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Sächsisches Archivblatt 1-2012 - Archivwesen - Freistaat Sachsen

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Zeichen der Vollstreckung – Wie Zweig, Span<br />

und Erde in die Akten kamen<br />

Wie kommen Holz und vertrocknete Erde in<br />

eine Akte, mag man sich bei Betrachtung der<br />

Abbildungen fragen und es für ein Kuriosum<br />

halten. Tatsächlich zeugen diese Gegenstände<br />

von einer symbolischen Rechtshandlung. Die<br />

bekannteste Handlung dieser Art, die sich über<br />

die Redewendung „über jemanden den Stab<br />

brechen“ im heutigen Sprachgebrauch erhalten<br />

hat, ist sicherlich der gebrochene Stab, der<br />

im Strafverfahren das Todesurteil gegen den<br />

Angeklagten symbolisierte. Im vorliegenden<br />

Fall geht es allerdings nicht um Leben und<br />

Tod, auch wenn der Vorgang für den Betroffenen<br />

existenzbedrohend sein konnte, da Zweig,<br />

Span und Erde vom Vollzug einer Zwangs-<br />

oder Hilfsvollstreckung zeugen. Grundsätzlich<br />

standen diese Gegenstände für Immobilien<br />

und symbolisierten durch ihre Wesensverwandtheit<br />

Eigentumsübertragungen jeder Art.<br />

In den aus den Beständen des Hauptstaatsarchivs<br />

Dresden bekannten Fällen, die alle aus<br />

dem 19. Jahrhundert stammen, sind bislang<br />

jedoch nur Zwangsvollstreckungen bekannt.<br />

<strong>Sächsisches</strong> <strong>Archivblatt</strong> Heft 1-<strong>2012</strong> | 18<br />

Ihren Ablauf schildert eine Instruktion des<br />

Kreisamts Meißen: „Der Amtsfron Friedrich<br />

erhält hiermit Anweisung, sich zum 24. April<br />

1843 nach Göltzscha und daselbst mit Zuziehung<br />

der dasigen Ortsgerichten in die Wohnung<br />

des Kramers Carl Gottlob Harzbecker zu<br />

begeben und demselben über die der Kirche zu<br />

Martinskirchen schuldigen 148 Reichstaler […],<br />

im Fall derselbe aber dieselbe weder sofort zu<br />

leisten, noch durch richtige Quittung nachzuweisen<br />

im Stande, die Hülfe in dessen Grundstücks<br />

durch Ausschneiden eines Spahns aus<br />

dem Hause und Ausstechen eines Stück Rasens<br />

aus dem Garten sowie Abbrechen eines<br />

Zweiges von den dort stehenden Bäumen zu<br />

vollstrecken, diese Zeichen der Besitzentsetzung<br />

des Schuldners und Einsetzung der Kirche<br />

in diesen Besitz wegen des Capitals, der<br />

Zinsen, der aufgelaufenden und noch entstehenden<br />

Kosten zum Amte abzuliefern“. Diesem<br />

Vorgang vorausgegangen war eine Klage des<br />

Kirchenvorstandes in Martinskirchen bei Belgern<br />

gegen den Krämer und Hausbesitzer Carl<br />

Gottlob Harzbecker aus Göltzscha, in der die<br />

Kirche Schadenersatz für den Weiterverkauf<br />

von aus der Kirche gestohlenen Silbergefäßen<br />

forderte. Ihm blieb für die Zahlung der Summe<br />

eine Frist von vier Wochen. Da er den Betrag<br />

nicht aufbringen konnte, beantragten die<br />

Gläubiger daraufhin die Zwangsversteigerung.<br />

Laut Krünitz’ Oeconomischer Encyclopädie<br />

konnte auch die Übergabe eines Grundstücks<br />

an den Gläubiger auf dem Weg der Hilfsvollstreckung<br />

durch symbolische Rechtshandlungen<br />

vollzogen werden, und zwar durch<br />

das Auslöschen und Wiederanzünden des<br />

Feuers oder die Übergabe der Schlüssel. Dieses<br />

geschah aber nur, wenn der Gläubiger die<br />

Grundstücke bis zur Einlösung der Schuld<br />

übernahm. In dem Fall war er verpflichtet,<br />

die erhaltenen Güter genauso sorgfältig wie<br />

die eigenen zu bewirtschaften und für Schäden<br />

zu haften. Daher dürfte dieser Fall in der<br />

Praxis eher selten vorgekommen sein. Üblich<br />

waren die behördliche Zwangsverwaltung und<br />

schließlich die Zwangsversteigerung.<br />

Holz, Erde und Türspan als Zeichen einer Zwangsvollstreckung gegen Carl Gottlob Harzbecker, Göltzscha (<strong>Sächsisches</strong> Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10057<br />

Kreisamt Meißen, Nr. 185, Bl. 96)

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