Sozial-, Armuts- und Reichtumsberichte - bei der ...
Sozial-, Armuts- und Reichtumsberichte - bei der ...
Sozial-, Armuts- und Reichtumsberichte - bei der ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Studie > <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
<strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong><strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong><br />
Bürokratische Pflicht, hilfreiche Frühwarnsysteme,<br />
sachliche Gr<strong>und</strong>lage für öffentliche Debatten o<strong>der</strong><br />
erfor<strong>der</strong>liche Steuerungsinstrumente?<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
Bremen
<strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong><strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong><br />
Verfasser ><br />
Bremen, April 2008<br />
Rolf Prigge,<br />
Thomas Schwarzer<br />
Institut Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> Wirtschaft<br />
Herausgeberin ><br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen<br />
Telefon: 0421·36301-0<br />
Telefax: 0421·36301-89<br />
info@ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer.de<br />
www.ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer.de<br />
Für Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen ist<br />
diese Broschüre kostenlos.
<strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong><br />
Bürokratische Pflicht, hilfreiche Frühwarnsysteme,<br />
sachliche Gr<strong>und</strong>lage für öffentliche Debatten o<strong>der</strong><br />
erfor<strong>der</strong>liche Steuerungsinstrumente?
1 Vorwort.......................................................................... 5<br />
2 Einleitung....................................................................... 7<br />
2.1 Auftrag <strong>und</strong> Zielsetzung <strong>der</strong> Studie.......................................7<br />
2.2 Zur Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung –<br />
Warum wird berichtet? .....................................................10<br />
3 Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>bericht-<br />
erstattung..................................................................... 13<br />
3.1 Wie <strong>und</strong> über was soll berichtet werden?............................13<br />
3.2 Zur Entwicklung von Begriffen, Konzepten <strong>und</strong> Methoden.....16<br />
3.2.1 Das Konzept <strong>der</strong> relativen Einkommensarmut......................17<br />
3.2.2 Das Konzept <strong>der</strong> Lebenslagen............................................18<br />
3.2.3 Das Konzept <strong>der</strong> Ausgrenzung ...........................................22<br />
3.2.4 Das Konzept <strong>der</strong> Verwirklichungschancen...........................24<br />
3.3 Verfügbare Datenquellen - Was kann berichtet werden? .......28<br />
3.4 Die vier zentralen Funktionen einer Berichtserstattung..........33<br />
4 Praktische Ansätze <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung.....................................................................<br />
34<br />
4.1 Berichte <strong>der</strong> Europäischen Union.......................................36<br />
4.2 Berichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung............................................43<br />
4.3 Berichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>................................................49<br />
4.4 Berichte deutscher Großstädte...........................................53<br />
4.5 Exkurs: Lehren aus dem ersten Frankfurter <strong>Sozial</strong>bericht ......58<br />
5 Schlussfolgerungen für den Stadtstaat Bremen ................. 60<br />
5.1 Ausgangslage: Vielfältige fachliche Teilberichte ...................60<br />
5.2 Die <strong>Armuts</strong>berichte <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen .........63<br />
5.3 <strong>Sozial</strong>integrative, ressortübergreifende Stadtpolitik ...............64<br />
5.4 Integrierte <strong>Sozial</strong>berichterstattung als politisches Steuerungs<br />
instrument ......................................................................66<br />
5.5 Prozessorganisation <strong>und</strong> Module für eine integrierte<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung .....................................................68
1 Vorwort<br />
Das Land Bremen ist eines <strong>der</strong> wenigen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>, das bisher keine<br />
regierungsoffizielle <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichtserstattung vornimmt.<br />
Viele Großstädte veröffentlichen entsprechende Berichte. Seit dem Jahr<br />
2002 erstellt die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer jährlich einen eigenständigen<br />
<strong>Armuts</strong>bericht, damit dieses zunehmend wichtiger werdende Thema<br />
auch in <strong>der</strong> Bremer Öffentlichkeit f<strong>und</strong>iert debattiert wird. Inzwischen<br />
hat sich dieser <strong>Armuts</strong>bericht zu einer eigenständigen Größe im „<strong>Armuts</strong>diskurs“<br />
des Landes Bremen entwickelt. Er wird in den Beiräten<br />
<strong>und</strong> Fraktionen diskutiert <strong>und</strong> schärft den Blick <strong>der</strong> politisch Verantwortlichen<br />
für die Missstände in Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven. Denn, so<br />
heißt es im <strong>Armuts</strong>bericht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer aus dem Jahr<br />
2002, auch in Bremen existiert individuelle <strong>und</strong> gesellschaftliche Armut,<br />
„in einem Ausmaß, das uns erschreckt hat <strong>und</strong> hoffentlich auch<br />
viele an<strong>der</strong>e erschreckt“. Im Vergleich mit an<strong>der</strong>en deutschen Großstädten<br />
liegt die <strong>Armuts</strong>quote in Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven über dem<br />
Durchschnitt, wie auch die Kin<strong>der</strong>armut, die Bildungsarmut <strong>und</strong> die<br />
Langzeitar<strong>bei</strong>tslosigkeit.<br />
Als Reaktion auf diese beson<strong>der</strong>en sozialen Herausfor<strong>der</strong>ungen will <strong>der</strong><br />
neu gewählte rot-grüne Senat in Bremen den sozialen Zusammenhalt in<br />
<strong>der</strong> Stadt stärker för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> die bisherigen Aktivitäten zielgerichteter<br />
bündeln. Für eine solche sozialintegrative Stadtpolitik sind zwei zentrale<br />
Voraussetzungen erfor<strong>der</strong>lich. Zur Beobachtung <strong>und</strong> Analyse sozialer<br />
<strong>und</strong> demografischer Entwicklungen wird ein kleinräumiges Stadt- <strong>und</strong><br />
Stadtteilmonitoring benötigt, wie es <strong>der</strong>zeit <strong>bei</strong>m Senator für Umwelt,<br />
Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa existiert <strong>und</strong> weiterentwickelt wird. Darauf<br />
aufbauend muss in Form einer <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
in regelmäßigen Abständen über positive o<strong>der</strong> bedenkliche Entwicklungen<br />
<strong>der</strong> Stadtgesellschaft öffentlich informiert werden. Ohne eine solche<br />
f<strong>und</strong>ierte Gr<strong>und</strong>lage drohen alle politischen Maßnahmen <strong>und</strong> Konzepte<br />
angesichts zunehmen<strong>der</strong> Verteilungskonflikte zwischen den Interessengruppen<br />
zerrieben zu werden. Aus ähnlichen Gründen erlebt die <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung in Deutschland seit einigen Jahren<br />
eine Konjunktur, insbeson<strong>der</strong>e seitdem die B<strong>und</strong>esregierung regelmäßig<br />
einen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht vorlegt.<br />
5
6<br />
Trotz dieser Konjunktur <strong>und</strong> erheblicher methodischer Weiterentwicklungen<br />
befindet sich die <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsforschung in Deutschland<br />
jedoch noch in <strong>der</strong> Problemlösungsphase. Es existiert bisher kein<br />
allgemein von Wissenschaft <strong>und</strong> Politik akzeptiertes Konzept. Aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> hat die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen im Jahre 2007 ein<br />
Forschungsprojekt finanziert, das einen Überblick zum Stand <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung erar<strong>bei</strong>ten soll. Es informiert<br />
über die Aktivitäten <strong>der</strong> Europäischen Union, <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung, <strong>der</strong><br />
deutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> großen Großstädte. Die hier vorliegende<br />
Studie stellt zudem die in Bremen bestehenden Teilberichtssysteme<br />
vor <strong>und</strong> formuliert zukünftige Erfor<strong>der</strong>nisse. Dazu fand am Institut Ar<strong>bei</strong>t<br />
<strong>und</strong> Wirtschaft (iaw) ein Workshop zum Thema „<strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
<strong>und</strong> Stadtmonitoring“ statt. Teilgenommen haben Akteure aus Bremer<br />
Forschungsinstituten (Zentrum für <strong>Sozial</strong>politik [ZeS], Institut Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong><br />
Wirtschaft [iaw]), aus dem Statistischen Landesamt Bremen, dem Ressort<br />
<strong>Sozial</strong>es <strong>und</strong> von den <strong>Sozial</strong>en Diensten, <strong>der</strong> Polizei, dem Ges<strong>und</strong>heitsamt,<br />
<strong>der</strong> Bremer Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer (<strong>Armuts</strong>berichte) <strong>und</strong> aus<br />
dem Bauressort (Stadtmonitoring). Die Ergebnisse dieser Tagung fanden<br />
ebenfalls Eingang in die vorliegende Studie. Verb<strong>und</strong>en damit ist die<br />
Hoffnung, dass die mit dem Thema Armut in <strong>der</strong> Stadt befassten Menschen<br />
<strong>und</strong> Institutionen besser miteinan<strong>der</strong> kooperieren <strong>und</strong> wechselseitig<br />
von ihrem Wissen <strong>und</strong> ihren Erkenntnisse profitieren. Schließlich<br />
geht es am Ende darum, dass die Armut <strong>und</strong> die <strong>Armuts</strong>risiken in unseren<br />
<strong>bei</strong>den Städten politisch <strong>und</strong> gesellschaftlich erkannt <strong>und</strong> bekämpft<br />
werden. Dazu will die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer ihren Beitrag leisten.<br />
Hans Driemel Dr. Hans-L. Endl<br />
Präsident Hauptgeschäftsführer
2 Einleitung<br />
2.1 Auftrag <strong>und</strong> Zielsetzung <strong>der</strong> Studie<br />
Die vorliegende Studie entstand im Auftrag <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
Bremen. Da Bremen eines <strong>der</strong> wenigen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> <strong>und</strong> die einzige<br />
Großstadt ist, die über keine offizielle <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
verfügt, gibt die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer seit 2002 jährlich einen<br />
<strong>Armuts</strong>bericht heraus. Dieser Berichterstattung liegen zwei zentrale<br />
Motive zugr<strong>und</strong>e.<br />
In Deutschland war Armut bis Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre kein Thema offizieller<br />
Regierungspolitik. Mit dem Verweis auf das ausgebaute System<br />
sozialer Sicherungen dementierte die damalige Regierungskoalition von<br />
CDU/CSU <strong>und</strong> FDP unter Helmut Kohl, dass Armut überhaupt ein relevantes<br />
gesellschaftliches Problem darstelle. Gemeinsam mit Großbritannien<br />
blockierte Deutschland außerdem das vierte <strong>Armuts</strong>programm<br />
<strong>der</strong> Europäischen Union, das weitergehende politische Initiativen zur<br />
<strong>Armuts</strong>bekämpfung vorsah. Dass es im wie<strong>der</strong>vereinigten Deutschland<br />
durchaus eine zunehmende <strong>Armuts</strong>problematik gab, dokumentierte die<br />
Studie „Armut in Deutschland“ (Hanesch 1994). Diesem ersten gesamtdeutschen<br />
<strong>Armuts</strong>bericht (Auftraggeber: DGB, Hans-Böckler-<br />
Stiftung, Paritätischer Wohlfahrtsverband) folgte im Jahr 2000 die Folgestudie<br />
„Armut <strong>und</strong> Ungleichheit in Deutschland“ (Hanesch u. a.<br />
2000). Beide Berichte erlangten eine erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit.<br />
Schließlich verpflichtete <strong>der</strong> Deutsche B<strong>und</strong>estag im Jahr<br />
2000 auf Antrag <strong>der</strong> neuen rot-grünen Regierungskoalition die B<strong>und</strong>esregierung<br />
zur Erstellung eines nationalen <strong>Armuts</strong>berichtes (Deutscher<br />
B<strong>und</strong>estag, DS 14/1999). Gegen den heftigen Wi<strong>der</strong>stand von Teilen<br />
des politischen Establishments erstreckte sich <strong>der</strong> Untersuchungsauftrag<br />
auch auf die Analyse des gesellschaftlichen Reichtums. Seitdem<br />
gilt eine regelmäßige Berichterstattung als Voraussetzung dafür, dass<br />
die politische Diskussion über eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen<br />
Wohlstandes <strong>und</strong> über eine wirksamere Bekämpfung von<br />
Armut, öffentlich geführt werden kann.<br />
7
8<br />
In Bremen ignorierte die damalige Große Koalition aus SPD <strong>und</strong> CDU<br />
die For<strong>der</strong>ungen, ebenfalls eine regelmäßige <strong>Armuts</strong>-, Reichtums- o<strong>der</strong><br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung zu beginnen. Um diese „Lücke“ zuschließen,<br />
veröffentlicht die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen seit 2002 jährlich einen<br />
<strong>Armuts</strong>bericht mit einem inhaltlichen Schwerpunkt. Denn auch in Bremen<br />
existiert individuelle <strong>und</strong> gesellschaftliche Armut, „in einem Ausmaß,<br />
das uns erschreckt hat <strong>und</strong> hoffentlich auch viele an<strong>der</strong>e erschreckt“<br />
(ANKB 2002: 9).<br />
Neben <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Entwicklung in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>espolitik war vor allem<br />
die beson<strong>der</strong>s prekäre soziale Lage in Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven ein<br />
zentrales Motiv für die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer, einen regelmäßigen<br />
<strong>Armuts</strong>bericht herauszugeben. Seit in den 1980er Jahren die großen<br />
Krisen im Bremer Schiffsbau einsetzten, stieg im Lande Bremen die<br />
Zahl <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Personen, die von öffentlichen Transfers<br />
leben, in <strong>bei</strong>den Städten auf einen überdurchschnittlich hohen Anteil.<br />
Als sich Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre immer mehr Ar<strong>bei</strong>tslose, Arme <strong>und</strong><br />
Auslän<strong>der</strong> in einigen sogenannten Problemquartieren konzentrierten,<br />
reagierte <strong>der</strong> Bremer Senat frühzeitig mit dem eigenständigen Landesprogramm<br />
„Wohnen in Nachbarschaften“ (WIN). Kombiniert mit<br />
Ressourcen aus dem B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programm „Die soziale Stadt“ <strong>und</strong><br />
EU-Programmen wurde seit 2001 verstärkt versucht, die räumliche <strong>und</strong><br />
soziale Polarisierung in <strong>bei</strong>den Stadtgesellschaften zu begrenzen. Dies<br />
ist bisher jedoch nicht hinreichend gelungen. Im Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />
deutschen Großstädten liegt die <strong>Armuts</strong>quote in Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven,<br />
die Kin<strong>der</strong>armut, die Bildungsarmut <strong>und</strong> die Langzeitar<strong>bei</strong>tslosigkeit<br />
überdurchschnittlich hoch.<br />
Als Antwort auf diese beson<strong>der</strong>en sozialen Herausfor<strong>der</strong>ungen will <strong>der</strong><br />
neu gewählte rot-grüne Senat den sozialen Zusammenhalt in <strong>der</strong> Stadt<br />
för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> die bisherigen sozialpolitischen Aktivitäten zielgerichteter<br />
bündeln. Als Gr<strong>und</strong>lage für eine solche sozialintegrative Stadtpolitik<br />
gelten nach heutigen Erkenntnissen zwei Elemente: eine regelmäßige<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung beziehungsweise ein entsprechendes<br />
kleinräumiges Stadtmonitoring sowie darauf aufbauend, ein<br />
politisches Konzept für eine sozialintegrative Stadt- <strong>und</strong> Stadtteilpolitik.
In <strong>der</strong> Koalitionsvereinbarung des neuen rot-grünen Senats (2007) werden<br />
einige Elemente für eine soziale Stadtpolitik formuliert. Es soll zum<br />
Beispiel einen Bericht zum Einkommen <strong>und</strong> Vermögen im B<strong>und</strong>esland<br />
Bremen geben, in Kooperation mit <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen.<br />
Für die Realisierung <strong>der</strong> formulierten Ziele, <strong>und</strong> für die Operationalisierung<br />
einer Berichterstattung, fehlt bisher jedoch ein verbindliches Gesamtkonzept.<br />
Neben dem jährlichen <strong>Armuts</strong>bericht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
gibt es zwar vielfältige Berichtssysteme in einzelnen Senatsressorts<br />
<strong>und</strong> <strong>bei</strong>m Statistischen Landesamt Bremen sowie ein kleinräumiges<br />
Stadtmonitoring <strong>bei</strong>m Senator für Bauen <strong>und</strong> Umwelt. Eine Zusammenführung<br />
dieser Teilberichte nach den <strong>der</strong>zeit üblichen methodischen<br />
Standards <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung fehlt aber<br />
bisher, wie auch ein darauf aufbauendes politisches Konzept integrativer<br />
Stadt- <strong>und</strong> Stadtteilpolitik.<br />
Mit <strong>der</strong> hier vorgelegten Studie werden vor diesem Hintergr<strong>und</strong> drei<br />
Ziele verfolgt. Zum einen werden gr<strong>und</strong>legende Begriffe <strong>und</strong> Konzepte<br />
<strong>der</strong> bisherigen <strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung erläutert<br />
(Kapitel 2). Dann werden die <strong>der</strong>zeit in <strong>der</strong> Berichterstattung staatlicher<br />
<strong>und</strong> kommunaler Akteure dominierenden Trends heraus gear<strong>bei</strong>tet,<br />
indem die unterschiedlichen Konzepte <strong>der</strong> Berichterstattung <strong>und</strong><br />
ihre Realisierung in <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft, in den sechzehn<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> in den fünfzehn größten deutschen Städten im<br />
Überblick vorgestellt werden (Kapitel 3). Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage werden<br />
dann nach einer Analyse <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Ausgangslage Wege aufgezeigt,<br />
wie eine integrierte <strong>Sozial</strong>berichterstattung im Lande <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Stadtgemeinde Bremen realisiert werden könnte (Kapitel 4). Von beson<strong>der</strong>em<br />
Interesse für die folgende Untersuchung ist, welche unterschiedlichen<br />
Konzepte <strong>und</strong> Berichtssysteme in den verschiedenen Bereichen<br />
existieren, über welche <strong>Sozial</strong>strukturen diese berichten <strong>und</strong><br />
inwieweit da<strong>bei</strong> ein integrativer Ansatz verfolgt wird.<br />
9
10<br />
2.2 Zur Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung –<br />
Warum wird berichtet?<br />
Die großen Städte sind gekennzeichnet sowohl durch vielfältige Zukunftschancen<br />
als auch durch erhöhte Lebensrisiken <strong>und</strong> soziale Verwerfungen.<br />
Risiken ergeben sich aus <strong>der</strong> gestiegenen Konkurrenz auf<br />
den Ar<strong>bei</strong>ts- <strong>und</strong> Wohnungsmärkten, durch unsichere Bildungswege<br />
sowie <strong>bei</strong> Krankheit, Behin<strong>der</strong>ung, Trennung o<strong>der</strong> im Alter. Durch Benachteiligungen<br />
o<strong>der</strong> Diskriminierungen aufgr<strong>und</strong> von Geschlecht <strong>und</strong><br />
sozialer beziehungsweise ethnischer Herkunft können Einzelne, Haushalte<br />
o<strong>der</strong> spezifische Stadtquartiere in Armut sowie in Prozesse sozialer<br />
Ausschließung geraten. Deshalb sind die Städte durch ihren Auftrag<br />
zur kommunalen Daseinsvorsorge gefor<strong>der</strong>t, möglichst konkrete soziale<br />
Hilfen zu leisten: <strong>bei</strong>m Zugang zum Ar<strong>bei</strong>tsmarkt, <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Wohnungsversorgung,<br />
in Betreuungs- <strong>und</strong> Bildungseinrichtungen sowie <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Bewältigung riskanter Lebenssituationen. Erfor<strong>der</strong>lich sind dazu professionelle<br />
lokale Institutionen <strong>und</strong> vernetzte Hilfesysteme.<br />
Um zentrale Entwicklungen <strong>und</strong> soziale Problemlagen systematischer<br />
beobachten <strong>und</strong> die Leistungen <strong>und</strong> Angebote im Feld <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>politik<br />
besser steuern zu können, wurden in den letzten Jahren in wachsendem<br />
Maße Berichtssysteme entwickelt <strong>und</strong> zur Anwendung gebracht: <strong>Sozial</strong>berichte,<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>, Familienberichte, Bildungsberichte,<br />
Kin<strong>der</strong>berichte sowie übergreifende regionale <strong>und</strong> lokale Monitoringsysteme.<br />
Sie wurden vor allem in Auftrag gegeben, wenn durch<br />
wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen die sozialen Gefährdungen<br />
zunahmen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedarf an staatlichen Leistungen <strong>und</strong> an<br />
sozialer Unterstützung stieg. Sollen diese Leistungen möglichst effizient,<br />
nachhaltig, situationsgerecht <strong>und</strong> gemeinsam mit den Bürgern erbracht<br />
werden, so gilt eine regelmäßige (<strong>Sozial</strong>-) Berichterstattung als unerlässliche<br />
Gr<strong>und</strong>lage für die politische Steuerung <strong>und</strong> für öffentliche, zivilgesellschaftliche<br />
Debatten über den politischen Handlungsbedarf.<br />
Aus diesen Gründen hat im Jahr 1999 die damalige rotgrüne B<strong>und</strong>esregierung<br />
eine nationale <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung begonnen.<br />
Spätestens seit diesem Zeitpunkt gilt eine regelmäßige Berichterstattung<br />
als Voraussetzung dafür, um Fragen nach einer gerechtere
11<br />
Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes <strong>und</strong> einer wirksameren<br />
Bekämpfung von Armut auf die politische Agenda zu setzen. „Eine nationale<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung ist seit langem überfällig.<br />
Die <strong>Armuts</strong>berichterstattung ist in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland,<br />
verglichen mit an<strong>der</strong>en europäischen Staaten, rückständig. Eine offizielle<br />
<strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung findet bislang überhaupt noch nicht statt“<br />
(Deutscher B<strong>und</strong>estag, DS 14/999). Viele Städte <strong>und</strong> Gemeinden, einzelne<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n, Wohlfahrtsverbände <strong>und</strong> <strong>der</strong> Deutsche Gewerkschaftsb<strong>und</strong><br />
haben anerkannt, dass durch <strong>Armuts</strong>-, Reichtums- <strong>und</strong><br />
<strong>Sozial</strong>berichte eine beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt<br />
werden kann. Diese Berichte können jedoch die Aufgabe eines nationalen<br />
<strong>Armuts</strong>berichtes nicht übernehmen.<br />
Die Politik <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung gegen Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung beruht<br />
auf zwei Bausteinen. Mit den bisher vorliegenden <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>n<br />
aus den Jahren 2001 <strong>und</strong> 2005 wurde ein integrierter<br />
Ansatz zur Beobachtung von <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsprozessen entwickelt<br />
<strong>und</strong> institutionalisiert (vgl. Kapitel 3.2.). Der gewählte Titel „<strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung“ stellt die <strong>Armuts</strong>thematik zu<br />
Recht in den Zusammenhang <strong>der</strong> Gesamtverteilung von Ressourcen <strong>und</strong><br />
Lebenslagen. Für die Berichte wurden gr<strong>und</strong>legende Vorar<strong>bei</strong>ten durch<br />
die gezielte För<strong>der</strong>ung einschlägiger Forschungsprojekte geleistet.<br />
Die B<strong>und</strong>esregierung hat sich im Rahmen <strong>der</strong> offenen Koordinierung auf<br />
das Kohäsionsziel <strong>der</strong> Europäischen Union verpflichtet (vgl. Kapitel<br />
3.1), nationale Aktionspläne gegen Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung in regelmäßigen<br />
Abständen vorzulegen (NAPInclusion). Gemeinsam mit <strong>der</strong> nationalen<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung sollen die nationalen<br />
Aktionspläne die Basis für eine Strategie zur Stärkung <strong>der</strong> sozialen Integration<br />
bilden. Neben <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung sind auch die Län<strong>der</strong> <strong>und</strong><br />
Gemeinden, die <strong>Sozial</strong>partner <strong>und</strong> die Vertreter <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />
gefor<strong>der</strong>t. Sie sollen sich an einem konzertierten Prozess regelmäßiger<br />
Abstimmung <strong>und</strong> Beratung zwischen den verschiedenen Akteuren aller<br />
Ebenen beteiligen (Hanesch 2006: 19).<br />
Lange vor <strong>der</strong> B<strong>und</strong>espolitik waren vor allem viele Großstädte in den<br />
1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren die Vorreiter einer systematischen <strong>Sozial</strong>-
12<br />
o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung (vgl. Kapitel 3.4). Ihnen folgten in einer<br />
zweiten Phase Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre die meisten westdeutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
(vgl. Kapitel 3.3), mit Nordrhein-Westfalen (1992) <strong>und</strong><br />
Hamburg (1996) als Vorreiter. Nach dem die B<strong>und</strong>esregierung 2001<br />
ihren ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht veröffentlicht hatte, erstellten<br />
dann in einer dritten Phase auch die ostdeutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
eigene Berichte (2002/2003). Keine offizielle <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
gibt es <strong>der</strong>zeit lediglich im Stadtstaat Bremen, in Hessen<br />
<strong>und</strong> im Saarland.<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung heißt, die gegenwärtigen Prozesse des Umbruchs<br />
zu beobachten <strong>und</strong> Material für öffentliche Diskussionen zu<br />
liefern. Erfor<strong>der</strong>lich ist dazu zweierlei, nämlich „die Anstrengung <strong>der</strong><br />
Empirie, die auf <strong>der</strong> Erhebung von Daten basiert sowie die Anstrengung<br />
des Begriffs, die auf eine Klärung von Begriffen <strong>und</strong> theoretischen Konzepten<br />
zielt“ (Bartelheimer 2006: 11). Benötigt werden Begriffe, welche<br />
die Stellung von Personen <strong>und</strong> Haushalten im Gefüge sozialer Ungleichheit<br />
angeben. Diese Begriffe berühren jedoch die vorherrschenden<br />
Vorstellungen von Gerechtigkeit sowie gesellschaftliche „Toleranzgrenzen“<br />
(Allmendinger, Hinz 1998) für Ungleichheit. Außerdem sind solche<br />
Begriffe immer auch auf die <strong>Sozial</strong>politik bezogen, sollen sie doch<br />
nicht zuletzt Maßstäbe für die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Systeme sozialer<br />
Sicherung liefern (Barthelheimer 2005: 47).<br />
Gerade in Phasen gesellschaftlicher Umbrüche sind die erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Begriffe <strong>und</strong> Konzepte in den Wissenschaften <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Politik heftig<br />
umstritten. Es konkurrieren in <strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />
Debatte verschiedene Begriffe <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Konzepte wie<br />
Lebensqualität, Wohlfahrt, Armut, Lebenslage, Ausgrenzung, Teilhabe<br />
<strong>und</strong> Verwirklichungschancen. Eine Klärung dieser Begriffe <strong>und</strong> ihre<br />
Operationalisierung ist zwar mühsam, aber keine rein akademische<br />
Übung. Es geht vielmehr darum, einen Gegenstand angemessen erfassen<br />
<strong>und</strong> messen zu können <strong>und</strong> empirisch f<strong>und</strong>ierter <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
zugänglich zu machen.<br />
Eine aktive Politik sozialer Integration <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung ist lediglich<br />
als „Querschnittsaufgabe“ sinnvoll zu realisieren (B<strong>und</strong>esregierung
13<br />
2001: XIV, Bodenschatz 2005: 18). Nur dann ist eine systematische<br />
Verzahnung verschiedener Politikbereiche möglich. Sie kann außerdem<br />
einen Beitrag dazu leisten, die kontroversen öffentlichen <strong>und</strong> politischen<br />
Debatten über „Armut“ <strong>und</strong> „Reichtum“ zu enttabuisieren <strong>und</strong> zu versachlichen.<br />
Ohne eine gesicherte Gr<strong>und</strong>lage droht jedes Gesamtkonzept<br />
sozialer Integration <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung im politischen <strong>und</strong> öffentlichen<br />
Raum zwischen Argumentationen <strong>der</strong> Beschwichtigung <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Dramatisierung entwertet zu werden.<br />
Neben <strong>der</strong> Vielfalt an kontroversen Begriffen <strong>und</strong> Konzepten erhöht sich<br />
die Unübersichtlichkeit <strong>der</strong> bisherigen <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
noch durch weitere Aspekte. Unterschiede entstehen allein dadurch,<br />
wer berichtet. Handelt es sich um Berichte <strong>der</strong> Europäische<br />
Union, <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung, <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Großstädte<br />
(vgl. Kapitel 3)? Von Interesse ist auch, mit welchem Ziel die jeweiligen<br />
Berichte vorgelegt werden. Handelt es sich um „interne“ Expertenberichte<br />
als Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage für Politik <strong>und</strong> Verwaltung o<strong>der</strong> zielt<br />
ein Bericht stärker auf die Öffentlichkeit, als Teil <strong>der</strong> „demokratischen<br />
Infrastruktur“ eines Landes (Noll 1999)? Nicht zuletzt ergeben sich<br />
Unterschiede durch verschiedene Politikfel<strong>der</strong> über die berichtet wird<br />
(Ges<strong>und</strong>heit, Wohnen, Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit usw.), welche Bevölkerungsgruppen<br />
im Mittelpunkt stehen (Kin<strong>der</strong>, Familien, Ältere, Migranten<br />
usw.) <strong>und</strong> wie umfassend berichtet wird.<br />
3 Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>bericht-<br />
erstattung<br />
3.1 Wie <strong>und</strong> über was soll berichtet werden?<br />
Fehlte dem wissenschaftlichen <strong>Armuts</strong>vokabular bis Mitte <strong>der</strong> 1990er<br />
Jahre in Deutschland die politische Anbindung, so hat sich die Situation<br />
inzwischen erheblich verän<strong>der</strong>t. Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung beziehungweise<br />
Teilhabe <strong>und</strong> Zusammenhalt sind zu Begriffen <strong>der</strong> Zeitdiagnose <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> „großen Politik“ aufgestiegen. Nach den <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>n<br />
