BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998, NJW 1999, 1039 – Flucht ...

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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998, NJW 1999, 1039 Flucht Sachverhalt: Angelika sucht die 69 Jahre alte Ilse, eine in ihrem Haus alleinlebende Witwe, unter falschem Namen und der Vorspiegelung auf, am Kauf der Spirituosensammlung von Ilses verstorbenem Mann interessiert zu sein. In Wahrheit hat sie jedoch vor, Ilse durch ein heimlich in ein Getränk gegebenes Mittel zu betäuben, um anschließend deren Schmuck und Geld zu entwenden. Nachdem Angelika der Ilse das Betäubungsmittel ins Glas geschüttet hat, wird diese müde und legt sich ins Bett. Angelika macht sich auf die Suche nach den Wertsachen. Sie packt einige Schmuckstücke in ihre Tasche und betritt dann auch das Zimmer der schlafenden Ilse. Als sie an das Bett herantritt und sich über Ilse beugt, erwacht diese, greift erschrocken mit beiden Händen in die Haare von Angelika und zieht sie zu sich herab. Überrascht vom Erwachen der Ilse gerät Angelika in Panik und versucht, sich zu befreien. Nachdem ihre anfänglichen Befreiungsversuche jedoch ergebnislos bleiben, greift sie zu einer auf der Bettablage abgestellten Mineralwasserflasche und schlägt diese so heftig auf Ilses Kopf, dass das Glas zersplittert. Anschließend würgt Angelika Ilse mit beiden Händen am Hals, um endlich loszukommen. Sie drückt mit voller Kraft zu und nimmt dabei Ilses Tod zumindest billigend in Kauf. Nach etwa fünf Minuten Kampf stirbt Ilse an den Folgen des Würgens. Fluchtartig verlässt Angelika nun mit den Schmuckstücken das Haus der getöteten Ilse. Insgesamt hat der von Angelika entwendete Schmuck einen Wert von mindestens 3.400 €. Wie hat Angelika sich strafbar gemacht? Themen: Verwirklichung einer Qualifikation der §§ 250, 251 StGB auch noch nach Beendigung des Raubs; spezifischer Gefahrzusammenhang bei § 251 StGB Materialien: Arbeitsblatt BT Nr. 24 Anmerkungen: Hefendehl, StV 2000, 107; Momsen, JR 2000, 29; Schroth, NStZ 1999, 554 Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> <strong>23.</strong> <strong>Dezember</strong> <strong>1998</strong>, <strong>NJW</strong> <strong>1999</strong>, <strong>1039</strong> <strong>–</strong> <strong>Flucht</strong><br />

Sachverhalt: Angelika sucht die 69 Jahre alte Ilse, eine in ihrem Haus<br />

alleinlebende Witwe, unter falschem Namen und der Vorspiegelung<br />

auf, am Kauf der Spirituosensammlung von Ilses verstorbenem Mann<br />

interessiert zu sein. In Wahrheit hat sie jedoch vor, Ilse durch ein<br />

heimlich in ein Getränk gegebenes Mittel zu betäuben, um anschließend<br />

deren Schmuck und Geld zu entwenden. Nachdem Angelika der<br />

Ilse das Betäubungsmittel ins Glas geschüttet hat, wird diese müde<br />

und legt sich ins Bett. Angelika macht sich auf die Suche nach den<br />

Wertsachen. Sie packt einige Schmuckstücke in ihre Tasche und<br />

betritt dann auch das Zimmer der schlafenden Ilse. Als sie an das Bett<br />

herantritt und sich über Ilse beugt, erwacht diese, greift erschrocken<br />

mit beiden Händen in die Haare von Angelika und zieht sie zu sich<br />

herab. Überrascht <strong>vom</strong> Erwachen der Ilse gerät Angelika in Panik und<br />

versucht, sich zu befreien. Nachdem ihre anfänglichen Befreiungsversuche<br />

jedoch ergebnislos bleiben, greift sie zu einer auf der Bettablage<br />

abgestellten Mineralwasserflasche und schlägt diese so heftig auf Ilses<br />

Kopf, dass das Glas zersplittert. Anschließend würgt Angelika Ilse mit<br />

beiden Händen am Hals, um endlich loszukommen. Sie drückt mit<br />

voller Kraft zu und nimmt dabei Ilses Tod zumindest billigend in<br />

Kauf. Nach etwa fünf Minuten Kampf stirbt Ilse an den Folgen des<br />

Würgens. <strong>Flucht</strong>artig verlässt Angelika nun mit den Schmuckstücken<br />

