ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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ARCHIVE IM (RÄUMLICHEN)<br />
KONTEXT – ARCHIVBAUTEN<br />
UND IHR UMFELD<br />
Der Südwestdeutsche Archivtag 2008 fand am 20./21. Juni <strong>in</strong> der<br />
alten Reichsstadt Ulm statt, wo sich mehr als neunzig Archivar<strong>in</strong>nen<br />
und Archivare e<strong>in</strong>fanden, die nicht nur aus Südwestdeutschland<br />
kamen, sondern auch aus dem angrenzenden Ausland.<br />
Stadtarchivdirektor Michael Wettengel eröffnete die Vortragsreihe<br />
mit e<strong>in</strong>em Beitrag, der an die Neueröffnung des Ulmer Stadt -<br />
archivs 2007 anknüpfte: Man hatte sich damals entschieden, das<br />
historische Schwörhaus, <strong>in</strong> dem das Archiv seit 1908 untergebracht<br />
ist, als Standort beizubehalten, die <strong>in</strong>haltliche Konzeption<br />
des Hauses jedoch zu verändern. Letzteres kommt <strong>in</strong> der neuen<br />
Bezeichnung „Haus der Stadtgeschichte – Stadtarchiv Ulm“ zum<br />
Ausdruck. Sie besagt, dass neben den archivischen Aufgaben im<br />
engeren S<strong>in</strong>ne nun auch Aktivitäten und Initiativen zur Stadtgeschichte<br />
im Archiv ihren Ort haben sollen. In diesem S<strong>in</strong>ne<br />
wurde z. B. e<strong>in</strong>e Dauerausstellung zur Stadtgeschichte e<strong>in</strong>gerichtet,<br />
wie sie die Bürger bislang vermisst hatten. Ihr Unterbr<strong>in</strong>gungsort,<br />
die Gewölbehalle im Schwörhaus, bietet auch Raum<br />
für Wechselausstellungen und Veranstaltungen. Auch e<strong>in</strong> Gruppenarbeitsraum<br />
ist nun vorhanden. Dass die neue Aufgabenstellung<br />
am besten von e<strong>in</strong>em traditionsreichen Standort „im Herzen<br />
der Stadt“ aus erfüllt werden kann, liegt auf der Hand. Aber auch<br />
für die im engeren S<strong>in</strong>ne archivischen Aufgaben, denen Wettengel<br />
die höhere Priorität beimaß, hat die Umgestaltung wesentliche<br />
Verbesserungen bewirkt: So wurde z. B. die veraltete Infrastruktur<br />
des Gebäudes modernisiert, der E<strong>in</strong>gangsbereich und die<br />
Innenräume attraktiver gestaltet sowie e<strong>in</strong>e konsequente Entflechtung<br />
von Öffentlichkeitsbereich, Personalarbeitsplätzen und<br />
Magaz<strong>in</strong>bereich durchgeführt. Ermöglicht wurden diese Veränderungen<br />
durch den Auszug der Stadtbibliothek, die bis 2004 auch<br />
im Schwörhaus untergebracht war. Weil das Stadtarchiv seit 1989<br />
über e<strong>in</strong>e Außenstelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ehemaligen Pionierkaserne verfügt<br />
und <strong>in</strong>folgedessen nicht unter dem Platzmangel leidet, der am<br />
Anfang so vieler Archivneu- und Erweiterungsbauten steht, war<br />
es möglich, die h<strong>in</strong>zu gewonnene Fläche von fast 1000 m 2 wie<br />
beschrieben zu nutzen.<br />
Dagegen stand das Platzproblem am Beg<strong>in</strong>n der Entwicklung, die<br />
zum Neubau des Staatsarchivs Hamburg führte. Hierüber referierte<br />
der ehemalige Direktor des Hauses, Hans-Dieter Loose. Das<br />
Hamburger Beispiel unterscheidet sich auch vom Lösungsweg<br />
her völlig von der Ulmer Situation: In Hamburg entschied man<br />
sich für e<strong>in</strong>en kompletten Neubau <strong>in</strong> „Public Private Partner -<br />
ship“ und für die Verlagerung des Archivs aus dem historischen<br />
Stadtkern. Weil Gelder für die Errichtung von Anbauten oder<br />
e<strong>in</strong>er Außenstelle fehlten, schrieb man e<strong>in</strong>en Investorenwettbe-<br />