<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung (ARB 2001, 2005) <strong>und</strong> den <strong>bei</strong>den Nationalen<br />
Aktionsplänen zur Bekämpfung von Armut <strong>und</strong> sozialer Ausgren-
14<br />
zung (B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland 2001, 2004) gehören diese Begriffe<br />
zum offiziellen politischen Vokabular.<br />
Gleichwohl befindet sich die <strong>Armuts</strong>forschung <strong>und</strong> die <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
in Deutschland noch in einer eher „heuristischen Phase“ (Sell<br />
2002: 19 ff.). Weil verschiedene <strong>Armuts</strong>maße, Indikatoren <strong>und</strong> Indizes<br />
verwendet werden, findet schon die einfache Frage nach dem Ausmaß<br />
von Armut keine einfache Antwort. Im Ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht<br />
<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung werden allein 16 mögliche Berechnungsvarianten<br />
für Einkommensarmut dargestellt. Sie kommen für die westlichen<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> zu Quoten zwischen 5,3 Prozent <strong>und</strong> circa 20 Prozent<br />
im Jahr 1998. Bei einem breiteren Publikum entstehe so <strong>der</strong> Eindruck<br />
<strong>der</strong> „Beliebigkeit sozialwissenschaftlicher Erkenntnis“ (Heidel,<br />
Jacobi 2001: 20). Kritiker des <strong>Armuts</strong>begriffs erklären diesen sogar<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich für „überfor<strong>der</strong>t“ (Krämer 2000).<br />
Tatsächlich wären die <strong>Sozial</strong>wissenschaften damit überfor<strong>der</strong>t, ohne<br />
Einbindung in eine politische o<strong>der</strong> gesellschaftliche Meinungsbildung,<br />
diejenigen Wertentscheidungen zu treffen, die für eine indikatorengestützte<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung erfor<strong>der</strong>lich sind (Barthelheimer<br />
2004). Denn die Umsetzung von anspruchsvolleren <strong>Armuts</strong>konzepten<br />
erfor<strong>der</strong>t Entscheidungen über Einkommens- o<strong>der</strong> Unterversorgungsschwellen,<br />
die sich letztlich nicht wissenschaftlich begründen<br />
lassen. Den Maßstab dafür müssen gesellschaftliche Wertvorstellungen<br />
o<strong>der</strong> sozialpolitische Normen liefern. Diese sind in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>und</strong><br />
in <strong>der</strong> Politik aber höchst umstritten, wie am folgenden Beispiel gezeigt<br />
werden soll.<br />
Ein typisches, <strong>der</strong>zeit heftig umstrittenes Beispiel für solche sozialen<br />
Mindeststandards sind die Regelsätze für Personen, die vom neuen<br />
Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II leben. Die Festlegung des Regelsatzes erfolgte mit<br />
einer am Ar<strong>bei</strong>tsmarkt ausgerichteten Zielsetzung. Durch eine relativ<br />
niedrige sogenannte Gr<strong>und</strong>sicherung, sollte <strong>der</strong> Druck zur Aufnahme<br />
einer Erwerbstätigkeit erhöht werden (Aktivierung). Mit dem Ziel einer<br />
erhöhten Erwerbsquote <strong>und</strong> entsprechend niedrigeren staatlichen Transferzahlungen<br />
wurden bestimmte Effekte <strong>und</strong> Wirkungen in Kauf genommen.<br />
Die <strong>der</strong>zeit immer häufiger formulierte Kritik, die Regelsätze
würden kein menschenwürdiges Leben ermöglichen, ist in <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarktzentrierung <strong>der</strong> Agenda 2010 tautologisch. Die Regelsätze<br />
sollten gerade keine hinreichende Basis für ein auskömmliches Leben<br />
ohne aktive Erwerbsar<strong>bei</strong>t bieten.<br />
15<br />
Im wahrsten Sinne des Wortes Leidtragende dieser Erwerbszentrierung<br />
wurden insbeson<strong>der</strong>e die Kin<strong>der</strong> in Bedarfsgemeinschaften, die von<br />
ALG II leben. Denn <strong>der</strong> Regelsatz für Kin<strong>der</strong> unter 14 Jahren von<br />
207 Euro im Monat wurde ohne geson<strong>der</strong>te Bedarfsuntersuchung willkürlich<br />
auf 60 Prozent des Eckregelsatzes für Erwachsene festgelegt,<br />
<strong>der</strong> 345 Euro beträgt. Weil auch die zuvor mögliche Beantragung von<br />
einmaligen Leistungen für beson<strong>der</strong>e Bedarfe aus fiskalischen Gründen<br />
abgeschafft wurde, müssen von diesem Regelsatz für Kin<strong>der</strong> alle anfallenden<br />
Ausgaben bestritten werden. Auch das Kin<strong>der</strong>geld von 154 Euro<br />
pro Kind wird den Bedarfsgemeinschaften nicht zusätzlich zu den<br />
207 Euro gewährt, son<strong>der</strong>n verrechnet. Deshalb müssen von diesem zu<br />
geringen Regelsatz alle Ausgaben für Ernährung, Kleidung, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Schulbedarf <strong>und</strong> Freizeit bestritten werden, was faktisch nicht geht.<br />
Problematisch an dieser Verengung auf Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- <strong>und</strong> Kosteneffekte<br />
ist die Vernachlässigung <strong>der</strong> direkt damit verb<strong>und</strong>enen sozialen, familiären<br />
<strong>und</strong> bildungsspezifischen Wirkungen. Diese Folgen werden von<br />
großen Teilen <strong>der</strong> verantwortlichen Politiker bisher jedoch billigend in<br />
Kauf genommen. Für die betroffenen Kin<strong>der</strong> zerstört diese Politik alle<br />
Voraussetzungen für die im Gr<strong>und</strong>gesetz verbriefte Chancengleichheit.<br />
Die propagierte Chancengerechtigkeit verkommt zu reiner Rhetorik,<br />
wenn bereits in jener Lebensphase, in <strong>der</strong> zentrale Weichen für den<br />
zukünftigen Lebens- <strong>und</strong> Bildungsweg gestellt werden, nicht einmal<br />
elementare Gr<strong>und</strong>bedürfnisse gesichert sind.<br />
Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass die Messung von Armut <strong>und</strong><br />
Reichtum nicht ohne gesellschaftliche <strong>und</strong> politische Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
möglich ist. In den mo<strong>der</strong>nen westlichen Gesellschaften ist es<br />
deshalb weitgehend akzeptiert, dass objektive Definitionen unmöglich<br />
sind <strong>und</strong> Armut <strong>und</strong> Reichtum normative Konzepte sind (Andreß, Kronauer<br />
2006: 36). Weil eine regelmäßige gesellschaftliche <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong><br />
<strong>Armuts</strong>berichterstattung eigentlich aber eine weitgehend geteilte Defini-
16<br />
tion von Armut <strong>und</strong> Reichtum voraussetzt, konkurrieren mehrere Definitionen<br />
<strong>und</strong> Konzepte um den Status, als möglichst eindeutige <strong>und</strong><br />
überprüfbare Konzepte anerkannt zu werden.<br />
3.2 Zur Entwicklung von Begriffen, Konzepten <strong>und</strong> Methoden<br />
In <strong>der</strong> aktuellen wissenschaftlichen Debatte stellen „Einkommensarmut“,<br />
„Lebenslage“, „Ausgrenzung“ <strong>und</strong> „Verwirklichungschancen“<br />
verschiedene Diagnosekonzepte dar. Für eine zeitgemäße <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong><br />
<strong>Armuts</strong>berichterstattung können diese Konzepte teilweise kombiniert<br />
werden, was jedoch kein einfaches Unterfangen ist. Die genannten<br />
Konzepte anzuwenden <strong>und</strong> entsprechende Daten <strong>und</strong> Indikatoren bereitzustellen,<br />
könne lediglich in einem längeren Ar<strong>bei</strong>ts- <strong>und</strong> Forschungsprogramm<br />
geleistet werden (Barthelheimer 2004: 51).<br />
Derzeit gilt es zwar als vielversprechend, das Konzept <strong>der</strong> sozialen Ausgrenzung<br />
mit dem gesellschaftstheoretischen Gehalt des Konzepts <strong>der</strong><br />
Lebenslagen zu verbinden. Die praktische Umsetzung gestaltet sich<br />
jedoch komplex <strong>und</strong> aufwendig. Das gilt in beson<strong>der</strong>em Maße auch für<br />
das aktuell viel diskutierte <strong>und</strong> relativ neue Konzept <strong>der</strong> Verwirklichungschancen<br />
von Amatyra Sen. Dieses Konzept findet sowohl in <strong>der</strong><br />
Politik <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft als auch im Rahmen <strong>der</strong> Entwicklungspolitik<br />
<strong>der</strong> UN große Beachtung. Es spielt mittlerweile auch in<br />
<strong>der</strong> innerdeutschen Debatte eine Rolle. „Das Konzept <strong>der</strong> Teilhabe- <strong>und</strong><br />
Verwirklichungschancen bildet (...), in Verbindung mit dem Lebenslagenansatz,<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für die <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
des B<strong>und</strong>es“ (ARB 2005: 10). Trotz dieser konzeptionellen Erweiterungen<br />
wird die konkrete Umsetzung dieser Konzepte im <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung durchaus kritisch diskutiert. Sell<br />
zum Beispiel hält die additive Abhandlung <strong>der</strong> einzelnen lebenslagenrelevanten<br />
Bereiche nicht für zufrieden stellend (Sell 2002: 20 ff.).<br />
In den letzten Jahren ist es <strong>bei</strong> <strong>der</strong> wissenschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />
Beobachtung sozialer Ungleichheit außerdem zu einem „Paradigmenwechsel“<br />
<strong>bei</strong> den verwendeten Konzepten gekommen (Böhnke 2005).<br />
In den 70er <strong>und</strong> 80er Jahren dominierten klassische <strong>Armuts</strong>konzepte,
17<br />
die von mangelnden Ressourcen (insbeson<strong>der</strong>e Einkommensarmut) <strong>und</strong><br />
Verteilungsaspekten ausgingen. Seit den 90er Jahren sind verstärkt<br />
Teilhabedefizite <strong>und</strong> gesellschaftliche Beziehungen in den Mittelpunkt<br />
gerückt, die Ungleichheit produzieren. Insofern bilden die nachfolgend<br />
dargestellten vier Konzepte untereinan<strong>der</strong> eine Art zeitliche Abfolge <strong>und</strong><br />
bilden die konzeptionelle Basis <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>-, Ungleichheits- <strong>und</strong> Integrationsforschung:<br />
• Mit dem Konzept <strong>der</strong> relativen Einkommensarmut sind vor allem<br />
Analysen zur Verteilung materieller, sozialer <strong>und</strong> kultureller Ressourcen<br />
verb<strong>und</strong>en sowie indirekte Messungen von Chancen <strong>der</strong><br />
Teilhabe;<br />
• Mit dem Konzept benachteiligter Lebenslagen sind insbeson<strong>der</strong>e<br />
Analysen verb<strong>und</strong>en, die auf direkten Messungen realisierter gesellschaftlicher<br />
Teilhabe beruhen;<br />
• Mit dem Konzept <strong>der</strong> Ausgrenzung geraten vor allem jene sozialen<br />
Beziehungen in den Mittelpunkt von Untersuchungen, die von einer<br />
angemessenen Teilhabe ausschließen;<br />
• Mit dem Konzept von Verwirklichungschancen (nach Amatyra Sen)<br />
sind insbeson<strong>der</strong>e Messungen von Fähigkeiten zur gesellschaftlichen<br />
Teilhabe verb<strong>und</strong>en sowie von Handlungsspielräumen.<br />
3.2.1 Das Konzept <strong>der</strong> relativen Einkommensarmut<br />
Bereits vor r<strong>und</strong> 50 Jahren wurde das Konzept <strong>der</strong> relativen Einkommensarmut<br />
entwickelt (Fuchs 1967). Es beruht auf <strong>der</strong> Annahme, dass<br />
die Höhe des Einkommens als zentraler Indikator für den Lebensstandard<br />
o<strong>der</strong> die Lebensqualität gelten kann. Mit diesem Begriff wird eine<br />
Beziehung zwischen <strong>der</strong> individuellem Einkommenshöhe <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Wohlstandsverteilung in <strong>der</strong> Gesellschaft insgesamt hergestellt. In<br />
Deutschland wie auch in Europa beruht dieses Konzept insbeson<strong>der</strong>e<br />
auf <strong>der</strong> Anwendung indirekter (einkommensbasierter) <strong>Armuts</strong>indikatoren<br />
die in Bezug zur Einkommensverteilung <strong>der</strong> jeweiligen Gesellschaft
18<br />
gesetzt werden. Als arm gelten danach Personen, <strong>der</strong>en Einkommen<br />
weniger als ein bestimmter Prozentsatz (40, 50 o<strong>der</strong> 60 Prozent) des<br />
mittleren 1 Haushaltseinkommens aller Bürger beträgt. Bei dieser Betrachtung<br />
muss selbstverständlich die jeweilige Haushaltsgröße berücksichtigt<br />
werden. Dies geschieht in <strong>der</strong> Regel durch Berechnungen so<br />
genannter bedarfsgewichteter Pro-Kopf-Einkommen (Äquivalenzeinkommen).<br />
Solche Maße relativer Einkommensarmut gelten dann als<br />
angemessen, wenn sich gesellschaftliche Umbrüche rasch vollziehen.<br />
Dann bestehe die Gefahr einer Entkoppelung von sozialen Gruppen<br />
gegenüber einer allgemeinen Zunahme von Chancen durch<br />
Wohlstandswachstum.<br />
Kritisiert wird an diesem Konzept, dass die <strong>Armuts</strong>maße mehr über die<br />
Einkommensverteilung aussagen als über die Einkommensressourcen.<br />
Selbst <strong>bei</strong> strenger Armut, gemessen an einer 40-Prozent-Grenze, bleibe<br />
völlig offen, ob damit das physische Existenzminimum gedeckt werden<br />
kann o<strong>der</strong> nicht (Klee 2005: 54). Darüber hinaus fehle es an einer<br />
weitergehenden theoretisch-konzeptionelle F<strong>und</strong>ierung. Gepaart mit<br />
dem Mangel an gesellschaftlicher Verständigung über soziale Mindeststandards<br />
würde sich diese Schwäche <strong>bei</strong>spielhaft im ersten <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung zeigen. Je nach <strong>der</strong> gewählten<br />
Zählweise konnten 16 Varianten <strong>der</strong> Ermittlung von <strong>Armuts</strong>quoten<br />
nebeneinan<strong>der</strong> vorgestellt werden (Deutscher B<strong>und</strong>estag 2001; 28, Sell<br />
2002: 12, Bartelheimer 2004: 49 f.).<br />
3.2.2 Das Konzept <strong>der</strong> Lebenslagen<br />
Der erste <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung trug nicht<br />
zufällig den Titel „Lebenslagen in Deutschland“ (BMA 2001) <strong>und</strong> verwies<br />
bereits auf das hierzulande dominierende Konzept <strong>der</strong> Lebenslagen.<br />
Ähnlich wie <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> Einkommensarmut reichen die Anfänge<br />
des Lebenslagenansatzes bis in die 1950er Jahre zurück (Weisser<br />
1951). Ursprünglich wurde Lebenslage als Spielraum definiert, „den die<br />
1 Das durchschnittliche Haushaltseinkommen wird am arithmetischen Mittel<br />
o<strong>der</strong> am Median gemessen.
19<br />
äußeren Umstände dem Menschen für die Erfüllung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>anliegen<br />
bieten ... (Weiser 1957: 6; Weiser 1972). Entgegen <strong>der</strong> in dieser Zeit<br />
vorherrschenden individualisierten Betrachtungsweise von Armut verwies<br />
Weiser außerdem auf wirtschaftspolitische Einflüsse: „die relative<br />
Höhe <strong>der</strong> Lebenslagen <strong>der</strong> aktiven <strong>und</strong> <strong>der</strong> inaktiven Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong>“<br />
werden von dem „Gesamtsystem <strong>der</strong> wirtschaftspolitischen <strong>und</strong><br />
wirtschaftspolitisch relevanten Maßnahmen beeinflusst“ (Weisser<br />
1978). Entgegen dem mit <strong>der</strong> wirtschaftlichen Prosperität einher gehenden<br />
Verständnis von <strong>Sozial</strong>politik, dass eine gute Wirtschaftspolitik<br />
die beste <strong>Sozial</strong>politik sei, betrachtete Weiser <strong>Sozial</strong>politik als einen<br />
Teilbereich <strong>der</strong> Gesellschafts-politik: „als die Gesamtheit <strong>der</strong> Maßnahmen<br />
zur Gestaltung <strong>der</strong> Lebenslagen <strong>der</strong> ’sozial Schwachen <strong>und</strong> Gefährdeten’“<br />
(Weisser 1957, Amman 1983, Voges 2003: 28). Insofern<br />
handelt es sich <strong>bei</strong>m Lebenslagenansatz um ein Konzept, <strong>bei</strong> dem auch<br />
die unterschiedlichen institutionellen Strukturen einer Gesellschaft zur<br />
Erklärung <strong>der</strong> Lebenslage individueller Akteure einbezogen wird. Durch<br />
ein solches Mehrebenenmodell wird auch die soziale Ordnung im Sinne<br />
<strong>der</strong> „Organisation von Produktion <strong>und</strong> Reproduktion“ berücksichtigt<br />
(Esser 1993: 436 f.).<br />
Zur empirischen Bestimmung von Lebenslagen werden direkte <strong>Armuts</strong>indikatoren<br />
verwendet. Sie zielen auf die Ergebnisse <strong>der</strong> Umsetzung von<br />
Ressourcen wie Bildung, Erwerbstätigkeit, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohnen.<br />
Eine mögliche Variante besteht darin, fehlende Merkmale des Lebensstandards<br />
zu ermitteln wie Mangelernährung, fehlende Haushaltsausstattungen,<br />
Schulden, Bildungsdefizite, soziale Isolation o<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitseinschränkungen.<br />
Trotz seiner häufigen Verwendung in <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>forschung<br />
sowie für den ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht, ist <strong>der</strong> Lebenslagenansatz<br />
keineswegs ein klar umrissenes Konzept. Deshalb vergab das<br />
zuständige B<strong>und</strong>esministerium für Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>ordnung für die<br />
Erstellung des zweiten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>s einen Auftrag<br />
mit dem Titel „Methoden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen des Lebenslangenansatzes“<br />
(Voges u. a. 2003). In diesem Projekt wurde <strong>der</strong> Lebenslagenansatz<br />
theoretisch f<strong>und</strong>iert <strong>und</strong> soziale Indikatoren für die <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
operationalisiert. Da<strong>bei</strong> diente <strong>der</strong> Lebenslagenansatz als Verbin-
20<br />
dung zwischen Konzepten <strong>der</strong> Deprivation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ausgrenzung, da er<br />
nach den Handlungsspielräumen fragt, welche sich den Individuen auf<br />
Gr<strong>und</strong> des Einkommens aber auch <strong>der</strong> Ausstattung in an<strong>der</strong>en Dimensionen<br />
eröffnet (Voges 2003: 8). Die Auswahl <strong>der</strong> Dimensionen, Indikatoren<br />
<strong>und</strong> Schwellenwerte musste zum einen den theoretischen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
des Lebenslagenansatzes genügen. Zum an<strong>der</strong>en mussten sie<br />
für die praktische Umsetzung in <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung tauglich<br />
sein. Während sich über die Auswahl <strong>der</strong> Dimensionen noch weitgehend<br />
Einigkeit herstellen lässt, ist die Festlegung <strong>der</strong> jeweiligen Indikatoren<br />
<strong>und</strong> vor allem die <strong>der</strong> Schwellenwerte höchst umstritten. Lebenslagen<br />
werden nach diesen neueren Konzepten auch nicht allein anhand<br />
von objektiven Dimensionen analysiert, son<strong>der</strong>n auch die subjektiven<br />
Einschätzungen <strong>der</strong> jeweiligen Lebenslage werden erhoben (vgl. Abbildung<br />
2).
Tabelle 1: Objektive Dimensionen <strong>und</strong> Indikatoren von Lebenslagen<br />
Bildung<br />
Objektive<br />
Dimensionen<br />
21<br />
Indikatoren Schwellenwerte<br />
Schulabschluss kein Schulabschluss<br />
Berufsbilden<strong>der</strong> Abschluss kein berufsbilden<strong>der</strong> Abschluss<br />
Einkommens- Nettoäquivalenzeinkommen<br />
erzielung pro Kopf<br />
Einkommen Einkommens- Miete o<strong>der</strong> Kosten<br />
verwendung für Wohneigentum<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Aufwand für Ges<strong>und</strong>erhaltung<br />
Erwerbsbeteiligung<br />
Ges<strong>und</strong>heit Erkrankung<br />
Wohnen<br />
Quelle: Voges u. a. 2003<br />
inadäquate Beschäftigung<br />
Haushaltsausstattung<br />
Wohnungsausstattung<br />
60% des Median,<br />
alte OECD-Skala<br />
Mietaufwand > 30% vom<br />
Haushaltsnettoeinkommen<br />
erwerbslos,<br />
unfreiwillige Teilzeitar<strong>bei</strong>t<br />
Anteil in inadäquat Beschäftigten<br />
berufliche Stellung/Ausbildung<br />
starke bis sehr starke Ar<strong>bei</strong>tsein-<br />
schränkungen durch Krankheit<br />
60% des Medians des<br />
modifizierten Halleröd-Indexes<br />
60% des Medians des<br />
modifizierten Halleröd-Indexes<br />
Wohndichte Anzahl <strong>der</strong> Personen/Zimmer > 1<br />
Wohnfläche < 50% <strong>der</strong> mittleren Wohnfläche<br />
Insgesamt erlaube das Lebenslagenkonzept relativ umfassende Aussagen<br />
über die individuellen Risiken des Eintritts einer Unterversorgungslage<br />
sowie über Möglichkeiten zu <strong>der</strong>en Überwindung (Voges 2003:<br />
18). Möglich ist aber auch die Berücksichtigung des Wandels sozialstaatlicher<br />
Rahmenbedingungen. Ein <strong>der</strong>zeit noch offenes methodisches<br />
Problem ist die schwierige Abgrenzung <strong>der</strong> jeweiligen <strong>Armuts</strong>populationen<br />
mit Hilfe direkter <strong>Armuts</strong>indikatoren. Es gibt deshalb vielfältige<br />
Versuche herauszuar<strong>bei</strong>ten, wie <strong>bei</strong>spielsweise niedrige Einkommen mit<br />
geringer Bildung, schlechter Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> einem unzureichenden<br />
Lebensstandard verb<strong>und</strong>en sind.
22<br />
Tabelle 2: Subjektive Dimensionen <strong>und</strong> Indikatoren von Lebenslagen<br />
Subjektive<br />
Dimensionen<br />
Bildung<br />
Einkommen<br />
Indikatoren Schwellenwerte<br />
Bewertung Berufsausbildung sehr unzufrieden, eher unzufrieden<br />
Bewertung z-standadisiert<br />
Bewertung <strong>der</strong> Finanzsituation<br />
Bewertung z-standadisiert<br />
Bewertung <strong>der</strong><br />
täglichen Ar<strong>bei</strong>t<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Bewertung z-standadisiert<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Wohnen<br />
Quelle: Voges u. a. 2003<br />
Differenz von 1 bzw. 0,5 Standardabweichung<br />
zur Referenzgruppe<br />
sehr unzufrieden <strong>und</strong><br />
eher unzufrieden<br />
Differenz von 1 bzw. 0,5 Standardabweichung<br />
zur Referenzgruppe<br />
sehr unzufrieden <strong>und</strong><br />
eher unzufrieden<br />
Differenz von 1 bzw. 0,5 Standardabweichung<br />
zur Referenzgruppe<br />
Einschätzung des<br />
schlecht <strong>und</strong> sehr schlecht<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustandes<br />
Differenz von 1 bzw. 0,5 Stan-<br />
Einschätzung z-standadisiert dardabweichung zur Referenzgruppe<br />
sehr unzufrieden <strong>und</strong><br />
Bewertung <strong>der</strong> Wohnsituation<br />
eher unzufrieden<br />
Differenz von 1 bzw. 0,5 Stan-<br />
Bewertung z-standadisiert dardabweichung zur Referenzgruppe<br />
3.2.3 Das Konzept <strong>der</strong> Ausgrenzung<br />
Anlass für die Ausbreitung des Konzeptes <strong>der</strong> Ausgrenzung war nicht<br />
lediglich die Zunahme von Armut <strong>und</strong> sozialer Marginalisierung. Identifiziert<br />
wurde die Herausbildung von neuen Ungleichheitsstrukturen, <strong>bei</strong><br />
denen auch die räumlichen Konfigurationen <strong>der</strong> Stadt eine Rolle spie-
len, <strong>und</strong> die mit Begriffen wie „Spaltung <strong>der</strong> Stadt“ o<strong>der</strong> „Ausgrenzung“<br />
bezeichnet wurden (Häußermann 2006: 295). Das Konzept <strong>der</strong> Ausgrenzung<br />
beruht auf dem begrifflichen Gegensatzpaar von Integration<br />
<strong>und</strong> Ausgrenzung. In Anlehnung an die entsprechende sozialpolitische<br />
Debatte <strong>der</strong> EU (vgl. Kapitel 3.1), gilt Ausgrenzung als Benachteiligung<br />
in zentralen Lebensbereichen, die die Chancen <strong>der</strong> Teilhabe <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
sozialen Integration maßgeblich einschränken. Ausgrenzung geht da<strong>bei</strong><br />
über die Bedeutung von Armut hinaus <strong>und</strong> betont Zugehörigkeitsaspekte.<br />
Benachteiligungen werden nicht mehr vorrangig als Verteilungsprobleme,<br />
son<strong>der</strong>n als Integrationsdefizite verstanden (Böhnke 2005: 100).<br />
Mit Ausgrenzung wird ein mehrdimensionaler Prozess bezeichnet, in<br />
dem sich Individuen o<strong>der</strong> Haushalte von den durchschnittlichen gesellschaftlichen<br />
Standards <strong>der</strong> Lebensführung entfernen beziehungsweise<br />
entfernt werden: in ökonomischer Hinsicht, in dem sie keinen Zutritt<br />
zum Ar<strong>bei</strong>tsmarkt mehr finden; in institutioneller Hinsicht, indem sich<br />
zwischen ihnen <strong>und</strong> den sozialstaatlichen beziehungsweise politischen<br />
Institutionen unüberwindliche Schranken aufbauen; in kultureller Hinsicht,<br />
wenn Stigmatisierung <strong>und</strong> Diskriminierung zum Verlust des<br />
Selbstwertgefühls <strong>und</strong> zum Verlust <strong>der</strong> moralischen Qualifikationen<br />
führen, die für ein integriertes Leben Voraussetzung sind; <strong>und</strong> schließlich<br />
in sozialer Hinsicht, wenn durch soziale Isolation <strong>und</strong> das Leben in<br />
einem relativ geschlossenen Milieu die Brücken zur Gesellschaft verloren<br />
gegangen sind (Kronauer 2006). Prozesse <strong>der</strong> Ausgrenzung erreichen<br />
ihren Höhepunkt, wenn Individuen o<strong>der</strong> Haushalte in allen genannten<br />
Dimensionen weit von <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft entfernt sind<br />
<strong>und</strong> wenn dies mit einer inneren Kündigung gegenüber <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
zusammentrifft. Diese kann sich in Resignation, Apathie <strong>und</strong> Rückzug<br />
äußern.<br />
Derartige innere Prozesse, die sich in den Menschen abspielen, können<br />
bestätigt <strong>und</strong> verstärkt werden durch Verän<strong>der</strong>ungen des äußeren Milieus<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> lokalen Räume. Dazu zählen zum Beispiel Prozesse in <strong>der</strong><br />
Nachbarschaft, wenn auch dort Menschen leben, die ebenfalls soziale<br />
Abstiege verkraften müssen. O<strong>der</strong> durch eine zunehmende Verwahrlosung<br />
von Gebäuden, Straßen, Plätzen <strong>und</strong> einer nie<strong>der</strong>gehenden Versorgungsinfrastruktur.<br />
23
24<br />
Obwohl sich das Konzept <strong>der</strong> sozialen Ausgrenzung aktuell zum dominierenden<br />
Deutungsmuster sozialer Ungleichen in <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>forschung<br />
entwickelt hat, fehle die für das Ausgrenzungsverständnis zentrale Verbindung<br />
von Ungleichheits- mit Integrationsaspekten (Böhnke 2006:<br />
97). <strong>Sozial</strong>e Ausgrenzung als alltäglich erfahrener Anerkennungsverlust<br />
<strong>und</strong> als wahrgenommene Einschränkung von Teilhabechancen findet<br />
bislang zu wenig Beachtung. Dies gelte sowohl für wissenschaftliche<br />
Studien, aber auch für die auf politischer Ebene mittlerweile etablierten<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattungssysteme. Insbeson<strong>der</strong>e Petra Böhnke plädiert<br />
anhand empirischer Forschungsergebnisse dafür, den Begriff <strong>der</strong> Ausgrenzung<br />
für die Gefahr <strong>der</strong> Abkopplung bestimmter Bevölkerungsgruppen<br />
vom allgemeinen Wohlstandsniveau zu reservieren (Langzeitar<strong>bei</strong>tslosigkeit,<br />
Bildungsarmut). Verunsicherungen <strong>und</strong> Abstiegsängste, die bis<br />
in die gesellschaftliche „Mitte“ hineinreichen, seien hingegen eher Anzeichen<br />
für prekären Wohlstand, <strong>der</strong> zwar Destabilisierung bedeuten<br />
könne, aber nicht Ausgrenzung (Böhnke 2006: 98). Durch die Verwendung<br />
subjektiver Indikatoren können auch prägende Alltagserfahrungen<br />
berücksichtigt werden. Mangelnde Anerkennung <strong>und</strong> Abstiegsängste<br />
rücken so ebenfalls als soziale Tatsachen in den Blick, wodurch die<br />
soziale Frage nicht allein auf ökonomische Prozesse begrenzt bleibt<br />
(Böhnke 2006: 120).<br />
3.2.4 Das Konzept <strong>der</strong> Verwirklichungschancen<br />
Das relativ neue Konzept <strong>der</strong> Verwirklichungschancen des indischen<br />
Ökonomen Amartya hat in <strong>der</strong> (internationalen) Fachöffentlich nicht<br />
zuletzt durch die Verleihung des Nobelpreises breite Aufmerksamkeit<br />
erhalten. Ausgehend von den klassischen ökonomischen Theorien, eröffnet<br />
er mit seinem Ansatz „Entwicklung durch Freiheit“ (Sen 2000:<br />
13) ein breiteres Verständnis von Entwicklung. Seine Konzentration auf<br />
menschliche Freiheiten kontrastiere mit engeren Auffassungen von Entwicklung.<br />
In diesen (westlichen) Ansätzen, werde Entwicklung mit dem<br />
Wachstum des Bruttosozialprodukts o<strong>der</strong> mit dem Anstieg des persönlichen<br />
Einkommens gleichgesetzt, bzw. mit Industrialisierung, technischem<br />
Fortschritt o<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ner <strong>Sozial</strong>technologie. All dies könne natürlich<br />
ein Mittel zur Erweiterung <strong>der</strong> Freiheiten sein. Freiheiten würden
jedoch auch durch an<strong>der</strong>e Dinge geprägt, wie etwa durch Bildungseinrichtungen,<br />
durch Ges<strong>und</strong>heitsfürsorge <strong>und</strong> auch durch politische <strong>und</strong><br />
bürgerliche Rechte. „Wenn Freiheit das ist, was die Entwicklung vorantreibt,<br />
haben wir ein entscheidendes Argument dafür, uns auf diesen<br />
umfassenden Zweck zu konzentrieren, statt <strong>bei</strong> einigen spezifischen<br />
Mitteln o<strong>der</strong> einer ausgewählten Liste von Instrumenten stehen zubleiben“<br />
(Sen: 2000: 13). Diese Auffassung erfor<strong>der</strong>e außerdem die<br />
Hauptursachen von Unfreiheit zu beseitigen: Armut, Despotismus, fehlende<br />
wirtschaftliche Chancen, systematischer sozialer Notstand, die<br />
Vernachlässigung öffentlicher Einrichtungen o<strong>der</strong> auch die erstickende<br />
Kotrolle autoritärer Staaten.<br />
25<br />
Sen verweist auf gute Gründe 2 dafür, Armut als ein Mangel an Verwirklichungschancen<br />
zu betrachten <strong>und</strong> nicht bloß als zu niedriges Einkommen,<br />
Reichtum dagegen als ein hohes Maß an Verwirklichungschancen<br />
(Sen 2000: 32). Mit dieser These, bestreitet er ausdrücklich<br />
nicht die Ansicht, dass ein niedriges Einkommen zweifellos zu den<br />
Hauptursachen von Armut zählt. Ein Mangel an Verwirklichungschancen<br />
könne sich aber auch in einer niedrigen Lebenserwartung, in Unterernährung<br />
vor allem von Kin<strong>der</strong>n, chronischen Krankheiten <strong>und</strong> Analphabetismus<br />
nie<strong>der</strong>schlagen. Aus diesem Blickwinkel erscheine Armut<br />
nicht allein als ein beson<strong>der</strong>es Problem <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
auch <strong>der</strong> wohlhabenden Gesellschaften. Die massive Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit<br />
in Europa von zum Teil über 12 Prozent, bringe zum Beispiel Mangelerscheinungen<br />
mit sich, die aus Statistiken über die Einkommensverteilung<br />
nicht deutlich hervorgehen: dass einige Gruppe vom sozialen<br />
Leben ausgeschlossen werden, dass sie ihre Selbstständigkeit, ihre<br />
Selbstvertrauen, ihre seelische <strong>und</strong> körperliche Ges<strong>und</strong>heit einbüßen.<br />
Armut als Mangel an Verwirklichungschancen verweise im Gegensatz zum bloß<br />
instrumentell bedeutsamen niedrigen Einkommen auf einen intrinsich bedeutsamen<br />
Mangel; verwiesen werden könne auch auf weitere Faktoren als lediglich<br />
auf das Einkommen, durch die Verwirklichungschancen entstehen; vor allem<br />
aber sei die instrumentelle Beziehung zwischen niedrigem Einkommen <strong>und</strong><br />
geringen Verwirklichungschancen variabel. Je nach Gesellschaft, Familie <strong>und</strong><br />
Individuum kann sie verschieden ausfallen, das heißt, sie ist von den Umständen<br />
abhängig (Sen 2000: 110).