das Haus der getöteten Ilse. Insgesamt hat der von Angelika entwendete<br />

Schmuck einen Wert von mindestens 3.400 €. Wie hat Angelika<br />

sich strafbar gemacht?<br />

Themen: Verwirklichung einer Qualifikation der §§ 250, 251 StGB<br />

auch noch nach Beendigung des Raubs; spezifischer Gefahrzusammenhang<br />

bei § 251 StGB<br />

Materialien: Arbeitsblatt BT Nr. 24<br />

Anmerkungen: Hefendehl, StV 2000, 107; Momsen, JR 2000, 29;<br />

Schroth, NStZ <strong>1999</strong>, 554<br />

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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Lösungsübersicht:<br />

A. Strafbarkeit wegen eines Raubs mit Todesfolge, §§ 249 I, 251 StGB<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Grundtatbestand des § 249 I StGB (+)<br />

b) Schwere Folge des § 251 StGB: Tod einer anderen Person(+)<br />

Problem: Eintritt des Todes „durch den Raub“ wenn Tod<br />

nicht durch die zur Wegnahme angewendeten Gewalt, sondern<br />

durch erneute Gewalt, welche die <strong>Flucht</strong> ermöglichen<br />

soll, eintritt.<br />

<strong>–</strong> <strong>BGH</strong>: Ja, auch bei <strong>Flucht</strong> liegt spezifische Gefahr vor.<br />

<strong>–</strong> a.M.: Nein.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. § 249 I StGB (+)<br />

b) Mindestens Leichtfertigkeit bzgl. Tod; hier sogar Vorsatz(+)<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

B. Strafbarkeit wegen eines räuberischen Diebstahls mit Todesfolge,<br />

§§ 252, 251 StGB (<strong>–</strong>)<br />

<strong>–</strong> Beutesicherungsabsicht nicht hineichend nachweisbar<br />

C. Strafbarkeit wegen eines Mordes, §§ 212, 211 StGB<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Tod eines Menschen (+)<br />

b) Heimtücke: mangels Arglosigkeit (<strong>–</strong>)<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Tötungsvorsatz (+)<br />

b) Habgier: nicht hinreichend nachweisbar, daher nur <strong>Flucht</strong>absicht<br />

(<strong>–</strong>)<br />

c) Ermöglichungsabsicht (<strong>–</strong>)<br />

d) Verdeckungsabsicht (+)<br />

Probleme:<br />

<strong>–</strong> Ausschluss bei nur bedingtem Tötungsvorsatz?<br />

<strong>–</strong> Ausschluss bei Handlungen im Affekt?<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

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Lösungsvorschlag:<br />

A. Strafbarkeit Angelikas wegen eines Raubs mit Todesfolge, §§<br />

249 I, 251 StGB<br />

Indem Angelika Ilse betäubte, ihren Schmuck an sich nahm und sie,<br />

als diese erwachte, würgte und dadurch Ilses Tod herbeiführte, könnte<br />

sie sich wegen eines Raubs mit Todesfolge, §§ 249 I, 251 StGB strafbar<br />

gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

Dafür müssten sowohl die objektiven, als auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />

der §§ 249 I, 251 StGB erfüllt worden sein.<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Grundtatbestand des § 249 I StGB<br />

Angelika müsste zunächst den Grundtatbestand des Raubs, § 249 I<br />

StGB, objektiv erfüllt haben. Dazu müsste sie eine fremde bewegliche<br />

Sache unter finalem Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel weggenommen<br />

haben.<br />

Fremde Sachen sind körperliche Gegenstände, die nicht im Alleineigentum<br />

des Täters stehen und nicht herrenlos sind. Die Schmuckstücke<br />

Ilses, welche Angelika an sich nahm, sind bewegliche Gegenstände,<br />

welche im Eigentum Ilses standen. Für Angelika waren die<br />

Schmuckstücke mithin fremde Sachen.<br />

Diese müsste sie auch weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch<br />

fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen<br />

Gewahrsams. Indem Angelika den Schmuck einpackte, könnte<br />

sie den Ilses Gewahrsam gebrochen und eigenen begründet haben.<br />

Gewahrsam ist die <strong>vom</strong> Herrschaftswillen getragene tatsächliche<br />

