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SICH SELBST ÜBERLASSEN - im Museum Industriekultur

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Förderer:<br />

Partner:<br />

1 = Haseschachtgebäude/<br />

Hasestollen<br />

2 = Piesberger<br />

Gesellschaftshaus<br />

3 = Magazingebäude/<br />

Pferdestall<br />

Parkplätze sind<br />

vorhanden.<br />

Sie erreichen uns<br />

mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln:<br />

stadtauswärts<br />

Linien 81/82,<br />

581/582<br />

(Richtung Hollage),<br />

Haltestelle<br />

Industriemuseum<br />

<strong>Museum</strong><br />

für feldspurige<br />

Industriebahnen<br />

Osnabrück-Piesberg e.V.<br />

MUSEUM<br />

INDUSTRIEKULTUR<br />

OSNABRÜCK<br />

Süberweg 50a · 49090 Osnabrück<br />

Telefon 0541 – 9127845 · Fax 0541 – 9127847<br />

eMail: info@industriekultur-museumos.de<br />

www.industriekultur-museumos.de<br />

<strong>SICH</strong> <strong>SELBST</strong><br />

<strong>ÜBERLASSEN</strong><br />

WILDNIS AM PIESBERG


Zur Wildnis<br />

Einleitung 2<br />

Station 1<br />

Leben an der Brechanlage 4<br />

Brechanlage<br />

der Piesberger Steinindustrie 8<br />

Station 2<br />

Im Walde auf der Halde 12<br />

Station 3<br />

Grauerlen – erst angepflanzt und<br />

dann verwildert 14<br />

Steinbruch Piesberg<br />

Station 4<br />

16<br />

Auch Pioniere kommen in die Jahre 20<br />

Die Schmalspurbahnen <strong>im</strong><br />

Steinbruchbetrieb 24<br />

Station 5<br />

Ehemaliges Südfeld des Steinbruches:<br />

Als wär’s ein Stückchen Flussaue 26<br />

Station 6<br />

Zwei Nordamerikaner am Piesberg 30<br />

Station 7<br />

Buntes Leben auf Schotter 34<br />

Station 8<br />

Grauerlen-Aufforstung:<br />

Einfalt kontra Vielfalt 36<br />

Station 9<br />

Blick zurück nach vorn 38<br />

Impressum 40<br />

Mit Schlamm gefülltes ehemaliges Südfeld des Steinbruches<br />

mit entwickelter Vegetation


Zur Wildnis<br />

Im Laufe vieler Jahrzehnte sind am Piesberg<br />

Wildnisflächen entstanden. Ehemalige Steinbrüche,<br />

Abraumhalden oder anderweitig<br />

genutzte Flächen wurden sich selbst überlassen<br />

und haben eine »planlose« Entwicklung<br />

nehmen können. Diese Flächen sind es, die<br />

der <strong>Industriekultur</strong>landschaft Piesberg ihr<br />

typisches Gepräge geben. Eine Wildnisfläche<br />

besonderer Art ist der <strong>im</strong> ehemaligen Südfeld<br />

des Piesberger Steinbruchs eingerichtete<br />

Schlammteich, auf dem unbeeinflusst durch<br />

Menschenhand eine Vegetation entstand, die<br />

an Vielfalt kaum zu überbieten ist.<br />

2<br />

Um dieses Phänomen für die Besucher ein<br />

wenig mehr in den Vordergrund zu rücken,<br />

hat das <strong>Museum</strong> <strong>Industriekultur</strong> Osnabrück<br />

das Projekt »Mobil vermitteln, mobil erkunden«<br />

kreiert. Als Fahrgast in einer Feldbahn<br />

oder zu Fuß lässt sich entlang des<br />

Schlammteiches entdecken, auf welche Weise<br />

sich das heute unter Naturschutz stehende<br />

Gelände entwickelte. Ein eigens angelegter<br />

Holzsteg führt Sie in die Wildnisfläche. Dieser<br />

Führer, erhältlich <strong>im</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Industriekultur</strong><br />

