22.10.2012 Aufrufe

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Für 3,80 Euro o<strong>der</strong> mal 5,20 Euro. Kein<br />

großes Geschäft. Aber am Flughafen passiert<br />

es auch mal, dass jemand nach Oldenburg<br />

(60 Euro) o<strong>der</strong> Bremerhaven (90 Euro) will.<br />

Vor einem Hotel habe ihm mal ein Fahrgast<br />

gesagt: ›Go to Hamburg‹ – 150 Euro. Nach<br />

einem solch seltenen Glücksfall hört Harms<br />

nicht etwa auf für den Tag. ›Ich fahr weiter.‹<br />

Am Wochenende dann läuft nicht mehr viel.<br />

›Ich muss ausruhen. Ich bin so fertig.‹ Nicht<br />

vom Fahren und Warten. ›Es ist <strong>der</strong> Stress.<br />

Immer das Gefühl: ich will, ich will, ich muss.<br />

Ich brauch ’ne Tour.‹ Peter Harms raucht<br />

Kette. ›Ich bin Stressraucher.‹ An Aufhören ist<br />

nicht zu denken.<br />

Jetzt hat Peter Harms Privatinsolvenz angemeldet.<br />

Die Schuldnerberatung <strong>der</strong> Caritas<br />

hat ihm da<strong>bei</strong> geholfen. Denn selbst wenn<br />

die 900 Euro im Monat für ihn alleine reichen<br />

würden – für seine Schulden reichten sie<br />

nicht mehr. Da<strong>bei</strong> sind es noch nicht mal<br />

›seine Schulden‹: Er hat gebürgt, für die Boutique<br />

einer ehemaligen Freundin. Die <strong>bei</strong>den<br />

sind längst getrennt, aber die Bürgschaft<br />

besteht noch, als die Frau tödlich verunglückt.<br />

40.000 Euro soll Harms an die Banken zurückzahlen.<br />

Er beginnt. Drückt monatlich<br />

550 Euro ab. Mit dem Ar<strong>bei</strong>tslosengeld und<br />

seinen Ersparnissen von rund 25.000 Euro<br />

geht das für eine Weile.<br />

Rückzug ins Schneckenhaus<br />

Harms gibt seine Wohnung auf, zieht <strong>bei</strong><br />

seiner neuen Lebensgefährtin ein. Die Abhängigkeit<br />

hat er nur schwer ausgehalten. Die<br />

Beziehung zerbricht. ›Ich wollte eben kein<br />

Hausmann sein. Das war nicht die Erfüllung‹,<br />

sagt er heute. ›Wie soll ich sagen – ich bin<br />

auch ein bisschen komisch geworden. Man<br />

zieht sich in sein Schneckenhaus zurück.‹<br />

Viele Freundschaften seien kaputtgegangen.<br />

Weil er finanziell nicht mehr mithalten konnte.<br />

›Ich hab das überdacht. Viele waren auch<br />

keine wahren Freunde.‹ Das klingt vernünftig,<br />

aber er scheint sich doch zurückzusehnen<br />

nach diesem Leben, als man mal für ein<br />

Wochenende auf eine Insel jettete. ›Bekannte<br />

von mir fahren jetzt im Oktober in die Dominikanische<br />

Republik. Das tut schon ein<br />

bisschen weh.‹<br />

Peter Harms wohnt jetzt zur Untermiete <strong>bei</strong><br />

einem Freund. ›Ein schönes großes Zimmer<br />

mit Bad‹, 220 Euro im Monat. Dennoch ›konnte<br />

ich irgendwann die Löcher nicht mehr<br />

stopfen.‹ Als er die monatlichen Raten an die<br />

Banken nicht mehr zahlen kann, geht er hin<br />

und bittet um Halbierung – dass er zu dieser<br />

Zeit schon längst als überschuldet gilt und<br />

Privatinsolvenz hätte anmelden können, das<br />

schmerzt ihn heute. Aber in den Jahren, in<br />

denen er für die tote Freundin zahlt, da ist<br />

auch das für ihn eine Frage <strong>der</strong> Ehre. Auch<br />

wenn <strong>der</strong> Betrag für eine Bank ›Peanuts‹<br />

darstellt. Harms zahlt. ›Ich war zu stolz, ich<br />

wollte das bezahlen.‹<br />

Erst als die Bank die Halbierung <strong>der</strong> Raten<br />

ablehnt und auf seine Rechtfertigung, er<br />

verdiene zu wenig, ›ich lebe von den Trinkgel<strong>der</strong>n‹,<br />

erwi<strong>der</strong>t: ›Dann haben Sie ja ein<br />

Zusatzeinkommen‹ – erst da beginnt Peter<br />

Harms sich zu wehren. ›Jetzt reicht es‹, hat er<br />

da gespürt. Und ist zur Schuldnerberatung<br />

gegangen. Sechs Jahre lang muss er nun jede<br />

zumutbare Ar<strong>bei</strong>t annehmen und darf keine<br />

Schulden machen. Was für Bedingungen –<br />

Peter Harms lebt so seit Jahren. Und zu<br />

pfändendes Einkommen hat er eh nicht. Er<br />

fühlt sich erleichtert jetzt.<br />

›Da muss noch was kommen.‹<br />

Er hätte gerne wie<strong>der</strong> eine eigene Wohnung,<br />

›aber ich werde keine bekommen wegen dem<br />

Schufa-Eintrag.‹ Was noch wünscht er sich?<br />

Er schweigt lange. ›Weiß ich nicht‹, antwortet<br />

er dann, ›ich gönn mir ja nichts. Ich weiß es<br />

nicht, wirklich nicht.‹ Später dann sagt er,<br />

er hätte gerne mal wie<strong>der</strong> eine Woche Urlaub,<br />

›mal ausspannen.‹ Neulich hatte er vier Tage<br />

frei, die waren gefüllt mit Autoreparatur und<br />

dem Papierkram für die Privatinsolvenz. ›Ich<br />

hatte mal das Bestreben, in Würde in Rente<br />

zu gehen.‹ Davon hat Peter Harms sich zwar<br />

verabschiedet. Aber er hat sich nicht ergeben.<br />

›Das kann das Leben doch noch nicht gewesen<br />

sein. Damit geb‹ ich mich nicht zufrieden‹,<br />

sagt er und zieht an seiner Zigarette. ›Da<br />

muss noch was kommen.‹<br />

103

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!