Sachherrschaft und bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung. Angelika<br />

steckte die Schmuckstücke ein, so dass sie in eine ihr zugeord-<br />

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nete Gewahrsamsenklave gelangten. Folglich lag hier bereits mit dem<br />

Einstecken eine Wegnahme seitens Angelika vor.<br />

Zudem müsste Angelika als Raubmittel Gewalt gegen eine Person oder<br />

Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eingesetzt<br />

haben. In Frage kommt eine Gewaltanwendung in Form der Verabreichung<br />

des Schlafmittels. Gewalt liegt vor bei einer körperlichen<br />

Kraftentfaltung, durch die ein physisch wirkender Zwang auf das Opfer<br />

ausgeübt wird, um einen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu<br />

brechen. Die Beibringung des Schlafmittels stellt eine körperliche<br />

Kraftentfaltung Angelikas dar, die einen körperlich wirkenden Zwang<br />

bei Ilse bewirkte. Folglich ist das Raubmittel der Gewaltanwendung<br />

durch Angelika zu bejahen.<br />

Angelika verabreichte Ilse das Schlafmittel gerade dazu, um eine Betäubung<br />

herbeizuführen infolge derer sie ungestört die Schmuckstücke<br />

der Ilse wegnehmen wollte. Da das qualifizierte Nötigungsmittel der<br />

Personengewalt also zielgerichtet zur Ermöglichung der Wegnahme<br />

eingesetzt wurde, ist der Finalzusammenhang gegeben. Demnach hat<br />

Angelika den objektiven Grundtatbestand des § 249 I StGB erfüllt.<br />

b) Schwere Folge des § 251 StGB<br />

Ilse verstarb infolge des Würgens. Objektiv ist damit die schwere Folge<br />

des § 251 StGB eingetreten. Fraglich ist hier jedoch, ob der Eintritt<br />

des Todes gerade „durch den Raub“ erfolgte. Umstritten ist nämlich,<br />

ob eine Gewaltanwendung zwischen Vollendung und Beendigung der<br />

Tat, welche zum Tode führt, ausreicht, um § 251 StGB bejahen zu<br />

können.<br />

Regelmäßig muss die zum Raub eingesetzte Nötigungshandlung für<br />

die Todesfolge kausal und objektiv zurechenbar im Sinne eines spezifischen<br />

Gefahrzusammenhangs sein. Angelika würgte Ilse erst, nachdem<br />

sie den Gewahrsam an dem Schmuck erlangt hatte und zwar zum<br />

Zweck der Ermöglichung einer <strong>Flucht</strong>. Problematisch ist daher vorliegend,<br />

wie auch generell, ob der Eintritt des Todes „durch den Raub“<br />

zu bejahen ist, wenn er nicht durch die zur Wegnahme angewendeten<br />

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Gewalt, sondern durch erneute Gewalt, welche lediglich die <strong>Flucht</strong><br />

ermöglichen soll, eintritt.<br />

Eine Ansicht fordert aufgrund des Schutzzwecks des § 251 StGB, dass<br />

der Tod des Opfers durch eine Nötigungshandlung bewirkt werden<br />

müsse, die der Ermöglichung der Wegnahme selbst diene. Dafür spreche<br />

auch, dass das Tatgeschehen des § 249 I StGB, an das der § 251<br />

StGB anknüpft, mit der Wegnahme abgeschlossen ist, sodass die<br />

nachträgliche Gewaltanwendung nicht als tatbestandsmäßige Handlung<br />

des § 249 I StGB ausreichen könne, zumal sie auch nicht der<br />

Wegnahme diene. Eine Gewaltanwendung zur Beutesicherung liege<br />

damit außerhalb dieses Straftatbestandes und unterfalle allein § 252<br />

StGB, dessen Voraussetzungen sonst umgangen würden.<br />

Dagegen spricht jedoch, dass sich gerade auch bei Gewaltanwendung<br />

im Rahmen der <strong>Flucht</strong> die für einen Raub typische Gefahr realisieren<br />

lässt, schließlich hat die Tat mit der Wegnahme noch nicht ihren materiellen<br />

