ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />
LITERATURBERICHTE<br />
seltenen Fällen um Studenten archivwissenschaftlicher Studiengänge,<br />
sondern um Geschichtsstudenten, die das Archiv als<br />
e<strong>in</strong>es von zahlreichen möglichen Berufsfeldern ansehen. Daraus<br />
ergibt sich auch e<strong>in</strong> weiterer großer Unterschied zu der Situation,<br />
von der Bastian/ Webber ausgehen: Fachbereiche deutscher<br />
Universitäten können und wollen sich nicht <strong>in</strong> dem Maße <strong>in</strong> die<br />
Vorbereitung und Durchführung e<strong>in</strong>es Praktikums e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen,<br />
wie dies amerikanische Colleges offenbar tun. Trotz dieser unterschiedlichen<br />
Ausgangssituationen ersche<strong>in</strong>en viele <strong>in</strong> diesem<br />
Buch angesprochene Aspekte auch auf studentische Praktika <strong>in</strong><br />
deutschen <strong>Archive</strong>n übertragbar und die Lektüre empfehlenswert<br />
für Archivare, denen daran gelegen ist, Praktika für alle Beteiligten<br />
gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gend durchzuführen.<br />
Christ<strong>in</strong>e Mayr, Trier<br />
1 Vgl. die Zusammenfassung me<strong>in</strong>er Transferarbeit zu diesem Themenkomplex<br />
im H<strong>in</strong>blick auf Praktika im Landesarchiv Nordrhe<strong>in</strong>-<strong>Westfalen</strong>: Christ<strong>in</strong>e<br />
Mayr, Pflichtpraktika im Archiv im Rahmen von Bachelor- und Masterstudiengängen:<br />
Chance zur organisatorischen und <strong>in</strong>haltlichen Neugestaltung im<br />
Landesarchiv Nordrhe<strong>in</strong>-<strong>Westfalen</strong>, <strong>in</strong>: Volker Hirsch (Hg.): Archivarbeit – die<br />
Kunst des Machbaren, Marburg 2008 (Veröffentlichungen der Archivschule<br />
Marburg 47), S. 113 – 140.<br />
Die ursprüngliche Version me<strong>in</strong>er Transferarbeit ist onl<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>sehbar, vgl.<br />
www.archive.nrw.de/LandesarchivNRW/BilderKartenLogosDateien/Mayr_<br />
Transfer.pdf.<br />
DER BRIEF – EREIGNIS & OBJEKT<br />
Hrsg. von Anne Bohnenkamp und Waltraud Wiethölter.<br />
Stroemfeld Verlag, Frankfurt/M. 2008. 325 S., zahlr.<br />
Farb. Abb., geb. 20,- €. ISBN 978-3-86600-031-5<br />
@BSOLUT PRIVAT! VOM TAGEBUCH ZUM WEBLOG<br />
Hrsg. von Helmut Gold, Christiane Halm, Eva Bös und<br />
T<strong>in</strong>e Nowak. Wachter Verlag, Heidelberg 2008. 160 S.,<br />
34,50 €. ISBN 978-3-89904-310-5<br />
Die hier anzuzeigenden systematisch angelegten Kataloge s<strong>in</strong>d<br />
entstanden als Begleitbände zu zwei Ausstellungen, die 2008 <strong>in</strong><br />
Frankfurt zu sehen waren. Sie s<strong>in</strong>d auch der archivischen An -<br />
näherung und Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Briefen und Tagebüchern<br />
(<strong>in</strong> analoger und digitaler Form) förderlich und gelten damit<br />
Archivaliengruppen, die nicht im Zentrum der Archivtheorie<br />
stehen, jedoch für e<strong>in</strong>e Erfassung des gesellschaftlichen Lebens <strong>in</strong><br />
allen Facetten unverzichtbar s<strong>in</strong>d. Das Freie Deutsche Hochstift<br />
zeigte <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit dem Deutschen Literaturarchiv die<br />
Ausstellung „Der Brief – Ereignis & Objekt“, das Museum für<br />
Kommunikation Frankfurt unter dem Titel „@bsolut privat!“<br />
den Weg „Vom Tagebuch zum Weblog“. Beide Ausstellungen bzw.<br />
die Kataloge dazu waren geprägt vom derzeitigen Schwebezustand,<br />
<strong>in</strong> dem alte Schriftlichkeit noch besteht, sich wandelt oder<br />
vergeht, zugleich aber neue Formen massiv E<strong>in</strong>zug halten. Die<br />
Tagebuch-Ausstellung behandelte bereits Altes und Neues im<br />
Verbund. Die Brief-Ausstellung verfolgte ausdrücklich das Ziel,<br />
„die ‚sprechenden’ Materialitäten brieflicher Kommunikation<br />
möglichst anschaulich und vielfältig vor Augen zu führen, ehe sie<br />
unter dem Konkurrenzdruck der elektronischen Post endgültig <strong>in</strong><br />
das prognostizierte Abseits geraten“ (S. XI). Der analytische<br />
Zugang zum Medium Brief im Vor-E-Mail-Zeitalter gliedert sich<br />
<strong>in</strong> neun Kapitel, die folgenden Themen gelten: Briefpapier,<br />
Schreibgeräte, Handschrift, Topologie [d. h. Nutzung des Brief -<br />
raums], Ikono-Graphie [d. h. Anreicherung von Briefen mit<br />
