ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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220 Überlieferung. Er war mit der Rüstungsgeschichte im sog. Dritten Reich so vertraut, dass er darüber in der Zeitschrift „Technikgeschichte“ 1966 publizierte. Zuständig war er auch für die Akten der Reichswirtschaftsverwaltung und des Beauftragten für den Vierjahresplan. Die Überlieferung des Bundes spielte damals noch keine wesentliche Rolle. Auf Grund seines gewandten Auftretens und seiner vorzüglichen englischen Sprachkenntnisse vertraute die Leitung des Bundesarchivs Alfred Wagner – bereits mehrere Monate vor dessen Verbeamtung auf Lebenszeit – auch die politisch wie fachlich wichtige Verantwortung für die Rückführung deutschen Archivguts aus alliiertem Gewahrsam an. Vom 7. Januar bis 5. März 1960 (Der Archivar 14/1961, Sp. 52 f.) hielt er sich im Auftrag des Bundesministeriums des Innern im Großraum Washington D.C. auf, um in den amerikanischen Verwahrstellen (National Archives, Department of the Army, Library of Congress) Material zum deutschen Widerstand gegen das NS-Regime zu ermitteln. Im ersten Monat seiner Tätigkeit wurde er von keinem geringeren als Rechtsanwalt Fabian von Schlabrendorff, dem Justiziar des Hilfswerkes 20. Juli 1944, unterstützt. Sein Reisebericht aus den USA gehörte für mich zur Pflichtlektüre, als ich zu Beginn des Jahres 1973 für die Rückführung verantwortlich wurde. Wagner berichtete nicht nur von den bekannten amerikanischen Archivaren Bahmer, Grover und Schellenberg, sondern auch von Fritz T. Epstein und insbesondere von Ernst Posner, seit 1921 am Preußischen Geheimen Staatsarchiv tätig, 1935 als Jude entlassen, 1938 ins KZ Sachsenhausen verschleppt und 1939 über Schweden in die USA geflohen. Dort war er nicht nur am Aufbau des jungen Nationalarchivs führend beteiligt, sondern entwickelte sich auch zu einem „hervorragenden amerikanischen Theoretiker des Archiv- und Regis - traturwesens“ (Wagner) und lehrte als Verwaltungshistoriker an der American University in Washington. Alfred Wagner und seine Frau pflegten freundschaftliche Kontakte zu Ernst Posner in Washington und später in Wiesbaden ebenso intensiv wie zu Betty und Paul Alsberg, dem aus Wuppertal stammenden State Archivist of Israel. Wagner hätte es sicher gefreut, wenn er noch erlebt hätte, dass der Neubau des Bundesarchivs in Berlin- Lichterfelde den Namen Ernst Posners trägt. Seine Tätigkeit und sein Auftreten bei jenem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten dürften den Grundstein für das Vertrauen gelegt haben, dass er – gerade 40 Jahre alt – in der Folgezeit nicht nur im Bundesarchiv, sondern gerade auch beim vorgesetzten Bundesministerium des Innern und im Auswärtigen Amt genoss. Alfred Wagner mag schon durch seine damalige Tätigkeit das Bedürfnis gespürt haben, das Vertrauen ausländischer Kollegen, das er nicht nur in Amerika erworben hatte, auch über das Bundesarchiv und die Bundesrepublik Deutschland hinaus zum Wohle des Archivwesens einzusetzen. Jedenfalls waren diejenigen, die in Bonn über Abordnungen deutscher Beamter an inter - nationale Organisationen zu entscheiden hatten, gern bereit, den am 20. Mai 1965 zum Oberarchivrat ernannten Beamten mit Wirkung vom 1. Januar 1968 zu beurlauben, um ihn zur UNES- CO nach Paris zu entsenden. Dort war er vom 3. Januar 1968 bis Ende Mai 1975 tätig, zunächst als „programme specialist“ im Communication Sector (Division of Development of documentation, libraries and archives services) in der Einstufung P-3, wurde aber schon im selben Jahr nach P-4 befördert. Er war der erste Archivar, der bei der UNESCO arbeitete. Wagner war von seiner Aufgabe begeistert. Er wollte auch seine deutschen Kollegen überzeugen, dass eine