Abschluss gefunden. Zudem gebietet es auch der Opferschutz,<br />

die Gewaltanwendung in der Beendigungsphase unter § 251 StGB zu<br />

fassen. Auch lassen sich nur so Strafbarkeitslücken vermeiden. Demnach<br />

ist vorliegend der Eintritt des Todes „durch den Raub“ zu bejahen.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. § 249 I StGB<br />

Angelika handelte hinsichtlich der Verwirklichung des Grundtatbestands<br />

des § 249 I StGB mit Wissen und Wollen, also vorsätzlich. Zudem<br />

hatte sie die Absicht der rechtswidrigen Zueignung. Sie wandte<br />

ferner auch die Gewalt an „um“ wegzunehmen, weshalb auch der erforderliche<br />

Finalzusammenhang vorliegt.<br />

b) Leichtfertigkeit bzgl. § 251 StGB<br />

Hinsichtlich Ilses Tod müsste Angelika zumindest leichtfertig gehandelt<br />

haben. Da sie deren Tod allerdings billigend in Kauf nahm, han-<br />

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delte sie sogar bedingt vorsätzlich. Aufgrund des Wortlauts „mindestens“<br />

erfüllt vorsätzliches Handeln erst recht die Anforderungen des §<br />

251 StGB.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Angelika handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />

III. Ergebnis<br />

Angelika hat sich folglich wegen eines Raubs mit Todesfolge nach §§<br />

249 I, 251 StGB strafbar gemacht.<br />

B. Strafbarkeit Angelikas wegen räuberischen Diebstahls mit Todesfolge,<br />

§§ 252, 251 StGB<br />

Indem Angelika die Ilse würgte, um fliehen zu können und Ilse infolge<br />

dessen verstarb, könnte sie sich wegen eines räuberischen Diebstahls<br />

mit Todesfolge gemäß §§ 252, 251 StGB strafbar gemacht haben.<br />

Trotz des Wortlauts ist auch ein Raub eine taugliche Vortat des §<br />

252 StGB, da dieser notwendigerweise einen Diebstahl enthält. Letztlich<br />

scheitert § 252 StGB jedoch an der fehlenden Beutesicherungsabsicht.<br />

Da hier nichts dafür spricht, dass Angelika das Würgen der Ilse<br />

gerade dazu vornimmt, um sich im Besitz der erbeuteten Schmuckstücke<br />

zu halten, muss <strong>–</strong> dem Grundsatz „in dubio pro reo“ folgend <strong>–</strong><br />

davon ausgegangen werden, dass eine solche, für § 252 StGB erforderliche<br />

Absicht nicht vorlag. Im Ergebnis hat sich Angelika daher<br />

nicht gemäß §§ 252, 251 StGB strafbar gemacht.<br />

C. Strafbarkeit Angelikas wegen eines Mordes, §§ 212, 211 StGB<br />

Angelika könnte sich zudem wegen eines Mordes nach §§ 212, 211<br />

StGB strafbar gemacht haben, indem sie Ilse erwürgte.<br />

I. Tatbestand<br />

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1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Tod eines Menschen<br />

Angelika erwürgte Ilse und tötete damit einen Menschen. Weiterhin<br />

müsste sie dabei auch ein objektives Mordmerkmal verwirklicht haben.<br />

b) Heimtücke<br />

In Betracht kommt hier ein Heimtückemord. Heimtücke liegt vor,<br />

wenn der Täter die auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des<br />

Opfers in feindlicher Willensrichtung ausnutzt. Arglos ist derjenige,<br />

der sich eines Angriffs nicht versieht. Wehrlos ist, wer sich nicht bzw.<br />

nicht ausreichend gegen einen Angriff verteidigen kann. Ilse müsste<br />

demnach arglos gewesen sein als Angelika zur Tötungshandlung ansetzte.<br />

Diese war erwacht, hatte Angelika wahrgenommen und sie zu<br />

sich heruntergezogen bevor diese mit dem Würgen begann. Demnach<br />

versah sich Ilse eines Angriffs der Angelika, so dass sie nicht arglos<br />

war. Dies führt im Ergebnis zu einer Ablehnung des Mordmerkmals<br />

der Heimtücke.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Tötungsvorsatz<br />

