Das Wichtige im Überblick - Anwalt-Suchservice
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<strong>Anwalt</strong>swoche<br />
<strong>Das</strong> <strong>Wichtige</strong> <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong><br />
Vertragsrecht<br />
Internet-Automietvertrag: Kein kostenloser Widerruf<br />
Radarwarner: Sittenwidriger Kaufvertrag<br />
Mietrecht<br />
Verzug: Wirksame Kündigung trotz später Ausgleichszahlung<br />
Stromkosten: Rückforderungsfrist bei Falschberechnung<br />
KFZ-Recht<br />
Reparaturkosten: Deckelung auf den Wiederbeschaffungswert<br />
bei „wertlosen“ Fahrzeugen<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Abstammungsgutachten: Kein Zwang zum Vaterschaftstest<br />
Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht: Einschränkung bei<br />
drohender Zwangsbeschneidung<br />
Bankrecht<br />
Anlageberatung: Verjährungsfrist bei fahrlässiger<br />
Falschberatung<br />
Lastschriftverfahren: Keine Kostenüberwälzung auf<br />
den Kunden<br />
Aus dem Inhalt:<br />
11/05<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenzverwalter: Rückforderung unter Vorbehalt<br />
gezahlter Sozialversicherungsbeiträge<br />
Gebühren und Kosten<br />
Verteidigerhonorar: 35.000 Euro nicht zwangsläufig<br />
sittenwidrig<br />
Erfolgshonorar: Weiterhin unzulässig<br />
Strafrecht und OWi<br />
Untersuchungshaft: Überlange Verfahrensdauer
<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />
Vertragsrecht<br />
Verbraucher können per Internet geschlossene Automietverträge<br />
nicht kostenlos widerrufen 5<br />
Der Kauf von Radarwarngeräten ist sittenwidrig 6<br />
He<strong>im</strong>träger müssen Entgelte für Unterkunft und Verpflegung<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Pflegeversicherung weiterhin<br />
nicht aufschlüsseln 6<br />
Mietrecht<br />
Ausländische Mieter haben nicht <strong>im</strong>mer einen<br />
Anspruch auf Zust<strong>im</strong>mung des Vermieters zur Installation<br />
einer Parabolantenne 7<br />
Mieter können falsch berechnete Stromkosten nur<br />
für zwei Jahre zurückfordern 7<br />
Ordentliche Kündigung des Vermieters kann auch<br />
bei einem nachträglichen Ausgleich des Mietrückstands<br />
wirksam sein 8<br />
Wohnungseigentum<br />
Wohnungseigentümer können für dringende Fälle<br />
auch eine Einberufungsfrist von drei Tagen vereinbaren<br />
9<br />
Wohnungseigentümer-Gemeinschaften dürfen einzelnen<br />
Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung für<br />
die Führung von Prozessen zahlen 9<br />
Wohnungseigentümer müssen Gartenhäuschen nur<br />
bei feststellbarer Störung der übrigen Eigentümer<br />
entfernen 10<br />
Grundstücksrecht<br />
Günstige Grundstückskäufe nach dem so genannten<br />
„Modrow-Gesetz“ sind wirksam 10<br />
Grundstückseigentümer haften bei Umsturz eines<br />
Grenzbaums grundsätzlich hälftig für den entstandenen<br />
Schaden 11<br />
Bau- und Nachbarschaftsrecht<br />
Zum Ausgleichanspruch von Nachbarn für Schäden<br />
durch umgestürzte Bäume 11<br />
Zur Beachtung der Grenzwerte für Luftschadstoffe<br />
<strong>im</strong> Rahmen von Straßenbauvorhaben 12<br />
In einem Mischgebiet müssen die Anwohner ein<br />
Jugendhe<strong>im</strong> in ihrer Nachbarschaft dulden 12<br />
Zur Wirksamkeit von in Straßenbau-Verträgen häufig<br />
verwendeten Klauseln 12<br />
KFZ-Recht und Verkehr<br />
Verkäufer eines defekten Autos müssen bei Selbstreparatur<br />
durch den Käufer nur bei Fristsetzung zur<br />
Nacherfüllung die Kosten tragen 13<br />
Bei teilweiser oder nicht fachgerechter Reparatur an<br />
„wertlosen“ Fahrzeugen kann grundsätzlich nur der<br />
Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt werden 13<br />
Zur wirksamen Kündigung eines Kfz-Leasingvertrags<br />
14<br />
Fahrzeuge einer vorherigen Modellreihe mit kleinerem<br />
Tank sind keine Neuwagen mehr 14<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Ärzte müssen über schwerwiegende Nebenwirkungen<br />
von Medikamenten aufklären 15<br />
Deutsche Post AG haftet nur in Höhe des angegebenen<br />
Werts für den Verlust von Auslandspaketen 16<br />
Zur Reichweite einer Einwilligungserklärung in eine<br />
Operation 17<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Untreue des „angeheirateten“ Ehegatten berechtigt<br />
Verwandte regelmäßig nicht zum Widerruf einer<br />
Schenkung 17<br />
Unterhaltschuldner können zur Einleitung eines Verbraucher-Insolvenzverfahrens<br />
verpflichtet sein 18<br />
Mutmaßliche Väter können nicht zur Mitwirkung an<br />
einem Vaterschaftstest gezwungen werden 18<br />
<strong>Das</strong> Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht ausländischer<br />
Eltern kann bei drohender Beschneidung ihrer Tochter<br />
beschränkt werden 18<br />
Arbeitsrecht<br />
Altersteilzeitbeschäftigte in der Freistellungsphase<br />
haben keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung 19<br />
Arbeitgeber müssen nach Verschmelzung mehrerer<br />
Betriebe nicht allen Arbeitnehmern den gleichen<br />
Lohn zahlen 19<br />
Einkommen eines getrennt lebenden Ehegatten darf<br />
nicht auf Arbeitslosenhilfe angerechnet werden 20<br />
Arbeitgeber können überzahltes Gehalt grundsätzlich<br />
nur innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist<br />
zurückfordern 20
<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />
Sozialrecht<br />
Vorübergehend in Deutschland tätige ausländische<br />
Arbeitnehmer können sozialversicherungspflichtig<br />
sein 21<br />
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen seit dem<br />
1.1.2004 kein Sterbegeld mehr zahlen 21<br />
Einkünfte aus einer aufgegeben selbständigen Tätigkeit<br />
werden nicht auf eine Erwerbsminderungsrente<br />
angerechnet 22<br />
Zur Leistungserbringung zugelassene kommunale<br />
Träger müssen nunmehr alle Widersprüche gegen<br />
Arbeitslosengeld II-Bescheide bearbeiten 22<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Gesellschafter müssen nach ihrem Ausscheiden von<br />
der Gesellschaft erhaltene Beträge unter Umständen<br />
zurückzahlen 23<br />
Auch bei einer „Schwester-Fusion“ muss bei der<br />
übernehmenden Gesellschaft zwingend eine Kapitalerhöhung<br />
erfolgen 23<br />
Bundesregierung hat Eckpunkte zum Gesetzentwurf<br />
zur individualisierten Offenlegung der Gehälter von<br />
Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften vorgelegt<br />
24<br />
Geschäftsführer dürfen keine Forderungen des<br />
Unternehmens zur Besicherung eigener Verbindlichkeiten<br />
abtreten 25<br />
Bankrecht<br />
Deliktische Schadensersatzansprüche eines Anlegers<br />
wegen fahrlässiger Falschberatung verjähren<br />
innerhalb von drei Jahren 25<br />
Banken dürfen die Konten ihrer Kunden nicht mit<br />
den Kosten der Rückgabe einer Lastschrift wegen<br />
fehlender Kontodeckung belasten 26<br />
Anleger haben gegen den Staat keinen Amtshaftungsanspruch<br />
wegen Fehler bei der Bankenaufsicht 26<br />
<strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis steht einer Forderungsabtretung<br />
nicht entgegen 27<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Zur Abgrenzung wettbewerbswidriger Telefonwerbung<br />
gegenüber Verbrauchern und gegenüber<br />
Gewerbetreibenden 28<br />
Deutsche Übersetzung eines englischen Markennamens<br />
begründet nicht in jedem Fall eine Verwechslungsgefahr<br />
28<br />
Händler-Werbung mit „Direktverkauf ab Werk“ kann<br />
wettbewerbswidrig sein 29<br />
Unternehmensberater dürfen über die Vergabe<br />
öffentlicher Fördermittel beraten 29<br />
Verfahrensrecht<br />
Die Bezeichnung einer Methode als „unseriös“<br />
begründet keine Befangenheit eines Sachverständigen<br />
30<br />
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt die<br />
zuvor erteilte Prozessvollmacht 30<br />
Anwälte müssen bei Berufungsbegründungsfristen<br />
die Eintragung von Vorfristen sicherstellen 31<br />
Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei bestehendem<br />
Anspruch auf einen Prozesskostenvorschusses<br />
unter Eheleuten 31<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenzverwalter haben in „Altfällen“ lediglich<br />
Anspruch auf die niedrige Mindestvergütung nach<br />
der InsVV a.F. 32<br />
Insolvenzverwalter dürfen unter Vorbehalt gezahlte<br />
Sozialversicherungsbeiträge zurückfordern 32<br />
Insolvenzverwalter können mehr als drei Monate vor<br />
dem Insolvenzantrag durchgeführte Zwangsvollstreckungen<br />
nicht anfechten 33<br />
Vorläufige Insolvenzverwalter dürfen eine Überweisung<br />
durch Lastschrift widerrufen 33<br />
Gebühren und Kosten<br />
Anwälte dürfen weiterhin keine Erfolgshonorare vereinbaren<br />
34
<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />
Beweisgebühr wegen Verwertung beigezogener<br />
Akten setzt deren Würdigung in der gerichtlichen<br />
Entscheidung voraus 35<br />
Im vorprozessualen Schlichtungsverfahren bei der<br />
ärztlichen Schlichtungsstelle entsteht keine Beweisgebühr<br />
35<br />
Verteidigerhonorar in Höhe von 35.000 Euro ist nicht<br />
zwangsläufig sittenwidrig 36<br />
Berufsrecht<br />
Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt<br />
für Strafrecht“ setzt nicht zwingend praktische Erfahrungen<br />
als Strafverteidiger voraus 36<br />
Für die Höhe der Beiträge eines Rechtsanwalts und<br />
Steuerberaters zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />
kommt es nur auf die anwaltlichen Einkünfte an 37<br />
Über die Zulassung als Rechtsanwalt darf auch ein<br />
teilweise mit Rechtsanwälten besetzter Prüfungsausschuss<br />
entscheiden 37<br />
Auch Steuerberater dürfen als Testamentsvollstrecker<br />
tätig werden 38<br />
Verwaltungs- und Verfahrensrecht<br />
Auch unverheiratete Eltern können einen Anspruch<br />
auf Hinterbliebenenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz<br />
haben 39<br />
Anteilserwerb an ehemals jüdischen Grundstücken<br />
steht einem Rückübertragungsanspruch nach dem<br />
VermG nicht entgegen („Werthe<strong>im</strong>-Erben“) 39<br />
Verbeamtete Lokomotivführer können nicht zur Reinigung<br />
der Züge herangezogen werden 39<br />
Private Kuriere von Blutpräparaten dürfen weder<br />
Blaulicht noch Martinshorn benutzen 40<br />
Strafrecht und OWi<br />
Mitglieder einer rechtsradikalen Musikgruppe können<br />
sich wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung<br />
strafbar machen („Landser“) 40<br />
Bundestag hat erweiterte Strafvorschriften <strong>im</strong> Kampf<br />
gegen Rechtsextremismus beschlossen 41<br />
Untersuchungshaft muss bei überlanger Verfahrensdauer<br />
außer Vollzug gesetzt werden 41<br />
Bundesrepublik und Niederlande haben Vertrag über<br />
die grenzüberschreitende polizeiliche und strafrechtliche<br />
Zusammenarbeit geschlossen 42<br />
Steuerrecht<br />
Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung<br />
entsteht nicht bereits mit der Eintragung einer Auflassungsvormerkung<br />
42<br />
Die Beteiligten eines „Umsatzsteuer-Karussells“<br />
sind möglicherweise nicht zum Vorsteuerabzug<br />
berechtigt 42<br />
Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht nur die in ihrem<br />
Land ausgeführten Forschungsarbeiten steuerlich<br />
begünstigen 43<br />
Der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />
Betriebsvermögen ist bei mehreren Erwerbern nicht<br />
nur „nach Köpfen“ zu verteilen 44
Vertragsrecht<br />
Verbraucher können per Internet geschlossene<br />
Automietverträge nicht kostenlos<br />
widerrufen<br />
EuGH 10.3.2005, C-336/03<br />
Verbraucher, die per Internet ein Auto angemietet haben, können<br />
diesen Fernabsatzvertrag zwar innerhalb einer best<strong>im</strong>mten Frist<br />
widerrufen. Sie haben jedoch keinen Anspruch auf kostenlose<br />
Auflösung des Vertrags. Bei Automietverträgen handelt es sich um<br />
„Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen (<strong>im</strong> Bereich)<br />
Beförderung“. Für solche Verträge sieht die Fernabsatzrichtlinie<br />
eine Ausnahme vom Grundsatz der kostenlosen Widerruflichkeit<br />
vor.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Im Ausgangsverfahren streiten „easyCar“, ein Unternehmen,<br />
das in England und anderen Mitgliedstaaten eine Autovermietung<br />
betreibt, und Verbraucherschutzverbände über die kostenlose<br />
Widerruflichkeit von Fernabsatzverträgen.<br />
Die Buchung von Mietwagen erfolgt bei easyCar ausschließlich<br />
über das Internet. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
von easyCar können Verbraucher bei Auflösung des<br />
Mietvertrags grundsätzlich keine Rückerstattung verlangen.<br />
Etwas anderes soll nur für eine Vertragsauflösung auf Grund<br />
von best<strong>im</strong>mten, vom Verbraucher nicht beeinflussbaren außergewöhnlichen<br />
und unvorhergesehenen Ereignissen gelten.<br />
Nach der Fernabsatzrichtlinie (Richtlinie 97/7/EG) können<br />
Verbraucher Fernabsatzverträge innerhalb einer best<strong>im</strong>mten<br />
Frist widerrufen und haben einen Anspruch auf Erstattung<br />
bereits geleisteter Zahlungen und der Kosten der Rücksendung<br />
der Ware. Der Grundsatz der kostenlosen Widerruflichkeit gilt<br />
allerdings nicht für „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen<br />
(<strong>im</strong> Bereich) Beförderung“. Der mit dem Streitfall<br />
befasste High Court legte dem EuGH die Frage vor, ob diese<br />
Ausnahme auch für Autovermietungen gilt. Der EuGH bejahte<br />
dies.<br />
Die Gründe:<br />
Die Vermietung von Autos stellt eine „Dienstleistung (<strong>im</strong><br />
Bereich) Beförderung“ dar. Verbraucher haben daher bei Widerruf<br />
eines auf Anmietung eines Autos gerichteten Fernabsatzvertrages<br />
ausnahmsweise keinen Anspruch auf kostenlose Vertragsauflösung.<br />
Der Gesetzgeber hat bewusst nicht den engeren Begriff „Beförderungsverträge“<br />
gewählt, der lediglich die Beförderung von<br />
Menschen oder Waren durch einen Beförderer umfasst, sondern<br />
auf den gesamten Bereich der Beförderung abgestellt. Hierzu<br />
gehört nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch das Bereitstellen<br />
von Beförderungsmitteln.<br />
Diese Auslegung steht auch <strong>im</strong> Einklang mit dem Gesetzeszweck,<br />
einerseits den Verbraucher zu schützen, andererseits<br />
aber auch Anbieter best<strong>im</strong>mter Dienstleistungen vor unverhältnismäßigen<br />
Nachteilen auf Grund des Rechts zur kostenlosen<br />
Vertragsauflösung zu bewahren. Autovermieter erleiden <strong>im</strong><br />
Fall einer Stornierung die gleichen Nachteile wie andere Anbieter<br />
von Beförderungsdienstleistungen, da sie Vorkehrungen für<br />
die Bereitstellung des Autos zum vereinbarten Zeitpunkt treffen<br />
müssen. Die Ausnahmevorschrift für Beförderungsdienstleistungen<br />
gilt daher auch für Autovermietungen.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />
veröffentlicht.<br />
Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Verkäufer können falsche Kaufpreisangaben<br />
<strong>im</strong> Internet anfechten<br />
BGH 26.1.2005, VIII ZR 79/04<br />
Wird ein Produkt <strong>im</strong> Internet auf Grund eines Fehlers <strong>im</strong><br />
Datentransfer zu einem niedrigeren Preis angeboten als vom<br />
Anbieter beabsichtigt, so kann er den Kaufvertrag über das<br />
Produkt anfechten. In diesem Fall liegt ein Erklärungsirrtum<br />
<strong>im</strong> Sinn von § 119 Abs.1 2.Alt. BGB vor. Fehler be<strong>im</strong><br />
Datentransfer sind mit einem Vertippen oder Verschreiben<br />
vergleichbar und stellen nicht etwa einen unbeachtlichen<br />
(verdeckten) Kalkulationsirrtum dar.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin bietet <strong>im</strong> Internet Computer zum Kauf an. Ihre<br />
Mitarbeiter geben den Verkaufspreis für das jeweilige Produkt in<br />
ein EDV-gesteuertes Warenwirtschaftssystem ein. Eine spezielle<br />
Software sorgt dafür, dass die Preise automatisch in die Produktdatenbank<br />
der Internetseite der Klägerin übertragen werden.<br />
Im Januar 2003 versah ein Mitarbeiter der Klägerin ein Notebook<br />
<strong>im</strong> Warenwirtschaftsystem mit einem Kaufpreis von 2.650 Euro.<br />
Auf Grund eines Fehlers <strong>im</strong> Datentransfer wurde das Notebook<br />
<strong>im</strong> Internet zu einem Preis von 245 Euro angeboten. Der Beklagte<br />
bestellte das Notebook zu diesem Preis. Daraufhin erhielt er<br />
von der Klägerin per E-Mail eine automatische Bestellbestätigung<br />
sowie die Mitteilung, dass der Auftrag von der Versandabteilung<br />
bearbeitet werde.<br />
Die Klägerin lieferte das Notebook am 5.2.2003 zum Preis von<br />
245 Euro an den Beklagten aus. Mit Schreiben vom 11.2.2003<br />
erklärte sie die Anfechtung des Kaufvertrags, da der Preis für das<br />
Notebook auf Grund eines technischen Versehens viel zu niedrig<br />
angegeben gewesen sei. Sie verlangte von dem Beklagten die<br />
Herausgabe des Notebooks Zug um Zug gegen Rückzahlung der<br />
245 Euro. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 812 Abs.1 S.1 1.Alt.<br />
BGB einen Anspruch auf Herausgabe des Notebooks. Die Übergabe<br />
des Notebooks ist ohne Rechtsgrund erfolgt, weil die Klägerin<br />
den Kaufvertrag mit dem Beklagten gemäß § 119 Abs.1 2.Alt. BGB<br />
wirksam angefochten hat. Ihre auf den Abschluss des Kaufvertrags<br />
gerichtete Willenserklärung ist daher rückwirkend nichtig.<br />
Die Klägerin unterlag bei Abgabe des Kaufangebots einem<br />
Erklärungsirrtum <strong>im</strong> Sinn von § 119 Abs.1 2. Alt. BGB. Sie<br />
wollte eine Erklärung des Inhalts, das Notebook solle 245 Euro<br />
kosten, nicht abgeben. Zu der fehlerhaften Kaufpreisangabe <strong>im</strong><br />
Internet ist es auf Grund eines bis dahin unerkannten Fehlers in<br />
der Datenübertragung gekommen. Dies ist mit den - als Erklärungsirrtum<br />
allgemein anerkannten - Fällen des Verschreibens<br />
oder Vertippens vergleichbar.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 5
Dagegen liegt kein Fall eines unbeachtlichen (verdeckten) Kalkulationsirrtums<br />
vor. Die falsche Preisangabe <strong>im</strong> Internet beruhte<br />
nicht auf einer falschen Berechnung. Der Fehler ist vielmehr<br />
erst in der nachfolgenden Datenübertragung aufgetreten.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BGH veröffentlicht.<br />
Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier<br />
(pdf-Datei).<br />
Der Kauf von Radarwarngeräten ist sittenwidrig<br />
BGH 23.2.2005, VIII ZR 129/04<br />
Kaufverträge über den Erwerb eines Radarwarngeräts<br />
sind gemäß § 138 BGB sittenwidrig und deshalb nichtig.<br />
Radarwarngeräte dienen allein dem Zweck, Geschwindigkeitsko<br />
ntrollen zu unterlaufen, und damit der Begehung eines nach § 23<br />
Abs.1b StVO verbotenen Verhaltens. Daher haben Käufer eines<br />
fehlerhaften Geräts gegen den Verkäufer auch keinen Anspruch<br />
auf Rückabwicklung des Vertrags.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin erwarb von der Beklagten ein zum Einsatz <strong>im</strong> deutschen<br />
Straßenverkehr best<strong>im</strong>mtes Radarwarngerät. Später wollte<br />
sie den Kauf rückgängig machen, weil das Gerät nicht funktioniere.<br />
Es habe an verschiedenen Messstellen der Polizei kein<br />
Warnsignal abgegeben. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin<br />
die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe<br />
des Radarwarngeräts. <strong>Das</strong> AG gab der hierauf gerichteten Klage<br />
statt.<br />
Auf die Berufung der Beklagten wies das LG die Klage ab. Die<br />
Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrags,<br />
weil der Kaufvertrag nichtig sei. <strong>Das</strong> Radarwarngerät<br />
habe allein dem Zweck gedient, entgegen dem Verbot in § 23<br />
Abs.1bStVO vor Geschwindigkeitskontrollen zu warnen. Damit<br />
werde das Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr<br />
beeinträchtigt. Die hiergegen gerichtete Revision der<br />
Klägerin hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung<br />
des Kaufvertrags.<br />
Ein Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag wegen Mangelhaftigkeit<br />
des Radargeräts aus §§ 433, 434 Abs.1, 437 Nr.2, 323 BGB<br />
scheidet aus, weil der Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen die<br />
guten Sitten nach § 138 Abs.1 BGB nichtig ist. Nach § 23 Abs.1b<br />
StVO dürfen Autofahrer <strong>im</strong> Straßenverkehr keine Radarwarngeräte<br />
benutzen. Der Kauf eines Radarwarngeräts dient der Umgehung<br />
dieses Verbots.<br />
§ 23 Abs.1b StVO verbietet zwar nur den Einsatz und das Mitsichführen<br />
und nicht den Kauf eines Radarwarngeräts. Der Kauf<br />
eines solchen Geräts erfolgt jedoch nur zu dem Zweck, es <strong>im</strong><br />
Straßenverkehr einzusetzen, und stellt damit eine unmittelbare<br />
Vorbereitungshandlung für die Inbetriebnahme dar. Deshalb ist<br />
bereits der Erwerb eines Radarwarngeräts rechtlich zu missbilligen.<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen bereicherungsrechtlichen<br />
Anspruch auf Rückabwicklung des nichtigen Vertrags.<br />
Der bei nichtigen Verträgen an sich gegebene Anspruch<br />
auf Rückzahlung des Kaufpreises ist gemäß § 817 S.2 BGB ausgeschlossen.<br />
Hiernach scheidet ein Rückforderungsanspruch<br />
aus, wenn beide Vertragsparteien gegen die guten Sitten verstoßen<br />
haben.<br />
Der Vertrieb von Radarwarngeräten ist ebenso sittenwidrig wie<br />
der Kauf, so dass die Voraussetzungen von § 817 S.2 BGB vorliegen.<br />
Der Ausschluss des Rückforderungsanspruchs ist auch<br />
nicht deshalb unbillig, weil die Beklagte aus dem sittenwidrigen<br />
Geschäft wirtschaftliche Vorteile gezogen hat. Denn die Klägerin<br />
handelte ebenfalls sittenwidrig und hat - <strong>im</strong> Gegensatz zur<br />
Beklagten - durch den Einsatz des Geräts unmittelbar gegen das<br />
Verbot aus § 23 Abs.1b StVO verstoßen.<br />
He<strong>im</strong>träger müssen Entgelte für Unterkunft<br />
und Verpflegung <strong>im</strong> Rahmen der Pflegeversicherung<br />
weiterhin nicht aufschlüsseln<br />
BGH 3.2.2005, III ZR 411/04<br />
Seit dem 1.1.2002 müssen He<strong>im</strong>träger gemäß § 5 Abs.3<br />