26<br />
In diesem Zusammenhang verweist er auf die manifesten Ungereimtheiten<br />
<strong>der</strong> heutigen Bestrebungen in Europa <strong>bei</strong>m ihrem Umgang mit Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit<br />
<strong>und</strong> Armut. „Einerseits setzen sie stark auf ein Klima <strong>der</strong><br />
„Selbsthilfe“, lassen es aber an<strong>der</strong>erseits an wirksamen politischen<br />
Maßnahmen fehlen, um das massive Niveau <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit zu<br />
bekämpfen, das eine <strong>der</strong>artige Selbsthilfe extrem behin<strong>der</strong>t“ (Sen 2000:<br />
33).<br />
<strong>Sozial</strong>politisch bedeutsam an Sens Konzept ist die Untersuchung zentraler<br />
Bestimmungs-faktoren <strong>der</strong> Verwirklichungschancen. Sie lassen<br />
sich in individuelle Potentiale <strong>und</strong> gesellschaftlich bedingte Chancen<br />
unterglie<strong>der</strong>n. Individuelle Potentiale stellen jene Faktoren dar, die in<br />
jede Gesellschaft <strong>der</strong> Welt mitgenommen werden können o<strong>der</strong> müssen.<br />
Dazu gehören finanzielle Möglichkeiten (Einkommen, Vermögen), materielle<br />
Möglichkeiten (Güterausstattung) sowie immaterielle Potentiale<br />
(Ges<strong>und</strong>heitszustand, Bildung) 3 .<br />
Inwiefern diese individuellen Potentiale in Verwirklichungschancen umgewandelt<br />
werden können, hängt entscheidend von den gesellschaftlich<br />
bedingten Chancen ab. Zu diesen Chancen zählt Sen vor allem die sozialen<br />
Chancen: den Zugang zum Bildungs- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssystem, zu<br />
angemessenem Wohnraum, zur Integration in, o<strong>der</strong> zur Ausgrenzung<br />
von Erwerbsar<strong>bei</strong>t, die Sicherheit vor Kriminalität sowie die politischen<br />
Chancen <strong>und</strong> die Möglichkeiten <strong>der</strong> Partizipation. Zwischen den individuellen<br />
Potentialen <strong>und</strong> den gesellschaftlich bedingten Chancen bestehen<br />
enge Wechselwirkungen.<br />
Während mit dem in Deutschland dominierenden Lebenslagenansatz<br />
das Ziel verb<strong>und</strong>en ist, die tatsächlich realisierte Teilhabe <strong>und</strong> die sich<br />
daraus ergebenden Ressourcen zu messen, verfolgt Sen eine weitergehende<br />
Fragestellung. Er will auch berücksichtigen, dass sich Individuen<br />
nicht allein durch ihren Zugang zu Ressourcen unterscheiden, son<strong>der</strong>n<br />
auch hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, diese gemäß ihrer unterschiedlichen<br />
3 Je mehr Menschen in den Genuss einer elementaren Ausbildung <strong>und</strong> guter<br />
Ges<strong>und</strong>heitsfürsorge kommen, um so höher die Chance, dass auch potentielle<br />
Arme <strong>der</strong> Not entrinnen (Sen 1999: 114).
Ziele <strong>und</strong> Lebensumstände (Alter, Krankheit, Geschlecht, Familiensituation)<br />
in Teilhabe umzusetzen („capabilities“). Bei dieser Umsetzung<br />
spielen als zentrale Faktoren die individuellen <strong>und</strong> institutionellen Bedingungen<br />
sowie die Wahlmöglichkeiten (Handlungs- <strong>und</strong> Entscheidungsspielräume)<br />
eine entscheidende Rolle. Die Gr<strong>und</strong>idee <strong>und</strong> das<br />
gesellschaftliche Ziel von Sens Konzept ist es, Ungleichheit <strong>bei</strong> den<br />
Chancen <strong>der</strong> Teilhabe zu reduzieren.<br />
27<br />
Als Vorteil dieses Konzeptes gilt sein pluralistischer <strong>und</strong> individualistischer<br />
Ansatz, mit dem die Vielfalt von Lebensweisen akzeptiert wird.<br />
Nicht vorbestimmt wird außerdem, welche Verwirklichungschancen <strong>und</strong><br />
Ergebnisse von Teilhabe wichtiger sind als an<strong>der</strong>e. Als problematisch<br />
gilt jedoch, dass Sen nicht sagt, wer eigentlich definiert, was ein gesellschaftliches<br />
Minimum an Chancen <strong>der</strong> Teilhabe ist, die in jedem Fall<br />
gesichert sein müssen (zum Beispiel Gr<strong>und</strong>bedürfnisse). Bartelheimer<br />
gibt deshalb zu bedenken, dass mit dem Konzept ein hohes Maß an<br />
demokratischer Verständigung unterstellt wird. Zum Beispiel darüber,<br />
was Mindeststandards <strong>der</strong> Teilhabe sind, für welche Verwirklichungschancen<br />
Politik zuständig ist <strong>und</strong> welches Minimum an Ressourcen <strong>und</strong><br />
Umwandlungsfaktoren gesellschaftlich garantiert sein müssen (Bartelheimer<br />
2006: 19). Aus diesen Gründen könne sich die Politik, wie<br />
auch <strong>bei</strong>m Konzept <strong>der</strong> Chancengerechtigkeit, von ihrer Verantwortung<br />
für soziale Ungleichheitsverhältnisse entlastet sehen. Die Politik müsste<br />
lediglich sicherstellen, dass alle die gleichen Chancen haben. Unter<br />
diesen Umständen wäre <strong>der</strong> individualistische Ansatz in diesem Konzept<br />
mit dem Risiko verb<strong>und</strong>en, das die Einzelnen mit Problemen <strong>der</strong><br />
Teilhabe allein gelassen wären.<br />
An<strong>der</strong>e Interpretationen von Sens Konzept sehen die Politik gerade<br />
nicht von ihrer Verantwortung entlastet, son<strong>der</strong>n sprechen sogar von<br />
einem erweiterten Verantwortungsbereich. Es würde zum Beispiel nicht<br />
mehr ausreichen zu sagen, wie viele Mittel für wie viele Leistungsberechtigte<br />
aufgewendet werden. Erfor<strong>der</strong>lich wäre vielmehr eine viel<br />
tiefer gehende Diskussion über die Qualität von Rechtsansprüchen,<br />
Geldleistungen <strong>und</strong> sozialen Dienstleistungen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en tatsächliche<br />
Wirkungen. Notwendig wäre dann auch eine anspruchsvollere Wirkungsforschung<br />
(Barthelheimer 2006: 20).
28<br />
Um den komplexen <strong>und</strong> weiterführenden Ansatz von Amarty Sen auch<br />
für die empirische Forschung <strong>und</strong> die praktische <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
zu operationalisieren, hat das B<strong>und</strong>esministerium<br />
für Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es eine Machbarkeitsstudie an das Institut für angewandte<br />
Wirtschaftsforschung vergeben. Das Ziel dieser Studie war<br />
eine Überprüfung, ob mit den Daten des SOEP ausreichende Informationen<br />
für eine empirische Umsetzung von Sens Ansatz <strong>der</strong> Verwirklichungschancen<br />
vorhanden sind (Volkert, Strotmann 2006: 1). Die Studie<br />
ist bisher noch nicht in Buchform veröffentlicht, jedoch über das<br />
Internet verfügbar.<br />
Trotz <strong>der</strong> beschriebenen Unterschiede weisen die Konzepte <strong>der</strong> Ausgrenzung,<br />
<strong>der</strong> Verwirklichungschancen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lebenslagenansatz auch<br />
Gemeinsamkeiten auf. Zum Beispiel wird in allen Konzepten <strong>der</strong> Begriff<br />
<strong>der</strong> Teilhabe verwendet, <strong>der</strong> sogar ein sozialrechtlicher Begriff in<br />
Deutschland ist (Bartelheimer 2006: 17). Eine an<strong>der</strong>e wichtige Gemeinsamkeit<br />
liegt darin, dass <strong>bei</strong> <strong>der</strong> empirischen Umsetzung aller drei<br />
Ansätze noch eine Reihe von Problemen gelöst werden müssen.<br />
3.3 Verfügbare Datenquellen - Was kann berichtet werden?<br />
Im Gegensatz zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), ist es<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung bisher nicht gelungen, ein allgemeingültiges<br />
wissenschaftliches Modell zu entwickeln. Dennoch geben die<br />
wichtigsten internationalen Organisationen, wie die OECD, die UN <strong>und</strong><br />
auch die EU (vgl. Kapitel 3.1) regelmäßig <strong>Sozial</strong>berichte heraus.<br />
Viele <strong>Sozial</strong>berichte werden als reine Expertenberichte in Auftrag gegeben,<br />
als Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage für Politik <strong>und</strong> Verwaltung. Es gibt<br />
jedoch auch Berichte, die stärker auf die demokratische Öffentlichkeit<br />
zielen, als Teil <strong>der</strong> „demokratischen Infrastruktur“ eines Landes (Noll<br />
1999). Neben den jeweiligen Gebietseinheiten (lokal, regional, staatlich,<br />
international) unterscheiden sich <strong>Sozial</strong>berichte vor allem darin,<br />
über welche Dimensionen sozialer Entwicklung berichtet werden soll.<br />
Geht es um einen möglichst umfassenden <strong>Sozial</strong>bericht o<strong>der</strong> stehen<br />
spezifische Beobachtungsfel<strong>der</strong> beziehungsweise Bevölkerungsgruppen
29<br />
im Mittelpunkt? Abgesehen von diesen unterschiedlichen Gegenstandsbereichen,<br />
denen sich <strong>Sozial</strong>berichte widmen, kann in einem solchen<br />
Bericht lediglich darüber berichtet werden, was sich durch Datensammlungen<br />
(Statistiken), Erhebungen o<strong>der</strong> Befragungen auch „messen“<br />
lässt:<br />
1) Dazu eignen sich zum einen die Daten <strong>der</strong> amtlichen Statistik, von<br />
<strong>Sozial</strong>versicherungsträgern sowie von sozialen Ämtern <strong>und</strong> Einrichtungen<br />
– des B<strong>und</strong>es, <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunen. Diese umfangreichen<br />
Datenbestände sind jedoch nur zum Teil für Berichte <strong>und</strong> Planungsaufgaben<br />
aufbereitet. Dies ist auch einer <strong>der</strong> Gründe dafür, warum<br />
in <strong>der</strong> aktuellen Diskussion über Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
von einer „Unternutzung“ (Strohmeier 2005: 6) von Quellen<br />
<strong>der</strong> amtlichen Statistik für sozialwissenschaftliche Forschungen <strong>und</strong> die<br />
Politikberatung gesprochen wird.<br />
2) Insgesamt dominieren seit Anfang <strong>der</strong> 1980er Jahre repräsentative<br />
Großstichproben <strong>und</strong> Umfragedatensätze zu mehreren Themen in <strong>der</strong><br />
<strong>Sozial</strong>forschung <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung. Sie ermöglichen es anhand<br />
von vergleichbaren Standards, über längere Zeiträume die Entwicklung<br />
von Armut <strong>und</strong> Reichtum zu beschreiben. Lediglich <strong>bei</strong> Fragen, die<br />
Min<strong>der</strong>heiten in <strong>der</strong> Bevölkerung betreffen o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> sozialstrukturell <strong>und</strong><br />
regional differenzierten Analysen stoßen selbst diese großen Datensätze<br />
auf Beschränkungen kleiner Fallzahlen. 4 Entsprechende repräsentative<br />
Umfragen mit quantitativen Indikatoren werden von verschiedenen,<br />
etablierten sozial- o<strong>der</strong> wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten<br />
durchgeführt:<br />
a) Seit 1984 erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) in Berlin jährlich eine repräsentative Längsschnittuntersuchung<br />
privater Haushalte, das sogenannte „Sozioökonomische Panel“ (SOEP).<br />
Für die Wirtschafts- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>wissenschaften hat das SOEP mittlerweile<br />
eine Schlüsselstellung erlangt (Zapf u. a. 1996, Hanefeld 1987).<br />
Innerhalb <strong>der</strong> ausgewählten Haushalte werden alle Personen im Alter<br />
4 Eine Studie von Erler (1998) mit dem SOEP macht zum Beispiel Aussagen<br />
über die <strong>Sozial</strong>hilfeempfänger in Bremen anhand eines einzigen Falls.
30<br />
ab 16 Jahren direkt befragt. Haushaltsbezogene Fragen sowie Informationen<br />
über Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche unter 16 Jahren werden mit Hilfe<br />
eines Haushaltsfragebogens erhoben (Projektgruppe Panel 1995). Seit<br />
1990 werden neben <strong>der</strong> westdeutschen Wohnbevölkerung, inklusive<br />
<strong>der</strong> ausländischen Privathaushalte mit Haushaltsvorständen aus den<br />
Herkunftslän<strong>der</strong>n Griechenland, Italien, dem ehem. Jugoslawien, Spanien<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Türkei auch ostdeutsche Haushalte erfasst. Die erfolgte<br />
Zuwan<strong>der</strong>ung in die B<strong>und</strong>esrepublik kann seit 1984 adäquat bestimmt<br />
werden, wozu das SOEP 1994/95 um eine Zuwan<strong>der</strong>er-Stickprobe<br />
ergänzt wurde (Schupp, Wagner 1995). Dadurch sind seit 1997 insgesamt<br />
ca. 7.000 Haushalte mit circa 17.500 Personen im Panel vertreten.<br />
Gegenüber an<strong>der</strong>en Datensätzen ermöglicht das SOEP vor allem zeitnahe<br />
Analysen objektiver <strong>und</strong> subjektiver Aspekte <strong>der</strong> Lebensbedingungen<br />
im Längsschnitt. Möglich sind Analysen zur Struktur <strong>und</strong> zur Einkommensdisposition<br />
von Haushalten, wodurch eine Reihe von Auswertungsmöglichkeiten<br />
zu individuellen Lebenslagen bestehen. Deshalb<br />
wurde das SOEP zu <strong>der</strong> bislang wichtigsten <strong>und</strong> gebräuchlichsten Datenquelle<br />
<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung in Deutschland 5 .<br />
Für eine <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung ergeben sich durch die<br />
Daten des SOEP aber auch einige methodische Probleme. Obwohl die<br />
<strong>Armuts</strong>bevölkerung <strong>und</strong> ein Teil <strong>der</strong> Wohnungsnotfälle im Rahmen<br />
eines Weiterverfolgungskonzeptes im Gr<strong>und</strong>satz erfasst werden, muss<br />
von einer deutlichen Untererfassung dieser beson<strong>der</strong>s von Armut bedrohten<br />
Gruppen ausgegangen werden. Personen, die ohne jegliche<br />
Unterkunft o<strong>der</strong> ohne festen Wohnsitz leben, sind ebenso wenig im<br />
Panel vertreten, wie Zuwan<strong>der</strong>er in Sammelunterkünften o<strong>der</strong> Übergangsheimen.<br />
Ob Haushalte mit niedrigen Einkommen über die Zeit<br />
noch hinreichend repräsentativ abgebildet werden, ist in wie<strong>der</strong>kehrenden<br />
Diskussionen um einen sogenannten „Mittelstandsbias“ 6 umstritten.<br />
5 Vgl. Krause 1992, 1993, 1995; Hauser, Hübinger 1993; Hanesch 1994;<br />
Andreß 1996; Statistisches B<strong>und</strong>esamt 1997).<br />
6 Esser u.a. 1989; Hartmann, Schimpl-Neimanns 1992; Projektgruppe Panel<br />
1993; Krause 1993; Rendtel 1995.
Regionale Auswertungen über die <strong>Armuts</strong>population sind wegen <strong>der</strong><br />
relativ geringen Fallzahlen für einzelne B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e<br />
für den Stadtstaat Bremen lediglich bis zu einem bestimmten Differenzierungsgrad<br />
möglich.<br />
31<br />
b) Der sogenannte Mikrozensus wird seit 1957 erhoben <strong>und</strong> beruht auf<br />
einer Zufallsauswahl von 1 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung (820.000 Personen).<br />
Er ist damit die größte jährlich durchgeführte Repräsentativbefragung<br />
in Deutschland. Sie ermöglicht Auskünfte über die Haushalts- <strong>und</strong><br />
Familienzusammensetzung, über die Bildungs- <strong>und</strong> Erwerbsbeteiligung<br />
sowie zu den Quellen des Lebensunterhaltes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Einkommenssituation<br />
von Personen <strong>und</strong> Haushalten im Querschnittsvergleich (Riede<br />
1997). Der Mikrozensus beruht auf einer b<strong>und</strong>esgesetzlichen Regelung.<br />
Weil die Teilnahme verpflichtend ist, sind alle Bevölkerungsgruppen<br />
„repräsentativ“ vertreten. Die Befragung enthält neben Pflichtfragen<br />
auch freiwillig zu beantwortende Fragen. Selbst <strong>bei</strong> diesen freiwilligen<br />
Fragen liefert <strong>der</strong> Mikrozensus ein relativ vollständiges Informationsbild,<br />
da selten über 10 Prozent <strong>der</strong> Befragten Antworten auch auf die freiwilligen<br />
Fragen verweigern.<br />
Erstmals im Jahre 1997 wurden die Individualdaten des Mikrozensus<br />
auch den Wissenschaften zur Verfügung gestellt. Gemeinsam erstellten<br />
das Statistische B<strong>und</strong>esamt <strong>und</strong> das Zentrum für Umfragen, Methoden<br />
<strong>und</strong> Analysen (ZUMA) ein Mikrofile, mit einer Zufallsauswahl von circa<br />
70 Prozent <strong>der</strong> Mikrozensusfälle aus dem Jahr 1995 (Greiner, Schimpl-<br />
Neimanns 1997). Seitdem ist auch die zuvor geringe Zahl von Forschungsar<strong>bei</strong>ten<br />
zu sozialer Ungleichheit <strong>und</strong> Armut deutlich angestiegen.<br />
Die Datenqualität, <strong>der</strong> umfangreiche Merkmalskatalog <strong>und</strong> die<br />
hohen Fallzahlen stellen für die <strong>Sozial</strong>berichterstattung einen bedeutenden<br />
Datensatz dar. Mit diesem Datensatz können Zusammenhänge<br />
zwischen den <strong>Armuts</strong>risiken, Haushalts- <strong>und</strong> Familienkonstellationen<br />
<strong>und</strong> den Erwerbssituationen aufgedeckt werden (Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit, Niedrigeinkommen,<br />
unsichere Beschäftigungsverhältnisse). Mit seinen hohen<br />
Fallzahlen eignet sich <strong>der</strong> Mikrozensus auch für die <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
<strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> <strong>und</strong> bietet neue Erkenntnisse über das Bild<br />
<strong>der</strong> Armut.
32<br />
c) Das Niedrigeinkommenpanel (NIEP) erlaubt als Längsschnittstudie<br />
ein Verfolgen von <strong>Armuts</strong>phasen in den unteren Einkommensbereichen<br />
sowie an den Übergängen zum „prekären Wohlstand“. Möglich sind<br />
detaillierte Analysen zum zeitlichen Verlauf von <strong>Armuts</strong>karrieren auf <strong>der</strong><br />
Gr<strong>und</strong>lage von Einkommensarmut. Der Fragenkatalog umfasst umfangreiche<br />
demografische Angaben <strong>und</strong> zur sozialen Lage <strong>der</strong> Befragten.<br />
Insgesamt ergeben sich dadurch vielfältige Möglichkeiten Einkommensarmut<br />
mit an<strong>der</strong>en Dimensionen <strong>der</strong> Lebenslage zu kombinieren <strong>und</strong> in<br />
zeitlicher Hinsicht zu analysieren.<br />
d) Der B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey (BGS) bietet eine Vielzahl von ges<strong>und</strong>heitsbezogenen<br />
Informationen, die als repräsentativ für Deutschland<br />
angesehen werden können. Weil auch <strong>Sozial</strong>indikatoren wie Einkommen,<br />
Beruf <strong>und</strong> Bildung erhoben werden, ist eine Verknüpfung von<br />
Merkmalen zur Ges<strong>und</strong>heit mit <strong>der</strong> sozialen Situation möglich.<br />
e) Die kontinuierlichen Erhebungen im Rahmen des Wohlfahrtssurvey<br />
(WS) bieten fortlaufende Informationen über objektive <strong>und</strong> subjektive<br />
Indikatoren von privaten <strong>und</strong> öffentlichen Lebensbereichen. Dazu gehören<br />
Einkommen, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit, Demografie sowie allgemeine<br />
Angaben zum subjektiven Wohlbefinden (Lebenszufriedenheit) sowie zu<br />
wohlfahrtsrelevanten Einstellungen <strong>und</strong> Werten (Wertorientierungen,<br />
Wichtigkeit von Lebensbereichen).<br />
Als methodisch problematisch erweist sich die Bestimmung von <strong>Armuts</strong>quoten<br />
mit Hilfe <strong>der</strong> Daten des Mikrozensus, weil das Einkommen<br />
lediglich in Form von Einkommensklassen abgefragt wird. Dadurch<br />
können keine exakten Durchschnittseinkommen berechnet werden.<br />
Simulationen, die für das B<strong>und</strong>esland Nordrhein-Westfalen durchgeführt<br />
wurden (Strohmeiner 2005: 14), haben aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> relativ breiten<br />
Einkommensklassen zu Abweichungen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>quote von<br />
zwei Prozentpunkten geführt. Eine weitere Problematik besteht darin,<br />
dass im SOEP deutlich weniger Haushalte in den unteren Einkommensbereichen<br />
vertreten sind als <strong>bei</strong>m Mikrozensus. Angenommen wird,<br />
dass die intensivere Abfrage einzelner (auch kleinerer) Einkommensquellen<br />
im SOEP zu höheren Einkommenswerten führt.
