Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
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Was von <strong>der</strong> Seifenblase bleibt:<br />
Wiebke Schmidt, Küchenhilfe<br />
Wegfahren? ›Vergiss es doch.‹ Für Urlaub gibt<br />
es kein Geld. Das, was Wiebke Schmidt als<br />
Köchin verdient, 560 Euro, deckt gerade<br />
mal die Miete für sie und ihre vier Kin<strong>der</strong>. Den<br />
Rest bekommt sie von <strong>der</strong> BAgIS, 700 Euro<br />
für vier Leute. ›Das ist auf den ersten Blick<br />
viel Geld‹, sagt Wiebke Schmidt und erzählt,<br />
wie ihre Söhne zu ihr sagen: ›Mama, du<br />
kriegst doch soviel Geld. Was machst du<br />
damit?‹ ›Jungs‹, sagt sie dann, ›das Leben ist<br />
teuer.‹ Erst recht, wenn dann in einem Jahr<br />
Waschmaschine, Spülmaschine und Kühlschrank<br />
kaputtgehen, wie <strong>bei</strong> den Schmidts<br />
letztes Jahr. Seit hierfür kein Geld extra mehr<br />
gezahlt wird, son<strong>der</strong>n im Alg II ein Stück Pauschale<br />
für diese Fälle steckt – seither sind solche<br />
Fälle für viele eine Katastrophe. O<strong>der</strong> ein<br />
Gang in neue Raten, wie <strong>bei</strong> Wiebke Schmidt.<br />
Wenn Wiebke Schmidt aus ihrem Leben<br />
erzählt, dann klingt es oft deftig. Im Space<br />
Park habe sie ar<strong>bei</strong>ten sollen, das wollte das<br />
Amt, ›eine Lebensstellung, hat <strong>der</strong> Sachbear<strong>bei</strong>ter<br />
gesagt.‹ Wiebke Schmidt schnauft,<br />
›na ja, was soll man von so einem erwarten:<br />
auch nur ein Macker.‹ Dreimal war Wiebke<br />
Schmidt verheiratet, ihre zwei ältesten Kin<strong>der</strong><br />
kommen aus <strong>der</strong> ersten, die zwei an<strong>der</strong>en aus<br />
<strong>der</strong> zweiten und dritten Ehe. 23, 20, 18 und<br />
elf sind ihre Kin<strong>der</strong> jetzt, drei Söhne, eine<br />
Tochter. Eigentlich war genau das ihr Traum:<br />
eine große Familie zu haben. ›Wie sich so’n<br />
junges Mädchen das eben vorstellt. Ich wollte<br />
einen guten Mann, <strong>der</strong> ar<strong>bei</strong>tet. Dass ich<br />
keine Sorgen habe. Ich bin kein Karrieregeier.<br />
Das Muttersein hätte mir gereicht.‹ Eine<br />
Seifenblase, sagt Wiebke Schmidt, die nach<br />
wenigen Jahren geplatzt sei. Sie hat es noch<br />
ein zweites und ein drittes Mal versucht,<br />
die Seifenblase hat sich längst erledigt.<br />
›Das sind doch Kin<strong>der</strong> und<br />
keine Wan<strong>der</strong>pokale‹<br />
Irgendwann habe ihr Sachbear<strong>bei</strong>ter auf dem<br />
Sozialamt gesagt: ›So Frau Schmidt, nun wird<br />
es Zeit, dass sie ihren Lebensunterhalt wie<strong>der</strong><br />
selbst bestreiten.‹ Sie fängt als Küchenhilfe<br />
an, ihre Tochter kommt nach <strong>der</strong> Schule an<br />
ihren Ar<strong>bei</strong>tsplatz, Wiebke Schmidt weiß nicht,<br />
wie sie es sonst machen soll. ›Das interessiert<br />
das Amt nicht, wenn’s nicht läuft. Du<br />
hast das hinzukriegen.‹<br />
Wiebke Schmidt ist im Heim groß geworden.<br />
Familie, die unterstützt, gibt es nicht.<br />
Noch im Heim macht sie eine Ausbildung zur<br />
Hauswirtschafterin. Als ihre zweite Beziehung<br />
in die Brüche geht, ist sie schwanger mit<br />
ihrem dritten Kind. Sie schafft es, ihr Fachabitur<br />
zu machen, sie beginnt Sozialpädagogik<br />
zu studieren. Das war gar nicht ihr Ding, sagt<br />
sie heute, sie müsse mit den Händen ar<strong>bei</strong>ten,<br />
laufen, sich bewegen. Das Studium habe sie<br />
angefangen, weil ein Sozialpädagoge vom Amt<br />
ihr dumm gekommen sei. ›Mit welcher Verachtung<br />
dieser Mann vom Jugendamt <strong>bei</strong> mir in<br />
<strong>der</strong> Wohnung stand. Dem wollte ich’s zeigen:<br />
Na gut, Macker – was du kannst, kann ich<br />
auch.‹ Und dann ›lernte ich meinen dritten<br />
Mann kennen‹. Sie bekommt ihre Tochter<br />
und bleibt fortan zu Hause. ›Ich fand, das war<br />
sinnvoll. Das sind doch Kin<strong>der</strong> und keine<br />
Wan<strong>der</strong>pokale.‹<br />
›Mir läuft die Ar<strong>bei</strong>t hinterher‹, sagt Wiebke<br />
Schmidt – als das Amt beschließt, dass Frau<br />
Schmidt nun ar<strong>bei</strong>ten gehen müsse, da wird<br />
eine Küchenhilfe gesucht. ›Das sitzt du auf<br />
einer Backe ab‹, habe sie da gedacht, ›du<br />
machst seit 30 Jahren nichts an<strong>der</strong>es.‹ Fortan<br />
ar<strong>bei</strong>tet sie halbe Tage. Sie wechselt zweimal<br />
die Stelle. Dort, wo sie jetzt ar<strong>bei</strong>tet, verdient<br />
sie 560 Euro im Monat für 25 Stunden die<br />
Woche, fünf Stunden jeden Vormittag. Findet<br />
sie das angemessen? ›Nö‹, sagt sie, ›aber<br />
was soll ich machen.‹ Ihre Chefin hat sich<br />
selbständig gemacht, bekommt für Frau<br />
Schmidt einen Einstellungszuschuss. Offiziell<br />
ar<strong>bei</strong>tet sie als Küchenhilfe, tatsächlich<br />
kocht sie täglich 50 bis 100 Essen, sitzt zwischendurch<br />
an <strong>der</strong> Kasse, schaut <strong>der</strong> Spülkraft<br />
auf die Finger, zwischendurch backt sie<br />
Kuchen. ›Ich muss kochen bis zum Umfallen‹,<br />
sagt sie. Und dann, etwas später: ›Aber so<br />
wild ist es nicht, ist ja wie zu Hause, nur dass<br />
<strong>der</strong> Tisch größer ist.‹<br />
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