S.3 He<strong>im</strong>G in ihren Verträgen die Entgelte für Unterkunft<br />
und Verpflegung zwar <strong>im</strong> Einzelnen aufschlüsseln. <strong>Das</strong> gilt<br />
aber nicht für Leistungen, die <strong>im</strong> Rahmen der gesetzlichen<br />
Pflegeversicherung erbracht werden. Insoweit handeln die<br />
Leistungsträger einheitliche Beträge aus, die für die He<strong>im</strong>e<br />
verbindlich sind. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn die<br />
He<strong>im</strong>träger den einheitlichen Betrag nach Gutdünken aufgliedern<br />
würden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverein. Er verlangte von<br />
dem beklagten He<strong>im</strong>träger, in den He<strong>im</strong>verträgen die Verwendung<br />
einer best<strong>im</strong>mten Klausel zu unterlassen. Danach wird das<br />
Entgelt für die Unterkunft und Verpflegung von Bewohnern, die<br />
Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in Anspruch<br />
nehmen, in einem einheitlichen Betrag angegeben. Der Kläger<br />
sah hierin einen Verstoß gegen § 5 Abs.3 S.3 He<strong>im</strong>G.<br />
<strong>Das</strong> LG gab der Klage auf Unterlassung der Verwendung der<br />
Klausel statt; das OLG wies sie ab. Die hiergegen gerichtete<br />
Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beklagte ist <strong>im</strong> Hinblick auf Bewohner, die Leistungen der<br />
gesetzlichen Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, nicht verpflichtet,<br />
das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung <strong>im</strong> Einzelnen<br />
aufzuschlüsseln. Der seit dem 1.1.2002 geltende § 5 Abs.3<br />
S.3 He<strong>im</strong>G schreibt zwar vor, dass die einzelnen Entgelte für die<br />
Leistungen eines He<strong>im</strong>s gesondert angegeben werden müssen.<br />
Diese Vorschrift gilt aber nicht für Leistungen <strong>im</strong> Rahmen der<br />
gesetzlichen Pflegeversicherung.<br />
Mit der Neuregelung in § 5 Abs.3 S.3 He<strong>im</strong>G wollte der Gesetzgeber<br />
den Markt der He<strong>im</strong>leistungen transparenter machen und<br />
den Betroffenen einen Leistungsvergleich ermöglichen. Dieser<br />
Transparenzgedanke ist jedoch in die Sondervorschriften für<br />
Leistungsempfänger der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht<br />
aufgenommen worden. Diese sehen weiterhin vor, dass Art und<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 6
Umfang der Leistungen sowie das hierfür zu entrichtende Entgelt<br />
zum Schutz der He<strong>im</strong>bewohner nicht individuell, sondern<br />
mit den Leistungsträgern ausgehandelt werden.<br />
Für Leistungsempfänger der gesetzlichen Pflegeversicherung<br />
sieht der unverändert gebliebene § 87 SGB XI einheitliche<br />
Beträge für Unterkunft und Verpflegung vor. Diese Beträge sind<br />
sowohl für die Pflegehe<strong>im</strong>e als auch für die Pflegebedürftigen<br />
verbindlich. Vor diesem Hintergrund ist für eine Aufteilung des<br />
einheitlichen Betrags nach eigenem Gutdünken des He<strong>im</strong>trägers<br />
kein Raum.<br />
Mietrecht<br />
Ausländische Mieter haben nicht <strong>im</strong>mer<br />
einen Anspruch auf Zust<strong>im</strong>mung des Vermieters<br />
zur Installation einer Parabolantenne<br />
BGH 2.3.2005, VIII ZR 118/04<br />
Ausländische Mieter dürfen gegen den Willen des Vermieters keine<br />
Parabolantenne am Haus anbringen, wenn sie ihre he<strong>im</strong>ischen<br />
Programme in ausreichender Zahl per Kabel empfangen können. In<br />
einem solchen Fall überwiegt das Eigentumsrecht des Vermieters<br />
das Recht des Mieters auf Informationsfreiheit.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger. Er hatte vom Beklagten<br />
eine Wohnung in dessen Mehrparteienhaus gemietet. Die<br />
Wohnung hat einen Kabelanschluss für den Empfang von Radio-<br />
und Fernsehprogrammen. Mit der Installation eines Decoders<br />
hätte der Kläger fünf russische Fernsehprogramme empfangen<br />
können. Der Kläger wollte aber eine Parabolantenne an einem<br />
Metallgitter vor seinem Wohnz<strong>im</strong>merfenster anbringen, damit<br />
der er eine größere Zahl staatlicher und privater russischer Fernsehprogramme<br />
empfangen kann.<br />
Er verlangte von der Beklagten, ihre Zust<strong>im</strong>mung zur Installation<br />
der Parabolantenne zu geben. Seine hierauf gerichtete Klage<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zust<strong>im</strong>mung zur<br />
Installation der Parabolantenne verlangen. Zwar steht dem Kläger<br />
aus Art.5 Abs.1 S.1 Hs.2 GG das Recht zu, sich aus frei<br />
zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren. Dem steht<br />
jedoch das Grundrecht des Vermieters auf Eigentum aus Art.14<br />
Abs.1 GG gegenüber, in das eingegriffen wird, wenn er die<br />
Installation einer Parabolantenne an seinem Haus dulden muss.<br />
Die Interessenabwägung zwischen beiden Grundrechten muss<br />
anhand eines jeden Einzelfalls vorgenommen werden.<br />
Im Streitfall genießt das Eigentumsgrundrecht des Beklagten<br />
Vorrang vor dem Recht des Klägers auf Informationsfreiheit. Der<br />
Kläger kann über einen bereits verlegten Kabelanschluss mittels<br />
eines Decoders fünf russische Programme empfangen. Hiermit<br />
wird eine ausreichende Information des Klägers gewährleistet.<br />
Demgegenüber würde das Gesamtbild der Hausfassade durch<br />
die Installation einer Parabolantenne erheblich beeinträchtigt.<br />
Dies muss der Beklagte vor dem Hintergrund, dass die Informiertheit<br />
des Klägers in seiner Muttersprache gewährleistet ist,<br />
nicht hinnehmen.<br />
Mieter können falsch berechnete Stromkosten<br />
nur für zwei Jahre zurückfordern<br />
LG München I 17.12.2004, 26 O 6255/04<br />
Werden auf Grund einer Verwechslung der Stromzähler die<br />
Stromkosten einer Mietwohnung falsch abgerechnet, kann der<br />
Geschädigte die zu hoch gezahlten Beträge nur für die letzten zwei<br />
Jahre seit der Feststellung des Fehlers verlangen. Bei so genannten<br />
Massenverträgen sollen Streitigkeiten über Stromabrechnungen<br />
möglichst schnell beendet werden. Für länger zurückliegende<br />
Zeiträume soll <strong>im</strong> Interesse der Rechtssicherheit ein Streit über<br />
Abrechnungsfehler ausgeschlossen sein.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist seit 15 Jahren Mieter einer Wohnung. Nach einem<br />
Wechsel des Strom-Versorgungsunternehmens, stellte sich heraus,<br />
dass der Kläger seit 1989 zuviel Entgelt für Strom bezahlt<br />
hatte. Auf Grund einer Verwechslung der Stromzähler zahlte er<br />
die Stromkosten der benachbarten Familie. Der Kläger hatte<br />
sich zwar wiederholt bei der Hausverwaltung wegen der hohen<br />
Stromkosten beschwert, aber nie eine Überprüfung der Zähler<br />
verlangt.<br />
<strong>Das</strong> beklagte Versorgungsunternehmen zahlte dem Kläger das<br />
für den Zeitraum von 2001 bis 2003 zuviel gezahlte Stromentgelt<br />
zurück. Eine Erstattung der Beiträge für den Zeitraum von<br />
1989 bis 2001 lehnte es jedoch ab. Der Anspruch auf Erstattung<br />
wegen fehlerhafter Abrechnungen sei auf zwei Jahre beschränkt.<br />
Außerdem müsse sich der Kläger an das vorherige Stromversorgungsunternehmen<br />
wenden. Der Kläger begehrte von der<br />
Beklagten dennoch die Rückzahlung der Beiträge für den Zeitraum<br />
von 1989 bis 2001. Seine hierauf gerichtete Klage hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung<br />
der Beträge für den Zeitraum von 1989 bis 2001. Die Verwechslung<br />
der Stromzähler stellt einen Fehler bei der Ermittlung<br />
des Rechnungsbetrags dar und ist somit als Berechnungsfehler <strong>im</strong><br />
Sinn des § 21 Abs.2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen<br />
für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden anzusehen.<br />
Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Rückerstattung<br />
zuviel gezahlter Strombeträge auf die zurückliegenden zwei Jahre<br />
seit der Feststellung des Fehlers beschränkt. Sinn dieser Regelung<br />
ist es, bei sogenannten Massenverträgen Streitigkeiten über<br />
Stromabrechnungen möglichst schnell zu beenden. Für länger<br />
zurückliegende Zeiträume soll <strong>im</strong> Interesse der Rechtssicherheit<br />
ein Streit über Abrechnungsfehler ausgeschlossen sein.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 7
Ordentliche Kündigung des Vermieters<br />
kann auch bei einem nachträglichen Ausgleich<br />
des Mietrückstands wirksam sein<br />
BGH 16.2.2005, VIII ZR 6/04<br />
Hat ein Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs<br />
des Mieters außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt,<br />
so führt ein nachträglicher Ausgleich der Zahlungsrückstände<br />
gemäß 569 Abs.3 Nr.2 BGB zwar zur Unwirksamkeit der<br />
außerordentlichen Kündigung. Die hilfsweise ausgesprochene<br />
ordentliche Kündigung ist aber gleichwohl wirksam,<br />
wenn der ursprüngliche Zahlungsrückstand eine verschuldete<br />
Pflichtverletzung des Mieters darstellt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin hatte an die Beklagte eine Wohnung vermietet. Die<br />
Beklagte geriet für mehrere Termine mit der Zahlung der Miete<br />
in Verzug. Daraufhin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis<br />
fristlos, hilfsweise fristgerecht, und klagte auf Räumung und<br />
Herausgabe. Während des Prozesses zahlte das Sozialamt die<br />
rückständige Miete.<br />
AG und LG wiesen die Räumungsklage ab, weil ein Ausgleich<br />
des Zahlungsrückstands sowohl zur Unwirksamkeit der fristlosen<br />
als auch der fristgerechten Kündigung führe. Auf die Revision<br />
der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies<br />
den Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an<br />
das LG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin<br />
das Mietverhältnis durch wirksame Kündigung beendet hat<br />
und deshalb die Räumung der Wohnung verlangen kann. Der<br />
nachträgliche Ausgleich des Mietrückstands durch das Sozialamt<br />
führte zwar gemäß § 569 Abs.3 Nr.2 BGB zur Unwirksamkeit der<br />
außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses. Eine solche<br />
Nachzahlung hat jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts<br />
nicht auch zwingend die Unwirksamkeit einer hilfsweise<br />
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zur Folge.<br />
Während für die außerordentliche Kündigung wegen eines Mietrückstands<br />
die Rechtsfolgen einer Nachzahlung <strong>im</strong> laufenden<br />
Räumungsprozess in den §§ 569 Abs.3 Nr.2 BGB, 543 Abs.2 Nr.3<br />
BGB ausdrücklich geregelt sind, fehlt für die ordentliche Kündigung<br />
nach § 573 Abs.2 Nr.1 BGB eine entsprechende Regelung.<br />
Die Vorschrift weisen zudem große Unterschiede auf. Die außerordentliche<br />
Kündigung setzt einen Verzug des Mieters mit der<br />
Zahlung von mindestens zwei Mietraten voraus. Dagegen verlangt<br />
die ordentliche Kündigung eine nicht unerhebliche schuldhafte<br />
Pflichtverletzung des Mieters. Wegen eines Zahlungsrückstands<br />
kann dem Mieter deshalb nur dann ordentlich gekündigt<br />
werden, wenn er schuldhaft mit den Mietzahlungen in Verzug<br />
geraten ist.<br />
Daher führt die Nachzahlung der Zahlungsrückstände nur dann<br />
zur Unwirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen<br />
Kündigung, wenn der Mieter wegen unvorhergesehener wirtschaftlicher<br />
Engpässe unverschuldet in Zahlungsverzug geraten<br />
ist oder die nachträgliche Zahlung das Fehlverhalten in einem<br />
milderen Licht erscheinen lässt. <strong>Das</strong> Berufungsgericht muss<br />
hierzu weitere Feststellungen treffen. Es muss prüfen, warum<br />
die Beklagte in Zahlungsverzug geraten ist und ob insoweit eine<br />
schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt.<br />
Vermieter müssen durch Mieter verursachte<br />
Schäden am Wohnraum beweisen<br />
BGH 10.11.2004, XII ZR 71/01<br />
Der Mieter ist nicht nach § 542 BGB a.F. zur außerordentlichen<br />
fristlosen Kündigung berechtigt, wenn er die Störung des<br />
vertragsgemäßen Gebrauchs (hier durch einen Wasserschaden)<br />
selbst zu vertreten hat. Ist die Schadensursache zwischen den<br />
Vertragsparteien streitig, trägt der Vermieter die Beweislast<br />
dafür, dass sie dem Obhutsbereich des Mieters entstammt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger hatten an die Beklagte Gewerberäume zum Betrieb<br />
einer Arztpraxis vermietet. Durch einen Wasserschaden entstanden<br />
in dem Mietobjekt erhebliche Schäden, darunter Sch<strong>im</strong>melbildungen<br />
mit einer erheblichen Geruchsbelastung. Die Parteien<br />
stritten um die Ursache des Wasserschadens. Während die<br />
Beklagte behauptete, das Wasser sei von außen in ihre Mieträume<br />
eingedrungen, behaupteten die Kläger, als Schadensursache<br />
komme nur ein Wasseraustritt in den Mieträumen der Beklagten<br />
in Betracht.<br />
Die Beklagte minderte die Miete, kündigte das Mietverhältnis<br />
fristlos und räumte die Mietsache. Die Kläger verlangten daraufhin<br />
von ihr die Zahlung von rückstehendem Mietzins und<br />
begehrten die Feststellung, dass das Mietverhältnis zwischen<br />
den Parteien fortbesteht. Die hierauf gerichtete Klage hatte in<br />
den Vorinstanzen keinen Erfolg. Auf die Revision der Kläger<br />
hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Sache zur<br />
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger können gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />
des rückstehenden Mietzinses haben. Außerdem kann das<br />
Mietverhältnis zwischen den Parteien fortbestehen.<br />
Der Mieter ist nicht zur Mietminderung oder außerordentlichen<br />
fristlosen Kündigung berechtigt, wenn er die Störung des vertragsgemäßen<br />
Gebrauchs der Mietsache selbst zu vertreten hat.<br />
Ist - wie hier - streitig, ob die Feuchtigkeitsschäden ihre Ursache<br />
<strong>im</strong> Verantwortungsbereich des Vermieters oder des Mieters<br />
haben, muss der Vermieter zunächst sämtliche Ursachen ausräumen,<br />
die aus seinem Gefahrenbereich herrühren können. Erst<br />
dann, wenn ihm dieser Beweis gelungen ist, muss der Mieter<br />
beweisen, dass die Feuchtigkeitsschäden nicht aus seinem Verantwortungsbereich<br />
stammen.<br />
<strong>Das</strong> Berufungsgericht hat es <strong>im</strong> Streitfall versäumt, die von den<br />
Klägern für den Ausschluss einer Schadensursache aus ihrem<br />
Gefahrenbereich angebotenen weiteren Beweise zu erheben.<br />
Insbesondere haben die Kläger vorgetragen, dass noch am Schadenstag<br />
selbst alle Leitungen <strong>im</strong> Haus durch die fachkundigen<br />
Zeugen S., K. und O. untersucht worden seien, wobei keine<br />
Schadensursache festgestellt wurde. Wäre dieser Vortrag bewiesen,<br />
stünde fest, dass der Wasserschaden nicht auf einen Wasserrohrbruch<br />
zurückzuführen war.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 8
Wohnungseigentum<br />
Wohnungseigentümer können für dringende<br />
Fälle auch eine Einberufungsfrist von drei<br />
Tagen vereinbaren<br />
BayObLG 15.12.2004, 2Z BR 163/04<br />
Wohnungseigentümer können für Einladungen zu Eigentümerversammlungen<br />
eine verbindliche Einberufungsfrist von<br />
zwei Wochen vereinbaren, die in dringenden Fällen auf drei<br />
Tage abgekürzt werden kann. Ob ein dringender Fall vorliegt,<br />
obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Prüfung und ist<br />
<strong>im</strong> Beschwerdeverfahren nur beschränkt nachprüfbar. Ein<br />
dringender Fall ist etwa zu bejahen, wenn es um die Abbestellung<br />
eines Verwalters geht, der in Kürze sein Amt antreten soll.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragsteller zu 1) bis 4) und die Antragsgegner sind die<br />
Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Nach der Gemeinschaftsordnung<br />
gilt für Einladungen zur Eigentümerversammlung<br />
eine Einberufungsfrist von zwei Wochen. Diese kann in<br />
dringenden Fällen auf drei Tage abgekürzt werden.<br />
Die Wohnanlage wurde bislang von A. verwaltet. Am 24.11.2003<br />
beschloss die Eigentümerversammlung, für die Zeit vom<br />
1.1.2004 bis zum 31.12.2005 B. zur Verwalterin zu bestellen. A.<br />
wollte dies verhindern und lud deshalb mit einem am 8.12.2003<br />
zur Post gegebenen Schreiben zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung<br />
am 18.12.2003 ein. Auf dieser Eigentümerversammlung,<br />
an der zwei der Antragsteller nicht teilnahmen,<br />
hoben die Eigentümer den Beschluss vom 24.11.2003 auf und<br />
bestellten wieder A. zur Verwalterin. Die Bestellung sollte für<br />
die Zeit vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2008 gelten.<br />
Die Antragsteller hielten die Beschlüsse vom 18.12.2003 für<br />
ungültig. Die Versammlung sei zu kurzfristig einberufen worden.<br />
Deshalb hätten zwei der Antragsteller nicht kommen können.<br />
Außerdem verstieße die Bestellungsfrist von fünf Jahren gegen<br />
die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung. <strong>Das</strong> AG gab den<br />
Anträgen statt; das LG wies sie ab. Die hiergegen gerichtete sofortige<br />
weitere Beschwerde der Antragsteller hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beschlüsse vom 18.12.2003 verstoßen nicht gegen die in der<br />
Gemeinschaftsordnung vereinbarte Einberufungsfrist. Nach der<br />
Gemeinschaftsordnung kann die Einberufungsfrist in dringenden<br />
Fällen auf drei Tage verkürzt werden. Ob ein derartiger Eilfall vorliegt,<br />
obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung und ist durch<br />
das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt nachprüfbar.<br />
<strong>Das</strong> LG hat zu Recht einen Eilfall angenommen. Die Eilbedürftigkeit<br />
ergab sich daraus, dass B. schon ab dem 1.1.2004 als Verwalterin<br />
tätig werden sollte. Die Auffassung der Antragsteller zu<br />
1) bis 4), dass am Wochenende vor Weihnachten oder zwischen<br />
dem 27.12.2003 und 30.12.2003 eine Eigentümerversammlung<br />
hätte stattfinden können, erscheint wenig einleuchtend. Es<br />
ist auch nicht ersichtlich, dass die beiden bei der Versammlung<br />
nicht anwesenden Antragsteller wegen der kurzen Einberufungsfrist<br />
an der Teilnahme gehindert waren und bei einer Teilnahme<br />
das Ergebnis tatsächlich beeinflusst hätten.<br />
Der Beschluss verstößt auch nicht wegen der langen Bestellungsfrist<br />
gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung.<br />
Die Wohnungseigentümer dürfen die gesetzlich zulässige Bestellungsfrist<br />
von fünf Jahren voll ausschöpfen.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Wohnungseigentümer-Gemeinschaften dürfen<br />
einzelnen Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung<br />
für die Führung von Prozessen<br />
zahlen<br />
OLG Frankfurt 12.7.2004, 20 W 96/03<br />
Beauftragt die Wohnungseigentümer-Gemeinschaft einzelne<br />
Mitglieder, für alle Eigentümer stellvertretend Prozesse zu führen,<br />
so darf sie diesen Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung für<br />
die Prozessführung zubilligen. <strong>Das</strong> widerspricht selbst dann<br />
nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn<br />
Rechtsanwälte mit der Prozessvertretung beauftragt werden.<br />
Die Aufwandsentschädigung muss allerdings ihrer Höhe nach<br />
angemessen sein.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Eine Wohnungseigentümer-Gemeinschaft beschloss mehrheitlich,<br />
zwei ihrer Mitglieder (Antragsgegner) stellvertretend für<br />
alle Eigentümer mit der Führung von zwei Prozessen zu beauftragen.<br />
Gleichzeitig billigte die Gemeinschaft den beiden eine<br />
Aufwandsentschädigung für die Prozessführung in Höhe von<br />
jeweils rund 6.000 Euro zu.<br />
Die Antragsteller hatten dem Beschluss über die Aufwandsentschädigung<br />
nicht zugest<strong>im</strong>mt. Ihre Anfechtung des Beschlusses<br />
hatte sowohl vor dem AG als auch vor dem LG keinen Erfolg.<br />
Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller hob das<br />
OLG den Beschluss des LG auf und wies die Sache zur erneuten<br />
Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob der<br />
Beschluss der Eigentümer-Gemeinschaft anfechtbar ist. Grundsätzlich<br />
ist es nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinschaft<br />
einzelnen Mitgliedern, die sie mit der Prozessführung für die<br />
Gemeinschaft beauftragt hat, eine Aufwandsentschädigung<br />
zubilligt.<br />
Dies widerspricht selbst dann nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer<br />
Verwaltung <strong>im</strong> Sinn von § 21 Abs.3 WEG, wenn die<br />
mit der Prozessführung beauftragten Mitglieder ihrerseits einen<br />
Rechtsanwalt mit der Prozessführung <strong>im</strong> engeren Sinn beauftragen.<br />
Die Prozessführung der Mitglieder kann auch in diesem<br />
Fall mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden sein.<br />
Da die hierbei zu entfaltende Tätigkeit nicht grundsätzlich zum<br />
Aufgabenbereich von Wohnungseigentümern gehört, kann nicht<br />
erwartet werden, dass die Mitglieder ohne jede Aufwandsentschädigung<br />
tätig werden.<br />
Eine solche Aufwandsentschädigung muss allerdings der Höhe<br />
nach angemessen sein. Hierzu fehlen <strong>im</strong> Streitfall ausreichende<br />
Feststellungen. Bislang steht nicht fest, wie lange die beiden<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 9
Prozesse gedauert haben und in welchem zeitlichen Umfang die<br />
Antragsgegner während des Verfahrens tätig geworden sind.<br />
Außerdem ist unklar, welche Aktivitäten die Antragsteller konkret<br />
entfaltet haben. <strong>Das</strong> LG muss hierzu <strong>im</strong> zweiten Rechtsgang<br />
weitere Feststellungen treffen.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Wohnungseigentümer müssen Gartenhäuschen<br />
nur bei feststellbarer Störung der übrigen<br />
Eigentümer entfernen<br />
LG München I 30.1.2004, 1 T 14169/03<br />
Wohnungseigentümer müssen ein Gartenhaus in ihrer Anlage<br />
grundsätzlich nicht dulden. Gartenhäuschen wirken in der<br />