Bei allen Untersuchungen zur <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsentwicklung sollte<br />
außerdem berücksichtigt werden, dass die Mittel <strong>der</strong> (quantitativen)<br />
empirischen <strong>Sozial</strong>forschung lediglich in begrenztem Umfang die Randzonen<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft erfassen (Andreß, Kronauer 2006: 38). Gerade<br />
beson<strong>der</strong>s stark von Ausgrenzung bedrohte Personen <strong>und</strong> Gruppen wie<br />
<strong>bei</strong>spielsweise Wohnungslose, Analphabeten, (illegale) Flüchtlinge <strong>und</strong><br />
erst kurzzeitig in Deutschland lebende Migranten erreicht die Umfrageforschung<br />
kaum. Aber auch die Einkommen <strong>der</strong> Reichen <strong>und</strong> Superreichen<br />
bleiben weitgehend unberücksichtigt. Insgesamt ist daher davon<br />
auszugehen, dass die verfügbaren Daten die <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsproblematik<br />
eher unterschätzen.<br />
3.4 Die vier zentralen Funktionen einer Berichtserstattung<br />
Zusammenfassend über diese strategische politische Funktion hinaus<br />
werden in den aktuellen wissenschaftlichen Debatten insbeson<strong>der</strong>e vier<br />
zentrale Funktionen einer <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung betont<br />
(Bartelheimer 2001, 2005, Baethge, Bartelheimer 2005):<br />
a) <strong>Sozial</strong>berichterstattung liefert Informationen zu den Effekten („Outcomes“)<br />
lokaler Politik sowie Material für Diskussionen <strong>und</strong> Reflexionen<br />
darüber, welche sozialen Qualitäten städtischen Lebens bedarfsgerecht<br />
<strong>und</strong> möglich sind. Dazu gehört auch die Frage, ob <strong>der</strong> Bedarf an sozialen<br />
Infrastrukturen <strong>und</strong> Dienstleistungsangeboten in städtischen Teilgebieten<br />
angemessen ist.<br />
b) <strong>Sozial</strong>berichterstattung kann Bedarfsindikatoren <strong>und</strong> Qualitätskennzahlen<br />
liefern, auf <strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lage die notwendigen Steuerungsleistungen<br />
rationaler gestaltet werden können. Denn die meisten sozialen<br />
Dienstleistungen werden in einer Dreiecksbeziehung von Kostenträgern,<br />
Anbietern <strong>und</strong> Adressaten erbracht, in <strong>der</strong> Marktmechanismen nicht<br />
funktionieren. Die Adressaten sind keine zahlenden K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> tragen<br />
nicht die Kosten. Ihre „Nachfrage“ ist nicht durch Budgetrestriktionen<br />
begrenzt. Die Kostenträger bezahlen für Leistungen, <strong>der</strong>en Qualität sie<br />
nicht aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Adressaten erfahren <strong>und</strong> die sie häufig<br />
nicht selbst erbringen. Statt den Kostenträgern zusätzliche Finanzmittel<br />
33
34<br />
einzubringen, verengt eine hohe Inanspruchnahme von Leistungen <strong>der</strong>en<br />
finanziellen Handlungsspielraum. Dadurch haben sie kein materielles<br />
Interesse an <strong>der</strong> Zufriedenheit <strong>der</strong> Adressaten. In diesem Dreieck<br />
gibt es daher kaum „automatische“ Korrekturen falscher, schlechter<br />
o<strong>der</strong> teurer Leistungen. Welcher Bedarf zur Gr<strong>und</strong>lage sozialstaatlicher<br />
Leistungsansprüche gemacht wird, entscheidet sich deshalb auf dem<br />
politischen Kampfplatz <strong>der</strong> stellvertretenden Deutung von Bedürfnissen.<br />
c) <strong>Sozial</strong>berichterstattung kann aufzeigen, ob die lokale Politik einen<br />
ausgewogenen <strong>und</strong> effizienten Steuerungsmodus entwickelt, um die<br />
Politiknetzwerke des kommunalen Wohlfahrtspluralismus auszubalancieren.<br />
An diesem spezifischen Netzwerk sind stets verschiedene Akteursgruppen<br />
beteiligt: öffentliche Leistungsträger, freie Träger <strong>der</strong><br />
Wohlfahrtspflege, gewerbliche Dienstleister <strong>und</strong> die Adressaten sozialer<br />
Hilfen <strong>und</strong> Transfers. Weil jede dieser Akteursgruppen auf Ressourcen<br />
an<strong>der</strong>er angewiesen ist, gibt es eine Art Kooperationsnotwendigkeit,<br />
obwohl sie sich nach ihren Interessen, nach ihren Handlungsformen<br />
<strong>und</strong> Machtpotentialen unterscheiden.<br />
d) <strong>Sozial</strong>berichterstattung zielt auf ein relativ überschaubares räumliches<br />
Gebiet, in dem ökonomische, soziale, politische <strong>und</strong> kulturelle<br />
Wechselwirkungen relativ unmittelbare Auswirkungen zeigen. Ob Probleme<br />
von einem Akteur auf einen an<strong>der</strong>en abgewälzt werden, ob ein<br />
Problem bear<strong>bei</strong>tet o<strong>der</strong> verdrängt wird, lässt sich relativ rasch als Kosten<br />
<strong>und</strong> Nutzen im Stadtgebiet <strong>und</strong> im kommunalen Gesamthaushalt<br />
wie<strong>der</strong>finden. Diese relative Unmittelbarkeit kann positiv als „Bürgernähe“<br />
o<strong>der</strong> negativ als „Legitimations- <strong>und</strong> Handlungsdruck beschrieben<br />
werden“. Nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> dieser spezifischen, kommunalen Unmittelbarkeit<br />
entstanden die ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichte auf <strong>der</strong><br />
kommunalen Ebene <strong>und</strong> in den deutschen Großstädten.<br />
4 Praktische Ansätze <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik hat es nahezu zwanzig Jahre gedauert, bis die<br />
Themen Armut, soziale Ungleichheit <strong>und</strong> Ausgrenzung als Gegenstand<br />
regelmäßiger sozialwissenschaftlicher Berichterstattung anerkannt wur-
35<br />
den. Die Initiative zur <strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> Lebenslagenberichterstattung<br />
lag in diesem Zeitraum zunächst <strong>bei</strong> den Kommunen, insbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>bei</strong> den Großstädten. Sie erteilten in den 1980er <strong>und</strong> vermehrt in<br />
den 1990er Jahren erste Berichtsaufträge. Diese „Berichterstattung von<br />
unten“ (Bartelheimer 2001: 14) führte jedoch zu einer schwer zu bilanzierenden<br />
Vielfalt unterschiedlicher lokaler Berichtsansätze.<br />
Nicht von „unten“ son<strong>der</strong>n von „außen“, angestoßen durch die Politik<br />
<strong>der</strong> EU, erlangten Themen wie Armut, Exklusion <strong>und</strong> Ausgrenzung erst<br />
in den deutschen <strong>Sozial</strong>wissenschaften <strong>und</strong> dann in den 1990er Jahren<br />
auch in <strong>der</strong> politischen Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert. In<br />
einem Weißbuch <strong>der</strong> EU-Kommission zur Europäischen <strong>Sozial</strong>politik<br />
wurden erstmals soziale Integrationsziele formuliert (Moussis 1997).<br />
Bereits 1995 hatte das Statistische Amt <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft<br />
(EUROSTAT) das Projekt „European Social Indicators“ begonnen.<br />
Auf diese Weise wurde ein Handbuch mit 78 ausgewählten Indikatoren<br />
zu den Lebensbedingungen in den EU-Mitgliedsstaaten entwickelt (EU-<br />
ROSTAT 1998).<br />
Mit dem Regierungsantritt <strong>der</strong> damals neu gewählten rot-grünen Koalition<br />
erhielten ab 1998 auch in Deutschland Themen wie Armut, prekäre<br />
<strong>Sozial</strong>lagen <strong>und</strong> benachteiligte Stadtquartiere mehr Gewicht. Anstöße<br />
dazu leisteten vor allem zwei im Jahr 2000 vorgelegte b<strong>und</strong>esweite<br />
<strong>Armuts</strong>berichte. Der gemeinsame Bericht von <strong>der</strong> Hans-Böckler-<br />
Stiftung, dem DGB <strong>und</strong> dem Paritätischen Wohlfahrtsverband (Hanesch<br />
u. a. 2000) sowie <strong>der</strong> Bericht über Kin<strong>der</strong>armut von <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>terwohlfahrt<br />
<strong>und</strong> dem Institut für <strong>Sozial</strong>ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>pädagogik (AWO/ISS<br />
2000). Im Jahr 2001 folgte dann auch die B<strong>und</strong>esregierung mit dem<br />
ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht (BMA 2001), dem im Jahr 2005<br />
ein zweiter Bericht gefolgt ist (ARB 2005). Mit dieser Konjunktur von<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichten war außerdem eine Weiterentwicklung <strong>der</strong><br />
methodischen <strong>und</strong> inhaltlichen Standards verb<strong>und</strong>en.
36<br />
4.1 Berichte <strong>der</strong> Europäischen Union<br />
Bereits früh strebte die EU mit <strong>der</strong> Thematisierung von Armut nach<br />
sozialpolitischer Kompetenz. Dem ersten (1975-1980) <strong>und</strong> dem zweiten<br />
<strong>Armuts</strong>programm <strong>der</strong> EU (1984-1989) lag noch eine relativ weite,<br />
eher statische Definition von Armut zugr<strong>und</strong>e. In Anlehnung an Townsend<br />
(1979: 31, 88) bezeichnete die EU Personen, Familien <strong>und</strong><br />
Gruppen als arm, „die über so geringe materielle, kulturelle <strong>und</strong> soziale<br />
Mittel verfügen, das sie von <strong>der</strong> Lebensweise ausgeschlossen sind, die<br />
in dem Mitgliedstaat in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“<br />
(Rat <strong>der</strong> EG 1984, vgl. Kommission 1991: 4). Im Zentrum dieser <strong>bei</strong>den<br />
<strong>Armuts</strong>programme standen vor allem Projekte zur Erforschung von<br />
<strong>Armuts</strong>erscheinungen.<br />
Mit dem dritten Programm zur <strong>Armuts</strong>bekämpfung (1990-1994) wurden<br />
ambitioniertere Ziele verfolgt. 1992 verständigten sich elf Mitgliedsstaaten<br />
(ohne Großbritannien) in einem Zusatzabkommen zum<br />
Maastrichter Vertrag auf weiter gehende sozialpolitische Ziele, darunter<br />
die „Bekämpfung von Exklusion“ (EU 1992: 238 f.). Dieser Zielkatalog<br />
ging 1999 in Artikel 136 des Amsterdamer Vertrags ein (EU 2002). 7<br />
Gegründet wurde außerdem das „European Observatory on National<br />
Policies to Combat <strong>Sozial</strong> Exclusion“. Der jetzt verwendete Begriff <strong>der</strong><br />
sozialen Exklusion verweist außerdem auf konzeptionelle Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
Zielte <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>begriff <strong>der</strong> vorherigen Programme vor allem auf<br />
Verteilungsfragen <strong>und</strong> fehlende Ressourcen, rückten nun „mangelnde<br />
soziale Teilhabe, fehlende soziale Integration <strong>und</strong> fehlende Macht“ in<br />
den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> (Room 1998: 271).<br />
Als multidimensionales Phänomen erstreckt sich soziale Exklusion auf<br />
unterschiedliche Bereiche. Eine vollständige Teilhabe sei gefährdet<br />
7 Laut Artikel 136 des EU-Vertrags in <strong>der</strong> Fassung von 1999 verfolgt die Union<br />
folgende Ziele: „die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beschäftigung, die Verbesserung <strong>der</strong> Lebens-<br />
<strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen, um dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung<br />
zu ermöglichen, einen angemessenen Schutz, den sozialen Dialog, die<br />
Entwicklung des Ar<strong>bei</strong>tskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes<br />
Beschäftigungsniveau <strong>und</strong> die Bekämpfung von Ausgrenzung“ (EU 2002).
37<br />
durch Benachteiligungen <strong>und</strong> Hemmnisse im Bildungssystem, <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Berufsbildung <strong>und</strong> den Beschäftigungsmöglichkeiten, in <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsversorgung,<br />
im Wohnungswesen sowie <strong>bei</strong>m Zugang zu Rechten<br />
<strong>und</strong> zur Kultur. Erfahrungen sozialer Exklusion könnten aber auch durch<br />
Diskriminierung <strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit entstehen sowie durch die<br />
unterschiedliche Qualität des Zugangs zu öffentlichen <strong>und</strong> privaten<br />
Dienstleistungen (EU-Kommission 2000a: 6 f.). Diesem Verständnis<br />
von sozialer Exklusion entspricht in Deutschland <strong>der</strong> Begriff Ausgrenzung.<br />
Mit <strong>bei</strong>den Begriffen wird vor allem <strong>der</strong> Prozess 8 betont, durch<br />
den Menschen innerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft ausgeschlossen werden.<br />
Die Hinwendung <strong>der</strong> EU zum Begriff <strong>der</strong> Exklusion entsprach dem damaligen<br />
wissenschaftlichen Forschungsstand. Es herrschte weitgehend<br />
Einigkeit darüber, dass (materielle) Armut die Problematik mo<strong>der</strong>ner<br />
Gesellschaften nicht vollständig erfassen kann (Room 1990, Kronauer<br />
2002). Anerkannt werden müssten auch nicht materielle Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> ihre Eingeb<strong>und</strong>enheit in übergreifende gesellschaftliche<br />
Prozesse. Zu diesen übergreifenden, strukturellen Faktoren, die<br />
Exklusion bewirken können, werden die Folgen <strong>der</strong> Umbrüche in den<br />
Industriegesellschaften gezählt: anhaltende Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit, verän<strong>der</strong>te<br />
Familien- <strong>und</strong> Geschlechterbeziehungen sowie die Trends <strong>der</strong> sozialen<br />
Fragmentierung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Migration (Bernhard 2006: 2). Der Exklusionsbegriff<br />
wurde deshalb dem <strong>Armuts</strong>begriff vorgezogen, weil mit seiner<br />
Hilfe soziale Verwerfungen explizit in Verbindung mit wirtschaftlichen<br />
<strong>und</strong> sozialen Prozessen des gesellschaftlichen Umbruchs analysiert<br />
werden können. Politisch machte <strong>der</strong> damalige Kommissionspräsident<br />
Jaques Delors den Begriff Exklusion zu einem zentralen Konzept <strong>der</strong><br />
Diskussion um ein soziales Europa (Atkinson 2002). Der Begriff war<br />
damals stark durch die französische Tradition geprägt <strong>und</strong> meinte ge-<br />
8 „The concept of social exclusion is a dynamic one, referring both to processes<br />
and consequent situations. It is therefore a particularly appropriate designation<br />
for structural changes. More clearly than the concept of poverty, <strong>und</strong>erstood far<br />
too often as referring exclusively to income, it also states out the multidimensional<br />
nature of the mechanisms wereby individuals and groups are excluded<br />
from taking part in the social exchanges, from the component pactices and<br />
rights of social integration and of identity (CEC 1992: 8).
38<br />
sellschaftliche Prozesse, für welche die Gesellschaften Verantwortung<br />
haben <strong>und</strong> übernehmen müssen.<br />
Mit dem Jahr 2000 wurde die Bekämpfung von Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />
9 außerdem ein Element <strong>der</strong> „Lissabon-Strategie“. Diese zielt auf<br />
einen „Wirtschaftsraum, <strong>der</strong> fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum<br />
mit mehr <strong>und</strong> besseren Ar<strong>bei</strong>tsplätzen <strong>und</strong> einem größeren<br />
sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (Europäischer Rat 2000a). Während<br />
das Ziel <strong>der</strong> größeren Wettbewerbsfähigkeit durch die regulative<br />
Politik <strong>der</strong> EU mit hoher Verbindlichkeit verfolgt wird, sollen die nationalen<br />
<strong>Sozial</strong>modelle <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten mit Hilfe <strong>der</strong> „Offenen Koordinierungsmethode“<br />
erst allmählich harmonisiert werden (Rat <strong>der</strong> EU<br />
2001, Hauser 2002). Gleichwohl hat die <strong>Sozial</strong>politik <strong>der</strong> EU durch die<br />
Einführung <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> offenen Koordinierung zur Bekämpfung von<br />
Exklusion ihren bisher stärksten Impuls erhalten (Bernhard 2006: 2).<br />
Es handelt sich <strong>bei</strong> dieser Methode um eine Art von strukturiertem<br />
Lernprozess zur Optimierung von Politikstrategien. Die europäischen<br />
Mitgliedsstaaten haben sich dazu auf gemeinsame Ziele geeinigt, die sie<br />
eigenverantwortlich anstreben, in Form von nationalen Aktionsplänen.<br />
Nach zwei o<strong>der</strong> drei Jahren findet ein Austausch über die erzielten Fortschritte<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Eindämmung von sozialer Exklusion in den einzelnen<br />
Mitgliedsstaaten statt. Zur Flankierung dieses Prozesses legte <strong>der</strong> Rat<br />
<strong>der</strong> Europäischen Union 2001 einen ersten gemeinsamen EU-Bericht<br />
über die soziale Einglie<strong>der</strong>ung vor. Auf seiner Sitzung in Laeken beschloss<br />
<strong>der</strong> Rat außerdem einen Satz von 18 Indikatoren 10 zur Beobachtung<br />
sozialer Integration (Rat <strong>der</strong> EU 2001b, Atkinson 2002,<br />
2002a). Sieben dieser ausgewählten Indikatoren sollen im System <strong>der</strong><br />
9 Als „Ausgrenzungsfaktoren“ werden Langzeitar<strong>bei</strong>tslosigkeit, <strong>der</strong> erzwungene<br />
Rückzug vom Ar<strong>bei</strong>tsmarkt, <strong>der</strong> häufige Wechsel zwischen Zeiten von Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit<br />
o<strong>der</strong> Nichterwerbstätigkeit <strong>und</strong> Zeiten niedriger Erwerbseinkommen bzw.<br />
ungesicherter Ar<strong>bei</strong>tsverhältnisse genannt (EU-Kommission 2000, 2000a).<br />
10 Von den 18 primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Indikatoren sozialer Integration, betreffen<br />
neun die Einkommensverteilung, fünf den Erwerbsstatus, zwei den Bildungsstatus<br />
<strong>und</strong> zwei den Ges<strong>und</strong>heitsstatus (Zur Kritik: Hanesch, Jung:<br />
2003).
EU-Strukturindikatoren (Eurostat 2002) das Politikfeld „<strong>Sozial</strong>er Zusammenhalt“<br />
abbilden 11 :<br />
Von diesen ausgewählten Indikatoren erfassen allerdings allein 14 die<br />
Verteilung <strong>der</strong> Einkommen <strong>und</strong> den Erwerbsstatus. Es handelt sich<br />
außerdem <strong>bei</strong> einem Teil dieser Indikatoren um Makroindikatoren wie<br />
zum Beispiel landesweite Durchschnittswerte <strong>und</strong> nicht um Merkmale<br />
von Personen- o<strong>der</strong> Haushalten. Sie eignen sich deshalb zum Beispiel<br />
nicht für eine „verknüpfende Betrachtungsweise“ (Semrau, Müllermeister-Faust<br />
2002: 15). Dieser relativen Einseitigkeit angesichts <strong>der</strong> ursprünglich<br />
postulierten Vielzahl von Faktoren sozialer Exklusion begegnet<br />
<strong>der</strong> EU-Beschluss mit dem Hinweis, in den Nationalen Aktionsplänen<br />
könnten weitere „tertiäre“ Indikatoren zu beson<strong>der</strong>en Aspekten<br />
dargestellt werden. Da diese Indikatoren aber nicht auf EU-Ebene harmonisiert<br />
werden, dürfte ihre Relevanz für die Thematisierung von sozialer<br />
Exklusion innerhalb <strong>der</strong> EU gering bleiben.<br />
Gleichwohl wurden die Bemühungen um eine politische Bear<strong>bei</strong>tung<br />
von Exklusion durch die Einführung <strong>der</strong> offenen Koordinierungsmethode<br />
erheblich erweitert <strong>und</strong> systematisiert. In den nationalen Aktionsplänen<br />
sollen die Mitgliedsstaaten nicht allein ihre Politikstrategien gegen soziale<br />
Exklusion beschreiben <strong>und</strong> veröffentlichen, son<strong>der</strong>n auch durch<br />
quantifizierte Zielsetzungen <strong>und</strong> entsprechende Evaluation überprüfbar<br />
machen (CEC 2006). Ihre Bezeichnung als Nationale Aktionspläne zur<br />
Inklusion deutet wie<strong>der</strong>um auf eine Bedeutungsverschiebung hin.<br />
Vor allem steigt <strong>der</strong> Druck auf die EU-Staaten, statt die „Ausgrenzung“<br />
als Problembeschreibung nun stärker die „Inklusion“ als politische<br />
Handlungsorientierung zu akzentuieren (Bernhard 2006: 3). Von den<br />
Mitgliedsstaaten wird als Konsequenz <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> offenen Koordinierungsmethode<br />
quasi die Ausformulierung einer übergreifenden<br />
11 Der Bereich „<strong>Sozial</strong>er Zusammenhalt“ umfasst die folgenden 7 Indikatoren:<br />
Einkommensverteilung (Verhältnis S80/S20), <strong>Armuts</strong>quote vor <strong>und</strong> nach <strong>Sozial</strong>leistungen,<br />
Persistenz von Armut, Erwerbslose Haushalte, Regionaler Zusammenhalt<br />
(regionale Variation <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosenquote), frühzeitige Schulabgänger,<br />
die an keiner Aus- o<strong>der</strong> Weiterbildung teilnehmen, Langzeitar<strong>bei</strong>tslosigkeit.<br />
39
40<br />
Strategie zur sozialen Inklusion gefor<strong>der</strong>t. Dieser erneute Perspektivenwechsel<br />
vom Begriff sozialer Exklusion zur sozialen Integration hat erhebliche<br />
Konsequenzen für die Politik <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten <strong>der</strong> EU. Der<br />
Perspektivenwechsel ist mit neuen Kontroversen über die angemessene<br />
politische Strategie <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung <strong>und</strong> über die Konzepte <strong>der</strong><br />
<strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung verb<strong>und</strong>en.<br />
Im Mittelpunkt dieser Kontroversen um Konzepte zur sozialen Integration<br />
steht die starke Betonung des Zusammenhangs von Beschäftigung<br />
<strong>und</strong> Inklusion. Dieser Zusammenhang hatte sich bereits <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Auswahl<br />
von überwiegend erwerbszentrierten Indikatoren angedeutet. In<br />
<strong>der</strong> erneuerten, übergreifenden Zielvorgaben <strong>der</strong> Lissabon-Strategie<br />
(Wettbewerbsfähigkeit <strong>und</strong> Wachstum, mehr <strong>und</strong> bessere Ar<strong>bei</strong>tsplätze,<br />
Chancengleichheit, soziale Kohäsion) wurden <strong>bei</strong> den Zielsetzungen<br />
erstmals ein kausaler Zusammenhang zwischen Beschäftigung <strong>und</strong><br />
Inklusion festgelegt 12 (CEC 2005: 5). Wenn die Einglie<strong>der</strong>ung in den<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarkt zu dem wesentlichen Ziel <strong>der</strong> Bekämpfung von Ausgrenzung<br />
wird, dann dient dem bereits jede Verbesserung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmarktlage.<br />
So wird <strong>der</strong> Schluss nahegelegt, dass die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> des Wirtschaftswachstums quasi automatisch auch<br />
<strong>der</strong> Bekämpfung von Exklusion diene (Bernhard 2006: 4).<br />
Neben <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird<br />
in <strong>der</strong> erneuerten Lissabon-Strategie tatsächlich eine bessere Anpassung<br />
<strong>der</strong> Menschen an den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt gefor<strong>der</strong>t. Sie sollen in den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />
„gezogen“ werden <strong>und</strong> das Ar<strong>bei</strong>tskräfteangebot vergrößern. Statt<br />
struktureller Reformen für mehr soziale Integration in den Mitgliedslän<strong>der</strong>n<br />
erwarte die EU hauptsächlich von <strong>der</strong> erwerbsfähigen Bevölkerung<br />
Anpassungsleistungen <strong>und</strong> Verhaltensän<strong>der</strong>ungen. Das wi<strong>der</strong>spreche<br />
<strong>der</strong> ursprünglichen Bedeutung des Begriffs <strong>der</strong> Ausgrenzung diametral<br />
(Bernhard 2006: 4). An die Stelle von sozialen Strukturreformen <strong>und</strong><br />
von Solidarität als eine <strong>der</strong> Voraussetzungen von Integration rücke die<br />
12 Der erste Punkt <strong>der</strong> neuen Zielvorgabe für den Ausgrenzungsbereich lautet:<br />
„Ensure the active sozial inclusion of all by promoting participation in the labour<br />
market and by fighting poverty and exclusion among the most marginalized<br />
people and groups“ (CEC 2005: 5).
essere Anpassung des Einzelnen an den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt durch die Steigerung<br />
seiner Qualifikation, seiner Mobilität <strong>und</strong> Flexibilität sowie auch<br />
durch Einkommensverzicht.<br />
41<br />
Beide Konzepte, das <strong>der</strong> sozialen Exklusion <strong>und</strong> das <strong>der</strong> sozialen Integration,<br />
konkurrieren zur Zeit in <strong>der</strong> europäischen Politik <strong>und</strong> auch in<br />
Deutschland. Momentan haben sich die Gewichte stärker zur Integrationsstrategie,<br />
also <strong>der</strong> Anpassung an den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt verschoben. Mit<br />
dieser politischen Gewichtung wird nicht mehr vorrangig das gesellschaftliche<br />
Problem <strong>der</strong> Exklusion thematisiert <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung<br />
eine hohe politische Priorität gegeben. Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />
sind ein gesellschaftlicher Misstand, zu dessen Überwindung auch die<br />
Umverteilung von Einkommen <strong>und</strong> Vermögen normativ geboten ist. Es<br />
handelt sich folglich um ein Ungleichheitskonzept. <strong>Sozial</strong>e Integration<br />
dagegen gibt einen Weg vor, <strong>der</strong> keineswegs mit materieller Umverteilung<br />
verb<strong>und</strong>en sein muss. Faktoren wie unzureichende Bildung, Flexibilität<br />
<strong>und</strong> Leistungsbereitschaft werden danach als Ursache für die<br />
Marginalisierung von armen Bevölkerungsgruppen angesehen <strong>und</strong> sollen<br />
demnach vorrangig verän<strong>der</strong>t werden, ohne die Verteilung von Einkommen<br />
<strong>und</strong> Vermögen anzutasten.<br />
Über die Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten <strong>der</strong> EU informierten bis<br />
2004 die sogenannten „gemeinsamen Berichte über die soziale Einglie<strong>der</strong>ung“,<br />
die seit 2005 gemeinsame Berichte über <strong>Sozial</strong>schutz <strong>und</strong> die<br />
soziale Einglie<strong>der</strong>ung heißen <strong>und</strong> jährlich veröffentlicht werden. Seit<br />
dem Jahr 2005 bieten die Berichte über <strong>Sozial</strong>schutz sehr genaue Analysen<br />
<strong>der</strong> 25 nationalen Aktionspläne, geordnet nach Themen, Zielen<br />
<strong>und</strong> Län<strong>der</strong>n. Für die Thematik von Armut <strong>und</strong> sozialer Ausgrenzung in<br />
<strong>der</strong> EU sind diese Berichte von zentraler Bedeutung. In den Berichten<br />
werden die Mitgliedsstaaten zu folgenden weiteren Schritten aufgefor<strong>der</strong>t:<br />
• die Verbindung zwischen <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungspolitik <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirtschafts-<br />
<strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>politik soll verstärkt werden<br />
• die administrativen <strong>und</strong> institutionellen Befungisse sollen gestärkt<br />
werden, einschließlich <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>schutzsysteme, ebenso die Koordi-
42<br />
nierung zwischen verschiedenen Regierungstellen <strong>und</strong> Regierungsebenen<br />
• Schwerpunktsetzung auf zentrale Probleme <strong>und</strong> ambitionierte Ziele<br />
vorgeben<br />
• Verbesserungen des Monitorings <strong>und</strong> <strong>der</strong> Evaluation von Maßnahmen<br />
Die gemeinsamen Berichte stellen ein wichtiges Instrument dar, um<br />
gemeinsame europäischen Standards <strong>bei</strong>m Thema Armut <strong>und</strong> soziale<br />
Ausgrenzung zu för<strong>der</strong>n. Zwangsläufig sind sie in einer vorsichtigen<br />
bürokratischen Sprache verfasst.<br />
Seit dem Sommer 2003 werden die nationalen Aktionspläne zur sozialen<br />
Einglie<strong>der</strong>ung vom „European Anti Poverty Network (EAPN) auch<br />
kommentiert. Das erste Positionspapier 2003 hatte den Titel „Where is<br />
the political energy?“ Verwiesen wird darauf, das in den meisten Mitgliedslän<strong>der</strong>n<br />
stärkere Impulse notwendig sind, um Wirkungen auf soziale<br />
Ausgrenzung zu erzielen. Die bestehenden Pläne müssten effektiv<br />
<strong>und</strong> nicht lediglich inspirativ gestaltet werden. Stärker müsse außerdem<br />
das Engagement für konkrete Rechte werden <strong>und</strong> zusätzliche Mittel<br />
seien nötig. Versäumt wurde außerdem, die Aktionspläne mit den Strukturfonds<br />
zu verbinden. Einigkeit bestand auch darüber, das einige Aktionspläne<br />
eher als Berichte denn als Pläne verfasst wurden. Kritisiert<br />
wurde außerdem, das manche Regierungen die Aktionspläne benutzen,<br />
um ihre stärksten Maßnahmen zur <strong>Armuts</strong>bekämpfung zu präsentieren,<br />
jene Maßnahmen aber ausklammern, die zu einem Anstieg <strong>der</strong> Armut<br />
geführt haben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, das die Minister/innen<br />
<strong>und</strong> Premierminister/innen zwar stets die Meinung vertreten<br />
haben, dass gegen Armut „mehr unternommen werde müsse“, sich<br />
jedoch nicht durch europaweite Ziele einengen zu lassen (EAPN 2005:<br />
16).
4.2 Berichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />
Die nationalen Debatten um Armut, Ausgrenzung <strong>und</strong> Integration erfolgten<br />
in Deutschland zwar weitgehend entlang innenpolitischer Zäsuren,<br />
aber keineswegs unabhängig von den oben geschil<strong>der</strong>ten „äußeren“<br />
Einflüssen durch die EU-Politik (vgl. Kapitel 3.1). Seit <strong>der</strong> Jahrtausendwende<br />
hat sich auch in Deutschland die Auffassung durchgesetzt,<br />
dass es nicht mehr um Armut an sich gehe, son<strong>der</strong>n um Armut trotz<br />
Reichtum (Kronauer, Andres 2006). Mit dieser Sichtweise ist in jüngster<br />
Zeit eine intensive Debatte um die Gefahren einer wachsenden sozialen<br />
Polarisierung verb<strong>und</strong>en, bis hin zur Diagnose einer gespaltenen<br />
Gesellschaft (Lessenich, Nullmeier 2006). Zum einen unterstreicht<br />
Deutschland Jahr für Jahr als „Exportweltmeister“ seine hervorragende<br />
wirtschaftliche Position auf vielen globalen Märkten <strong>und</strong> viele Unternehmen<br />
erzielen überdurchschnittliche Gewinne. Zum an<strong>der</strong>en werden<br />
trotzdem ganze Produktionsstandorte geschlossen, Ar<strong>bei</strong>tnehmer verlieren<br />
in großer Zahl ihre Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> die Reallöhne bleiben hinter dem<br />
Produktivitätsfortschritt zurück, was die Binnennachfrage schwächt.<br />
Während Einkommensarmut, Kin<strong>der</strong>armut, Bildungsarmut <strong>und</strong> „working<br />
poor“ insgesamt zunehmen, profitieren bestimmte Bevölkerungsschichten<br />
von wirtschaftlicher Prosperität, unternehmerischem Erfolg<br />
<strong>und</strong> individuellem Reichtum.<br />
43<br />
Bereits 1995 hatte sich die B<strong>und</strong>esrepublik mit ihrer Unterschrift unter<br />
das Abschlussdokument des Weltsozialgipfels in Kopenhagen verpflichtet,<br />
einen nationalen <strong>Armuts</strong>bericht zu erstellen. Mit dem Verweis auf<br />
das Sicherungsnetz <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>hilfe wurde das Vorhandensein von Armut<br />
von <strong>der</strong> damals amtierenden christlich-liberalen Koalitionsregierung<br />
(CDU/CSU, FDP) jedoch stets bestritten. Erst die neue rot-grüne Regierungskoalition<br />
initiierte im Mai 1999 eine regelmäßige <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung. Die <strong>Armuts</strong>berichterstattung, so die Begründung,<br />
sei in Deutschland „verglichen mit an<strong>der</strong>en europäischen<br />
Staaten rückständig <strong>und</strong> eine offizielle <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung finde<br />
überhaupt noch nicht statt“ (Deutscher B<strong>und</strong>estag, DS 14/1999).
