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Recht der Europäischen Union und deren Bedeutung für die

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Europarecht<br />

nach dem Vertrag von Lissabon<br />

INSTITUT FÜR RECHT DER WIRTSCHAFT<br />

ORDINARIAT FÜR PRIVAT- UND WIRTSCHAFTSRECHT<br />

O. UNIV.-PROF. DDR. ARTHUR WEILINGER<br />

<strong>Recht</strong> <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong>en <strong>Bedeutung</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

österreichische <strong>Recht</strong>sordnung<br />

Version 1.7<br />

1. Die Europäische <strong>Union</strong> (EU) ist eine Staatenverbindung, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> Schaffung<br />

einer politischen <strong>Union</strong> <strong>und</strong> einer Wirtschafts- <strong>und</strong> Währungsunion abzielt.<br />

Die historischen Wurzeln <strong>der</strong> heutigen EU reichen bis ins Jahr 1952 zurück, als mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong><br />

Gemeinschaft <strong>für</strong> Kohle <strong>und</strong> Stahl (EGKS; im Jahr 2002 in <strong>die</strong> EG inkorporiert) <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>stein <strong>für</strong> eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa gelegt wurde. Diese ökonomische Integration<br />

wurde durch <strong>die</strong> Römischen Verträge des Jahres 1957, durch welche sowohl <strong>die</strong> Europäische<br />

Wirtschaftsgemeinschaft (EWG; 1992 bis 2009: Europäische Gemeinschaft [EG]) als auch <strong>die</strong> Europäische<br />

Atomgemeinschaft (EAG) geschaffen wurden, vertieft. Nachdem <strong>die</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

in Europa mit <strong>die</strong>sen Vertragswerken als geglückt betrachtet werden durfte, bemühten sich <strong>die</strong> europäischen<br />

Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs ab Mitte <strong>der</strong> 1980er Jahre auch um eine politische Integration des<br />

<strong>Europäischen</strong> Kontinents, als <strong>der</strong>en Resultat <strong>die</strong> EU zu betrachten ist.<br />

Sie wurde durch den Vertrag von Maastricht (EUV) vom 7. Februar 1992 begründet,<br />

<strong>der</strong> am 1. November 1993 in Kraft trat. Damals umfasste <strong>die</strong> Europäische <strong>Union</strong> 12<br />

Mitglie<strong>der</strong>staaten, nämlich Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Spanien,<br />

Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Nie<strong>der</strong>lande, Portugal <strong>und</strong> das Vereinigte<br />

Königreich. Am 1. Jänner 1995 traten dann Österreich, Finnland <strong>und</strong> Schweden<br />

<strong>der</strong> EU bei.<br />

Da in Folge des EU-Beitritts Österreichs eine Abweichung von Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>der</strong> österreichischen<br />

B<strong>und</strong>esverfassung stattfand, musste dem Beitritt unter an<strong>der</strong>em eine Volksabstimmung (Art 44 Abs 3 B-<br />

VG) vorangehen, <strong>die</strong> am 12. Juni 1994 abgehalten wurde <strong>und</strong> eine Zustimmung von 66,58% <strong>der</strong> Stimmberechtigten<br />

brachte (siehe auch Law Facts 4).<br />

Bereits <strong>der</strong> Vertrag von Maastricht legte <strong>für</strong> 1996 <strong>die</strong> Einberufung einer neuerlichen Regierungskonferenz<br />

fest. Das Ergebnis <strong>die</strong>ser Konferenz war <strong>der</strong> am 2. Oktober 1997 unterzeichnete<br />

Vertrag von Amsterdam, <strong>der</strong> neben einer Weiterentwicklung <strong>der</strong> EU<br />

selbst auch <strong>die</strong> Weichen <strong>für</strong> <strong>der</strong>en Erweiterung auf <strong>die</strong> zentral- <strong>und</strong> osteuropäischen<br />

Staaten stellte. Mit dem Vertrag von Nizza, <strong>der</strong> am 26. Februar 2001 unterzeichnet<br />

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wurde <strong>und</strong> am 1. Februar 2003 in Kraft trat, wurde <strong>die</strong> Erweiterungsfähigkeit <strong>der</strong> EU<br />

hergestellt <strong>und</strong> <strong>die</strong> da<strong>für</strong> erfor<strong>der</strong>lichen institutionellen Reformen verwirklicht. Am 1.<br />