Regel störend und müssen beseitigt werden, wenn die übrigen<br />
Wohnungseigentümer dies verlangen. Ein Anspruch auf<br />
Beseitigung eines Gartenhauses besteht nur ausnahmsweise nicht,<br />
wenn nach den örtlichen Gegebenheiten keine Beeinträchtigung<br />
der übrigen Wohnungseigentümer feststellbar ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien sind Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Der<br />
Beschwerdegegner bewohnt eine Erdgeschosswohnung und<br />
errichtete ein Gartenhaus in der hinteren Ecke seines Gartens.<br />
Hinter dem Häuschen befinden sich auf einem Nachbargrundstück<br />
verschiedene Bauten, darunter ein Schuppen und ein Fahrradständer.<br />
<strong>Das</strong> Gartenhäuschen ist weder von der Straße noch<br />
vom Eingangsbereich der Anlage aus sichtbar.<br />
Die Eigentümergemeinschaft beschloss mehrheitlich, den<br />
Beschwerdegegner aufzufordern, das Gartenhaus zu entfernen.<br />
Auf dessen Antrag hob das AG den Beschluss der Eigentümerversammlung<br />
auf. Die hiergegen gerichtete Beschwerde eines<br />
Miteigentümers hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> AG hat den Beschluss der Eigentümerversammlung zu<br />
Recht aufgehoben. Zwar müssen Wohnungseigentümer den Bau<br />
eines Gartenhäuschens in ihrer Anlage regelmäßig nicht dulden.<br />
Derartige Bauten wirken regelmäßig störend. Ein Anspruch auf<br />
Beseitigung des störenden Bauwerks besteht aber nicht, wenn<br />
nach den örtlichen Gegebenheiten keine Beeinträchtigung der<br />
übrigen Wohnungseigentümer feststellbar ist.<br />
Im Streitfall werden die Miteigentümer durch das Gartenhäuschen<br />
nicht gestört. Es ist weder von der Straße noch vom Eingangsbereich<br />
der Anlage aus sichtbar. Von den Fenstern der Wohnanlage<br />
zur Gartenseite blickt man nicht nur auf das Gartenhaus, sondern<br />
auch auf den Schuppen und den Fahrradständer des Nachbarhofes.<br />
Angesichts dieser Umgebung wirkt das Gartenhäuschen<br />
optisch nicht nachteilig. Der Hinweis des Beschwerdeführers<br />
auf eine geplante Sanierung des Nachbarhofs ist unbeachtlich.<br />
Für die Beurteilung einer Beeinträchtigung der Miteigentümer<br />
ist der gegenwärtige Zustand ausschlaggebend.<br />
Grundstücksrecht<br />
Günstige Grundstückskäufe nach dem so<br />
genannten „Modrow-Gesetz“ sind wirksam<br />
BGH 17.9.2004, V ZR 339/03<br />
Ostdeutsche, die auf der Grundlage des Gesetzes über den Verkauf<br />
volkseigener Gebäude vom 7.3.1990 („Modrow-Gesetz“)<br />
auch noch nach der Wiedervereinigung günstig Grundstücke<br />
erworben haben, müssen nicht die Differenz zum Verkehrswert<br />
der Grundstücke nachzahlen. Die Kaufverträge sind trotz der<br />
niedrigen Kaufpreise (<strong>im</strong> Streitfall 4.250 DM) nicht sittenwidrig.<br />
Die Behandlung der Kaufverträge nach dem „Modrow-Gesetz“<br />
diente dem legit<strong>im</strong>en Ziel, Ungleichbehandlungen bei der<br />
Bearbeitung der 1990 gestellten Kaufanträge zu beseitigen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die beklagten Eheleute erhielten 1984 durch die Stadt Dresden<br />
(Klägerin) das Nutzungsrecht an einem volkseigenen Grundstück<br />
verliehen und bebauten es mit einem Eigenhe<strong>im</strong>. Noch vor den<br />
ersten freien Wahlen ließ die DDR mit dem Gesetz über den Verkauf<br />
volkseigener Gebäude vom 7.3.1990 („Modrow-Gesetz“) den<br />
Verkauf von Grundstücken zu den damals geltenden sehr niedrigen<br />
Stopp-Preisen zu. Die Beklagten stellten daraufhin - wie tausende<br />
andere Bürger auch - bei dem Rat der Stadt Dresden einen<br />
Kaufantrag, der aber zunächst nicht beschieden wurde.<br />
Mit der Wiedervereinigung am 3.10.1990 wurde das „Modrow-<br />
Gesetz“ außer Kraft gesetzt. Trotzdem bot die Stadt Dresden (nach<br />
rechtskräftiger Abweisung von Rückübertragungsanträgen Dritter)<br />
den Beklagten <strong>im</strong> August 1996 einen Kaufvertrag zu dem Stopp-<br />
Preis von 4.250 DM an. Der Kaufvertrag wurde <strong>im</strong> September 1996<br />
geschlossen und <strong>im</strong> Januar 1998 vollzogen. Seit April 1996 erlaubt<br />
ein Erlass des Sächsischen Innenministeriums den Abschluss solcher<br />
Verträge nur noch bei geordneter Haushaltsführung.<br />
In der Folgezeit überprüfte das Regierungspräsidium in Dresden<br />
diesen und 145 andere Kaufverträge, die die Stadt Dresden<br />
mit Bürgern geschlossen hatte, die einen Kaufantrag nach dem<br />
„Modrow-Gesetz“ gestellt hatten. Im Jahre 2001 beanstandete<br />
das Regierungspräsidium diese Verträge wegen der extrem<br />
niedrigen Preise. Es hält diese Verträge für sittenwidrig und forderte<br />
die Stadt Dresden auf, die Rückabwicklung der Verträge zu<br />
betreiben. Die hierauf gerichtete Musterklage der Stadt Dresden<br />
gegen die Beklagten hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Stadt Dresden hat gegen die Beklagten keinen Anspruch<br />
auf Rückabwicklung des 1996 geschlossenen Kaufvertrags. Der<br />
Vertrag ist wirksam. Er ist nicht an den engeren Maßstäben der<br />
Vorschriften über die Veräußerung kommunalen Vermögens zu<br />
messen. Die Stadt Dresden hat das Grundstück an die Beklagten<br />
auf Grund einer besonderen Verfügungsbefugnis verkauft. In<br />
Ausnutzung dieser Befugnis unterlag sie lediglich dem allgemeinen<br />
Grundsatz, dass der Staat nichts verschenken darf.<br />
Dieser Grundsatz wurde nicht verletzt. Der niedrige Preis ist insbesondere<br />
nicht sittenwidrig. Sittenwidrig ist ein Verkauf erst<br />
dann, wenn der Preisnachlass unter keinem Gesichtspunkt als<br />
durch die Verfolgung legit<strong>im</strong>er öffentlicher Aufgaben gerechtfertigt<br />
angesehen werden kann.<br />
So liegt es hier nicht. Der Verkauf an die Beklagten diente der<br />
Beseitigung der Ungleichbehandlung, die die Beklagten - wie<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 10
viele andere Bürger in den neuen Ländern auch - bei der Behandlung<br />
ihrer Kaufanträge nach dem „Modrow-Gesetz“ erfahren<br />
haben. Diese Anträge wurden nicht nach der Reihenfolge ihres<br />
Eingangs oder nach anderen sachlichen, sondern nach nicht<br />
nachvollziehbaren Kriterien abgearbeitet. Durch den nachträglichen<br />
Verkauf zu den niedrigen Stopp-Preisen wollte die Stadt<br />
Dresden die Gleichbehandlung so weit wie möglich wiederherstellen.<br />
<strong>Das</strong> ist eine legit<strong>im</strong>e öffentliche Aufgabe.<br />
Grundstückseigentümer haften bei Umsturz<br />
eines Grenzbaums grundsätzlich hälftig für<br />
den entstandenen Schaden<br />
BGH 2.7.2004, V ZR 33/04<br />
Grundstückseigentümer sind auch die Eigentümer eines auf<br />
einer Grundstücksgrenze stehenden Baumes. Sie sind daher<br />
verpflichtet, die Standfestigkeit und Gesundheit des Baumes<br />
überprüfen zu lassen. Stürzt ein kranker Baum auf das Haus<br />
eines Nachbarn, haften die Grundstückseigentümer regelmäßig<br />
zu gleichen Teilen für den entstandenen Schaden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien sind (Mit-)Eigentümer benachbarter Grundstücke.<br />
Auf der Grundstücksgrenze stand eine alte Steineiche, die seit<br />
mehreren Jahren eine verringerte Belaubung sowie totes Holz<br />
in der Krone zeigte. Außerdem hatte sich rings um den Stamm<br />
ein Pilz gebildet. Im Jahr 1996 ließ der Ehemann der Beklagten<br />
in dem Teil der Baumkrone, der sich über ihrem Grundstück<br />
befand, das tote Holz fachmännisch entfernen. Weitere Baumpflegemaßnahmen<br />
erfolgten weder auf der Grundstücksseite der<br />
Klägerin noch auf der Seite der Beklagten.<br />
Im Dezember 2001 stürzte die Eiche ohne Sturmeinwirkung um<br />
und beschädigte das Wohnhaus der Klägerin erheblich. Diese<br />
verlangt von der Beklagten Schadensersatz. Sie vertrat die Auffassung,<br />
dass die Beklagte zumindest anteilig für den Baum verkehrssicherungspflichtig<br />
gewesen sei. LG und OLG wiesen die<br />
Schadensersatzklage ab. Die hiergegen gerichtete Revision der<br />
Klägerin hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schadensersatz. Jeder Grundstückseigentümer ist Eigentümer<br />
des Teils des Baumes, der sich auf seinem Grundstück befindet<br />
(vertikal geteiltes Eigentum). Als Eigentümer eines Teils des<br />
Baumes waren die Beklagte und ihr Ehemann für diesen Teil in<br />
demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen<br />
vollständig auf ihrem Grundstück stehenden Baum.<br />
Die Beklagte und ihr Ehemann hätten den Grenzbaum daher<br />
in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall überwachen<br />
und bei Anzeichen für eine besondere Gefahr wie beispielsweise<br />
trockenes Laub, dürre Äste und Pilzbefall untersuchen lassen<br />
müssen. Dabei wäre die mangelnde Standfestigkeit des Baumes<br />
erkannt worden und es hätten rechtzeitig geeignete Maßnahmen<br />
gegen ein plötzliches Umstürzen ergriffen werden können. Da<br />
die Beklagte und ihr Ehemann dies unterlassen haben, sind sie<br />
für die Beschädigung des Nachbargrundstücks verantwortlich.<br />
Die Klägerin trifft allerdings eine Mitverantwortung an dem eingetretenen<br />
Schaden. Auch sie hat dem erkennbaren Krankheits-<br />
zeichen des Baumes keine Beachtung geschenkt. Im Streitfall ist<br />
der beiderseitige Verschuldensanteil der Parteien gleich hoch zu<br />
bewerten, so dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf<br />
Ersatz der Hälfte des ihr entstandenen Schadens hat.<br />
Bau- und<br />
Nachbarschaftsrecht<br />
Zum Ausgleichanspruch von Nachbarn für<br />
Schäden durch umgestürzte Bäume<br />
BGH 17.9.2004, V ZR 230/03<br />
Grundstückseigentümer sind ihren Nachbarn zur Zahlung von<br />
Schadensersatz verpflichtet, wenn ein umgestürzter Baum<br />
Schaden auf dem Grundstück des Nachbarn angerichtet hat.<br />
Dies kann selbst dann gelten, wenn der Grundstückseigentümer<br />
auf Grund naturschutzrechtlicher Belange am Fällen des Baums<br />
gehindert war. Voraussetzung für die Haftung ist in diesem Fall,<br />
dass der Grundstückseigentümer einem geschützten Baum durch<br />
die Rodung anderer Bäume den Windschutz genommen hat.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück der Beklagten<br />
befinden sich naturschutzrechtlich geschützte Bäume, deren<br />
Beseitigung grundsätzlich verboten ist. Im Zuge einer Baugenehmigung<br />
war der Beklagten das Roden eines Teiles des Baumbestandes<br />
gestattet worden. Zwei von den übrig gebliebenen<br />
Bäumen stürzten bei einem Gewittersturm auf das Grundstück<br />
des Klägers und beschädigten dort eine Garage.<br />
Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz.<br />
Sie habe durch die Rodung eines Teils des Baumbestands<br />
das Umstürzen der verbliebenen Bäume und damit den<br />
Schaden verursacht. Die Beklagte berief sich demgegenüber<br />
darauf, dass sie durch naturschutzrechtliche Belange am Fällen<br />
der zwei verbliebenen Bäume gehindert gewesen sei. Die Klage<br />
auf Zahlung von Schadensersatz hatte in den Vorinstanzen<br />
Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil<br />
des OLG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und<br />
Entscheidung an das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte grundsätzlich einen Anspruch<br />
auf Zahlung von Schadensersatz. Der Anspruch ergibt sich aus<br />
§ 906 Abs.2 S.2 BGB. Hiernach hat ein Grundstückseigentümer<br />
gegen den Störer einen Anspruch auf Entschädigung, wenn<br />
sein Grundstück durch unzumutbare Immissionen beeinträchtigt<br />
wird.<br />
Im Streitfall war die Beklagte Störerin <strong>im</strong> Sinn von § 906 Abs.2<br />
S.2 BGB. Dies gilt, obwohl der Gewittersturm die letzte Ursache<br />
des schädigenden Ereignisses war. Die mittelbare, aber adäquat<br />
kausale Ursache für das Umstürzen der Bäume hat die Beklagte<br />
zu verantworten. Sie hat den Baumbestand in der Nähe des<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 11
Hauses des Klägers in einem Maß gerodet, dass kein ausreichender<br />
Windschutz mehr für die noch verbliebenen Bäume bestand.<br />
Ihre Standsicherheit war somit nicht mehr gegeben. Die Klägerin<br />
kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihr das Fällen der<br />
beiden verbliebenen Bäume naturschutzrechtlich verboten war.<br />
Die Störereigenschaft bleibt so lange bestehen, wie der Eigentümer<br />
mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung für die Beseitigung<br />
der Störquelle beantragen kann. Da die Klägerin keinen<br />
Antrag auf Beseitigung der Bäume gestellt hat, ist sie nach wie<br />
vor Störerin.<br />
Die Sache war jedoch wegen einer mangelnden Beweiswürdigung<br />
an das OLG zurückzuverweisen. <strong>Das</strong> Gericht ist nicht hinreichend<br />
auf den Vortrag der Beklagten eingegangen, dass der<br />
Schadensfall auch dann eingetreten wäre, wenn der komplette<br />
Baumbestand noch vorhanden gewesen wäre.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Zur Beachtung der Grenzwerte für Luftschadstoffe<br />
<strong>im</strong> Rahmen von Straßenbauvorhaben<br />
BVerwG 26.5.2004, 9 A 5.03 u.a.<br />
Nach den Vorschriften über die Begrenzung von Luftschadstoffen<br />
dürfen zukünftig best<strong>im</strong>mte Grenzwerte für Luftschadstoffe nicht<br />
überschritten werden. Die Einhaltung der Grenzwerte ist nicht<br />
vorhabenbezogen durch die Planfeststellungsbehörden, sondern<br />
gebietsbezogen durch die Luftreinhaltebehörden sicherzustellen.<br />
Daher muss die Planfeststellungsbehörde bei ihrer Entscheidung<br />
über ein Straßenbauvorhaben die Wahrung der erst künftig<br />
geltenden Grenzwerte <strong>im</strong> Vorgriff auf eine noch ausstehende<br />
Luftreinhalteplanung nicht gewährleisten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
<strong>Das</strong> BVerwG musste über mehrere Klagen gegen den Ausbau<br />
der B 170 in Dresden zu einem vierspurigen Autobahnzubringer<br />
entscheiden. Die Kläger rügten die Nichteinhaltung der europarechtlichen<br />
und mittlerweile auch in deutsches Recht umgesetzten<br />
Vorschriften über die Begrenzung von Luftschadstoffen<br />
durch die Planfeststellungsbehörde. Die Klagen hatten keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Es ist nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, bei jedem<br />
einzelnen Vorhaben die Einhaltung der Luftschadstoff-Grenzwerte<br />
sicherzustellen. Diese Aufgabe weist das Gesetz vielmehr<br />
gebietsbezogen den Luftreinhaltebehörden zu. Nur diese können<br />
<strong>im</strong> Rahmen von Luftreinhalteplänen vielfältige Maßnahmen zur<br />
Schadstoffminderung in einem Gebiet treffen. Daher muss die<br />
Planfeststellungsbehörde bei ihrer Entscheidung über ein Straßenbauvorhaben<br />
die Wahrung der erst künftig geltenden Grenzwerte<br />
<strong>im</strong> Vorgriff auf eine noch ausstehende Luftreinhalteplanung<br />
nicht gewährleisten.<br />
Die Planfeststellungsbehörde muss allerdings bei ihrer Entscheidung<br />
öffentliche Belange beachten. Hierzu gehört auch das Luftreinhalte-Interesse.<br />
Sie handelt daher pflichtwidrig, wenn sie ein<br />
Vorhaben zulässt, obgleich absehbar ist, dass dieses die Möglichkeit<br />
ausschließt, die Einhaltung der Grenzwerte mit den Mitteln<br />
der Luftreinhalteplanung zu sichern.<br />
Im Streitfall ist ein derartiger Abwägungsfehler nicht ersichtlich.<br />
Die Planungsbehörde hat der Bedeutung der Grenzwerte hinreichend<br />
Rechnung getragen, indem sie dem Bauträger aufgegeben<br />
hat, einen die Wahrung der Grenzwerte gewährleistenden Maßnahmenkatalog<br />
vorzulegen.<br />
In einem Mischgebiet müssen die Anwohner<br />
ein Jugendhe<strong>im</strong> in ihrer Nachbarschaft<br />
dulden<br />
VG Koblenz 27.4.2004, 1 K 98/04.KO<br />
Bei einem Jugendhe<strong>im</strong> handelt es sich um eine <strong>im</strong> Mischgebiet<br />
grundsätzlich zulässige Anlage für soziale Zwecke. Die<br />
Errichtung eines Jugendhe<strong>im</strong>s <strong>im</strong> Mischgebiet muss daher<br />
von den Nachbarn grundsätzlich hingenommen werden. <strong>Das</strong><br />
gilt jedenfalls dann, wenn durch Lärmschutz-Auflagen dem<br />
Ruhebedürfnis der Nachbarschaft Rechnung getragen wird.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die beklagte Stadt will in einem Mischgebiet ein Jugendhe<strong>im</strong><br />
errichten. Die beantragte Baugenehmigung wurde von der Kreisverwaltung<br />
unter den Auflagen erteilt, dass Live-Musik nicht<br />
erlaubt ist und das Jugendhe<strong>im</strong> spätestens um 22 Uhr geschlossen<br />
werden muss. Die Kläger wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zu dem geplanten Jugendhe<strong>im</strong>. Sie machten mit ihrer<br />
gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage geltend, dass das<br />
Vorhaben ihnen gegenüber rücksichtslos sei. Die Klage hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> Bauvorhaben darf verwirklicht werden. Bei der Errichtung<br />
eines städtischen Jugendhe<strong>im</strong>es handelt es sich um eine <strong>im</strong><br />
Mischgebiet grundsätzlich zulässige Anlage für soziale Zwecke.<br />
<strong>Das</strong> Vorhaben entspricht auch dem Gebot der Rücksichtnahme.<br />
Die zu erwartenden Lärm<strong>im</strong>missionen stehen dem nicht entgegen.<br />
Solange die Auflagen der Kreisverwaltung eingehalten werden,<br />
ist eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger nicht zu<br />
befürchten. Dabei ist auch zu beachten, dass einem Jugendhaus<br />
eine wichtige soziale Funktion zukommt. Die Stadt kann deshalb<br />
von den Nachbarn ein besonderes Maß an Rücksichtnahme<br />
verlangen.<br />
Zur Wirksamkeit von in Straßenbau-Verträgen<br />
häufig verwendeten Klauseln<br />
BGH 29.4.2004, VII ZR 107/03<br />
In Bauverträgen <strong>im</strong> Straßenbau wird in den Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen häufig eine Klausel verwendet, wonach<br />
der Auftraggeber bei Nichteinhaltung best<strong>im</strong>mter Grenzwerte<br />
Abzüge vornehmen kann. Die Gewährleistungsverpflichtu<br />
ng des Auftragnehmers soll davon unberührt bleiben. Eine<br />
solche Klausel ist wegen unangemessener Benachteiligung des<br />
Werkunternehmers unwirksam.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 12
Der Sachverhalt:<br />
Der BGH musste <strong>im</strong> Rahmen eines Rechtsstreits über Werklohn<br />
für die Herstellung einer Fahrbahn über die Wirksamkeit einer<br />
Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftaggebers<br />
(Bundesrepublik Deutschland) entscheiden. Es handelte<br />
sich um folgende Klausel der „Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen<br />
und Richtlinien für den Bau<br />
von Fahrbahndecken aus Asphalt (ZTV-Asphalt-StB 94)“:<br />
„1.7.4<br />
...Der Auftraggeber kann bei Nichteinhaltung der Grenzwerte für<br />
... Abzüge gemäß Anhang 1 vornehmen. Die Gewährleistungsverpflichtungen<br />
des Auftragnehmers bleiben dabei unberührt.<br />
Für Mängel aus sonstigen Gründen werden in dieser Vorschrift<br />
keine Angaben für Abzüge gemacht. Der Auftragnehmer hat<br />
jedoch Anspruch auf Rückzahlung des auf Grund eines Mangels<br />
abgezogenen Betrages, wenn er diesen Mangel auf Grund seiner<br />
Gewährleistungsverpflichtung beseitigt.“<br />
Der BGH entschied, dass diese Klausel unwirksam ist.<br />
Die Gründe:<br />
Die streitige Klausel ist unwirksam. Sie ist Bestandteil der Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen der Auftraggeberin und hält der<br />
Inhaltskontrolle des § 9 AGBG a.F. (jetzt: § 307 Abs.1 S.1 BGB)<br />
nicht stand, da der Werkunternehmer durch die Vereinbarung<br />
eines von den Gewährleistungsverpflichtungen unabhängigen<br />
Abzugs vom Werklohn unangemessen benachteiligt wird.<br />
KFZ-Recht und Verkehr<br />
Verkäufer eines defekten Autos müssen bei<br />
Selbstreparatur durch den Käufer nur bei<br />
Fristsetzung zur Nacherfüllung die Kosten<br />
tragen<br />
BGH 23.2.2005, VIII ZR 100/04<br />
Autokäufer, die einen Mangel an dem gekauften Fahrzeug<br />
selbst beseitigen, ohne dem Verkäufer eine Frist zur<br />
Nacherfüllung gesetzt zu haben, können vom Verkäufer nicht<br />
die Kosten für die Mängelbeseitigung ersetzt verlangen.<br />
Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung der Mängelrechte<br />
des Käufers durch das Schuldrechtsmodernisierungsgese<br />
tz bewusst von einem Selbstvornahmerecht auf Kosten des<br />
Verkäufers abgesehen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger hatte vom Beklagten, einem Kfz-Händler, einen<br />
EG-Neuwagen zum Preis von 6.700 Euro erworben. Nachdem<br />
das Fahrzeug einen Motorschaden erlitten hatte, ließ der Kläger<br />
den Motor bei einer Vertragshändlerin austauschen. Wegen der<br />
Erstattung der Reparaturkosten wandte sich der Kläger vergeblich<br />
an die deutsche Repräsentantin des Herstellers. Dann forderte<br />
er den Beklagten auf, ihm die Summe zu erstatten. Dies lehnte<br />
der Beklagte ab. Die Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrags<br />
blieb ohne Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />
der Rechnung für den Motoraustausch. Die kaufrechtlichen<br />
Gewährleistungsansprüche nach §§ 437 ff BGB, insbesondere<br />
der Minderungs- und Schadensersatzanspruch des Käufers, setzen<br />
voraus, dass der Käufer dem Verkäufer gemäß § 439 BGB<br />
erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.<br />
Diese Vorgabe hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat den Wagen,<br />
ohne dem Beklagten eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt zu<br />
haben, reparieren lassen.<br />
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung ersparter<br />
Nacherfüllungskosten des Beklagten gemäß § 326 Abs.2 S.2<br />
BGB (analog) in Verbindung mit §§ 326 Abs.4, 346 ff. BGB.<br />
Zwar wird in Teilen des Schrifttums die Auffassung vertreten,<br />
dass einem Käufer ein solcher Erstattungsanspruch auch ohne<br />
Ablauf der Nacherfüllungspflicht zusteht. Dieser Auffassung<br />
ist aber nicht zu folgen. Die §§ 437 ff. BGB enthalten insoweit<br />
abschließende Regelungen. Diese schließen eine Erstattung von<br />
Mängelbeseitigungskosten in Anwendung des § 326 Abs.2 S.2<br />
