20.08.2013 Aufrufe

BGH, Urteil vom 5. Juli 1960, BGHSt 14, 386 – Spritztour ...

BGH, Urteil vom 5. Juli 1960, BGHSt 14, 386 – Spritztour ...

BGH, Urteil vom 5. Juli 1960, BGHSt 14, 386 – Spritztour ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> <strong>5.</strong> <strong>Juli</strong> <strong>1960</strong>, <strong>BGH</strong>St <strong>14</strong>, <strong>386</strong> <strong>–</strong> <strong>Spritztour</strong><br />

Sachverhalt: Anton ist in den frühen Morgenstunden zusammen mit<br />

Theo in dem von diesem gesteuerten Taxi unterwegs. Als sie sich auf<br />

einer Landstraße zwischen zwei Ortschaften befinden, teilt er Theo<br />

mit, er müsse austreten und bittet ihn daher, kurz anzuhalten. Als Anton<br />

zum Taxi zurückkehrt, zieht er plötzlich eine Gaspistole aus der<br />

Tasche und gibt zwei Schüsse auf den im Wagen sitzenden Theo ab.<br />

Ein Schuss trifft Theo ins Gesicht und zwingt ihn zum Verlassen des<br />

Autos. Anton bedroht Theo nun weiter mit der Pistole, setzt sich hinter<br />

das Steuer des Autos und fährt los. Er fährt einige Zeit umher, bis<br />

er seinen Heimatort erreicht. Dort stellt er sich freiwillig der Polizei<br />

und übergibt auch das Fahrzeug. Gegenüber der Polizei gibt er glaubhaft<br />

an, er habe von Anfang an nur eine „<strong>Spritztour</strong>“ mit dem Auto<br />

machen wollen. Wie hat Anton sich strafbar gemacht?<br />

Thema: Einführung zu § 253 StGB; Abgrenzung: Raub <strong>–</strong> Räuberische<br />

Erpressung<br />

Materialien: Arbeitsblätter BT Nr. 34, 26, Examinatorium Nr. 46<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Lösungsübersicht:<br />

A. Strafbarkeit wegen schweren Raubs, §§ 249 I, 250 II Nr. 1<br />

StGB<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Fremde, bewegliche Sache (+)<br />

b) Wegnahme (+)<br />

Problem: Beurteilungsmaßstab für die „Wegnahme“<br />

- Lit.: entscheidend ist, ob das Opfer freiwillig oder unfreiwillig<br />

verfügt hat (+)<br />

- <strong>BGH</strong>: entscheidend ist, ob nach dem äußeren Erscheinungsbild<br />

Weggabe oder Wegnahme stattfand (+)<br />

c) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (+)<br />

d) Finalzusammenhang (+)<br />

e) Qualifikationen des § 250 StGB (+)<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale (+)<br />

b) Zueignungsabsicht (<strong>–</strong>)<br />

II. Ergebnis<br />

B. Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung, §§ 253, 255 StGB<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (+)<br />

b) Nötigungserfolg<br />

Problem: Reicht die Erzwingung irgendeiner Handlung,<br />

Duldung oder Unterlassung aus oder ist eine Vermögensverfügung<br />

erforderlich?<br />

- Lit.: nur Vermögensverfügung erfüllt Tatbestand (<strong>–</strong>)<br />

- <strong>BGH</strong>: jedes abgenötigte Verhalten reicht aus (+)<br />

c) Kausalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und<br />

Nötigungserfolg (+)<br />

d) Vermögensnachteil (+)<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale (+)<br />

b) Bereicherungsabsicht (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

C. Strafbarkeit wegen schwerer räuberischer Erpressung, §§ 253,<br />

255, 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB (+)<br />

D. Strafbarkeit wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, §<br />

316a StGB<br />

Tatbestand<br />

Objektiver Tatbestand<br />

a) Angriff gegen Leib oder Leben bzw. Entschlussfreiheit<br />

des Führers eines Kfz oder Mitfahrers (+)<br />

b) Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs;<br />

hier: nicht nur verkehrsbedingter Halt (<strong>–</strong>)<br />

E. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223 I,<br />

224 I Nr. 2, 5 StGB (+)<br />

F. Strafbarkeit wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs,<br />

§ 248b StGB<br />

- liegt vor, tritt jedoch hinter der schweren räuberischen Erpressung<br />

zurück (gesetzliche Subsidiarität)<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Lösungsvorschlag:<br />

