22.10.2012 Aufrufe

ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

172<br />

<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

ARCHIVTHEORIE<br />

UND PRAXIS<br />

Vorstandsvorsitzenden der GHH, und der Familie Haniel als<br />

Mehrheitseigentümer<strong>in</strong>. Dabei g<strong>in</strong>g er der Frage nach, wie Unternehmerfamilien<br />

Differenzen zwischen Unternehmens- und<br />

Familienpolitik handhaben und ihren E<strong>in</strong>fluss auf die Unternehmensführung<br />

zu sichern versuchen. Die Rolle Reuschs bezeichnet<br />

Obermüller als „Hausmeier“ der Familie. Diese besondere Konstellation<br />

gelte es, als e<strong>in</strong>e spezielle Form der „Family Governance“<br />

zu berücksichtigen. Mit den Vorteilen von „Family Governance“<br />

gegenüber anderen Governance-Strukturen befasste sich<br />

Jürgen L<strong>in</strong>denlaub (Essen). Vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er Theorie<br />

unternehmerischer Erfolgsfaktoren untersuchte er das „Wachstum,<br />

Rentabilität und f<strong>in</strong>anzielle Stabilität des Familienunternehmens<br />

Krupp <strong>in</strong> der Industrialisierung bis 1880“ und verglich<br />

diese Aspekte mit denen der Kapitalgesellschaften Bochumer<br />

Vere<strong>in</strong>, Hoerder Vere<strong>in</strong> und Phoenix. L<strong>in</strong>denlaub unterstrich die<br />

Strategie der Kont<strong>in</strong>uitätssicherung <strong>in</strong> der Unternehmensführung<br />

von Alfred Krupp durch den Verzicht auf Fremdkapital im<br />

vorgenannten Zeitraum.<br />

Innovationsregime waren das Thema der dritten, von Margrit<br />

Schule Beerbühl (Düsseldorf) geleiteten Sektion, die den zweiten<br />

Tagungstag eröffnete. Dabei wurde vor allem die Frage nach der<br />

Innovationsfähigkeit von Familienunternehmen gestellt. Die<br />

Quellengrundlage stellt sich hier als umfangreich dar. Bilanzen<br />

und Produktionsstatistiken konnten ausgewertet werden. Stefanie<br />

van der Kerkhoff (Bochum) untersuchte Innovationen <strong>in</strong> Familienunternehmen<br />

des „niederrhe<strong>in</strong>ischen Manchesters“. Anhand<br />

zahlreicher Erf<strong>in</strong>dungen und neuer Produkte konnten die Innovations-<br />

und Pionierleitungen der Familienunternehmen für die<br />

Textil<strong>in</strong>dustrie herausgestellt werden.<br />

Die vierte Sektion, die von Ulrich S. Soénius (Köln) geleitet<br />

wurde, untersuchte das thematische Feld der Unternehmensnachfolge.<br />

Dabei wurden vor allem die Konflikte und Probleme<br />

bei der Übergabe an die nächste Generation thematisiert. Isabell<br />

Stamm (Berl<strong>in</strong>) widmete sich <strong>in</strong> ihrem Vortrag dem vielschichtigen<br />

Prozess der Generationenfolge <strong>in</strong> Familienunternehmen aus<br />

soziologischer Perspektive. Grundannahme war, dass der Nachfolgeprozess<br />

e<strong>in</strong>e der größten Herausforderungen für Familienunternehmen<br />

darstellt, da sich <strong>in</strong> ihm zentrale Fragen zu Generationenfolge,<br />

Erbschaft, gesellschaftlicher Kont<strong>in</strong>uität und Innovation<br />

bündeln. Christian Hillen (Köln) befasste sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Vortrag ebenfalls mit der Nachfolgeproblematik <strong>in</strong> Familienunternehmen.<br />

Dabei untersuchte er, ob sich das Traditionsbewusstse<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> bestimmten Fällen als Schwierigkeit für die Nachfolge<br />

ausweisen lässt. Dies prüfte er am Beispiel des Unternehmers<br />

Bernhard Kraw<strong>in</strong>kel, der se<strong>in</strong>e Nachfolge durch Adoption zu<br />

sichern versuchte.<br />

Die letzte Sektion behandelte, unter der Leitung von Toni Pierenkemper<br />

(Köln), das Thema der Internationalisierung. Dabei<br />

wurden vor allem die Vor- und Nachteile von Familienunternehmen<br />

für die Internationalisierung diskutiert. Boris Barth (Konstanz/Düsseldorf)<br />

untersuchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag die <strong>in</strong>ternationalen<br />

Verflechtungen des Gerl<strong>in</strong>g-Konzerns zwischen 1904 bis zu<br />

se<strong>in</strong>em Ende 2006. Diese wurden vor allem durch familiäre<br />

Netzwerke erleichtert. In der Folge stellte die <strong>in</strong>ternationale<br />

Ausrichtung e<strong>in</strong>en wichtigen Grund für den Erhalt des Unternehmens<br />

während und nach den Weltkriegen dar. Am Beispiel des<br />

Unternehmens Mannesmann arbeitete Horst A. Wessel (Mülheim/Düsseldorf)<br />

Schwierigkeiten bei der Internationalisierung<br />

von Familienunternehmen heraus. Dazu untersuchte er die im<br />

Mannesmann-Archiv bef<strong>in</strong>dlichen Familien- und Firmendokumente<br />

und konnte mit diesen den Mangel an F<strong>in</strong>anzkapital und<br />

kulturelle Anpassungsschwierigkeiten als zentrale Probleme bei<br />

der Internationalisierung herausstellen.<br />

Bei der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die<br />

historische Erforschung von Familienunternehmen noch immer<br />

vor Def<strong>in</strong>itionsproblemen steht. Angesichts der guten Konjunktur,<br />

die die historische Beschäftigung mit Familienunternehmen<br />

<strong>in</strong> der „Post-Chandlerian era“ genießt, f<strong>in</strong>den sich aufschlussreiche<br />

neue Ansätze. Deren Untersuchung wird jedoch erst durch<br />

die Aufbereitung e<strong>in</strong>es breiten Spektrums an Quellen ermöglicht.<br />

Für die historische Analyse von Familienunternehmen reicht es<br />

nicht aus, nur firmen<strong>in</strong>terne Dokumente aufzubewahren. Gerade<br />

für die Untersuchung der psychologischen und soziologischen<br />

Komponente, durch die sich diese Unternehmensform von<br />

anderen unterscheiden lässt, müssen auch Briefe oder Familienchroniken<br />

als wichtige Quellengattungen aufbereitet werden.<br />

Diese Quellen s<strong>in</strong>d jedoch bis jetzt nur recht spärlich <strong>in</strong> den<br />

Wirtschaftsarchiven vorhanden. Mangels fehlenden Traditionsbewusstse<strong>in</strong>s<br />

bewahren Unternehmerfamilien ihre Dokumente<br />

nicht auf, oder geben sie für die Öffentlichkeit aus privaten<br />

Gründen nicht gerne preis. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist es e<strong>in</strong>e<br />

zentrale Aufgabe der Wirtschaftsarchive, bei den Unternehmen<br />

nicht nur für die Bewahrung der firmen<strong>in</strong>ternen Dokumente,<br />

sondern auch der privaten Korrespondenzen zu werben.<br />

Elena Brenk, Düsseldorf

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!