Osnabrück, erläutert die einzelnen, mit<br />

Ziffern benannten Stationen, zu denen es<br />

naturkundliche und historische Informationen<br />

gibt. Gefördert wurde das Projekt durch<br />

die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und<br />

die Haarmann-Stiftung. Umwelt und Natur.<br />

Projektpartner waren das <strong>Museum</strong> für<br />

feldspurige Industriebahnen Osnabrück-<br />

Piesberg e. V. und die Fachhochschule<br />

Osnabrück. Fakultät Agrarwissenschaften<br />

und Landschaftsarchitektur, Arbeitsgruppe<br />

Zoologie/Ökologie/Umweltbildung.<br />

<strong>Museum</strong> <strong>Industriekultur</strong> Osnabrück,<br />

<strong>im</strong> Dezember 2009<br />

Weitere Informationen zum Thema Wildnis<br />

am Piesberg erhalten Sie <strong>im</strong> <strong>Museum</strong><br />

<strong>Industriekultur</strong> Osnabrück, wo Sie auch<br />

entsprechende Führungen durch das<br />

Gelände buchen können.<br />

Telefon: Mi-So, 10.00 bis 18.00 Uhr,<br />

0541/122447<br />

3


4<br />

Station 1<br />

Leben an der<br />

Brechanlage<br />

Die Ruine der um 1900 errichteten und<br />

um 1930 aufgegebenen Brechanlage bietet<br />

mit ihrer gewaltigen Backsteinmauer und<br />

den ihr vorgelagerten Wasserbecken ein<br />

<strong>im</strong>posantes Bild. Hier wurde früher das <strong>im</strong><br />

