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ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

AUFSÄTZE<br />

ÜBERLIEFERUNGSSICHERUNG UND<br />

BEWERTUNG ALS FACHAUFGABE<br />

Rechtliche Grundlage für die Übernahme von Schrift- und<br />

Sammlungsgut s<strong>in</strong>d privatrechtliche Verträge mit den jeweiligen<br />

Aktenbildnern. 5 Archivgut kann von ihnen dem Archiv übereignet<br />

oder <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Depositums im Archiv h<strong>in</strong>terlegt werden.<br />

Übernahmen erfolgen als:<br />

– regelmäßige Abgaben aus den Geschäftsstellen der Partei – <strong>in</strong><br />

der Regel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Turnus von drei bis fünf Jahren – sowie bei<br />

der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den Landtagsfraktionen<br />

am Ende der Legislaturperiode;<br />

– außergewöhnliche und unplanmäßige Abgaben <strong>in</strong>folge von<br />

Umzügen (Beispiel: Berl<strong>in</strong>-Umzug), Personalwechsel oder<br />

Zusammenlegung von Geschäftsstellen (Beispiele: Umorganisation<br />

von Kreisverbänden, Auflösung der Geschäftsstellen <strong>in</strong><br />

der ehemaligen DDR);<br />

– Abgabe von Schriftgut von Privatpersonen (<strong>in</strong> der Regel nach<br />

dem Ausscheiden aus dem Amt oder durch die Rechtsnachfolger<br />

nach dem Tod).<br />

Zentrale Aufgabe der Aufbauzeit des Archivs <strong>in</strong> den 1970er und<br />

1980er Jahren war die Überlieferungssicherung. In jenen Jahren<br />

fand Bewertung kaum statt. Überlegungen, welche Dokumente<br />

für die Überlieferungsbildung der Union letztendlich dauerhaft<br />

zu verwahren s<strong>in</strong>d, spielten e<strong>in</strong>e eher untergeordnete Rolle.<br />

Zunehmender Platzbedarf durch wachsende Aktenberge, Knappheit<br />

der Magaz<strong>in</strong>reserven und letztendlich auch die Notwendigkeit,<br />

Archivmaterialien e<strong>in</strong>em wachsenden Benutzerkreis zur<br />

Verfügung zu stellen, führten zum Umdenken und zur Veränderung<br />

des Aufgabenprofils der Archivar<strong>in</strong>nen und Archivare.<br />

Die Beschäftigung mit der Frage, auf welcher Ebene der Partei<br />

politische Entscheidungsprozesse <strong>in</strong>itiiert und durch welche<br />

Personen Entscheidungen bee<strong>in</strong>flusst und getroffen werden, ge -<br />

wann für die Arbeit der Archivare zunehmend an Bedeutung.<br />

Die Fülle der Materialien nutzbar zu machen, erforderte e<strong>in</strong> alle<br />

Be standsgruppen des Archivs umfassendes Konzept h<strong>in</strong>sichtlich<br />

his torischer Bedeutung, Bewertungs- und Erschließungsstrate -<br />

gien.<br />

Akuter Handlungsbedarf für e<strong>in</strong>e Professionalisierung des Be -<br />

wertungsgeschäfts entstand nach der Bundestagswahl 1998, als<br />

über 900 laufende Archivmeter Schriftgut von Abgeordneten <strong>in</strong>s<br />

Archiv überführt wurden und die Lagerkapazität an Grenzen<br />

stieß. Mit e<strong>in</strong>er weiteren großen Materialflut sah sich das Archiv<br />

durch den Berl<strong>in</strong>-Umzug der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und<br />

der Bundesgeschäftsstelle der CDU konfrontiert. Alle<strong>in</strong> aus der<br />

Bundesgeschäftsstelle standen im Jahr 2000 ca. 14.000 Aktenordner<br />

zur Bewertung an. Die Zahlen für die Fraktionsakten bewegen<br />

sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ähnlicher Größenordnung. 6<br />

Im Schrifttum der klassischen Archivlehre fanden sich für die<br />

Bewertung von Parteiakten (darunter s<strong>in</strong>d die Organisationsakten<br />

aus den e<strong>in</strong>zelnen Ebenen der Partei, der Vere<strong>in</strong>igungen und<br />

der Fraktionen zu verstehen) und von Personenschriftgut ke<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong>en und verb<strong>in</strong>dlichen Handlungsanweisungen. Die für<br />

den staatlichen und kommunalen Bereich entwickelten Modelle,<br />

die auf der Grundlage von Aktenplänen und Schriftgutverzeichnissen<br />

erstellt wurden, erwiesen sich für Partei- und Privatschriftgut<br />

als wenig hilfreich.<br />

In der alltäglichen Praxis machen e<strong>in</strong>fache und unprofessionelle<br />

Ablageformen loser und ungeordneter Materialien – e<strong>in</strong> Phänomen,<br />

das besonders nach den letzten Bundestagswahlen stark<br />

zugenommen hat – den Archivaren bei der Bewertungsentscheidung<br />

und bei den Erschließungsarbeiten das Leben schwer.<br />

Unter Berücksichtigung dieser Faktoren wurde <strong>in</strong> den folgenden<br />