Mai 2004 traten <strong>der</strong> <strong>Union</strong> sodann zehn neue Mitgliedstaaten bei, nämlich Estland,<br />

Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn <strong>und</strong> Zypern.<br />

Mit 1. Jänner 2007 wurden schließlich Bulgarien <strong>und</strong> Rumänien <strong>die</strong> jüngsten<br />

Mitgliedstaaten <strong>der</strong> EU. Somit umfasst <strong>die</strong> <strong>Union</strong> gegenwärtig 27 Staaten.<br />

Davon sind bislang 22 Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland,<br />

Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Nie<strong>der</strong>lande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden,<br />

Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, <strong>und</strong> Ungarn) zugleich Vollmitglie<strong>der</strong> des Schengener<br />

Übereinkommens vom 14. Juni 1985. Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde auch von Nicht-EU-Staaten<br />

ratifiziert (Island, Norwegen <strong>und</strong> Schweiz), laufend ergänzt <strong>und</strong> mit dem Vertrag von Amsterdam in das<br />

EU-<strong>Recht</strong> integriert. Das Ziel des hieraus entstandenen „Schengener Systems“ ist <strong>der</strong> schrittweise Abbau<br />

<strong>der</strong> Personenkontrollen an den innereuropäischen Grenzen <strong>und</strong> damit <strong>die</strong> För<strong>der</strong>ung des freien Personenverkehrs.<br />

Im Jahr 2006 sollten sodann <strong>die</strong> bisherigen Verträge durch den am 29. Oktober 2004 unterzeichneten<br />

<strong>und</strong> bereits zuvor umstrittenen Vertrag über eine Verfassung <strong>für</strong> Europa<br />

(VVE) ersetzt werden, dessen Ratifikation jedoch an abschlägigen Volksabstimmungen<br />

in Frankreich <strong>und</strong> den Nie<strong>der</strong>landen scheiterte. Als reduzierte Variante einigten sich<br />

<strong>die</strong> europäischen Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs schließlich auf einen EU-Reformvertrag,<br />

<strong>der</strong> am 3. Dezember 2007 als Vertrag von Lissabon unterzeichnet wurde. Dieser übernahm<br />

zwar <strong>die</strong> wesentlichen Modifikationen des VVE, vermied allerdings Neuerungen<br />

<strong>der</strong> EU in beson<strong>der</strong>s heiklen Punkten (zB „EU-Außenminister“). Nach erneuten Hin<strong>der</strong>nissen<br />

im Prozess <strong>der</strong> Ratifikation – so lehnte <strong>die</strong> irische Bevölkerung den Lissabonner<br />

Vertrag zunächst in einem Referendum ab – konnte jene neue <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> EU<br />

schließlich am 1. Dezember 2009 in Kraft treten.<br />

Mit dem Lissabonner Vertragswerk wird das mit dem Vertrag von Maastricht statuierte<br />

„Drei Säulen-Modell“ <strong>der</strong> EU aufgehoben. Ließ sich <strong>die</strong> <strong>Union</strong> bislang in einen supranationalen<br />

Bereich („Europäische Gemeinschaften“ [EG + EAG]) <strong>und</strong> zwei intergouvernementale<br />

Bereiche („Gemeinsame Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik [GASP]“ <strong>und</strong> „Polizeiliche<br />

<strong>und</strong> justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen [PJZS]“) glie<strong>der</strong>n, ist <strong>die</strong> EU<br />

<strong>für</strong> all <strong>die</strong>se Regelungsbereiche nun gleichermaßen zuständig. Als Konsequenz hieraus<br />

entfällt in Hinkunft <strong>die</strong> Unterscheidung zwischen <strong>Union</strong>srecht <strong>und</strong> Gemeinschaftsrecht.<br />

Jegliches Handeln von EU-Organen, wie etwa <strong>der</strong> Erlass von EU-Verordnungen<br />

<strong>und</strong> Richtlinien, ist fortan ein Teil des supranationalen <strong>Union</strong>srechts <strong>und</strong> geht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

allen österreichischen <strong>Recht</strong>snormen vor (Anwendungsvorrang).<br />