44<br />
Der Einfluss durch die Politik <strong>der</strong> EU zeigt sich bereits in <strong>der</strong> verwendeten<br />
<strong>Armuts</strong>definition. Im ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>esregierung (2001) wurde die <strong>Armuts</strong>definition 13 des Rates <strong>der</strong><br />
Europäischen Gemeinschaft von 1984 übernommen. Im Januar 2000<br />
wurde erstmals eine B<strong>und</strong>esregierung durch Beschluss des B<strong>und</strong>estages<br />
zur Erstellung eines nationalen <strong>Armuts</strong>berichtes verpflichtet. Da<strong>bei</strong> wurde<br />
gegen den heftigen Wi<strong>der</strong>stand des politischen Establishments <strong>der</strong><br />
Untersuchungsauftrag auf eine Analyse des Reichtums erweitert (Andres,<br />
Kronauer 2006).<br />
Der im Jahre 2001 vorgelegte Bericht „Lebenslagen in Deutschland –<br />
Der erste <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung“ sollte<br />
mehrere Ziele verfolgen. Die B<strong>und</strong>esregierung habe dafür Sorge zu tragen,<br />
dass ein solcher Bericht nicht zu einem Zahlengrab werde <strong>und</strong> die<br />
Ursachen von Armut <strong>und</strong> Reichtum darlegt werden. Aufgezeigt werden<br />
sollte ein differenziertes Bild über die soziale Lage in Deutschland, das<br />
eine Gesamtschau <strong>der</strong> sozialen Wirklichkeit eröffne. Die Berichterstattung<br />
sollte auch dazu <strong>bei</strong>tragen, die Diskussionen über „Armut“ <strong>und</strong><br />
„Reichtum“ zu versachlichen <strong>und</strong> zu enttabuisieren.<br />
Weil es sich <strong>bei</strong> Armut <strong>und</strong> Reichtum aber um politisch höchst umstrittene<br />
<strong>und</strong> wissenschaftlich vielschichtige Begriffe handelt, entziehen sie<br />
sich einer allgemein gültigen Definition. Deshalb ist die Aufgabe, Armut<br />
<strong>und</strong> Reichtum messbar zu machen, im strengen wissenschaftlichen<br />
Sinn nicht lösbar. Angesichts <strong>der</strong> erst in Ansätzen entwickelten Reichtumsforschung,<br />
müsse sich <strong>der</strong> Bereicht auf eine beschreibende Darstellung<br />
<strong>der</strong> Einkommens- <strong>und</strong> Vermögensverteilung beschränken. Erwartet<br />
wurden außerdem geeignete politische Instrumente zur Vermeidung<br />
<strong>und</strong> Beseitigung von Armut, zur Stärkung <strong>der</strong> Eigenverantwortung<br />
sowie zur Vermin<strong>der</strong>ung von Polarisierungen zwischen Arm <strong>und</strong> Reich<br />
(ARB 2001: XIV).<br />
13 Nach <strong>der</strong> Definition des Rates <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft gelten diejenigen<br />
Personen, Familien <strong>und</strong> Gruppen als arm, „die über so geringe (materielle,<br />
kulturelle <strong>und</strong> soziale) Mittel verfügen, das sie von <strong>der</strong> Lebensweise ausgeschlossen<br />
sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar<br />
ist“ (Rat <strong>der</strong> EU 1984).
45<br />
Um die Vorlage des ersten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>s bereits im<br />
Jahr 2001 gewährleisten zu können, hat ihn die B<strong>und</strong>esregierung bewusst<br />
als Regierungsbericht konzipiert (ARB 2001: 4). Für die Berichterstattung<br />
wurde eine Organisationsstruktur gewählt, die aus einem<br />
ständigen Beraterkreis mit Vertretern <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> Kommunen bestand<br />
sowie aus Verbänden <strong>und</strong> (Betroffenen-) Organisationen.<br />
Daneben wurde ein wissenschaftlicher Beirat berufen, dessen Mitglie<strong>der</strong><br />
durch Gutachten wichtige Vorar<strong>bei</strong>ten leisteten. Verwiesen wurde darauf,<br />
dass sich wegen <strong>der</strong> knappen Zeit keine überhöhten Ansprüche<br />
realisieren ließen, son<strong>der</strong>n eine erste, pragmatische Bestandsaufnahme<br />
gewünscht sei.<br />
Der 2001 vorgelegte erste <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />
besteht insgesamt aus zwei Berichtsteilen (Teil A <strong>und</strong> B). Die<br />
anvisierte Bestandsaufnahme ist deskriptiv-analytisch ausgerichtet (Teil<br />
A „Analysen“). Sie umfasst den Zeitraum von 1973 bis 1998 <strong>und</strong> glie<strong>der</strong>t<br />
sich in neun thematische Schwerpunkte:<br />
I Einkommen, Vermögen <strong>und</strong> Überschuldung<br />
II <strong>Sozial</strong>e <strong>und</strong> ökonomische Situation von Personen<br />
im Bereich <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>hilfe<br />
III Lebenslagen von Familien <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>n<br />
IV Bildung<br />
V Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />
VI Wohnen<br />
VII Ges<strong>und</strong>heitliche Situation <strong>und</strong> Pflegebedürftigkeit<br />
VIII Behin<strong>der</strong>ung<br />
IX Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
Bei dieser Bestandsaufnahme liegt das Schwergewicht auf einer Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong> vorgelegten Expertisen <strong>und</strong> Daten zu verschiedenen<br />
<strong>Armuts</strong>dimensionen. Dem folgt im zweiten Teil (Teil B „<strong>Sozial</strong>politische<br />
Schlussfolgerungen“) die Darstellung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />
mit dem Titel „Die Zukunft gestalten – Deutschland erneuern“ (ARB<br />
2001: XII). Beschrieben werden sozialpolitische Schlussfolgerungen zu<br />
den einzelnen <strong>Armuts</strong>dimensionen sowie die entsprechenden politischen<br />
Aktivitäten <strong>und</strong> Maßnahmen, die ebenfalls nach den oben ge-
46<br />
nannten neun thematischen Schwerpunkten geglie<strong>der</strong>t sind. Im Regelfall<br />
handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine Aufzählung von bereits beschlossenen<br />
o<strong>der</strong> beabsichtigten Reformmaßnahmen <strong>der</strong> Agenda 2010.<br />
Umfasste <strong>der</strong> erste Bericht (2001) die <strong>Armuts</strong>entwicklung bis zum Jahr<br />
1998, erstreckte sich <strong>der</strong> zweite Bericht (2005) auf die Jahre <strong>der</strong> Rot-<br />
Grünen Regierungskoalition. Wie schon <strong>der</strong> erste, besteht auch <strong>der</strong><br />
zweite Bericht aus zwei Teilen. Im Teil A „Zentrale Trends <strong>und</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen“<br />
werden die Lebenslagen <strong>der</strong> Menschen in Deutschland<br />
anhand objektiver statistischer Daten analysiert. Die subjektive Reflexion<br />
ihrer sozialen Lage ist nicht Gegenstand <strong>der</strong> Untersuchung. Im Teil B<br />
„Maßnahmen <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung“ wird, mit Bezug auf die Analysen<br />
<strong>und</strong> Erklärungen im Teil A, „die Politik <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung zur Schaffung<br />
sozialer Gerechtigkeit“ (ARB 2005: 145) dargestellt. Offen bleibt,<br />
ob <strong>und</strong> inwieweit die einzelnen politischen Maßnahmen geeignet sind,<br />
bestimmte Erscheinungsformen von Armut tatsächlich zu verringern.<br />
Das Thema Wirkungsforschung bleibt in <strong>bei</strong>den Berichten (2001,<br />
2005) weitgehend ausgespart. Lediglich kurz thematisiert werden die<br />
armutspolitischen Aufgabenstellungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kommunen<br />
sowie ihr Zusammenspiel mit dem B<strong>und</strong> für eine erfolgversprechende<br />
Integrationspolitik (Hanesch 2006: 20).<br />
In ähnlichen Etappen, wie sie schon für die europäische <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
Integrationspolitik beschrieben wurden, verän<strong>der</strong>ten sich auch in <strong>der</strong><br />
b<strong>und</strong>esdeutschen Debatte um Armut <strong>und</strong> soziale Ungleichheit die<br />
dominierenden Begriffe <strong>und</strong> Konzepte. Die damit einher gehenden begrifflichen<br />
<strong>und</strong> methodischen Verän<strong>der</strong>ungen hat Petra Böhnke als einen<br />
„Paradigmenwechsel“ charakterisiert (Böhnke 2005). Im Rahmen<br />
<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung verlief<br />
dieser Paradigmenwechsel von 2001 bis 2005 wie in einem Zeitraffer.<br />
Der zweite Bericht aus dem Jahr 2005 beruft sich nun auf das<br />
Konzept <strong>der</strong> Verwirklichungschancen, wie es von Amatyra Sen entwickelt<br />
wurde (vgl. Kapitel 2.2). „Das Konzept <strong>der</strong> Teilhabe- <strong>und</strong> Verwirklichungschancen<br />
bildet (...) in Verbindung mit dem Lebenslagenansatz<br />
die Gr<strong>und</strong>lage für die <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung des<br />
B<strong>und</strong>es“ (ARB 2005: 10). Bartelheimer betont in diesem Zusammenhang,<br />
das die Ar<strong>bei</strong>t aber noch weitgehend ausstehe, um die zentralen
Begriffe <strong>der</strong> aktuellen sozialpolitischen Debatte miteinan<strong>der</strong> zu verbinden<br />
<strong>und</strong> methodisch zu f<strong>und</strong>ieren (Bartelheimer 2006: 17).<br />
47<br />
Für die konkrete <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsmessung wurden keine starren<br />
<strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> Reichtumsgrenzen festgelegt. Die ausgewählten Indikatoren<br />
wurden vielmehr hinsichtlich <strong>der</strong> Distanzen zu klar definierten mittleren<br />
Niveaus, wie zum Beispiel des Einkommens, benannt. Dadurch<br />
wird „die Identifizierung von Personengruppen erleichtert beziehungweise<br />
ermöglicht, die einem erhöhten <strong>Armuts</strong>risiko ausgesetzt sind“ (ARB<br />
2005: 42), bzw. jene Gruppen umrissen, innerhalb <strong>der</strong>er sich Reichtum<br />
konzentriert.<br />
Dieser regelmäßigen, institutionalisierten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
kommt für die Weiterentwicklung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
<strong>und</strong> politischen <strong>Armuts</strong>diskussion in Deutschland eine unverzichtbare<br />
Funktion zu. Positiv hat sich auch die Verknüpfung des Berichts mit<br />
zwei Begleitgremien erwiesen. Die Berichte werden durch einen „Ständigen<br />
Beraterkreis“ aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen,<br />
Ar<strong>bei</strong>tgebern, Gewerkschaften, Kirchen, Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Kommunen begleitet.<br />
Dadurch ist es den Verbänden im Prinzip möglich, auf die inhaltliche<br />
Berichtskonzeption Einfluss zu nehmen <strong>und</strong> den Prozess <strong>der</strong><br />
Berichterstattung kritisch zu kommentieren <strong>und</strong> zu begleiten 14 . Auch<br />
<strong>der</strong> Austauschprozess mit einem Gutachter<strong>bei</strong>rat, bestehend aus den<br />
mit Gutachten beauftragten Experten, hat sich als eine sinnvolle Konstruktion<br />
erwiesen (Hanesch 2006: 22). Neben diesen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
positiven Einschätzungen zum Aufbau einer systematischen <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> Reichtumsentwicklung in Deutschland gab es aber auch kritische<br />
Stimmen – vor allem in methodischer Hinsicht <strong>und</strong> bezogen auf die<br />
politische Legitimation <strong>der</strong> Maßnahmen im Rahmen <strong>der</strong> Agenda 2010.<br />
Eine ganze Reihe von <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>forschern kritisieren aber nicht<br />
allein dass (zu) stark normativ geprägte Einleitungskapitel (Hanesch<br />
2001, 2005, Hauser 2001, Rügemer 2001, Schäfer 2001). Auch in<br />
14 So sind auf Vorschlag <strong>der</strong> Verbände hin in den zweiten Bericht Kapitel zu<br />
Menschen in extremer Armut <strong>und</strong> zur gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Partizipation<br />
aufgenommen wurden.
48<br />
einzelnen analytischen Kapiteln des Teils A sei die Tendenz erkennbar,<br />
Problemaspekte <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung so zu umschreiben o<strong>der</strong><br />
auch auszublenden, dass sie mit <strong>der</strong> Regierungspolitik kompatibel werden.<br />
Im Zusammenhang mit den aktuellen Reformen auf <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esebene<br />
werde an keiner Stelle auf damit verb<strong>und</strong>ene <strong>Armuts</strong>risiken hingewiesen.<br />
Vergleichbares gelte auch für die Politik auf Län<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />
Gemeindeebene. Unerwähnt bleiben die zum Teil massiven Einschnitte<br />
in <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung sozialer Dienste sowie die sozialen Auswirkungen <strong>der</strong><br />
Haushaltskonsolidierung in vielen Kommunen. Durch diese Entwicklungen<br />
hätten die <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Ausgrenzungsrisiken für bestimmte Lebenslagen,<br />
Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>räume deutlich zugenommen.<br />
Gleichzeitig hätte die Politik zunehmend Probleme, die Wirksamkeit von<br />
Programmen <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Ausgrenzungsbekämpfung tatsächlich<br />
nachzuweisen (Hanesch 2005: 27).<br />
Kritisch fällt auch das Urteil von Claus Schäfer vom WSI aus. Orientiert<br />
an den Interessen von Ar<strong>bei</strong>tnehmern fasst er seine Position in zwei<br />
Thesen zusammen. Insgesamt „unterschätzt, ja beschönigt <strong>der</strong> Bericht<br />
teilweise die in Deutschland inzwischen eingetretene Polarisierung im<br />
Gesamtgefüge sozialer Ungleichheit“ (Schäfer 2005: 1). Verkannt würden<br />
vor allem die Ursachen-Wirkungsketten für Ungleichheit <strong>und</strong> speziell<br />
für Armut, sodass keine adäquaten Lösungswege aufgezeigt werden<br />
könnten. Auch er kritisiert die Versuche in dem Bericht, die Politik <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>esregierung <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Fortsetzung zu rechtfertigen, ohne die Verantwortung<br />
für Wirkung <strong>der</strong> ergriffenen Maßnahmen zu übernehmen<br />
<strong>und</strong> die „Polarisierungsmisere“ zu sehen (Schäfer 2005: 8).<br />
Diesen gr<strong>und</strong>sätzlichen Thesen <strong>und</strong> Bewertungen folgt eine eingehende<br />
<strong>und</strong> differenzierte methodische Kritik an zentralen Messverfahren von<br />
Armut, Reichtum <strong>und</strong> sozialer Ungleichheit. Als wichtigste Schlussfolgerung<br />
aus den genannten Kritiken wird für die Vorbereitung des Dritten<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht gefor<strong>der</strong>t, den Einfluss <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />
auf die inhaltliche <strong>und</strong> interpretatorische Gestaltung zu reduzieren<br />
(Ferchland 2005: 817). Hanesch verweist mit einer ähnlichen Intention<br />
auf die Jugend- <strong>und</strong> Familienberichte, die durch eine Expertenkommission<br />
erar<strong>bei</strong>tet würden. Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage dieser unabhängigen Berichte<br />
könne die Regierung dann eine Stellungnahme abgeben, die im Parla-
ment öffentlich beraten werde <strong>und</strong> Wege für eine Politik gegen Armut<br />
weisen könne (Hanesch 2005: 20).<br />
4.3 Berichte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
In den 90er Jahren haben die meisten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> damit begonnen,<br />
eigene <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichte herauszugeben. In den meisten<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n handelte es sich da<strong>bei</strong> um eine einmalige Berichterstattung,<br />
um eine Momentaufnahme.<br />
Hamburg war nach Nordrhein-Westfalen (1992) das zweite B<strong>und</strong>esland,<br />
dass bereits 1996 einen „<strong>Armuts</strong>bericht“ vorlegte, <strong>der</strong> 1998 aktualisiert<br />
<strong>und</strong> weiterentwickelt wurde. Das ist mittlerweile neun Jahre<br />
her. Seitdem hat <strong>der</strong> nun CDU-geführte Senat alle For<strong>der</strong>ungen nach<br />
einer Weiterführung <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichtserstattung abgelehnt, zuletzt in<br />
einer offiziellen Senatssitzung im Jahre 2006.<br />
In Nie<strong>der</strong>sachsen wurde <strong>der</strong> „Landesbericht zur Entwicklung von Armut<br />
<strong>und</strong> Reichtum“ (1998) vor ebenfalls neun Jahre erstellt. Im Jahr 2006<br />
hat <strong>der</strong> DGB Nie<strong>der</strong>sachsen eine Weiterführung <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
von 1998 gefor<strong>der</strong>t, bisher ohne Erfolg.<br />
In Schleswig-Holstein legte die Landesregierung 1999 einen „Landesarmutsbericht“<br />
vor, dem bisher kein weiterer gefolgt ist. 2006 for<strong>der</strong>te<br />
die Fraktion <strong>der</strong> Grünen eine aktualisierte <strong>Armuts</strong>berichtserstattung,<br />
insbeson<strong>der</strong>e im Hinblick auf die sich zuspitzende Kin<strong>der</strong>armut.<br />
In Bayern liegt <strong>der</strong> letzte „Bericht <strong>der</strong> Staatsregierung zur sozialen Lage“<br />
acht Jahre zurück (1999). Die <strong>der</strong>zeitige <strong>Sozial</strong>ministerin Christa Stevens<br />
hat 2006 jedoch einen neuen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht angekündigt.<br />
49<br />
Auch in Mecklenburg-Vorpommern folgte dem letzten <strong>Sozial</strong>bericht zum<br />
Thema „Alleinerziehende <strong>und</strong> kin<strong>der</strong>reiche Familien“ (1999) bisher kein<br />
weiterer.
50<br />
In Hessen gibt es bisher keinerlei <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichte, son<strong>der</strong>n<br />
lediglich immer wie<strong>der</strong>kehrende For<strong>der</strong>ungen an die CDU-geführte Landesregierung,<br />
endlich einen <strong>Armuts</strong>bericht vorzulegen. Diese For<strong>der</strong>ungen<br />
haben jüngst <strong>der</strong> DGB <strong>und</strong> die Grünen wie<strong>der</strong>holt (2006), bisher<br />
ohne Erfolg.<br />
Ähnlich ist die Situation in Baden-Württemberg. Hier stellte die SPD im<br />
Landtag 2006 den Antrag, endlich einen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht<br />
zu erstellen. Das zuständige Ministerium verwies auf nicht vorhandene<br />
Finanzmittel. Da<strong>bei</strong> wurde auf den aktuellen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht<br />
in NRW (2004) verwiesen, <strong>der</strong> circa 350.000 Euro gekostet habe.<br />
Priorität in Baden-Württemberg habe das Ziel <strong>der</strong> Entbürokratisierung,<br />
wozu auch <strong>der</strong> Abbau von Berichtspflichten gehöre (DS 13/5072).<br />
Trotz dieser politischen Prioritäten hat die Landesregierung zum Thema<br />
„Familien in Baden-Württemberg“ in den Jahren 1998 <strong>und</strong> 2004 Berichte<br />
vorgelegt.<br />
In Bremen gibt es bisher keine offizielle <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
<strong>der</strong> Landesregierung. Diese „Lücke“ versucht die Bremer<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer seit 2002 mit eigenen Berichten zum Thema<br />
„Armut in Bremen“ zu füllen. Dem ersten Bericht mit dem Schwerpunktthema<br />
„Kin<strong>der</strong>armut“ (2002) folgten bereits vier weitere, mit den<br />
Themen „Armut trotz Ar<strong>bei</strong>t“ (2003), „Armut <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit“ (2004),<br />
„Armut <strong>und</strong> Bildung“ (2005), „Hilfebedürftig trotz Ar<strong>bei</strong>t“ (2006) <strong>und</strong><br />
aktuell zur „<strong>Sozial</strong>en Spaltung <strong>der</strong> Stadt“ (2007).<br />
Relativ aktuelle <strong>Sozial</strong>berichte liegen in den meisten <strong>der</strong> neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
vor sowie für Nordrhein-Westfalen <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz. NRW<br />
<strong>und</strong> Rheinland-Pfalz sind bisher die einzigen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>, die eine<br />
kontinuierliche <strong>und</strong> aufeinan<strong>der</strong> aufbauende integrierte <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung betreiben. Insbeson<strong>der</strong>e dem <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht von NRW (2005) liegt <strong>der</strong>zeit das methodisch <strong>und</strong><br />
thematisch anspruchsvollste Konzept <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung zu<br />
Gr<strong>und</strong>e. Es gibt nicht nur ein f<strong>und</strong>iertes Kapitel über gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> privaten Reichtum, son<strong>der</strong>n auch den methodisch aufwendigen<br />
Versuch, (individuelle) Haushaltsdaten mit regionalisierten, statistischen<br />
Massendaten zu verbinden (Strohmeier 2004, 2005).
51<br />
In den neuen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n hat Sachsen im Jahre 2002 einen Bericht<br />
„zur sozialen Lage im Freistaat Sachsen“ vorgelegt. Auch <strong>der</strong> Stadtstaat<br />
Berlin hat im gleichen Jahr einen „<strong>Armuts</strong>bericht“ (2002) veröffentlicht.<br />
Sachsen-Anhalt legte ebenfalls im Jahr 2002 einen <strong>Sozial</strong>bericht vor.<br />
Das B<strong>und</strong>esland Brandenburg hat im Jahr 2003 zwei Berichte herausgegeben:<br />
einen mit <strong>Sozial</strong>indikatoren „zur sozialen Lage im Land“ sowie<br />
einen „Überblick zur <strong>Sozial</strong>politik“.<br />
Die aktuellsten <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong> liegen für die B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
Nordrhein-Westfalen (2004) <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz vor (2004).<br />
Nordrhein-Westfalen betreibt bereits seit 1992 eine kontinuierliche<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung mit dem Schwerpunkt „Armut“. Bis zum Jahr<br />
1998 wurden nach <strong>und</strong> nach insgesamt acht spezialisierte Berichte zu<br />
verschiedenen sozialen Gruppen veröffentlicht, die beson<strong>der</strong>s von Armut<br />
betroffen sind: Ältere, Obdachlose, Alleinerziehende, Verschuldete,<br />
kin<strong>der</strong>reiche Familien, Migranten, Ar<strong>bei</strong>tslose <strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmer mit<br />
Niedriglöhnen. Mit dem „<strong>Sozial</strong>bericht 1998“ wurde erstmals ein Querschnittsbericht<br />
entwickelt um einen Gesamtüberblick <strong>der</strong> sozialen<br />
Strukturen <strong>und</strong> Problemen im Land zu erhalten. Diese Berichtsform<br />
wurde bis zum folgenden Bericht 2003 weiterentwickelt <strong>und</strong> durch den<br />
Bericht 2004 zu einer umfassenden <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
ausgeweitet.<br />
Das B<strong>und</strong>esland Rheinland-Pfalz hat seit dem Jahr 1998 damit begonnen,<br />
kontinuierliche <strong>Armuts</strong>berichte vorzulegen. Der aktuelle <strong>Armuts</strong>bericht<br />
2004 ist bereits <strong>der</strong> dritte in Folge, erweitert um einen Teil zum<br />
Thema Reichtum.<br />
Deutlich wird, dass im fö<strong>der</strong>alen deutschen B<strong>und</strong>esstaat die historisch<br />
gewachsenen regionalen <strong>und</strong> politischen Unterschiede bis in die Praxis<br />
<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung hinein wirken. Nachdem in den<br />
80er Jahren mehrere Großstädte in diesem Bereich <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>politik<br />
aktiv wurden, folgte Anfang <strong>der</strong> 90er Jahren als erstes das B<strong>und</strong>esland<br />
Nordrhein-Westfalen (1992), Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre Hamburg (1996).<br />
Vor allem die Großstädte in NRW sowie <strong>der</strong> Stadtstaat Hamburg sahen<br />
sich in diesen Jahren durch beson<strong>der</strong>s tiefgreifende soziale Polarisierungen<br />
zu diesem Schritt herausgefor<strong>der</strong>t.
52<br />
Danach lassen sich zwei „Wellen“ <strong>der</strong> Berichterstattung in den 16<br />
deutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n erkennen. 1998/99, noch vor dem ersten<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung (2001), legten<br />
mehrere westdeutsche B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichte vor:<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz 1998, Bayern <strong>und</strong> Schleswig-<br />
Holstein 1999.<br />
Nach dem Erscheinen des <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />
2001 folgten in einer zweiten „Welle“ die ostdeutschen Län<strong>der</strong>:<br />
Berlin, Sachsen <strong>und</strong> Sachsen-Anhalt im Jahr 2002 sowie Brandenburg<br />
<strong>und</strong> Thüringen 2003.<br />
Neben den Unterschieden zwischen den westlichen <strong>und</strong> den östlichen<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n gibt es aber auch Unterschiede zwischen den weniger<br />
wohlhabenden nord- <strong>und</strong> westdeutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n <strong>und</strong> den wohlhaben<strong>der</strong>en<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n im Süden. Baden-Württemberg <strong>und</strong> Hessen<br />
sprechen von relativ geringen <strong>Armuts</strong>problemen <strong>und</strong> lehnen eine kontinuierliche<br />
Berichterstattung ab. Obwohl auch Bayern so argumentieren<br />
könnte, wurde dort 1999 zwar kein <strong>Armuts</strong>bericht vorgelegt, aber zumindest<br />
ein Bericht zur sozialen Lage im Land. In Baden-Württemberg<br />
<strong>und</strong> Hessen wird es als ausreichend angesehen, wenn die konkret betroffenen<br />
Kommunen Daten zur <strong>Armuts</strong>problematik sammeln. Überprüft<br />
werden sollte vielmehr, ob die von den Kommunen vorgeschlagenen,<br />
<strong>und</strong> vom Land geför<strong>der</strong>ten sozialen Programme, Erfolge bewirken. In<br />
Baden-Württemberg liegt die politische Priorität <strong>der</strong> Berichterstattung<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Situation <strong>der</strong> Familien <strong>und</strong> <strong>der</strong> Migrantenfamilien. Ausnahmen<br />
von diesen zuvor beschriebenen „Mustern“ repräsentieren die <strong>bei</strong>den<br />
kleinsten B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>, das Saarland <strong>und</strong> Bremen. Dort wird bisher<br />
keine offizielle <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung im Auftrag <strong>der</strong> Landesregierung<br />
betrieben.