Jahren <strong>in</strong> unserem Hause e<strong>in</strong> mehrstufiges verb<strong>in</strong>dliches Modell<br />

für die Bewertung und Überlieferungsbildung erarbeitet. E<strong>in</strong><br />

erster Erfahrungsbericht h<strong>in</strong>sichtlich der Bewertung von Personennachlässen<br />

wurde 1999 auf dem Deutschen Archivtag <strong>in</strong><br />

Weimar vorgestellt. 7 E<strong>in</strong>en weiteren Schritt zur Bewältigung des<br />

Bewertungsproblems unternahmen die <strong>Archive</strong> der politischen<br />

Stiftungen im Frühjahr 2000, als sie sich zu e<strong>in</strong>em Erfahrungsaustausch<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>es Workshops zusammenfanden und<br />

über das Kassationsproblem diskutierten. 8 Seit 2001 ist das<br />

Archiv für Christlich-Demokratische Politik Mitglied im Arbeitskreis<br />

„Archivische Bewertung“ im Verband deutscher Archivar<strong>in</strong>nen<br />

und Archivare, e<strong>in</strong>em wichtigen Forum für den permanenten<br />

Erfahrungsaustausch und die Weiterentwicklung von Bewer -<br />

tungs modellen für Parteischriftgut.<br />

In e<strong>in</strong>er ersten Phase der Schriftgutbewertung wurde <strong>in</strong> unserem<br />

Haus e<strong>in</strong>e Übersicht über die <strong>in</strong> der zeitgeschichtlichen Bibliothek<br />

und <strong>in</strong> der Zentralen Presse- und Mediendokumentation<br />

vorhandenen Druckschriften, Drucksachensammlungen auf<br />

nationaler und <strong>in</strong>ternationaler Ebene erstellt. Die Liste enthält<br />

e<strong>in</strong>e detaillierte Übersicht über die vorhandenen Sammlungen<br />

wie Bundesgesetzblatt, Bundes- und Landtagsprotokolle, Bundesund<br />

Landtagshandbücher sowie Publikationen und Periodika der<br />

CDU und ihrer Vere<strong>in</strong>igungen e<strong>in</strong>schließlich Tagungsbänden,<br />

Statuten und grauer Literatur. 9 Auf dieser Grundlage konnten<br />

zunächst e<strong>in</strong>mal das <strong>in</strong> den Schriftgutbeständen vorhandene<br />

Bibliotheks- und Dokumentationsgut ermittelt und entsprechend<br />

kassiert werden. In den darauffolgenden Jahren kamen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

zweiten Phase die Internetangebote der Parlamente, der CDU-<br />

Fraktionen, der CDU e<strong>in</strong>schließlich Gliederungen und Vere<strong>in</strong>igungen<br />

sowie auch der Abgeordneten als weitere Hilfsmittel für<br />

die Schriftgutbewertung h<strong>in</strong>zu.<br />

Für die <strong>in</strong>haltliche Bewertung wurde schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dritten<br />

Phase e<strong>in</strong>e Übersicht über die Organisations- und Geschäftsverteilungspläne<br />

(e<strong>in</strong>schließlich Aufgabenbeschreibungen der e<strong>in</strong> -<br />

zelnen Organisationse<strong>in</strong>heiten wie beispielsweise der Kreisgeschäftsstellen<br />

und Kreisgeschäftsführer), Aktenpläne, Organigramme,<br />

Arbeitsordnungen der Bundestagsfraktion sowie Rechenschaftsberichte,<br />

Jahresberichte der Fraktionen und Geschäftsstellen<br />

sowie der Chroniken und Festschriften erstellt.<br />

Die Bestandsanalyse ergab folgenden Befund:<br />

Für die Schriftgutbewertung fehlen <strong>in</strong> der Regel die klassischen<br />

Hilfsmittel wie Aktenpläne, Abgabeverzeichnisse und Anweisungen<br />

für Aktenführung und Schriftgutverwaltung. Aktenpläne<br />

bzw. Aktenverzeichnisse existieren lediglich für die CDU/CSU-<br />

Bundestagsfraktion und für die Archivbestände CDU <strong>in</strong> der<br />

ehemaligen DDR. Für die Bundesgeschäftsstelle, also die Über -<br />

lieferung der Bundespartei, s<strong>in</strong>d solche Verzeichnisse nur für die<br />

1950er Jahre vorhanden. Auf Landes- und Bezirksebene, bei den<br />

regionalen Gliederungen der CDU oder den Abgeordneten s<strong>in</strong>d<br />

Registraturhilfsmittel die große Ausnahme. H<strong>in</strong>zu kommt, dass<br />

professionelle Ablagen fast ausschließlich bei Abgeordneten der<br />

älteren Generation vorhanden s<strong>in</strong>d, wie beispielsweise bei Konrad<br />

Adenauers Außenm<strong>in</strong>ister Gerhard Schröder. Für diesen<br />

Bestand existiert auch e<strong>in</strong> Aktenplan, der die Bewertung und<br />

Erschlie ßung wesentlich erleichtert hat.

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