fachliche Verpflichtung ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009 NACHRUFE bestand, den Aufbau der Archive vor allem in der dritten Welt durch abgestimmte internationale Zusammenarbeit zu fördern. Jedenfalls veröffentlichte er bereits 1969 (Der Archivar 22, Sp. 257 ff.) einen Beitrag „Die UNESCO und das Archivwesen“, den er fast schwelgerisch mit den Worten schloss: „Bei dem Geist kolle - gialer Geschlossenheit und freundschaftlichen Zusammenwirkens, der die kleine internationale Archivars-Familie durchdringt, ist diese günstige Konstellation, die selbst die Hemmnisse administrativer Bürokratie weitgehend zu neutralisieren vermag, von unschätzbarem Wert für die Arbeit zum gemeinsamen Ziel“. In enger Zusammenarbeit mit Charles Kecskeméti, der bis 1998 unter wechselnden Amtsbezeichnungen die Seele des Internationalen Archivrats (ICA) war, unterstützte Alfred Wagner vor allem die jungen Staaten der Dritten Welt unabhängig davon, ob sie sich der früheren Kolonialmacht verbunden fühlten oder nicht. Jeden - falls war es in diesem Zusammenhang weder ein Nachteil, Bürger eines geteilten Landes zu sein, das seine „Schutzgebiete“ bereits im 1. Weltkrieg verloren hatte, noch in einem Zentralarchiv gearbeitet zu haben, das nicht über Akten aus den Kolonien ver fügte. Wenn es bis heute ein im Ganzen funktionierendes System der regionalen Zusammenarbeit der Archive der Dritten Welt im Rahmen der Regionalverbände des ICA gibt, dann ist dies der engen Zusammenarbeit zwischen UNESCO und ICA in jenen Jahren zu danken. Besonders bemerkenswert ist Wagners Erfolg Ende 1970 bei der Gründung zweier Archivschulen in Afrika, einer frankophonen in Dakar und einer anglophonen in Accra. Es war ihm gelungen, die erforderlichen finanziellen Mittel aus dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zu erhalten; er betreute den Aufbau der Schulen und kümmerte sich während seiner gesamten Tätigkeit bei der UNESCO um sie. In handelnden Personen ausgedrückt sorgten Alfred Wagner und Charles Kecskeméti gemeinsam dafür, dass das eurozentrische Archivwesen die Dritte Welt nicht nur nicht vergaß, sondern heute noch nachvollziehbar stetig förderte. Die damalige Zusammenarbeit zwischen der ersten und dritten Welt manifestiert sich bis zum gegenwärtigen Tage in der großartigen Serie der Inventare „Guides to the History of Nations“, deren einziger Fehler es ist, nicht bekannt genug zu sein. Die Hoffnung, die Konflikte um die Kolonialakten und die Archivalienverlagerungen durch Kriegs ereignisse mit Hilfe eines internationalen Rechtsinstruments wenigstens theoretisch oder grundsätzlich zu lösen, erfüllten sich leider nicht und mussten in der Folgezeit aufgegeben werden. Nicht einmal die Pläne, durch ein großzügiges Programm der Mikroverfilmung die Streitigkeiten zu verringern, kamen über Ansätze hinaus. Nach seiner Rückkehr in das Bundesarchiv am 1. Juni 1975 wurde Alfred Wagner – bereits am 11. Oktober 1971 zum Archivdirektor befördert – mit der Leitung der Abteilung II „Staatliches Schriftgut“ betraut, die nicht nur für das Aktengut des Deutschen Reiches, sondern auch für die Überlieferung der westlichen Be - satzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland zuständig war. Nun spielten die Altakten der Obersten und Oberen Bundesbehörden und Gerichte eine bedeutende Rolle, die Wagner – von Siegfried Büttner loyal unterstützt – pflichtbewusst annahm und erfüllte. Er war der jüngeren Archivarsgeneration ein kluger Berater und menschliches Vorbild. Seine persönlich gewinnende Art, sein Verständnis für andere Kulturen und seine perfekte Beherrschung der englischen und französischen Sprache legten den Gedanken nahe, ihn auch künftig im internationalen Archivwesen wenigstens nebenamtlich

