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ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

ARCHIVTHEORIE<br />

UND PRAXIS<br />

ZUM EINSTURZ DES<br />

HISTORISCHEN ARCHIVS<br />

DER STADT KÖLN<br />

Hergang der Katastrophe<br />

Am 3. März 2009 ereignete sich das <strong>in</strong> der deutschen Archivwelt<br />

bisher Unvorstellbare. Der Magaz<strong>in</strong>bau des größten deutschen<br />

Kommunalarchivs, des Historischen Archivs der Stadt Köln,<br />

stürzte e<strong>in</strong>. Als Ursache wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt e<strong>in</strong><br />

hydraulischer Grundbruch <strong>in</strong> der angrenzenden U-Bahn-Baustelle<br />

angenommen, der dazu führte, dass der gesamte Untergrund<br />

unter dem Magaz<strong>in</strong>trakt <strong>in</strong> das unterirdische Bauwerk gespült<br />

wurde. Dem Archiv wurde somit buchstäblich der Boden entzogen,<br />

so dass das Gebäude zusammenbrach und im Fallen nach<br />

vorn auf die Sever<strong>in</strong>straße kippte.<br />

Der Geistesgegenwart des Haustechnikers sowie e<strong>in</strong>er Lesesaalaufsichtskraft<br />

war es zu verdanken, dass alle Besucher und<br />

Mitarbeiter des Historischen Archivs den e<strong>in</strong>stürzenden Gebäudeteil<br />

rechtzeitig verlassen konnten. Die beiden Kollegen hatten<br />

zunächst verdächtige Geräusche wahrgenommen und dann sich<br />

auftuende Risse an der Gebäudefuge zwischen Magaz<strong>in</strong> und<br />

Bürotrakt sowie auf der Straße festgestellt. Dank ihres beherzten<br />

E<strong>in</strong>greifens verließen die Mitarbeiter das Gebäude durch die<br />

rückwärtigen Notausgänge; e<strong>in</strong>em Lesesaalbenutzer gelang es,<br />

noch zwischen den von der Fassade abstürzenden Granitplatten<br />

unverletzt auf die Sever<strong>in</strong>straße zu flüchten. Weniger als drei<br />

M<strong>in</strong>uten nach dem Beg<strong>in</strong>n der Evakuierung war der gesamte<br />

Magaz<strong>in</strong>bau vollständig e<strong>in</strong>gestürzt.<br />

Zusätzlich zum Magaz<strong>in</strong>bau stürzten das nördlich angrenzende<br />

Nachbarhaus vollständig, das südliche <strong>in</strong> großen Teilen e<strong>in</strong>. Zwei<br />

Bewohner des nördlich angrenzenden Gebäudes kamen beim<br />

E<strong>in</strong>sturz ums Leben.<br />

Sechs überirdische Etagen des Magaz<strong>in</strong>baus sowie dessen Kellergeschoss,<br />

1971 für die Aufnahme von <strong>in</strong>sgesamt 26 km Archivgut<br />

errichtet, füllten nun als mit Archivgut durchmengter Bauschutt<br />

gut die Hälfte des unterirdischen Gleiswechselbauwerks und<br />

bildeten e<strong>in</strong>en ca. 8 m hohen Kegel auf der Sever<strong>in</strong>straße. Der<br />

gesamte Bürokomplex mit Lesesaal und den rückwärtig angesiedelten<br />

Werkstätten sowie der Film-/Digitalisierungsstelle stand<br />

noch, wobei allerd<strong>in</strong>gs die straßennächsten Bauteile unmittelbar<br />

über dem Abgrund h<strong>in</strong>gen und daher nicht betretbar waren.<br />

Noch am Abend des 3. März und <strong>in</strong> der darauf folgenden Nacht<br />

konnten fast alle Urkundenbestände, große Teile der Dienstbibliothek<br />

und des ehemaligen Stadtarchivs Porz sowie Fotobestände,<br />

die sich im unbeschädigten Keller unterhalb des Bürotraktes<br />

befanden, geborgen werden. Ebenfalls <strong>in</strong> dieser Nacht wurden<br />

alle F<strong>in</strong>dmittel aus dem Lesesaal gerettet. Zum E<strong>in</strong>satz kamen<br />

dabei neben den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern des Archivs<br />

bis zu 300 Kräfte von THW, Freiwilliger und Berufsfeuerwehr<br />

Köln. Parallel dazu begann am Morgen nicht zuletzt durch tätige<br />

Mithilfe von Archivaren aus ganz Nordrhe<strong>in</strong>-<strong>Westfalen</strong> die<br />

