BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000, BGHSt 46, 53 ... - unirep - HU Berlin

BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000, BGHSt 46, 53 ... - unirep - HU Berlin BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000, BGHSt 46, 53 ... - unirep - HU Berlin

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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin BGH, Beschluss vom 9. Mai 2000, BGHSt 46, 53 – Anwältin Sachverhalt: Bruno wird von der Rechtsanwältin Petra verteidigt. Ihm wird vorgeworfen, Anna körperlich misshandelt zu haben, um sie zur Prostitution zu zwingen. Nachdem Bruno auf Grund von Annas Aussagen in der ersten Instanz wegen versuchten Menschenhandelns u.a. verurteilt worden ist, erscheint Anna am nächsten Tag völlig unerwartet in Petras Kanzlei und äußert die Bereitschaft, ihre Aussage in der Berufungsinstanz dahingehend zu ändern, Bruno habe sie zwar geschlagen, aber nicht zur Prostitution zwingen wollen. Sie knüpft diese Bereitschaft aber daran, dass sie von Bruno wegen der Schläge ein „Schmerzensgeld“ bekäme. Daraufhin verhandelt Petra mit Annas Anwalt, welcher einen „Vertrag“ entwirft, in welchem sich Anna verpflichtet, ihre Aussage dahingehend zu „berichtigen“ und als „Gegenleistung“ hierfür Bruno 10.000 € Schmerzensgeld zu zahlen habe. Dieser Vertrag wird von Anna und Bruno unterzeichnet. In der Berufungshauptverhandlung sagt Anna entsprechend der Vereinbarung aus. Gleichwohl wird Bruno erneut wegen versuchten Menschenhandels verurteilt. Es kann nicht festgestellt werden, ob Anna in der ersten oder zweiten Instanz log. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Petra jedenfalls mit der Möglichkeit rechnete, dass Annas Aussage in der zweiten Instanz falsch war und von Bruno lediglich „erkauft“ wurde, dass sie dies jedoch in Kauf nahm, um einen entsprechenden Freispruch Brunos zu erreichen. Thema: § 258 StGB – Strafvereitelung durch Strafverteidiger Anmerkungen: Kudlich/Roy, JA 2001, 15; Martin, JuS 2000, 1124; Püschel, StraFo 2006, 261; Scheffler, JR 2001, 294; Steffen, NStZ 2001, 148; Vahle, Kriminalistik 2000, 797 Universitäts-Repetitorium der HU Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich und Dr. Knauer 1

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu <strong>Berlin</strong><br />

<strong>BGH</strong>, <strong>Beschluss</strong> <strong>vom</strong> <strong>9.</strong> <strong>Mai</strong> <strong>2000</strong>, <strong>BGH</strong>St <strong>46</strong>, <strong>53</strong> – Anwältin<br />

Sachverhalt: Bruno wird von der Rechtsanwältin Petra verteidigt.<br />

Ihm wird vorgeworfen, Anna körperlich misshandelt zu haben, um sie<br />

zur Prostitution zu zwingen. Nachdem Bruno auf Grund von Annas<br />

Aussagen in der ersten Instanz wegen versuchten Menschenhandelns<br />

u.a. verurteilt worden ist, erscheint Anna am nächsten Tag völlig unerwartet<br />

in Petras Kanzlei und äußert die Bereitschaft, ihre Aussage in<br />

der Berufungsinstanz dahingehend zu ändern, Bruno habe sie zwar<br />

geschlagen, aber nicht zur Prostitution zwingen wollen. Sie knüpft<br />

diese Bereitschaft aber daran, dass sie von Bruno wegen der Schläge<br />

ein „Schmerzensgeld“ bekäme. Daraufhin verhandelt Petra mit Annas<br />

Anwalt, welcher einen „Vertrag“ entwirft, in welchem sich Anna verpflichtet,<br />

ihre Aussage dahingehend zu „berichtigen“ und als „Gegenleistung“<br />

hierfür Bruno 10.000 € Schmerzensgeld zu zahlen habe. Dieser<br />

Vertrag wird von Anna und Bruno unterzeichnet. In der Berufungshauptverhandlung<br />

sagt Anna entsprechend der Vereinbarung<br />

aus. Gleichwohl wird Bruno erneut wegen versuchten Menschenhandels<br />

verurteilt.<br />

Es kann nicht festgestellt werden, ob Anna in der ersten oder zweiten<br />

Instanz log. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Petra jedenfalls mit<br />

der Möglichkeit rechnete, dass Annas Aussage in der zweiten Instanz<br />

falsch war und von Bruno lediglich „erkauft“ wurde, dass sie dies jedoch<br />

in Kauf nahm, um einen entsprechenden Freispruch Brunos zu<br />

erreichen.<br />

Thema: § 258 StGB – Strafvereitelung durch Strafverteidiger<br />

Anmerkungen: Kudlich/Roy, JA 2001, 15; Martin, JuS <strong>2000</strong>, 1124;<br />