einzusetzen. So wurde er 1976 auf dem VIII. Internationalen Archivkongress in Washington zum Schatzmeister des Internationalen Archivrats ernannt. In diesem Amt war er der erste, der sein Ansehen nicht wie seine Vorgänger, unter ihnen der Franzose Guy Dubosque und der Schweizer Oscar Gauye, der Leitung einer nationalen Archivverwaltung verdankte. 1980 in London wiedergewählt, übte er dieses Amt bis zum 21. September 1984 aus, als ich in Bonn zu seinem Nachfolger bestellt wurde, weil Alfred Wagner im Laufe des Jahres die gesetzliche Altersgrenze eines deutschen Beamten erreicht hatte. Ich habe dank seiner Arbeit eine höchst korrekt geführte Kasse und solide Finanzen übernehmen können. Von seinem großen Ansehen vor allem in der Dritten Welt habe ich stark profitiert. Man vertraute dort dem Schatzmeister des Internationalen Archivrates auch dann, wenn er finanzielle Wünsche nicht erfüllen konnte. Wagners unermüdliches Engagement für die Dritte Welt führte auch nach seiner Rückkehr aus der Weltstadt Paris in die ehemalige Provinzialhauptstadt Koblenz zum konkreten Einsatz, so schon im Frühjahr 1976 nach Ouagadougou und Dakar. Unermüdlich unterstützte er seinen früheren Arbeitgeber im Rahmen des „Records and Archives Management Programme (RAMP)“ der UNESCO, indem er u. a. Mittel der Bundesregierung dafür erbat und erhielt, um die zweite „RAMP Consultation“ vom 9. bis 11. Juni 1982 in Berlin (West) zu organisieren. Dies war auch allgemeinpolitisch von Bedeutung und wohl nur möglich, weil die UNESCO etwa gleichzeitig auch in Berlin (Ost) eine Veranstaltung durchführte. Man kann und soll den Motiven eines solchen Einsatzes nicht im Einzelnen nachspüren, aber es war nicht zuletzt gelebtes Chris - tentum, das ihn zu diesem Dienst beflügelte. Seine Pflichten als Katholik nahm er wie seine Freunde Bernard Mahieu aus Paris und Frank Evans aus Washington an jedem Ort der Welt ernst, indem der Besuch der sonntäglichen Messe Vorrang vor allen anderen Pflichten hatte. Christlichen Wurzeln entsprang auch seine unbegrenzte Hilfsbereitschaft. Ich werde niemals vergessen, wie er mich nicht nur mit Worten tröstete, als die in Paris gefertigte Übersetzung meines fachlichen Beitrages zum X. Internationalen Archivkongress in die französische Sprache sich als bösartig falsch erwies. Alfred Wagner lamentierte nicht, sondern half durch tätige Nächstenliebe, indem er binnen zwei Tagen eine neue Übersetzung fertigte. Auch nach seiner Pensionierung, die formal am 30. April 1984 kraft Gesetzes wirksam wurde, arbeitete er praktisch bis zum Abschluss des X. Internationalen Archivkongress Ende September 1984 im Angestelltenverhältnis weiter, weil sich niemand vorstellen konnte, wie ein Kongress in Deutschland ohne ihn hätte gelingen können. Alfred Wagner hat im Archivar 1985 über den Kongress ausführlich berichtet, typisch für ihn war die zweifelnde, in eine Anmerkung versteckte Frage, ob denn sein Land das vielfältige Lob, das ihm aus internationalem Munde zuteil geworden war, tatsächlich verdient habe. Auch in den folgenden Jahren wirkte er weiterhin in der Dritten Welt, so schon im Frühjahr 1985 in Sierra Leone. Seine Berichte im Archivar über internationale Aktivitäten reichen bis in das Jahr 1988. Für mich charakteristisch war Alfred Wagners Bedürfnis nach Harmonie, im privaten wie im dienstlichen Bereich. Streit war ihm zutiefst zuwider. Er versuchte zu schlichten, solange es nur irgend ging. Wenn es nicht mehr ging – und das hat er wohl zu oft aushalten müssen –, dann versuchte er, die Meinungsverschiedenheiten dennoch zu verringern, und sei es nur durch einen 221 Ausgleich in der Sprache seiner Darstellung des Konfliktes. Alfred Wagner war nicht immer erfolgreich, er hat an den Reibungen zwischen nationalen oder institutionellen Interessen und weltweiter Solidarität auch persönlich gelitten. Aufgegeben aber hat er nie, er sah sich stets in einer auch sozialen Verantwortung seinem Mitmenschen gegenüber. Dies haben viele Kolleginnen und Kollegen vor allem des Auslandes gespürt, für die er wohl kaum der typische Deutsche war. Gerade deshalb fühle ich mich als sein Nachfolger im Amt des Schatzmeisters des Internationalen Archivrats zu der Feststellung verpflichtet und berechtigt: Alfred Wagner hat sich um das Ansehen des deutschen Archivwesens in der Welt verdient gemacht. Er hat wie nur wenige Kollegen eine globale soziale Verpflichtung praktisch vorgelebt, an der es in unserer Welt heute so häufig mangelt und die sie doch so dringend braucht. WALTER JAROSCHKA † Klaus Oldenhage, Koblenz Geb. 31.7.1932 Warnsdorf (Nordböhmen, CZ) Gest. 23.12.2008 München Im Alter von 76 Jahren ist am 23. Dezember 2008 in München Generaldirektor a. D. Prof. Dr. Walter Jaroschka verstorben. Geboren am 31. Juli 1932 in Warnsdorf (Nordböhmen), besuchte er von 1938-1940 die Volksschule in Böhmisch Leipa, von 1940- 1942 die Volksschule in Leitmeritz und von 1942-1945 die dortige Oberschule, von 1945-1946 die Oberschule zur Himmelspforte in Erfurt sowie von 1947-1951 das Humanistische Gymnasium (heute: Johannes-Turmair-Gymnasium) in Straubing. Anschlie - ßend studierte Walter Jaroschka an der Ludwig-Maximilians- Universität in München Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Klassische Philologie. An der Universität Wien war er von 1953-1956 Mitglied des renommierten Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und promovierte dort 1957 an der Philosophischen Fakultät über den bedeutenden niederösterreichischen Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer (gest. 1464) bei Alphons Lhotzky. Von 1957-1960 absolvierte er die Bayerische Archivschule, die er mit der großen Staatsprüfung für den höheren Archivdienst abschloss. Seine Laufbahn als Archivar begann 1960 im Staatsarchiv Landshut, wo der Großbrand von 1961 und die Bewältigung seiner Folgen den jungen Archivassessor voll forderten und prägten. 1966 wurde Walter Jaroschka an das Bayerische Hauptstaatsarchiv versetzt. 1977 erfolgte die Bestellung zum Leiter der bayerischen Archivverwaltung und am 1. Februar 1978 die Ernennung zum Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns. Vom Archivreferendariat 1957 bis zu seinem Eintritt in den Ruhes tand 1997 stand Walter Jaroschka 40 Jahre im Dienst der Staatlichen Archive Bayerns, davon fast 20 Jahre als Generaldirektor. Seine Amtszeit war geprägt von tiefgreifenden Veränderungen. Mit großer Energie und Tatkraft gestaltete er die staatlichen Archive um, damit sie den geänderten Anforderungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts gerecht werden konnten. Die tiefgreifendste Umgestaltung der staatlichen Archive Bayerns brachte die sogenannte Beständebereinigung. Bereits nach kurzer ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009

