Lösung POR - unirep
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- Klage gegen den Kostenbescheid:<br />
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<strong>Lösung</strong>svorschlag:<br />
Die Klage gegen den Kostenbescheid hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.<br />
A. Die Klage muss zulässig sein.<br />
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.<br />
II. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage.<br />
III. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen sind gegeben. Der Widerspruch<br />
gegen den Kostenbescheid ist rechtzeitig. Die Klagefrist von einem Monat ist<br />
eingehalten (§ 74 VwGO). Richtiger Beklagter ist das Land Berlin (§ 78 VwGO).<br />
IV. Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen liegen gleichfalls vor.<br />
V. Die Klage ist zulässig.<br />
B. Fraglich ist, ob die Klage auch begründet ist.<br />
Die Klage ist begründet, wenn der Kostenbescheid rechtswidrig und Claudine Grünh<br />
dadurch in ihren eigenen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.<br />
I. Fraglich ist zunächst, ob der Kostenbescheid rechtmäßig ist.<br />
1. Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid könnte § 15 ASOG oder § 5a S. 1 VwVfG<br />
Bln. i. V. m. § 19 I VwVG sein.<br />
Die Anwendbarkeit ergibt sich nicht aus dem Sachgebiet, im Anwendungsbereich des ASOG<br />
ist § 15 ASOG daher nicht lex specialis. Abzugrenzen ist nach dem Kriterium des<br />
Willensbruchs. Das VwVG hat die Verwaltungsvollstreckung zum Gegenstand. Diese ist<br />
darauf gerichtet, eine öffentlich-rechtliche Pflicht gegen den Willen des Betroffenen durch<br />
Zwang durchzusetzen. Daraus folgt, dass das VwVG und damit auch dessen § 6 II nicht<br />
anwendbar ist, wenn kein Wille gebrochen werde, der durch VA gebotenen Maßnahme Folge<br />
zu leisten.<br />
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Hier liegt ein VA vor, dem Claudine Grünh nicht Folge leisten will. Dieser dem VA<br />
entgegenstehende Wille wird vorliegend durch die Maßnahme der Behörde „gebrochen“.<br />
Somit ist § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG anwendbare Rechtsgrundlage.<br />
2. Der Kostenbescheid muss formell rechtmäßig sein.<br />
a. Zuständig für den Erlass des Kostenbescheids ist die Behörde, die die Vollstreckung<br />
durchgeführt hat. Dies ist das Bezirksamt von Prenzlauer Berg, Weißensee und<br />
Pankow zu Berlin.<br />
b. Der Kostenbescheid muss auch verfahrensgemäß erlassen worden sein.<br />
Vorliegend hat keine Anhörung gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 28 I VwVfG<br />
stattgefunden.<br />
Fraglich ist, ob diese gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 28 II Nr. 5 VwVfG entbehrlich<br />
war. Dafür müsste es sich bei der Kostenanforderung um eine Maßnahme „in“ der<br />
Verwaltungsvollstreckung handeln.<br />
[OVG Berlin:] Dafür spricht, dass die Kostenanforderung als Bestandteil des<br />
Verwaltungsvollstreckungsverfahrens geregelt ist (vgl. § 19 I VwVG).<br />
[h. M.:] Dagegen spricht, dass zum Zeitpunkt der Kostenanforderung die<br />
Vollstreckung bereits durchgeführt worden ist.<br />
Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da die Anhörung im<br />
verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt wird und jedenfalls gemäß § 1 I<br />
VwVfG Bln. i. V. m. § 45 I Nr. 3 VwVfG Heilung eintritt.<br />
Damit wurde der Bescheid auch verfahrensgemäß erlassen.<br />
c. Die Form wurde eingehalten.<br />
d. Damit ist der Kostenbescheid formell rechtmäßig.<br />
3. Fraglich ist, ob der Kostenbescheid auch materiell rechtmäßig ist.<br />
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a. Zunächst müssen die Voraussetzungen des § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I<br />
VwVG erfüllt sein.<br />
aa. Nach § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG dürfen Kosten nur „nach diesem<br />
Gesetz“ erhoben werden. Eine Amtshandlung ist nur „nach diesem Gesetz“, also<br />
gesetzmäßig, wenn sie rechtmäßig ist. Ferner verweist § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m.<br />
§ 19 I VwVG auf § 346 I AO. Danach sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der<br />
Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Wäre es folglich richtig gewesen,<br />
die Ersatzvornahme der Abrissverfügung nicht vorzunehmen, dürften auch die Kosten<br />
hierfür nicht verlangt werden. Daraus ergibt sich, dass die Ersatzvornahme des<br />
Abrisses der Villa rechtmäßig gewesen sein muss.<br />
(1.) Rechtsgrundlage für die Ersatzvornahme des Abrisses ist § 5a S. 1 VwVfG<br />
Bln. i. V. m. §§ 6 I, 9 I Nr. 1a), 10 VwVG.<br />
(2.) Die Ersatzvornahme muss formell rechtmäßig gewesen sein.<br />
(a.) Zuständig für die Durchführung der Ersatzvornahme ist gemäß § 5a S. 1<br />
VwVfG Bln. i. V. m. §§ 7 I, 19 I VwVG die Behörde, die den zu vollstreckenden<br />
Verwaltungsakt erlassen hat. Die Abrissverfügung wurde vom Bezirksamt von<br />
Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow zu Berlin erlassen, das deshalb<br />