A. Strafbarkeit Antons wegen schweren Raubs, §§ 249 I, 250 II<br />

Nr. 1 StGB<br />

Indem Anton durch den Einsatz der Gaspistole in den Besitz von Theos<br />

Taxi gelangte, könnte er sich wegen eines schweren Raubs nach §§<br />

249 I, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

Der objektive und subjektive Tatbestand eines schweren Raubs müssten<br />

erfüllt sein.<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Fremde, bewegliche Sache<br />

Bei dem Auto handelte es sich um eine in Theos Eigentum stehende<br />

und damit für Anton fremde, bewegliche Sache.<br />

b) Wegnahme<br />

§ 249 I StGB fordert die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache,<br />

also einen Gewahrsamsbruch. Vorliegend erlangte Anton dadurch<br />

Gewahrsam am Auto, dass er Theo unter Einsatz der Gaspistole zum<br />

Aussteigen nötigte. Da somit auch eine Handlung Theos ursächlich für<br />

den Gewahrsamswechsel war, stellt sich die Frage, ob dies einer<br />

Wegnahme i.S.v. § 249 I StGB entgegenstehen könnte. Im Aussteigen<br />

Theos könnte möglicherweise auch eine bewusste Besitzüberlassung<br />

gesehen werden. Aufgeworfen wird damit das umstrittene Problem<br />

der Abgrenzung des Raubs von der räuberischen Erpressung.<br />

Die „Theorie der tatbestandlichen Exklusivität“ sieht in § 253 StGB<br />

ein Selbstschädigungsdelikt und in § 249 StGB ein Fremdschädigungsdelikt.<br />

Konsequenterweise wird daher für die Erpressung <strong>–</strong> im<br />

Gegensatz zum Raub <strong>–</strong> regelmäßig als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal<br />

gefordert, dass das Opfer eine (mehr order weniger) freiwil-<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

lige Vermögensverfügung vornimmt. Dies hat wiederum zur Folge,<br />

dass sich Raub und räuberische Erpressung gegenseitig ausschließen.<br />

Im vorliegenden Fall kann nun keine freiwillige Vermögensverfügung<br />

Theos angenommen werden, denn infolge der massiven Gewaltanwendung<br />

und Bedrohung seitens des Anton musste Theo um sein Leben<br />

fürchten und davon ausgehen, nur dann ohne weitere Schäden<br />

bzw. Verletzungen zu bleiben, wenn er Anton das Auto überlasse.<br />

Dies wiederum spricht gegen eine freiwillige Entscheidung, so dass <strong>–</strong><br />

aufgrund der Zwangslage Theos <strong>–</strong> im Ergebnis von einer Wegnahme<br />

durch Anton i.S.v. § 249 I StGB auszugehen ist.<br />

Die Gegenansicht der Rechtsprechung, die den Raub als lex specialis<br />

zur räuberischen Erpressung ansieht, grenzt beide Tatbestände nach<br />

dem äußeren Erscheinungsbild ab. Ein Raub liegt demnach vor, sobald<br />

der Täter sich die Sache nimmt. Eine räuberische Erpressung ist<br />

dagegen anzunehmen, wenn das Opfer dem Täter die Sache gibt. Vorliegend<br />

zwang Anton Theo zwar zum Verlassen des Wagens, jedoch<br />

nahm er diesen letztlich selbst in Besitz, indem er sich hinter das<br />

Steuer setzte und losfuhr. Somit lag auch nach dieser Auffassung eine<br />

Wegnahme vor. Da beide Ansichten im vorliegenden Fall zu dem selben<br />

Ergebnis kommen, ist eine Streitentscheidung entbehrlich.<br />

c) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel<br />

Anton hat das Taxi sowohl mittels Gewalt gegen Theo in Form der<br />

zwei Schüsse, als auch mittels Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr<br />