e<strong>in</strong>zusetzen. So wurde er 1976 auf dem VIII. Internationalen<br />

Archivkongress <strong>in</strong> Wash<strong>in</strong>gton zum Schatzmeister des Internationalen<br />

Archivrats ernannt. In diesem Amt war er der erste, der se<strong>in</strong><br />

Ansehen nicht wie se<strong>in</strong>e Vorgänger, unter ihnen der Franzose<br />

Guy Dubosque und der Schweizer Oscar Gauye, der Leitung<br />

e<strong>in</strong>er nationalen Archivverwaltung verdankte. 1980 <strong>in</strong> London<br />

wiedergewählt, übte er dieses Amt bis zum 21. September 1984<br />

aus, als ich <strong>in</strong> Bonn zu se<strong>in</strong>em Nachfolger bestellt wurde, weil<br />

Alfred Wagner im Laufe des Jahres die gesetzliche Altersgrenze<br />

e<strong>in</strong>es deutschen Beamten erreicht hatte. Ich habe dank se<strong>in</strong>er<br />

Arbeit e<strong>in</strong>e höchst korrekt geführte Kasse und solide F<strong>in</strong>anzen<br />

übernehmen können. Von se<strong>in</strong>em großen Ansehen vor allem <strong>in</strong><br />

der Dritten Welt habe ich stark profitiert. Man vertraute dort<br />

dem Schatzmeister des Internationalen Archivrates auch dann,<br />

wenn er f<strong>in</strong>anzielle Wünsche nicht erfüllen konnte.<br />

Wagners unermüdliches Engagement für die Dritte Welt führte<br />

auch nach se<strong>in</strong>er Rückkehr aus der Weltstadt Paris <strong>in</strong> die ehemalige<br />