auch für die Ersatzvornahme zuständig war.<br />
(b.) Weiterhin muss die Ersatzvornahme verfahrensgemäß durchgeführt worden<br />
sein.<br />
(aa.) Nach § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 I 1 VwVG muss die Ersatzvornahme<br />
angedroht worden sein. [Teilweise werden Androhung, Festsetzung und<br />
Anwendung auch als materielle Voraussetzungen geprüft. Genau genommen<br />
haben sie formelle und materielle Doppelfunktion.]<br />
Vorliegend wurde gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 I 1, III 1 VwVG ein<br />
bestimmtes Zwangsmittel, nämlich die Ersatzvornahme, angedroht.<br />
Mit der vierzehntägigen Frist wurde aufgrund der Gefahren, die bei fehlender<br />
Standsicherheit einer - wie vorliegend - durch häufigen öffentlichen<br />
Publikumsverkehr frequentierten Villa bestehen, gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i.<br />
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V. m. 13 I 2 VwVG auch eine billige Frist zur Vornahme des Abrisse<br />
bestimmt.<br />
Die Androhung wurde mit der Abrissverfügung verbunden, was gemäß § 5a S.<br />
1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 II 2 VwVG gesetzlich intendiert ist.<br />
Auch die vorläufigen Kosten der Ersatzvornahme wurden gemäß § 5a S. 1<br />
VwVfG Bln. i. V. m. 13 IV 1 VwVG angegeben, nämlich mit 7.000 €.<br />
Ferner wurde die Abrissverfügung und damit die mit ihr verbundene<br />
Androhung zugestellt, wie von § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 VII VwVG<br />
gefordert.<br />
Damit erfolgte die Androhung ordnungsgemäß.<br />
(bb.) Ferner hat die Behörde das Zwangsmittel, nämlich die Ersatzvornahme, am 2.<br />
November 2010 gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 14 S. 1 VwVG<br />
festgesetzt.<br />
(cc.) Schließlich hat sie das Zwangsmittel der Festsetzung entsprechend<br />
angewendet, indem sie das Abrissunternehmen beauftragte, welches den<br />
Abriss vornahm.<br />
(dd.) Mithin erfolgte die Vollstreckung verfahrensgemäß.<br />
(c.) Die Vollstreckung ist also formell rechtmäßig.<br />
(3.) Die Ersatzvornahme muss darüber hinaus auch materiell rechtmäßig sein.<br />
(a.) Laut § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I VwVG muss es sich bei der zu<br />
vollstreckenden Abrissverfügung um einen wirksamen Verwaltungsakt<br />
gehandelt haben.<br />
Dieser dürfte mithin nicht nichtig gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 44 VwVfG<br />
sein.<br />
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Ein Nichtigkeitsgrund nach gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 44 II VwVfG ist<br />
nicht gegeben. Fraglich aber ist, ob die Abrissverfügung gemäß § 1 I VwVfG<br />
Bln. i. V. m. § 44 I VwVfG an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet<br />
und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände<br />
offensichtlich ist.<br />
Dies ist nur dann der Fall, wenn sich die Rechtwidrigkeit des<br />
Verwaltungsaktes selbst einem juristischen Laien aufdrängt.<br />
Rechtsgrundlage für den Abriss der Villa ist die baurechtliche<br />
Ordnungsverfügung gemäß § 58 I 2 BauO Bln. Formelle Fehler sind nicht<br />
ersichtlich. Materiellrechtlich hält die Villa die Vorschrift über die<br />
Standsicherheit nicht ein, § 12 I 1 VwVfG. Problematisch ist vorliegend allein,<br />
ob der Abriss erforderlich ist. Sollte die Standsicherheit nicht wieder<br />
herzustellen sein, wäre dies aufgrund der häufigen Veranstaltungen in der<br />
Villa und der Gefährdung des Leib und Lebens insbesondere von jungen<br />
Menschen vorliegend der Fall. Darüber, ob die Standsicherheit der Villa aber<br />
durch eine Renovierung wiederhergestellt werden kann, liegen<br />
widersprüchliche Sachverständigengutachten von verschiedenen geeigneten<br />
Sachverständigen vor. Da das Vorliegen oder Fehlen der Erforderlichkeit des<br />
Abrisses daher nicht einmal unter Fachleuten unumstritten ist, drängt sich die<br />
fehlende Erforderlichkeit des Abrisses jedenfalls nicht auf.<br />
Die Abrissverfügung ist damit nicht nichtig. Sie ist wirksam.<br />
(b.) Ferner muss gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I VwVG der sofortige<br />
Vollzug des Abrisses der Villa angeordnet worden sein.<br />
Die vorliegend erfolgte Anordnung des sofortigen Vollzugs muss demnach<br />
(nur) formell ordnungsgemäß erfolgt sein.<br />
(aa.) Gemäß § 80 II Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung der sofortigen Vollziehung<br />
die Behörde zuständig, die den Verwaltungsakt erlässt. Dies ist vorliegend<br />
geschehen.<br />
(bb.) Nach § 80 II Nr. 4, III 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen<br />
Vollziehung der Abrissverfügung schriftlich zu begründen. Notwendig ist<br />
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dabei im Rahmen der Prüfung der formell ordnungsgemäß erfolgten<br />
Anordnung nicht, dass die Begründung inhaltlich richtig ist, sondern dass sie<br />
nicht lediglich das Interesse am Erlass der Abrissverfügung selbst wiederholt<br />
