Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

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22.10.2012 Aufrufe

Vorwort Inzwischen zum fünften Mal legt die Arbeitnehmerkammer ihren jährlichen Armutsbericht vor. Mit anderen Worten: Allen Bekenntnissen der Politik, für eine solche Berichterstattung selbst in der Verantwortung zu stehen, sind noch keine Taten gefolgt. Und das, obwohl das Thema Armut keineswegs an Brisanz verliert, sondern auf der politischen Tagesordnung eine immer dringlichere Priorität beansprucht. Denjenigen, die unsere Armutsberichte über die Jahre hin verfolgen, wird auffallen, dass wir uns wiederholen (was man eigentlich nicht tun sollte): In unserem Bericht 2003 ging es schon einmal um das Thema ›Armut trotz Arbeit› – jetzt heißt der Schwerpunkt ›Hilfebedürftig trotz Arbeit‹. Die Wiederholung ist aber nicht unserer Einfallslosigkeit geschuldet, sondern den Verhältnissen. Denn die sind so, dass vor das Wort Arbeit immer häufiger das Wort ›trotz‹ gesetzt werden muss, weil die Arbeit ihr Wesen als grundsicherndes Element verloren hat. Sie schützt nur bedingt vor Armut, sie garantiert nur noch eingeschränkt die soziale Absicherung im Krankheitsfall, sie sichert erst recht nicht mehr – zumindest für die Jungen – ein gutes Leben im Alter. Arbeit ist nicht mehr unbedingt existenz- und zukunftssichernd. Grund dafür ist das, was man heute die zunehmende ›Prekarisierung‹ der Arbeit nennt. Arbeitsverhältnisse werden immer häufiger ›prekär‹, also mit Risiken behaftet, unsicher, nicht ausreichend für den Lebensunterhalt. Prekär werden sie deshalb, weil immer schlechter, oft unter Tarif bezahlt, Mini-Jobs sind in manchen Branchen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, junge Leute arbeiten zum Teil jahrelang im Praktikantenstatus, der Billiglohnsektor weitet sich zunehmend aus. So sind zwar in Bremen in den letzten Jahren durchaus neue Arbeitsplätze entstanden, aber gleichzeitig ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugunsten der 400-Euro-Kräfte zurückgegangen. Auf diese Entwicklung bezieht sich unser Schwerpunkt ›Hilfebedürftig trotz Arbeit‹. Es geht also um Menschen, die trotz Arbeit Anspruch haben auf staatliche Transfer-Leistungen auf der Basis des durch Hartz IV bundesweit einheitlichen Fürsorgeniveaus. Unter den zurzeit knapp sieben Millionen Hartz-IV-Leistungsempfängern finden sich schon jetzt über 900.000 Menschen, die erwerbstätig sind – in Bremen sind es rund 12.000 bei knapp 100.000 Leistungsempfängern. Es geht uns also in unserem diesjährigen Bericht nicht nur um den allgemeinen Skandal Armut, sondern mehr um den Skandal ›Prekarisierung‹. Denn aus Sicht der Arbeitnehmerkammer ist es ein Skandal, wenn Arbeit nur noch als Kostenfaktor gesehen und ausschließlich nach Rentabilitätskriterien kalkuliert wird, und nicht mehr der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin, und der für ihn/für sie notwendige Lebensunterhalt das Maß für den Lohn abgibt. Mit diesem System der Kompensation von Niedriglohn durch staatliche Transferleistungen nach Hartz IV wird schon eine Form des Modells Kombilohn praktiziert. Das verschweigt die öffentliche Debatte. Klammheimlich wird so der Kombilohn zur allgemein akzeptierten Praxis. Um dieser Falle zu entgehen, braucht es den gesetzlich garantierten und durch Tarifverträge abgesicherten Mindestlohn. Deshalb ist die Arbeitnehmerkammer gegen das Modell Kombilohn und wird sich in unserer Region dafür einsetzen, dass wir zu Mindestlohn-Regelungen kommen, die zumindest die in dieser Region üblichen Lebenshaltungskosten individuell abdecken. Insofern ist unser diesjähriger Armutsbericht nicht nur Teil einer vielleicht einmal möglichen Sozialberichterstattung, sondern er verfolgt im Wesentlichen eine arbeitsmarktpolitische Intention – dass nämlich Politik den Arbeitsmarkt so organisiert, dass Arbeit wieder existenz- und zukunftssichernd wird. Dr. Hans-L. Endl Hans Driemel Hauptgeschäftsführer Präsident 5

6 Prekäre Beschäftigung

Vorwort<br />

Inzwischen zum fünften Mal legt die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer ihren jährlichen <strong>Armutsbericht</strong> vor.<br />

Mit an<strong>der</strong>en Worten: Allen Bekenntnissen <strong>der</strong> Politik, für eine solche Berichterstattung selbst in<br />

<strong>der</strong> Verantwortung zu stehen, sind noch keine Taten gefolgt. Und das, obwohl das Thema Armut<br />

keineswegs an Brisanz verliert, son<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> politischen Tagesordnung eine immer dringlichere<br />