Prov<strong>in</strong>zialhauptstadt Koblenz zum konkreten E<strong>in</strong>satz, so<br />

schon im Frühjahr 1976 nach Ouagadougou und Dakar. Unermüdlich<br />

unterstützte er se<strong>in</strong>en früheren Arbeitgeber im Rahmen<br />

des „Records and <strong>Archive</strong>s Management Programme (RAMP)“<br />

der UNESCO, <strong>in</strong>dem er u. a. Mittel der Bundesregierung dafür<br />

erbat und erhielt, um die zweite „RAMP Consultation“ vom 9.<br />

bis 11. Juni 1982 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (West) zu organisieren. Dies war auch<br />

allgeme<strong>in</strong>politisch von Bedeutung und wohl nur möglich, weil<br />

die UNESCO etwa gleichzeitig auch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (Ost) e<strong>in</strong>e Veranstaltung<br />

durchführte.<br />

Man kann und soll den Motiven e<strong>in</strong>es solchen E<strong>in</strong>satzes nicht im<br />

E<strong>in</strong>zelnen nachspüren, aber es war nicht zuletzt gelebtes Chris -<br />

tentum, das ihn zu diesem Dienst beflügelte. Se<strong>in</strong>e Pflichten als<br />

Katholik nahm er wie se<strong>in</strong>e Freunde Bernard Mahieu aus Paris<br />

und Frank Evans aus Wash<strong>in</strong>gton an jedem Ort der Welt ernst,<br />

<strong>in</strong>dem der Besuch der sonntäglichen Messe Vorrang vor allen<br />

anderen Pflichten hatte.<br />

Christlichen Wurzeln entsprang auch se<strong>in</strong>e unbegrenzte Hilfsbereitschaft.<br />

Ich werde niemals vergessen, wie er mich nicht nur mit<br />

Worten tröstete, als die <strong>in</strong> Paris gefertigte Übersetzung me<strong>in</strong>es<br />

fachlichen Beitrages zum X. Internationalen Archivkongress <strong>in</strong> die<br />

französische Sprache sich als bösartig falsch erwies. Alfred Wagner<br />

lamentierte nicht, sondern half durch tätige Nächstenliebe,<br />

<strong>in</strong>dem er b<strong>in</strong>nen zwei Tagen e<strong>in</strong>e neue Übersetzung fertigte.<br />

Auch nach se<strong>in</strong>er Pensionierung, die formal am 30. April 1984<br />

kraft Gesetzes wirksam wurde, arbeitete er praktisch bis zum<br />

Abschluss des X. Internationalen Archivkongress Ende September<br />

1984 im Angestelltenverhältnis weiter, weil sich niemand vorstellen<br />

konnte, wie e<strong>in</strong> Kongress <strong>in</strong> Deutschland ohne ihn hätte<br />

gel<strong>in</strong>gen können. Alfred Wagner hat im Archivar 1985 über den<br />

Kongress ausführlich berichtet, typisch für ihn war die zweifelnde,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Anmerkung versteckte Frage, ob denn se<strong>in</strong> Land das<br />

vielfältige Lob, das ihm aus <strong>in</strong>ternationalem Munde zuteil geworden<br />

war, tatsächlich verdient habe. Auch <strong>in</strong> den folgenden Jahren<br />

wirkte er weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Dritten Welt, so schon im Frühjahr<br />

1985 <strong>in</strong> Sierra Leone. Se<strong>in</strong>e Berichte im Archivar über <strong>in</strong>ternationale<br />

Aktivitäten reichen bis <strong>in</strong> das Jahr 1988.<br />

Für mich charakteristisch war Alfred Wagners Bedürfnis nach<br />

Harmonie, im privaten wie im dienstlichen Bereich. Streit war<br />

ihm zutiefst zuwider. Er versuchte zu schlichten, solange es nur<br />

irgend g<strong>in</strong>g. Wenn es nicht mehr g<strong>in</strong>g – und das hat er wohl zu<br />

oft aushalten müssen –, dann versuchte er, die Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten<br />

dennoch zu verr<strong>in</strong>gern, und sei es nur durch e<strong>in</strong>en<br />

221<br />

Ausgleich <strong>in</strong> der Sprache se<strong>in</strong>er Darstellung des Konfliktes. Alfred<br />