und sie für sich genommen plausibel ist.<br />
Vorliegend wird die sofortige Vollziehung damit begründet, dass der Abriss<br />
wegen der zahlreichen Veranstaltungen in der Villa keinen Aufschub dulde.<br />
Dies ist nachvollziehbar und geht über das formulierte Abrissinteresse hinaus,<br />
dass in der Baufälligkeit liegt.<br />
Demzufolge wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Abrissverfügung formell<br />
ordnungsgemäß begründet.<br />
(cc.) Die sofortige Vollziehbarkeit der Abrissverfügung wurde mithin formell<br />
ordnungsgemäß angeordnet.<br />
(c.) Fraglich ist, ob die zu vollstreckende Abrissverfügung auch rechtmäßig<br />
gewesen sein muss.<br />
[m. M.:] Dafür sprechen Gründe des effektiven Rechtsschutzes und der<br />
materiellen Gerechtigkeit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art.20 III,<br />
28 I GG). Würde die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids (vorliegend: der<br />
Abrissverfügung) bei der gerichtlichen Überprüfung des<br />
Vollstreckungskostenbescheids nicht geprüft, fände die Kostenforderung im<br />
Leistungsbescheid einen Rechtsgrund, der die behördlich auferlegte<br />
Zahlungspflicht und die auf ihr basierende Vermögensverschiebung ohne jede<br />
Rücksicht auf die mögliche Rechtswidrigkeit der vollstreckten Grundverfügung,<br />
deren Kosten angefordert werden, rechtfertigt.<br />
[h. M.:] Allerdings fordert der Wortlaut des § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I<br />
VwVG gerade nicht, dass die Grundverfügung rechtmäßig sein muss, sondern<br />
lediglich deren sofortige Vollziehbarkeit. Sinn und Zweck des<br />
Vollstreckungsverfahrens ist eine möglichst effektive Durchsetzung von<br />
Verwaltungsakten im Interesse der Allgemeinheit. Zudem sieht die gesetzliche<br />
Konzeption vor, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte wirksam sind (vgl. §<br />
1 I VwVfG Bln. i. V. m. §§ 43, 44 VwVfG) und daher Titelfunktion entfalten<br />
können. Die §§ 43, 44 VwVfG und § 6 I VwVG führen eine materielle<br />
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Präklusion der Einwände gegen den Grundverwaltungsakt im Rahmen der<br />
Überprüfung des Kostenbescheids herbei.<br />
Dies ist unter Rechtsschutzaspekten unbedenklich, da der Bürger gegen die<br />
Vollstreckung mit Antrag nach § 80 V VwGO vorgehen kann. Ferner besteht<br />
die Möglichkeit, gegen die Grundverfügung innerhalb der Fristen der §§ 70<br />
und 74 VwGO vorzugehen. Dort wird dann die Rechtmäßigkeit der<br />
Grundverfügung geprüft. Dem effektiven Rechtsschutz und der materiellen<br />
Gerechtigkeit wird hierdurch genüge getan. Dass der Bürger die Fristen der §§<br />
70, 74 VwGO einhalten muss, dient dabei dem Interesse der Allgemeinheit an<br />
Rechtssicherheit, die ebenfalls Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art.<br />
20 III, 28 I GG ist. Art. 19 IV GG fordert zudem effektiven, aber nicht den<br />
effektivsten Rechtsschutz.<br />
Hält der Bürger - wie Claudine Grünh - die Fristen der §§ 70, 74 VwGO nicht<br />
ein, so begibt er sich seines ihm gewährleisteten Rechtsschutzes in eigener<br />
Verantwortung und muss mit dessen Vollstreckung rechnen.<br />
Die Rechtmäßigkeit der Abrissverfügung ist demnach nicht zu prüfen.<br />
(d.) Weiterhin müsste die Ersatzvornahme gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm § 10<br />
VwVG auch das richtige Zwangsmittel gewesen sein.<br />
(aa.) Bei dem gebotenen Abriss der Villa handelt es sich um eine vertretbare<br />
Handlung, da der Abriss keine höchstpersönliche Handlung darstellt und<br />
durch Dritte vorgenommen werden kann.<br />
(bb.) Auch ist die Ersatzvornahme nicht untunlich (vgl. § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm<br />
§ 11 I 2 VwVG). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass<br />
Claudine Grünh nicht der Lage sein wird, die Kosten der Ersatzvornahme zu<br />
tragen, da sie reiche Erbin ist.<br />
(cc.) Die Ersatzvornahme steht gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm § 9 II auch in<br />
angemessenem Verhältnis zum Zweck der Abrissverfügung, der in der<br />
Verhinderung eines unkontrollierten Einsturzes der Villa und damit der Rettung<br />
von Leib und Leben von Menschen dient.<br />
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(dd.) Damit ist die Ersatzvornahme das richtige Zwangsmittel.<br />
(e.) Als diejenige, die die Leistung des Abrisses selbst schuldet, ist Claudine<br />
Grünh auch richtige Adressatin der Vollstreckungsmaßnahme (§ 5a S. 1<br />
VwVfG Bln. i. V. m § 2 I a) VwVG).<br />
(f.) Damit ist die Ersatzvornahme materiell rechtmäßig.<br />
(3.) Die Vollstreckung ist rechtmäßig.<br />
bb. Die Kostentragungspflicht der Claudine Grünh richtet sich nach § 5a S. 1 VwVfG<br />
Bln. i. V. m. § 19 VwVG iVm § 337 I 2 AO. Danach werden die Kosten vom<br />
Vollstreckungsschuldner erhoben. Das ist Claudine Grünh (§ 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V.<br />
m. § 2 I lit. a VwVG).<br />
cc. Die Höhe der angeforderten Kosten entspricht ferner den tatsächlich angefallenen<br />
