ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e-Universität <strong>in</strong> Düsseldorf (HHU) veranstaltet.<br />
Ihr Ziel war es, die Entstehung und Entwicklung moderner<br />
Familienunternehmen im Rhe<strong>in</strong>land zu beleuchten. Dies sollte<br />
vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Dialoges zwischen<br />
Geschichtswissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und<br />
Organisationspsychologie geschehen.<br />
Während letztere Forschungsrichtungen auf quantitative und<br />
qualitative Methoden zurückgreifen können, ist die historische<br />
Forschung auf schriftliche Quellen angewiesen. In Nordrhe<strong>in</strong>-<br />
<strong>Westfalen</strong> wird bedrohtes Schriftgut von zwei regionalen Wirtschaftsarchiven<br />
gesichert. Das 1906 gegründete Rhe<strong>in</strong>isch-Westfälische<br />
Wirtschaftsarchiv (RWWA) zu Köln sowie das 1941 entstandenen<br />
Westfälische Wirtschaftsarchiv (WWA) <strong>in</strong> Dortmund<br />
bewahren Nachlässe von Unternehmen und unterhalten Dokumentationen<br />
zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ihrer Region.<br />
In Bezug auf die problematische Quellengrundlage bei der<br />
mikrohistorischen Betrachtung von Unternehmen bot sich für<br />
die Veranstalter e<strong>in</strong>e Kooperation mit dem RWWA an, auf deren<br />
Kompetenzen und im Besonderen auch auf Dokumente zurückgegriffen<br />
werden konnte.<br />
Nach den Grußworten von Udo Siepmann, Hauptgeschäftsführer<br />
der IHK zu Düsseldorf, und Ulrich von Alemann, Dekan der<br />
Philosophischen Fakultät der He<strong>in</strong>rich-He<strong>in</strong>e-Universität Düsseldorf,<br />
skizzierte Susanne Hilger (Düsseldorf) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen<br />
E<strong>in</strong>führung zunächst die wichtigsten Parameter für<br />
die historische Erforschung von Familienunternehmen.<br />
Die anschließende erste Sektion, die von Karl Peter Ellerbrock<br />
(Dortmund) geleitet wurde, widmete sich Familiennetzwerken<br />
und der Frage, ob und <strong>in</strong>wiefern diese e<strong>in</strong>en Erfolgsfaktor für<br />
Familienunternehmen darstellen. Allgeme<strong>in</strong> ist die Quellengrundlage<br />
für e<strong>in</strong>e solche Analyse sehr dünn, da hier familien<strong>in</strong>terne<br />
Dokumente herangezogen werden müssen. Deren Aufbewahrung<br />
ist leider sehr selten, was gerade die nachstehenden<br />
Analysen umso erfreulicher ersche<strong>in</strong>en lässt.<br />
Adelheid von Saldern (Hannover) beschäftigte sich <strong>in</strong> ihrem<br />
Vortrag mit Verwandtschaft und Familien am Beispiel der Schoeller-Häuser<br />
(1780-1850). Ausgehend vom Bourdieu’schen Kapitalbegriff<br />
arbeitete sie heraus, dass verwandtschaftliche Netzwerke<br />
zum Erhalt des Nimbus von Kont<strong>in</strong>uität und Tradition <strong>in</strong> den<br />
Schoeller’schen Familienunternehmungen beitrugen. Ulrich S.<br />
Soénius (Köln) befasste sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag mit familialen<br />
Netzwerken bei den Textil<strong>in</strong>dustriellen Scheidt im 19. und 20.<br />
Jahrhundert. Anknüpfend an die Überlegungen der neuen<br />
Institutionenökonomie, g<strong>in</strong>g er der Frage nach, ob <strong>in</strong>nerhalb der<br />
Familie Scheidt Eheverb<strong>in</strong>dungen bewusst zu ökonomischen<br />
Zwecken geschaffen und somit Netzwerke konstruiert wurden. Er<br />
konnte dabei auf den im RWWA liegenden umfangreichen<br />
Bestand der Familie Scheidt zurückgreifen und diverse Korres -<br />
pondenzen e<strong>in</strong>zelner Familienmitglieder für se<strong>in</strong>e Analyse heran -<br />
ziehen. So vermochte er zu zeigen, dass es zu ke<strong>in</strong>er bewussten<br />
Netzwerkbildung durch E<strong>in</strong>heirat <strong>in</strong> andere Unternehmerfamilien<br />
kam. Als Ergebnis der Sektion lässt sich festhalten, dass Netz -<br />
werke e<strong>in</strong> wichtiges strukturelles Kennzeichen von Familienunternehmen<br />
darstellen, das allerd<strong>in</strong>gs nicht ausschließlich nach<br />
strategischen Gesichtspunkten e<strong>in</strong>gesetzt wurde.<br />
Die zweite, von Dieter Ziegler (Bochum) geleitete, Sektion befasste<br />
sich mit den historischen Ersche<strong>in</strong>ungsformen der „Family<br />
Governance“. Dabei galt es zu klären, wie lange e<strong>in</strong> Unternehmen<br />
als familiengeführt bezeichnet werden kann, wie Unternehmerfamilien<br />
die Unternehmensführung bee<strong>in</strong>flussen können und wie<br />