Das <strong>Union</strong>srecht ist äußerst umfangreich <strong>und</strong> im Detail kompliziert; im Folgenden kann nur ein ganz grober<br />

Überblick geboten werden. <strong>Union</strong>srecht hat eine institutionelle <strong>und</strong> eine materielle Seite: Das institutionelle<br />

<strong>Union</strong>srecht bezeichnet im Wesentlichen jene Bestimmungen, <strong>die</strong> den Aufbau <strong>und</strong> <strong>die</strong> Funktionstüchtigkeit<br />

<strong>der</strong> EU betreffen (zB <strong>die</strong> Zusammensetzung <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Recht</strong>e des <strong>Europäischen</strong> Parlaments).<br />

Das materielle <strong>Union</strong>srecht umfasst demgegenüber jene Normen, welche <strong>die</strong> sachlichen Zielsetzungen<br />

<strong>der</strong> EU regeln (zB das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV).<br />

Neben <strong>der</strong> <strong>Union</strong> <strong>und</strong> ihren Politikbereichen besteht <strong>die</strong> EAG fortan als eine eigene internationale<br />

Organisation weiter, <strong>die</strong> zB durch gemeinsame Organe <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> einheitlicher<br />

Beitritts- <strong>und</strong> Austrittsbestimmungen punktuell an <strong>die</strong> EU geb<strong>und</strong>en ist.<br />

2. Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> <strong>Union</strong> sind seit 1. Dezember 2009 vor allem zwei Verträge:<br />

- Der Vertrag über <strong>die</strong> Europäische <strong>Union</strong> (EUV) <strong>und</strong><br />

- <strong>der</strong> Vertrag über <strong>die</strong> Arbeitsweise <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (AEUV).<br />

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Daneben ist <strong>die</strong> am 7. Dezember 2000 proklamierte Charta <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>rechte <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong><br />

(GRC) zugleich mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft getreten, womit <strong>die</strong> EU nun erstmals über<br />

einen eigenständigen geschriebenen <strong>und</strong> vor allem rechtsverbindlichen Gr<strong>und</strong>rechtskatalog verfügt,<br />

<strong>der</strong> sowohl <strong>die</strong> Organe <strong>der</strong> EU als auch jene <strong>der</strong> Mitgliedstaaten bindet, wenn <strong>die</strong>se im Anwendungsbereich<br />

des EU-<strong>Recht</strong>s tätig werden. Die GRC steht normhierarchisch auf einer Stufe mit dem EUV <strong>und</strong><br />

dem AEUV (Art 6 Abs 1 EUV).<br />

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde zudem explizit klargestellt, dass <strong>die</strong> EU <strong>Recht</strong>spersönlichkeit besitzt<br />

(Art 47 EUV); sie kann daher als Völkerrechtssubjekt im eigenen Namen internationale Verträge<br />

<strong>und</strong> Abkommen abschließen, an welche sodann auch ihre Mitgliedstaaten geb<strong>und</strong>en sind.<br />

3. Die EU weist folgende Organe auf (vgl Art 13 EUV):<br />

• Der Europäische Rat ist das politische Leitorgan <strong>der</strong> EU (Art 15 EUV); ihm obliegt<br />

es <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Union</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Ideen <strong>und</strong> Impulse zu setzen<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> allgemeinen politischen Zielvorstellungen <strong>der</strong> EU zu formulieren.<br />

Dem <strong>Europäischen</strong> Rat steht seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags ein Präsident<br />

mit zweieinhalb-jähriger Amtszeit vor (zur Zeit Herman Van Rompuy). Im Übrigen<br />

setzt sich <strong>die</strong>ses Gremium aus den Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs <strong>der</strong> 27 Mitgliedstaaten<br />

sowie dem Präsidenten <strong>der</strong> EU-Kommission zusammen. Der Hohe<br />

Vertreter <strong>für</strong> Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik nimmt beratend an den Arbeiten des<br />

<strong>Europäischen</strong> Rates teil.<br />

Die Vertreter <strong>der</strong> Mitgliedstaaten im <strong>Europäischen</strong> Rat (Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs) werden nach<br />

dem jeweiligen innerstaatlichen <strong>Recht</strong>, nicht jedoch nach <strong>Union</strong>srecht, bestimmt. So wird etwa <strong>die</strong><br />