Kosten von 15.000 €.<br />
Dass diese Kosten unvorhergesehener Weise die in der Abrissverfügung für die<br />
Ersatzvornahme veranschlagten Kosten von 7.000 € deutlich übersteigen, schadet<br />
gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 13 IV 2 VwVG nicht. Etwas anderes könnte<br />
aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III, 28 I GG) in seiner Ausprägung als<br />
Vertrauensschutzgebot höchstens dann gelten, wenn die Behörde bewusst falsche<br />
Angaben über die Höhe der Kosten der Ersatzvornahme gemacht hätte. Dies ist<br />
vorliegend nicht der Fall, da die Tatsache des Vorliegens von radioaktiven Altlasten<br />
auf dem Grundstück der Villa der Claudine Grünh zum Zeitpunkt des Erlasses der<br />
Abrissverfügung nicht bekannt war.<br />
dd. Bezüglich der Art der Kosten bestehen keine Bedenken. § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V.<br />
m. § 19 I VwVG i. V. m. §§ 337 I 1, 344 I Nr. 8 AAO werden Kosten erhoben,<br />
worunter Auslagen an Dritte - vorliegend: die Zahlung des Werklohnes an die<br />
Hauruck GbR - fallen.<br />
ee. Mithin liegen die Voraussetzungen für die Kostenanforderung vor.<br />
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b. § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG sieht auf Rechtsfolgenseite eine<br />
gebundene Entscheidung vor. Ein behördliches Ermessen besteht dem Wortlaut nach<br />
daher nicht.<br />
Gleichwohl muss von der Behörde in verfassungskonformer Auslegung von der<br />
Anforderung der Vollstreckungskosten abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall<br />
unverhältnismäßig ist.<br />
Gründe hierfür sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere steht der<br />
Kostenanforderung - mit den Argumenten von oben - nicht die mögliche<br />
Rechtswidrigkeit der Abrissverfügung entgegen.<br />
Mit der Kostenanforderung hat die Behörde daher die richtige Rechtsfolge<br />
vorgesehen.<br />
3. Der Kostenbescheid ist rechtmäßig.<br />
II. Die Klage gegen den Kostenbescheid ist mithin unbegründet.<br />
C. Die Klage gegen den Kostenbescheid hat keinen Erfolg.<br />
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Aufgabe b) [Vgl. BVerfG, B. v. 29.07.2010 - 1 BvR 1634/04 - zit. n. juris.]<br />
Fraglich ist, ob die Klage gegen den Kotenbescheid begründet ist.<br />
Die Klage gegen den Kostenbescheid ist begründet, wenn der Kostenbescheid rechtswidrig<br />
ist und Claudine Grünh hierdurch in eigenen Rechten verletzt wird, § 113 I 1 VwGO.<br />
I. Fraglich ist, ob der Kostenbescheid rechtmäßig ist.<br />
1. Rechtsgrundlage für die Kostenerhebung sind §§ 14 I, 3 I VerwKG Bln. i. V. m. § 1 I<br />
GebVO Bln.<br />
2. Der Kostenbescheid ist formell rechtmäßig. Da die berliner Polizei handelte, ist der<br />
Polizeipräsident zu Berlin für die Kostenanforderung zuständig (vgl. § 14 I VerwKG<br />
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Bln.). Das Fehlen der Anhörung wird im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt (s.<br />
o.), weshalb das Verfahren ordnungsgemäß ist. Formfehler sind nicht ersichtlich.<br />
3. Fraglich ist der Kostenbescheid materiell rechtmäßig ist.<br />
a. Dazu müssen zunächst die Voraussetzungen zum Erlass des Kostenbescheides<br />
vorliegen.<br />
aa. Claudine Grünh ist als diejenige, die in Gewahrsam genommen wurde und mit dem<br />
Polizeiwagen befördert wurde, Kostenschuldnerin (vgl. § 14 I VerwKG Bln. i. V. m. §<br />
1 I, Anlage Nrn. 67.1, 67.2 GebVO Bln.).<br />
bb. Art und Höhe der Kosten entsprechen den gesetzlichen Vorgaben der Anlage Nrn.<br />
67.1, 67.2 GebVO Bln. (40 € + 2 * 20 € = 80 €).<br />
cc. Gemäß § 11 VerwKG Bln. sind Kosten, die dadurch entstanden sind, dass die<br />
Behörde die Sache unrichtig behandelt hat, zu erlassen. Voraussetzung für die<br />
Anforderung der Kosten der Ingewahrsamnahme ist es daher, dass die<br />
Ingewahrsamnahme rechtmäßig war.<br />
Fraglich ist allerdings, ob die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme<br />
vom diesem Gericht und zu diesem Zeitpunkt vorgenommen werden darf. Nach § 31<br />
II, III 1 ASOG fällt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in<br />
die Zuständigkeit des Amtsgerichts Tiergarten und ist innerhalb eines Monats nach<br />
Beendigung der Freiheitsentziehung zu beantragen. Vorliegend entscheidet jedoch<br />
zum einen das Verwaltungsgericht Berlin und dies zum anderen mehr als sieben<br />
Monate nach Beendigung der Ingewahrsamnahme.<br />
[m. M.:] Neben dem Wortlaut des § 31 II, III 1 ASOG spricht gegen die Zuständigkeit<br />
des Verwaltungsgerichts zur Inzidentkontrolle der Rechtmäßigkeit der<br />
Ingewahrsamnahme, dass der Gesetzgeber die Feststellung der Rechtswidrigkeit der<br />
Ingewahrsamnahme dem Amtsgericht deshalb zugewiesen hat, da dieses sach- und<br />
ortsnäher ist. Zudem könnte es zu Problemen kommen, wenn zwei unterschiedliche<br />
Gerichte aufgrund des selben Sachverhalts entscheiden könnten. Der Bürger hat<br />
weiterhin die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen die Ingewahrsamnahme zu erlangen.<br />