BGB aus. <strong>Das</strong> Gesetz räumt dem Käufer keinen Aufwendungsersatzanspruch<br />
<strong>im</strong> Fall der Selbstbeseitigung von Mängeln ein.<br />
Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung der Mängelrechte des<br />
Käufers durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bewusst<br />
von einem Selbstvornahmerecht auf Kosten des Verkäufers<br />
abgesehen. Damit wollte er dem Verkäufer die Möglichkeit der<br />
Untersuchung und Beweissicherung belassen. Nach einer vom<br />
Käufer bereits durchgeführten Reparatur verschlechtern sich die<br />
Verteidigungschancen des Verkäufers erheblich.<br />
Bei teilweiser oder nicht fachgerechter<br />
Reparatur an „wertlosen“ Fahrzeugen kann<br />
grundsätzlich nur der Wiederbeschaffungsaufwand<br />
ersetzt werden<br />
BGH 15.2.2005, VI ZR 70/04 u. 172/04<br />
Geschädigte aus einem Verkehrsunfall können die Zahlung<br />
von Reparaturkosten verlangen, die bis zu 30 Prozent über<br />
dem Wiederbeschaffungswert liegen, wenn sie ein besonderes<br />
Interesse an der Reparatur des Fahrzeugs haben. Ein solches<br />
Interesse ist zu bejahen, wenn der Geschädigte die Reparatur<br />
fachgerecht und in einem Unfang durchgeführt hat, wie ihn der<br />
Sachverständige seiner Kostenschätzung zu Grunde gelegt hat.<br />
Repariert der Geschädigte nur teilweise oder nicht fachgerecht,<br />
ist grundsätzlich nur der Wiederbeschaffungsaufwand zu<br />
ersetzen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger verlangten von den beklagten Versicherungen die<br />
Zahlung von Schadensersatz für ihre bei einem Verkehrsunfall<br />
beschädigten Fahrzeuge. Nach der Einschätzung des Gutachters<br />
liegen die Kosten für eine fachgerechte und vollständige Reparatur<br />
jeweils über dem Wiederbeschaffungswert, ohne aber die<br />
Grenze von 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts zu übersteigen.<br />
Die Kläger hatten ihre Fahrzeuge mit einer Teilreparatur in einen<br />
fahrbereiten und verkehrstüchtigen Zustand versetzt. Sie wollten<br />
den Schaden auf der Basis der jeweiligen Sachverständigengut-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 13
achten abrechnen und verlangten Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert<br />
überstiegen. Im Verfahren VI ZR 70/04 hat<br />
das Berufungsgericht Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswerts<br />
zugebilligt. Im Verfahren VI ZR 172/04 hat das<br />
Berufungsgericht hingegen lediglich einen Anspruch auf Ersatz<br />
des Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert<br />
abzüglich des Restwerts) zugesprochen. Die hiergegen gerichteten<br />
Revisionen hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von Reparaturkosten,<br />
die den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Der Wiederbeschaffungswert<br />
bildet grundsätzlich die Obergrenze für den<br />
Schadensersatz. Der Geschädigte kann allerdings dann die Zahlung<br />
von Reparaturkosten verlangen, die bis zu 30 Prozent über<br />
dem Wiederbeschaffungswert liegen, wenn er ein besonderes<br />
Interesse an der Reparatur des Fahrzeugs hat. Ein solches Interesse<br />
ist zu bejahen, wenn der Geschädigte die Reparatur fachgerecht<br />
und in einem Umfang durchgeführt hat, wie ihn der Sachverständige<br />
seiner Kostenschätzung zu Grunde gelegt hat.<br />
Repariert der Geschädigte bei einem den Wiederbeschaffungswert<br />
des Fahrzeugs übersteigenden Schaden nur teilweise oder<br />
nicht fachgerecht, sind Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand<br />
(Wiederbeschaffungswert abzüglich des<br />
Restwerts) des Fahrzeugs liegen, nur dann zu erstatten, wenn<br />
diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der<br />
Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert<br />
hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Ansonsten<br />
ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand<br />
beschränkt.<br />
Zur wirksamen Kündigung eines Kfz-Leasingvertrags<br />
BGH 26.1.2005, VIII ZR 90/04<br />
Leasinggeber können einen Leasingvertrag fristlos kündigen,<br />
wenn der Leasingnehmer mit der Zahlung von zwei<br />
aufeinanderfolgenden Leasingraten in Verzug ist. Die Kündigung<br />
kann der Leasingnehmer nur durch die rechtzeitige und vollständige<br />
Zahlung des rückständigen Betrags abwenden. Voraussetzung für<br />
die Kündigung des Leasinggebers ist zudem, dass er die Kündigung<br />
androht. Die Kündigungsandrohung ist jedoch nur wirksam,<br />
wenn der rückständige Betrag richtig angegeben wird. Fordert<br />
der Leasinggeber einen überhöhten Betrag, ist die Kündigung<br />
unwirksam.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte hatte mit der Klägerin, einer Leasinggesellschaft,<br />
1998 einen Kfz-Leasingvertrag über eine Laufzeit von 42 Monaten<br />
geschlossen. Die monatliche Bruttoleasingrate betrug 791,93<br />
DM (404, 91 Euro). Nachdem der Beklagte mit den Leasingraten<br />
für Januar bis März 2000 in Rückstand geraten war, drohte ihm<br />
die Klägerin mit Schreiben vom 24.3.2000 die fristlose Kündigung<br />
des Leasingvertrags an. In diesem Schreiben forderte sie<br />
zudem die Zahlung von sieben verschiedenen Posten, darunter<br />
beispielsweise Mahngebühren.<br />
Der Beklagte zahlte am 28.3.2000 die März-Rate; weitere<br />
Zahlungen leistete er nicht. Die Klägerin sprach daraufhin am<br />
14.4.2000 die fristlose Kündigung des Leasingvertrags aus. Im<br />
August 2000 ließ sie das Leasingfahrzeug während eines Werkstattaufenthalts<br />
sicherstellen und verwertete es anschließend.<br />
Mit der Klage n<strong>im</strong>mt sie den Beklagten auf Zahlung der rückständigen<br />
Leasingraten für die Monate Januar und Februar 2000<br />
sowie auf Ersatz des Kündigungsschadens in Anspruch, den sie<br />
zuletzt mit 6.274,77 Euro beziffert hat.<br />
<strong>Das</strong> LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Leasingraten<br />
für die Monate Januar und Februar 2000 und wies die weitergehende<br />
Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das OLG der<br />
Klage in vollem Umfang statt. Im Revisionsverfahren hob der<br />
BGH die Vorentscheidung auf und wies die Sache zur erneuten<br />
Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten nicht ohne weiteres einen<br />
Anspruch auf Zahlung der Leasingraten und Ersatz des Kündigungsschadens.<br />
Nach § 12 Abs.1 S.1 Nr.1 VerbrKrG (jetzt: § 498 Abs.1 S.1 Nr.1<br />
BGB) setzt die Kündigung wegen Zahlungsverzugs voraus, dass<br />
der Leasingnehmer mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden<br />
Leasingraten ganz oder teilweise in Verzug ist und sich der<br />
Rückstand - bei einer Vertragslaufzeit von mehr als drei Jahren<br />
- auf mindestens fünf Prozent der Summe der Bruttoleasingraten<br />
beläuft. Im Streitfall war diese Rückstandsquote bei Androhung<br />
der Kündigung zwar erreicht, vor Ausspruch der fristlosen Kündigung<br />
hatte der Beklagte den Rückstand jedoch durch Zahlung<br />
der März-Rate unter die Fünfprozentquote zurückgeführt. <strong>Das</strong><br />
reicht aber nach der herrschenden Meinung nicht aus, um das<br />
Kündigungsrecht des Leasinggebers zu beseitigen. Dies kann<br />
der Leasingnehmer nur durch die rechtzeitige und vollständige<br />
Zahlung des rückständigen Betrags erreichen.<br />
Die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs hängt<br />
aber nach § 12 Abs.1 S.1 Nr.2 VerbrKrG (jetzt: § 498 Abs.1 S.1<br />
Nr.2 BGB) davon ab, dass der Leasinggeber dem Leasingnehmer<br />
unter Androhung der Kündigung erfolglos eine zweiwöchige Frist<br />
zur Zahlung des rückständigen Betrags gesetzt hat. <strong>Das</strong> war hier<br />
zwar mit der Kündigungsandrohung vom 24.3.2000 geschehen. Die<br />
Kündigungsandrohung ist jedoch nur dann wirksam, wenn der rückständige<br />
Betrag vom Leasinggeber richtig angegeben wird. Fordert<br />
der Leasinggeber einen auch nur geringfügig überhöhten Betrag, so<br />
hat dies regelmäßig die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.<br />
Ob die Kündigungsandrohung der Klägerin vom 24.3.2000 diesen<br />
Anforderungen genügt, kann <strong>im</strong> Revisionsverfahren nicht<br />
geklärt werden. Denn in dem Schreiben hat die Klägerin neben<br />
den drei rückständigen Leasingraten weitere sieben Positionen<br />
in Höhe von jeweils 20 DM als „Mahngebühren“ ,“RLS-<br />
Gebühr“ und „Mahnspesen“ aufgeführt, deren Berechtigung<br />
sich weder aus dem Berufungsurteil noch aus den zu den Akten<br />
gelangten Vertragsunterlagen ergab. <strong>Das</strong> OLG muss nun klären,<br />
ob die Klägerin die genannten Beträge als Verzugsschaden vom<br />
Beklagten verlangen kann.<br />
Fahrzeuge einer vorherigen Modellreihe mit<br />
kleinerem Tank sind keine Neuwagen mehr<br />
OLG Köln 18.1.2005, 22 U 180/04<br />
Verkauft ein Kfz-Händler einen Pkw als fabrikneu, weisen<br />
aber Fahrzeuge der aktuellen Modellreihe zum Zeitpunkt des<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 14
Verkaufs einen um rund 50 Prozent größeren Tank auf, ist der<br />
verkaufte Pkw kein Neuwagen mehr. Verweigert der Händler die<br />
Lieferung eines Fahrzeugs mit größerem Tank, kann der Käufer<br />
vom Kaufvertrag zurücktreten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger hatte <strong>im</strong> Juni 2002 bei dem beklagten Automobilhändler<br />
einen „Smart“ als Neuwagen erworben. <strong>Das</strong> Fahrzeug<br />
stammt aus einer bis Mitte Februar 2002 produzierten Modellreihe<br />
und weist einen 22 Liter fassenden Tank auf. Die seit Mitte<br />
Februar 2002 hergestellten Fahrzeuge verfügen dagegen über<br />
einen 33 Liter fassenden Tank. Der Kläger begehrte die Rückabwicklung<br />
des Kaufvertrags, weil es sich bei dem von ihm gekauften<br />
„Smart“ nicht um einen Neuwagen handele. Die hierauf<br />
gerichtete Klage hatte vor dem OLG zum größten Teil Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann vom Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrags<br />
verlangen, weil das Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit<br />
eines Neufahrzeugs hat. Damit liegt ein Sachmangel vor.<br />
Verkauft ein Kfz-Händler einen Pkw als Neuwagen, so liegt darin<br />
die schlüssige Zusicherung, dass das Fahrzeug fabrikneu ist. Fabrikneu<br />
ist ein Pkw aber nur, solange das Modell unverändert weitergebaut<br />
wird. „Unverändert“ bedeutet dabei, dass es keinerlei<br />
Änderungen in der Technik und der Ausstattung aufweist.<br />
Der vom Kläger erworbene „Smart“ war wegen des um rund 50<br />
Prozent vergrößerten Tanks bei den Nachfolgemodellen aber nicht<br />
mehr unverändert.<br />
Da Fahrzeuge mit einem größeren Tank eine deutlich erhöhte<br />
Reichweite haben, handelt es sich um eine für den praktischen<br />
Gebrauch wesentliche Veränderung. Hierauf hätte der Beklagten<br />
den Kläger hinweisen müssen.<br />
Bei einer Rückabwicklung erhält der Kläger den Kaufpreis allerdings<br />
nicht in voller Höhe, sondern nur gemindert um eine Nutzungsentschädigung<br />
für den vorübergehenden Gebrauch des<br />
Pkw zurück. Diese Entschädigung ist mit 0,5 Prozent des Bruttokaufpreises<br />
je gefahrene 1.000 Kilometer zu veranschlagen.<br />
Haftungs- und<br />
Versicherungsrecht<br />
Ärzte müssen über schwerwiegende Nebenwirkungen<br />
von Medikamenten aufklären<br />
BGH 15.3.2005, VI ZR 289/03<br />
Kann die Einnahme eines Medikaments zu schwerwiegenden<br />
Nebenwirkungen führen (hier: Risiko eines Schlaganfalls bei<br />
Einnahme der Anti-Baby-Pille durch Raucherinnen), so dürfen<br />
sich Ärzte nicht auf die Warnhinweise <strong>im</strong> Beipackzettel des<br />
Medikaments verlassen. Sie müssen den Patienten vielmehr<br />
selbst über die mit der Einnahme des Medikaments verbundenen<br />
Risken aufklären. Nur dann können Patienten frei entscheiden,<br />
ob sie dieses Risiko eingehen wollen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die beklagte Gynäkologin verschrieb der damals 30 Jahre alten<br />
Klägerin die Anti-Baby-Pille. Obwohl die Beklagte wusste, dass<br />
die Klägerin rauchte, wies sie nicht auf das Risiko eines Herzinfarkts<br />
oder Schlaganfalls bei Einnahme der Pille durch Raucherinnen<br />
hin.<br />
Der Beipackzettel des Medikaments enthielt allerdings einen<br />
entsprechenden Warnhinweis. Danach bestand für Raucherinnen,<br />
die das Medikament einnahmen, ein erhöhtes Risiko, an<br />
Gefäßveränderungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall<br />
zu erkranken. <strong>Das</strong> Risiko stieg mit zunehmenden Alter und Zigarettenkonsum.<br />
Frauen ab 30 sollten deshalb nicht rauchen, wenn<br />
sie die Pille einnahmen.<br />
Wenige Monate nach Beginn der Einnahme der Pille erlitt die<br />
Klägerin einen Schlaganfall. Nach dem Beweisergebnis ist der<br />
Schlaganfall auf die Einnahme des Medikaments in Verbindung<br />
mit dem rauchen zurückzuführen. Die Klägerin verlangte von<br />
der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung<br />
ihrer ärztlichen Aufklärungspflicht. LG und OLG wiesen<br />
die hierauf gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin<br />
hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur<br />
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin ihre ärztliche Aufklärungspflicht<br />
verletzt. Sie hätte die Klägerin ausdrücklich auf das<br />
erhebliche Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfall bei Einnahme<br />
des Medikaments in Verbindung mit dem Rauchen hinweisen<br />
müssen.<br />
Zumindest bei schwerwiegenden Nebenwirkungen eines Medikaments<br />
dürfen sich Ärzte nicht darauf verlassen, dass ihre Patienten<br />
die Packungsbeilage aufmerksam lesen. In diesem Fall<br />
müssen sie vielmehr selbst auf die möglichen Nebenwirkungen<br />
hinweisen, damit der Patient frei entscheiden kann, ob er dieses<br />
Risiko eingehen oder eventuell seine Lebensgewohnheiten<br />
umstellen will.<br />
Im Streitfall war die Einnahme der Pille für Raucherinnen mit<br />
erheblichen gesundheitlichen Risken verbunden. Die Beklagte<br />
hätte die Klägerin daher ausdrücklich auf die Gefahr eines Herzinfarkts<br />
oder Schlaganfalls hinweisen müssen. Nur dann hätte<br />
die Klägerin ihr Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht wirksam ausüben und<br />
entscheiden können, ob sie das Risiko in Kauf n<strong>im</strong>mt oder entweder<br />
auf die Einnahme die Medikaments oder auf das Rauchen<br />
verzichtet.<br />
Steuerberater müssen nicht auf die Möglichkeit<br />
eines Kirchenaustritts hinweisen<br />
OLG Köln 24.2.2005, 8 U 61/04<br />
Steuerberater müssen ihre Mandanten nicht über die Möglichkeit<br />
eines Kirchenaustritts und die damit verbundene Steuerersparnis<br />
aufklären. Bei einem Kirchenaustritt handelt es sich um eine<br />
höchstpersönliche Gewissensentscheidung des Mandanten,<br />
auf die Dritte keinen Einfluss nehmen dürfen. Die Frage des<br />
Kirchenaustritts wird daher von der Beratungspflicht des<br />
Steuerberaters nicht erfasst.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte<br />
Eheleute. Der beklagte Steuerberater berät die Kläger sowohl <strong>im</strong><br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 15
Hinblick auf ihre private Steuererklärung als auch <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die steuerlichen Angelegenheiten der Firma des Klägers.<br />
Der Beklagte hatte eine Vergleichsberechnung zu den Folgen<br />
einer beabsichtigten Gewinnausschüttung der Firma aufgestellt,<br />
ohne darin die anfallende Kirchensteuer aufzuführen. Als die<br />
Gewinnausschüttung daraufhin realisiert wurde, stellten die Kläger<br />
fest, dass diese - unter anderem <strong>im</strong> Bereich der Kirchensteuer<br />
-eine Steuermehrbelastung <strong>im</strong> Rahmen ihrer privaten Steuerveranlagung<br />
zur Folge hatte.<br />
Die Kläger machten geltend, dass der Beklagte auch auf die mit<br />
der Gewinnausschüttung verbundene Kirchensteuer und auf die<br />
Möglichkeit eines Kirchenaustritts zur Vermeidung dieser steuerlichen<br />
Belastung hätten hinweisen müssen. Indem er dies unterlassen<br />
habe, habe er seine Beratungspflicht verletzt. Sie verlangten<br />
von ihm die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund<br />
40.200 Euro. Die hierauf gerichtete Klage hatte sowohl vor dem<br />
LG als auch vor dem OLG keinen Erfolg. <strong>Das</strong> OLG ließ allerdings<br />
die Revision zum BGH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf<br />
Schadensersatz. Der Beklagte hat mit dem unterlassenen Hinweis<br />
auf die Möglichkeit eines Kirchenaustritts seine den Klägern<br />
gegenüber bestehende Pflicht zur umfassenden Beratung<br />
über vermeidbare Steuerbelastungen nicht verletzt. Bei einem<br />
Kirchenaustritt handelt es sich um eine höchstpersönliche Gewissensentscheidung.<br />
Hierauf dürfen Steuerberater keinen Einfluss<br />
nehmen. Es ist allein Sache des Mandanten, zu entscheiden, ob<br />
er Mitglied der Kirche bleiben will.<br />
Eine Pflichtverletzung des Beklagten kann zwar möglicherweise<br />
darin gesehen werden, dass er in der Vergleichsberechnung<br />
zu den steuerlichen Auswirkungen der Gewinnausschüttung die<br />
hiermit verbundene Kirchensteuerbelastung nicht ausgewiesen<br />
hat. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kläger<br />
haben aber nicht nachgewiesen, dass dieses Versäumnis für den<br />
Eintritt des Schadens ursächlich war.<br />
Den Klägern kommt in dieser Frage keine Beweiserleichterung<br />
zugute. Sie können sich insbesondere nicht auf die Grundsätze<br />
des Anscheinsbeweises berufen. Es gibt keinen allgemeinen<br />
Erfahrungswert, dass Steuerpflichtige sich in einem solchen Fall<br />
bei umfassender Aufklärung für einen Kirchenaustritt entscheiden.<br />
Der Hintergrund:<br />
Anders hat beispielsweise das OLG Düsseldorf (mit Urteil vom<br />
20.12.2002, Az.: 23 U 39/02) entschieden. <strong>Das</strong> OLG Düsseldorf<br />
hatte einem Alleingesellschafter einer GmbH Schadensersatz<br />
zugesprochen, weil er auf Anraten seines Steuerberaters eine<br />
Gewinnausschüttung vorgenommen hatte, ohne vorher über die<br />
Möglichkeit der Steuerersparnis durch einen Kirchenaustritt hingewiesen<br />
worden zu sein.<br />
<strong>Das</strong> OLG Düsseldorf war nicht der Auffassung, dass der höchstpersönliche<br />
Charakter der Entscheidung über den Kirchenaustritt<br />
einer entsprechenden Beratungspflicht entgegensteht. Der Steuerberater<br />
solle schließlich nicht auf diese Gewissensentscheidung<br />
des Mandanten Einfluss nehmen, sondern nur die steuerlichen<br />
Konsequenzen der verschiedenen Handlungsalternativen<br />
aufzeigen.<br />
Der Volltext des Urteils des OLG Düsseldorf ist erhältlich unter<br />
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Deutsche Post AG haftet nur in Höhe des<br />
angegebenen Werts für den Verlust von<br />
Auslandspaketen<br />
BGH 3.3.2005, I ZR 273/02<br />
Die Deutsche Post AG muss bei verloren gegangenen<br />
Wertpaketen für das Ausland - unabhängig davon, wo der<br />
Verlust des Paketes eingetreten ist - nur Schadensersatz in<br />
Höhe des vom Absender angegebenen Werts leisten. <strong>Das</strong> ergibt<br />
sich aus dem internationalen Postpaketübereinkommen, das<br />
für Auslandslieferungen die allgemeinen Haftungsregeln des<br />
Postgesetzes und der §§ 407 ff. HGB verdrängt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
A. gab bei der beklagten Deutschen Post AG ein Wertpaket auf,<br />
das an eine Adresse auf den Bermudas geliefert werden sollte.<br />
<strong>Das</strong> Paket enthielt Schmuck <strong>im</strong> Wert von 5.680 Euro. Bei der<br />
Paketaufgabe gab A. allerdings nur einen Wert von 399 Euro an,<br />
um Porto zu sparen.<br />
<strong>Das</strong> Paket wurde auf dem Transport entwendet. Wo dies geschehen<br />
ist, ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte erstattete<br />
dem A. den von ihm angegebenen Paketwert von 399 Euro.<br />
Darüber hinausgehend Schadensersatzzahlungen lehnte sie unter<br />
Berufung auf das internationale Postpaketübereinkommen ab.<br />
Dieses beschränke die Haftung für den Verlust von Auslandspaketen<br />
auf den von dem Absender angegebenen Wert.<br />
A. hatte die Sendung bei der Klägerin, einem Transportversicherungsunternehmen,<br />
versichert. Die Klägerin erstattete dem A.<br />
die Differenz zwischen dem von der Beklagten ersetzten Betrag<br />
und dem tatsächlichen Wert der Sendung. Aus abgetretenem und<br />
übergegangenem Recht verlangte sie von der Beklagten Schadensersatz<br />
in Höhe des an A. geleisteten Betrags. Die hierauf<br />
gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere<br />
Zahlungen. Die Beklagte hat ihrer Pflicht zur Zahlung von<br />
Schadensersatz für den Verlust des Pakets bereits durch den<br />
Ersatz des angegebenen Werts erfüllt. Zu weiteren Ersatzleistungen<br />
ist sie nach dem internationalen Postpaketübereinkommen<br />
(PPÜ) nicht verpflichtet.<br />
Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde sowohl von den Bermudas<br />
als auch von Deutschland unterzeichnet. Nach Art. 26 Nr.3.1.<br />
PPÜ 1994 ist die Haftung für Auslandslieferungen auf die<br />
Wertangabe des Absenders beschränkt. Art. 26 Nr.3.1. PPÜ 1994<br />
verdrängt die für Inlandspakete und den Transport von Auslandspaketen<br />
durch andere Kurierdienste geltenden Regelungen des<br />
Postgesetzes in Verbindung mit den §§ 407 ff. HGB . <strong>Das</strong> ergibt<br />
sich aus § 3 Postgesetz, wonach dieses nur insoweit Anwendung<br />
findet, als völkerrechtliche Verträge nichts anderes best<strong>im</strong>men.<br />
Gegen die Anwendung von Art. 26 Nr.3.1. PPÜ 1994 bestehen<br />
auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Haftungsbegrenzung<br />
verstößt weder gegen das in Art. 3 Abs.1 GG geregelte<br />
Willkürverbot noch gegen den EG-Vertrag.<br />
Die Haftungsbeschränkung gilt zwar nur für Auslandspakete,<br />
die durch die Post oder andere nach Art. 3 Abs.2 WPVG in die<br />
Rechte und Pflichten einer Postverwaltung eingetretenen Unternehmen<br />
befördert werden. Die Ungleichbehandlung ist aber auf<br />