Piesberg gewonnene Gestein gebrochen,<br />

sodass man Material in der gewünschten<br />

Größe erhielt. Die vier Becken, in die man<br />

das bei der Steinwäsche anfallende<br />

Abwasser einleitete, damit der Schlamm<br />

sich absetzen konnte, entstanden später.<br />

Backsteinmauer und Teiche sind heute<br />

von zahlreichen Tier- und Pflanzenarten<br />

besiedelt. Aus den Mauerfugen wachsen<br />

Gräser und Kräuter wie Trespen, Habichtskräuter<br />

und Mauerlattich, ja selbst Bäume<br />

wie Hängebirke und Zitterpappel haben<br />

dort Fuß gefasst. Sie alle kommen mit den<br />

extremen Bedingungen an der Mauer<br />

zurecht: Nährstoffe und Wasser sind hier<br />

eher Mangelware. Die Samen dieser<br />

Pflanzenarten sind so leicht, dass sie vom<br />

Wind verbreitet und auch in Ritzen und<br />

Spalten hineingeweht werden. Dort, wo<br />

sich größere Hohlräume in der Mauer<br />

finden, brüten Vögel aus der Gilde der<br />

Höhlen- und Halbhöhlenbrüter wie<br />

Kohl- und Blaumeise, Hausrotschwanz und<br />

Bachstelze. Im Jahr 2009 hat sogar eine<br />

Gebirgsstelze ihre Jungen in der Mauer<br />

großgezogen!<br />

Backsteinmauer und vorgelagerte<br />

Wasserbecken der Brechanlage<br />

5


Station 1<br />

An den vier Wasserbecken ist zu sehen,<br />

wie die Verlandung eines Stillgewässers<br />

abläuft: Teich 1 (links hinten, wenn man<br />

auf die Mauer schaut) ist noch völlig ohne<br />

Pflanzen, in Teich 2 (links vorne) gibt es<br />

bereits einen Rohrkolbenbestand, aber<br />

noch viel offenes Wasser. Teich 3 (rechts<br />

hinten) ist schon stark verlandet, was man<br />

an dem dichten Bestand aus Rohrkolben,<br />

Schilf, Sumpfbinse und Froschlöffel<br />

erkennen kann. Teich 4 (rechts vorne) ist<br />

komplett verlandet und mit Schilf sowie<br />

Brombeeren zugewachsen, und selbst<br />

Bäume (Silberweiden) stehen bereits in<br />

dem Becken. Teich 4 ist also gar kein<br />

Teich mehr! In den Teichen 2 und 3 leben<br />

zahlreiche Tierarten. Im Frühjahr lassen<br />

sich hier Berg- und Teichmolche sowie<br />

Erdkröten beobachten, die dort ablaichen.<br />

Im Sommer fliegen wunderschöne Libellen<br />

wie z. B. Hufeisen-Azurjungfern über<br />

die Wasserflächen. Achten Sie doch einmal<br />

auf diese blauen Farbtupfer <strong>im</strong> Grün!<br />

6<br />

Absetzbecken für Schlamm<br />

5


Station 1<br />

Brechanlage<br />

der Piesberger<br />

Steinindustrie<br />

8<br />

Steinbrechanlage am Fürstenauer Weg<br />

Aufgrund beträchtlicher Mengen an<br />

Gesteinsresten, die bei der Herstellung von<br />

Pflaster- und Bordsteinen <strong>im</strong> Steinbruch<br />

Piesberg anfielen, entschloss sich der<br />

Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten-<br />

Verein – seit 1889 Eigentümer des Steinbruches<br />

– die Produktion von Gleisschotter<br />

aufzunehmen und baute in den 1890er<br />

Jahren die erste Brechanlage.<br />

9


Station 1<br />

Die Anlage mit drei Brechern, betrieben<br />

mittels einer 20 PS Dampfmaschine, fand<br />

ihren Platz in unmittelbarer Nähe zum<br />

Steinbruch, der sich seinerzeit noch unweit<br />

des Haseschachtgebäudes befand. 1900/01<br />

ließ das Unternehmen die Brechanlage neu<br />

errichten, vier Brecher zerkleinerten den<br />

harten Piesberger Stein nun auf jede gewünschte<br />

Korngröße. Eine Zwillingsdampfmaschine<br />

mit einer Leistung von 100 PS<br />

trieb die Anlage an.<br />

Wie die Fotografien zeigen, wurden die <strong>im</strong><br />

Steinbruch beladenen Förderwagen oberhalb<br />

der Brechanlage vor sogenannten<br />

Wagenkippern zusammengeführt, in diese<br />

eingeschoben und dann gedreht, so dass<br />

die Steine in den Brecher fielen. Nach dem<br />

Zerkleinern gelangte das Material in die bereitstehenden<br />

Wagen, die über eine Bremsberganlage<br />

bis zum Piesberger Bahnhof<br />

bzw. zur Weiterverarbeitung in die Zementwarenfertigung<br />

transportiert wurden.<br />

7<br />

