Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

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22.10.2012 Aufrufe

den könnte. Zweifellos bliebe also selbst bei Einführung einer derartigen Regelung der Druck auf potenzielle Mindestlohnempfänger enorm hoch, denn das Mindestlohneinkommen garantiert für die Alleinlebenden nicht mehr als ein Leben am Existenzminimum. Für Alleinverdiener in einer Familie, insbesondere in Gemeinschaften, in denen Kinder zu erziehen sind, kann ein Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro also nie armutsfest sein. Der materielle Druck für Paare und Familien mit Kindern bleibt also hoch, trotz Mindestlohn. Dies macht zugleich anschaulich, dass trotz Mindestlohn, der kein Familienlohn sein wird, Paare und Familien mit Kindern auch zukünftig hilfebedürftig sein werden. Zusätzliche kompensatorische Leistungen des Staates, etwa im Bereich der Familien-, Wohnungsbau-, und Bildungspolitik sind notwendig, um Benachteiligungen auszugleichen. Dennoch bleibt für die Arbeitnehmerkammer Bremen der erste und entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer gesetzlichen Mindestlohnregelung, dass sie dem Alleinlebenden die Überwindung von Hilfebedürftigkeit ermöglicht. Dies beinhaltet aus unserer Sicht auch, dass der Mindestlohn seinen Bezugspunkt wieder in den Lebenshaltungskosten der Erwerbstätigen haben muss. Der Vergleich Bremen/Bremerhaven zeigt, dass der Mittelbedarf für die Lebenshaltungskosten – insbesondere aufgrund differierender Mietkosten – regionalen Schwankungen unterworfen ist. Diese Diskrepanzen sind jedoch beherrschbar. Ein Mindestlohn, der dagegen Maß nimmt an reinen Rentabilitätskalkulationen einzelner Wirtschaftssektoren oder -branchen und die Festsetzung wieder abhängig macht vom Stand des Kräfteverhältnisses der Tarifparteien, kann aus Sicht der Arbeitnehmerkammer Bremen das Ziel der Überwindung von Hilfebedürftigkeit nicht gewährleisten. Wenn Hilfebedürftigkeit nicht nur ›trotz‹, sondern in wachsendem Maße ›wegen‹ Arbeit eintritt, dann ist aus Sicht der Arbeitnehmerkammer Bremen ein Zustand erreicht, der nicht hinnehmbar ist. Politik, Gewerkschaften und Arbeitnehmer/innen-Organisationen müssen neu in die Diskussion über soziale gesellschaftliche Standards und die Formen und Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit eintreten, um Fehlentwicklungen und negative Auswirkungen nach Hartz I–IV und dem Agenda-Prozess entgegenzutreten. Aus unserer Sicht sind vor allem drei zentrale Aufgaben zu bewältigen: Es ist – entgegen allen Kürzungsüberlegungen – überfällig, die Angemessenheit des deutschen Fürsorgeniveaus zu überprüfen und anhand der Vorschläge des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 2001 Anpassungen und Nachbesserungen bei der Festlegung der Armutsgrenzen im Zuständigkeitsbereich der Bundesrepublik vorzunehmen. Alle Formen der prekären Arbeit, wie Armuts- und Niedriglöhne, schlecht bezahlte und erzwungene Teilzeitarbeit, Mini-Jobs, Midi-Jobs, vielfach aber auch Leiharbeit, Ich-AGs und Werkvertragsarbeit üben massiven Druck auf das existierende Lohn- und Gehaltssystem und die ihm zugrunde liegende Tarifstruktur aus. Es ist dringend erforderlich, in der Bundesrepublik Deutschland ein unteres Lohnniveau gesetzlich verbindlich zu fixieren, damit der ›Silo-Effekt‹, dem die Einkommen der Arbeitnehmer/innen gegenwärtig ausgesetzt sind, unterbunden werden kann. Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre ein wichtiges und geeignete Mittel für diesen Zweck. Die positiven Erfahrungen aus vielen, die Bundesrepublik umgebenden, europäischen Partnerländern bekräftigen diese Forderung. Alle bislang geförderten Kombilohn- und Kombieinkommensmodelle sind den Beweis schuldig geblieben, dass sie nachhaltig zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können. Die strukturelle Arbeitslosigkeit bleibt – mit gewissen Schwankungen – auf hohem Niveau. Die Lage im Bundesland Bremen macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Es ist daher dringend erforderlich, für die besonders benachteiligten Zielgruppen des Arbeitsmarkts – junge Menschen, Frauen, Ältere, Langzeitarbeitslose oder Migranten/innen – neue Formen und Maßnahmen der Förderung und der Beschäftigung in öffentlicher Verantwortung zu finden, die ein angemessenes Einkommen und soziale Absicherung gewährleisten. 17

18 Hilfebedürftig trotz Arbeit

den könnte. Zweifellos bliebe also selbst <strong>bei</strong><br />

Einführung einer <strong>der</strong>artigen Regelung <strong>der</strong> Druck<br />

auf potenzielle Mindestlohnempfänger enorm<br />

hoch, denn das Mindestlohneinkommen garantiert<br />

für die Alleinlebenden nicht mehr als ein<br />

Leben am Existenzminimum. Für Alleinverdiener<br />

in einer Familie, insbeson<strong>der</strong>e in Gemeinschaften,<br />

in denen Kin<strong>der</strong> zu erziehen sind, kann ein<br />

Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro also nie<br />

armutsfest sein. Der materielle Druck für Paare<br />

und Familien mit Kin<strong>der</strong>n bleibt also hoch, trotz<br />

Mindestlohn. Dies macht zugleich anschaulich,<br />

dass trotz Mindestlohn, <strong>der</strong> kein Familienlohn<br />

sein wird, Paare und Familien mit Kin<strong>der</strong>n auch<br />

zukünftig hilfebedürftig sein werden. Zusätzliche<br />

kompensatorische Leistungen des Staates,<br />

etwa im Bereich <strong>der</strong> Familien-, Wohnungsbau-,<br />

und Bildungspolitik sind notwendig, um Benachteiligungen<br />

auszugleichen.<br />

Dennoch bleibt für die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />

<strong>Bremen</strong> <strong>der</strong> erste und entscheidende Schritt<br />