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[h. M.:] Allerdings ist vorliegend bei der Auslegung neben § 31 II, III 1 ASOG auch die<br />
Vorschrift des § 83 VwGO i. V. m. § 17 II 1 GVG zu beachten. Danach gilt der<br />
Grundsatz, dass das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen<br />
rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Dies bedeutet, dass das Gericht des<br />
zulässigen Rechtswegs auch rechtswegfremde, entscheidungserhebliche Vorfragen<br />
prüft und über sie entscheidet. Im Rahmen der Entscheidung über den<br />
Kostenbescheid handelt es sich bei der Frage der Rechtmäßigkeit der<br />
Ingewahrsamnahme um eine solche rechtswegfremde Vorfrage.<br />
Dieser Auslegung ist aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes Vorrang<br />
einzuräumen. Art. 19 IV GG gewährleistet einen effektiven und möglichst lückenlosen<br />
Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der<br />
öffentlichen Gewalt. Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen<br />
Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer<br />
wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit<br />
zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen. Mit dem Gebot<br />
effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zu einem Rechtsmittel<br />
erschwerende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Verfahrensvorschriften.<br />
Aus diesem Grunde kann auch nicht von einem eigenverantwortlichen Verzicht des<br />
Bürgers auf Rechtsschutz ausgegangen werden, wenn er den ihm eröffneten<br />
Rechtsschutz vor dem Amtsgericht nicht innerhalb der dortigen Frist wahrnimmt.<br />
Denn das Verfahrensrecht schließt die Inzidentprüfung der polizeilichen<br />
Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Überprüfung des<br />
nachgelagerten Kostenbescheids weder für den Einzelnen erkennbar aus, noch<br />
ordnet es - wie dies im Vollstreckungsrecht der Fall ist (s. o.) - auf der Grundlage<br />
eines formalisierten Verfahrens eine materielle Präklusion der gegen die<br />
Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme gerichteten Einwände an. Die Frist des § 31<br />
III 1 ASOG ist eine rein formelle. Der Hoheitsakt der polizeilichen Ingewahrsamnahme<br />
entfaltet für den später erlassenen Heranziehungsbescheid keine Vorwirkung. Dies<br />
wird durch § 11 I VerwKG unterstrichen, der ausdrücklich die Rechtmäßigkeit der<br />
vorangegangenen Verwaltungshandlung fordert. Dementsprechend muss sich der<br />
Bürger, wendet er sich gegen den später erlassenen Heranziehungsbescheid, nicht<br />
entgegenhalten lassen, dass er zuvor von der Rechtsschutzmöglichkeit gegen die<br />
polizeiliche Ingewahrsamnahme keinen Gebrauch gemacht hat.<br />
Daher ist die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu prüfen.<br />
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(1.) Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme ist § 30 I ASOG.<br />
(2.) Die Ingewahrsamnahme muss formell rechtmäßig sein.<br />
(a.) Gemäß § 30 I ASOG ist die hier handelnde Polizei für Festnahmen zuständig.<br />
(b.) Fraglich ist, ob Verfahren ordnungsgemäß verlief.<br />
(aa.) Eine Anhörung war gem. § 1 I VwVfG Bln. iVm § 28 Nr. 1 VwVfG nach den<br />
Umständen des Einzelfalls nicht geboten, da eine sofortige Entscheidung im<br />
öffentlichen Interesse notwendig erschien. Denn andernfalls wäre - angesichts der<br />
großen Anzahl von Festnahmen - der Zweck der Festnahmen, nämlich die<br />
Versammlungsauflösung durchzusetzen, nicht erreichbar gewesen.<br />
(bb.) Auch eine richterliche Entscheidung über die Festnahme entbehrlich, da<br />
anzunehmen war dass diese aufgrund der großen Anzahl von Festnahmen nicht<br />
nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme, nämlich die<br />
Versammlungsauflösung durchzusetzen, ergehen würde. Dies gilt umso mehr, da<br />
die Versammlung nicht angemeldet war und Vorkehrungen nicht getroffen werden<br />
konnten.<br />
(c.) Der Verwaltungsakt der Ingewahrsamnahme erging konkludent, d. h. in anderer<br />
Weise i. S. d. § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 37 II 1 VwVfG, und damit in richtiger<br />
Form.<br />
(d.) Folglich war die Ingewahrsamnahme formell rechtmäßig.<br />
(3.) Fraglich ist, ob die Ingewahrsamnahme materiell rechtmäßig ist.<br />
(a.) Dafür müssen die Voraussetzungen des § 30 I ASOG erfüllt sein.<br />
(aa.) Gemäß § 30 I Nr. 3 ASOG muss die Ingewahrsamnahme unerlässlich sein, um<br />
eine Platzverweisung durchzusetzen.<br />
Das Merkmal „unerlässlich“ ist keine eigenständige<br />
Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, da es keine über die in der<br />
Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Erforderlichkeitsprüfung<br />
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hinausgehenden Anforderungen an das polizeiliche Handeln stellt [h. M.]. Die<br />
Polizei müsste die Festnahmen also zur Durchsetzung eines Platzverweises<br />
vorgenommen haben.<br />