4.4 Berichte deutscher Großstädte<br />
53<br />
Vorreiter auf dem Gebiet einer systematischen <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
waren bereits in den 80er <strong>und</strong> 90er Jahren viele deutsche<br />
Kommunen, insbeson<strong>der</strong>e die Großstädte. Ihnen folgten in einer<br />
zweiten Phase Ende <strong>der</strong> 90er Jahre die meisten westdeutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>,<br />
mit Nordrhein-Westfalen (1992) <strong>und</strong> Hamburg (1996) als<br />
Vorreiter. Als Ende <strong>der</strong> 90er Jahre in vielen Städten <strong>und</strong> selbst in den<br />
beson<strong>der</strong>s prosperierenden Großstädten die Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit <strong>und</strong> die<br />
Armut stark zu nahm, folgte eine „zweite Welle“ kommunaler <strong>Sozial</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichte. Einige <strong>der</strong> Großstädte betreiben seitdem eine kontinuierliche<br />
Berichterstattung, an<strong>der</strong>e geben lediglich einmalige o<strong>der</strong><br />
unregelmäßige Berichte heraus. In einigen Großstädten wurde außerdem<br />
die Methodik kontinuierlich weiterentwickelt (vgl. Tabelle 1) hin zu<br />
integrierten <strong>Sozial</strong>berichten mit kleinräumigen <strong>Sozial</strong>datenanalysen.<br />
Siehe folgende Seite,<br />
Tabelle 3: <strong>Sozial</strong>berichterstattung in den 15 größten deutschen Städten
54<br />
Großstadt Art <strong>der</strong> Berichterstattung Zeitpunkte<br />
Stuttgart<br />
München<br />
Nürnberg<br />
Frankfurt<br />
Hannover<br />
Dortm<strong>und</strong><br />
Düsseldorf<br />
Duisburg<br />
Essen<br />
thematische Berichte, insbes. Familienberichte<br />
<strong>Armuts</strong>bericht 2001<br />
unregelmäßig<br />
integrierte <strong>Sozial</strong>strukturberichte, <strong>Armuts</strong>berichte seit 1997<br />
(zuletzt 2004) regional (kleinräumige) <strong>Sozial</strong>berich- fortlaufende<br />
te<br />
Aktualisierung<br />
<strong>Sozial</strong>berichte früher unregelmäßig<br />
Struktur <strong>und</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Armut 2004<br />
<strong>Armuts</strong>bekämpfung <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>prävention 2006<br />
<strong>Sozial</strong>berichte 1997 <strong>und</strong> 2001<br />
seitdem thematische Einzelberichte<br />
integrierte <strong>Sozial</strong>berichte mit thematischen<br />
Schwerpunktthemen<br />
regelmäßige, kleinräumige Strukturdaten<br />
Neukonzeption <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung 2007<br />
integrierter <strong>Sozial</strong>strukturbericht mit einer<br />
kleinräumigen Clusteranalyse<br />
thematische Berichte unregelmäßig<br />
<strong>Armuts</strong>bericht 2001<br />
Neukonzeption <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung 2007<br />
integrierter <strong>Sozial</strong>bericht, einschl. kleinräumiger<br />
<strong>Sozial</strong>strukturdaten sowie Einkommen <strong>und</strong> Bildung<br />
integrierte <strong>Sozial</strong>berichte mit thematischen<br />
Schwerpunktthemen, einschließlich kleinräumiger<br />
<strong>Sozial</strong>strukturdaten<br />
seit 2004<br />
regelmäßig<br />
seit 1997<br />
unregelmäßig<br />
regelmäßig<br />
1993, 1998,<br />
2002, 2008<br />
ab 2007<br />
regelmäßige Aktua-<br />
lisierung geplant<br />
unregelmäßig<br />
ab 2007<br />
regelmäßige Aktua-<br />
lisierung geplant<br />
seit 1995<br />
regelmäßig<br />
Köln <strong>Sozial</strong>berichte unregelmäßig aktuell 2005<br />
Dresden unregelmäßige thematische Berichte unregelmäßig<br />
Leipzig unregelmäß. <strong>Sozial</strong>berichte m. thema. Schwerpkt. unregelmäßig<br />
integrierte Berichte "<strong>Sozial</strong>e Stadtentwicklung" regelmäßig alle<br />
Berlin kleinräumige Clusteranalyse, Fortschreibung <strong>und</strong> 2 Jahre seit 1998<br />
Modifikation als sozialräumliches Monitoring aktuell 2005-2006<br />
keine offizielle städtische Berichterstattung jährlich: 2003,<br />
Bremen <strong>Armuts</strong>berichte <strong>der</strong> AK Bremen, regelmäßige 2004, 2005,<br />
thematische <strong>und</strong> auch kleinräumige Analysen<br />
bis 1999 regelmäßige <strong>Armuts</strong>berichte <strong>und</strong> ein<br />
2006, 2007<br />
Hamburg städtisches Programm zur <strong>Armuts</strong>bekämpfung<br />
seitdem unregelmäßige thematische Berichte<br />
unregelmäßig<br />
Quellen: eig. Zusammenstellung aus städt. <strong>Sozial</strong>- u. <strong>Armuts</strong>berichten sowie dem Internet
55<br />
Beson<strong>der</strong>s systematisch wurde in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eshauptstadt Berlin ein regelmäßiges<br />
Stadtmonitoring aufgebaut <strong>und</strong> weiterentwickelt. Das Monitoring<br />
„<strong>Sozial</strong>e Stadtentwicklung Berlin“ basiert auf einem wissenschaftlichen<br />
Gutachten aus dem Jahre 1998 („<strong>Sozial</strong>orientierte Stadtentwicklung“).<br />
Seitdem wird das Berichtssystem in einem zweijährigen Rhythmus<br />
fortgeschrieben <strong>und</strong> teilweise modifiziert. Es dient <strong>der</strong> Überprüfung<br />
von sozialstrukturellen <strong>und</strong> sozialräumlichen Verän<strong>der</strong>ungen in den<br />
Teilgebieten <strong>der</strong> Stadt. Die Ergebnisse des Monitorings werden zur Vorbereitung<br />
neuer Entscheidungen in <strong>der</strong> Stadtentwicklungspolitik genutzt<br />
<strong>und</strong> gehen in die Berechnung <strong>der</strong> Finanzmittelzuweisungen für die Bezirke<br />
ein. Sie dienen ebenfalls dazu, Entscheidungen über die Aufnahme<br />
in das <strong>und</strong> über die Herausnahme von Quartieren aus dem B<strong>und</strong>-<br />
Län<strong>der</strong>-Programm „<strong>Sozial</strong>e Stadt“ zu treffen (entsprechend<br />
§171 e Baugesetzbuch).<br />
Für die letzte Fortschreibung des Berliner Monitorings (2007) wurde<br />
das Indikatorenset abermals überar<strong>bei</strong>tet. Die Weiterentwicklung war<br />
erfor<strong>der</strong>lich, da sich in Folge <strong>der</strong> Reform <strong>der</strong> sozialstaatlichen Transfersysteme<br />
(Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>gesetzbücher II, III <strong>und</strong> XII zum<br />
1.1.2005) die vom Monitoring erfassten bedürftigen Personenkreise<br />
verän<strong>der</strong>t hatten. Außerdem wurde die bisherige Typisierung <strong>der</strong> Gebiete<br />
mit Hilfe einer Clusteranalyse durch ein Verfahren abgelöst, das die<br />
Verän<strong>der</strong>ungen von Gebieten über einen längeren Zeitraum abbildet.<br />
Die Datenauswahl umfasst zum einen Indikatoren, welche die soziale<br />
Lage in einem Quartier beschreiben („Status“), zum an<strong>der</strong>en Indikatoren,<br />
die den Wandel <strong>der</strong> Bevölkerung im abgelaufenen Jahr charakterisieren<br />
sollen („Dynamik“).<br />
Insgesamt beruht das Monitoring auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von 319 sogenannten<br />
Verkehrszellen (räumliche Einheiten), die zu (Status)Gruppen auf<br />
<strong>der</strong> Basis von 10-Prozent-Dezilen zusammengefasst werden: hoch<br />
(20 Prozent), mittel (60 Prozent), niedrig, sehr niedrig (20 Prozent).<br />
Diese Statusgruppen werden mit drei Kategorien zur Dynamik in diesen<br />
räumlichen Einheiten anhand einer Kreuztabelle analysiert: positiv,<br />
mittel beziehungsweise stabil, negativ. Zur Vereinfachung <strong>der</strong> entstehenden<br />
zwölf „Kombinationsgruppen“ wird dann aus dem Status- <strong>und</strong><br />
dem Dynamik-Indikator ein einziger „Entwicklungsindikator“ für jede
56<br />
räumliche Einheit gebildet. Dazu wird <strong>der</strong> Status-Indikator dreifach <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Dynamik-Indikator zweifach gewichtet. Dieses Berechnungsverfahren<br />
dient als sozialstrukturelles <strong>und</strong> sozialräumliches Frühwarnsystem<br />
für die Berliner Stadtpolitik.<br />
Derzeit wird <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> sozialen Stadtentwicklung in Berlin durch<br />
die vom Senat <strong>und</strong> den zwölf Bezirken gemeinsam auf den Weg gebrachten<br />
Entwicklung einer „Rahmenstrategie <strong>Sozial</strong>e Stadtentwicklung“<br />
bestimmt. Mit dieser Rahmenstrategie wird das Ziel einer integrierten<br />
Stadtentwicklungspolitik verfolgt. Wesentlicher Bestandteil dieser<br />
Strategie ist die Implementierung des ressortübergreifenden raumbezogenen<br />
Planens <strong>und</strong> Handelns als Gr<strong>und</strong>satz des Verwaltungshandeln<br />
auf gesamtstädtischer Ebene. Dazu wird <strong>der</strong>zeit unter an<strong>der</strong>em die<br />
„Einführung <strong>der</strong> ressortübergreifenden <strong>Sozial</strong>raumorientierung„ unter <strong>der</strong><br />
Fe<strong>der</strong>führung <strong>der</strong> Stadtentwicklungsplanung gemeinsam mit drei „Pilotbezirken“<br />
<strong>und</strong> externer Unterstützung vorbereitet. Ein weiteres Element<br />
dieser Rahmenstrategie sind die sogenannten „Lebensweltlich orientierten<br />
Räume“ (LOR). Sie wurden 2006 gemeinsam zwischen den planenden<br />
Fachverwaltungen des Senats, den Bezirken <strong>und</strong> dem Amt für<br />
Statistik auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Jugendhilfe bereits festgelegten<br />
<strong>Sozial</strong>räume abgestimmt (<strong>Sozial</strong>e Stadt info 21/2007: 18). Die LOR<br />
sind per Senatsbeschluss als neue räumliche Gr<strong>und</strong>lage für Planung,<br />
Prognose <strong>und</strong> Beobachtung demografischer <strong>und</strong> sozialer Entwicklungen<br />
in Berlin festgelegt. Dazu gehören abgestimmte Datengr<strong>und</strong>lagen, abgestimmte<br />
IT-Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> abgestimmte Zielindikatoren.<br />
Ähnlich wie <strong>bei</strong> den <strong>Sozial</strong>- <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichten <strong>der</strong> B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong><br />
zeigen sich auch <strong>bei</strong> den Großstädten charakteristische Unterschiede<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Motivation zur Berichterstattung. In den meisten wohlhabenden<br />
<strong>und</strong> weiterhin prosperierenden Großstädten wie Stuttgart, Frankfurt,<br />
Düsseldorf <strong>und</strong> Köln gab es lediglich am Ende <strong>der</strong> 90er Jahre eine kurze<br />
Phase, in <strong>der</strong> Themen wie Armut <strong>und</strong> soziale Polarisierung zu politisch<br />
relevanten Fragen wurden. An<strong>der</strong>s ist die Situation in jenen Großstädten,<br />
die sich schon seit vielen Jahren in einem tief greifenden wirtschaftlichen<br />
<strong>und</strong> sozialen Wandel <strong>und</strong> in einer Strukturkrise befinden.<br />
Dazu zählen insbeson<strong>der</strong>e Berlin <strong>und</strong> die Ruhrgebietsstädte. Sie haben<br />
durchweg integrierte <strong>Sozial</strong>berichtssysteme aufgebaut, um die sozial-
strukturelle <strong>und</strong> sozialräumliche Stadtentwicklung kleinräumig beobachten<br />
<strong>und</strong> steuern zu können.<br />
Ein interessantes Beispiel für diese Entwicklung bietet <strong>der</strong>zeit <strong>der</strong> aktuelle<br />
<strong>Sozial</strong>bericht <strong>der</strong> Stadt Duisburg, die im Februar 2007 den ersten<br />
<strong>Sozial</strong>bericht herausgegeben hat. Er soll einen umfassenden Diskussionsprozess<br />
einleiten. Als Ziel dieser <strong>Sozial</strong>berichterstattung wird formuliert,<br />
für Politik <strong>und</strong> Verwaltung Handlungsbedarfe aufzuzeigen <strong>und</strong><br />
zugleich über ein datengestütztes Berichtswesen Gr<strong>und</strong>lagen für Handlungskonzepte<br />
zu schaffen. Durch die gleichzeitige Einbeziehung von<br />
Stärken <strong>und</strong> Schwächen des Gemeinwesens soll <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>bericht über<br />
die traditionelle <strong>Armuts</strong>berichterstattung hinausgehen. Interessant an<br />
diesem integrierten <strong>Sozial</strong>bericht ist vor allem die systematische Aufbereitung<br />
von kleinräumigen Einkommens- <strong>und</strong> Bildungsstrukturen (nach<br />
Bezirken <strong>und</strong> Ortsteilen). Insbeson<strong>der</strong>e das Fehlen von regionalen<br />
(kleinräumigen) Einkommensdaten gilt <strong>der</strong>zeit als <strong>der</strong> zentrale<br />
Schwachpunkt in <strong>der</strong> wissenschaftlichen Diskussion von <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
Ausgrenzungsprozessen.<br />
In Duisburg ist für die Zukunft eine Fortschreibung dieser Art von <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
geplant – insofern dafür die entsprechenden Personalkapazitäten<br />
bereitgestellt werden können. Im Gespräch ist außerdem<br />
eine Fortsetzung <strong>der</strong> Beteiligung von externen Fachleuten sowie eine<br />
leichte Reduzierung <strong>der</strong> ausgewählten Indikatoren. Ein noch größeres<br />
Augenmerk soll auf die Frühwarnfunktion <strong>der</strong> Berichterstattung gelegt<br />
werden, wozu Vorjahresvergleiche, sich abzeichnende Negativentwicklungen<br />
in spezifischen Ortsteilen sowie spezifische Analysen auch unterhalb<br />
<strong>der</strong> Ortsteilebene im Gespräch sind. Neben <strong>der</strong> Datenanalyse<br />
soll in Zukunft auch eine eingehende Beschäftigung mit qualitativen<br />
Aspekten erfolgen, wie zum Beispiel durch Befragungen von Expertinnen<br />
<strong>und</strong> Experten vor Ort sowie durch Gruppendiskussionen.<br />
57
58<br />
4.5 Exkurs: Lehren aus dem ersten Frankfurter <strong>Sozial</strong>bericht<br />
Soll aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> genannten guten Gründe eine <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichtserstattung<br />
in Angriff genommen werden, so muss zwischen den<br />
beteiligten Akteuren über Konzeption <strong>und</strong> Realisierungsweg eine Klärung<br />
erfolgen. Dazu bietet die kontroverse Diskussion um den ersten<br />
Frankfurter <strong>Sozial</strong>bericht (1997/98) ein Beispiel aus <strong>der</strong> Praxis, das gut<br />
dokumentiert ist (Bartelheimer 2001).<br />
Der ursprüngliche Auftrag <strong>der</strong> Stadt Frankfurt, eine unabhängige <strong>und</strong><br />
wissenschaftlich begleitete kommunale <strong>Sozial</strong>berichterstattung aufzubauen,<br />
wurde mit <strong>der</strong> politischen Mehrheit von CDU <strong>und</strong> SPD wi<strong>der</strong>rufen,<br />
nachdem <strong>der</strong> erste Bericht vorlag. Es habe sich gezeigt, dass im<br />
Feld <strong>der</strong> Frankfurter <strong>Sozial</strong>politik über die Reichweite <strong>der</strong> Beobachtung<br />
<strong>und</strong> über den Verwendungszusammenhang <strong>der</strong> Ergebnisse kein wirklicher<br />
Konsens bestand (Bartelheimer 2001: 269).<br />
Das Projekt wurde von Mitglie<strong>der</strong>n des Ar<strong>bei</strong>tskreises <strong>Armuts</strong>berichterstattung<br />
angestoßen. Diese erhofften sich von <strong>der</strong> Berichterstattung<br />
mehr Transparenz <strong>und</strong> Überprüfbarkeit in den lokalen Verhandlungen<br />
über soziale Leistungen zwischen den öffentlichen <strong>und</strong> freien Trägern.<br />
Außerdem sollte in einer Situation <strong>der</strong> fiskalischen Krise das System<br />
sozialer Hilfen stärker auf die Bekämpfung von Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />
ausgerichtet werden. „Im Rückblick jedoch erweist sich die zentrale<br />
Annahme als Fehleinschätzung, von <strong>Armuts</strong>entwicklungen <strong>und</strong> kommunaler<br />
Sparpolitik werde ein unabweisbarer Reformdruck auf die <strong>Sozial</strong>politik<br />
ausgehen, <strong>der</strong> die Entschei<strong>der</strong> zu einer qualifizierten Planung<br />
<strong>und</strong> Steuerung zwänge“ (ebenda: 269). Tatsächlich blieben in Frankfurt<br />
die bestehenden korporatistischen Verteilungs- <strong>und</strong> Entscheidungsmuster<br />
<strong>bei</strong> aller Steuerungsrhetorik im Kern unangetastet. Es habe eine<br />
relativ geringe Bereitschaft seitens <strong>der</strong> maßgeblichen Träger <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>politik<br />
bestanden, eigene Deutungsmuster zu überprüfen <strong>und</strong> zu einer<br />
ressort- <strong>und</strong> trägerübergreifenden (integrierten) Planung zu kommen.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e die städtische <strong>Sozial</strong>planungsgruppe sah in <strong>der</strong> externen<br />
Berichterstattung keine Unterstützung, son<strong>der</strong>n eine Konkurrenz.
Unter diesen Umständen behin<strong>der</strong>te gerade die formale Unabhängigkeit<br />
des Ar<strong>bei</strong>tskreises eine Kooperation mit <strong>der</strong> lokalen <strong>Sozial</strong>planung, die<br />
auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des extern entwickelten Berichtskonzeptes, die <strong>Sozial</strong>planung<br />
<strong>und</strong> Maßnahmen veranlassen sollte. „Der Berichterstattung<br />
fehlte letztlich ein institutioneller Ort, von dem aus sie zu einer<br />
Brückeninstanz in den Akteursnetzen des lokalen <strong>Sozial</strong>staates hätte<br />
werden können“ (ebenda: 270).<br />
Aufgr<strong>und</strong> dieser Erfahrungen verweist Bartelheimer auf Akteurkonstellationen<br />
<strong>und</strong> Beziehungsaspekte, die mit darüber entscheiden, ob es <strong>bei</strong><br />
einem statischen Berichtsansatz bleibt o<strong>der</strong> ob tatsächlich ein kontinuierliches<br />
Beobachtungssystem zustande kommt. Aufgr<strong>und</strong> dieser Erfahrungen<br />
hält er ein „Ar<strong>bei</strong>tsbündnis“ (ebenda: 273) zwischen wissenschaftlicher<br />
Begleitung, <strong>Sozial</strong>planung <strong>und</strong> sozialpolitischen Akteuren<br />
für erfolgversprechen<strong>der</strong>. Ein solches Ar<strong>bei</strong>tsbündnis zur kommunalen<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung wäre, wenn auch als handlungsentlasteter Partner,<br />
eingeb<strong>und</strong>en in die Prozesse <strong>der</strong> Deutung <strong>und</strong> politischen Anerkennung<br />
von Bedürfnissen.<br />
Aspekte einer notwendigen Kooperation betont auch <strong>der</strong> Verein für <strong>Sozial</strong>planung<br />
(VSOP). Zu den Standards lokaler <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
gehöre die Kooperationsbereitschaft örtlicher Schlüsselpersonen: <strong>der</strong><br />
<strong>Sozial</strong>verwaltung, <strong>der</strong> Freien Wohlfahrtspflege, <strong>der</strong> Gewerkschaften <strong>und</strong><br />
Kirchen, <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft, <strong>der</strong> Wirtschaftsverbände sowie intermediärer<br />
Interessenvertretungen, zum Beispiel <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>bevölkerung.<br />
Favorisiert wird außerdem ein Wirkungsbericht (Evaluation), <strong>der</strong><br />
überprüft, „ob <strong>und</strong> inwieweit die Ziele <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>prävention, <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung<br />
<strong>und</strong> des sozialen Lastenausgleichs erreicht wurden<br />
(ebenda: 63).<br />
Eine weitere wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche <strong>Armuts</strong>- o<strong>der</strong><br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung ist für Bartelheimer, dass die „Anwen<strong>der</strong>“ von<br />
kommunaler <strong>Sozial</strong>berichterstattung die dort dokumentierten Problemlagen<br />
ernsthaft angehen wollen <strong>und</strong> können. Er unterstellt eine relative<br />
Autonomie des Feldes lokaler <strong>Sozial</strong>politik <strong>bei</strong> <strong>der</strong> sozialstaatlichen<br />
Bekämpfung von Risiken <strong>der</strong> Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung (ebenda: 273).<br />
Städte seien nicht ohnmächtige Opfer sozialer Entwicklungen, son<strong>der</strong>n<br />
59
60<br />
hätten eigene Handlungsspielräume. Die Aufgabe kommunaler<br />
<strong>Sozial</strong>politik bestehe darin, <strong>der</strong> Aufzehrung ihrer Ressourcen in einer<br />
Phase desintegrativer Stadtentwicklung entgegenzuwirken <strong>und</strong> ihren<br />
Einsatz so zu optimieren, dass soziale Ausgrenzung wenigstens nicht<br />
beschleunigt, son<strong>der</strong>n sogar verlangsamt würden.<br />
Dieser unterstellte Handlungsspielraum bildet die notwendige Bedingung<br />
dafür, dass kommunale <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung praktische<br />
Bedeutung erlangen kann. Entscheidend dafür ist aber, dass<br />
Kommunalpolitik den Kampf gegen Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung tatsächlich<br />
als eine Aufgabe mit hoher Priorität annimmt (ebenda: 274). Der andauernde<br />
Boom von Steuerungsrhetorik <strong>und</strong> Organisationsberatung<br />
dürfe nicht darüber hinweg täuschen, dass manche Akteure <strong>der</strong> lokalen<br />
<strong>Sozial</strong>politik die schwerwiegenden sozialen Probleme lieber verdrängen<br />
würden, statt sich mit ihnen immer wie<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong> zu setzen. <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>berichterstattung bleibe zudem praxisunfähig, wenn<br />
nach ihren Bef<strong>und</strong>en eine Umgestaltung <strong>der</strong> Hilfesysteme notwendig<br />
sei, die wesentlich mehr Ressourcen erfor<strong>der</strong>n würde, als die Kommunen<br />
mobilisieren könnten. Ebenso schädlich sei es, wenn die Berichterstattung<br />
nur <strong>der</strong> Legitimation politischer Strategien diene, weniger aber<br />
<strong>der</strong> Analyse ihres Handlungsbedarfs, ihrer Transparenz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wirkungskontrolle<br />
(Wittemann 1994: 34).<br />
5 Schlussfolgerungen für den Stadtstaat Bremen<br />
5.1 Ausgangslage: Vielfältige fachliche Teilberichte<br />
Wie bereits ausgeführt wurde, verfügt Bremen als Stadtstaat bisher über<br />
keine vom Bremer Senat offizialisierte integrierte Berichterstattung über<br />
die Entwicklung von Einkommen <strong>und</strong> Vermögen sowie die <strong>Sozial</strong>strukturen<br />
im Lande <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadt Bremen. Bisher stützt sich die Bremer<br />
Landes- <strong>und</strong> Stadtpolitik zur Planung <strong>und</strong> Ausgestaltung ihrer sozialpolitischen<br />
Zielsetzungen auf die vielfältigen, aber vereinzelten Daten- <strong>und</strong><br />
Informationsgr<strong>und</strong>lagen einzelner Senatsressorts <strong>und</strong> ihrer Behörden<br />
(s. Abbildung). Ein systematischer Abgleich dieser Teilberichte <strong>und</strong><br />
Datenbanken sowie ihre Vervollständigung im Hinblick auf die Erfor<strong>der</strong>-
nisse einer sozialintegrativen Stadtentwicklung steht da mit noch aus.<br />
Diese ambivalente Ausgangslage mag für die Senate <strong>der</strong> Großen Koalition<br />
akzeptabel gewesen sein.<br />
Wenn die neue rot-grüne Landesregierung mit ihrem Anspruch, eine<br />
sozialintegrative Landes- <strong>und</strong> Stadtpolitik zu betreiben, es ernst meint,<br />
dann führt an <strong>der</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Implementierung einer integrierten,<br />
kontinuierlichen Berichterstattung über Einkommen <strong>und</strong> Vermögen<br />
sowie <strong>Sozial</strong>strukturen im Lande <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtgemeinde kein Weg vor<strong>bei</strong>.<br />
Die Voraussetzungen für <strong>der</strong>en Einführung sind angesichts <strong>der</strong> Ausgangslage,<br />
dass professionalisierte Teilberichte bereits existieren <strong>und</strong><br />
dass im Stadtstaat Bremen die Wege <strong>und</strong> Kommunikationsmöglichkeiten<br />
zwischen den zu beteiligenden Institutionen <strong>und</strong> Akteuren relativ<br />
kurz sind, recht günstig. Die entsprechenden Daten sind aufgr<strong>und</strong> des<br />
Status als Stadt <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esland zum Teil besser zugänglich als in an<strong>der</strong>en<br />
Großstädten. Möglich sind zum Beispiel direktere Verbindungen<br />
zwischen kommunalen Behörden <strong>und</strong> Senatsressorts, die spezifische<br />
Landesaufgaben wie etwa im Bereich <strong>der</strong> Bildung wahrnehmen, auf die<br />
an<strong>der</strong>e Großstädte keinen direkten Zugriff haben.<br />
Bremen verfügt mit dem Statistischen Landesamt über eine Behörde,<br />
die an zentraler Stelle in das Netz <strong>der</strong> amtlichen Statistik eingeb<strong>und</strong>en<br />
ist. Von dort aus werden Län<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Großstädtevergleiche angestellt<br />
<strong>und</strong> regionale, stadtbezogene <strong>und</strong> kleinräumige Daten angeboten <strong>und</strong><br />
aufbereitet. Außerdem beteiligt sich die Behörde an <strong>der</strong> statistisch f<strong>und</strong>ierten<br />
Stadtforschung mit eigenen Beiträgen. Sie bündelt in Form von<br />
diversen Fachserien <strong>und</strong> thematischen Reihen Informationen für Bremen<br />
<strong>und</strong> Bremerhaven sowie für das B<strong>und</strong>esland Bremen.<br />
61<br />
Daneben entwickelt <strong>der</strong> Senator für Umwelt, Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa<br />
ein Berichtssystem zum Stadtmonitoring. Es enthält stadt- <strong>und</strong> stadtteilspezifische<br />
kleinräumige Daten, die eine zielgerichtete räumliche <strong>und</strong><br />
integrative Stadtentwicklung unterstützen sollen. Im Ressort <strong>der</strong> Senatorin<br />
für Ar<strong>bei</strong>t, Frauen, Ges<strong>und</strong>heit, Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es werden außerdem<br />
Daten aufbereitet <strong>und</strong> ausgewertet. An Hand von ebenfalls kleinräumig<br />
vorliegenden <strong>Sozial</strong>indikatoren, die das Statistische Landesamt<br />
Bremen liefert, wird ein soziales Ranking <strong>der</strong> Stadtteile vorgenommen,
62<br />
dass unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Stadtteile im Rahmen <strong>der</strong> För<strong>der</strong>programme<br />
„Wohnen in Nachbarschaften (WIN)“ beziehungsweise „Die<br />
soziale Stadt“ dient. Das gleiche Ressort veröffentlicht außerdem monatliche<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarktberichte auf <strong>der</strong> Basis von Daten <strong>der</strong> Bremer<br />
Agentur für soziale Integration (BAgIS).<br />
Tabelle 4: Teilberichte von Behörden <strong>und</strong> Organisationen in Bremen<br />
Einrichtung Berichte, Berichtssysteme<br />
Der Senator für Umwelt,<br />
Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa<br />
Die Senatorin für Ar<strong>bei</strong>t,<br />
Frauen, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es<br />
Stadtmonitoring Bremen (seit 2004, kleinräumig:<br />
Kooperation mit dem STALA sowie mit GeoMatrix-Bremen<br />
<strong>und</strong> proloco Bremen)<br />
Ranking <strong>der</strong> Stadtteile auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>indikatoren<br />
des Statistischen Landesamtes Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarktberichte (monatlich)<br />
Indikatorensatz füpr die Ges<strong>und</strong>heitsberichtserstattung <strong>der</strong><br />
Län<strong>der</strong> (für das Land Bremen 2003)<br />
Altenplan 2005<br />
Ges<strong>und</strong>heitsberichtserstattung (<strong>Sozial</strong>e Polarisierung 2006)<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamt Bremen Bericht zur Kin<strong>der</strong>ges<strong>und</strong>heit 2007<br />
Statistisches Landesamt<br />
Bremen<br />
(STALA)<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
Bremen<br />
Bremen in Zahlen (jährlich)<br />
<strong>Sozial</strong>indikatoren des STALA Bremen (kleinräumig)<br />
Statistik regional (jährl.) Statistik lokal (jährl.) kleinräumig<br />
die Ortsteile <strong>der</strong> Stadt Bremen (Bremen kleinräumig)<br />
diverse thematische Berichte<br />
Armut in Bremen - jährliche <strong>Armuts</strong>berichte seit 2002<br />
Für eine aktuelle integrative <strong>Sozial</strong>berichterstattung sind außerdem die<br />
diversen Bildungsdaten <strong>bei</strong>m Senator für Bildung <strong>und</strong> Wissenschaft von<br />
zentraler Bedeutung. Das gleiche gilt für die Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung<br />
des Ges<strong>und</strong>heitsamtes Bremen <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsindikatoren für<br />
das Land Bremen sowie die <strong>bei</strong>m Amt für soziale Dienste gesammelten<br />
Daten (ASD, Kin<strong>der</strong>tagesbetreuung).