Das ca. fünfminütige Würgen der Ilse am Hals stellt eine objektiv und<br />

subjektiv lebensgefährdende Behandlung, verbunden mit einer äußerst<br />

hohen Erfolgswahrscheinlichkeit dar. Angelika erfasste ihr eigenes<br />

Handeln hier vollständig bzw. war sich dessen vollkommen bewusst.<br />

Mithin erkannte sie auch die äußerst hohe Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts<br />

bei Ilse. Da sie dennoch weiterhandelte, nahm sie Ilses<br />

Tod zumindest billigend in Kauf und hatte somit hinreichenden Tötungsvorsatz.<br />

Weiterhin müsste Angelika auch ein subjektives Mordmerkmal<br />

verwirklicht haben.<br />

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b) Habgier<br />

In Betracht kommt zunächst ein Handeln aus Habgier. Habgier liegt<br />

regelmäßig bei einem rücksichtlosen Gewinnstreben um jeden Preis<br />

vor. Dafür könnte sprechen, dass Angelika bereits den Schmuck gestohlen<br />

hatte als sie Ilse erwürgte. Jedoch lassen sich dem Sachverhalt<br />

keine Anhaltspunkte für eine entsprechende Motivation der Angelika<br />

entnehmen, so wiederum gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo“<br />

davon auszugehen ist, dass es ihr in dem Moment des Würgens nicht<br />

um den Erhalt des Schmuckes ging, sondern lediglich um das Ermöglichen<br />

ihrer <strong>Flucht</strong>. Demnach handelte Angelika nicht aus Habgier.<br />

c) Ermöglichungsabsicht<br />

Auch eine Ermöglichungsabsicht ist Angelika nicht hinreichend<br />

nachweisbar und scheitert daher ebenfalls gemäß „in dubio pro reo“.<br />

Wiederum überwiegt die <strong>Flucht</strong>motivation Angelikas.<br />

d) Verdeckungsabsicht<br />

Jedoch könnte Angelika mit Verdeckungsabsicht gehandelt haben,<br />

denn indem sie Ilse mit bedingtem Tötungsvorsatz würgte, wollte sie<br />

letztlich auch verhindern, dass sie gefasst und ihre Tat entdeckt würde.<br />

Zunächst stellt sich jedoch die Frage, ob das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht<br />

überhaupt mit einem lediglich bedingten Tötungsvorsatz<br />

vereinbar ist. Dagegen spricht, dass aufgrund des hohen Strafrahmens<br />

grundsätzlich eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale<br />

geboten ist. Jedoch fordert der Wortlaut lediglich die Absicht der Tötung<br />

und nicht der Verdeckung. Insofern kann ein Verdeckungsmord<br />

grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn der Tod „lediglich“ eine billigend<br />

in Kauf genommene Folge der zum Zweck der Verdeckung<br />

vorgenommenen Handlung ist. Somit schließt der lediglich bedingte<br />

Tötungsvorsatz die Verdeckungsabsicht nicht aus.<br />

Jedoch könnte die Tatsache, dass Angelika im Affekt bzw. aus Panik<br />

handelte, die Annahme einer Verdeckungsabsicht ausschließen. Dage-<br />

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gen spricht aber der besondere Schutzzweck der Tatbestandsalternative<br />

des Verdeckungsmordes. Dem erhöhten Tötungsanreiz muss zum<br />

Schutz des Opfers in solchen Situationen mit einer erhöhten Strafandrohung<br />

entgegengewirkt werden. Diesem Schutzzweck würde es gerade<br />

zuwiderlaufen, wenn sich ein Täter darauf berufen könnte, er sei<br />

wegen der (zu erwartenden) Reaktion des Opfers in Panik geraten.<br />

Demnach kann auch ein solcher Umstand nicht zum Ausschluss einer<br />

Verdeckungsabsicht führen. Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht<br />

ist daher vorliegend zu bejahen.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Angelika handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />

III. Ergebnis<br />

Angelika hat sich gemäß §§ 212, 211 StGB wegen eines Mordes<br />

strafbar gemacht.<br />

C. Gesamtergebnis<br />

Aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen stehen der Raub mit<br />

Todesfolge und der Mord in Tateinheit. Demnach hat sich Angelika<br />

gemäß §§ 212, 211, 249 I, 251, 52 StGB strafbar gemacht.<br />

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