit und Berufsbefähigung<br />
postulieren, am Ende jedoch e<strong>in</strong> archivfernes Geschichtsstudium<br />
und Historikerverständnis begünstigen.<br />
In diesem Spannungsfeld ist das vorliegende Buch entstanden,<br />
das – trotz se<strong>in</strong>es vertraut kl<strong>in</strong>genden Untertitels – schon nicht<br />
mehr <strong>in</strong> das traditionelle Literaturgenre der Lehrbücher und<br />
E<strong>in</strong>führungswerke gehört. Das hochmoderne Lern-Buch nach<br />
Art e<strong>in</strong>es digitalen Tutoriums ist vielmehr e<strong>in</strong>e über 300 Seiten<br />
starke „Kodifizierung“ des von mehreren österreichischen Institutionen<br />
(hauptsächlich: Universität Wien, Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />
für Bildung und Wissenschaft) geförderten E-Learn<strong>in</strong>g-Projektes<br />
www.geschichte-onl<strong>in</strong>e.at. Das ganze Buch ist daher durchsetzt<br />
mit web-gestützten Abschnitten, die e<strong>in</strong>e vertiefende, begleitende,<br />
<strong>in</strong>teraktive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit bestimmten Lernobjekten,<br />
187<br />
Übungsaufgaben und Fragestellungen im Internet anbieten.<br />
Screenshots s<strong>in</strong>d dabei m<strong>in</strong>destens so zahlreich vertreten wie<br />
Abbildungen von historischen Schriftquellen. Die Autoren selbst<br />
s<strong>in</strong>d an österreichischen und schweizerischen Instituten der<br />
Wirtschafts-, Sozial- und Bevölkerungsgeschichte tätig und<br />
konzentrieren sich bei der Auswahl historischer Beispiele und<br />
Sachverhalte vornehmlich auf ihre persönlichen Forschungsschwerpunkte.<br />
Die Ansprüche und Ziele dieses Handbuches s<strong>in</strong>d übrigens ke<strong>in</strong>e<br />
ger<strong>in</strong>gen: Nicht alle<strong>in</strong> Geschichtsstudenten unterer Semester wird<br />
das Werk ans Herz gelegt, sondern auch „Studierenden der<br />
geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächer an Universitäten,<br />
pädagogischen Akademien und Fachhochschulen“ soll es<br />
„als arbeitstechnischer Begleiter durch das gesamte Studium<br />
dienen“ (S. 13) – im Mittelpunkt steht dabei die Methodenkompetenz<br />
für Recherche und Informationsverarbeitung von Literatur,<br />
Quellen und anderen Ressourcen im Internet. Im Folgenden<br />
wird das Buch nicht auf se<strong>in</strong>e wissenschaftspropädeutischen<br />
oder didaktischen Qualitäten untersucht, vielmehr soll der Frage<br />
nachgegangen werden, <strong>in</strong>wieweit dort archivische Belange Be -<br />
rück sichtigung f<strong>in</strong>den. Streng genommen hieße das aber, die<br />
Lektüre auf drei (!) Seiten beschränken zu können, auf denen<br />
zusammenhängend „das“ (deutschsprachige) Archivwesen ab -<br />
gehandelt wird. Die E<strong>in</strong>leitung kündigt für S. 127-136 „e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Bibliothekskunde“ für Deutschland, Österreich und die Schweiz<br />
an. Sehr <strong>in</strong>struktiv s<strong>in</strong>d die späteren Ausführungen über die<br />
Geschichte der Katalogisierung, die von der Bibliographia universalis<br />
des Konrad Gessner (Mitte 16. Jh.) über die klassischen<br />
Zettelkästen bis zu onl<strong>in</strong>e-Bibliothekskatalogen reichen (S. 207-<br />
216), von <strong>Archive</strong>n und ihren alten und neuen F<strong>in</strong>dmitteln ist<br />
aber nicht weiter die Rede. Gerade weil e<strong>in</strong> übergreifendes deutsches<br />
Archivportal noch <strong>in</strong> weiter Ferne liegt, hätte man auf<br />
S. 259 nicht nur das Bundesarchiv, sondern auch die auf Länderebene<br />
stark angewachsene Internetpräsenz des deutschen Archiv -<br />
wesens erwähnen können (z. B. www.archive.nrw.de und das<br />
Archivportal „<strong>Archive</strong> <strong>in</strong> Baden-Württemberg“).<br />
Der Kanon der Hilfswissenschaften schrumpft unter der Überschrift<br />
„Erste Schritte im Kurrent-Lesen“ auf die – vornehmlich<br />
neuzeitliche – Paläographie (S. 119-126), wobei die knappen Aus -<br />
führungen über die Erf<strong>in</strong>dung des Buchdrucks ohne namentliche<br />
Nennung Gutenbergs auskommen (S. 121), ebenso ohne F<strong>in</strong>gerzeig<br />
auf den digitalen Zugang zum Gött<strong>in</strong>ger Exemplar der B-42<br />
(www.gutenbergdigital.de). Die schon an dieser Stelle auffallende<br />
Distanz, welche die Autoren zu mediävistischen Sachverhalten<br />
halten (Ausnahme auf S. 252: www.monasterium.net), entspricht<br />
dem Fehlen von H<strong>in</strong>weisen auf die retrospektive Massendigitalisierung<br />
historischer Bibliotheksbestände, <strong>in</strong>sbesondere mittelalterlicher<br />
Handschriften. Wissen die Verfasser denn nicht, welche<br />
modernen Lehr- und Lernmöglichkeiten und welche völlig neuen<br />
historischen „Räume“ Image-Dateien und Web-Präsentationen<br />
von mittelalterlichen Manuskripten (z. B. „Codices Electronici<br />
Ecclesiae Coloniensis“ oder „Palat<strong>in</strong>a digital“) der Mittelalter-<br />
Philologie, den Hilfswissenschaften bzw. der Kunstgeschichte<br />
eröffnen? Unter „Literatur und L<strong>in</strong>ks“ auf S. 124 bzw. 272-273<br />
vermisst man das Kompendium von Friedrich Beck und Eckart<br />
Henn<strong>in</strong>g, ebenso die E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Archivkunde von Eckhart<br />
G. Franz, die doch <strong>in</strong> besonderer Weise Allgeme<strong>in</strong>verständlichkeit<br />
anstrebt. An Stelle derartiger Literaturh<strong>in</strong>weise wird e<strong>in</strong> Besuch<br />
im Stadt- und Landesarchiv Wien simuliert, um die „Praxis der<br />
Quellenerhebung“ zu konkretisieren (S. 270-273). Die unsystema-<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009