Im Jahre 1903 erfolgte die Aufstellung einer<br />

Wäsche, die das Steinmaterial »durch kräftiges<br />

Waschen von Lehm und Staubteilchen<br />

befreite«, eine Maßnahme, die den steigenden<br />

Qualitätsanforderungen gerecht werden<br />

wollte. Daneben verbesserte die Einrichtung<br />

die Arbeitsbedingungen in der Anlage entscheidend,<br />

da die Arbeiter dort ständig der<br />

Silikosegefahr ausgesetzt waren. Das bei<br />

dieser Wäsche anfallende Wasser wurde in<br />

Absetzteiche (Schlammteiche) geleitet.<br />

Das noch zu sehende Ziegel- und Bruchsteinmauerwerk<br />

markiert die Größe der<br />

Brechanlage; Dampfmaschine und -kessel<br />

befanden sich in zwei separaten Gebäuden<br />

links neben der Anlage. Wie der heute noch<br />

existente Kompressor deutlich macht,<br />

entstand in den 1930er Jahren dort eine<br />

Anlage, die Druckluft für den Betrieb der<br />

Gesteinsbohrmaschinen <strong>im</strong> gesamten<br />

Steinbruch produzierte.<br />

Steinbrechanlage<br />

am Fürstenauer Weg<br />

mit Wagenkippern<br />

11


Station 2<br />

Im<br />

Walde<br />

auf der<br />

Halde<br />

Bevor die Menschen mit dem Steinkohlenbergbau<br />

und der Anlage von Steinbrüchen<br />

begannen, war am Piesberg vermutlich<br />

großflächig Wald vorhanden, der in den<br />

folgenden Jahrhunderten <strong>im</strong>mer mehr<br />

weichen musste. Infolge des Betriebes von<br />

Steinbrüchen fiel <strong>im</strong>mer mehr Abraum<br />

(Boden und Gesteinsschutt) an, der in der<br />

Regel in den Außenbereichen des Steinbruchgeländes<br />

deponiert wurde. So entstanden<br />

Halden, anfangs ohne jedes<br />

Zeichen von Vegetation, auf denen die<br />

Natur sich mit den Jahren aber Schritt für<br />

Schritt wieder ausdehnte: Erst findet sich<br />

dort über längere Zeit nur ein ganz<br />

spärlicher Bewuchs aus einjährigen Pflanzen,<br />

dann fassen mehrjährige höhere<br />

Stauden Fuß, bis schließlich wieder Wald<br />

da ist. Auf den Halden, die es auf beiden<br />

Seiten dieses Weges an mehreren Stellen<br />

gibt, ist die beschriebene Entwicklung<br />

12<br />

Bewaldete<br />

Halden aus Boden und<br />

Gesteinsschutt<br />

(man nennt sie Sukzession) abgelaufen.<br />

Inzwischen ist ohne Zutun des Menschen<br />

fast überall wieder Wald entstanden, und<br />

zwar ein Wald, der sehr strukturreich und<br />

sehr artenreich ist. Stellenweise ist er<br />

schon 80 bis 100 Jahre alt, wie man es<br />

zum Beispiel an den alten Bergahorn-<br />

Bäumen in der Nähe der Brechanlagen-<br />

Ruine erkennen kann. Auf anderen Flächen<br />

ist er aber erst 20 bis 30 Jahre alt. Allein<br />

26 verschiedene Gehölzarten kommen in<br />

dem Wald an diesem Weg vor. Diese sind:<br />

Bergahorn, Birke, Brombeere, Eberesche,<br />

Esche, Feldahorn, Fichte, Grauerle,<br />

Grauweide, Hainbuche, Hasel, H<strong>im</strong>beere,<br />

Öhrchenweide, Pfaffenhütchen, Robinie,<br />

Rotbuche, Salweide, Schwarzer Holunder,<br />

Schwarzerle, Silberweide, Spitzahorn,<br />

Stieleiche, Waldkiefer, Weißdorn, Winterlinde,<br />

Zitterpappel. Versuchen Sie doch<br />

einmal, möglichst viele davon zu finden!<br />

13


Station 3<br />

Grauerlen – erst<br />

angepflanzt und<br />

dann verwildert<br />

Es ist noch gar nicht lange her, da war man<br />

der Meinung, dass Halden stets rekultiviert,<br />

also gärtnerisch begrünt werden müssen.<br />

Auch am Piesberg ist dies in früheren Jahrzehnten<br />

so gehandhabt worden: Halden<br />

wurden mit Grauerlen bepflanzt. Diese<br />

Baumart ist <strong>im</strong> Osnabrücker Raum nicht<br />

he<strong>im</strong>isch, sie stammt aus den Auenwäldern<br />

der Gebirgsbachtäler. Aber damals ließen<br />

sie sich preisgünstig in einigen Baumschulen<br />

erwerben. Und da die Grauerle wie<br />

die einhe<strong>im</strong>ische Schwarzerle an den<br />

Wurzeln Knöllchen mit Bakterien besitzt,<br />

die den in der Luft enthaltenen Stickstoff -<br />