Republik Österreich durch ihren B<strong>und</strong>eskanzler, das Vereinigte Königreich durch den Premierminister<br />

<strong>und</strong> Frankreich durch seinen Präsidenten vertreten.<br />

• Den Rat <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> – nicht zu verwechseln mit dem <strong>Europäischen</strong><br />

Rat – trifft vor allem – gemeinsam mit dem <strong>Europäischen</strong> Parlament – <strong>die</strong> Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Erzeugung von <strong>Union</strong>srecht; zudem kommen ihm Verwaltungs- <strong>und</strong> Kontrollbefugnisse<br />

zu (Art 16 EUV, Art 288 ff AEUV).<br />

Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes EU-Mitgliedstaates auf Ministerebene,<br />

<strong>der</strong> befugt ist, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Regierung seines Landes verbindlich zu handeln. Als Minister<br />

treten in <strong>der</strong> Praxis <strong>die</strong> jeweils – nach den innerstaatlichen <strong>Recht</strong>sordnungen –<br />

zuständigen Fachminister auf.<br />

So regelt etwa in Österreich das B<strong>und</strong>esministeriengesetz 1986 in <strong>der</strong> jeweils geltenden Fassung <strong>die</strong><br />

Anzahl <strong>und</strong> den Wirkungsbereich <strong>der</strong> einzelnen B<strong>und</strong>esministerien. Beides än<strong>der</strong>t sich bei einer entsprechenden<br />

Novellierung <strong>die</strong>ses Gesetzes, welche zumeist am Beginn einer neuen Legislaturperiode<br />

erfolgt.<br />

Der Vorsitz im Rat <strong>der</strong> EU wechselt halbjährlich zwischen den 27 Mitgliedstaaten<br />

(„gleichberechtigte Rotation“). Im ersten Halbjahr 2011 obliegt <strong>die</strong>se Funktion den<br />

Repräsentanten Ungarns, <strong>die</strong> im zweiten Halbjahr an <strong>die</strong> Minister Polens übergeben<br />

werden.<br />

Art 16 Abs 3 EUV sieht <strong>für</strong> Ratsbeschlüsse im Gegensatz zum früher herrschenden Prinzip <strong>der</strong> Einstimmigkeit<br />

nunmehr <strong>die</strong> qualifizierte Mehrheit vor. Gemäß Art 16 Abs 4 EUV wird <strong>die</strong>ses System<br />

ab dem 1.November 2014 durch <strong>die</strong> so genannte doppelte Mehrheit ersetzt: Ab <strong>die</strong>sem Zeitpunkt ist<br />

<strong>für</strong> Ratsbeschlüsse nicht nur eine Majorität von 55% <strong>der</strong> Ratsmitglie<strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lich, <strong>die</strong>se müssen<br />

auch zusammen mindestens 65% <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>der</strong> EU repräsentieren.<br />

• Der <strong>Europäischen</strong> Kommission kommt vor allem bei <strong>der</strong> Überwachung <strong>der</strong> Einhaltung<br />

von <strong>Union</strong>srecht durch <strong>die</strong> einzelnen Mitgliedstaaten <strong>die</strong> Rolle einer „Exekuti-<br />

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ve <strong>der</strong> EU“ zu. Darüber hinaus besitzt sie ein Initiativmonopol, sodass <strong>der</strong> Rat <strong>der</strong><br />

EU <strong>Recht</strong>sakte gr<strong>und</strong>sätzlich nur auf Vorschlag <strong>der</strong> Kommission erlassen darf (Art<br />

17 EUV).<br />

Die EU-Kommission setzt sich aus ihrem Präsidenten (<strong>der</strong>zeit José Manuel Durão<br />

Barroso), dem Hohen Vertreter <strong>der</strong> EU <strong>für</strong> Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik <strong>und</strong> je<br />

einem Kommissar aus jedem Mitgliedstaat <strong>der</strong> <strong>Union</strong>, <strong>die</strong> allerdings von den nationalen<br />

Regierungen rechtlich unabhängig agieren, zusammen. Ihre Amtszeit beträgt<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich fünf Jahre <strong>und</strong> sie ist als Kollegium dem <strong>Europäischen</strong> Parlament<br />

verantwortlich (vgl <strong>die</strong> Möglichkeit eines Misstrauensantrags nach Art 234 AEUV).<br />