5.2 Die <strong>Armuts</strong>berichte <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen<br />
63<br />
Im Jahr 2002 legte die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen erstmals einen<br />
unabhängigen <strong>Armuts</strong>bericht für Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven vor. Mit<br />
diesen Berichten versucht die Kammer wenigstens Ansatzweise jene<br />
„Lücke“ zu füllen, welche besteht, weil die damalige Regierungskoalition<br />
aus SPD <strong>und</strong> CDU eine <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung nicht<br />
für notwendig erachtete. Als Ziel dieser <strong>Armuts</strong>berichte wurde im Vorwort<br />
des Berichts von 2002 formuliert, „das <strong>Armuts</strong>thema vom Rand<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft ins Zentrum <strong>der</strong> Diskussion zu rücken“ (ANK Bremen<br />
2002). Mit sicherem Gespür für die sich zuspitzenden Problemlagen<br />
auch im B<strong>und</strong>esland Bremen wählte die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer für diesen<br />
ersten Bericht als Schwerpunkt das Thema „Kin<strong>der</strong>armut“. Tatsächlich<br />
rückte dieses Thema im Jahr 2006 ins Zentrum <strong>der</strong> politischen<br />
Diskussion in Bremen <strong>und</strong> gewann politischen Einfluss <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Bürgerschaftswahl<br />
2007.<br />
Die jährlich erscheinenden <strong>Armuts</strong>berichte <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
erlangen von Herausgabe zu Herausgabe eine größere öffentliche Aufmerksamkeit,<br />
als schon in den Jahren zuvor. Dazu tragen auch die<br />
jeweiligen thematischen Schwerpunktthemen <strong>der</strong> einzelnen <strong>Armuts</strong>berichte<br />
<strong>bei</strong>, durch die auf aktuelle Entwicklungen schnell reagiert werden<br />
kann. Dem Schwerpunktthema „Kin<strong>der</strong>armut“ folgten bisher fünf weitere<br />
Berichte, mit den Themen „Armut trotz Ar<strong>bei</strong>t“ (2003), „Armut <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit“ (2004), „Armut <strong>und</strong> Bildung“ (2005), „Hilfebedürftig trotz<br />
Ar<strong>bei</strong>t“ (2006) <strong>und</strong> ganz aktuell „Die soziale Spaltung <strong>der</strong> Stadt“<br />
(2007). Jenseits <strong>der</strong> etablierten Politik haben die genannten Themen<br />
durch die Öffentlichkeitsar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> Kammer in <strong>der</strong> Bremer Stadtgesellschaft<br />
<strong>bei</strong> den Betroffenen <strong>und</strong> interessierten Gruppen eine große Resonanz<br />
erlangt.<br />
Die thematisch ausgerichteten <strong>Armuts</strong>berichte werden von <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
in einer bestimmten Form präsentiert. Es gibt zum<br />
einen wie<strong>der</strong>kehrende Kapitel zur statistischen Entwicklung <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Armut in Bremen. Über einen Zeitraum von mittlerweile fünf<br />
Jahren kann dadurch die <strong>Armuts</strong>entwicklung in ihren spezifischen Ausprägungen<br />
detailliert nachgezeichnet werden. Dazu gehören die von
64<br />
Armut betroffenen Personengruppen, die Auswirkungen auf einzelne<br />
Lebensbereiche (<strong>Armuts</strong>dimensionen) sowie auf die Bremer Stadtgebiete.<br />
Diese vielfältigen Informationen werden durch Kapitel mit Zahlenreihen<br />
<strong>und</strong> Daten empirisch untermauert. Für eine breitere Öffentlichkeit<br />
sind außerdem die journalistisch gestalteten „Reportagen aus dem Alltag<br />
von Armut“ interessant. Die zuvor dargestellten objektiven Bef<strong>und</strong>e<br />
<strong>und</strong> Entwicklungen bekommen anhand von Alltagsgeschichten <strong>und</strong><br />
subjektiven Schil<strong>der</strong>ungen ein „menschliches Gesicht“.<br />
Trotz dieser vielfältigen Stärken können die <strong>Armuts</strong>berichte <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
eine offizielle Berichterstattung des Stadtstaates über<br />
die Entwicklung von Einkommen <strong>und</strong> Vermögen sowie <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>strukturen<br />
nach den <strong>der</strong>zeit gängigen methodischen <strong>und</strong> organisatorischen<br />
Standards nicht ersetzen. Eine <strong>der</strong>artige integrierte Berichterstattung<br />
müsste zum Beispiel versuchen, die Vielfalt sozialer Problemlagen in<br />
den Stadtteilen <strong>und</strong> Quartieren in einem Bericht regelmäßig zu erfassen<br />
<strong>und</strong> auf die ungleiche Entwicklung von Einkommen <strong>und</strong> Vermögen ausgedehnt<br />
werden. Für die politische Steuerung einer Politik mit dem<br />
Anspruch <strong>der</strong> stärkeren sozialintegrativen Entwicklung des Landes <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Stadt sind empirisch gesicherte Erkenntnisse für die beteiligten<br />
Politikfel<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich, aufzubereiten <strong>und</strong> in integrativer Weise aufeinan<strong>der</strong><br />
zu beziehen. Bisher sind die dazu erfor<strong>der</strong>lichen Möglichkeiten<br />
aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Datenlage zwar noch begrenzt. Es gibt jedoch mittlerweile<br />
in einigen Großstädten wie zum Beispiel in Berlin, Duisburg, Dortm<strong>und</strong><br />
sowie in den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n Nordrhein-Westfalen (AuRB-NRW 2005)<br />
<strong>und</strong> Rheinland-Pfalz interessante Ansätze, um diesen Mangel schrittweise<br />
zu beheben.<br />
5.3 <strong>Sozial</strong>integrative, ressortübergreifende Stadtpolitik<br />
Die prekäre Lebenssituation vieler Bremer, insbeson<strong>der</strong>e von vielen<br />
Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Familien, ist kein soziales Problem, für das allein das <strong>Sozial</strong>ressort<br />
zuständig o<strong>der</strong> gar allein verantwortlich ist. Gerade dieses<br />
Ressort wurde in den Jahren <strong>der</strong> Großen Koalition mit harten Sparauflagen<br />
trotz zunehmen<strong>der</strong> sozialer Problemlagen konfrontiert, mit demoralisierenden<br />
Folgen für viele Mitar<strong>bei</strong>terinnen <strong>und</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter. Erfor<strong>der</strong>li-
che soziale Investitionen <strong>und</strong> Innovationen unterblieben. Diese bisherige<br />
Sparpolitik im <strong>Sozial</strong>ressort hatte zum Teil desintegrative Folgen. Die<br />
neue rot-grüne Regierungskoalition hat nun erklärt, dass sie hier politische<br />
Korrekturen vornehmen will. Eine solche integrative Stadtpolitik<br />
kann jedoch nicht allein eine sektorale Aufgabe des <strong>Sozial</strong>- o<strong>der</strong> des<br />
Bildungsressorts sein, son<strong>der</strong>n Teil einer umfassenden sozialen Innovationspolitik<br />
aller Politikbereiche. „Sie ist kein Thema nur für Spezialisten,<br />
son<strong>der</strong>n ein Querschnittsthema <strong>und</strong> darf sich nicht in die Enge<br />
einzelner, benachteiligter Stadtgebiete drängen lassen“ (Bodenschatz<br />
2005: 18).<br />
Nach <strong>der</strong> Regierungsvereinbarung für die 17. Wahlperiode <strong>der</strong> Bremischen<br />
Bürgerschaft (2007-2011) zwischen <strong>der</strong> SPD <strong>und</strong> Bündnis<br />
90/Die Grünen sollen in <strong>der</strong> Landes- <strong>und</strong> Stadtpolitik neue politische<br />
Schwerpunkte gesetzt werden. Zentral soll die Stärkung des sozialen<br />
Zusammenhalts in den Städten Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven sein. Als<br />
Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt für eine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben wird die Bildung genannt. Politische Schwerpunkte sollen zu<br />
Gunsten von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>der</strong> Jugend, von Schulen <strong>und</strong> Hochschulen<br />
gesetzt werden. Bei knappen Ressourcen sollen die vorhandenen Mittel<br />
insbeson<strong>der</strong>e in Stadtteile mit beson<strong>der</strong>en sozialen Problemlagen gelenkt<br />
werden (Präambel <strong>der</strong> Regierungsvereinbarung 2007:5). In <strong>der</strong><br />
Regierungsvereinbarung werden differenzierte politische Ziele für die<br />
Politikfel<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>es, Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche, Bau, Stadtteile, Bildung,<br />
Bürgerbeteiligung, Beiräte <strong>und</strong> Wahlrecht formuliert, die in <strong>der</strong> neuen<br />
Wahlperiode umgesetzt werden sollen. Eine Berichterstattung über die<br />
Entwicklung von Einkommen <strong>und</strong> Vermögen im Lande Bremen soll in<br />
Kooperation mit <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen entwickelt werden.<br />
Insgesamt ist die Frage von zentraler Bedeutung, inwieweit es gelingt,<br />
die <strong>Sozial</strong>politik des Landes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen als ressortübergreifende<br />
Aufgabe im Sinne eines sozialintegrativen Politikprogramms<br />
zu organisieren, das die Fel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Jugendför<strong>der</strong>ung,<br />
<strong>der</strong> Bildungspolitik, Stadtentwicklung, Ar<strong>bei</strong>tsmarktpolitik <strong>und</strong><br />
Bürgerbeteiligung einzubeziehen vermag. Da Bremen als Stadtstaat<br />
über die Bildungshoheit verfügt, bestehen für die Integration von Bildungs-<br />
<strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>politik eigentlich relativ günstige Voraussetzungen.<br />
65
66<br />
Risiken <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Implementierung neuer (sozial)politischer Steuerungsinstrumente<br />
ergeben sich jedoch durch die Politik höherer staatlicher<br />
Ebenen, durch sperrige Ressortgrenzen <strong>und</strong> Planungsebenen, durch<br />
Verteilungskonflikte zwischen Ressorts, den Stadtteilen <strong>und</strong> Interessengruppen.<br />
Nicht unterschätzt werden darf außerdem die mangelnde<br />
Transparenz <strong>der</strong> großstädtischen <strong>Sozial</strong>strukturen sowie von Bedarfsfaktoren<br />
für die sozialpolitischen Akteure <strong>und</strong> Parteien. Deshalb benötigt<br />
Bremen eine kontinuierliche Berichterstattung über die Entwicklung von<br />
Einkommen <strong>und</strong> Vermögen sowie <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>strukturen <strong>und</strong> ein soziales<br />
Indikatorensystem zur Unterstützung <strong>der</strong> sozialpolitischen Steuerung<br />
nicht zuletzt auch, um das Interesse <strong>der</strong> Öffentlichkeit an <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>politik<br />
wach zu halten.<br />
5.4 Integrierte <strong>Sozial</strong>berichterstattung als politisches Steuerungs<br />
instrument<br />
Mehrere deutsche Großstädte ringen <strong>der</strong>zeit um integrative (ressortübergreifende)<br />
Strategien <strong>der</strong> Stadtentwicklung. Die weiterhin prosperierenden<br />
Großstädte wie Frankfurt, Düsseldorf, München, Stuttgart <strong>und</strong><br />
Hamburg vertrauen da<strong>bei</strong> vor allem auf ihre dynamische wirtschaftliche<br />
Entwicklung <strong>und</strong> die Integrationskräfte ihrer vielfältigen Ar<strong>bei</strong>tsmärkte.<br />
Dies wird in den Großstädten Berlin, Essen, Dortm<strong>und</strong>, Duisburg, Hannover,<br />
Köln, Nürnberg, Leipzig, Dresden <strong>und</strong> Bremen zunehmend<br />
schwieriger. Trotz einzelner Wachstumsbranchen <strong>und</strong> ihrer zunehmenden<br />
Nachfrage nach Ar<strong>bei</strong>tskräften sieht sich die Stadtpolitik weiterhin<br />
durch überdurchschnittlich viele (Langzeit-)Ar<strong>bei</strong>tslose <strong>und</strong> eine sich<br />
ausbreitende Armut herausgefor<strong>der</strong>t. Als Reaktion auf die damit verb<strong>und</strong>enen,<br />
wachsenden sozialen Schieflagen, versucht die Stadtpolitik<br />
den sozialen Zusammenhalt stärker zu för<strong>der</strong>n <strong>und</strong> ihre sozialpolitischen<br />
Aktivitäten effizienter zu gestalten. Dazu haben einigen dieser<br />
Großstädte schon vor Jahren, an<strong>der</strong>e relativ aktuell, Ansätze für eine<br />
sozialintegrative Stadtpolitik entwickelt. Als Gr<strong>und</strong>lage einer solchen<br />
Politik gilt eine ressortübergreifende regelmäßige <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
(beziehungsweise ein Stadtmonitoring) sowie ein Konzept gesamtstädtischer<br />
<strong>und</strong> dezentraler, sozialraumorientierter Integrationspolitik. In<br />
Bremen steht die Formulierung <strong>und</strong> Ausgestaltung einer <strong>der</strong>artigen
67<br />
„sozialintegrativen Stadtentwicklungspolitik“ noch am Anfang. Sie ist<br />
jedoch in <strong>der</strong> Koalitionsvereinbarung des neuen Bremer Senats aus SPD<br />
<strong>und</strong> Bündnis 90/Die Grünen als ein zentraler politischer Schwerpunkt<br />
formuliert.<br />
Beson<strong>der</strong>s wichtig ist, dass die Steuerung des Systems einer integrierten<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung als ein unterlässliches Beobachtungs- <strong>und</strong><br />
Steuerungsinstrument von einer zentralen Stelle des politischadministrativen<br />
Systems verantwortet wird. Dies ist im Stadtstaat Bremen<br />
von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, da nach <strong>der</strong> Kollegialverfassung des<br />
Senats traditionell die Ressorts eine starke Stellung haben <strong>und</strong> die sozialen<br />
Problemlagen in den <strong>bei</strong>den Städten Bremen <strong>und</strong> Bremerhaven<br />
überdurchschnittlichen groß sind. Um in solche zum Teil verfestigten<br />
Problemlagen politisch intervenieren zu können, haben sich ausschließlich<br />
integrative (ressortübergreifende) Konzepte als erfolgreich erwiesen.<br />
In Bremen existieren die dafür erfor<strong>der</strong>lichen fachlichen Informationen<br />
<strong>und</strong> Daten durchaus. Es mangelt jedoch an einer effizienten Verzahnung<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Teilberichte <strong>und</strong> ihrer Informationen im Rahmen<br />
einer ressortübergreifenden Aufbereitung. Um diese Integration zu leisten,<br />
wäre <strong>der</strong> Beginn einer offiziellen <strong>und</strong> regelmäßigen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung aus mehreren Gründen produktiv <strong>und</strong> effizient.<br />
Von Seiten <strong>der</strong> Stadtpolitik würde ein deutliches Signal gesetzt, diesem<br />
Thema den gebührenden Stellenwert <strong>und</strong> auch die dafür erfor<strong>der</strong>lichen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen einzuräumen. Dies könnte nicht allein als Akt symbolischer<br />
Politik gewertet werden, son<strong>der</strong>n wäre ein politisches Signal an die<br />
Stadtgesellschaft, das die Stadtpolitik auf diesem wichtigen Feld die<br />
Steuerung <strong>der</strong> Prozesse <strong>und</strong> Maßnahmen an sich zieht. Untermauert<br />
werden sollte ein solcher Schritt durch die Kooperation mit zwei beratenden<br />
<strong>und</strong> unterstützenden Gremien. Diese organisatorische Konstruktion<br />
hat sich sowohl <strong>bei</strong> <strong>der</strong> nationalen <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung<br />
als produktiv erwiesen, wie auch in einigen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> Großstädten. Durch solche Gremien kann zum einen <strong>der</strong> methodische<br />
<strong>und</strong> thematische Sachverstand von Experten einbezogen werden.<br />
Diese sind in den Bremer Forschungsinstituten <strong>und</strong> universitären Fachbereichen<br />
verfügbar, die gerade auf diesem Gebiet anerkannte Kompe-
68<br />
tenzen besitzen. In ein zweites Gremium sollten zentrale sozialpolitische<br />
Akteure aus den Fachressorts <strong>und</strong> Verwaltungen, Wohlfahrtsverbänden,<br />
den Kirchen, den Organisationen <strong>der</strong> Bürger berufen werden. Ohne eine<br />
Kooperation mit diesen Multiplikatoren dürften Wirkungen bis hinein in<br />
die Stadtteile <strong>und</strong> Einrichtungen „vor Ort“ kaum realistisch machbar zu<br />
sein. Ohne ähnlich gelagerte Schritte in diese Richtung befände sich<br />
Bremens <strong>Sozial</strong>politik weiter in „schwerer See, aber ohne Kompass“ auf<br />
neustem Stand.<br />
5.5 Prozessorganisation <strong>und</strong> Module für eine integrierte<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
Seitdem die B<strong>und</strong>esregierung regelmäßig <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong><br />
vorlegt <strong>und</strong> über ihre nationalen Aktionspläne zur Bekämpfung<br />
von Armut gegenüber <strong>der</strong> Europäischen Union berichtspflichtig ist, wurde<br />
die <strong>Sozial</strong>berichterstattung in Deutschland methodisch <strong>und</strong> organisatorisch<br />
erheblich weiterentwickelt (vgl. Kapitel 3). Versuche, diese Weiterentwicklungen<br />
auch <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Berichterstattung in den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> den Großstädten zu realisieren, wurden bisher in einem sehr unterschiedlichen<br />
Maße realisiert. Über eine kontinuierliche, integrierte <strong>Armuts</strong>-<br />
<strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung verfügen <strong>der</strong>zeit vor allem die<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> Nordrhein-Westfalen <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz sowie die B<strong>und</strong>eshauptstadt<br />
Berlin, Dortm<strong>und</strong>, Duisburg <strong>und</strong> in Ansätzen München<br />
<strong>und</strong> Hannover.<br />
Nach unserer Auswertung des <strong>der</strong>zeitigen Forschungsstandes <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
bereits vorliegenden <strong>Sozial</strong>berichte lassen sich spezifische, wie<strong>der</strong>kehrende<br />
Elemente identifizieren, die zum jetzigen Zeitpunkt für eine fachgerechte<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung erfor<strong>der</strong>lich wären (Abbildung 3). In<br />
<strong>der</strong> folgenden Tabelle sind die dafür notwendigen Module kurz benannt<br />
<strong>und</strong> mit einer Einschätzung versehen, welchen Stellenwert sie für eine<br />
integrative <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung haben würden. Zu<br />
beachten ist da<strong>bei</strong>, dass unter den Bedingungen des Stadtstaates, eine<br />
integrierte <strong>Sozial</strong>berichterstattung mehreren Anfor<strong>der</strong>ungen genügen<br />
sollte:
a) Sie sollte die im Lande <strong>und</strong> <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen verfügbaren<br />
Teilberichte zusammen führen, um dem Anspruch einer integrativen<br />
Stadt- <strong>und</strong> Landespolitik sowie einer ressortübergreifenden <strong>Sozial</strong>politik<br />
gerecht zu werden. Da<strong>bei</strong> sollte sie sich an den fachlichen Stand <strong>der</strong><br />
am weitesten entwickelten Län<strong>der</strong>- o<strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>berichte vergleichbarer<br />
Großstädte orientieren.<br />
b) Sie sollte das Projekt <strong>der</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Implementierung einer<br />
integrierten <strong>Sozial</strong>berichterstattung als ein politisches <strong>und</strong> administratives<br />
Steuerungsproblem verstehen <strong>und</strong> prozess- sowie beteiligungsorientiert<br />
angehen.<br />
c) Das bedeutet, die Senatskanzlei o<strong>der</strong> ein Senatsressort müsste die<br />
Projektsteuerung übernehmen, die thematischen Fel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Dimensionen<br />
mit den zentralen Akteure <strong>der</strong> Bremer Stadtpolitik abstimmen <strong>und</strong><br />
für die Durchführung einen wissenschaftlich-fachlichen Beraterkreis<br />
bilden.<br />
69
70<br />
Tabelle 5: Erfor<strong>der</strong>liche Module für eine integrierte <strong>Sozial</strong>bericht-<br />
erstattung<br />
Modul<br />
methodische Module<br />
Art <strong>und</strong> Thema des Moduls Priorität<br />
1<br />
Typisierung von kleinräumigen Analysegebieten anhand<br />
einer kleinräumigen Clusternanalyse als Gr<strong>und</strong>lage - Fortschreibung<br />
<strong>der</strong> Entwicklung<br />
<strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsentwicklung in <strong>der</strong> Stadtgesellschaft<br />
hoch<br />
2 fortlaufende Analysen zu den <strong>Armuts</strong>risikoquoten u. zur Entwicklung<br />
des Wohlstandes (Einkommen, Vermögen, Verschuldung)<br />
hoch<br />
3<br />
Qualitative Reflektion <strong>der</strong> Berichtsdaten durch Stadt-, Stadtteil<strong>und</strong><br />
Fachexperten zu den lebensweltlichen Auswirkungen<br />
mittel<br />
thematische Module<br />
4 Lebenslagen von Familien <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>n hoch<br />
5 Lebenslagen von Risiko- <strong>und</strong> "Randgruppen" einschl. Behin<strong>der</strong>ung hoch<br />
6 Lebenslagen von Migranten <strong>und</strong> Aussiedlern hoch<br />
7 diff. Bildungsdaten nach Schultypen <strong>und</strong> Abschlüssen (kleinräum.) hoch<br />
8 differenzierte Ar<strong>bei</strong>tsmarktdaten (kleinräumig) hoch<br />
9 differenzierte Daten zur Wohnsituation in <strong>der</strong> Stadt hoch<br />
10 Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung einschl. <strong>der</strong> Pflegebedürftigkeit hoch<br />
organisatorische Module<br />
11<br />
Steuerungskreis aus Stadtpolitik u. Stadtverwaltung<br />
(ressortübergreifend)<br />
hoch<br />
12<br />
wissenschaftl. Berater- bzw. Gutachterkreis aus <strong>der</strong> Region<br />
mit Kenntnissen <strong>der</strong> Bremer Situation<br />
<strong>Sozial</strong>politisches Beratungsgremium von wichtigen Akteuren <strong>und</strong><br />
mittel<br />
13 Multiplikatoren (Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Bürgerinitiativen,<br />
Verbände, Kammern)<br />
mittel<br />
Quellen: Eigene Zusammenstellung aus diversen <strong>Sozial</strong> - <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichten<br />
Am 15.02.2008 fand am Institut Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> Wirtschaft (iaw) ein Workshop<br />
zum Thema „<strong>Sozial</strong>berichterstattung <strong>und</strong> Stadtmonitoring“ statt.<br />
Teilgenommen haben insgesamt 15 Personen aus Bremer Forschungsinstituten<br />
(Zentrum für <strong>Sozial</strong>politik [ZeS], Institut Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> Wirtschaft
71<br />
[iaw]), aus dem Statistischen Landesamt Bremen, dem Ressort <strong>Sozial</strong>es<br />
<strong>und</strong> von den <strong>Sozial</strong>en Diensten, <strong>der</strong> Polizei, dem Ges<strong>und</strong>heitsamt, <strong>der</strong><br />
Bremer Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer (<strong>Armuts</strong>berichte) <strong>und</strong> aus dem Bauressort<br />
(Stadtmonitoring).<br />
Das Treffen diente <strong>der</strong> Vernetzung untereinan<strong>der</strong> <strong>und</strong> dem fachlichen<br />
Austausch jener Akteure, die in ihrer täglichen Ar<strong>bei</strong>t o<strong>der</strong> als <strong>Sozial</strong>forscher<br />
mit <strong>der</strong> Aufbereitung, Interpretation <strong>und</strong> Berichter-stattung beschäftigt<br />
sind. Durch die Tagung sollte gemeinsam erörterte werden,<br />
über welche Voraussetzungen Bremen für eine integrierte <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
verfügt.<br />
Tabelle 6: Teilnehmende / Institutionen<br />
Einrichtung teilnehmende Personen<br />
Prof. Dr. Frank Nullmeyer (ZeS)<br />
Dr. Günter Warsewa (IAW)<br />
Bremer Forschungsinstitute<br />
Polf Prigge (IAW)<br />
Thomas Schwarzer (IAW)<br />
Matthias Kirk (IAW)<br />
Jan-Christoph Lendner (IAW)<br />
Der Senator für Umwelt, Dr. Detlev Söffler<br />
Bau, Verkehr <strong>und</strong> Europa Annett Schroe<strong>der</strong><br />
Marion Brünner<br />
Die Senatorin für Ar<strong>bei</strong>t,<br />
Frauen, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es<br />
Wolfgang Denker<br />
Christiane Kluge; Jugend- u. <strong>Sozial</strong>planung<br />
(AfSD)<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamt Bremen Dr. Guenter Tempel<br />
Statistisches Landesamt<br />
Bremen (STALA)<br />
Dr. Karsten Drescher<br />
Polizei Bremen, Leiter <strong>der</strong><br />
Präsidialabteilung<br />
Andrée Lehmann<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
Bremen<br />
Dr. Peter Beier<br />
Carola Bury<br />
Bernd Strüßmann
72<br />
Zur Einführung dienten zwei Gr<strong>und</strong>lagenreferate. Detlef Soeffller stellte<br />
die Konzeption <strong>und</strong> das Netzwerk des Bremer Stadtmonitorings dar.<br />
Deutlich wurde die Funktion des Stadtmonitorings als Motor einer ressortübergreifenden<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t. Vorgestellt wurden die vielfältigen<br />
<strong>und</strong> kleinräumig vorliegenden <strong>und</strong> demnächst über das Internet allgemein<br />
zugänglichen Daten <strong>und</strong> Informationen. Das Stadtmonitoring<br />
stellt, auch im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Großstädten, eine solide <strong>und</strong> in<br />
Entwicklung begriffene Basis für die Bremer Ressortplanungen dar.<br />
Erweitert um Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Bildungsberichtssysteme (in Planung)<br />
würde Bremen eine fachliche Planungsgr<strong>und</strong>lage auf einem mo<strong>der</strong>nen<br />
Stand verfügen.<br />
Im zweiten Gr<strong>und</strong>lagenreferat gab Thomas Schwarzer (iaw) einen Überblick<br />
über den <strong>der</strong>zeitigen (Forschungs-)Stand <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>-, <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung in Europa, im B<strong>und</strong>, in den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> in den deutschen Großstädten. Es zeigt sich, dass von einer ebenenübergreifenden<br />
„Konjunktur“ von Berichterstattung gesprochen werden<br />
kann. Damit sind seit dem Begin dieses Jahrtausend erhebliche<br />
methodische Weiterentwicklungen verb<strong>und</strong>en. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e für<br />
die Europäische Gemeinschaft, die neue Konzepte sozialer Integration<br />
entwickelt <strong>und</strong> umzusetzen versucht. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landespolitik<br />
etablieren sich vor allem die Reichtums- <strong>und</strong> die Bildungsberichterstattung<br />
als neue Gebiete. In einem Teil <strong>der</strong> Großstädte, insbeson<strong>der</strong>e mit<br />
umfangreichen sozialen Problemlagen, wurden neue Praxisansätze einer<br />
politisch forcierten <strong>und</strong> integrierten Stadt- <strong>und</strong> Stadteilentwicklungsplanung<br />
installiert.<br />
In Bremen muss zukünftig davon ausgegangen werden, dass Maßnahmen<br />
<strong>und</strong> Effekte einer präventiven <strong>Armuts</strong>bekämpfung gegenüber <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>espolitik stärker als bisher dokumentiert werden müssen. Es zeigt<br />
sich außerdem, dass vor allem in Großstädte mit ähnlich umfangreichen<br />
sozialen Problemlagen wie in Bremen, nicht allein die Verwaltung aktiv<br />
wird, son<strong>der</strong>n auch die Stadtpolitik. Sie forciert in vielen Großstädten,<br />
mit Hilfe integrierter <strong>Sozial</strong>berichtssysteme, Ansätze einer sozialintegrativen<br />
Stadtpolitik. Dazu gehören auch neuartige soziale Bündnisse mit<br />
Wohlfahrtsverbänden, Forschungseinrichtungen, Kirchen, Kammern,<br />
Vereinen <strong>und</strong> Bürgergruppen. In Bremen sind <strong>der</strong>artige politische
Anstrengungen <strong>und</strong> Kooperationen, angesichts <strong>der</strong> umfangeichen sozialen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen, erfor<strong>der</strong>lich <strong>und</strong> möglich.<br />
73
74<br />
Literatur- <strong>und</strong> Quellenverzeichnis<br />
Andreß, H.- J. (1999), Leben in Armut, Analysen <strong>der</strong> Verhaltensweisen armer<br />
Haushalte mit Umfragedaten, Opladen<br />
Andreß, H.- J., Kronauer, M. (2006), Arm – Reich, in: Lessenich, S., Nullmeier,<br />
F. (Hg.) (2006), Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft, S. 28-52,<br />
Frankfurt/M., New York<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2002), Armut in Bremen, Schwerpunkt Kin<strong>der</strong>armut,<br />
Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2003), Armut in Bremen, Schwerpunkt Armut<br />
trotz Ar<strong>bei</strong>t, Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2004), Armut in Bremen, Schwerpunkt Armut<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2005), Armut in Bremen, Schwerpunkt Armut<br />
<strong>und</strong> Bildung, Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2006), Armut in Bremen, Schwerpunkt Hilfebedürftigkeit<br />
trotz Ar<strong>bei</strong>t, Bremen<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen (2007), Armut in Bremen, Schwerpunkt Die<br />
soziale Spaltung <strong>der</strong> Stadt, Bremen<br />
Ausschuss für <strong>Sozial</strong>schutz (2001), Bericht über Indikatoren im Bereich Armut<br />
<strong>und</strong> soziale Ausgrenzung, Brüssel<br />
Baethge, M., Bartelheimer, P. (2005), Deutschland im Umbruch, in: Soziologisches<br />
Forschungsinstitut (SOFI), u.a. (Hg.), Berichterstattung zur sozioökonomischen<br />
Entwicklung in Deutschland – Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> Lebensweisen, Erster<br />
Bericht, Wiesbaden<br />
Bahlsen, W., Nakielski, H., Rössel, K., Winkel, R. (1984), Die neue Armut,<br />
Ausgrenzung von Ar<strong>bei</strong>tslosen aus <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosenunterstützung, Köln<br />
Bartelheimer, P. (2001), <strong>Sozial</strong>berichterstattung für die „<strong>Sozial</strong>e Stadt“, Methodische<br />
Probleme <strong>und</strong> politische Möglichkeiten, Frankfurt/M., New York<br />
Bartelheimer, P. (2004), <strong>Sozial</strong>berichterstattung im Land <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Kommune<br />
– Probleme <strong>und</strong> Möglichkeiten, Beitrag zum Workshop des MGSFF zur <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
in NRW, Düsseldorf<br />
Bartelheimer, P. (2005), Der <strong>Sozial</strong>raum in <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> in <strong>der</strong> kommunalen<br />
<strong>Sozial</strong>berichterstattung, unveröffentlichtes Manuskript, Göttingen<br />
Bartelheimer, P., Wagner, A. (2005), Machbarkeitsstudie Ar<strong>bei</strong>tsmarktmonitor.<br />
Ar<strong>bei</strong>tspapier 102 (HBS), Düsseldorf<br />
Bartelheimer, P. (2007), Gefährdungen von Teilhabe im Umbruch des deutschen<br />
<strong>Sozial</strong>modells, in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn<br />
Becker, H. (2002), B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen<br />
(2002), Die <strong>Sozial</strong>e Stadt – Eine erste Bilanz des B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programms<br />
„Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“, Deutsches<br />
Institut für Urbanistik (Difu), Berlin
75<br />
Becker, U. (2006), Der <strong>Sozial</strong>staat in <strong>der</strong> Europäischen Union, in: Der Städtetag,<br />
Zeitschrift für Kommunale Politik <strong>und</strong> Praxis, 59. Jg., H. 6, S. 12-16,<br />
Berlin<br />
Bernhard, S. (2005), Die offene Methode <strong>der</strong> Koordinierung als Prozess von<br />
Lernanreizen – zu Theorie <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong> Europäischen Inklusionsstrategie,<br />
Baces Diskussion Paper, No. 8, Bamberg<br />
Bernhard, S. (2007), Inklusion in <strong>der</strong> Europäischen Union – Beobachtungen<br />
zum Wandel <strong>der</strong> Problematisierung von Armut in <strong>der</strong> EU,<br />
www.grandnet.de/papers/pomo2006/bernhard.html<br />
Bodewig, K. (2002), Vorwort zur ersten Bilanz des B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programms<br />
„Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em Entwicklungsbedarf – die <strong>Sozial</strong>e Stadt“, in:<br />
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) (Hg.), Die <strong>Sozial</strong>e Stadt, S. 8, Berlin<br />
Boeckh, J., Huster, E.-U., Benz, B. (2004), <strong>Sozial</strong>politik in Deutschland, Eine<br />
systematische Einführung, Wiesbaden<br />
Böhnke, P. (2006), Marginalisierung <strong>und</strong> Verunsicherung. Ein empirischer<br />
Beitrag zur Exklusionsdebatte, in: Bude, H., Willisch, A. (Hg.), Das Problem<br />
<strong>der</strong> Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, S. 97-120, Hamburg<br />
Bremer Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für Integration <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (BAgIS), Integrations-<br />
<strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmarktprogramm 2006, Bremen<br />
Bremische Bürgerschaft, Landtag (2005), Wirtschaftsstrukturelle Ursachen <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tslosenzahlenentwicklung, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/643,<br />
Bremen<br />
Bremische Bürgerschaft, Stadtbürgerschaft (2005), „In die Zukunft investieren<br />
– Tagesbetreuung ausbauen“ 16. Wahlperiode, Drucksache 16/454 S,<br />
Bremen<br />
Bremische Bürgerschaft (2007), „Vereinbarung zur Zusammenar<strong>bei</strong>t in einer<br />
Regierungskoalition für die 17. Wahlperiode <strong>der</strong> Bremischen Bürgerschaft<br />
2007- 2011, Bremen<br />
Bude, H., Willisch, A. (2006) (Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion, Ausgegrenzte,<br />
Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg<br />
B<strong>und</strong>esagentur für Ar<strong>bei</strong>t (2006), Ar<strong>bei</strong>tsmarktreport. Der Ar<strong>bei</strong>tsmarkt im<br />
Bezirk <strong>der</strong> Agentur für Ar<strong>bei</strong>t Hannover, 3/2006, Hannover<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2001), Lebenslagen in Deutschland.<br />
Der erste <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung, Berlin<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2005), Lebenslagen in Deutschland.<br />
Der zweite <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumsbericht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung, Berlin<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen (2002), Die <strong>Sozial</strong>e<br />
Stadt – Eine erste Bilanz des B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programms „Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em<br />
Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“, Deutsches Institut für<br />
Urbanistik (Difu), Berlin
76<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen (2004), Die <strong>Sozial</strong>e<br />
Stadt – Ergebnisse <strong>der</strong> Zwischenevaluation. Bewertung des B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-<br />
Programms „Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em Entwicklungsbedarf – die soziale<br />
Stadt“ nach vier Jahren Programmlaufzeit, Deutsches Institut für Urbanistik<br />
(Difu), Berlin<br />
Busch, K. (2005), Die Perspektiven des Europäischen <strong>Sozial</strong>modells, Ar<strong>bei</strong>tspapier<br />
92 <strong>der</strong> Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf<br />
Butterwegge, C. (2005), Krise <strong>und</strong> Zukunft des <strong>Sozial</strong>staates, Wiesbaden<br />
Castel, R. (2000), Die Metamorphosen <strong>der</strong> sozialen Frage. Eine Chronik <strong>der</strong><br />
Lohnar<strong>bei</strong>t. Konstanz<br />
Castel, R. (2005), Die Stärkung des <strong>Sozial</strong>en. Leben im neuen Wohlfahrtstaat,<br />
Hamburg<br />
Commission of the European Communities (1993), Social Europe. Towards a<br />
Europe of Solidarity, Combating Social Exclusion. Supplement 4/93, Brüssel,<br />
Luxemburg<br />
Dangschat, J. (1998), Segregation, in: Häußermann, H. Großstadt. Soziologische<br />
Stichworte, S.207-220, Opladen<br />
Der Senator für Bau, Umwelt <strong>und</strong> Verkehr sowie <strong>der</strong> Senator für Ar<strong>bei</strong>t, Frauen,<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2004), Evaluation <strong>der</strong> Programme<br />
„Wohnen in Nachbarschaften – WiN“ <strong>und</strong> „Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em Entwicklungsbedarf<br />
– die soziale Stadt“ in Bremen (Endbericht), Berlin<br />
Der Senator für Ar<strong>bei</strong>t, Frauen, Ges<strong>und</strong>heit, Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2004), Informationen<br />
zum Ar<strong>bei</strong>tsmarkt des Landes Bremen, 3/2006, Bremen<br />
Der Senator für Ar<strong>bei</strong>t, Frauen, Ges<strong>und</strong>heit, Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2005), Berichterstattung<br />
zur Erstellung des „Altenplan für die Stadtgemeinde Bremen“<br />
(2005) <strong>und</strong> Vorlage einer Kurzfassung, Bremen<br />
Der Senator für Ar<strong>bei</strong>t, Frauen, Ges<strong>und</strong>heit, Jugend <strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>es (2005), Altenplan<br />
2005 / 2006. Der Altenplan <strong>der</strong> Stadtgemeinde Bremen, Bremen<br />
Deutsches Institut für Urbanistik (2002), Die <strong>Sozial</strong>e Stadt. Eine erste Bilanz<br />
des B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programms „Stadtteile mit beson<strong>der</strong>em Entwicklungsbedarf<br />
– die soziale Stadt“, Berlin<br />
Dietz, B., Eißel, D., Naumann, D. (1999) (Hg.), Handbuch <strong>der</strong> kommunalen<br />
<strong>Sozial</strong>politik, Opladen<br />
Dörre, K. (2006), Prekäre Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> soziale Desintegration, in: Aus Politik <strong>und</strong><br />
Zeitgeschichte (ApuZ), H. 40-41, S. 7-14, Berlin<br />
Evers, A., Rauch, U., Stitz, U. (2002), Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen<br />
Unternehmen. Hybride Organisationsformen im Bereich sozialer Dienstleistungen,<br />
Berlin<br />
Evers, A. (2005), Lokale <strong>Sozial</strong>politik. Eckpunkte für eine neue Agenda, in:<br />
Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur, 3/2005, S. 38-39, Frankfurt/M.
