ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />
ARCHIVTHEORIE<br />
UND PRAXIS<br />
Vorstandsvorsitzenden der GHH, und der Familie Haniel als<br />
Mehrheitseigentümer<strong>in</strong>. Dabei g<strong>in</strong>g er der Frage nach, wie Unternehmerfamilien<br />
Differenzen zwischen Unternehmens- und<br />
Familienpolitik handhaben und ihren E<strong>in</strong>fluss auf die Unternehmensführung<br />
zu sichern versuchen. Die Rolle Reuschs bezeichnet<br />
Obermüller als „Hausmeier“ der Familie. Diese besondere Konstellation<br />
gelte es, als e<strong>in</strong>e spezielle Form der „Family Governance“<br />
zu berücksichtigen. Mit den Vorteilen von „Family Governance“<br />
gegenüber anderen Governance-Strukturen befasste sich<br />
Jürgen L<strong>in</strong>denlaub (Essen). Vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er Theorie<br />
unternehmerischer Erfolgsfaktoren untersuchte er das „Wachstum,<br />
Rentabilität und f<strong>in</strong>anzielle Stabilität des Familienunternehmens<br />
Krupp <strong>in</strong> der Industrialisierung bis 1880“ und verglich<br />
diese Aspekte mit denen der Kapitalgesellschaften Bochumer<br />
Vere<strong>in</strong>, Hoerder Vere<strong>in</strong> und Phoenix. L<strong>in</strong>denlaub unterstrich die<br />
Strategie der Kont<strong>in</strong>uitätssicherung <strong>in</strong> der Unternehmensführung<br />
von Alfred Krupp durch den Verzicht auf Fremdkapital im<br />
vorgenannten Zeitraum.<br />
Innovationsregime waren das Thema der dritten, von Margrit<br />
Schule Beerbühl (Düsseldorf) geleiteten Sektion, die den zweiten<br />
Tagungstag eröffnete. Dabei wurde vor allem die Frage nach der<br />
Innovationsfähigkeit von Familienunternehmen gestellt. Die<br />
Quellengrundlage stellt sich hier als umfangreich dar. Bilanzen<br />
und Produktionsstatistiken konnten ausgewertet werden. Stefanie<br />
van der Kerkhoff (Bochum) untersuchte Innovationen <strong>in</strong> Familienunternehmen<br />
des „niederrhe<strong>in</strong>ischen Manchesters“. Anhand<br />
zahlreicher Erf<strong>in</strong>dungen und neuer Produkte konnten die Innovations-<br />
und Pionierleitungen der Familienunternehmen für die<br />
Textil<strong>in</strong>dustrie herausgestellt werden.<br />
Die vierte Sektion, die von Ulrich S. Soénius (Köln) geleitet<br />
wurde, untersuchte das thematische Feld der Unternehmensnachfolge.<br />
Dabei wurden vor allem die Konflikte und Probleme<br />
bei der Übergabe an die nächste Generation thematisiert. Isabell<br />
Stamm (Berl<strong>in</strong>) widmete sich <strong>in</strong> ihrem Vortrag dem vielschichtigen<br />
Prozess der Generationenfolge <strong>in</strong> Familienunternehmen aus<br />
soziologischer Perspektive. Grundannahme war, dass der Nachfolgeprozess<br />
e<strong>in</strong>e der größten Herausforderungen für Familienunternehmen<br />
darstellt, da sich <strong>in</strong> ihm zentrale Fragen zu Generationenfolge,<br />
Erbschaft, gesellschaftlicher Kont<strong>in</strong>uität und Innovation<br />
bündeln. Christian Hillen (Köln) befasste sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Vortrag ebenfalls mit der Nachfolgeproblematik <strong>in</strong> Familienunternehmen.<br />
Dabei untersuchte er, ob sich das Traditionsbewusstse<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> bestimmten Fällen als Schwierigkeit für die Nachfolge<br />
ausweisen lässt. Dies prüfte er am Beispiel des Unternehmers<br />
Bernhard Kraw<strong>in</strong>kel, der se<strong>in</strong>e Nachfolge durch Adoption zu<br />
sichern versuchte.<br />
Die letzte Sektion behandelte, unter der Leitung von Toni Pierenkemper<br />
(Köln), das Thema der Internationalisierung. Dabei<br />
wurden vor allem die Vor- und Nachteile von Familienunternehmen<br />
für die Internationalisierung diskutiert. Boris Barth (Konstanz/Düsseldorf)<br />
untersuchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag die <strong>in</strong>ternationalen<br />
Verflechtungen des Gerl<strong>in</strong>g-Konzerns zwischen 1904 bis zu<br />
se<strong>in</strong>em Ende 2006. Diese wurden vor allem durch familiäre<br />
Netzwerke erleichtert. In der Folge stellte die <strong>in</strong>ternationale<br />
Ausrichtung e<strong>in</strong>en wichtigen Grund für den Erhalt des Unternehmens<br />
während und nach den Weltkriegen dar. Am Beispiel des<br />
Unternehmens Mannesmann arbeitete Horst A. Wessel (Mülheim/Düsseldorf)<br />
Schwierigkeiten bei der Internationalisierung<br />
von Familienunternehmen heraus. Dazu untersuchte er die im<br />
Mannesmann-Archiv bef<strong>in</strong>dlichen Familien- und Firmendokumente<br />
und konnte mit diesen den Mangel an F<strong>in</strong>anzkapital und<br />
kulturelle Anpassungsschwierigkeiten als zentrale Probleme bei<br />
der Internationalisierung herausstellen.<br />
Bei der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die<br />
historische Erforschung von Familienunternehmen noch immer<br />
vor Def<strong>in</strong>itionsproblemen steht. Angesichts der guten Konjunktur,<br />
die die historische Beschäftigung mit Familienunternehmen<br />
<strong>in</strong> der „Post-Chandlerian era“ genießt, f<strong>in</strong>den sich aufschlussreiche<br />
neue Ansätze. Deren Untersuchung wird jedoch erst durch<br />
die Aufbereitung e<strong>in</strong>es breiten Spektrums an Quellen ermöglicht.<br />
Für die historische Analyse von Familienunternehmen reicht es<br />
nicht aus, nur firmen<strong>in</strong>terne Dokumente aufzubewahren. Gerade<br />
für die Untersuchung der psychologischen und soziologischen<br />
Komponente, durch die sich diese Unternehmensform von<br />
anderen unterscheiden lässt, müssen auch Briefe oder Familienchroniken<br />
als wichtige Quellengattungen aufbereitet werden.<br />
Diese Quellen s<strong>in</strong>d jedoch bis jetzt nur recht spärlich <strong>in</strong> den<br />
Wirtschaftsarchiven vorhanden. Mangels fehlenden Traditionsbewusstse<strong>in</strong>s<br />
bewahren Unternehmerfamilien ihre Dokumente<br />
nicht auf, oder geben sie für die Öffentlichkeit aus privaten<br />
Gründen nicht gerne preis. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund ist es e<strong>in</strong>e<br />
zentrale Aufgabe der Wirtschaftsarchive, bei den Unternehmen<br />
nicht nur für die Bewahrung der firmen<strong>in</strong>ternen Dokumente,<br />
sondern auch der privaten Korrespondenzen zu werben.<br />
Elena Brenk, Düsseldorf