Die Polizei hat Claudine Grünh gegenüber einen Platzverweis ausgesprochen.<br />
Dieser darf nur nach § 30 I Nr. 3 ASOG durchgesetzt werden, wenn er<br />
rechtmäßig ist.<br />
((1.)) Rechtsgrundlage für den Platzverweis ist § 29 I ASOG.<br />
((2.)) Der Platzverweis ist formell rechtmäßig.<br />
Insbesondere ist die Polizei gemäß §§ 1 I 1, 4 I 1 ASOG auch zuständig,<br />
weil die Gefahr, die dadurch entsteht, dass Claudine Grünh den<br />
Versammlungsort nicht verlässt, durch die Ordnungsbehörden nicht<br />
rechtzeitig abgewehrt werden kann.<br />
((3.)) Der Platzverweis muss ferner materiell rechtmäßig sein.<br />
((a.)) Zunächst müssen die Voraussetzungen für einen Platzverweis vorliegen.<br />
((aa.)) Voraussetzung des § 29 I ASOG ist die Abwehr einer Gefahr, d. h. einer<br />
Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. die Legaldefinition<br />
der Gefahr in § 17 I ASOG). Schutzgut des § 29 I ASOG ist damit die<br />
öffentliche Sicherheit und Ordnung.<br />
Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählt u. a. die Unverletzlichkeit<br />
der Rechtsordnung.<br />
((aaa.)) Vorliegend könnte die Polizei zur Vermeidung einer Verletzung der<br />
Rechtsordnung gehandelt haben.<br />
Infrage kommt die Vermeidung einer Verletzung der §§ 18, 13 II VersG,<br />
wonach sich die Versammlungsteilnehmer nach Beendigung der<br />
Versammlung unverzüglich vom Versammlungsort zu entfernen haben.<br />
Hierfür müsste die Auflösung der Versammlung durch die Polizei<br />
rechtmäßig gewesen sein.<br />
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(((1.))) Rechtsgrundlage für die Auflösung der Versammlung könnte § 15<br />
III VersG sein.<br />
Bei der Demonstration gegen den Castortransport handelt es sich<br />
um eine Versammlung unter freiem Himmel entsprechend § 15<br />
III VersG.<br />
§ 15 III VersG ist daher anzuwenden.<br />
(((2.))) Die Auflösung der Versammlung ist formell rechtmäßig.<br />
Insbesondere ist die Polizei von Berlin nach § 2 IV 1 ASOG i.V.m.<br />
Nr. 23 II ZustKat Ord für den Erlass von<br />
Versammlungsauflösungen zuständig.<br />
(((3.))) Fraglich ist, ob die Auflösung materiell rechtmäßig ist.<br />
(((a.))) Dazu müssten die Voraussetzungen des § 15 III VersG vorliegen.<br />
(((aa.))) Gemäß § 15 III Fall 1 VersG kann eine Versammlung aufgelöst<br />
werden, wenn sie nicht angemeldet ist.<br />
(((aaa.))) Gemäß § 14 I VersG muss eine Versammlung 48 Stunden vor<br />
Bekanntgabe der Versammlung angemeldet werden. Dies ist<br />
vorliegend nicht geschehen.<br />
Fraglich ist jedoch, ob die Anmeldepflicht überhaupt<br />
verfassungsgemäß ist.<br />
[Schutzbereich des Art. 8 I GG:] Zu beachten ist, dass Art. 8 I<br />
GG das Recht, sich zu versammeln, grundsätzlich ohne vorherige<br />
Anmeldung garantiert.<br />
[Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG:] In dieses Recht<br />
greift die Anmeldepflicht des § 14 I VersG ein.<br />
[Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 I<br />
GG:] Das Recht, sich anmeldefrei zu Versammeln darf nach Art. 8<br />
II VersG für Versammlungen unter freiem Himmel eingeschränkt<br />
werden.<br />
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Eine solche Schranke i. S. d. Art. 8 II GG stellt § 14 I VersG dar,<br />
indem er eine Anmeldepflicht nur für Versammlungen unter freiem<br />
Himmel statuiert.<br />
Diese Schranke muss verhältnismäßig sein.<br />
Die Anmeldepflicht dient in erster Linie auch der Ermöglichung der<br />
Versammlung. Sie hat den Sinn, den Behörden diejenigen<br />
Informationen zu vermitteln, die sie benötigen, um Vorkehrungen<br />
zum störungsfreien Verlauf der Versammlung und zum Schutz der<br />
Interessen Dritter oder der Allgemeinheit treffen zu können. Sie<br />
soll überdies auf eine Verständigung zwischen Veranstaltern und<br />
Ordnungsbehörden hinwirken, die eine kooperative Festlegung<br />
von Veranstaltungsplan und Ordnungsvorkehrungen begünstigt,<br />
und damit dem störungsfreien Verlauf der Versammlung dienen.<br />
Die Anmeldepflicht 48 Stunden vor Bekanntgabe gibt der<br />
Verwaltung die Möglichkeit, erforderlichenfalls Auflagen zu Ort und<br />
Zeit der Versammlung anzuordnen, die dann bereits bei<br />
Bekanntgabe durch die Veranstalter berücksichtigt werden können.<br />
Ist ein Verbot der Versammlung erforderlich, so kann dieses<br />
ausgesprochen werden, bevor öffentlich für die Teilnahme an der<br />
Versammlung geworben wurde.<br />
Damit ist die Anmeldepflicht grundsätzlich gerechtfertigt.<br />
Folglich liegt ein Verstoß gegen die zulässige Anmeldepflicht des §<br />
14 I VersG vor.<br />
(((bbb.))) Damit liegt die Voraussetzung des § 15 III Fall 1 VersG vor.<br />
Fraglich ist jedoch, ob es verfassungsmäßig ist, dass § 15 III Fall<br />
1 VersG die Versammlungsauflösung schon alleine aufgrund der<br />
fehlenden Anmeldung zulässt, ohne dass weitere<br />
Voraussetzungen vorliegen müssen.<br />
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[Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG:] Die Auflösung<br />