Grund des mit der Haftungsbeschränkung verfolgten Zwecks, für<br />
den Transport von Briefen eine Grundversorgung mit best<strong>im</strong>mter<br />
Qualität zu einem erschwinglichen Preis zu gewährleisten,<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 16
gerechtfertigt. Diesem Zweck trägt die Klägerin dadurch Rechnung,<br />
dass sie den Beförderungspreis für Auslandspakete von<br />
dem angegebenen Wert abhängig macht.<br />
Zur Reichweite einer Einwilligungserklärung<br />
in eine Operation<br />
LG München I 4.8.2004, 9 O 12563/02<br />
Die Einwilligung in eine Unterleibsoperation zur Entfernung<br />
eines Eierstocks reicht grundsätzlich nicht so weit, dass die<br />
betroffene Frau auch mit einer Entfernung ihrer Gebärmutter<br />
einverstanden ist. Führt der Arzt die so genannte Total-Operation<br />
dennoch durch, kann er zur Zahlung von Schmerzensgeld<br />
verpflichtet sein.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin litt an einer Zyste am rechten Eierstock. Sie hatte<br />
sich deswegen einer Operation unterzogen und zuvor ein Formblatt<br />
zur „Einwilligung zur Operation“ unterschrieben. Hierin<br />
erklärte sie sich mit einer Entfernung der Zyste und des rechten<br />
Eierstocks einverstanden. Außerdem willigte sie unter der Voraussetzung,<br />
dass ein bösartiger Tumor vorliegt, in die Entfernung<br />
des linken Eierstocks und der Gebärmutter ein.<br />
Der Beklagte operierte die Klägerin und entfernte beide Einerstöcke<br />
und die Gebärmutter. Da während der Operation nicht sicher<br />
festgestanden habe, dass nicht doch ein bösartiger Tumor vorlag,<br />
sei die komplette Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter<br />
notwendig gewesen. Die Klägerin vertrat demgegenüber<br />
die Auffassung, dass die „Total-Operation“ nicht nötig gewesen<br />
sei. Sie leide seit der Operation unter Beschwerden, wie Blasenentzündung,<br />
Kräftemangel und einem Bandscheibenvorfall. Sie<br />
verlangte daher vom Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld<br />
in Höhe von rund 41.000 Euro. Ihre hierauf gerichtete Klage<br />
hatte nur teilweise Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro. Die Einwilligung<br />
der Klägerin in die Operation umfasste nicht die komplette<br />
Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Zwar ist es<br />
noch hinnehmbar, dass der Beklagte aus Sorge um die Patientin<br />
den linken Eierstock entfernte, um ihn als mögliche Quelle des<br />
vermuteten bösartigen Tumors zu untersuchen. Die Entfernung<br />
der Gebärmutter ist jedoch nicht mehr von der Einwilligung der<br />
Klägerin gedeckt. Wäre in den Nachuntersuchungen ein bösartiger<br />
Tumor bei der Klägerin festgestellt worden, hätten später<br />
das so genannte große Netz und die Lymphknoten entfernt werden<br />
müssen. Hierbei hätte die Gebärmutter <strong>im</strong>mer noch entfernt<br />
werden können.<br />
Die Klägein kann jedoch nur die Zahlung von 10.000 Euro verlangen.<br />
Die von ihr geltend gemachten Beschwerden stehen<br />
nach der Überzeugung des Gerichts nicht mit der Operation in<br />
Zusammenhang.<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Untreue des „angeheirateten“ Ehegatten<br />
berechtigt Verwandte regelmäßig nicht zum<br />
Widerruf einer Schenkung<br />
OLG Düsseldorf 5.10.2004, I-24 U 83/04<br />
Verwandte können eine Schenkung an ein Ehepaar bei Untreue<br />
des „angeheirateten“ Ehepartners regelmäßig nicht wegen<br />
groben Undanks widerrufen. Derartige Eheverfehlungen stellen<br />
nur unter besonderen Umständen einen Widerrufsgrund <strong>im</strong> Sinn<br />
von § 530 Abs.1 BGB dar. Dies kann etwa bei einer evident<br />
einseitigen Abkehr eines Ehegatten aus einer bis dahin intakten<br />
Ehe der Fall sein. Eine bloße Untreue reicht hingegen nicht aus.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte war seit 1992 mit dem Sohn der Klägerin verheiratet.<br />
Sie wurde während der Ehe von einem anderen Mann<br />
schwanger. Der Kinderwunsch der Eheleute ging hingegen nicht<br />
in Erfüllung, was vermehrt zu Spannungen führte. Die Beklagte,<br />
die hiervon Kenntnis hatte, gewährte dem Ehepaar 1994 eine<br />
finanzielle Unterstützung für den Kauf eines Pkw und 1998 für<br />
die Renovierung des von dem Paar angemieteten Hauses. Ende<br />
2002 wurde die Ehe geschieden. Die Beklagte blieb in dem Haus<br />
wohnen und behielt das Auto.<br />
Die Beklagte widerrief gegenüber der Beklagten die Geldschenkungen<br />
für das Auto und das Haus wegen groben Undanks und<br />
verlangte die Rückzahlung des gesamten Betrages. Die hierauf<br />
gerichtete Klage hatte sowohl vor dem LG als auch vor dem<br />
OLG keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung<br />
des Geldbetrags, den sie der Klägerin und ihrem Sohn<br />
zu Ehezeiten geschenkt hat. Sie kann die Schenkung gegenüber<br />
der Klägerin insbesondere nicht gemäß § 530 Abs.1 BGB wegen<br />
groben Undanks widerrufen.<br />
Die eheliche Untreue stellt nur unter besonderen Bedingungen<br />
eine „schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen<br />
Angehörigen des Schenkers“ <strong>im</strong> Sinn von § 530 Abs.1 BGB<br />
dar. Derartige besondere Bedingungen können etwa bei einer<br />
evident einseitigen Abkehr eines Ehegatten aus einer bis dahin<br />
intakten Ehe vorliegen. Die <strong>im</strong> Streitfall gegebene bloße Untreue<br />
der Beklagten reicht hierfür hingegen nicht aus. Ein erschwerender<br />
Umstand ist auch nicht darin zu sehen, dass die Untreue <strong>im</strong><br />
Streitfall eine Schwangerschaft zur Folge hatte.<br />
Ein Anspruch auf Rückzahlung des geschenkten Betrags ergibt<br />
sich auch nicht aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dabei<br />
kann dahinstehen, ob der Bestand der Ehe zwischen der Klägerin<br />
und dem Sohn der Beklagten wesentliche Geschäftsgrundlage für<br />
die Schenkung war. Ein Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte<br />
ist jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Schenkung nicht<br />
ehe-, sondern familienbezogen erfolgte. Der geschenkte Betrag<br />
sollte der gesamten Familien zugute kommen. Diesen Zweck hat<br />
die Schenkung auch erreicht, weil die gesamte Familie Auto und<br />
Haus mehrere Jahre lang genutzt hat.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 17
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Unterhaltschuldner können zur Einleitung<br />
eines Verbraucher-Insolvenzverfahrens verpflichtet<br />
sein<br />
BGH 23.2.2005, XII ZR 114/03<br />
Ein Unterhaltschuldner ist zur Einleitung eines Verbraucherinso<br />
lvenzverfahrens verpflichtet, wenn dieses Verfahren geeignet ist,<br />
den laufenden Unterhaltsansprüchen seiner Kinder Vorrang vor<br />
sonstigen Verbindlichkeiten zu verschaffen. Etwas anderes gilt,<br />
wenn der Unterhaltsschuldner Umstände vorträgt und beweist,<br />
die die Einleitung des Insolvenzverfahrens <strong>im</strong> Einzelfall als<br />
unzumutbar erscheinen lassen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien streiten um Unterhaltsansprüche. Der Unterhaltsschuldner<br />
vertrat die Auffassung, dass er nicht verpflichtet sei,<br />
den laufenden Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder<br />
durch Einleitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens Vorrang<br />
vor sonstigen Verbindlichkeiten zu verschaffen. Der BGH<br />
entschied, dass den Schuldner eine Obliegenheit zur Einleitung<br />
eines Verbraucherinsolvenzverfahrens treffen kann.<br />
Die Gründe:<br />
Der Unterhaltschuldner muss ein Verbraucherinsolvenzverfahren<br />
einleiten, wenn dieses Verfahren geeignet ist, den laufenden<br />
Unterhaltsansprüchen seiner Kinder Vorrang vor sonstigen Verbindlichkeiten<br />
zu verschaffen. Denn seit der Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens<br />
ist es für den Unterhaltsschuldner<br />
möglich, den ungeschmälerten Unterhalt zu zahlen und zugleich<br />
nach Ablauf von sechs Jahren seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
die Befreiung von seinen Schulden zu erreichen. Damit<br />
besteht auch nicht mehr die Gefahr, dass sich der Unterhaltsschuldner<br />
durch die Unterhaltszahlungen <strong>im</strong>mer tiefer verschuldet.<br />
Der Unterhaltsschuldner ist lediglich dann nicht zur Einleitung<br />
des Insolvenzverfahrens verpflichtet, wenn er Umstände vorträgt<br />
und beweist, die die Einleitung der Insolvenz <strong>im</strong> Einzelfall als<br />
unzumutbar erscheinen lassen.<br />
Mutmaßliche Väter können nicht zur Mitwirkung<br />
an einem Vaterschaftstest gezwungen<br />
werden<br />
OLG Zweibrücken 7.10.2004, 2 WF 159/04<br />
Ein mutmaßlicher leiblicher Vater kann nicht gezwungen<br />
werden, sich einem Vaterschaftstest zu unterziehen. Es besteht<br />
kein durchsetzbarer Anspruch auf Mitwirkung an der Erstellung<br />
des Gutachtens, da der mutmaßliche Vater autonom darüber<br />
entscheiden kann, wann und innerhalb welcher Grenzen er<br />
persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller begehrte die Feststellung, dass der Antragsgegner<br />
sein leiblicher Vater ist. Seine hierauf gerichtete Klage<br />
hatte vor dem AG keinen Erfolg.<br />
Später wollte der Antragsteller die Sache mittels eines Restitutionsklage<br />
erneut aufrollen und verlangte vom Antragsgegner,<br />
an der Erstellung eines Abstammungsgutachtens mitzuwirken.<br />
Dazu müsse er sich einem Vaterschaftstest unterziehen. Für den<br />
bevorstehenden Prozess beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe.<br />
Der Antrag hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Antragsteller kann keine Prozesskostenhilfe beanspruchen,<br />
da seine Restitutionsklage keine Aussicht auf Erfolg hat. Der<br />
Antragsteller hat keinen durchsetzbaren Anspruch gegen den<br />
Antragsgegner auf Mitwirkung an der Erstellung eines neuen<br />
Vaterschaftsgutachtens.<br />
Der Antragsgegner hat ein Recht auf Selbstbest<strong>im</strong>mung. Er kann<br />
autonom entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen<br />
er persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte. Damit<br />
obliegt ihm auch die Verfügungsgewalt über die Preisgabe seiner<br />
genetischen Daten. Er kann daher nicht gegen seinen Willen<br />
zur Abgabe von Genmaterial gezwungen werden. <strong>Das</strong> mit<br />
diesem Grundrecht der informationellen Selbstbest<strong>im</strong>mung kollidierende<br />
Grundrecht des anderen Teils auf Kenntnis über die<br />
Vaterschaft beziehungsweise die Abstammung hat grundsätzlich<br />
keinen Vorrang.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
<strong>Das</strong> Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht ausländischer<br />
Eltern kann bei drohender<br />
Beschneidung ihrer Tochter beschränkt<br />
werden<br />
BGH 15.12.2004, XII ZB 166/03<br />
Droht einem Mädchen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland der Eltern (hier: Gambia)<br />
die Beschneidung, so kann das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />
der in Deutschland lebenden Eltern dahingehend eingeschränkt<br />
werden, dass sie ihre Tochter nicht in ihr He<strong>im</strong>atland bringen<br />
dürfen. Die Beschneidung eines Mädchens stellt eine grausame,<br />
folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung<br />
dar, die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beschwerdeführerin und ihre 1998 geborene Tochter stammen<br />
aus Gambia. Sie leben inzwischen in Deutschland, weil die<br />
Mutter einen deutschen Mann geheiratet hat. Sie will sich in<br />
Deutschland zur Altenpflegerin ausbilden lassen und beabsichtigt,<br />
ihre Tochter zu ihrer Familie nach Gambia zurückbringen<br />
zu lassen.<br />
Auf Antrag des Jugendamts entzog das AG der Mutter das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />
für ihre Tochter und ordnete insoweit<br />
die Pflegschaft des Jugendamts an. Dieses brachte das Kind in<br />
einer Pflegfamilie unter. Auf die hiergegen gerichtete Beschwer-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 18
de der Mutter gab das OLG ihr das Kind zurück und schränkte<br />
ihr Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht lediglich dahingehend ein,<br />
dass sie das Kind nicht nach Gambia bringen dürfe.<br />
Hiergegen legten sowohl die Mutter als auch das Jugendamt<br />
Rechtsbeschwerde ein. Die Mutter, die selbst als Kind beschnitten<br />
worden ist, argumentierte, dass ihrem Kind in Gambia keine<br />
Beschneidung drohe. Es solle bei seiner Großmutter untergebracht<br />
werden, die selbst nicht beschnitten sei und diesen Brauch<br />
ablehne. Der Mann ihrer Großmutter gehöre zudem einem<br />
Stamm an, in dem Beschneidungen nicht mehr vorgenommen<br />
würden.<br />
<strong>Das</strong> Jugendamt machte dagegen geltend, dass ein teilweiser Entzug<br />
des Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht zum Schutz des Kindes<br />
nicht ausreiche. Es bestehe die Gefahr, dass das Kind durch Dritte<br />
über einen Mitgliedstaat der EU mittels eines Ersatzpasses<br />
nach Gambia gebracht werde. Der BGH bestätigte <strong>im</strong> Grundsatz<br />
die Entscheidung des OLG. Es wies den Rechtsstreit aber an das<br />
OLG zurück, damit dieses prüfen kann, ob weitere Maßnahme<br />
zum Schutz des Mädchens erforderlich sind.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beschneidung von Mädchen stellt eine grausame, folgenschwere<br />
und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung dar,<br />
die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist. AG und OLG<br />
haben zu Recht entschieden, dass dem Kind der Beschwerdeführerin<br />
in Gambia eine Beschneidung droht. Die Tradition der<br />
Beschneidung ist in Gambia tief verwurzelt. 80 bis 90 Prozent<br />
der weiblichen Bevölkerung sind beschnitten.<br />
Die Großmutter des Kindes konnte ihre eigene Tochter nicht vor<br />
dieser Verstümmelung bewahren. Deshalb ist zu befürchten, dass<br />
sie dies auch bei ihrer Enkelin nicht verhindern kann. Die angeordnete<br />
teilweise Entziehung des Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrechts<br />
ist deshalb ein gebotener, aber auch verhältnismäßiger Eingriff<br />
in das Elternrecht, um das Kind vor einem irreparablen physischen<br />
und psychischen Schaden zu bewahren.<br />
<strong>Das</strong> Jugendamt hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass<br />
die Gefahr besteht, dass die Beschwerdeführerin das Kind über<br />
einen anderen EU-Staat mittels eines Ersatzpasses nach Gambia<br />
bringen lässt. Der Rechtsstreit war deshalb an das OLG zurückzuverweisen.<br />
Dieses muss prüfen, ob zum Schutz des Kindes<br />
weitere Maßnahmen, wie etwa eine beaufsichtigende Pflegschaft<br />
des Jugendamtes, geboten sind.<br />
Arbeitsrecht<br />
Altersteilzeitbeschäftigte in der Freistellungsphase<br />
haben keinen Anspruch auf<br />
Urlaubsabgeltung<br />
BAG 15.3.2005, 9 AZR 143/04<br />
Altersteilzeitbeschäftigte <strong>im</strong> „Blockmodell“ müssen ihren<br />
Urlaub möglichst bis zum Ende der Arbeitsphase nehmen.<br />
Anderenfalls verfällt der Urlaubsanspruch ersatzlos. Ein<br />
Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht nach § 7 Abs.4 BUrlG<br />
nur, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
nicht gewährt werden kann. Diese Voraussetzung ist bei einem bis<br />
zum Ende der Arbeitsphase nicht gewährten Urlaub nicht erfüllt,<br />
da das Arbeitsverhältnis mit Beginn der Freistellungsphase noch<br />
nicht beendet wird.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin war als Sachbearbeiterin bei der beklagten Universität<br />
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der Bundesangestelltentarifvertrag<br />
(BAT) und der Tarifvertrag zur Regelung<br />
der Altersteilzeit Anwendung. Die Parteien vereinbarten ein<br />
Altersteilzeitverhältnis <strong>im</strong> so genannten „Blockmodell“. Hierbei<br />
schließt sich an eine Arbeitsphase mit voller Arbeitszeit und verringerten<br />
Bezügen eine Freistellungsphase unter Weiterzahlung<br />
der Bezüge an.<br />
Wenige Monate vor Ablauf der Arbeitsphase erkrankte die Klägerin.<br />
Die Krankheit dauerte bis zum Beginn der Freistellungsphase<br />
an, so dass die Klägerin in der Arbeitsphase ihren Resturlaub<br />
nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Sie verlangte<br />
deshalb von der Beklagten die Abgeltung des Resturlaubs. Ihre<br />
hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf<br />
Abgeltung des bis zum Ende der Arbeitsphase nicht in Anspruch<br />
genommenen Resturlaubs.<br />
Nach § 7 Abs.4 BUrlG muss der Arbeitgeber nicht genommenen<br />
Urlaub nur dann abgelten, wenn der Urlaub wegen Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden konnte. Diese<br />
Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin konnte den<br />
Urlaub nur deshalb nicht mehr nehmen, weil sie sich bereits in<br />
der Freistellungsphase befand. Der Beginn der Freistellungsphase<br />
ist aber keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses <strong>im</strong> Sinn<br />
von § 7 Abs.4 BAT.<br />
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem BAT oder dem<br />
Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit. § 51 BAT stellt für<br />
den Anspruch auf Urlaubsabgeltung ebenso wie § 7 Abs.4 BUrlG<br />
auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab.<br />
Hierin liegt keine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.<br />
Zwar werden Altersteilzeitbeschäftigte<br />
<strong>im</strong> „Blockmodell“ anders behandelt als Altersteilzeitbeschäftigte,<br />
die durchgehend mit verringerter Arbeitszeit weiterarbeiten.<br />
Denn diese können bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
für Urlaub von der Arbeitspflicht freigestellt werden. Diese<br />
Ungleichbehandlung ist aber sachlich gerechtfertigt.<br />
Arbeitgeber müssen nach Verschmelzung<br />
mehrerer Betriebe nicht allen Arbeitnehmern<br />
den gleichen Lohn zahlen<br />
LAG Schleswig-Holstein 26.8.2004, 3 Sa 189/04<br />
Nach einer Betriebsverschmelzung dürfen Arbeitgeber die<br />
Arbeitnehmer weiterhin nach den <strong>im</strong> jeweiligen Ursprungsbetrieb<br />
geltenden Regelungen vergüten. Dies kann zwar zu einer<br />
unterschiedlich hohen Vergütung für gleiche Arbeitsleistungen<br />
führen. Die Ungleichbehandlung ist aber wegen der in den §§<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 19
613a BGB, 324 UmwG vorgeschriebene Besitzstandswahrung<br />
sachlich gerechtfertigt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte ist ein Zusammenschluss von fünf ehemaligen Einzelgewerkschaften.<br />
Sie bezahlt ihre Mitarbeiter weiterhin nach<br />
den in den jeweiligen Einzelgewerkschaften geltenden Vergütungsordnungen.<br />
Der Kläger ist als Gewerkschaftssekretär bei der Beklagten<br />
angestellt. Er verlangte, genauso gut bezahlt zu werden wie die<br />
Gewerkschaftssekretäre der ehemaligen H. Es stelle eine Verletzung<br />
des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes dar,<br />
wenn Arbeitnehmer eines Unternehmens für die gleiche Arbeit<br />
unterschiedlich hoch entlohnt würden. Seine Zahlungsklage hatte<br />
sowohl vor dem ArbG als auch vor dem LAG keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die<br />
begehrte Gehaltserhöhung. Die Beklagte verletzt mit der weiteren<br />
Anwendung der Vergütungsregelungen der ehemaligen<br />
Einzelgewerkschaften nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz.<br />
Dieser verbietet nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner<br />
Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe und eine sachfremde<br />
Gruppenbildung.<br />
Für den Fall der Betriebsübernahme nach § 613a BGB ist bereits<br />
höchstrichterlich entschieden, dass ein Arbeitgeber den übernommenen<br />
Arbeitnehmern Weihnachtsgeld nach der in dem<br />
früheren Betrieb geltenden Ordnung zahlen darf. Die Besitzstandswahrung<br />
ist ein allgemein anerkanntes Regelungsziel <strong>im</strong><br />
Arbeitsleben. Sie beinhaltet sachlogisch die Möglichkeit, dass<br />
die übernommenen Mitarbeiter anders vergütet werden als die<br />
Stammbelegschaft.<br />
Diese Grundsätze gelten auch bei einer Betriebsverschmelzung.<br />
Die Beklagte war nach den §§ 324 UmwG, 613a BGB verpflichtet,<br />
den Besitzstand der Arbeitnehmer der ehemaligen Einzelgewerkschaften<br />
zu wahren. Die gesetzlich vorgeschriebene Besitzstandswahrung<br />
ist ein sachlicher Differenzierungsgrund für die<br />
Ungleichbehandlung.<br />
Einkommen eines getrennt lebenden Ehegatten<br />
darf nicht auf Arbeitslosenhilfe angerechnet<br />
werden<br />
LSG Rheinland-Pfalz 27.1.2005, L 1 AL 156/04<br />
Bei getrennt lebenden Ehegatten ist eine Anrechnung des<br />
Vermögens des einen Ehegatten auf den Arbeitslosenhilfe-<br />
Anspruch des anderen nicht gerechtfertigt. In diesem Fall<br />
fehlt es an der zum Wesen der Ehe gehörenden Lebens- und<br />
Wirtschaftgemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird nicht nur<br />
durch eine offizielle Trennung des Paares aufgehoben, sondern<br />
auch, wenn einer der beiden wegen einer schweren geistigen<br />
Erkrankung keine eheliche Gemeinschaft mehr führen kann.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Ehemann der arbeitslosen Klägerin ist wegen einer Alzhe<strong>im</strong>er-Erkrankung<br />
<strong>im</strong> Endstadium schon seit mehreren Jahren in<br />
einem Pflegehe<strong>im</strong> untergebracht. Die Arbeitsverwaltung weigerte<br />
sich, an die Klägerin Arbeitslosenhilfe auszuzahlen, da sie sich<br />
die Rente ihres Ehemanns anrechnen lassen müsse. Die hiergegen<br />
gerichtete Klage hatte sowohl vor dem SG als auch vor dem<br />
LSG Erfolg. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache<br />
ließ das LSG allerdings die Revision zum BSG zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung<br />
von Arbeitslosenhilfe (jetzt: Arbeitslosengeld II). Die<br />
Beklagte durfte die Rente des Ehemannes der Klägerin nicht auf<br />
deren Arbeitslosenhilfe-Anspruch anrechnen.<br />