Wagner war nicht immer erfolgreich, er hat an den Reibungen<br />

zwischen nationalen oder <strong>in</strong>stitutionellen Interessen und weltweiter<br />

Solidarität auch persönlich gelitten. Aufgegeben aber hat er<br />

nie, er sah sich stets <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er auch sozialen Verantwortung se<strong>in</strong>em<br />

Mitmenschen gegenüber. Dies haben viele Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />

Kollegen vor allem des Auslandes gespürt, für die er wohl kaum<br />

der typische Deutsche war. Gerade deshalb fühle ich mich als<br />

se<strong>in</strong> Nachfolger im Amt des Schatzmeisters des Internationalen<br />

Archivrats zu der Feststellung verpflichtet und berechtigt: Alfred<br />

Wagner hat sich um das Ansehen des deutschen Archivwesens <strong>in</strong><br />

der Welt verdient gemacht. Er hat wie nur wenige Kollegen e<strong>in</strong>e<br />

globale soziale Verpflichtung praktisch vorgelebt, an der es <strong>in</strong><br />

unserer Welt heute so häufig mangelt und die sie doch so dr<strong>in</strong>gend<br />

braucht.<br />

WALTER JAROSCHKA †<br />

Klaus Oldenhage, Koblenz<br />

Geb. 31.7.1932 Warnsdorf (Nordböhmen, CZ)<br />

Gest. 23.12.2008 München<br />

Im Alter von 76 Jahren ist am 23. Dezember 2008 <strong>in</strong> München<br />

Generaldirektor a. D. Prof. Dr. Walter Jaroschka verstorben.<br />

Geboren am 31. Juli 1932 <strong>in</strong> Warnsdorf (Nordböhmen), besuchte<br />

er von 1938-1940 die Volksschule <strong>in</strong> Böhmisch Leipa, von 1940-<br />

1942 die Volksschule <strong>in</strong> Leitmeritz und von 1942-1945 die dortige<br />

Oberschule, von 1945-1946 die Oberschule zur Himmelspforte <strong>in</strong><br />

Erfurt sowie von 1947-1951 das Humanistische Gymnasium<br />

(heute: Johannes-Turmair-Gymnasium) <strong>in</strong> Straub<strong>in</strong>g. Anschlie -<br />

ßend studierte Walter Jaroschka an der Ludwig-Maximilians-<br />

Universität <strong>in</strong> München Geschichte, Historische Hilfswissenschaften<br />

und Klassische Philologie. An der Universität Wien war<br />

er von 1953-1956 Mitglied des renommierten Instituts für Österreichische<br />

Geschichtsforschung und promovierte dort 1957 an der<br />

Philosophischen Fakultät über den bedeutenden niederösterreichischen<br />

Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer (gest. 1464)<br />

bei Alphons Lhotzky. Von 1957-1960 absolvierte er die Bayerische<br />

Archivschule, die er mit der großen Staatsprüfung für den höheren<br />

Archivdienst abschloss. Se<strong>in</strong>e Laufbahn als Archivar begann<br />

1960 im Staatsarchiv Landshut, wo der Großbrand von 1961 und<br />

die Bewältigung se<strong>in</strong>er Folgen den jungen Archivassessor voll<br />

forderten und prägten. 1966 wurde Walter Jaroschka an das<br />

Bayerische Hauptstaatsarchiv versetzt. 1977 erfolgte die Bestellung<br />

zum Leiter der bayerischen Archivverwaltung und am<br />

1. Februar 1978 die Ernennung zum Generaldirektor der Staatlichen<br />

<strong>Archive</strong> Bayerns.<br />

Vom Archivreferendariat 1957 bis zu se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den<br />

Ruhes tand 1997 stand Walter Jaroschka 40 Jahre im Dienst der<br />

Staatlichen <strong>Archive</strong> Bayerns, davon fast 20 Jahre als Generaldirektor.<br />

Se<strong>in</strong>e Amtszeit war geprägt von tiefgreifenden Veränderungen.<br />

Mit großer Energie und Tatkraft gestaltete er die staatlichen<br />

<strong>Archive</strong> um, damit sie den geänderten Anforderungen des ausgehenden<br />

20. Jahrhunderts gerecht werden konnten.<br />

Die tiefgreifendste Umgestaltung der staatlichen <strong>Archive</strong> Bayerns<br />

brachte die sogenannte Beständebere<strong>in</strong>igung. Bereits nach kurzer<br />

<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009

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