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werb zur Vergabe e<strong>in</strong>es Neubaus auf öffentlichem Grund gegen<br />
Überlassung des alten Standorts <strong>in</strong> der Innenstadt aus. Nachdem<br />
e<strong>in</strong> Investor gefunden war, begannen Diskussionen zwischen<br />
Stadtplanern und Architekten e<strong>in</strong>erseits und Archivaren andererseits,<br />
bei denen es vor allem darum g<strong>in</strong>g, wie sich das Archiv den<br />
Bürgern e<strong>in</strong>ladend präsentieren könnte. Im Ergebnis wurde den<br />
Bedürfnissen des Archivs <strong>in</strong> funktionaler H<strong>in</strong>sicht Rechnung<br />
getragen, während <strong>in</strong> ästhetischer H<strong>in</strong>sicht den Architekten weit -<br />
gehend freie Hand gegeben wurde. Durch den Zwang, das alte<br />
Gebäude fristgerecht zu räumen, stand das Unternehmen unter<br />
Zeitdruck, der sich durch Komplikationen beim Neubau verstärkte.<br />
Dennoch, so erklärte der Referent, sei dieser Neubau<br />
reibungsloser vonstatten gegangen als der erste, 1972 beendete.<br />
Was den neuen Standort betreffe, so sei dieser zwar ungünstiger<br />
als der alte, doch wirke sich dies nicht sonderlich nachteilig aus.<br />
André Salathé vom Staatsarchiv des Schweizer Kantons Thurgau<br />
<strong>in</strong> Frauenfeld sprach über die Strategie, die den Weg zum Neubau<br />
se<strong>in</strong>es Archivs ebnete. Die letzte entscheidende Hürde war die<br />
Volksabstimmung, die im Rahmen der direkten Demokratie im<br />
Thurgau über derartige Vorhaben durchzuführen ist. Trotz dieser<br />
spezifisch schweizerischen – oder: thurgauischen – Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
wurde den Zuhörern schnell klar, dass Salathé Aufschlussreiches<br />
über allgeme<strong>in</strong>e Gegebenheiten und Probleme zu<br />
sagen hatte: Wie, so könnte man zusammenfassen, br<strong>in</strong>gt man<br />
politische Gremien und die Öffentlichkeit dazu, das Projekt e<strong>in</strong>es<br />
Archivneubaus zu unterstützen? Die ersten Reaktionen vorgesetzter<br />
Stellen waren entmutigend: Niemals, so teilte man den Archivaren<br />
mit, würden die Thurgauer bereit se<strong>in</strong>, Millionen Franken<br />
für e<strong>in</strong> Archiv auszugeben. In der Tat erforderte die Durchsetzung<br />
des Plans e<strong>in</strong>en langen Atem: 2002 wurde e<strong>in</strong>e Bestands- und<br />
Bedürfnisanalyse durchgeführt, 2003/04 entschied man sich statt<br />
e<strong>in</strong>es Neubaus für die Umnutzung und Ergänzung des ehemaligen<br />
kantonalen Zeughauses. 2005 folgte e<strong>in</strong> Projektwettbewerb,<br />
und 2007 wurde das bearbeitete Siegerprojekt zunächst dem<br />
Kantonsparlament und anschließend der Bevölkerung vorgelegt.<br />
Die Volksabstimmung erbrachte e<strong>in</strong> Ergebnis von e<strong>in</strong>drucksvollen<br />
75 % Zustimmung für den Archivbau, an dem ab 2011 gearbeitet<br />
werden soll. Salathé führte den Erfolg darauf zurück, dass<br />
man sich nicht durch die ungerechtfertigte Mutlosigkeit der<br />
Politiker habe anstecken lassen, sondern mit „Lust auf Politik“<br />
daran gegangen sei, das eigene Anliegen hartnäckig, gut <strong>in</strong>formiert<br />
und vor allem <strong>in</strong> angemessener Form vorzutragen. Er hob<br />
die Wichtigkeit klarer Vorstellungen von den eigenen Absichten<br />
sowie e<strong>in</strong>er beschränkten Begrifflichkeit zur Vermittlung des<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009