Eheleute müssen sich bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe<br />
zwar grundsätzlich das Vermögen ihres Partners anrechnen lassen.<br />
Die Anrechnung ist aber nicht mehr zulässig, wenn sich das<br />
Ehepaar getrennt hat. Grund für die Anrechnung ist, dass Eheleute<br />
eine Lebens- und Wirtschaftgemeinschaft bilden. Trennen<br />
sie sich, so wird auch die Wirtschaftsgemeinschaft aufgehoben,<br />
so dass die Anrechnung nicht mehr gerechtfertigt ist.<br />
Die Klägerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Maßgeblich<br />
hierfür ist nicht die räumliche Trennung von ihrem Mann, sondern<br />
der Umstand, dass dieser wegen seiner schweren Erkrankung<br />
keine eheliche Gemeinschaft mehr führen kann. Zur ehelichen<br />
Gemeinschaft gehört auch die geistige Gemeinschaft der<br />
Eheleute und die Fähigkeit, das gemeinsame Leben zumindest<br />
in einem best<strong>im</strong>mten Umfang mitzuprägen. Hierzu ist der Ehemann<br />
der Klägerin schon seit Jahren nicht mehr in der Lage.<br />
Arbeitgeber können überzahltes Gehalt<br />
grundsätzlich nur innerhalb der tariflichen<br />
Ausschlussfrist zurückfordern<br />
BAG 10.3.2005, 6 AZR 217/04<br />
Arbeitgeber, die einem Arbeitnehmer über einen längeren<br />
Zeitraum zu viel Gehalt gezahlt haben, können den überzahlten<br />
Betrag grundsätzlich nur innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist<br />
zurückfordern. <strong>Das</strong> kann selbst dann gelten, wenn der<br />
Arbeitnehmer Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung hatte. Seine<br />
Berufung auf die Ausschlussfrist ist dennoch nicht treuwidrig,<br />
wenn der Arbeitgeber trotz Kenntnis vom Sachverhalt mehrere<br />
Monate abwartet, bevor er den zu viel gezahlten Betrag<br />
zurückfordert.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte war bei dem klagenden Land zunächst als vollzeitbeschäftigte<br />
Schreibkraft eingestellt. Auf das Arbeitsverhältnis<br />
findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.<br />
Nach Ablauf des Erziehungsurlaubs der Beklagten vereinbarten<br />
die Parteien mit Wirkung zum 11.12.1990 eine Halbierung der<br />
Arbeitszeit der Beklagten auf 19,25 Stunden.<br />
Obwohl das Landesamt für Besoldung unverzüglich über die<br />
Arbeitszeitverringerung informiert worden war, zahlte es der<br />
Beklagten weiterhin die für Vollzeitbeschäftigte festgelegte Vergütung<br />
aus. Die Beschäftigungsstelle der Beklagten bemerkte<br />
den Irrtum erst am 6.10.2001 und informierte am 6.12.2001 das<br />
für die Rückforderung zuständige Landesamt für Besoldung.<br />
Mit Bescheid vom 27.2.2002 verlangte das Landesamt für<br />
Besoldung von der Beklagten die Rückzahlung des von Dezember<br />
1990 bis August 2001 zu viel gezahlten Gehalts (in Höhe von<br />
rund 114.000 Euro). Die Beklagte machte dagegen geltend, dass<br />
die Rückzahlungsansprüche wegen Nichteinhaltung der Sechs-<br />
Monats-Frist des § 70 BAT verfallen seien. Hierauf könne sie<br />
sich auch berufen, da sie die Überzahlung nicht bemerkt habe.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 20
<strong>Das</strong> ArbG gab der auf Rückzahlung des überzahlten Gehalts<br />
gerichteten Klage statt; das LAG wies sie ab. Die hiergegen<br />
gerichtete Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung<br />
ist nach § 70 BAT verfallen. Hiernach müssen Ansprüche<br />
aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von<br />
sechs Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden.<br />
Der Kläger hatte von Anfang an Kenntnis von der Arbeitszeitreduzierung<br />
der Beklagten. Sein Anspruch auf Rückzahlung<br />
des überzahlten Betrags ist deshalb bereits mit der jeweiligen<br />
Gehaltszahlung am 15. eines jeden Monats entstanden und fällig<br />
geworden. Da er erstmals am 27.2.2002 die Rückzahlung der bis<br />
August 2001 zu viel ausgezahlten Beträgen verlangt hat, sind die<br />
Ansprüche insgesamt verfallen.<br />
Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 70<br />
BAT ist auch nicht treuwidrig. Dabei kann dahinstehen, ob und<br />
gegebenenfalls seit wann sie positive Kenntnis von den Gehaltsüberzahlungen<br />
hatte und ob sie den Kläger hierauf hätte hinweisen<br />
müssen. Die Berufung auf die Ausschlussfrist ist jedenfalls<br />
dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitgeber trotz<br />
Kenntnis des Sachverhalts über einen längeren Zeitraum von der<br />
Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs absieht. Dies war<br />
hier der Fall, da der Kläger <strong>im</strong> Zeitpunkt der Rückforderung am<br />
27.2.2002 bereits mehrere Monate Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung<br />
hatte.<br />
Sozialrecht<br />
Vorübergehend in Deutschland tätige ausländische<br />
Arbeitnehmer können sozialversicherungspflichtig<br />
sein<br />
SG Dortmund 25.2.2005, S 34 RJ 79/04<br />
Vorübergehend von einem ausländischen Arbeitgeber nach<br />
Deutschland entsandte Arbeitnehmer sind zwar nicht sozialve<br />
rsicherungspflichtig. Etwas anderes gilt aber, wenn es sich bei<br />
dem vermeintlichen ausländischen Arbeitgeber um eine reine<br />
Briefkastenfirma handelt. In diesem Fall sind die Arbeitnehmer<br />
faktisch bei dem deutschen Unternehmen beschäftigt, das sie nach<br />
Deutschland geholt hat. Dieses muss daher für die Arbeitnehmer<br />
Sozialversicherungsbeiträge entrichten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist ein deutsches Bauunternehmen. In den Jahren<br />
1997 bis 1999 beschäftigte sie auf ihren Baustellen britische<br />
Bauarbeiter, die angeblich von der auf der Isle of Man ansässigen<br />
Firma H. vorübergehend nach Deutschland entsandt worden<br />
sind. Es existieren keine schriftlichen Werkverträge zwischen<br />
der Klägerin und der Firma H. Die Zahlungen der Klägerin an H.<br />
deckten lediglich die Lohnkosten für die britischen Bauarbeiter<br />
sowie deren Reisekosten ab.<br />
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprü-<br />
fung überprüfte die beklagte Landesversicherungsanstalt auch<br />
die Firma H. Sie fand heraus, dass H. unter einer bekannten<br />
Massendomizilgesellschaft firmiert, nicht <strong>im</strong> Telefonbuch steht,<br />
weder über ortsansässige Mitarbeiter noch über eine formelle<br />
Geschäftsführung verfügt und nur mit einem min<strong>im</strong>alen Haftungskapital<br />
ausgestattet ist. Hieraus schloss sie, dass es sich bei<br />
H. um eine reine Briefkastengesellschaft handelt.<br />
Daraufhin zog die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen<br />
für die britischen Bauarbeiter heran, da es<br />
sich nicht um nach Deutschland entsandte, sondern um unmittelbar<br />
bei der Klägerin beschäftigte Arbeitnehmer gehandelt habe. Die<br />
gegen den Zahlungsbescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen<br />
für die auf ihren Baustellen beschäftigten<br />
britischen Arbeitnehmer herangezogen. Nach den §§ 3<br />
Nr.1, 7 Abs.1 SGB IV sind grundsätzlich alle nichtselbständig<br />
Beschäftigten, die gegenüber ihrem Arbeitgeber weisungsabhängig<br />
sind, sozialversicherungspflichtig. Eine Ausnahme sieht<br />
§ 5 Abs.1 SGB IV nur für vorübergehend nach Deutschland entsandte<br />
Arbeitnehmer eines ausländischen Arbeitgebers vor.<br />
Dieser Ausnahmetatbestand ist <strong>im</strong> Streitfall nicht erfüllt. Die auf<br />
den Baustellen der Klägerin eingesetzten britischen Bauarbeiter<br />
waren keine Arbeitnehmer der ausländischen Firma H. Hierbei<br />
handelt es sich um eine reine Briefkastenfirma ohne eigene<br />
Betriebsorganisation. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte<br />
ist davon auszugehen, dass nicht H. den Bauarbeitern Weisungen<br />
erteilt hat, sondern dass die Weisungsbefugnis von der Klägerin<br />
ausgeübt wurde. Daher lag faktisch ein Arbeitsverhältnis<br />
mit der Klägerin und damit eine sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung vor.<br />
Die geschäftlichen Beziehungen der Klägerin zu H. stellen sich<br />
als Scheingeschäft zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht<br />
dar. Die Klägerin hat einen Subunternehmervertrag mit H. nicht<br />
nachgewiesen. Es ist nicht glaubwürdig, dass die Klägerin mit<br />
H. angeblich nur einen mündlichen Werkvertrag geschlossen hat.<br />
Werkverträge werden schon zur Sicherung der Gewährleistungsrechte<br />
des Bestellers regelmäßig schriftlich abgeschlossen. Im<br />
Streitfall spricht außerdem gegen einen mündlichen Werkvertrag,<br />
dass die von der Klägerin an H. gezahlten Beträge nur die Lohn-<br />
und Reisekosten für die britischen Bauarbeiter abgedeckt haben.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://www.<br />
sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />
Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen<br />
seit dem 1.1.2004 kein Sterbegeld mehr zahlen<br />
SG Duisburg 28.2.2005, S 11 KR 133/04<br />
Seit dem 1.1.2004 müssen die gesetzlichen Krankenkassen<br />
kein Sterbegeld mehr zahlen. Die entsprechenden Vorschriften<br />
<strong>im</strong> SGB V a.F. sind seit dem Inkrafttreten Gesetzes zur<br />
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung zum<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 21
1.1.2004 abgeschafft, so dass keine Anspruchsgrundlage mehr<br />
besteht. Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die<br />
Vorschriften über das Sterbegeld nicht ausdrücklich aufgehoben,<br />
sondern durch eine Neuregelung zum Zahnersatz ersetzt hat, die<br />
erst zum 1.1.2005 in Kraft treten sollte.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin hatte <strong>im</strong> Jahr 2004 für eine bei der beklagten gesetzlichen<br />
Krankenkasse versicherte Person die Beerdigungskosten<br />
übernommen. Sie verlangte von der Beklagten unter Berufung<br />
auf die §§ 58, 59 SGB V a.F. die Zahlung eines Zuschusses zu<br />
den Beerdigungskosten. Dies lehnte die Beklagte ab, weil der<br />
Gesetzgeber die Vorschriften über das Sterbegeld mit dem zum<br />
1.1.2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) abgeschafft habe.<br />
Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem SG keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung<br />
des Sterbegelds. Hierfür existiert seit Inkrafttreten des<br />
GMG keine Anspruchsgrundlage mehr.<br />
Der Gesetzgeber hat die ursprüngliche Regelung des Sterbegelds<br />
in den §§ 58, 59 SGB V in die Neufassung des SGB V nicht<br />
übernommen, und statt dessen in den §§ 58, 59 SGB V Regelungen<br />
über den Zahnersatz getroffen, die ursprünglich zum<br />
1.1.2005 in Kraft treten sollten, später dann aber ersatzlos gestrichen<br />
wurden. Der Gesetzgeber hat den gesamten Abschnitt des<br />
Gesetzes, in dem sich die Regelungen zum Sterbegeld befanden,<br />
neu gefasst und damit alle zuvor geltenden Vorschriften abgeschafft.<br />
Hierfür musste er die §§ 58, 59 SGB V a.F. nicht ausdrücklich<br />
aufheben.<br />
Der Hintergrund:<br />
In der Literatur wurde teilweise aus dem Fehlen einer ausdrücklichen<br />
Aufhebung der §§ 58, 59 SGB V a.F. geschlossen, dass<br />
diese zumindest bis zum Inkrafttreten der nunmehr den Zahnersatz<br />
regelnden §§ 58, 59 SGB V n.F. zum 1.1.2005 fortgelten.<br />
Da die Neuregelungen über den Zahnersatz noch vor ihrem<br />
Inkrafttreten wieder aufgehoben worden sind, wurde teilweise<br />
sogar die Auffassung vertreten, dass der Anspruch auf Sterbegeld<br />
auch über den 31.12.2004 hinaus fortbesteht. <strong>Das</strong> SG ist<br />
dieser Argumentation nicht gefolgt.<br />
Weitere Informationen zum Thema können sie zwei auf dem<br />
Internetportal Arbeitsrecht und Sozialrecht (AuS-<br />
Portal) veröffentlichten Aufsätzen zum Thema entnehmen:<br />
„<strong>Das</strong> Sterbegeld nach §§ 58, 59 SGB V - Requiescat in<br />
pace“ (pdf-Datei)<br />
„<strong>Das</strong> Sterbegeld nach §§ 58, 59 SGB V - Tote brauchen<br />
keinen Zahnersatz“ (pdf-Datei)<br />
Einkünfte aus einer aufgegeben selbständigen<br />
Tätigkeit werden nicht auf eine<br />
Erwerbsminderungsrente angerechnet<br />
BSG 17.2.2005, B 13 RJ 43/03 R<br />
Grundsätzlich müssen Einkünfte aus einer selbständigen<br />
Tätigkeit auf eine Erwerbsminderungsrente angerechnet werden.<br />
Etwas anderes gilt allerdings, wenn die selbständige Tätigkeit<br />
steuerrechtlich bereits aufgegeben ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der 1945 geborene Kläger war bis 1978 rentenversicherungspflichtig<br />
beschäftigt. Außerdem entrichtete er aus seiner Tätigkeit<br />
als selbständiger Handelsvertreter freiwillige Beiträge zur<br />
gesetzlichen Rentenversicherung. Auf seinen Antrag hin bewilligte<br />
ihm die Beklagte ab August 1997 die Zahlung einer Rente<br />
wegen Berufsunfähigkeit. Die Leistungen enthielten auch Zahlungen<br />
einer Berufsunfähigkeitsrente des Vertreterversorgungswerks.<br />
Im Jahr 2000 forderte die Beklagte die ausgezahlten Beiträge<br />
wieder zurück, weil der Kläger keinen Anspruch auf sie gehabt<br />
habe. Mit dem Einkommen des Klägers aus seiner Tätigkeit als<br />
selbständiger Handelsvertreter sei die Hinzuverdienstgrenze<br />
überschritten worden. Insoweit seien die Leistungen aus dem<br />
Vertreterversorgungswerk, die steuerlich nachträgliche Einkünfte<br />
aus Gewerbebetrieb seien, in voller Höhe anzurechnen. Dem<br />
widersprach der Kläger und trug vor, dass die Leistungen nicht<br />
anzurechnen seien, weil er sein Gewerbe zum Juni 1999 abgemeldet<br />
habe. Die gegen den entsprechenden Bescheid gerichtete<br />
Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Einkünfte des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit sind<br />
nicht auf die Erwerbsminderungsrente anzurechnen. Grundsätzlich<br />
müssen solche Einkünfte zwar auf die Erwerbsminderungsrente<br />
angerechnet werden. Etwas anderes gilt aber, wenn die<br />
selbständige Tätigkeit steuerrechtlich bereits aufgegeben ist.<br />
Steuerlich stellen zwar auch Einkünfte aus einer ehemaligen<br />
Tätigkeit weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar. Die<br />
grundsätzlich anzustrebende Parallelität von Sozialrecht und<br />
Steuerrecht (§ 15 Abs.1 SGB IV) findet in Bezug auf die Anrechnung<br />
von Einkünften auf eine Erwerbsminderungsrente jedoch<br />
ihre Grenze. Damit soll eine unter Gleichheitsgesichtspunkten<br />
(Art.3 Abs.1 GG) problematische Ungleichbehandlung zwischen<br />
ehemaligen Arbeitnehmern und ehemaligen Selbständigen<br />
vermieden werden.<br />
Zur Leistungserbringung zugelassene kommunale<br />
Träger müssen nunmehr alle Widersprüche<br />
gegen Arbeitslosengeld II-Bescheide<br />
bearbeiten<br />
SG Dortmund 18.1.2005, S 5 AS 1/05 ER<br />
Die <strong>im</strong> Rahmen der so genannten Optionsregelung zur<br />
Leistungserbringung zugelassenen kommunalen Träger müssen<br />
seit dem 1.1.2005 alle Widersprüche und gerichtliche Verfahren<br />
zum Arbeitslosengeld II bearbeiten. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn der<br />
angegriffene Arbeitslosengeld II-Bescheid noch <strong>im</strong> Jahr 2004<br />
von der Agentur für Arbeit erlassen worden ist. Alle Rechte und<br />
Pflichten aus dem Ausgangsbescheid der Agentur für Arbeit<br />
treffen ab dem 1.1.2005 die nunmehr zuständigen kommunalen<br />
Träger.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin beantragte am 7.10.2004 die Gewährung von<br />
Arbeitslosengeld II. Die zuständige Agentur für Arbeit in Hagen<br />
lehnte den Antrag am 2.12.2004 ab, weil die Antragstellerin<br />
wegen der Einkünfte ihres Lebensgefährten, mit dem sie zusammenlebe,<br />
nicht hilfebedürftig sei. Die Antragstellerin legte hier-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 22
gegen Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden<br />
worden ist. Am 3.1.2005 stellte sie be<strong>im</strong> SG einen Antrag auf<br />
Erlass einer einstweiligen Anordnung.<br />
Die Agentur für Arbeit hielt sich nicht mehr für zuständig, weil<br />
der Ennepe-Ruhr-Kreis zugelassener kommunaler Leistungsträger<br />
für das Arbeitslosengeld II sei. Der vom SG beigeladene<br />
Ennepe-Ruhr-Kreis verweigerte dagegen die Mitwirkung am<br />
gerichtlichen Verfahren. Er sei für die Bearbeitung dieser Sache<br />
noch nicht zuständig, weil nicht er, sondern die Agentur für<br />
Arbeit den angefochtenen Bescheid erlassen habe.<br />
<strong>Das</strong> SG bejahte die Zuständigkeit des beigeladenen Kreises,<br />
lehnte den Antrag aber mangels eines Anordnungsanspruchs ab.<br />
Die Gründe:<br />
Der <strong>im</strong> Rahmen der so genannten Optionsregelung zur Leistungserbringung<br />
zugelassene Beigeladene muss seit dem 1.1.2005 alle<br />
Widersprüche und gerichtliche Verfahren zum Arbeitslosengeld<br />
II bearbeiten. Er hat den angefochtenen Ausgangsbescheid zwar<br />
nicht erlassen. Seit dem 1.1.2005 ist er aber allein zuständiger<br />
Träger für die Bewilligung von Arbeitslosengeld II und damit<br />
materiell verpflichtet, entsprechende Ansprüche zu befriedigen.<br />
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />
liegen allerdings nicht vor. Nach summarischer Prüfung<br />
steht nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der<br />
geltend gemachte Anordnungsanspruch besteht. Nach Aktenlage<br />
spricht vieles dafür, dass die Antragstellerin wegen der Einkünfte<br />
ihres Lebensgefährten nicht hilfebedürftig ist.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://www.<br />
sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />
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Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Gesellschafter müssen nach ihrem Ausscheiden<br />
von der Gesellschaft erhaltene<br />
Beträge unter Umständen zurückzahlen<br />
BGH 15.11.2004, II ZR 299/02<br />
Ausgeschiedene Gesellschafter müssen Beträge, die sie nach ihren<br />
Ausscheiden unter Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrif<br />
ten erhalten haben, an die Gesellschaft zurückzahlen. Ein solcher<br />
Verstoß kann etwa vorliegen, wenn der Gesellschafter bei seinem<br />
Ausscheiden das Stammkapital der Gesellschaft durch Verzicht<br />
auf einen Teil seiner Forderungen „auf null gestellt“ hat. In<br />
diesem Fall darf die Gesellschaft auf die restlichen Forderungen,<br />
soweit sie bereits eigenkapitalersetzenden Charakter besitzen,<br />
keine Zahlungen mehr leisten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger machte gegen die beklagte K. GmbH Ansprüche aus<br />
abgetretenem Recht der 1998 in Konkurs gefallenen B. GmbH<br />
(B.) geltend. Die Beklagte war an B. zu 75 Prozent beteiligt. B.<br />
schuldete der Beklagten aus den laufenden Geschäftsbeziehungen<br />
einen zweistelligen Millionenbetrag.<br />
Die Beklagte veräußerte ihre Beteiligung an B. durch „Geschäftsanteilsübertragungs-<br />
und Abtretungsvertrag“ vom 2.2.1996 zum<br />
Preis von einer DM an W. Dabei verzichtete sie auf den Teil<br />
der Forderungen gegen B., der nicht durch Eigenkapital der B.<br />
gedeckt war. <strong>Das</strong> Stammkapital sollte damit „auf null gestellt“<br />
und dem W. die Möglichkeit eines Neubeginns verschafft werden.<br />
W. musste sich allerdings verpflichten, die nicht vom Forderungsverzicht<br />
erfassten Verbindlichkeiten aus eigenem Vermögen<br />
auszugleichen.<br />
In der Folgezeit beglich W. die Restforderungen der Beklagten<br />
in Höhe von rund zwei Millionen DM vermeintlich aus seinem<br />
eigenem Vermögen. In Wirklichkeit stammte das Geld jedoch<br />
aus einem Kredit, den W. für die B. aufgenommen hatte. Der<br />
Kläger verlangte die Rückzahlung dieses Betrags. Die hierauf<br />
gerichtete Klage hatte vor dem BGH Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung<br />
der Beträge, die sie nach ihrem Ausscheiden angeblich<br />
von W., tatsächlich aber von B. erhalten hat. Der Anspruch ergibt<br />
sich aus einer Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften in<br />
den §§ 30, 31 GmbHG. Hiernach darf das zur Erhaltung des<br />
Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an<br />
die Gesellschaft ausgezahlt und müssen dennoch geleistete Zahlungen<br />
erstattet werden.<br />
Die von W. veranlasste Zahlung der B. an die Beklagte verstößt<br />
gegen die §§ 30, 31 GmbHG. Denn die Beklagte hat mit ihrem<br />
Teilforderungsverzicht das Stammkapital der B. nicht wieder<br />
hergestellt. Die Beklagte hat lediglich den nicht durch Eigenkapital<br />
gedeckten Fehlbetrag ausgeglichen. Durch diesen Teilforderungsverzicht<br />
war die Überschuldungssituation der B. nicht<br />
behoben, da W. in Vertretung der B. einen Kredit aufgenommen<br />
hat, um die von dem Teilverzicht nicht erfassten Forderungen<br />
der Beklagten zu befriedigen. Daher durfte B. auf die als eigenkapitalersetzende<br />
Gesellschafterhilfe zu qualifizierenden Forderungen<br />
der Beklagten nicht zahlen.<br />
Auch bei einer „Schwester-Fusion“ muss<br />
bei der übernehmenden Gesellschaft zwingend<br />
eine Kapitalerhöhung erfolgen<br />
OLG Hamm 3.8.2004, 15 W 236/04<br />
Bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften muss<br />
eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft<br />
erfolgen. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn sich sämtliche Anteile an den<br />
Kapitalgesellschaften in einer Hand oder mit identischen Quoten<br />
in der Hand derselben Rechtsträger befinden (so genannte<br />
„Schwester-Fusion“). <strong>Das</strong> ergibt sich aus einer eindeutigen<br />
Willensbekundung des Gesetzgebers, die insbesondere in § 2<br />
UmwG zum Ausdruck kommt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Sämtliche Anteile an den beteiligten Kapitalgesellschaften A., B.<br />
und C. werden von X. gehalten. Im August 2003 schlossen die<br />
Beteiligten Verschmelzungsverträge, durch die das Vermögen<br />
der A. und der B. rückwirkend zum 31.12.2002 auf die C. über-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 23
tragen werden sollte. Eine Anteilsgewährung als Gegenleistung<br />
für die Vermögensübertragung und eine Kapitalerhöhung bei der<br />
C. schlossen die Beteiligten ausdrücklich aus.<br />
<strong>Das</strong> Registergericht lehnte die Eintragung <strong>im</strong> November 2003<br />