77<br />
Farell, F., Moser, M., Smeekes, A. (2005), European Anti Poverty Network<br />
(EAPN), Das Europa das wir wollen, http://www.eapn.org<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung (2006) (Hg.), Gesellschaft im Reformprozess, Bonn<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung (2006), Forum Berlin (Hg.), Fällt die Gesellschaft auseinan<strong>der</strong>?<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen für die Politik. Auftaktveranstaltung des Projektes<br />
„Gesellschaftliche Integration (28. September 2006), Berlin<br />
Gebauer, R., Petschauer, H., Vobruba, G. (2002), Wer sitzt in <strong>der</strong> <strong>Armuts</strong>falle?<br />
Selbstbehauptung zwischen <strong>Sozial</strong>hilfe <strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmarkt, Berlin<br />
Geiling, H. (2003), Über soziale Integration in <strong>der</strong> Stadt, in: Geiling, H. (Hg.),<br />
Probleme sozialer Integration, S. 91-103, Münster<br />
Geiling, H. (2005), <strong>Sozial</strong>e Integration als Herausfor<strong>der</strong>ung für kommunale <strong>und</strong><br />
regionale Akteure, Frankfurt/M<br />
Geppert, K., Goring M. (2003), Die Renaissance <strong>der</strong> großen Städte – <strong>und</strong> die<br />
Chancen Berlins, in: DIW Wochenbericht, Nr. 26, Berlin<br />
Göschel, A. (2003), „Stadt 2030“: Mut zum Weitblick in deutschen Städten,<br />
in: Der Städtetag, Zeitschrift für Kommunale Politik <strong>und</strong> Praxis, 56 Jg., H.<br />
4, S.6-9<br />
Göschel, A. (2004, 8. Juli), Deutschland schrumpft – was heißt das für die<br />
Städte <strong>und</strong> das Wohnen? URL:<br />
http://www.stadtteilar<strong>bei</strong>t.de/seiten/theorie/goeschel/demographischerwandel.htm<br />
Grimm, G., Hinte, W., Litges, G. (2004), Quartiermanagement. Eine kommunale<br />
Strategie für benachteiligte Wohngebiete, Berlin<br />
Hanesch, W. (1994), Armut in Deutschland, Frankfurt/M.<br />
Hanesch, W. (1997), Überlebt die soziale Stadt? Konzeption, Krise <strong>und</strong> Perspektiven<br />
kommunaler <strong>Sozial</strong>staatlichkeit, Opladen<br />
Hanesch, W. (1999), Strategische Dimensionen kommunaler <strong>Sozial</strong>berichterstattung,<br />
in: Dietz, B., Eißel, D., Naumann, D. (Hg.), Handbuch <strong>der</strong> kommunalen<br />
<strong>Sozial</strong>politik, S. 45 ff.<br />
Hanesch, W., u.a. (2000), Armut <strong>und</strong> Ungleichheit in Deutschland, Frankfurt/M.<br />
Hanesch, W. (2001), Armut <strong>und</strong> Integration in den Kommunen, in: Deutsche<br />
Zeitschrift für Kommunalwissenschaft (DfK), H. 1, S. 27-47, Berlin<br />
Hanesch, W. (2006), <strong>Armuts</strong>berichterstattung <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>bekämpfung in <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>esrepublik, Hamburg<br />
Hanesch, W. (2006), Abschlussbericht „Nationale Sensibilisierungsmaßnahmen<br />
zum Thema <strong>Sozial</strong>e Integration, Hamburg<br />
Hauser, R., Cremer-Schäfer, H., Nouvertné, U. (1981), Armut, Niedrigeinkommen<br />
<strong>und</strong> Unterversorgung in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland – Bestandsaufnahme<br />
<strong>und</strong> sozialpolitische Perspektiven, Frankfurt/M., New York
78<br />
Hauser, R. (1997), <strong>Armuts</strong>berichterstattung, in: Noll, H.- H. (Hg.), <strong>Sozial</strong>berichterstattung<br />
in Deutschland, Konzepte, Methoden <strong>und</strong> Ergebnisse für Lebensbereiche<br />
<strong>und</strong> Bevölkerungsgruppen, Weinheim, München<br />
Hauser, R. (2001), <strong>Armuts</strong>forschung <strong>und</strong> <strong>Armuts</strong>berichterstattung, Vortrag<br />
<strong>bei</strong>m ZUMA-Workshop über <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Reichtumsberichte</strong>rstattung im<br />
November 2001, Mannheim<br />
Häußermann, H. (1997), Armut in den Großstädten – eine neue städtische<br />
Unterklasse? in: Leviathan, 25. Jg., Heft 1, S. 12-27<br />
Häußermann, H. (2003), Das Europäische Stadtmodell, in: Leviathan, Zeitschrift<br />
für <strong>Sozial</strong>wissenschaften, H. 3, S. 129-137<br />
Häußermann, H. (2006), Die Krise <strong>der</strong> „<strong>Sozial</strong>e Stadt“. Warum <strong>der</strong> sozialräumliche<br />
Wandel <strong>der</strong> Städte eine eigenständige Ursache für Ausgrenzung ist, in:<br />
Bude, H., Willisch, A. (Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion, Ausgegrenzte, Entbehrliche,<br />
Überflüssige, S. 294-313, Hamburg<br />
Heitmeyer, W., Dollase, R., Backes, O. (1998) (Hg.), Die Krise <strong>der</strong> Städte,<br />
Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnischkulturelle<br />
Zusammenleben, Frankfurt a. M.<br />
Heitmeyer, W. (1998), Versagt die „Integrationsmaschine“ Stadt? in: Heitmeyer,<br />
W., Dollase, R., Backes, O. (Hg.), Die Krise <strong>der</strong> Städte, S.443-467,<br />
Frankfurt/M.<br />
Hinte, W., Litges, G., Springer, W. (1999), <strong>Sozial</strong>e Dienste: Vom Fall zum Feld.<br />
<strong>Sozial</strong>e Räume statt Verwaltungsbezirke, Berlin<br />
Hinte, W., Litges, G., Groppe, J. (2003), <strong>Sozial</strong>räumliche Finanzierungsmodelle.<br />
Qualifizierte Jugendhilfe auch in Zeiten knapper Kassen, Berlin<br />
Hübinger, W. (1996) Prekärer Wohlstand, Neue Bef<strong>und</strong>e zu Armut <strong>und</strong> sozialer<br />
Ungleichheit, Freiburg<br />
Kaelble, H., Schmidt, G. (2004) (Hg.), Das europäische <strong>Sozial</strong>modell. Auf dem<br />
Weg zum transnationalen <strong>Sozial</strong>staat, Berlin<br />
Kaluza, H. (1998), Der Europäische <strong>Sozial</strong>fonds. Seine Entwicklung <strong>und</strong> Funktion<br />
im europäischen Integrationsprozess, mit einem Exkurs zu seiner Bedeutung<br />
für die b<strong>und</strong>esdeutsche Ar<strong>bei</strong>tsför<strong>der</strong>ung, Baden-Baden<br />
Kaufmann, F.-X. (2003a), Der deutsche <strong>Sozial</strong>staat im internationalen Vergleich,<br />
Frankfurt/M.,<br />
Kaufmann F.-X. (2003b), <strong>Sozial</strong>politisches Denken. Die deutsche Tradition,<br />
Frankfurt/M.<br />
Klee, G. (2005), <strong>Armuts</strong>- <strong>und</strong> Reichtumgskonzepte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Operationalisierung<br />
in Deutschland, in: Volkert, J. (2005), Armut <strong>und</strong> Reichtum an Verwirklichungschancen,<br />
S. 47-70, Wiesbaden<br />
Konietzka, D., Sopp, P. (2006), Ar<strong>bei</strong>tsmarktstrukturen <strong>und</strong> Exklusionsprozesse,<br />
in: Bude, H., Willisch, A. (Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion, Ausgegrenzte,<br />
Entbehrliche, Überflüssige, S. 314-341, Hamburg
79<br />
Kronauer, M. (1997), „<strong>Sozial</strong>e Ausgrenzung <strong>und</strong> „Un<strong>der</strong>class“. Über neue Formen<br />
<strong>der</strong> gesellschaftliche Spaltung, in: Leviathan, Nr. 25. Heft 1, S. 28-49<br />
Kronauer, M. (1998), Armut, Ausgrenzung, Unterklasse, in: Häußermann, H.,<br />
Großstadt. Soziologische Stichworte, S.13-27, Opladen<br />
Kronauer, M. (2002), Exclusion. Die Gefährdung des <strong>Sozial</strong>en im hoch entwickelten<br />
Kapitalismus, Frankfurt/M., New York<br />
Kronauer, M. (2006), „Exklusion“ als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse.<br />
Vorschläge für eine anstehende Debatte, in: Bude, H., Willisch, A.<br />
(Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige,<br />
S. 27-45, Hamburg<br />
Krümmel<strong>bei</strong>n, S., Nüchter, O. (2006), Bürger wollen auch in Zukunft weitereichende<br />
soziale Landeshauptstadt Hannover (2002), <strong>Sozial</strong>bericht 2002.<br />
Bericht zur <strong>Sozial</strong>en Situation in Hannover, Hannover<br />
Landeshauptstadt Hannover (2004), Integriertes Handlungskonzept Mittelfeld,<br />
Fortschreibung 2004, Hannover<br />
Landeshauptstadt Hannover (2004), Integriertes Handlungskonzept Hainholz,<br />
Ansätze für eine soziale Stadterneuerung, Hannover<br />
Landeshauptstadt Hannover (2004), Informationsdrucksache Nr. 0313/2004,<br />
<strong>Sozial</strong>e Stadt: Bilanz 2003 <strong>und</strong> Planung 2004 im Bereich des Jugend- <strong>und</strong><br />
<strong>Sozial</strong>dezernates, Hannover<br />
Landeshauptstadt Hannover (2005), Integriertes Handlungskonzept Vahrenheide-Ost,<br />
Hannover<br />
Landeshauptstadt Hannover (2005), Informationsdrucksache Nr. 0268/2005,<br />
„<strong>Sozial</strong>e Stadt“ / Bilanz 2004 <strong>und</strong> Planung 2005 im Bereich des Jugend-<br />
<strong>und</strong> <strong>Sozial</strong>dezernates, Hannover<br />
Lang, J.; Naschold, F.; Reissert, B. (1998), Management <strong>der</strong> EU-Strukturpolitik<br />
– Steuerungsprobleme <strong>und</strong> Reformperspektiven, Berlin<br />
Leibfried, S., Wagschal, U. (2000) (Hg.), Der deutsche <strong>Sozial</strong>staat. Bilanzen,<br />
Reformen, Perspektiven, Frankfurt/M., New York<br />
Leisering, L. (2004), Paradigmen sozialer Gerechtigkeit, in: Liebig, S., Lengfeld,<br />
H., Mau, S. (Hg.), Verteilungsprobleme <strong>und</strong> Gerechtigkeit in mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften,<br />
S. 29-68, Frankfurt/M.<br />
Lessenich, S., Nullmeier, F. (Hg.) (2006), Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft,<br />
Frankfurt/M., New York<br />
Lompe, K. (1987) (Hg.), Die Realität <strong>der</strong> neuen Armut. Analysen <strong>der</strong> Beziehung<br />
zwischen Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit <strong>und</strong> Armut in einer Problemregion. Regensburg<br />
Mayntz, R. (2005), Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie?,<br />
in: Schuppert, G., F., Governance-Forschung. Vergewisserung über Stand<br />
<strong>und</strong> Entwicklungslinien, S. 11-20, Baden-Baden<br />
Nullmeier, F. (2003), Wohlfahrtsdemokratie, in ZeS - Report 2, Universität<br />
Bremen, S. 9-13, Bremen
80<br />
Nullmeier, F. (2006), Links – Rechts, in: Lessenich, S., Nullmeier F. (Hg.),<br />
Deutschland – eine gespaltene Gesellschaft, S. 313-335, Frankfurt/M.,<br />
New York<br />
Offe, C.; Fuchs, S. (2001), Schw<strong>und</strong> des <strong>Sozial</strong>kapitals? Der Fall Deutschland,<br />
in: Putnam, R.D. (Hg.) Gesellschaft <strong>und</strong> Gemeinsinn, S. 417 ff., Gütersloh<br />
Pohlan, J. (1997), Entwicklungsunterschiede <strong>der</strong> Finanzlagen deutscher Städte<br />
zwischen 1979 <strong>und</strong> 1990, Universität Bremen KUA, Bremen<br />
Pohlan, J. (2001), Monitoring <strong>der</strong> Städte <strong>und</strong> Regionen, in: Gestring, N.; Glasauer,<br />
H.; Hannemann, C.; Petrowsky, W.; Pohlan, J. (Hg.) Jahrbuch<br />
StadtRegion 2003, Schwerpunkt: Einwan<strong>der</strong>ungsstadt, S.205-259, Opladen<br />
Pohlan, J. (2004), Monitoring <strong>der</strong> Städte <strong>und</strong> Regionen, in: Gestring, N.; Glasauer,<br />
H.; Hannemann, C.; Petrowsky, W.; Pohlan, J. (Hg.) Jahrbuch<br />
StadtRegion 2003, Schwerpunkt: Urbane Regionen, S.191-252, Opladen<br />
Prigge, R.; Prange, M.; Zapatka, M. (2001), Gemeinden in <strong>der</strong> Großstadt.<br />
Demokratie <strong>und</strong> Verwaltung in den Bezirken 17 deutscher Großstädte unter<br />
beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Stadtstaaten, Bremen, Boston<br />
Prigge, R., Schwarzer, T. (2006a), Großstädte zwischen Hierarchie, Wettbewerb<br />
<strong>und</strong> Kooperation, Wiesbaden<br />
Prigge, R., Schwarzer, T. (2006b), Lokale <strong>Sozial</strong>politik in Bremen <strong>und</strong> Hannover,<br />
(im Erscheinen), Bremen<br />
Prigge, R., Schwarzer, T. (2006c), Verän<strong>der</strong>te Akteurskonstellationen <strong>und</strong> die<br />
Krise demokratischer Legitimation großstädtischer Politik. Eine Chance für<br />
Mitbestimmung <strong>und</strong> Bürgerbeteiligung? (Manuskript), Bremen<br />
Roth, R. (1999), Kommunale <strong>Sozial</strong>staatlichkeit als Perspektive für eine notwendige<br />
Neuorientierung <strong>Sozial</strong>er Ar<strong>bei</strong>t, in: R<strong>und</strong>brief Gilde soziale Ar<strong>bei</strong>t<br />
(GiSA), S. 3-14<br />
Scha<strong>der</strong>-Stiftung (2001), Politische Steuerung <strong>der</strong> Stadtentwicklung, Das Programm<br />
„Die soziale Stadt“ in <strong>der</strong> Diskussion, Darmstadt<br />
Schäfer, A. (2006), Aufstieg <strong>und</strong> Grenzen <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> offenen Koordinierung,<br />
in: WSI-Mitteilungen, 59.Jg., Nr. 10/2006, S. 540-546, Frankfurt/M.<br />
Schmidt, M. G. (1998), <strong>Sozial</strong>politik. Historische Entwicklungen <strong>und</strong> internationaler<br />
Vergleich, Opladen<br />
Schmidt, M., G. (2005), <strong>Sozial</strong>politik in Deutschland. Historische Entwicklung<br />
<strong>und</strong> internationaler Vergleich, Wiesbaden<br />
Schulte, B. (2004), Die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Sozial</strong>politik <strong>der</strong> europäischen Union<br />
<strong>und</strong> ihr Beitrag zur Konstituierung des europäischen <strong>Sozial</strong>modells, in:<br />
Kaelble, H., Schmid, G. (Hg.), Das europäische <strong>Sozial</strong>modell, S. 75-103,<br />
Berlin<br />
Schultheis, F., Schulz, K. (Hg.) (2005), Gesellschaft mit begrenzter Haftung.<br />
Zumutungen <strong>und</strong> Leiden im deutschen Alltag, Konstanz
Schwarzer, T. (2003), Das B<strong>und</strong>-Län<strong>der</strong>-Programm „Die <strong>Sozial</strong>e Stadt“ <strong>und</strong><br />
seine Umsetzung im hannoverschen Stadtteil Vahrenheide, in: Geiling, H.<br />
(Hg.), Probleme sozialer Integration, S. 121-140, Münster<br />
Schwarzer, T. (2004), Integrativ o<strong>der</strong> ausgrenzend? Stadtteile, soziale Milieus,<br />
lokale Infrastrukturen, in: Walter, U.-J., Mensch, K., Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />
in <strong>der</strong> „<strong>Sozial</strong>en Stadt“, Konzepte <strong>und</strong> Rezepte auf dem Prüfstand, S.<br />
143-168, Darmstadt<br />
Schwarzer, T. (2005), <strong>Sozial</strong>e Prekarität in <strong>der</strong> Stadt, in: Geiling, H. (Hg.),<br />
<strong>Sozial</strong>e Integration als Herausfor<strong>der</strong>ung für kommunale <strong>und</strong> regionale Akteure,<br />
S. 135-158, Frankfurt/M.<br />
Sen, A. (1999), Ökonomie für den Menschen, New York<br />
Silver, H. (1994), <strong>Sozial</strong> Exclusion and <strong>Sozial</strong> Solidarity. Three Paradigmas.<br />
International Institut for Labour Studies, Discussion Papers 69, Genf<br />
<strong>Sozial</strong>e Stadt info (2007), Verstetigung <strong>und</strong> Monitoring in <strong>der</strong> sozialen Stadt,<br />
Monitoring <strong>Sozial</strong>e Stadtentwicklung Berlin, S. 16-19, Berlin<br />
Städtebaulicher Bereicht <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung (2004), Kapitel 5.3.4, <strong>Sozial</strong>e<br />
Stadt, S. 97-101, Berlin<br />
Strohmeier, K.-P., u.a. (2004) Armut in Nordrhein-Westfalen, Umfang <strong>und</strong><br />
Struktur des <strong>Armuts</strong>potentials, Bochum<br />
Vester, M. (2006), Der Kampf um soziale Gerechtigkeit. Zumutungen <strong>und</strong><br />
Bewältigungsstrategien in <strong>der</strong> Krise des deutschen <strong>Sozial</strong>modells, in: Bude,<br />
H., Willisch, A. (Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion, Ausgegrenzte, Entbehrliche,<br />
Überflüssige, S. 243-293, Hamburg<br />
Vogel, B. (2004), „Überzählige“ <strong>und</strong> „Überflüssige“. Empirische Annäherungen<br />
an die gesellschaftlichen Folgen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit,<br />
http://www.linksnet.de/drucksicht.phpid=1238, 20.07.04<br />
Vogel, B. (2005), Die Justierung des <strong>Sozial</strong>en. Anmerkungen zur laufenden<br />
Diskussion, in: Mittelweg 36, Zeitschrift des Hamburger Instituts für <strong>Sozial</strong>forschung<br />
Nr. 4, S. 5-14, Hamburg<br />
Vogel, B. (2006), <strong>Sozial</strong>e Verw<strong>und</strong>barkeit <strong>und</strong> prekärer Wohlstand. Für ein<br />
verän<strong>der</strong>tes Vokabular sozialer Ungleichheiten, in: Bude, H., Willisch, A.<br />
(Hg.), Das Problem <strong>der</strong> Exklusion, Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige,<br />
S. 243-293, Hamburg<br />
Voges, W., Jürgens, O., Mauer, A., Meyer, E. (2003), Methoden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen<br />
des Lebenslagenansatzes, Endbericht, Bremen<br />
Volkert, J. (2005), Armut <strong>und</strong> Reichtum an Verwirklichungschancen, Wiesbaden<br />
Walter, U.- J., Mensch, K. (2004), Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung in <strong>der</strong> „<strong>Sozial</strong>en<br />
Stadt“, Konzepte <strong>und</strong> Rezepte auf dem Prüfstand, Darmstadt<br />
Willisch, A. (2005), Die Paradoxen Folgen mechanischer Integration, in: Mittelweg<br />
36, Zeitschrift des Hamburger Instituts für <strong>Sozial</strong>forschung, Nr. 4, S.<br />
15-35, Hamburg<br />
81
Eine Kammer für Ar<strong>bei</strong>tnehmerinnen<br />
<strong>und</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmer im Lande Bremen<br />
Die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen vertritt als Körperschaft<br />
des öffentlichen Rechts die Interessen <strong>der</strong> Beschäftigten.<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer sind – so bestimmt<br />
es das ›Gesetz über die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer im Lande<br />
Bremen‹ – alle im B<strong>und</strong>esland Bremen abhängig Beschäftigten<br />
(mit Ausnahme <strong>der</strong> Beamten). Zurzeit sind dies r<strong>und</strong><br />
285.000 sozialversicherungpflichtig Beschäftigte <strong>und</strong> knapp<br />
50.000 Minijobber. Auch Ar<strong>bei</strong>tslose, die zuletzt ihren<br />
Ar<strong>bei</strong>tsplatz im Land Bremen hatten, sind Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer.<br />
Neben einer umfassenden Rechtsberatung bietet die<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer ihren Mitglie<strong>der</strong>n zahlreiche Informationen<br />
zu den Themen Wirtschaft, Ar<strong>bei</strong>t, Bildung <strong>und</strong> Kultur.<br />
Darüber hinaus berät sie Betriebs- <strong>und</strong> Personalräte<br />
sowie Politik <strong>und</strong> öffentliche Verwaltung im Lande Bremen.<br />
Die berufliche Weiterbildung übernimmt die Wirtschafts<strong>und</strong><br />
<strong>Sozial</strong>akademie (WiSoAk).<br />
Zusätzlichen Service <strong>und</strong> Vergünstigungen gibt es mit<br />
<strong>der</strong> KammerCard, die jedes Mitglied auf Wunsch kostenlos<br />
erhält.<br />
www.ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer.de<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
Bremen