auf dem Weg zu einer gesetzlichen Mindestlohnregelung,<br />

dass sie dem Alleinlebenden<br />

die Überwindung von Hilfebedürftigkeit ermöglicht.<br />

Dies <strong>bei</strong>nhaltet aus unserer Sicht auch,<br />

dass <strong>der</strong> Mindestlohn seinen Bezugspunkt<br />

wie<strong>der</strong> in den Lebenshaltungskosten <strong>der</strong><br />

Erwerbstätigen haben muss. Der Vergleich<br />

<strong>Bremen</strong>/Bremerhaven zeigt, dass <strong>der</strong> Mittelbedarf<br />

für die Lebenshaltungskosten – insbeson<strong>der</strong>e<br />

aufgrund differieren<strong>der</strong> Mietkosten –<br />

regionalen Schwankungen unterworfen ist.<br />

Diese Diskrepanzen sind jedoch beherrschbar.<br />

Ein Mindestlohn, <strong>der</strong> dagegen Maß nimmt an<br />

reinen Rentabilitätskalkulationen einzelner Wirtschaftssektoren<br />

o<strong>der</strong> -branchen und die Festsetzung<br />

wie<strong>der</strong> abhängig macht vom Stand<br />

des Kräfteverhältnisses <strong>der</strong> Tarifparteien, kann<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />

das Ziel <strong>der</strong> Überwindung von Hilfebedürftigkeit<br />

nicht gewährleisten.<br />

Wenn Hilfebedürftigkeit nicht nur ›trotz‹,<br />

son<strong>der</strong>n in wachsendem Maße ›wegen‹ Ar<strong>bei</strong>t<br />

eintritt, dann ist aus Sicht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />

<strong>Bremen</strong> ein Zustand erreicht, <strong>der</strong><br />

nicht hinnehmbar ist. Politik, Gewerkschaften<br />

und Ar<strong>bei</strong>tnehmer/innen-Organisationen müssen<br />

neu in die Diskussion über soziale gesellschaftliche<br />

Standards und die Formen und<br />

Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit eintreten,<br />

um Fehlentwicklungen und negative<br />

Auswirkungen nach Hartz I–IV und dem<br />

Agenda-Prozess entgegenzutreten.<br />

Aus unserer Sicht sind vor allem drei zentrale<br />

Aufgaben zu bewältigen:<br />

Es ist – entgegen allen Kürzungsüberlegungen<br />

– überfällig, die Angemessenheit des<br />

deutschen Fürsorgeniveaus zu überprüfen und<br />

anhand <strong>der</strong> Vorschläge des Europäischen<br />

Parlaments aus dem Jahre 2001 Anpassungen<br />

und Nachbesserungen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Festlegung<br />

<strong>der</strong> Armutsgrenzen im Zuständigkeitsbereich<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik vorzunehmen.<br />

Alle Formen <strong>der</strong> prekären Ar<strong>bei</strong>t, wie<br />

Armuts- und Niedriglöhne, schlecht bezahlte<br />

und erzwungene Teilzeitar<strong>bei</strong>t, Mini-Jobs,<br />

Midi-Jobs, vielfach aber auch Leihar<strong>bei</strong>t,<br />

Ich-AGs und Werkvertragsar<strong>bei</strong>t üben massiven<br />

Druck auf das existierende Lohn- und<br />

Gehaltssystem und die ihm zugrunde liegende<br />

Tarifstruktur aus. Es ist dringend<br />

erfor<strong>der</strong>lich, in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

ein unteres Lohnniveau gesetzlich verbindlich<br />

zu fixieren, damit <strong>der</strong> ›Silo-Effekt‹,<br />

dem die Einkommen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmer/innen<br />

gegenwärtig ausgesetzt sind, unterbunden<br />

werden kann. Ein gesetzlicher<br />

Mindestlohn wäre ein wichtiges und geeignete<br />

Mittel für diesen Zweck. Die positiven<br />

Erfahrungen aus vielen, die Bundesrepublik<br />

umgebenden, europäischen Partnerlän<strong>der</strong>n<br />

bekräftigen diese For<strong>der</strong>ung.<br />

Alle bislang geför<strong>der</strong>ten Kombilohn- und<br />

Kombieinkommensmodelle sind den Beweis<br />

schuldig geblieben, dass sie nachhaltig<br />

zusätzliche Ar<strong>bei</strong>tsplätze schaffen können.<br />

Die strukturelle Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit bleibt –<br />

mit gewissen Schwankungen – auf hohem<br />

Niveau. Die Lage im Bundesland <strong>Bremen</strong><br />

macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme.<br />

Es ist daher dringend erfor<strong>der</strong>lich, für die<br />

beson<strong>der</strong>s benachteiligten Zielgruppen des<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmarkts – junge Menschen, Frauen,<br />

Ältere, Langzeitar<strong>bei</strong>tslose o<strong>der</strong> Migranten/innen<br />

– neue Formen und Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Beschäftigung in<br />

öffentlicher Verantwortung zu finden, die ein<br />

angemessenes Einkommen und soziale<br />

Absicherung gewährleisten.<br />

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