Püschel, StraFo 2006, 261; Scheffler, JR 2001, 294; Steffen, NStZ<br />

2001, 148; Vahle, Kriminalistik <strong>2000</strong>, 797<br />

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Lösungsübersicht:<br />

Strafbarkeit Petras wegen versuchter Strafvereitelung, §§ 258 I,<br />

22 StGB<br />

I. Vorprüfung:<br />

1. Die Strafvereitelung wurde nicht vollendet, da Bruno auch<br />

in der zweiten Instanz wegen versuchten Menschenhandels<br />

verurteilt wurde. (+)<br />

2. Der Versuch der Strafvereitelung ist strafbar, § 258 IV<br />

StGB (+)<br />

II. Tatentschluss / Subjektiver Tatbestand<br />

a) Strafbare Vortat eines anderen<br />

aa) Tatbegünstigter: Ein anderer: Bruno (+)<br />

bb) Tatziel: Verhinderung der Bestrafung wegen einer<br />

rechtswidrigen Tat (vgl. § 11 I Nr. 5 StGB):<br />

versuchter Menschenhandel (+)<br />

b) Tathandlung: Vereiteln: Hierunter versteht man ein<br />

Verhalten welches bewirkt, dass der staatliche<br />

Strafanspruch ganz oder zum Teil, endgültig oder für<br />

geraume Zeit nicht durchgesetzt werden kann.<br />

Petra wollte Brunos Bestrafung wegen versuchten<br />

Menschenhandels ganz verhindern und nahm jedenfalls<br />

bedingt vorsätzlich in Kauf, dass Bruno diese Tat<br />

begangen hat.<br />

Problem: Strafvereitelung durch Strafverteidiger<br />

Grundsatz: Der Verteidiger darf alles tun, was in<br />

gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem<br />

Mandanten nützt. Er hat sich aber jeder aktiven<br />

Verdunkelung oder Verzerrung des Falles zu enthalten.<br />

Petra hat hier zwar aktiv an einem „Vergleich“ mitgewirkt,<br />

der zwischen Bruno und Anna geschlossen wurde.<br />

Sie hat diesen Vergleich, der die Abstandnahme Annas<br />

von ihrer früheren Aussage zum Inhalt hat, jedoch nicht<br />

aktiv angeregt. Ein solches Verhalten ist aber prozessual<br />

zulässig. (–)<br />

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Lösungsvorschlag:<br />

Strafbarkeit Petras wegen versuchter Strafvereitelung nach<br />

§§ 258 I, 22 StGB<br />

Petra könnte sich wegen einer versuchten Strafvereitelung strafbar<br />

gemacht haben, indem sie mit der Zeugin Anna eine Abmachung bezüglich<br />

der „Berichtigung“ ihrer Aussage gegen die Zahlung eines<br />

„Schmerzensgeldes“ aushandelte.<br />

I. Vorprüfung<br />

Bruno wurde auch in zweiter Instanz wegen versuchten Menschenhandels<br />

verurteilt, so dass die Strafvereitelung nicht vollendet ist.<br />

Die Versuchsstrafbarkeit der Strafvereitelung ergibt sich aus § 258 IV<br />

StGB.<br />

II. Tatbestand<br />

Petra müsste zudem Tatentschluss bezüglich der Begehung einer Strafvereitelung<br />

gefasst haben.<br />

a) Strafbare Vortat eines anderen<br />

Zunächst müsste sie um die strafbare Vortat eines anderen gewusst<br />

haben. Bruno ist ein anderer und somit tauglicher Tatbegünstigter.<br />

Auch liegt als Tatziel die Verhinderung der Bestrafung wegen einer<br />

rechtswidrigen Tat vor, also wegen des versuchten Menschenhandels,<br />

denn Petra rechnete zumindest bedingt vorsätzlich damit, dass Bruno<br />

die Anna tatsächlich zur Prostitution zwingen wollte.<br />

b) Vereiteln<br />

Zudem müsste Petra gewollt haben, die Bestrafung eines anderen zu<br />

vereiteln. Hierunter versteht man ein Verhalten, welches bewirkt, dass<br />

der staatliche Strafanspruch ganz oder zum Teil, endgültig oder für<br />

geraume Zeit nicht durchgesetzt werden kann. Durch ihr Verhalten<br />

wollte Petra dazu beitragen, dass Bruno hinsichtlich des Vorwurfes des<br />

versuchten Menschenhandels frei gesprochen wird, so dass ein<br />

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Tatentschlusses bezüglich einer teilweise endgültigen Vereitelung<br />

grundsätzlich gegeben sein könnte.<br />

Jedoch ist die Besonderheit zu beachten, dass Petra als<br />

Strafverteidigerin Brunos handelte. Als solche steht sie ständig in dem<br />

Spannungsfeld von zulässiger Strafverteidigung und unzulässiger<br />

Strafvereitelung. Dieser Problematik muss auch im Rahmen des § 258<br />

StGB Rechnung getragen werden, denn die Anwendung dieser<br />

Strafnorm darf einer effektiven Verteidigung nicht entgegenstehen und<br />

den Grundsatz „fair trial“ nicht verletzen. Es ist daher zunächst<br />

festzuhalten, dass der Verteidiger grundsätzlich alles tun darf, was in<br />

gesetzlich nicht zu beanstandender Weise seinem Mandanten nützt. Er<br />

hat sich aber jeder aktiven Verdunkelung oder Verzerrung des Falles zu<br />

enthalten.<br />

Fraglich ist daher, wie das Verhalten der Petra in diesem konkreten Fall<br />

einzuordnen ist. Zwar hat sie aktiv an dem „Vergleich“ mitgewirkt, der<br />

zwischen Bruno und Anna geschlossen wurde. Jedoch hatte sie diesen<br />

nicht aktiv angeregt. Ein solches Verhalten ist aber prozessual zulässig,<br />

sodass der Tatentschluss bezüglich einer Vereitelungshandlung nicht<br />

vorlag.<br />

III. Ergebnis<br />

Petra hat sich nicht wegen einer Strafvereitelung gemäß § 258 StGB<br />

strafbar gemacht.<br />

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