für Leib und Leben durch das Inaussichtstellen weiterer Schüsse<br />

weggenommen. Mithin kam es zur Anwendung der von § 249 I StGB<br />

vorgesehenen Nötigungsmittel.<br />

d) Finalzusammenhang<br />

Auch der erforderliche Finalzusammenhang ist zu bejahen, da Anton<br />

die von ihm für geeignet gehaltenen Mittel der Personengewalt und<br />

der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gerade<br />

dazu einsetzte, sich selbst Besitz an dem Auto zu verschaffen.<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

e) Qualifikationen des § 250 StGB<br />

Vorliegend führte Anton eine geladene und schussbereite Gaspistole<br />

bei sich. Diese stellt unstreitig eine Schusswaffe im technischen Sinne<br />

dar, denn auch eine geladene und schussbereite Gaspistole ist ein Gegenstand,<br />

der bereits objektiv dazu geeignet und dazu bestimmt ist,<br />

Menschen erhebliche Verletzungen beizubringen, beispielsweise<br />

durch die starke Druckwelle, die sich bei der Benutzung entfaltet.<br />

Waffen im technischen Sinne stellen zugleich auch einen Spezialfall<br />

gefährlicher Werkzeuge dar.<br />

Weiterhin müsste Anton die Gaspistole auch bei sich geführt haben.<br />

Dies ist der Fall, wenn dem Täter der Gegenstand bei der Tatbegehung<br />

zur Verfügung steht. Anton setzte die Gaspistole sogar ein, so dass ein<br />

Bei-Sich-Führen i.S.v. § 250 I Nr. 1a StGB zu bejahen ist.<br />

Zudem hat Anton auch die Qualifikation des § 250 II Nr. 1 StGB erfüllt,<br />

indem er die Schüsse auf Theo abgab und ihn mit der Pistole bedrohte.<br />

Hinter dem Qualifikationstatbestand des § 250 II Nr. 1 StGB<br />

tritt der des § 250 I Nr. 1a StGB regelmäßig zurück.<br />

Der objektive Tatbestand des schweren Raubs ist damit vollständig<br />

verwirklicht worden.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale<br />

In subjektiver Hinsicht handelte Anton vorsätzlich hinsichtlich aller<br />

objektiven Tatbestandsmerkmale einschließlich der ebenfalls verwirklichten<br />

Qualifikationstatbestände des § 250 StGB.<br />

b) Zueignungsabsicht<br />

Zusätzlich müsste er jedoch auch mit der Absicht der rechtswidrigen<br />

Zueignung gehandelt, d.h. sich eine eigentümerähnliche Verfügungsgewalt<br />

angemaßt und die fremde Sache oder den in ihr verkörperten<br />

Sachwert zumindest vorübergehend dem eigenen Vermögen einver-<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

leibt haben. Hier hat Anton jedoch den Wagen <strong>–</strong> wenn auch nicht an<br />

Theo, sondern an die Polizei <strong>–</strong> zurückgegeben. Auch entsprach die<br />

Rückgabe nach der <strong>Spritztour</strong> seinem ursprünglichen Plan, sodass im<br />

Ergebnis kein Vorsatz hinsichtlich einer dauerhaften Enteignung des<br />

Theo gegeben war, sondern vielmehr ein Rückführungswille vorlag.<br />

Auch kann man nicht auf die Zueignungsabsicht hinsichtlich des verbrauchten<br />

Benzins abstellen, weil die Existenz des § 248b StGB zeigt,<br />

dass der „Diebstahl am Benzin“ nicht unter § 242 StGB fällt, sondern<br />

von § 248b StGB mit umfasst ist. Damit war Antons Vorsatz auf eine<br />

bloße Gebrauchsanmaßung und nicht auf eine Enteignung gerichtet,<br />

sodass er ohne Zueignungsabsicht handelte.<br />

II. Ergebnis<br />

Mangels Zueignungsabsicht hat sich Anton folglich nicht wegen eines<br />

schweren Raubs strafbar gemacht.<br />

B. Strafbarkeit Antons wegen räuberischer Erpressung, §§ 253 I,<br />

255 StGB<br />

Durch die soeben geprüften Handlungen Antons könnte jedoch der<br />

Tatbestand einer räuberischen Erpressung nach §§ 253 I, 255 StGB<br />

erfüllt worden sein.<br />

I. Tatbestand<br />

Der Tatbestand müsste sowohl in objektiver, als auch in subjektiver<br />

Hinsicht vorliegen.<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel<br />