ab. Der Verschmelzungsvertrag sei nichtig, weil auch bei einer<br />
„Schwester-Fusion“ bei der übernehmenden Gesellschaft zwingend<br />
eine Kapitalerhöhung erfolgen müsse. <strong>Das</strong> Gericht räumte<br />
den Beteiligten eine Frist von einem Monat zum Abschluss neuer<br />
Verschmelzungsverträge ein. Die gegen diese Zwischenverfügung<br />
gerichtete Beschwerde hatte vor dem LG keinen Erfolg.<br />
Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten hob das OLG die<br />
Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache zur erneuten<br />
Entscheidung an das Registergericht zurück.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> Registergericht hätte die angegriffene Zwischenverfügung<br />
nicht erlassen dürfen. Eine Zwischenverfügung ist nur zulässig,<br />
wenn der Anmeldung ein behebbares Hindernis entgegensteht.<br />
Nach dessen Behebung muss daher die Abmeldung, wie vorgelegt,<br />
vollzogen werden können. Dies ist hier nicht der Fall. <strong>Das</strong><br />
Registergericht geht selbst von einem nicht behebbaren Mangel<br />
aus und wollte den Beteiligten offenbar Gelegenheit zur Vorlage<br />
einer neuen Abmeldung geben. Dies rechtfertigt aber nicht den<br />
Erlass einer Zwischenverfügung. <strong>Das</strong> Gericht hätte vielmehr die<br />
Sache endgültig zurückweisen müssen.<br />
Die rechtlichen Erwägungen des Registergerichts sind allerdings<br />
nicht zu beanstanden. Der Senat neigt ebenso zu der Auffassung,<br />
dass auch bei einer „Schwester-Fusion“ eine Anteilsgewährung<br />
als Gegenleistung für die Vermögensübertragung und damit einhergehend<br />
eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft<br />
erforderlich ist. <strong>Das</strong> ergibt sich aus einer dahingehenden<br />
eindeutigen Willensbekundung des Gesetzgebers, etwa in der<br />
Regierungsbegründung zu § 54 UmwG 95.<br />
Da dieser gesetzgeberische Wille in Wortlaut und Systematik des<br />
UmwG (insbesondere in § 2 UmwG) einen deutlichen Ausdruck<br />
gefunden hat, bleibt für eine teleologische Reduktion des Gesetzes<br />
auf Grund rechtspolitischer Überlegungen kein Raum.<br />
Bundesregierung hat Eckpunkte zum<br />
Gesetzentwurf zur individualisierten Offenlegung<br />
der Gehälter von Vorstandsmitgliedern<br />
von Aktiengesellschaften vorgelegt<br />
Am 11.3.2005 hat die Bundesregierung die Eckpunkte zum<br />
Gesetzentwurf zur individualisierten Offenlegung der Gehälter<br />
von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften (Corporate<br />
Governance) vorgelegt. Der Corporate Governance-Kodex enthält<br />
insgesamt 72 Empfehlungen zur Verbesserung der Corporate<br />
Governance deutscher börsennotierter Gesellschaften. Ziel des<br />
Gesetzesvorschlags ist es, die Kontrollrechte der Aktionäre<br />
beziehungsweise der Hauptversammlung zu stärken. Wesentliche<br />
Punkte der geplanten Neuregelung sind die Offenlegung der<br />
individuellen Vorstandsgehälter sowie die Aufklärungspflicht<br />
des Aufsichtsrats über die angemessene Vergütung für jedes<br />
Vorstandsmitglied zur Information der Aktionäre.<br />
Die neuen Vorschriften lehnen sich an die bisherigen gesetzlichen<br />
Regelungen zu den Angaben von Vorstandsbezügen an:<br />
Nach geltendem HGB sind für alle Vorstandsmitglieder zusammen<br />
die für die Tätigkeit <strong>im</strong> Geschäftsjahr gewährten Gesamtbezüge<br />
(Gehälter, Gewinnbeteiligungen, Bezugsrechte und sonstige<br />
aktienbasierte Vergütungen, Aufwandsentschädigungen,<br />
Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder<br />
Art) anzugeben. Ebenso sind die Gesamtbezüge der früheren<br />
Mitglieder des Vorstandes insgesamt für die Vorstandsgruppe<br />
anzugeben (Abfindungen, Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge<br />
und Leistungen verwandter Art).<br />
Für die Vorstandsmitglieder sind künftig all diese Angaben nach<br />
einer Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene<br />
Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger<br />
Anreizwirkung zu erstellen. Sollten mit dem Gesetzentwurf<br />
die Aktionärsrechte gestärkt werden, können die Aktionäre auf<br />
dahingehende Rechte verzichten. Deshalb sieht der Entwurf vor,<br />
dass die Hauptversammlung mit Dreiviertel-Mehrheit auf die<br />
individuelle Offenlegung verzichten kann. Der Gesetzentwurf<br />
sieht auch Individualangaben für die Bezüge der früheren Vorstandsmitglieder<br />
hinsichtlich Abfindungen und Leistungen verwandter<br />
Art vor.<br />
Die Eckpunkte des Gesetzentwurfs <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />
Börsennotierte Aktiengesellschaften sollen künftig <strong>im</strong> Anhang<br />
zum Jahresabschluss für jedes einzelne Vorstandsmitglied die<br />
gesamten Bezüge unter Namensnennung angeben (aufgeteilt<br />
nach erfolgsunabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten<br />
sowie nach Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung).<br />
Offenlegung der individuellen Vorstandsgehälter sowie die Aufklärungspflicht<br />
des Aufsichtsrats über die angemessene Vergütung<br />
für jedes Vorstandsmitglied zur Information der Aktionäre.<br />
Ziel der Offenlegung ist die Information der Anteilseigner.<br />
Dazu sieht der Entwurf eine „Opting Out“-Regelung vor, mit<br />
der Aktionäre von der Entscheidung des Gesetzgebers für die<br />
individuelle Offenlegung absehen können. Dazu muss auf der<br />
Hauptversammlung ein entsprechender Beschluss mit einer<br />
Dreiviertel- Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen<br />
Grundkapitals gefasst werden. Der Beschluss gilt für höchstens<br />
fünf Jahre; danach ist eine neue Entscheidung der Hauptversammlung<br />
erforderlich.<br />
Die neuen Vorschriften knüpfen an die bisherigen gesetzlichen<br />
Regelungen zu den Angaben von Vorstandsbezügen an.<br />
Der Gesetzentwurf sieht Individualangaben für die Bezüge der<br />
früheren Vorstandsmitglieder in bezug auf Abfindungen und<br />
Leistungen verwandter Art vor.<br />
Der Gesetzesvorschlag verzichtet bewusst auf Regelungen, die<br />
bis ins letzte Detail gehen.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Regierungsentwurf ist auf den Webseiten des BMJ veröffentlicht.<br />
Zum direkten Aufrufen der pdf-Datei (70 Seiten) klicken<br />
Sie bitte hier.<br />
Weiterführende Details zum Corporate Governance finden Sie<br />
hier.<br />
Weitere Artikel dazu:<br />
Bundesregierung hat Gesetzentwurf zur Unternehmensintegrität<br />
und Modernisierung des Anfechtungsrechts<br />
(UMAG) eingebracht<br />
Deutscher Corporate Governance Kodex wurde nach Maßgabe<br />
der Beschlüsse der Cromme-Kommission geändert<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 24
Corporate Governance: EU-Kommission hat Konsultationsverfahren<br />
zu Direktorengehältern eingeleitet<br />
Dazu Fachliteratur aus unserem Verlagsprogramm:<br />
Hommelhoff, Hopt, v. Werder, Handbuch Corporate<br />
Governance<br />
Baetge/Lutter, Abschlussprüfung und Corporate Governance<br />
Geschäftsführer dürfen keine Forderungen<br />
des Unternehmens zur Besicherung eigener<br />
Verbindlichkeiten abtreten<br />
OLG Schleswig 27.1.2005, 5 U 72/04<br />
Geschäftsführer eines Unternehmens handeln rechtsmissbräuchlich,<br />
wenn sie Forderungen des Unternehmens an<br />
eine Bank abtreten, um damit eigene Verbindlichkeiten zu<br />
besichern. Die Abtretungsvereinbarung ist in einem solchen Fall<br />
unwirksam.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine KG, die sich mit dem Erwerb und der Verwertung<br />
von Immobilen beschäftigt. Der Geschäftsführer B. der<br />
Klägerin traf mit der beklagten Bank eine Abtretungsvereinbarung,<br />
mit welcher er der Beklagten eigene Forderungen, aber<br />
auch Forderungen der Klägerin, die ihr aus Miet- und Pachteinnahmen<br />
zustehen, an die Beklagte abtrat. Damit wollte er, da er<br />
über kein eigenes Vermögen verfügt, eigene Verbindlichkeiten<br />
besichern.<br />
Die Klägerin hielt diese Abtretungsvereinbarung für unwirksam.<br />
B. habe missbräuchlich gehandelt, als er der Beklagten die Forderungen<br />
abgetreten hat. Es handele sich bei den abgetretenen<br />
Forderungen fast um ihr gesamtes Vermögen. Der Beklagten sei<br />
dies und auch der Umstand bekannt gewesen, dass E. über kein<br />
eigenes Vermögen verfügte. Sie verlangte daher die Auszahlung<br />
der bisher von der Beklagten eingezogenen Miet- und Pachteinnahmen<br />
und begehrte die Feststellung, dass der Beklagten nicht<br />
die Berechtigung zur Einziehung der Miet- und Pachtforderungen<br />
zusteht. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte muss der Klägerin die bereits von ihr vereinnahmten<br />
Miet- und Pachtforderungen auszahlen. Außerdem ist sie<br />
nicht berechtigt, diese künftig weiterhin einzuziehen. Die Abtretungsvereinbarung<br />
zwischen dem Kläger und der Beklagten ist<br />
unwirksam.<br />
Der Kläger hat die ihm zustehende organschaftliche Vertretungsmacht<br />
grob missbräuchlich ausgenutzt, indem er zur Besicherung<br />
eigener Verbindlichkeiten Forderungen der Klägerin an<br />
die Beklagte abgetreten hat. Zwar ist es nicht die Aufgabe eines<br />
Kreditinstituts, ohne weiteren Anlass zu prüfen, ob der Abtretende<br />
auch dazu berechtigt ist, die Forderungen abzutreten. Etwas<br />
anderes gilt aber, wenn offensichtliche Zweifel an der Abtretungsberechtigung<br />
des Abtretenden bestehen.<br />
Im Streitfall musste die Beklagte davon ausgehen, dass E. zur<br />
Abtretung der Forderungen der Klägerin nicht berechtigt war.<br />
Ihr war bekannt, dass er über kein eigenes Vermögen verfügte.<br />
Sie hätte daher entsprechende Erkundigungen einholen müssen,<br />
ob E. zur Abtretung berechtigt war.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Bankrecht<br />
Deliktische Schadensersatzansprüche<br />
eines Anlegers wegen fahrlässiger Falschberatung<br />
verjähren innerhalb von drei Jahren<br />
BGH 8.3.2005, XI ZR 170/04<br />
Nach § 37a WpHG verjähren Schadensersatzansprüche<br />
eines Anlegers wegen Falschberatung innerhalb von drei<br />
Jahren. Diese Verjährungsvorschrift gilt auch für deliktische<br />
Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger Falschberatung.<br />
Da ein vertragliches Beratungsverschulden <strong>im</strong>mer auch zu einer<br />
deliktischen Haftung führt, würde andernfalls der mit § 37a<br />
WpHG verfolgte Zweck, die Haftungsrisiken für Anlageberater<br />
kalkulierbar zu machen, unterlaufen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
A. hatte nach Beratung durch die beklagte Bank am 8.2.2000<br />
mehrere risikoreiche Fondsanteile erworben, die bis Ende 2000<br />
erheblich an Wert verloren. A. warf der Bank daraufhin Beratungsfehler<br />
vor und trat ihre etwaigen Schadensersatzansprüche<br />
an den Kläger ab.<br />
Der Kläger verlangte mit seiner am 28.2.2003 erhobenen Klage<br />
von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von<br />
50.000 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe der Fondsanteile. Die<br />
Beklagte berief sich demgegenüber auf die Verjährung nach §<br />
37a WpHG. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schadensersatz. Etwaige Schadensersatzansprüche<br />
waren <strong>im</strong> Zeitpunkt der Klageerhebung bereits nach § 37a<br />
WpHG verjährt. Hiernach verjähren Schadensersatzansprüche<br />
gegen Anlageberater wegen Falschberatung innerhalb von drei<br />
Jahren nach Entstehung des Anspruchs. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch<br />
aus positiver Vertragsverletzung war daher<br />
<strong>im</strong> Zeitpunkt der Klageerhebung am 28.2.2003 bereits verjährt,<br />
da bereits der Erwerb der Anteile am 8.2.2000 als Schadenseintritt<br />
anzusehen ist und nicht etwa der spätere Kursverfall.<br />
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen fahrlässiger Falschberatung<br />
ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §<br />
31 Abs.2 S.1 Nr.2 WpHG. Zwar verjährten deliktische Schadensansprüche<br />
nach § 852 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden<br />
Fassung grundsätzlich erst innerhalb von 30 Jahren. Diese<br />
Vorschrift wird aber <strong>im</strong> Streitfall durch die speziellere dreijährige<br />
Verjährungsfrist nach § 37a WpHG verdrängt.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 25
Der Gesetzgeber verfolgte mit § 37a WpHG den Zweck, Anlageberatern<br />
innerhalb eines relative kurzen Zeitraums Gewissheit<br />
über etwaige Schadensersatzansprüche zu verschaffen. Anlageberater<br />
sollten dadurch motiviert werden, auch risikoreichere<br />
Titel junger innovativer Unternehmen zu empfehlen. Da bei<br />
Erfüllung des Tatbestands von § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 31<br />
Abs.2 S.1 Nr.2 WpHG <strong>im</strong>mer auch ein vertragliches Beratungsverschulden<br />
vorliegt, würde dieser Gesetzeszweck unterlaufen,<br />
wenn für deliktische Ansprüche eine dreißigjährige Verjährungsfrist<br />
gelten würde.<br />
Etwas anderes gilt lediglich für deliktische Schadensersatzansprüche<br />
wegen vorsätzlicher Falschberatung. In diesem Fall<br />
gibt es keinen Grund, von der Regelverjährung für deliktische<br />
Schadensersatzansprüche abzuweichen. Für eine vorsätzliche<br />
Falschberatung gibt es <strong>im</strong> Streitfall allerdings keine Anhaltspunkte.<br />
Der Hintergrund:<br />
Diese Entscheidung hat lediglich für Altfälle vor Inkrafttreten<br />
der Schuldrechtsreform am 1.1.2002 Bedeutung. Mit der Schuldrechtsreform<br />
wurde die dreißigjährige Verjährungsfrist für deliktische<br />
Schadensersatzansprüche (§ 852 BGB a.F.) abgeschafft.<br />
Anstatt dessen gilt inzwischen auch für diese Ansprüche gemäß<br />
§ 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren.<br />
Weitere Entscheidungen zum Thema:<br />
BGH: Geprellte Immobilienfonds-Anleger müssen Kredite<br />
nicht <strong>im</strong>mer zurückzahlen<br />
BGH: Anleger können bei Täuschung oder mangelnder<br />
Aufklärung ihre volle Einlage zurückfordern<br />
OLG Koblenz: Banken genügen auch mit einem knappen<br />
Hinweis auf das Risiko einer Geldanlage ihren Beratungspflichten<br />
(„Argentinien-Anleihen“)<br />
Banken dürfen die Konten ihrer Kunden<br />
nicht mit den Kosten der Rückgabe einer<br />
Lastschrift wegen fehlender Kontodeckung<br />
belasten<br />
BGH 8.3.2005, XI ZR 154/04<br />
Banken dürfen nach Rückgabe einer Lastschrift wegen fehlender<br />
Kontodeckung das Konto ihres Kunden nicht mit den Kosten der<br />
Rückbuchung belasten. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn sie eine entsprechende<br />
Kostentragungspflicht nicht in ihren AGB regeln, sondern ihre<br />
Geschäftsstellen intern anweisen, die Kundenkonten mit den<br />
Kosten zu belasten. Eine solche interne Anweisung verstößt<br />
gegen das Umgehungsverbot des § 306a BGB.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine Verbraucherschutzzentrale. Sie beanstandete<br />
die Gebührenpraxis der beklagten Großbank bei der Rückgabe<br />
von Lastschriften mangels Kontodeckung.<br />
Der BGH hatte in Bezug auf einen ähnlichen Fall mit Urteil vom<br />
21.10.1997 (Az.: XI ZR 296/96) entschieden, dass allgemeine<br />
Geschäftsbedingungen (AGB), wonach die Konten des Bankkunden<br />
<strong>im</strong> Fall einer solchen Rückbuchung mit den hierbei entstehenden<br />
Kosten belastet werden, gegen § 9 AGBG verstoßen.<br />
Die Beklagte verzichtete seitdem zwar auf eine entsprechende<br />
Klausel in ihren AGB, wies ihre Geschäftsstellen aber intern<br />
an, die Kosten der Rückgabe einer Lastschrift be<strong>im</strong> Kunden als<br />
Schadensersatz geltend zu machen und sein Konto mit sechs<br />
Euro zu belasten.<br />
Dies begründete die Beklagte gegenüber betroffenen Kunden<br />
damit, dass ihr wegen Verletzung einer den Kunden treffenden<br />
Kontodeckungspflicht ein entsprechender Schadensersatzanspruch<br />
zustehe. Die Kontoauszüge der Kunden enthielten eine<br />
entsprechende Belastungsbuchung, die mit dem Hinweis „Lastschrift-Rückgabe<br />
vom ... 6 Euro“ versehen war.<br />
Der Kläger sah in der bundesweit einheitlichen Praxis der<br />
Beklagten ein Verwenden von unzulässigen AGB. Seine Unterlassungsklage<br />
hatte vor dem BGH Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte darf die Konten ihrer Kunden bei Rückgabe einer<br />
Lastschrift mangels Kontodeckung nicht mit den Kosten der<br />
Rückbuchung belasten. Die entsprechende Praxis stellt zwar<br />
keine allgemeine Geschäftsbedingung dar, weil sich die interne<br />
Anweisung nicht als Vertragsbedingung qualifizieren lässt.<br />
Sie verstößt aber gegen das Umgehungsverbot des § 306a BGB.<br />
Nach dieser Vorschrift finden die Vorschriften über die Inhaltskontrolle<br />
von AGB auch dann Anwendung, wenn sie durch eine<br />
anderweitige Gestaltung umgangen werden.<br />
Eine solche Umgehung liegt <strong>im</strong> Streitfall vor. Die interne Anweisung<br />
der Beklagten, die Kundenkonten bei Rückgabe einer Lastschrift<br />
mit den hierfür entstehenden Kosten zu belasten, ist<br />
genauso effektiv wie die 1997 für unzulässig erklärten AGB, da<br />
wirtschaftlich das gleiche Ergebnis erzielt wird. Folglich unterliegt<br />
auch die interne Anweisung der Inhaltskontrolle der §§ 307<br />
bis 309 BGB.<br />
Die interne Anweisung der Beklagten verstößt gegen § 307 Abs.1<br />
S.2 BGB, weil sie die Bankkunden unangemessen benachteiligen.<br />
Die Beklagte hat in diesen Fällen keinen Schadensersatzanspruch<br />
gegen ihre Kunden, weil diese ihr gegenüber nicht<br />
verpflichtet sind, für die Einlösung von Lastschriften eine ausreichende<br />
Deckung vorzuhalten. Die Beklagte kann diese Kosten<br />
vielmehr nur von der Gläubigerbank ersetzt verlangen, die<br />
den Betrag dem Gläubiger in Rechnung stellen kann. Nur dieser<br />
kann dann gegebenenfalls den Schuldner in Regress nehmen.<br />
Anleger haben gegen den Staat keinen<br />
Amtshaftungsanspruch wegen Fehler bei<br />
der Bankenaufsicht<br />
BGH 20.1.2005, III ZR 48/01<br />
Anleger, die nach dem Konkurs einer Bank Verluste erleiden, haben<br />
gegen den Staat keinen Amtshaftungsanspruch wegen Fehler der<br />
Bankenaufsicht. Die Bankenaufsicht wird nach § 4 Abs.4 FinDAG<br />
(früher § 6 Abs.4 KWG) lediglich <strong>im</strong> öffentlichen Interesse tätig,<br />
so dass Private aus einer Pflichtverletzung keine Rechte ableiten<br />
können. Wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der EU-Einlag<br />
ensicherungsrichtlinie können Betroffene vom Staat allerdings<br />
Schadensersatz in Höhe von bis zu 20.000 Euro verlangen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger hatten Konten bei der Düsseldorfer BHV-Bank. Diese<br />
gehörte keinem Einlagesicherungssystem an und hatte 1987<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 26
vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Erlaubnis zum<br />
Betrieb von Bankgeschäften erhalten. Die Bank geriet Anfang<br />
der 90er Jahre in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im November<br />
1997 stellte das Bundesaufsichtsamt Konkursantrag und entzog<br />
der Bank die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften. <strong>Das</strong><br />
Konkursverfahren wurde am 1.12.1997 eröffnet.<br />
Die Kläger sind mit ihren Einlagen vom Vermögensverfall der<br />
Bank betroffen. Sie verlangten von der beklagten Bundesrepublik<br />
den Ersatz ihres Schadens. Ihre hierauf gerichtete Klage<br />
begründeten sie damit, dass Deutschland die EU- Einlagensicherungsrichtlinie<br />
nicht rechtzeitig vor dem 1.7.1995 in das nationale<br />
Recht umgesetzt habe. Außerdem sei das Bundesaufsichtsamt<br />
seiner Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß<br />
nachgekommen.<br />
<strong>Das</strong> LG gab der Klage wegen verspäteter Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie<br />
<strong>im</strong> Rahmen der nach dieser Richtlinie<br />
vorgesehenen Haftungshöchstgrenze von 20.000 Euro statt<br />
und wies sie wegen des darüber hinausgehenden Schadens ab.<br />
Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Kläger blieben ohne<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger haben gegen Deutschland keinen über den zugesprochenen<br />
Betrag hinausgehenden Schadensersatzanspruch.<br />
Als Anspruchsgrundlage hierfür kommt nur ein Amtshaftungsanspruch<br />
gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 S.1 GG<br />
in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür liegen jedoch nicht<br />
vor, weil das Bundesaufsichtsamt gegenüber den Klägern keine<br />
Amtspflichten wahrzunehmen hatte, da es die ihm zugewiesenen<br />
Aufgaben nach § 6 Abs.4 KWG (jetzt § 4 Abs.4 FinDAG) ausschließlich<br />
<strong>im</strong> öffentlichen Interesse wahrn<strong>im</strong>mt.<br />
Dieser Ausschluss der Staatshaftung wegen unzureichender<br />
Bankenaufsicht ist rechtmäßig und verstößt insbesondere nicht<br />
gegen EU-Recht. <strong>Das</strong> ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom<br />
12.10.2004 (Rs.: C-222/02), den der Senat in dieser Sache um<br />
eine Vorabentscheidung gebeten hatte. Der EuGH hat entschieden,<br />
dass Anleger auf Grund des Gemeinschaftsrechts nicht verlangen<br />
können, dass die zuständigen Behörden in ihrem Interesse<br />
Aufsichtsmaßnahmen treffen. <strong>Das</strong> Gemeinschaftsrecht<br />
steht daher einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der<br />
die nationale Behörde ihre Aufsicht über Kreditinstitute nur <strong>im</strong><br />
öffentlichen Interesse wahrn<strong>im</strong>mt.<br />
§ 6 Abs.4 KWG und § 4 Abs.4 FinDAG verstoßen auch nicht<br />
gegen Best<strong>im</strong>mungen des GG. Der Gesetzgeber hat mit diesen<br />
Regelungen insbesondere nicht gegen die grundsätzlich nach<br />
Art. 34 S.1 GG gewährleistete Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen<br />
verstoßen. Er durfte mit Rücksicht auf die<br />
unübersehbare Vielzahl von Anlegern und angesichts der Komplexität<br />
der Bankenaufsicht und des von ihr zu beaufsichtigenden<br />