Die Republik Österreich hat Johannes Hahn als Mitglied <strong>der</strong> Kommission ausgewählt, in <strong>der</strong> er seit<br />

10. Februar 2010 <strong>für</strong> <strong>die</strong> Regionalpolitk <strong>der</strong> EU zuständig ist. Alle Kommissare werden vom <strong>Europäischen</strong><br />

Rat mit qualifizierter Mehrheit <strong>und</strong> im Einvernehmen mit dem Präsidenten <strong>der</strong> Kommission<br />

ernannt. Der Hohe Vertreter <strong>für</strong> Außen- <strong>und</strong> Sicherheitspolitik ist zugleich einer <strong>der</strong> insgesamt sieben<br />

Vizepräsidenten <strong>der</strong> Kommission.<br />

• Das Europäische Parlament wird gemeinsam mit dem Rat <strong>der</strong> EU als Gesetzgeber<br />

tätig <strong>und</strong> übt gemeinsam mit ihm <strong>die</strong> Haushaltsbefugnisse aus (Art 14 EUV). Seine<br />

künftig 751 Abgeordneten werden alle fünf Jahre in allgemeiner, unmittelbarer, freier<br />

<strong>und</strong> geheimer Wahl von den Bürgern <strong>der</strong> einzelnen Mitgliedstaaten gewählt. Das<br />

Parlament wählt sodann aus seiner Mitte einen Präsidenten (<strong>der</strong>zeit Jerzy Buzek).<br />

Die Republik Österreich entsendet künftig – entsprechend ihrer Bevölkerungszahl – 19 Abgeordnete.<br />

Durch den Vertrag von Lissabon hat das Parlament eine wesentliche Stärkung seiner Stellung innerhalb<br />

<strong>der</strong> <strong>Union</strong> erfahren. So wird insbeson<strong>der</strong>e das so genannte ordentliche Gesetzgebungsverfahren<br />

(vormals: Mitentscheidungsverfahren; Art 294 AEUV) zum Regelfall. Das Europäische Parlament<br />

hat demnach – gleichberechtigt neben dem Rat <strong>der</strong> EU – <strong>die</strong> Kompetenz, Gesetzesvorschläge<br />

<strong>der</strong> Kommission (vor allem Vorschläge <strong>für</strong> EU-Verordnungen <strong>und</strong> EU-Richtlinien) anzunehmen, abzuän<strong>der</strong>n<br />

o<strong>der</strong> abzulehnen.<br />

• Der Gerichtshof <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (EuGH) – nicht zu verwechseln mit<br />

dem <strong>Europäischen</strong> Gerichtshof <strong>für</strong> Menschenrechte (EGMR), einem Organ des Europarats,<br />

nicht <strong>der</strong> EU – sichert <strong>die</strong> Wahrung des <strong>Union</strong>srechts bei dessen Auslegung<br />

<strong>und</strong> Anwendung durch Organe <strong>der</strong> EU <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mitgliedstaaten (Art 19 Abs 1<br />

EUV).<br />

Der EuGH besteht aus einem Richter je EU-Mitgliedstaat (<strong>für</strong> Österreich: Maria<br />

Berger), <strong>die</strong> von den nationalen Regierungen ernannt werden. Ihre Funktionsperiode<br />

beläuft sich gr<strong>und</strong>sätzlich auf sechs Jahre. Die Richter werden in ihrer Tätigkeit von<br />

acht so genannten Generalanwälten unterstützt (Art 19 EUV; Art 252 AEUV).<br />

Das neben dem EuGH bestehende Gericht <strong>der</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Union</strong> (EuG; vormals: Gericht erster<br />

Instanz), das im Jahr 1989 konstituiert wurde, ist nicht (mehr) dem Gerichtshof beigeordnet, son<strong>der</strong>n<br />

gleich <strong>die</strong>sem berufen, im Rahmen seiner Zuständigkeit <strong>die</strong> <strong>Recht</strong>skontrolle innerhalb <strong>der</strong> EU wahrzunehmen<br />

(vgl Art 256 AEUV). Zudem existiert ein Gericht <strong>für</strong> den öffentlichen Dienst (EuGöD)<br />

als Fachgericht <strong>für</strong> alle <strong>Recht</strong>sstreitigkeiten zwischen <strong>der</strong> EU <strong>und</strong> ihren Beamten.<br />