Räumung der Dienstzimmer.<br />

Während der folgenden 14 Tage stand die Bergung des Archivgutes<br />

stets an zweiter Stelle h<strong>in</strong>ter der Suche nach den beiden<br />

vermissten Personen. Unter diesen Vorzeichen begannen Feuerwehr,<br />

THW und e<strong>in</strong> Abrissunternehmen <strong>in</strong> der Nacht zum 5.<br />

März mit dem Abriss des Bürotraktes, um schweres Räumgerät an<br />

die E<strong>in</strong> sturzstelle des Wohnhauses verbr<strong>in</strong>gen zu können. Zeitnah<br />

wurden auch erste Maßnahmen umgesetzt, um Schuttkegel<br />

und Bauwerk vor dem e<strong>in</strong>setzenden Regen zu schützen. Im Laufe<br />

der ersten zehn Tage nach E<strong>in</strong>sturz des Archivs errichtete e<strong>in</strong>e<br />

Gerüstbaufirma schließlich e<strong>in</strong> Dach über der Unglücksstelle, das<br />

<strong>in</strong> Teilbereichen e<strong>in</strong>e Spannweite von 50 m hat.<br />

Bergung<br />

Schon im Zuge der Bergungs- und Sicherungsarbeiten, die Feuer -<br />

wehr und Abrissfirmen seit dem 4. März durchführten, begann<br />

die Bergung von Archivgut. Die erste Bergungsstelle, betreut von<br />

Freiwilligen der FH Köln, entstand <strong>in</strong> der Aula des Schulgebäudes,<br />

das dem Historischen Archiv gegenüberliegt. Gleich mehrfach<br />

musste sie <strong>in</strong> der zweiten Nacht unter Alarmbed<strong>in</strong>gungen<br />

wieder geschlossen werden, weil auch das Schulgebäude e<strong>in</strong>zustürzen<br />

drohte.<br />

Über die folgenden Wochen entwickelte sich der Bergungsprozess<br />

zu e<strong>in</strong>er Rout<strong>in</strong>e. Das Vorgehen am Bergungsort Sever<strong>in</strong>straße<br />

gestaltet sich seitdem wie folgt.<br />

1. Die eigentliche Bergung an der Unglücksstelle übernehmen<br />

ausschließlich die E<strong>in</strong>satzkräfte von Feuerwehr und THW. Bis<br />

heute handelt es sich um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satzstelle der Feuerwehr. Seit<br />

Ende März s<strong>in</strong>d unter der Leitung von Kräften der Berufsfeuerwehr<br />

Köln verschiedene E<strong>in</strong>heiten der Freiwilligen Feuerwehr<br />

aus Köln und Umgebung und – <strong>in</strong> wöchentlichem Wechsel –<br />

jeweils e<strong>in</strong>e Ortsgruppe des Technischen Hilfswerks im E<strong>in</strong>satz.<br />

Die E<strong>in</strong>satzkräfte bergen das Archivgut mit bloßen<br />

Händen; zwischendurch werden immer wieder durch den<br />

Abrissunternehmer große Stücke Bauschutt mit mechanischer<br />

Hilfe entfernt. Die Feuerwehr füllt Umzugskartons mit dem<br />

gefundenen Archivgut, diese werden dann <strong>in</strong> Conta<strong>in</strong>ern<br />

gestapelt und an die Archivare, Restauratoren und Freiwilligen<br />

übergeben.<br />

2. An <strong>in</strong>sgesamt drei Stellen übernehmen die Mitarbeiter des<br />

Historischen Archivs und freiwillige Helfer die Conta<strong>in</strong>er mit<br />

Archivgut. Zunächst werden die e<strong>in</strong>zelnen Kartons geöffnet,

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