Wie bereits festgestellt, wendete Anton Personengewalt in Form der<br />

beiden gegen Theo gerichteten Schüsse an. Darüber hinaus drohte er<br />

Theo mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben, indem er in<br />

Aussicht stellte, weitere Schüsse auf Theo abgeben zu wollen.<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

a) Nötigungserfolg<br />

Der Erfolg einer Nötigungshandlung kann grundsätzlich in einer<br />

Handlung, Duldung oder Unterlassung seitens des Nötigungsopfers<br />

bestehen. Fraglich ist allerdings, ob derjenige, der den objektiven Tatbestand<br />

des Raubs verwirklicht hat, überhaupt noch den Tatbestand<br />

der räuberischen Erpressung erfüllen kann. Wie bereits festgestellt, hat<br />

vorliegend sowohl nach der Ansicht, welche auf die Entschlussfreiheit<br />

des Nötigungsopfers abstellt (Literatur), als auch nach der Ansicht,<br />

welche auf das äußere Erscheinungsbild der Tathandlung abstellt<br />

(<strong>BGH</strong>) eine Wegnahme seitens des Anton stattgefunden. Die Konsequenzen<br />

dieses Umstandes sind jedoch umstritten.<br />

Nach der bereits genannten „Theorie der tatbestandlichen Exklusivität“<br />

(Literatur) setzt eine Erpressung stets <strong>–</strong> als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal<br />

<strong>–</strong> eine freiwillige Vermögensverfügung des Nötigungsopfers<br />

voraus. Eine solche freiwillige Mitwirkungshandlung<br />

Theos lag hier jedoch nicht vor, da ihm der Wagen von Anton weggenommen<br />

wurde. Das Vorliegen einer Wegnahme bzw. das (daraus<br />

resultierende) Fehlen einer freiwilligen Vermögensverfügung führt<br />

regelmäßig dazu, dass die Annahme einer Erpressung bzw. räuberischen<br />

Erpressung von vornherein ausgeschlossen ist. Begründet wird<br />

dies mit dem Argument, dass es sich bei der Erpressung um ein Vermögensdelikt<br />

handele, welches vielfach über ähnliche Strukturelemente<br />

wie der Betrug verfüge. Da wiederum auch der Betrug eine bewusste<br />

und freiwillige Selbstschädigung voraussetze, könne für die<br />

Erpressung nichts anderes gelten. Folglich käme eine Strafbarkeit Antons<br />

nach §§ 253 I, 255 StGB hier grundsätzlich nicht in Betracht.<br />

Die entgegenstehende Ansicht (<strong>BGH</strong>) lässt als Nötigungserfolg im<br />

Rahmen der §§ 253 I, 255 StGB indes bereits jedes Handeln, Dulden<br />

oder Unterlassen ausreichen, welches sich vermögensmindernd auswirkt.<br />

Eine freiwillige Vermögensverfügung des Opfers in dem engen<br />

Sinne wie ihn die Literaturansicht fordert sei nicht erforderlich, zumal<br />

dies auch der Wortlaut des § 253 I StGB nicht hergebe. Eine Wegnahme<br />

i.S.v. § 249 I StGB stelle daher regelmäßig zugleich auch eine<br />

unfreiwillige Duldung der Wegnahme seitens des Nötigungsopfers<br />

dar. Dies führe zu der Konsequenz, dass der Raub als Spezialfall (Nö-<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

tigung zur unfreiwilligen Duldung der Wegnahme) der räuberischen<br />

Erpressung anzusehen sei, so dass eine solche regelmäßig als Auffangtatbestand<br />

in Betracht komme, wenn der Raub aus anderen Gründen<br />

(häufiger Fall: Fehlen der Zueignungsabsicht) abzulehnen ist.<br />

Hiernach wäre zu prüfen, ob Antons Handeln <strong>–</strong> nachdem ein schwerer<br />