Priorität beansprucht.<br />

Denjenigen, die unsere <strong>Armutsbericht</strong>e über die Jahre hin verfolgen, wird auffallen, dass wir uns<br />

wie<strong>der</strong>holen (was man eigentlich nicht tun sollte): In unserem Bericht 2003 ging es schon einmal<br />

um das Thema ›Armut trotz Ar<strong>bei</strong>t› – jetzt heißt <strong>der</strong> Schwerpunkt ›Hilfebedürftig trotz Ar<strong>bei</strong>t‹.<br />

Die Wie<strong>der</strong>holung ist aber nicht unserer Einfallslosigkeit geschuldet, son<strong>der</strong>n den Verhältnissen.<br />

Denn die sind so, dass vor das Wort Ar<strong>bei</strong>t immer häufiger das Wort ›trotz‹ gesetzt<br />

werden muss, weil die Ar<strong>bei</strong>t ihr Wesen als grundsicherndes Element verloren hat. Sie schützt<br />

nur bedingt vor Armut, sie garantiert nur noch eingeschränkt die soziale Absicherung im<br />

Krankheitsfall, sie sichert erst recht nicht mehr – zumindest für die Jungen – ein gutes Leben<br />

im Alter. Ar<strong>bei</strong>t ist nicht mehr unbedingt existenz- und zukunftssichernd.<br />

Grund dafür ist das, was man heute die zunehmende ›Prekarisierung‹ <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t nennt.<br />

Ar<strong>bei</strong>tsverhältnisse werden immer häufiger ›prekär‹, also mit Risiken behaftet, unsicher, nicht<br />

ausreichend für den Lebensunterhalt. Prekär werden sie deshalb, weil immer schlechter, oft<br />

unter Tarif bezahlt, Mini-Jobs sind in manchen Branchen nicht mehr die Ausnahme, son<strong>der</strong>n<br />

die Regel, junge Leute ar<strong>bei</strong>ten zum Teil jahrelang im Praktikantenstatus, <strong>der</strong> Billiglohnsektor<br />

weitet sich zunehmend aus. So sind zwar in <strong>Bremen</strong> in den letzten Jahren durchaus neue<br />

Ar<strong>bei</strong>tsplätze entstanden, aber gleichzeitig ist die Zahl <strong>der</strong> sozialversicherungspflichtig Beschäftigten<br />

zugunsten <strong>der</strong> 400-Euro-Kräfte zurückgegangen.<br />

Auf diese Entwicklung bezieht sich unser Schwerpunkt ›Hilfebedürftig trotz Ar<strong>bei</strong>t‹. Es geht<br />

also um Menschen, die trotz Ar<strong>bei</strong>t Anspruch haben auf staatliche Transfer-Leistungen auf <strong>der</strong><br />

Basis des durch Hartz IV bundesweit einheitlichen Fürsorgeniveaus. Unter den zurzeit knapp<br />

sieben Millionen Hartz-IV-Leistungsempfängern finden sich schon jetzt über 900.000 Menschen, die<br />

erwerbstätig sind – in <strong>Bremen</strong> sind es rund 12.000 <strong>bei</strong> knapp 100.000 Leistungsempfängern.<br />

Es geht uns also in unserem diesjährigen Bericht nicht nur um den allgemeinen Skandal<br />

Armut, son<strong>der</strong>n mehr um den Skandal ›Prekarisierung‹. Denn aus Sicht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />

ist es ein Skandal, wenn Ar<strong>bei</strong>t nur noch als Kostenfaktor gesehen und ausschließlich<br />

nach Rentabilitätskriterien kalkuliert wird, und nicht mehr <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmer o<strong>der</strong> die Ar<strong>bei</strong>tnehmerin,<br />

und <strong>der</strong> für ihn/für sie notwendige Lebensunterhalt das Maß für den Lohn abgibt.<br />

Mit diesem System <strong>der</strong> Kompensation von Niedriglohn durch staatliche Transferleistungen<br />

nach Hartz IV wird schon eine Form des Modells Kombilohn praktiziert. Das verschweigt die<br />

öffentliche Debatte. Klammheimlich wird so <strong>der</strong> Kombilohn zur allgemein akzeptierten Praxis.<br />

Um dieser Falle zu entgehen, braucht es den gesetzlich garantierten und durch Tarifverträge<br />

abgesicherten Mindestlohn. Deshalb ist die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer gegen das Modell Kombilohn<br />

und wird sich in unserer Region dafür einsetzen, dass wir zu Mindestlohn-Regelungen kommen,<br />

die zumindest die in dieser Region üblichen Lebenshaltungskosten individuell abdecken.<br />

Insofern ist unser diesjähriger <strong>Armutsbericht</strong> nicht nur Teil einer vielleicht einmal<br />

möglichen Sozialberichterstattung, son<strong>der</strong>n er verfolgt im Wesentlichen eine ar<strong>bei</strong>tsmarktpolitische<br />

Intention – dass nämlich Politik den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt so organisiert, dass Ar<strong>bei</strong>t wie<strong>der</strong><br />

existenz- und zukunftssichernd wird.<br />

Dr. Hans-L. Endl Hans Driemel<br />

Hauptgeschäftsführer Präsident<br />

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