Sächsisches Archivblatt 1-2012 - Archivwesen - Freistaat Sachsen
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Versiegelte Umschläge mit aus Türrahmen herausgeschnittenen<br />
Holzspänen und Rasen von 23<br />
Grundstücksbesitzern aus Friedebach (<strong>Sächsisches</strong><br />
Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10050 Amt<br />
Frauenstein, Nr. 215)<br />
Es konnten auch mehrere Personen gleichzeitig<br />
von dieser Art der Zwangsvollstreckung<br />
betroffen sein, im hier abgebildeten Fall waren<br />
es 23 Grundstücksbesitzer aus Friedebach. In<br />
den verschlossenen und versiegelten Umschlägen,<br />
beschriftet mit „signum executionis“,<br />
also „Zeichen der Vollstreckung“, befinden<br />
sich vermutlich Holzspäne und Rasenstücke.<br />
Dieser Hilfsvollstreckung war ein Rechtsstreit<br />
zwischen der Gerichtsherrschaft Purschenstein<br />
und Einwohnern in Friedebach wegen<br />
rückständiger Getreidezinsen vorausgegan-<br />
Versiegelte Umschläge mit Erde der Grundstücke von Carl Gottlieb Müller aus Dittersbach (<strong>Sächsisches</strong> Staatsarchiv,<br />
Hauptstaatsarchiv Dresden, 10050 Amt Frauenstein, Nr. 525)<br />
gen. Zwangsversteigerungen konnten jedoch<br />
durch Abschluss eines Vergleichs verhindert<br />
werden.<br />
Auch war e i n „Zeichen der Vollstreckung“<br />
nicht ausreichend, wenn der Schuldner mehrere<br />
Grundstücke besaß, vielmehr war für jedes<br />
Grundstück die symbolische Rechtshandlung<br />
zu vollziehen. So befinden sich in der Akte<br />
über eine Schuldklage gegen den Gutsbesitzer<br />
Carl Gottlieb Müller in Dittersbach Umschläge<br />
mit Erde und Holzspänen von seinem Hufengut,<br />
zwei Wiesen und dem Beigut.<br />
Mit der „Verordnung zu Ausführung des Gesetztes<br />
vom 6ten November 1843, die Grund-<br />
und Hypothekenbücher und das Hypothekenwesen<br />
betreffend, vom 15ten Februar 1844“<br />
fielen diese symbolischen Handlungen weg.<br />
Das betraf „Aushauung eines Spans, Anzündung<br />
eines Feuers auf dem Feuerheerde,<br />
Ausstechung eines Stücks Rasen, Abbrechung<br />
eines Baumzweigs u. d. m. sowie die Erklärung<br />
des Schuldners, die Hülfe für vollstreckt anzunehmen“.<br />
Da mit dem symbolischen Akt der<br />
Zwangsvollstreckung die vierwöchige Frist<br />
zur Wiedereinlösung begann, mussten die Behörden<br />
dem Schuldner stattdessen ein förmliches<br />
Schreiben zustellen. Das oben genannte<br />
Beispiel des Gutsbesitzers Müller aus Dittersbach<br />
vom 7. Januar 1845 zeigt jedoch, wie<br />
zählebig die alten Verfahrensweisen waren.<br />
Ursprünglich dienten symbolische Handlungen<br />
zur Unterstützung und Sichtbarmachung<br />
von vor Zeugen mündlichen geschlossenen<br />
Rechtsgeschäften in ritualisierter Form. Die<br />
vorliegenden Beispiele zeigen, dass diese<br />
Rechtskultur trotz Übergang zur Schriftlichkeit<br />
des Verfahrens fortgeführt wurde und<br />
bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts überdauerte.<br />
Andrea Tonert<br />
(Hauptstaatsarchiv Dresden)<br />
<strong>Sächsisches</strong> <strong>Archivblatt</strong> Heft 1-<strong>2012</strong> | 19