Raub mangels Zueignungsabsicht abzulehnen war <strong>–</strong> den Tatbestand<br />

einer räuberischen Erpressung verwirklicht haben könnte. Da beide<br />

Ansichten hier zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, ist eine<br />

Streitentscheidung erforderlich.<br />

Für die Ansicht der Rechtsprechung spricht offensichtlich der Wortlaut<br />

des § 253 I StGB, der keine Vermögensverfügung verlangt, aber<br />

ausdrücklich die Variante des „Duldens“ kennt. Dem kann das systematische<br />

Argument der einheitlichen Struktur von Fremdschädigungsdelikten<br />

(Diebstahl und Raub) einerseits und Selbstschädigungsdelikten<br />

(Betrug und Erpressung) andererseits, welche eine Exklusivität<br />

der beiden Deliktsgruppen zueinander bedinge, entgegengehalten<br />

werden. Auch scheint der Ansicht der Rechtsprechung entgegenzustehen,<br />

dass hiernach die §§ 253, 255 StGB als lex generalis<br />

bezüglich des Strafrahmens auf den des § 249 I StGB als lex specialis<br />

verweisen würden. Zudem würde durch die Ansicht der Rechtsprechung<br />

die <strong>vom</strong> Gesetzgeber vorgesehene Privilegierung der<br />

Gebrauchsanmaßung umgangen.<br />

Für die von der Rechtsprechung vertretene Auffassung lässt sich ebenfalls<br />

ein systematisches Argument vorbringen: § 253 I StGB fordere<br />

eine Nötigung, die wie bei § 240 I StGB zu verstehen sei, so dass regelmäßig<br />

auch vis absoluta erfasst werden müsse. Würde man § 253 I<br />

StGB indes als Selbstschädigungsdelikt verstehen und damit ausschließlich<br />

eine freiwillige Vermögensverfügung zulassen, käme bei<br />

der Anwendung von vis absoluta eine Strafbarkeit nach § 253 I StGB<br />

allerdings nie in Betracht. Gegen eine solche Konsequenz spricht aber<br />

neben dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung auch, dass sonst<br />

der brutale bzw. mittels direkt ausgeübter Gewalt vorgehende Täter<br />

privilegiert würde. Außerdem kann auch der Vergleich des § 253<br />

StGB mit § 263 StGB nicht vollständig überzeugen, weil das Opfer<br />

jeweils einer grundsätzlich anderen Situation ausgesetzt ist. Während<br />

nämlich bei einer Erpressung der Vermögensnachteil immer auf einer<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Zwangssituation des Opfers basiert, ist dies beim Betrug lediglich infolge<br />

einer Täuschung der Fall. Da es letztlich auch nur die Ansicht<br />

der Rechtsprechung vermag, einen lückenlosen Rechtsschutz zu gewährleisten,<br />

und diese auch deutlicher dem Wortlaut des § 253 I StGB<br />

entspricht als die Gegenansicht, ist ihr im Ergebnis zu folgen. Daher<br />

genügt für die Annahme einer (räuberischen) Erpressung jedes Verhalten<br />

von der aktiven Mitwirkung bis zur passiven Duldung, sofern<br />

es dem Täter die Herbeiführung eines Vermögensnachteils ermöglicht.<br />

Folglich hat Anton dem Theo hier ein dem Tatbestand der §§ 253 I,<br />

255 StGB genügendes Opferverhalten, nämlich die Duldung der<br />

Wegnahme des Autos, abgenötigt.<br />

c) Kausalzusammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg<br />

Die Duldung der Wegnahme des Autos hat Anton gerade durch die<br />

Gewaltanwendung sowie die Bedrohung Theos herbeigeführt. Die von<br />

Anton eingesetzten qualifizierten Nötigungsmittel waren damit auch<br />

kausal für die Duldung der Wegnahme durch Theo.<br />

d) Vermögensnachteil<br />

Da auch der Besitz am Fahrzeug Bestandteil des Vermögens ist, hat<br />

Anton dem Theo einen Vermögensnachteil in Form der rechtswidrigen<br />

Besitzentziehung zugefügt. Der objektive Tatbestand der räuberischen<br />

Erpressung ist somit erfüllt.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven Tatbestandsmerkmale<br />