Beachte, dass <strong>der</strong> Judikatur <strong>der</strong> europäischen Gerichte (EuGH, EuG <strong>und</strong> EuGöD)<br />

rechtsverbindliche Kraft beigemessen wird! Dies hat in <strong>der</strong> Praxis zu einer bedeutenden<br />

sich über den reinen Wortlaut <strong>der</strong> Verträge hinweg setzenden Weiterentwicklung<br />

des <strong>Union</strong>srechts geführt, wie zB zur Annahme des Anwendungsvorrangs von<br />

EU-<strong>Recht</strong> gegenüber nationalem <strong>Recht</strong>, aus welchem <strong>der</strong> supranationale Charakter<br />

<strong>der</strong> EU resultiert.<br />

• Weitere EU-Organe sind <strong>der</strong> Europäische Rechnungshof (Art 285 ff AEUV) <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> Europäische Zentralbank (Art 282 ff AEUV).<br />

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• Der durch den Lissabonner Vertrag geschaffene Hohe Vertreter <strong>der</strong> EU <strong>für</strong> Außen-<br />

<strong>und</strong> Sicherheitspolitik (Art 18 EUV; zur Zeit Catherine Ashton) ist zwar kein<br />

eigenständiges Organ <strong>der</strong> EU, er ist aber eine wichtige Institution, da er – zusammen<br />

mit dem Präsidenten des <strong>Europäischen</strong> Rates – <strong>die</strong> <strong>Union</strong> nach außen vertritt.<br />

• Ebenfalls keine EU-Organe, aber wichtige beratende Gremien sind <strong>der</strong> Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Sozialausschuss sowie <strong>der</strong> Ausschuss <strong>der</strong> Regionen (Art 300 ff AEUV).<br />

7. Im Rahmen des <strong>Union</strong>srechts sind folgende Kategorien zu unterscheiden:<br />

• Das „primäre <strong>Union</strong>srecht“, zu welchem insbeson<strong>der</strong>e EUV <strong>und</strong> AEUV <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

künftige Ergänzungen zählen. Ebenso dem Primärrecht zuzurechnen sind <strong>die</strong> GRC<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> allgemeinen <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> EU. All <strong>die</strong>se Normen sind in den einzelnen<br />

Mitgliedstaaten <strong>der</strong> <strong>Union</strong> inhaltlich unmittelbar anwendbar.<br />

Zum Primärrecht zählen darüber hinaus <strong>die</strong> allgemeinen <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>sätze <strong>der</strong> EU (zB rechtsstaatliche<br />

Garantien, wie etwa das Prinzip <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit) sowie <strong>die</strong> Prinzipien zur Sicherung des<br />

<strong>Union</strong>srechts, zB <strong>der</strong> Anspruch auf Staatshaftung.<br />

• Das „sek<strong>und</strong>äre <strong>Union</strong>srecht“, das von den Organen <strong>der</strong> <strong>Union</strong> (Rat <strong>der</strong> EU, Kommission<br />

<strong>und</strong> Parlament) erlassen wird (vgl Art 288 AEUV). Hierzu zählen vor allem:<br />

• EU-Verordnungen, <strong>die</strong> generelle Normen beinhalten <strong>und</strong> in den Mitgliedstaaten<br />

inhaltlich unmittelbar anwendbar sind.<br />

• EU-Richtlinien, <strong>die</strong> Regelungsziele verbindlich festlegen, bedürfen hingegen einer<br />

Durchführung („Umsetzung“) im innerstaatlichen <strong>Recht</strong>. Sie sind also (gr<strong>und</strong>sätzlich)<br />

nicht unmittelbar anwendbar.<br />

Ab Erlass <strong>der</strong> Richtlinie dürfen keine innerstaatlichen Anordnungen getroffen werden, welche <strong>die</strong><br />

Wirksamkeit <strong>der</strong> Richtlinie beeinträchtigen könnten (so genannte Sperrwirkung). Die Richtlinie<br />

muss innerhalb <strong>der</strong> von ihr gesetzten Frist „umgesetzt“ werden. In <strong>der</strong> Regel bedarf es dazu eines<br />