der Versammlung stellt immerhin den stärkst möglichen Eingriff in<br />
Art. 8 I GG dar.<br />
[Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 I<br />
GG:] Zwar sind Eingriffe in die Versammlungsfreiheit aufgrund von<br />
Art. 8 II GG möglich. Es ist indes zweifelhaft, ob allein die fehlende<br />
Anmeldung diesen Eingriff rechtfertigt.<br />
Wie geschildert liegt der Sinn und Zweck der Anmeldepflicht in<br />
erster Linie in der Ermöglichung der Durchführung der<br />
Versammlung, indem bereits im Vorfeld auf Gefahren, die von ihr<br />
ausgehen und für sie bestehen, reagiert werden kann. Lässt sich<br />
dieses Ziel, wenn die nicht angemeldete Versammlung bereits<br />
begonnen hat, noch auf andere Weise erreichen, wäre das Verbot<br />
nur wegen fehlender Anmeldung unangemessen. Für ein Verbot<br />
müssen daher zur fehlenden Anmeldung noch weitere Umstände<br />
hinzutreten.<br />
Ein Verbot - allein - wegen der fehlenden Anmeldung ist daher<br />
verfassungswidrig.<br />
(((ccc.))) § 15 III Fall 1 VersG ist daher nicht anzuwenden.<br />
(((bb.))) Gemäß § 15 III Fall 4 VersG kann eine Versammlung jedoch auch<br />
unter den Voraussetzungen, zu denen sie gemäß § 15 I VersG<br />
verboten werden kann, aufgelöst werden.<br />
Die Versammlung kann mithin auch zur Abwehr unmittelbarer<br />
Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufgelöst<br />
werden.<br />
(((aaa.))) Fraglich ist, ob vorliegend die öffentliche Sicherheit betroffen<br />
ist.<br />
Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählt u. a. die<br />
Unverletzlichkeit der Rechtsordnung.<br />
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Vorliegend löst die Polizei die Versammlung auf, um das Betreten<br />
der Gleise durch Demonstranten zu verhindern. Damit handelte sie<br />
zum Schutze der Normen der §§ 62 I, II, 63 II EBBO. Ferner will<br />
sie verhindern, dass das Gleisbett ausgegraben wird und handelt<br />
somit zum Schutze von § 303 I StGB.<br />
Die öffentliche Sicherheit ist mithin betroffen.<br />
(((bbb.))) Ferner muss eine unmittelbare Gefahr für die Öffentliche<br />
Sicherheit gegeben sein, vorliegend also dafür, dass die<br />
Demonstranten die Gleise betreten und das Gleisbett ausgraben.<br />
Eine unmittelbare Gefahr ist eine Sachlage oder ein Verhalten,<br />
dass bei ungehindertem Fortgang des zu erwartenden<br />
Geschehens mit hoher, fast an Sicherheit grenzender<br />
Wahrscheinlichkeit das Schutzgut schädigen wird.<br />
Vorliegend wurden die Demonstranten auf Flugzetteln unter dem<br />
Motto „Castor steinigen“ dazu aufgefordert, dass Gleisbett<br />
auszugraben. Es ist daher aus polizeilicher Sicht nahezu sicher,<br />
dass Personen, die dem Demonstrationsaufruf auf diesem<br />
Flugblatt folgen, auch die Gleise betreten werden, um diese zu<br />
beschädigen. Denn ein Bürger, der selbst keine Gewaltaktionen<br />
durchführen möchte, wird sich gar nicht erst an einer<br />
Versammlung beteiligen, die von Anfang an unter einem<br />
gewaltsamen Motto steht. Dass die Demonstration nicht<br />
angemeldet wurde verstärkt den Eindruck, dass vorliegend<br />
rechtswidrige Aktionen geplant sind.<br />
Eine unmittelbare Gefahr ist daher gegeben.<br />
(((ccc.))) Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und<br />
Ordnung liegt folglich vor.<br />
(((cc.))) Die Versammlungsteilnehmer sind richtige Adressaten der<br />
Auflösung, da sie selbst Verursacher der Gefahr und damit<br />
Verhaltensstörer iSd § 13 ASOG sind und es einen<br />
Versammlungsleiter bei einer - wie hier - nicht angemeldeten<br />
Versammlung nicht gibt.<br />
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(((dd.))) Die Voraussetzungen des § 15 III Fall 4 VersG liegen demzufolge<br />
vor.<br />
(((b.))) Auf Rechtsfolgenseite räumt § 15 III Fall 4 VersG Ermessen<br />
(„kann“) ein.<br />
Die Polizei hat Ermessen bezüglich der Entscheidung, ob sie<br />
einschreitet (Entschließungsermessen), bezüglich der Wahl der<br />
Mittel (Mittelauswahlermessen), und bezüglich der Störerauswahl<br />
(Störerauswahlermessen).<br />
Das behördliche Ermessen ist gerichtlich nur eingeschränkt<br />
überprüfbar. Die gerichtliche Kontrolle hat sich auf das Vorliegen<br />
von Ermessenfehlern zu beschränken, § 114 S. 1 VwGO.<br />
(((aa./bb.))) Was das Entschließungs- und das Störerauswahlermessen<br />
betrifft, sind Ermessensfehler der Behörde nicht ersichtlich.<br />
(((cc.))) Vorliegend kann jedoch im Rahmen der Mittelauswahl eine<br />
Ermessensüberschreitung vorliegen, d. h. die Anwendung einer<br />
unzulässigen Rechtsfolge, indem das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />
verletzt ist.<br />
Fraglich ist vorliegend allein, ob die Auflösung erforderlich ist, d. h.<br />
unter mehreren gleichgeeigneten Mitteln das mildeste ist.<br />
Zur Verhinderung von Gleisbetretungen und -beschädigungen<br />
wäre bspw. das Aufstellen von Absperrungen oder das Einkesseln<br />
durch Polizisten.<br />
Dies ist vorliegend jedoch aufgrund der großen Teilnehmerzahl an<br />
der Versammlung und wegen der fehlenden Anmeldung, die<br />