Anton handelte vorsätzlich hinsichtlich der Verwirklichung der objektiven<br />

Tatbestandsmerkmale der §§ 253 I, 255 StGB.<br />

b) Bereicherungsabsicht<br />

Zudem ist die Absicht stoffgleicher Eigenbereicherung aufgrund der<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Besitzerlangung Antons zu bejahen. Diese Bereicherung stand Anton<br />

nicht zu und war folglich rechtswidrig, was Anton auch wusste und<br />

wollte.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Rechtfertigungsgründe für Antons Verhalten liegen nicht vor. Nach §<br />

253 II StGB muss jedoch zusätzlich die Zweck-Mittel-Relation als<br />

verwerflich anzusehen, d. h. die Nötigung sittlich missbilligenswert<br />

und sozial unerträglich sein. Allerdings erübrigt sich diese Prüfung im<br />

Fall von § 255 StGB da hier bereits der Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel<br />

deren rechtliche Missbilligung impliziert. Der gesonderten<br />

Feststellung der Verwerflichkeit des Verhaltens Antons zur Begründung<br />

der Rechtswidrigkeit bedarf es daher vorliegend nicht. Anton<br />

handelte zudem auch schuldhaft.<br />

IV. Ergebnis<br />

Anton hat sich mithin wegen räuberischer Erpressung zum Nachteil<br />

Theos nach §§ 253 I, 255 StGB strafbar gemacht.<br />

C. Strafbarkeit Antons wegen schwerer räuberischer Erpressung,<br />

§§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 StGB<br />

Wegen der in § 255 StGB angeordneten Bestrafung „gleich einem<br />

Räuber” sind auch die Qualifikationstatbestände des Raubs zu prüfen.<br />

Diesbezüglich wurde bereits festgestellt, dass die Gaspistole eine<br />

Waffe im technischen Sinn darstellt. Diese hat Anton hier nicht nur<br />

vorsätzlich bei sich geführt, sondern sogar, durch das Abfeuern der<br />

Schüsse auf Theo und die anschließende Bedrohung, verwendet, sodass<br />

er im Ergebnis nicht nur wegen einer einfachen, sondern sogar<br />

wegen einer schweren räuberischen Erpressung nach §§ 253 I, 255,<br />

250 II Nr. 1 StGB zu bestrafen ist.<br />

D. Strafbarkeit Antons wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer,<br />

§ 316a I StGB<br />

Antons Verhalten könnte zudem auch einen räuberischen Angriff auf<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Kraftfahrer nach § 316a I StGB dargestellt haben.<br />

I. Tatbestand<br />

Der Tatbestand des § 316a I StGB müsste in objektiver und subjektiver<br />

Hinsicht vorliegen.<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Angriff gegen Leib oder Leben bzw. Entschlussfreiheit des Führers<br />

eines Kfz oder Mitfahrers<br />

Einen Angriff verübt, wer in feindseliger Willensrichtung auf den<br />

Körper eines anderen einwirkt oder aber dessen Entschlussfreiheit beeinträchtigt.<br />

Durch das Abfeuern zweier Schüsse und das Bedrohen mit der Gaspistole<br />

hat Anton einen Angriff auf die Entschlussfreiheit und die körperliche<br />

Unversehrtheit Theos verübt, denn hierdurch hat er diesen<br />

zum Ver- und Überlassen des Autos gezwungen. Theo war zu diesem<br />

Zeitpunkt auch ein taugliches Tatsubjekt, da er derjenige war, der das<br />

Auto führte.<br />

b) Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

Fraglich ist allein, ob der Angriff auch „unter Ausnutzung der besonderen<br />

Verhältnisse des Straßenverkehrs“ geschehen ist. Erforderlich<br />

ist, dass der Kraftfahrer durch die Teilnahme am Straßenverkehr so<br />

beansprucht war, dass er sich dem Angriff gar nicht oder nur eingeschränkt<br />

zur Wehr setzen konnte. Das Ausnutzens des bloßen Alleinseins<br />

des Kraftfahrers in dem Fahrzeug oder die Abgelegenheit des<br />

Tatorts (z.B. Parkplatz) genügen dafür allerdings nicht. Vorliegend ist<br />

davon auszugehen, dass Theo nicht mehr damit beschäftigt war, auf<br />

den folgenden Verkehr zu achten. Insofern bestand kein enger räumlich-zeitlicher<br />