ein Pflanzennährstoff - fixieren können,<br />

kann sie auf dem meist sehr nährstoffarmen<br />

Abraum gut gedeihen.<br />

Inzwischen haben sich die einst angepflanzten<br />

Grauerlen am Piesberg eigenständig<br />

vermehrt. Auch Kreuzungen mit<br />

der Schwarzerle sind entstanden. Hier an<br />

dieser Stelle kann man sowohl die he<strong>im</strong>ische<br />

Schwarzerle (vgl. S. 22/23) als auch<br />

die eingeführte Grauerle sehen, und zwar<br />

direkt nebeneinander. Sehen Sie die Unterschiede?<br />

14<br />

Grauerlen stammen<br />

ursprünglich<br />

aus den Auenwäldern<br />

der Gebirgsbachtäler<br />

15


Station 3<br />

Steinbruch<br />

Piesberg<br />

Es lässt sich mit Best<strong>im</strong>mtheit nicht angeben,<br />

seit wann die Menschen den harten<br />

Stein des Piesberges für bauliche Zwecke<br />

nutzten, sicher ist allerdings, dass die alte<br />

Kirche in Wallenhorst um 950 n. Chr. mit<br />

Piesberger Steinen errichtet wurde. Das<br />

Baumaterial war demzufolge <strong>im</strong> frühen<br />

Mittelalter bekannt. In den folgenden Jahrhunderten<br />

betrieb man den Steinabbau in<br />

bescheidenem Umfang, in kleinen, zum Teil<br />

vereinzelt gelegenen Steinbrüchen.<br />

16<br />

Arbeiter <strong>im</strong> Steinbruch<br />

Erst mit dem Einsetzen der Industrialisierung<br />

und dem Wachstum der Städte <strong>im</strong><br />

19. Jahrhundert veränderte sich die Situation<br />

grundlegend. So lieferte der Steinbruch<br />

<strong>im</strong> Jahre 1858 rund 5.000 Tonnen<br />

von Hand geschlagene Pflastersteine und<br />

Trottoirplatten, 1870 waren es bereits<br />

25.400 Tonnen. Die seinerzeit in Osnabrück<br />

neu angelegten Straßen wurden mit<br />

Piesberger Steinen gepflastert. In geringem<br />

Maße erfolgte der Versand der Steine auch<br />

in die nähere Umgebung. Erst die Inbetriebnahme<br />

der Eisenbahnstrecke nach Oldenburg<br />

ab November 1876 erschloss für den<br />

Steinbruch ein weiteres lukratives Absatzgebiet.<br />

Der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten-<br />

Verein, der den Steinbruch mitsamt dem<br />

Steinkohlenbergwerk Piesberg 1889 von<br />

der Stadt Osnabrück erworben hatte, baute<br />

diesen nach der Schließung des Bergwerkes<br />

(1898) weiter aus. Entsprechend stieg die<br />

Produktion von 116.000 Tonnen <strong>im</strong> Jahr<br />

1898/99 in zehn Jahren auf 675.000 Tonnen.<br />

Das Unternehmen lieferte neben Bordund<br />

Pflastersteinen nun auch Wasserbausteine<br />

und Gleisschotter. Seit 1902 produzierte<br />

der Betrieb zudem Zementwaren.<br />

Infolge dieser Entwicklung wuchs auch die<br />

Belegschaft: 1888/89 beschäftigte das Unternehmen<br />

ca. 500 Arbeiter, 1898 waren es<br />

726 Arbeiter. Schließlich war der Arbeitskräftebedarf<br />

so hoch, dass vor dem Ersten<br />

Weltkrieg italienische und ruthenische<br />

Arbeiter angeworben werden mussten.<br />

17


Station 3<br />

Im Steinbruchbetrieb, der <strong>im</strong>mer größere<br />

Ausmaße annahm, wurde ganzjährig und<br />

bei jedem Wetter gearbeitet. Der weitaus<br />

größte Teil des Steinbruchbetriebes war<br />

durch Handarbeit geprägt. So erfolgte das<br />

Bohren der Bohrlöcher für die Sprengungen<br />

bis zur Einführung mit Pressluft betriebener<br />

Bohrmaschinen (1904) von Hand. Das<br />

nach den Sprengungen anfallende Haufwerk<br />

schaufelten bzw. trugen die Arbeiter<br />

in die zum Teil von Hand bewegten Förderwagen.<br />

Die massenweise produzierten<br />

Pflastersteine schlugen die Arbeiter<br />

- vor ihren kleinen Hauerhütten kauernd -<br />

von Hand <strong>im</strong> Akkord, eine Arbeitsweise,<br />

die bis 1960 beibehalten wurde.<br />

18<br />

Steinbruch Piesberg – Schienen und Bremsberg<br />

oberhalb des Haseschachtes<br />

Maßgebliche Veränderungen <strong>im</strong> Betrieb<br />

brachte der Einsatz von Baggern und<br />

Schwerlastkraftwagen mit sich, der in den<br />

1950er Jahren erfolgte. Das Ansteigen der<br />