Bildern], Briefbeigaben, Versendetechnik, Schreib-/Leseszenen<br />
beim Abfassen bzw. Erhalt von Briefen, Archivierungsspuren. Alle<br />
Kapitel führen <strong>in</strong> den Wandel zwischen dem 18. und späten 20.<br />
Jahrhundert e<strong>in</strong> und liefern anschauliche Beispiele, meistens von<br />
prom<strong>in</strong>enten und weniger prom<strong>in</strong>enten Autoren und Künstlern.<br />
Besonderes Interesse verdient <strong>in</strong> dieser Zeitschrift natürlich der<br />
Beitrag von Konrad Heumann über Archivierungsspuren mit der<br />
e<strong>in</strong>leitenden Erkenntnis, dass das Briefsystem e<strong>in</strong>e strukturelle<br />
Asymmetrie mit sich br<strong>in</strong>ge, die erst durch die E<strong>in</strong>führung von<br />
Fax und E-Mail aufgehoben worden sei. Der Verfasser von (analogen)<br />
Briefen verliere nämlich die Verfügungsgewalt über se<strong>in</strong><br />
eigenes Schreiben. Kopierbücher der Kaufleute [zu ergänzen s<strong>in</strong>d:<br />
Briefausgangsregister von Kanzleien] versuchten diesem Mangel<br />
abzuhelfen. Technische Errungenschaften wie Kopierpressen und<br />
Kohlepapierdurchschläge erleichterten die „Selbstarchivierung“.<br />
Die aufgeworfene Frage, wer sich um „das Wissen über die<br />
versunkene Technik“ der Kopierpressen und anderer Geräte<br />
kümmere, ist von e<strong>in</strong>iger Relevanz, s<strong>in</strong>d damit doch <strong>Archive</strong><br />
angesprochen, die die Materialität des Archivguts der Vergangenheit<br />
wie der Zukunft erklären müssen.<br />
Verbleiben die neuen Medien bei den Briefen im H<strong>in</strong>tergrund, so<br />
spr<strong>in</strong>gt die Ausstellungspublikation zu Tagebüchern <strong>in</strong> digitaler<br />
Form zu. E<strong>in</strong>leitend beschreibt Christiane Holm Formen des<br />
neuzeitlichen Tagebuchs mit den Vorläufern Kalender, Rechenund<br />
Logbuch, der Genese von e<strong>in</strong>zelnen Varianten, bestimmt<br />
durch „Handhabung“ und „Rhythmus“, möglicher Überarbeitung<br />
und e<strong>in</strong>er Typisierung nach E<strong>in</strong>trägen (Lebensweg oder<br />
temporär). Die aktuelle Popularität von Tagebüchern erklärt sie u. a.<br />
mit e<strong>in</strong>er Skepsis gegen „Großerzählungen“ (S. 45). Dies bed<strong>in</strong>gt<br />
möglicherweise die Ausbreitung von digitalen Tagebuchformen,<br />
die Tim Nowak als Onel<strong>in</strong>e-Tagebuch und Weblog bzw. Blog er -<br />
klärt. Das H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>tragen des Privaten <strong>in</strong> die Öffentlichkeit via Netz<br />
ist e<strong>in</strong> massenhaftes Phänomen, das von Medienprofis als Bedrohung<br />
durch Amateure empfunden wird (S. 59). Holm wie Nowak<br />
erkennen <strong>in</strong> den Weblogs eher Geme<strong>in</strong>samkeiten als Unterschiede<br />
zu „klassischen“ Tagebüchern. „Ob Buch oder Blog, sie dienen<br />
als Träger, um das Vergängliche <strong>in</strong> der diaristischen Praxis zu<br />
verstofflichen“ (Nowak, S. 61). Informativ s<strong>in</strong>d weitere Aufsätze,<br />
die u. a. Walter Kempowskis „<strong>Archive</strong> des Echolots“ oder das<br />
Deutsche Tagebucharchiv <strong>in</strong> Emmend<strong>in</strong>gen vorstellen. Die<br />
Beiträge zu Tagebuchschreibern reichen von Z<strong>in</strong>zendorf über<br />
Goethe, Kafka, Goebbels bis zu Bloggern der Gegenwart.<br />
Wie positionieren sich <strong>Archive</strong> heute und künftig zu E-Mails und<br />
Weblogs? Beim Lesen der Kataloge durch e<strong>in</strong>en Archivar<br />
schw<strong>in</strong>gt diese Frage automatisch mit. Die Praxis wird sicher<br />
stärker und unmittelbarer vom Umgang mit E-Mails und ihren<br />
Auswirkungen auf die Überlieferungsbildung bee<strong>in</strong>flusst werden.<br />
Denn latent sprengt die Masse der E-Mails ebenso privat wie<br />
öffentlich e<strong>in</strong>e geordnete, dauerhafte Sicherung auch des aufbewahrungswürdigen<br />
Schriftverkehrs. Diese Herausforderungen<br />
anzunehmen, erfordert gewaltige Anstrengungen technischer und<br />
konzeptioneller Art. Weblogs sche<strong>in</strong>en dabei eher aus dem Blick<br />
zu geraten, obwohl sie <strong>in</strong>zwischen weit mehr als nur „Ego-Doku -<br />
mente“ des 21. Jahrhunderts, sondern auch Instrument von<br />
externer wie <strong>in</strong>terner Kommunikation <strong>in</strong> Institutionen geworden<br />
s<strong>in</strong>d. 100 Millionen Weblogs weltweit lassen bei e<strong>in</strong>em archivi