Zusammenhang mit dem Vorgang des Fahrzeugführens,<br />

so dass eine Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

durch Anton abgelehnt werden muss.<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Mithin hat sich Anton nicht wegen eines räuberischen Angriffs auf<br />

Kraftfahrer nach § 316a I StGB strafbar gemacht.<br />

E. Strafbarkeit Antons wegen gefährlicher Körperverletzung, §§<br />

223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB<br />

Dadurch, dass einer von Antons Schüssen Theo im Gesicht traf,<br />

kommt schließlich eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB in Betracht. In der Schussverletzung<br />

ist sowohl eine körperliche Misshandlung zu sehen, d.h. eine<br />

üble unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlergehen<br />

mehr als nur unerheblich beeinträchtigt, als auch eine Gesundheitsschädigung,<br />

d.h. ein pathologischer (krankhafter) Zustand. Die Körperverletzung<br />

wurde zudem mittels einer Waffe i.S.d. Qualifikation<br />

des § 224 I Nr. 2 StGB begangen. Weiterhin erfüllten die Schüsse auf<br />

Theo auch die Qualifikation des § 224 I Nr. 5 StGB, denn auch bei<br />

einer Gaspistole stellt die Abgabe von Schüssen aus nächster Nähe<br />

und auf besonders empfindliche Körperteile <strong>–</strong> hier Theos Kopf <strong>–</strong> eine<br />

konkret lebensgefährdende Behandlung dar. Da Anton auch hierbei<br />

vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte, hat er sich zudem<br />

einer gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5<br />

StGB strafbar gemacht.<br />

F. Strafbarkeit wegen eines unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs,<br />

§ 248b StGB<br />

Vorliegend hat Anton das Auto Theos in Gebrauch genommen, indem<br />

er mit diesem wegfuhr. Dies geschah hier auch gegen Theos Willen.<br />

Da Anton auch hierbei vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte,<br />

wurde § 248b StGB vollständig erfüllt. Insbesondere bedurfte es<br />

hierzu gerade keiner Zueignungsabsicht hinsichtlich des Autos.<br />

Fraglich ist allein, ob hier die in § 248b I StGB geregelte Subsidiaritätsklausel<br />

zur Anwendung gelangt und die Ingebrauchnahme des<br />

Fahrzeugs gegenüber einem anderen Delikt, welches dieselbe Tat mit<br />

schwererer Strafe bedroht, zurücktreten lässt. Dies ist hier der Fall,<br />

denn die unbefugte Ingebrauchnahme fällt zeitlich mit der Gewaltan-<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich


Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

wendung im Rahmen der schweren räuberischen Erpressung zusammen.<br />

Die Tat Antons wird vorliegend also bereits von einem anderen<br />

Delikt (§§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 StGB) erfasst, welches eine höhere<br />

Mindeststrafe (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) vorsieht als §<br />

248b StGB (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren). Im Ergebnis<br />

tritt § 248b StGB also hinter der schweren räuberische Erpressung<br />

zurück.<br />

Im Übrigen handelt es sich beim unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs<br />

gemäß § 248b III StGB um ein absolutes Antragsdelikt. Hiernach<br />

wäre also ein entsprechender Strafantrag Theos erforderlich gewesen.<br />

G. Gesamtergebnis<br />

Anton hat sich durch sein Handeln wegen schwerer räuberischer Erpressung<br />

gemäß §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 StGB und wegen einer<br />

gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB<br />

strafbar gemacht. Die Delikte stehen dabei zueinander in Tateinheit<br />

gemäß § 52 StGB.<br />

Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!