Produktion, die <strong>im</strong> Jahre 1966 insgesamt<br />

1.147.335 Tonnen pro Jahr betrug, führte<br />

dazu, dass der Abbau <strong>im</strong> Südfeld des Piesberges<br />

zum Abschluss kam. Zurück blieb<br />

ein langgestreckter Canyon, dessen östlicher<br />

Teil als Mülldeponie genutzt wurde,<br />

der westliche Teil wurde mit Schlamm aus<br />

der Steinwäsche verfüllt. Entlang des<br />

Schlammteiches, der heute eine bemerkenswerte<br />

Vegetation aufweist, fährt die<br />

Schmalspurbahn auf einer historischen<br />

Trasse.<br />

19


Station 4<br />

Auch Pioniere<br />

kommen<br />

in die Jahre<br />

Buchenwälder und Eichen-Buchenwälder<br />

waren es, die einstmals - vor der Zeit des<br />

Bergbaus - am Piesberg he<strong>im</strong>isch waren.<br />

Der Wald, der heute auf den Halden stockt,<br />

setzt sich aber aus ganz anderen Baumarten<br />

zusammen. In erster Linie ist es die<br />

Hängebirke, die dort in großer Zahl zu<br />

finden ist und durch ihre weißen Stämme<br />

auffällt. Dazu kommt die Zitterpappel mit<br />

ihrer auffällig zitternden Blattbewegung<br />

und die Salweide, die wie alle Weiden<br />

Salicylsäure enthält (Weide = Salix, lateinisch).<br />

Diese Baumarten sind sogenannte<br />

Pioniergehölze, die auf nicht mehr genutzten<br />

Flächen die ersten Wälder (= Pionierwälder)<br />

bilden. Sie sind - in verschiedenen<br />

Altersstadien - an einigen Stellen seitlich<br />

des Weges zu sehen. Eines Tages werden<br />

sie durch andere Baumarten verdrängt sein.<br />

Vielleicht entdecken Sie ja bereits andere<br />

Baumarten, die unter den Pionierbäumen<br />

aufwachsen!<br />

Blätter der Zitterpappel<br />

20<br />

Hängebirke,<br />

Zitterpappel<br />

und Salweide<br />

12


Station 4<br />

Schwarzerlen –<br />

Rinde und Blatt<br />

22<br />

23


Station 4<br />

Die Schmalspurbahnen<br />

<strong>im</strong><br />

Steinbruchbetrieb<br />

Steinbruch Piesberg –<br />

Schienen und Bremsberg<br />

Der Transport der <strong>im</strong> Piesberg abgebauten<br />

Steine erfolgte bis zum Ende der 1950er<br />

Jahre durch Feldbahnen. Die befüllten<br />

Förderwagen wurden zusammengeschoben<br />

und mit Pferden oder kleinen Lokomotiven,<br />

ab 1911 kamen Benzol-Lokomotiven zum<br />

Einsatz, abgefahren. Bremsberge dienten<br />

dazu, die einzelnen Abbausohlen miteinander<br />

zu verbinden. Wie die Fotografie aus<br />

dem ehemaligen »Abbaufeld Süd« zeigt,<br />

erstreckten sich ausgedehnte Gleisanlagen<br />

auf dem Betriebsgelände; mitunter maß<br />

die gesamte Schienenstrecke über 80 km.<br />

Das Gros der Steine wurde zu den Brechern<br />

transportiert und dort zerkleinert.<br />

Steinbruch Piesberg – Bremsberg<br />

zum Zechenbahnhof<br />

Großformatigeres Material, das z. B. für den<br />

Küstenschutz eingesetzt wurde, gelangte<br />

direkt zum Versand auf den Zechenbahnhof.<br />

Ab 1958 übernahmen Schwerlastkraftwagen<br />

den Transport. Feldspurige Industriebahnen<br />

kamen dort zum Einsatz, wo große Materialmengen<br />

bewegt werden mussten. Neben dem<br />

Abbau von Rohstoffen <strong>im</strong> Tagebau (z. B. Erz,<br />

Steine, Torf) nutzte man die flexibel einzusetzende<br />

Technik auch auf Großbaustellen<br />

oder <strong>im</strong> Krieg. Am Piesberg wurden Feldbahnen<br />

seit dem Beginn der 1870er Jahre eingesetzt.<br />

1873 erfolgte der Bau eines Bremsberges<br />

vom Steinbruch zum tiefer gelegenen<br />

Zechenbahnhof, der aufwändige Transport<br />

mit Pferdefuhrwerken konnte so rationalisiert<br />

werden. Der auf die Herstellung von<br />

Produkten für den Eisenbahnoberbau spezialisierte<br />

Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten–Verein<br />

lieferte selbst Schienen und<br />

Förderwagen für dieses Transportsystem.<br />

24 25


Station 5<br />

Ehemaliges Südfeld<br />

des Steinbruches:<br />

Als wär’s ein<br />

Stückchen Flussaue<br />

Wenn man auf dem Bohlensteg bis an<br />

