Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
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Für 3,80 Euro o<strong>der</strong> mal 5,20 Euro. Kein<br />
großes Geschäft. Aber am Flughafen passiert<br />
es auch mal, dass jemand nach Oldenburg<br />
(60 Euro) o<strong>der</strong> Bremerhaven (90 Euro) will.<br />
Vor einem Hotel habe ihm mal ein Fahrgast<br />
gesagt: ›Go to Hamburg‹ – 150 Euro. Nach<br />
einem solch seltenen Glücksfall hört Harms<br />
nicht etwa auf für den Tag. ›Ich fahr weiter.‹<br />
Am Wochenende dann läuft nicht mehr viel.<br />
›Ich muss ausruhen. Ich bin so fertig.‹ Nicht<br />
vom Fahren und Warten. ›Es ist <strong>der</strong> Stress.<br />
Immer das Gefühl: ich will, ich will, ich muss.<br />
Ich brauch ’ne Tour.‹ Peter Harms raucht<br />
Kette. ›Ich bin Stressraucher.‹ An Aufhören ist<br />
nicht zu denken.<br />
Jetzt hat Peter Harms Privatinsolvenz angemeldet.<br />
Die Schuldnerberatung <strong>der</strong> Caritas<br />
hat ihm da<strong>bei</strong> geholfen. Denn selbst wenn<br />
die 900 Euro im Monat für ihn alleine reichen<br />
würden – für seine Schulden reichten sie<br />
nicht mehr. Da<strong>bei</strong> sind es noch nicht mal<br />
›seine Schulden‹: Er hat gebürgt, für die Boutique<br />
einer ehemaligen Freundin. Die <strong>bei</strong>den<br />
sind längst getrennt, aber die Bürgschaft<br />
besteht noch, als die Frau tödlich verunglückt.<br />
40.000 Euro soll Harms an die Banken zurückzahlen.<br />
Er beginnt. Drückt monatlich<br />
550 Euro ab. Mit dem Ar<strong>bei</strong>tslosengeld und<br />
seinen Ersparnissen von rund 25.000 Euro<br />
geht das für eine Weile.<br />
Rückzug ins Schneckenhaus<br />
Harms gibt seine Wohnung auf, zieht <strong>bei</strong><br />
seiner neuen Lebensgefährtin ein. Die Abhängigkeit<br />
hat er nur schwer ausgehalten. Die<br />
Beziehung zerbricht. ›Ich wollte eben kein<br />
Hausmann sein. Das war nicht die Erfüllung‹,<br />
sagt er heute. ›Wie soll ich sagen – ich bin<br />
auch ein bisschen komisch geworden. Man<br />
zieht sich in sein Schneckenhaus zurück.‹<br />
Viele Freundschaften seien kaputtgegangen.<br />
Weil er finanziell nicht mehr mithalten konnte.<br />
›Ich hab das überdacht. Viele waren auch<br />
keine wahren Freunde.‹ Das klingt vernünftig,<br />
aber er scheint sich doch zurückzusehnen<br />
nach diesem Leben, als man mal für ein<br />
Wochenende auf eine Insel jettete. ›Bekannte<br />
von mir fahren jetzt im Oktober in die Dominikanische<br />
Republik. Das tut schon ein<br />
bisschen weh.‹<br />
Peter Harms wohnt jetzt zur Untermiete <strong>bei</strong><br />
einem Freund. ›Ein schönes großes Zimmer<br />
mit Bad‹, 220 Euro im Monat. Dennoch ›konnte<br />
ich irgendwann die Löcher nicht mehr<br />
stopfen.‹ Als er die monatlichen Raten an die<br />
Banken nicht mehr zahlen kann, geht er hin<br />
und bittet um Halbierung – dass er zu dieser<br />
Zeit schon längst als überschuldet gilt und<br />
Privatinsolvenz hätte anmelden können, das<br />
schmerzt ihn heute. Aber in den Jahren, in<br />
denen er für die tote Freundin zahlt, da ist<br />
auch das für ihn eine Frage <strong>der</strong> Ehre. Auch<br />
wenn <strong>der</strong> Betrag für eine Bank ›Peanuts‹<br />
darstellt. Harms zahlt. ›Ich war zu stolz, ich<br />
wollte das bezahlen.‹<br />
Erst als die Bank die Halbierung <strong>der</strong> Raten<br />
ablehnt und auf seine Rechtfertigung, er<br />
verdiene zu wenig, ›ich lebe von den Trinkgel<strong>der</strong>n‹,<br />
erwi<strong>der</strong>t: ›Dann haben Sie ja ein<br />
Zusatzeinkommen‹ – erst da beginnt Peter<br />
Harms sich zu wehren. ›Jetzt reicht es‹, hat er<br />
da gespürt. Und ist zur Schuldnerberatung<br />
gegangen. Sechs Jahre lang muss er nun jede<br />
zumutbare Ar<strong>bei</strong>t annehmen und darf keine<br />
Schulden machen. Was für Bedingungen –<br />
Peter Harms lebt so seit Jahren. Und zu<br />
pfändendes Einkommen hat er eh nicht. Er<br />
fühlt sich erleichtert jetzt.<br />
›Da muss noch was kommen.‹<br />
Er hätte gerne wie<strong>der</strong> eine eigene Wohnung,<br />
›aber ich werde keine bekommen wegen dem<br />
Schufa-Eintrag.‹ Was noch wünscht er sich?<br />
Er schweigt lange. ›Weiß ich nicht‹, antwortet<br />
er dann, ›ich gönn mir ja nichts. Ich weiß es<br />
nicht, wirklich nicht.‹ Später dann sagt er,<br />
er hätte gerne mal wie<strong>der</strong> eine Woche Urlaub,<br />
›mal ausspannen.‹ Neulich hatte er vier Tage<br />
frei, die waren gefüllt mit Autoreparatur und<br />
dem Papierkram für die Privatinsolvenz. ›Ich<br />
hatte mal das Bestreben, in Würde in Rente<br />
zu gehen.‹ Davon hat Peter Harms sich zwar<br />
verabschiedet. Aber er hat sich nicht ergeben.<br />
›Das kann das Leben doch noch nicht gewesen<br />
sein. Damit geb‹ ich mich nicht zufrieden‹,<br />
sagt er und zieht an seiner Zigarette. ›Da<br />
muss noch was kommen.‹<br />
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