22.10.2012 Aufrufe

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Was von <strong>der</strong> Seifenblase bleibt:<br />

Wiebke Schmidt, Küchenhilfe<br />

Wegfahren? ›Vergiss es doch.‹ Für Urlaub gibt<br />

es kein Geld. Das, was Wiebke Schmidt als<br />

Köchin verdient, 560 Euro, deckt gerade<br />

mal die Miete für sie und ihre vier Kin<strong>der</strong>. Den<br />

Rest bekommt sie von <strong>der</strong> BAgIS, 700 Euro<br />

für vier Leute. ›Das ist auf den ersten Blick<br />

viel Geld‹, sagt Wiebke Schmidt und erzählt,<br />

wie ihre Söhne zu ihr sagen: ›Mama, du<br />

kriegst doch soviel Geld. Was machst du<br />

damit?‹ ›Jungs‹, sagt sie dann, ›das Leben ist<br />

teuer.‹ Erst recht, wenn dann in einem Jahr<br />

Waschmaschine, Spülmaschine und Kühlschrank<br />

kaputtgehen, wie <strong>bei</strong> den Schmidts<br />

letztes Jahr. Seit hierfür kein Geld extra mehr<br />

gezahlt wird, son<strong>der</strong>n im Alg II ein Stück Pauschale<br />

für diese Fälle steckt – seither sind solche<br />

Fälle für viele eine Katastrophe. O<strong>der</strong> ein<br />

Gang in neue Raten, wie <strong>bei</strong> Wiebke Schmidt.<br />

Wenn Wiebke Schmidt aus ihrem Leben<br />

erzählt, dann klingt es oft deftig. Im Space<br />

Park habe sie ar<strong>bei</strong>ten sollen, das wollte das<br />

Amt, ›eine Lebensstellung, hat <strong>der</strong> Sachbear<strong>bei</strong>ter<br />

gesagt.‹ Wiebke Schmidt schnauft,<br />

›na ja, was soll man von so einem erwarten:<br />

auch nur ein Macker.‹ Dreimal war Wiebke<br />

Schmidt verheiratet, ihre zwei ältesten Kin<strong>der</strong><br />

kommen aus <strong>der</strong> ersten, die zwei an<strong>der</strong>en aus<br />

<strong>der</strong> zweiten und dritten Ehe. 23, 20, 18 und<br />

elf sind ihre Kin<strong>der</strong> jetzt, drei Söhne, eine<br />

Tochter. Eigentlich war genau das ihr Traum:<br />

eine große Familie zu haben. ›Wie sich so’n<br />

junges Mädchen das eben vorstellt. Ich wollte<br />

einen guten Mann, <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tet. Dass ich<br />

keine Sorgen habe. Ich bin kein Karrieregeier.<br />

Das Muttersein hätte mir gereicht.‹ Eine<br />

Seifenblase, sagt Wiebke Schmidt, die nach<br />

wenigen Jahren geplatzt sei. Sie hat es noch<br />

ein zweites und ein drittes Mal versucht,<br />

die Seifenblase hat sich längst erledigt.<br />

›Das sind doch Kin<strong>der</strong> und<br />

keine Wan<strong>der</strong>pokale‹<br />

Irgendwann habe ihr Sachbear<strong>bei</strong>ter auf dem<br />

Sozialamt gesagt: ›So Frau Schmidt, nun wird<br />

es Zeit, dass sie ihren Lebensunterhalt wie<strong>der</strong><br />

selbst bestreiten.‹ Sie fängt als Küchenhilfe<br />

an, ihre Tochter kommt nach <strong>der</strong> Schule an<br />

ihren Ar<strong>bei</strong>tsplatz, Wiebke Schmidt weiß nicht,<br />

wie sie es sonst machen soll. ›Das interessiert<br />

das Amt nicht, wenn’s nicht läuft. Du<br />

hast das hinzukriegen.‹<br />

Wiebke Schmidt ist im Heim groß geworden.<br />

Familie, die unterstützt, gibt es nicht.<br />

Noch im Heim macht sie eine Ausbildung zur<br />

Hauswirtschafterin. Als ihre zweite Beziehung<br />

in die Brüche geht, ist sie schwanger mit<br />

ihrem dritten Kind. Sie schafft es, ihr Fachabitur<br />

zu machen, sie beginnt Sozialpädagogik<br />

zu studieren. Das war gar nicht ihr Ding, sagt<br />

sie heute, sie müsse mit den Händen ar<strong>bei</strong>ten,<br />

laufen, sich bewegen. Das Studium habe sie<br />

angefangen, weil ein Sozialpädagoge vom Amt<br />

ihr dumm gekommen sei. ›Mit welcher Verachtung<br />

dieser Mann vom Jugendamt <strong>bei</strong> mir in<br />

<strong>der</strong> Wohnung stand. Dem wollte ich’s zeigen:<br />

Na gut, Macker – was du kannst, kann ich<br />

auch.‹ Und dann ›lernte ich meinen dritten<br />

Mann kennen‹. Sie bekommt ihre Tochter<br />

und bleibt fortan zu Hause. ›Ich fand, das war<br />

sinnvoll. Das sind doch Kin<strong>der</strong> und keine<br />

Wan<strong>der</strong>pokale.‹<br />

›Mir läuft die Ar<strong>bei</strong>t hinterher‹, sagt Wiebke<br />

Schmidt – als das Amt beschließt, dass Frau<br />

Schmidt nun ar<strong>bei</strong>ten gehen müsse, da wird<br />

eine Küchenhilfe gesucht. ›Das sitzt du auf<br />

einer Backe ab‹, habe sie da gedacht, ›du<br />

machst seit 30 Jahren nichts an<strong>der</strong>es.‹ Fortan<br />

ar<strong>bei</strong>tet sie halbe Tage. Sie wechselt zweimal<br />

die Stelle. Dort, wo sie jetzt ar<strong>bei</strong>tet, verdient<br />

sie 560 Euro im Monat für 25 Stunden die<br />

Woche, fünf Stunden jeden Vormittag. Findet<br />

sie das angemessen? ›Nö‹, sagt sie, ›aber<br />

was soll ich machen.‹ Ihre Chefin hat sich<br />

selbständig gemacht, bekommt für Frau<br />

Schmidt einen Einstellungszuschuss. Offiziell<br />

ar<strong>bei</strong>tet sie als Küchenhilfe, tatsächlich<br />

kocht sie täglich 50 bis 100 Essen, sitzt zwischendurch<br />

an <strong>der</strong> Kasse, schaut <strong>der</strong> Spülkraft<br />

auf die Finger, zwischendurch backt sie<br />

Kuchen. ›Ich muss kochen bis zum Umfallen‹,<br />

sagt sie. Und dann, etwas später: ›Aber so<br />

wild ist es nicht, ist ja wie zu Hause, nur dass<br />

<strong>der</strong> Tisch größer ist.‹<br />

101

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!