dessen Ende geht, eröffnet sich einem eine<br />

andere Welt: Auf einer ehemals reinen<br />

Schlammfläche hat sich ein Schilfbestand<br />

entwickelt, der in ein lockeres Bruchweidengebüsch<br />

übergeht, an dessen Rand höhere<br />

und dichtere Baumbestände (u.a. Schwarzerlen)<br />

stehen. In dem mit Schlamm gefüllten<br />

ehemaligen Südfeld des Steinbruches<br />

sieht es aus wie in manchen Bereichen von<br />

Flussauen, wo es natürlicherweise <strong>im</strong>mer<br />

wieder zu Überschwemmungen kommt,<br />

der Boden also oft nass ist. Vor einigen<br />

Jahrzehnten erstreckte sich hier noch eine<br />

große, 70 – 80 m tiefe Grube, die der<br />

Gesteinsabbau hinterlassen hatte. Sie<br />

wurde dann peu à peu mit Schlamm aus<br />

der Steinwäsche verfüllt. Blickt man vom<br />

Ende des Steges nach vorne, liegt vor<br />

einem die aktuelle Abbaufläche. Blickt man<br />

zurück in Richtung Wanderweg, ist dort<br />

(vor allem <strong>im</strong> Winterhalbjahr) die alte<br />

Abbaukante zu erkennen.Vielleicht haben<br />

Sie ja Lust aufzuschreiben, was Ihnen hier<br />

durch den Kopf oder durch das Herz geht!<br />

26<br />

Schilf auf ehemals reinen Schlammfächen<br />

15


Station 5<br />

Südfeld des Steinbruches vor der Einstellung des Abbaus<br />

und der Verfüllung mit Schlamm<br />

Auf der mit Schlamm gefüllten Grube entwickelte sich<br />

eine Vegetation mit über hundert Pflanzenarten<br />

28 29


Station 6<br />

Zwei<br />

Nordamerikaner<br />

am Piesberg<br />

Am Piesberg trifft man nicht nur hin und<br />

wieder auf Besucher aus dem Ausland,<br />

auch einige dort verbreitete Pflanzenarten<br />

stammen aus anderen Ländern. Ein Beispiel<br />

sind die stattlichen hier zu sehenden<br />

Robinien (manchmal auch als Falsche<br />

Akazien bezeichnet), deren Name auf den<br />

französischen Gärtner J. Robin zurückgeht.<br />

Er brachte die Baumart <strong>im</strong> Jahr 1601 aus<br />

Nordamerika nach Paris. Am Piesberg<br />

haben sich die Bäume von alleine angesiedelt.<br />

Da sie Wurzelknöllchen mit Luftstickstoff<br />

bindenden Bakterien besitzen, können<br />

sie sich auch auf den nährstoffarmen<br />

Halden ansiedeln. Aus dem sehr harten<br />

beständigen Holz der Bäume wurden früher<br />

Räder landwirtschaftlicher Wagen (Leiterwagen)<br />

gefertigt. Noch heute wird Robinienholz<br />

z. B. für Holznägel verarbeitet.<br />

Eine andere <strong>im</strong> Jahr 1623 aus Nordamerika<br />

eingeführte Art ist die als Busch oder Baum<br />

wachsende Späte Traubenkirsche, die der<br />

einhe<strong>im</strong>ischen Traubenkirsche sehr ähnlich<br />

ist, aber später blüht und fruchtet. Sie hat<br />

sich vor allem in den letzten Jahrzehnten<br />

sehr stark bei uns ausgebreitet und ist dadurch,<br />

dass sie mancherorts einhe<strong>im</strong>ische<br />

Arten verdrängt, eher zu einer Problemart<br />

geworden. Finden Sie die beiden Arten <strong>im</strong><br />

Gelände!<br />

30<br />

Aus Nordamerika<br />

kommen die Robinien<br />

17<br />

17


Station 6<br />

32<br />

Späte Traubenkirsche,<br />

auch Spätblühende Traubenkirsche oder<br />

Amerikanische Traubenkirsche<br />

33


Station 7<br />

Buntes Leben<br />

auf Schotter<br />

Dort, wo am Piesberg Schotter aufgebracht<br />

worden ist, gibt es weder viel Wasser noch<br />

viele Nährstoffe. Auf solchen Flächen geht<br />

die Vegetationsentwicklung sehr langsam<br />

vonstatten, sie sind - wie hier - über lange<br />

Jahre nur sehr schütter bewachsen. Arten,<br />

die Wärme und Trockenheit tolerieren oder<br />

gar brauchen, gedeihen auf solchen Flächen<br />

besonders gut. Dazu gehören auch einige<br />

Greis- oder Kreuzkrautarten. Eine davon ist<br />

das giftige Jakobs-Greiskraut, das um Jacobi<br />

(25. Juli) herum blüht. Von Juni bis September<br />

kann man an dieser Pflanzenart kleine<br />

schwarz-gelbe Schmetterlingsraupen finden,<br />

die das Pflanzengift in ihrem Körper speichern<br />