Gesetzes; eine innerstaatliche Verordnung genügt nur dann, wenn bereits innerstaatlich eine entsprechende<br />

<strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>lage besteht. Unterbleibt <strong>die</strong> Umsetzung einer Richtlinie, so wird nach <strong>der</strong><br />

Judikatur des EuGH unter bestimmten Voraussetzungen angenommen, dass auch <strong>die</strong>se Richtlinie<br />

unmittelbare <strong>Recht</strong>swirkungen entfalten <strong>und</strong> folglich von den nationalen Behörden unmittelbar<br />

angewendet werden kann bzw anzuwenden ist.<br />

• EU-Beschlüsse (vormals: Entscheidungen) sind an bestimmte Adressaten o<strong>der</strong> an<br />

<strong>die</strong> Allgemeinheit gerichtete <strong>Recht</strong>snormen; sie wirken unmittelbar.<br />

Nicht rechtlich verbindlich sind hingegen seitens <strong>der</strong> EU erlassene Stellungnahmen <strong>und</strong> Empfehlungen!<br />

• Dem (primären) <strong>Union</strong>srecht sind weiters jene völkerrechtlichen Verträge zuzurechnen,<br />

welche <strong>die</strong> EU mit Drittstaaten <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> internationalen Organisation abgeschlossen<br />

hat.<br />

• Beachte zudem, dass – wie bereits oben ausgeführt – auch <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>sprechung<br />

<strong>der</strong> europäischen Gerichte über den Einzelfall hinaus verbindliche Kraft zugesprochen<br />

wird!<br />

8. Zum Verhältnis vom primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären <strong>Union</strong>srecht zu österreichischen Gesetzen,<br />

Verordnungen <strong>und</strong> Bescheiden ist zu sagen, dass dem <strong>Union</strong>srecht gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

5


Vorrang gegenüber dem gesamten österreichischen <strong>Recht</strong> zukommt. Im Konfliktfall<br />

ist daher den Bestimmungen des <strong>Union</strong>srechts <strong>und</strong> nicht jenen des österreichischen<br />

<strong>Recht</strong>s zu folgen.<br />

Auf den Rang des österreichischen <strong>Recht</strong>s kommt es dabei nicht an: <strong>Union</strong>srecht geht im Konfliktfall<br />

auch nationalem Verfassungsrecht vor. In manchen EU-Län<strong>der</strong>n wird aber davon ausgegangen, dass es<br />

einen „Kernbereich“ des innerstaatlichen <strong>Recht</strong>s (zum Beispiel leitende Verfassungsprinzipien) gibt, <strong>der</strong><br />

vom <strong>Union</strong>srecht nicht berührt werden darf.<br />

9. Sowohl das primäre als auch das sek<strong>und</strong>äre <strong>Union</strong>srecht sind jeglicher Überprüfung<br />

durch österreichische Gerichte entzogen; es kann daher we<strong>der</strong> durch den Verfassungsgerichtshof<br />

(VfGH) noch durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) kontrolliert<br />

werden. An <strong>die</strong> Stelle des innerstaatlichen <strong>Recht</strong>sschutzsystems tritt vielmehr <strong>der</strong><br />

<strong>Recht</strong>sschutz durch den EuGH bzw das EuG!<br />

• Jede Person kann gegen Akte, <strong>die</strong> sie unmittelbar <strong>und</strong> individuell betreffen, wegen<br />

<strong>Recht</strong>sverletzung Klage vor dem EuGH erheben (Art 263 AEUV).<br />

• Vor einer österreichischen Behörde kann zudem <strong>die</strong> Frage auftauchen, welchen<br />

exakten Inhalt ein <strong>Union</strong>srechtsakt hat. Diese Behörde kann (unter Umständen:<br />

muss) <strong>die</strong>se Frage dem EuGH vorlegen, wenn es eine Vorabentscheidung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

von ihm zu treffende Entscheidung <strong>für</strong> erfor<strong>der</strong>lich hält (Art 267 AEUV).<br />

• Dem gegenüber können österreichische <strong>Recht</strong>sakte wegen <strong>Union</strong>srechtswidrigkeit<br />

vor den nach innerstaatlichem <strong>Recht</strong> zuständigen Behörden – va VwGH, UVS <strong>und</strong><br />

den nationalen Gerichten – angefochten werden.<br />

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