Vorkehrungen nicht zuließ, nicht möglich.<br />
Damit ist die Auflösung erforderlich.<br />
(((dd.))) Ermessensfehler liegen demnach nicht vor.<br />
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(((c.))) Die Auflösung der Versammlung ist materiell rechtmäßig.<br />
(((4.))) Die Auflösung der Versammlung ist damit rechtmäßig.<br />
Aufgrund der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung hatten<br />
die Versammlungsteilnehmer daher die Pflicht, sich gemäß §§ 18,<br />
13 II VersG vom Ort der Versammlung zu entfernen, weshalb die<br />
Polizei beim Erlass der Platzverweise zum Schutze der<br />
öffentlichen Sicherheit in Form der Unverletzlichkeit der<br />
Rechtsordnung gehandelt hat.<br />
Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist daher betroffen.<br />
((bbb.)) Ferner muss eine Gefahr für das Schutzgut vorgelegen haben, d. h. die<br />
Gefahr, dass Claudine Grünh die Versammlung trotz Auflösung nicht<br />
verlässt.<br />
Auch wenn Claudine Grünh behauptet, dass sie die Gleise nie betreten<br />
wollte, so durfte die Polizei bei einer unangemeldeten Versammlung, die<br />
aufgrund eines Aufrufes zustande gekommen war, der die Aufforderung<br />
zur Gewalt beinhaltete, davon ausgehen, dass die<br />
Versammlungsteilnehmer die Versammlung auch nach Auflösung nicht<br />
verlassen würden. Auch bezüglich Claudine Grünh lag daher zum<br />
Zeitpunkt der Auflösung der Versammlung zumindest die Anscheinsgefahr<br />
vor, dass sie die Versammlung nicht verlassen würde.<br />
(((ccc.))) Damit liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor.<br />
((bb.)) Als (Anscheins-) Handlungsstörerin iSd § 13 ASOG war Claudine Grünh<br />
auch richtige Adressaten des Platzverweises.<br />
((cc.)) Die Voraussetzungen des § 29 ASOG liegen deshalb vor.<br />
((b.)) Auf Rechtsfolgenseite räumt § 29 I ASOG der Polizei Ermessen ein.<br />
Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich.<br />
((c.)) Der Platzverweis ist materiell rechtmäßig.<br />
((4.)) Der Platzverweis ist rechtmäßig.<br />
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Demzufolge dient die Ingewahrsamnahme der Durchsetzung des<br />
Platzverweises.<br />
(bb.) Ferner muss Claudine Grünh auch richtige Adressatin der Ingewahrsamnahme<br />
gewesen sein. Vorliegend könnte sie Verhaltensstörerin i. S. d. § 13 ASOG sein.<br />
Verhaltensstörer ist, wer die Gefahr selbst verursacht. Es geht also um die Frage,<br />
ob die Gefahr, dass dem Platzverweis nicht Folge geleistet wird, von Claudine<br />
Grünh selbst ausgeht.<br />
Claudine Grünh hatte bereits damit begonnen, dem Platzverweis Folge zu leisten,<br />
indem sie sich von den Gleisen entfernte. Damit versursachte sie die Gefahr nicht<br />
selbst.<br />
Sie ist mithin nicht richtige Adressatin der Ingewahrsamnahme.<br />
(cc.) Dementsprechend liegen die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nicht<br />
vor.<br />
[Alternativ könnte auch wie folgt gelöst werden.<br />
Frau Grünh könnte Anscheinsstörerin sein, also aus der Sicht der handendeln<br />
Polizei als Reaktion auf einen ungewissen Sachverhalt. Das Interesse effektiver<br />
Gefahrenabwehr rechtfertigt es, zur Einschätzung der Gefahrenlage auf die Sicht<br />
der Polizei (ex ante) abustellen und eine Situation, die sich im Nachhinein als<br />
„ungefährlich“ erweist, gleichwohl als objektive Anscheinsgefahr anzuerkennen,<br />
wenn sie bei verständiger Würdigung der objektiven Anhaltspunkte als<br />
Gefahrenlage gewertet werden durfte. Dieses Zugriffsintereses auf der<br />
Primärebene trägt aber die endgültige Kostenbelastung des<br />
„Anscheinsstörers“ dann nicht mehr, wenn sich später herausstellt, dass er –<br />
mangels Gefahrenlage oder mangels ihm zuzurechnender Verursachung –<br />
tatsächlich nicht Störer war. Seine Situation ist mit derjenigen des Nichtstörers<br />
vergleichbar; auch er trägt im Verhältnis zur Allgemeinheit ein Sonderopfer. Die<br />
danach entsprechend dem Prinzip der gerechten Lastenverteilung gebotene<br />
Kostenfreistellung lässt sich damit behründen, dass die polizeirechtliche<br />
Inanspruchnahme nicht nur eine (Anscheins-)Gefahr, sondern auch zusätzlich die<br />
Störereigenschaft des Herangezogenen voraussetzt. (vgl. Lisken/Denninger,<br />
Handbuch des Polizeirechts, Rn. 48 ff.)]<br />
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(b.) Die Ingewahrsamnahme ist materiell rechtswidrig.<br />
(4.) Die Ingewahrsamnahme ist rechtswidrig.<br />
Nach § 11 VerwKG Bln. sind daher die Kosten zu erlassen.<br />
dd. Die Voraussetzungen zum Erlass des Kostenbescheides liegen somit nicht vor.<br />
b. Der Kostenbescheid ist materiell rechtswidrig.<br />
4. Der Kostenbescheid ist rechtswidrig.<br />
II. Dadurch wird Claudine in ihren eigenen Rechten aus Art. 2 I GG verletzt. Ob sie<br />
durch die Anforderung von Kosten auch in ihrem Grundrecht aus Art. 14 I GG verletzt<br />
ist, kann dahinstehen.<br />
III. Die Klage gegen den Kostenbescheid ist begründet.<br />
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