und dadurch für Fressfeinde ebenfalls<br />

giftig sind. Es sind die Raupen des Blutoder<br />

Jakobskrautbären. Der schwarz-rote<br />

Falter fliegt von Mai bis Juli. Die Art überwintert<br />

als Puppe. Eine andere hier zu findende<br />

Greiskrautart ist das Schmalblättrige<br />

Greiskraut. Es stammt aus Südafrika und ist<br />

inzwischen weit verbreitet. Zählen Sie einmal,<br />

wie viele verschiedene Pflanzenarten<br />

auf dieser Fläche wachsen!<br />

Raupen des Blut- oder Jakobskrautbären<br />

34<br />

Artenreiche<br />

Schottervegetation<br />

19<br />

19


Station 8<br />

Grauerlen-<br />

Aufforstung:<br />

Einfalt kontra<br />

Vielfalt<br />

Wo die Natur eigenständig auf die durch<br />

Bergbau entstandenen Flächen wie Halden,<br />

Abbaukanten, Felshänge etc. zurückgekehrt<br />

ist, sind <strong>im</strong> Laufe der Zeit artenreiche<br />

Areale mit einer großen Strukturvielfalt<br />

entstanden. Dies betrifft sowohl<br />

die Pflanzen- als auch die Tierwelt.<br />

Im Gegensatz dazu stehen Flächen, die<br />

dicht mit Grauerlen aufgeforstet worden<br />

sind, so wie es an dieser Stelle geschehen<br />

ist. Auf der bepflanzten Halde ist ein<br />

eintöniger Baumbestand aufgewachsen.<br />

Und da Grauerlen Wurzelknöllchen mit<br />

Bakterien besitzen, die den Stickstoff der<br />

Luft binden können, ist die ehemals<br />

nährstoffarme Halde <strong>im</strong> Laufe der Zeit<br />

nährstoffreich geworden. Dadurch ist der<br />

Unterwuchs ebenso monoton ausgeprägt:<br />

Brombeeren und stellenweise Brennnesseln,<br />

die viele Nährstoffe <strong>im</strong> Boden<br />

benötigen, bilden einen dichten Filz. Als<br />

Faustregel gilt: Nährstoffarme Flächen sind<br />

artenreich, nährstoffreiche Flächen sind<br />

artenarm. Welche Arten sehen Sie außer<br />

Brombeere und Brennnessel noch <strong>im</strong><br />

Unterwuchs?<br />

Halde mit aufgeforsteten<br />

Grauerlen<br />

37


Station 9<br />

Blick zurück<br />

nach vorn<br />

Osnabrück ist untrennbar mit dem Piesberg<br />

verbunden. Seit 500 Jahren profitiert die<br />

Stadt von ihrem höchsten Berg: Abbau von<br />

Kohle, Sandstein und Karbonquarzit,<br />

Entsorgung von Müll und Gewinnung von<br />

Energie sind die Stichworte. Von dieser<br />

Stelle aus hat man einen guten Rückblick in<br />

die Geschichte der Piesberg-Nutzung: Links<br />

sind die Spuren des Bergbaus erkennbar<br />

und vor uns liegt die inzwischen nahezu<br />

komplett abgedeckte Deponie. Darüber<br />

thronen die Windräder, die CO 2 -freie Energie<br />

liefern. Sie leiten in die Zukunft über,<br />

21<br />

in der wir mehr und mehr auf regenerative<br />

Energien zurückgreifen werden.<br />

Auf dem vom Bergbau geprägten Piesberg,<br />

der nur noch an ganz wenigen Stellen seine<br />

ursprüngliche Ausprägung zeigt, hat sich<br />

ohne Zutun des Menschen die Natur wieder<br />

eingefunden, ganz dynamisch, aus eigener<br />

Kraft. Von diesem »Laufenlassen« – ein<br />

Naturschutz durch Nichtstun – profitieren<br />

zahlreiche Pflanzen und Tiere. Und letztendlich<br />

profitiert hiervon der gesamte Piesberg,<br />

der auf diese Weise seine unverwechselbare<br />

Gestalt erhält, seinen rauen Charme,<br />

der ihn für Besucher so anziehend macht.<br />

Das sollten wir so beibehalten, damit wir uns<br />

auf ganz besondere Weise in dieser Industrie-<br />

und Bergbauwildnis erholen können.<br />

Der vom Bergbau geprägte Piesberg zeigt nur noch an<br />

ganz wenigen Stellen seine ursprüngliche Gestalt<br />

21


Herausgeber<br />

<strong>Museum</strong> <strong>Industriekultur</strong> Osnabrück gGmbH, 2009<br />

Texte<br />

Rolf Spilker, Herbert Zucchi<br />

Fotos<br />

Christian Grovermann,<br />

Heinz Hesse und<br />

<strong>Museum</strong> <strong>Industriekultur</strong> Osnabrück<br />

Gestaltung<br />

kieselbach...design<br />

Druck<br />

Levien Druck GmbH

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