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sich diese Art der Unternehmensführung auf den Erfolg und<br />
Fortbestand des Unternehmens auswirken kann. Die Quellengrundlage<br />
dieser Sektion lässt sich erfreulicherweise als umfangreich<br />
bezeichnen. Viele Unternehmen, die auf e<strong>in</strong>e lange Tradition<br />
zurückblicken, haben auf die Bewahrung ihrer Unternehmensakten<br />
großen Wert gelegt und sie entweder <strong>in</strong> eigenen <strong>Archive</strong>n<br />
aufbewahrt oder Wirtschaftsarchiven überlassen. Boris Gehlen<br />
(Bonn) überprüfte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag die def<strong>in</strong>itorischen und<br />
methodischen Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten, „Familienunternehmen“<br />
zu typisieren. Er fragte dabei nach dem Zusammenhang<br />
von Organisationsstruktur und Unternehmenserfolg.<br />
Zunächst betonte er, dass bei der Def<strong>in</strong>ition von Familienunternehmen<br />
bisher nur die formalen, nicht aber die faktischen Verfügungsrechte<br />
berücksichtigt wurden. Am Beispiel der RAG zeigte<br />
er die Diskrepanz dieser Aspekte und arbeitete so anhand der<br />
faktischen Verfügungsrechte, die er anhand von Verträgen und<br />
Sitzungsprotokollen nachzeichnen konnte, das „unternehmerzentrierte<br />
Familienunternehmen“ als weitere Form des Familienkapitalismus<br />
heraus. E<strong>in</strong>en ebenfalls neuen Ansatz der „Family<br />
Governance“ legte Angelika Epple (Freiburg) <strong>in</strong> ihrem Vortrag<br />
dar. In Anlehnung an die traditionelle Unternehmensführung des<br />
Paternalismus entwickelte sie am Beispiel der Gebrüder Stollwerck<br />
den Stil des „Fraternalismus“. Dieser verb<strong>in</strong>de, so ihre<br />
Behauptung, Elemente des Paternalismus mit solchen des Managerunternehmens<br />
und konnte so durch „Explosion der Kommunikation“<br />
sowie gegenseitige Loyalität die Internationalisierung<br />
des Unternehmens Stollwerck bewältigen. Diese Kommunikationsexplosion<br />
konnte mittels der zahlreich im RWWA aufbewahrten<br />
privaten und geschäftlichen Korrespondenzen zwischen den<br />
Brüdern Stollwerck herausgearbeitet werden. Dadurch konnte<br />
gezeigt werden, dass der „Fraternalismus“ sowohl e<strong>in</strong>en Erfolgsfaktor<br />
für das Unternehmen Stollwerck darstellte, als auch als<br />
Governance-Structure-Ansatz für mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen<br />
generell angesehen werden kann. In se<strong>in</strong>em Vortrag „Erfolgreiches<br />
Entrepreneurunternehmen, gescheiterte Familienfirma?“<br />
griff Kim Christian Priemel (Frankfurt/Oder) ebenfalls das<br />
Problem der Kategorisierung von Unternehmen nach dem<br />
Chandlerian Modell auf. Als Beispiel untersuchte er den Flick-<br />
Konzern auf se<strong>in</strong>e Rubrizierung als Familienunternehmen. Dazu<br />
nahm er die juristischen und praktischen Besitz- und Kapitalverhältnisse,<br />
die Kommunikationsrout<strong>in</strong>en und Entscheidungsabläufe,<br />
mith<strong>in</strong> das Verhältnis von formaler und realer Corporate<br />
Governance <strong>in</strong>nerhalb des Konzerns, <strong>in</strong> den Blick. Er unterstrich,<br />
dass es sich bei Flick nicht um e<strong>in</strong> Familienunternehmen per<br />
def<strong>in</strong>itionem, sondern vielmehr um e<strong>in</strong> Entrepreneurunternehmen<br />
handele. Auch Christ<strong>in</strong>a Lub<strong>in</strong>ski (Gött<strong>in</strong>gen) wendete sich<br />
<strong>in</strong> ihrem Vortrag theoretisch gegen die künstlich aufrechterhaltene<br />
Polarität von Manager- und Familienunternehmen. Mittels des<br />
Konzeptes des psychologischen Eigentums untersuchte sie die<br />
Eigentümerpraktiken im mehrgenerationellen Familienunternehmen<br />
Bagel und stellte diese als e<strong>in</strong>e spezifische Form der „Family<br />
Governance“ heraus. Auf Grundlage der Fallstudienanalyse<br />
schlug Lub<strong>in</strong>ski vor, die stark auf das Individuum fokussierte<br />
Theorie um den sozialen Raum Familie und kollektives psychologisches<br />
Eigentum zu ergänzen, um der spezifischen Situation im<br />
Familienunternehmen Rechnung tragen zu können. Die dazu<br />
benutzten Quellen waren auch hier vornehmlich private Korrespondenzen.<br />
Benjam<strong>in</strong> Obermüller (Bochum) untersuchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Referat<br />
die Beziehungen zwischen Hermann Reusch, dem langjährigen<br />
<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009