Bereichs die Haftung gegenüber nur mittelbar von Aufsichtsmaßnahmen<br />
Begünstigten ausschließen.<br />
Es liegt auch keine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14<br />
GG vor. Aus Art. 14 GG ergibt sich zwar möglicherweise die<br />
Schutzpflicht des Gesetzgebers, Unternehmen der Kreditwirtschaft<br />
zu beaufsichtigen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeberaber<br />
durch die <strong>im</strong> KWG und FinDAG vorgesehenen Aufsichtsmaßnahmen<br />
aber nachgekommen. Dem Gesetzgeber ist insoweit<br />
ein weiter Gestaltungsraum zuzubilligen. Es ist nicht ersichtlich,<br />
dass die getroffenen Regelungen gänzlich ungeeignet und völlig<br />
unzulänglich sind, um das Schutzziel zu erreichen.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den Volltext der auf der Website des EuGH veröffentlichten<br />
Vorabentscheidung in dieser Sache klicken Sie bitte hier.<br />
<strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis steht einer Forderungsabtretung<br />
nicht entgegen<br />
LG Frankfurt a.M. 11.1.2005, 2-21 O 96/02<br />
Banken sind trotz ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht<br />
gehindert, Forderungen aus Verträgen mit Kunden abzutreten.<br />
Eine Abtretung ist daher nicht deshalb unwirksam, weil sie unter<br />
Verletzung des Bankgehe<strong>im</strong>nisses erfolgt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer<br />
Bank. Die Beklagten hatten dieser Bank zur Sicherung von Darlehen<br />
und aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus<br />
den Geschäftsverbindungen ihre Aktiendepots verpfändet. Nach<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Bank<br />
trat der Kläger das Kreditportfolio der Bank an die Firma H. ab<br />
- darunter insbesondere unter Nennung der Kontonummern der<br />
Beklagten auch die streitgegenständlichen Darlehensforderungen.<br />
Die Beklagten haben die Refinanzierungsdarlehensbeträge<br />
bis heute nicht zurückgezahlt.<br />
Der Kläger verlangte von den Beklagten, die Darlehensbeträge<br />
an die Firma H. zu zahlen. Die hierauf gerichtete Klage hatte<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger durfte die Forderungen aus den Refinanzierungsdarlehen<br />
an die Firma H. abtreten und kann von den Beklagten Zahlung<br />
an diese Firma verlangen.<br />
Die Abtretung der Forderungen ist nicht gemäß § 134 BGB<br />
wegen Verstoßes gegen das Bankgehe<strong>im</strong>nis nichtig. <strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis<br />
ist nicht strafrechtlich geschützt und betrifft auch<br />
keinen sensiblen Lebensbereich, wie dies zum Beispiel bei dem<br />
Verhältnis von Arzt und Patient sowie <strong>Anwalt</strong> und Mandant der<br />
Fall ist. So sind die Forderungen von Ärzten und Rechtsanwälten<br />
gegen ihre Patienten und Mandanten nicht abtretbar. Diese<br />
Rechtsprechung ist jedoch auf das Verhältnis einer Bank zu ihren<br />
Kunden nicht übertragbar, weil dieses Verhältnis nicht mit den<br />
oben erwähnten sensiblen Bereichen vergleichbar ist.<br />
Die Wirksamkeit der Forderungsabtretung scheitert auch nicht<br />
an den Vorschriften des BDSG. Zwar ist gemäß § 4 Abs.1<br />
BDSG die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener<br />
Daten unzulässig. Jedoch liegt dann kein Verstoß gegen<br />
das BDSG vor, wenn die Abtretung zur Wahrung der berechtigten<br />
Interessen der Bank erforderlich ist und kein Grund zu der<br />
Annahme besteht, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen<br />
überwiegen (§ 28 Abs.1 Nr.2 BDSG). <strong>Das</strong> Interesse des<br />
Betroffenen an Vertraulichkeit ist jedenfalls dann nicht vollumfänglich<br />
schutzwürdig, wenn er sich seinerseits nicht vertragsgerecht<br />
verhält. Im Streitfall haben sich die Beklagten nicht vertragsgerecht<br />
verhalten. Die Refinanzierungsdarlehen waren nach<br />
Ablauf der Laufzeit zum 11.1.2002 zur Rückzahlung fällig. Die<br />
Beklagten haben diese verweigert und befinden sich demzufolge<br />
<strong>im</strong> Zahlungsverzug.<br />
Die Abtretung ist auch nicht gemäß §§ 399, 400 BGB unwirksam.<br />
Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Bank, wie sie in<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 27
ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegt ist, beinhaltet<br />
kein stillschweigend vereinbartes Verbot der Abtretung der<br />
streitgegenständlichen Forderungen mit der Folge der Unwirksamkeit<br />
der Abtretung.<br />
Der Hintergrund:<br />
<strong>Das</strong> OLG Frankfurt entschied mit Urteil vom 25.5.2004 (Az.:<br />
8 U 84/04), dass bei Vereinbarung eines Bankgehe<strong>im</strong>nisses<br />
zugleich ein stillschweigendes Abtretungsverbot zwischen den<br />
Parteien vereinbart wurde. Die herrschende Meinung geht <strong>im</strong><br />
Gegensatz dazu davon aus, dass eine Abtretung als solche wirksam<br />
ist, aber bei Offenbarung eines Gehe<strong>im</strong>nisses <strong>im</strong> Zuge der<br />
Abtretung die Bank dem Kunden zum Schadensersatz verpflichtet<br />
ist. <strong>Das</strong> LG folgte dieser Ansicht und begründete dies auch<br />
mit den erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Banken an<br />
Forderungsverkäufen. Die der Bank bei Verletzung des Bankgehe<strong>im</strong>nisses<br />
drohende Schadensersatzpflicht stelle zudem eine<br />
den wirtschaftlichen Bedürfnissen angemessene Sanktion dar.<br />
Wettbewerbsrecht<br />
und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Zur Abgrenzung wettbewerbswidriger Telefonwerbung<br />
gegenüber Verbrauchern und<br />
gegenüber Gewerbetreibenden<br />
OLG Köln 5.11.2004, 6 U 88/04<br />
Für die Zulässigkeit der Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern<br />
gelten strengere Voraussetzungen als für die Telefonwerbung<br />
gegenüber Gewerbetreibenden. Daher muss bereits <strong>im</strong><br />
Klageantrag danach unterschieden werden, ob Anrufe gegenüber<br />
Verbrauchern oder Gewerbetreibenden untersagt werden sollen.<br />
Telefonwerbung gegenüber einem Gewerbetreibenden liegt vor,<br />
wenn eine gewerbliche Nummer angerufen wird. Dieser Anruf<br />
bleibt auch dann gewerblich, wenn der Unternehmer die Anrufe<br />
automatisch an seine Privatnummer weiterleiten lässt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist ein Dachverband von Verbraucherzentralen. Die<br />
Beklagte betreibt einen Weinhandel. Anfang April 2003 bewarb<br />
sie ihr Angebot telefonisch. Dabei rief sie unter anderem eine<br />
Blumenhandlung an. Auf Grund einer automatischen Rufnummerumleitung<br />
ging der Anruf be<strong>im</strong> Privatanschluss der Inhaberin<br />
der Blumenhandlung ein.<br />
Der Kläger beurteilte die Telefon-Werbeaktion der Beklagten<br />
als wettbewerbswidrig und klagte auf Unterlassung. Wortwörtlich<br />
war der Antrag darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen,<br />
es zu unterlassen, „Verbraucher ohne deren ausdrückliches oder<br />
stillschweigendes Einverständnis anzurufen oder anrufen zu lassen“.<br />
<strong>Das</strong> LG gab der hierauf gerichteten Klage durch Versäumnisurteil<br />
statt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten<br />
hob das OLG das Versäumnisurteil auf.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klage ist unbegründet, weil es bezüglich des begehrten Verbots<br />
von Telefonanrufen gegenüber Verbrauchern an einer Erstbegehungsgefahr<br />
fehlt und die tatsächlich begangene Verletzungshandlung<br />
vom Klageantrag nicht erfasst wird.<br />
<strong>Das</strong> LG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der fragliche<br />
Werbeanruf der Beklagten ein unlauteres Wettbewerbsverhalten<br />
<strong>im</strong> Sinn von § 7 Abs.2 Nr.2 UWG n.F. darstellt. Hiernach<br />
ist eine Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern ohne deren<br />
Einwilligung oder gegenüber sonstigen Marktteilnehmern ohne<br />
deren mutmaßliche Einwilligung unzulässig. Die Beklagte hat<br />
ihr Weinangebot gegenüber einer Blumenhandlung telefonisch<br />
beworben. Für ein mutmaßliches Einverständnis der Inhaberin<br />
des Blumenhandels mit einem solchen Werbeanruf gibt es keine<br />
Anhaltspunkte, da zwischen Wein und Blumen keinerlei Sachbezug<br />
besteht.<br />
Der Klageantrag ist aber lediglich auf die Unterlassung von<br />
Verletzungshandlungen gegenüber Verbrauchern gerichtet. Die<br />
Beklagte hat jedoch keinen Verbraucher, sondern eine Gewerbetreibende<br />
angerufen. Da § 7 Abs.2 Nr.2 UWG n.F. die Zulässigkeit<br />
von Werbeanrufen gegenüber Verbrauchern und gegenüber sonstigen<br />
Marktteilnehmern von unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
abhängig macht, ist diese Unterscheidung auch von Bedeutung.<br />
Die Abgrenzung ist nicht nach dem Inhalt der jeweiligen Werbung<br />
vorzunehmen. Vielmehr ist entscheidend, unter welcher<br />
Rufnummer der Anruf erfolgt ist. Anrufe unter einer Privatnummer<br />
sind demnach stets Werbung gegenüber Verbrauchern und<br />
Anrufe unter einer gewerblichen Nummer solche gegenüber<br />
sonstigen Marktteilnehmern. Dabei ist nur auf die unmittelbar<br />
angerufene Nummer abzustellen und nicht auf etwaige Umleitungen<br />
auf private oder gewerbliche Anschlüsse. Im Streitfall<br />
liegt daher ein vom Klageantrag nicht erfasster Werbeanruf<br />
gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer vor.<br />
Deutsche Übersetzung eines englischen<br />
Markennamens begründet nicht in jedem<br />
Fall eine Verwechslungsgefahr<br />
EuG 9.3.2005, T-33/03<br />
Eine ähnliche Bedeutung zweier Marken führt nicht zwingend<br />
zu einer Verwechslungsgefahr. Daher kann <strong>im</strong> Einzelfall auch<br />
die deutsche Übersetzung eines bereits geschützten englischen<br />
Markennamens als Gemeinschaftsmarke eingetragen werden.<br />
<strong>Das</strong> gilt jedenfalls dann, wenn die Marken in bildlicher und<br />
klanglicher Hinsicht leicht zu unterscheiden sind und die<br />
jeweiligen Waren in erster Linie „nach Sicht“ gekauft oder<br />
mündlich bestellt werden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin vertreibt unter der eingetragenen Bildmarke<br />
„SHARK“ ein Energiegetränk. Ein anderer Getränkehersteller<br />
beantragte für das von ihm vertriebene Energiegetränk die Eintragung<br />
des Wortzeichens „Hai“ als Gemeinschaftsmarke. <strong>Das</strong><br />
Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt gab dem Antrag statt.<br />
Mit der hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend,<br />
dass zwischen dem angemeldeten Zeichen und der älteren<br />
Marke „SHARK“ eine Verwechslungsgefahr bestehe. Die Klage<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 28
Die Gründe:<br />
Zwischen der angemeldeten Wortmarke „Hai“ und der bereits<br />
eingetragenen Bildmarke „SHARK“ besteht keine Verwechslungsgefahr.<br />
Zwar sollen hiermit ähnliche Waren gekennzeichnet<br />
werden, nämlich jeweils ein Energiegetränk. In bildlicher<br />
Hinsicht weisen die beiden Zeichen aber keinerlei Ähnlichkeit<br />
auf, da nur die Marke „SHARK“ in Bildform erscheint. Auch in<br />
klanglicher Hinsicht sind die beiden Zeichen ohne weiteres voneinander<br />
zu unterscheiden.<br />
Zwar bedeutet das Wort „SHARK“ ins Deutsche übersetzt „Hai“.<br />
Diese begriffliche Ähnlichkeit führt jedoch <strong>im</strong> Streitfall nicht zu<br />
einer Verwechslungsgefahr. Energiegetränke werden in erster<br />
Linie von einem jungen markenbewussten Publikum gekauft -<br />
und zwar entweder in einem Geschäft und hier vor allem „nach<br />
Sicht“ oder in Restaurants, Cafes oder Bars, wo sie mündlich<br />
bestellt werden. Daher kommt es hier für die Beurteilung der<br />
Markenähnlichkeit in erster Linie auf die (hier nicht bestehende)<br />
Ähnlichkeit in bildlicher und klanglicher Hinsicht. Die Bedeutungsähnlichkeit<br />
tritt dahinter zurück.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />
veröffentlicht.<br />
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Händler-Werbung mit „Direktverkauf ab<br />
Werk“ kann wettbewerbswidrig sein<br />
BGH 20.1.2005, I ZR 96/02<br />
Es kann wettbewerbswidrig sein, wenn ein Händler mit den<br />
Angaben „Direkt ab Werk - kein Zwischenhandel - garantierter<br />
Tief-Preis“ wirbt. Hierin liegt eine nach § 5 Abs.1 UWG (§ 3<br />
UWG a.F.) unzulässige Täuschung über die Preisbemessung,<br />
wenn der Händler die Ware nicht zu Herstellerpreisen anbietet,<br />
sondern diese Preise um eine eigene Gewinnspanne erhöht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien betreiben beide einen Fahrrad-Einzelhandel. Der<br />
Beklagte hatte für seine Fahrräder teilweise mit den Angaben<br />
„Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel - garantierter Tief-Preis“<br />
geworben. Diese Ware stammt zwar direkt vom Hersteller. Der<br />
Beklagte bot die Fahrräder aber nicht zu den Abgabepreisen des<br />
Herstellers an, sondern rechnete seine eigene Gewinnspanne ein.<br />
Der Kläger hielt die Werbung für irreführend und verlangte<br />
Unterlassung. Der Beklagte täusche über die Preisgestaltung,<br />
weil er den Verbrauchern einen Verkauf zu Werkspreisen vorspiegele.<br />
Die Unterlassungsklage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die beanstandete Werbung ist irreführend <strong>im</strong> Sinn von § 5 Abs.1<br />
UWG (§ 3 UWG a.F.) und deshalb wettbewerbswidrig. Der<br />
Beklagte täuscht mit den Angaben „Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel<br />
- garantierter Tief-Preis“ über die Preisbemessung.<br />
Die Werbung erweckt be<strong>im</strong> durchschnittlichen Verbraucher den<br />
Eindruck, dass die Fahrräder zu den Abgabepreisen des Herstellers<br />
angeboten werden. Tatsächlich hat der Beklagte die Herstellerpreise<br />
aber um seine eigene Gewinnspanne erhöht.<br />
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn die Werbung, wie<br />
vom Beklagten behauptet, dahingehend zu verstehen ist, dass<br />
zwischen dem Hersteller und dem Beklagten kein Zwischenhändler<br />
eingeschaltet ist. Auch in diesem Fall erweckt die Werbung<br />
nicht nur den Eindruck irgendeines Preisvorteils. Aus<br />
der Kombination der Angaben „Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel“<br />
mit dem Versprechen „garantierter Tief-Preis“<br />
folgt auch bei dieser Auslegung, dass die Verbraucher einen<br />
Direktbezug „ab Werk“ erwarten. Ein solcher Direktbezug ist<br />
untrennbar mit der Vorstellung verbunden, dass der Preis dem<br />
Herstellerpreis entspricht.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BGH veröffentlicht.<br />
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Unternehmensberater dürfen über die Vergabe<br />
öffentlicher Fördermittel beraten<br />
BGH 24.2.2005, I ZR 128/02<br />
Es stellt keine unzulässige Rechtsberatung dar, wenn Unternehmensberater,<br />
die nicht über eine Erlaubnis nach dem<br />
RBerG verfügen, Unternehmen in Bezug auf die Beantragung<br />
und Vergabe öffentlicher Fördermittel beraten. Eine solche<br />
Beratung findet überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet statt<br />
und bezweckt die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange. Eine<br />
Erlaubnis nach dem RBerG ist daher nicht erforderlich.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagten sind Unternehmensberater. Sie warben damit,<br />
dass sie Unternehmen in Bezug auf die Beantragung und Vergabe<br />
öffentlicher Fördermittel beraten. Hierzu verwandten sie<br />
unter anderem folgende Slogans:<br />
„Wir helfen Ihnen bei der Auswahl des richtigen (Förder )Programms,<br />
zugeschnitten auf ihren persönlichen Bedarf, und<br />
unterstützen Sie bei der Beantragung der Gelder durch erfahrene<br />
Evaluierungsgutachter“<br />
„Unternehmensberater „können“ helfen, Förder- oder Kreditmittel<br />
in der opt<strong>im</strong>alen Kombination zu beantragen“<br />
Der Kläger ist Rechtsanwalt und auf dem Gebiet des Subventionsrechts<br />
tätig. Er hielt die Werbung der Beklagten für<br />
wettbewerbswidrig, weil sie eine unzulässige Rechtsberatung<br />
betreffe. Die Beklagten verfügten über keine Erlaubnis nach<br />
dem RBerG, obwohl die Beratung auf dem Gebiet der öffentlichen<br />
Fördermittel schwerpunktmäßig Rechtsberatung sei. Seine<br />
Unterlassungsklage hatte vor dem BGH keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Werbung der Beklagten ist nicht wettbewerbswidrig. Die<br />
von den Beklagten beworbene Beratung <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />
Beantragung und Vergabe öffentlicher Fördermittel findet überwiegend<br />
auf wirtschaftlichem Gebiet statt und bezweckt die<br />
Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange. Eine solche Beratung<br />
befasst sich in erster Linie damit, welche Fördermittelprogramme<br />
vorhanden sind und welche Programme auf das zu beratende<br />
Unternehmen zugeschnitten sind. Die Beratung über öffentliche<br />
Fördermittel stellt sich damit als wirtschaftlich notwendiger Teil<br />
der Unternehmensberatung dar. Ob ein Unternehmensberater <strong>im</strong><br />
Einzelfall eine unzulässige Rechtsberatung erteilt, stand <strong>im</strong> vorliegenden<br />
Fall nicht zur Entscheidung an.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 29
Verfahrensrecht<br />
Die Bezeichnung einer Methode als „unseriös“<br />
begründet keine Befangenheit eines<br />
Sachverständigen<br />
OLG Saarbrücken 16.9.2004, 5 W 196/04-67<br />
Sachverständige können wegen der Besorgnis der Befangenheit<br />
abgelehnt werden, wenn ihre Formulierungen Anlass zu der<br />
Annahme geben, dass sie nicht unparteiisch sind. Dies ist<br />
insbesondere bei überzogenen Äußerungen, die keiner sachlichen<br />
Diskussion zugänglich sind, der Fall. Diese Grenze ist noch nicht<br />
überschritten, wenn der Sachverständige in seinem Gutachten<br />
von „unseriösen“ Methoden spricht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin n<strong>im</strong>mt die Beklagten wegen einer fehlerhaft durchgeführten<br />
Operation an ihrer Wirbelsäule auf Zahlung von Schadensersatz<br />
und Schmerzensgeld in Anspruch. <strong>Das</strong> Gericht beauftragte<br />
einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Falls. In<br />
seinem Gutachten stellte er unter anderem fest, dass „kein seriöser<br />
Wirbelsäulenchirurg“ die Operation derart durchgeführt hätte.<br />
Die Beklagten lehnten den Sachverständigen wegen der Besorgnis<br />
der Befangenheit ab. Sie vertraten die Auffassung, dass die<br />
Formulierung „unseriös“ eine Diskr<strong>im</strong>inierung darstelle. Ihr<br />
Befangenheitsantrag hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Sachverständige muss nicht wegen Besorgnis der Befangenheit<br />
ablehnt werden. Gemäß § 406 Abs.1 ZPO kann eine<br />
Sachverständiger abgelehnt werden, wenn Zweifel an seiner<br />
Unparteilichkeit bestehen. Die Äußerung „kein seriöser Wirbelsäulenchirurg“<br />
gibt keinen Anlass, die Unparteilichkeit des<br />
Medizin-Sachverständigen zu bezweifeln.<br />
Die Ausdrucksweise eines Sachverständigen kann dann Anlass zur<br />
Besorgnis der Befangenheit geben, wenn sie überzogen und einer<br />
sachlichen Auseinadersetzung nicht zugänglich ist. Im Streitfall<br />
stellt sich die Äußerung des Sachverständigen nicht als überzogen<br />
dar. Angesichts der Komplexität der Materie in einem Arzthaftungsprozess<br />
ist das Gericht auf eine sehr deutliche Ausdrucksweise<br />
des Sachverständigen angewiesen. Denn für die rechtliche<br />
Beurteilung eines Behandlungsfehlers ist nicht nur die Frage „ob“,<br />
sondern auch in welchem Umfang ein Fehler vorliegt, entscheidend.<br />
Insofern ist eine deutliche Sprache unabdingbare Voraussetzung<br />
für ein Gutachten. <strong>Das</strong> Wort „unseriös“ ist Ausdruck einer<br />
solchen deutlichen Sprache. Es ist, anders als beispielsweise beleidigende<br />
Worte, einer sachlichen Auseinandersetzung zugänglich.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
erlischt die zuvor erteilte Prozessvollmacht<br />
OLG Karlsruhe 30.9.2004, 19 U 2/04<br />
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt gemäß<br />
§§ 115, 116, 117 InsO die dem Prozessbevollmächtigten<br />
erteilte Vollmacht. Eine ohne erneute Erteilung einer Vollmacht<br />
eingelegte Berufung ist unzulässig. Die Kosten des unzulässigen<br />
Berufungsverfahren muss der Prozessbevollmächtigte tragen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger zu 1) bis 3) nahmen die Beklagte aus einem inzwischen<br />
beendeten Mietverhältnis auf Schadensersatz in Anspruch.<br />
Dem Verfahren sind auf Seiten der Beklagten mehrere Streithelferinnen<br />
beigetreten. Durch Teil-Urteil wies das LG die Klage<br />
der Kläger zu 1) und 2) ab. Die hiergegen gerichtete Berufung<br />
wies das OLG zurück.<br />
Am 17.5.2002 wurde über das Vermögen des Klägers zu 3) das<br />
Insolvenzverfahren eröffnet worden, das nach Ankündigung<br />
gemäß § 291 InsO am 11.8.2003 wieder aufgehoben wurde. Im<br />
daraufhin wieder aufgenommenen Verfahren wies das LG auch<br />
die Klage des Klägers zu 3) ab.<br />
Hiergegen legte Rechtsanwalt R., der den Kläger zu 3) schon<br />
<strong>im</strong> Verfahren vor dem LG vertreten hatte, frist- und formgerecht<br />
Berufung ein. Eine der Streithelferinnen rügte das Bestehen<br />
einer Prozessvollmacht des R. Zum Senatstermin vom 15.9.2004<br />
erschienen weder der Kläger zu 3) noch R. <strong>Das</strong> OLG wies die<br />
Berufung durch unechtes Versäumnis-Urteil als unzulässig ab.<br />
Die Gründe:<br />
Die durch R. eingelegte Berufung ist unzulässig, da der Kläger<br />
zu 3) zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung durch diesen<br />
nicht mehr ordnungsgemäß vertreten war. Selbst wenn ursprünglich<br />
eine wirksame Bevollmächtigung vorgelegen haben sollte,<br />
ist diese gemäß §§ 115, 116, 117 InsO durch die Eröffnung des<br />
Insolvenzverfahrens erloschen.<br />
Mit dem Aufschub der Geschäftsbesorgung durch R. war auch<br />
keine Gefahr verbunden, so dass die Prozessvollmacht auch<br />
nicht aus diesem Grund gemäß §§ 115 Abs.2, 117 Abs.2 InsO<br />
als fortbestehend zu behandeln war. Dieser Tatbestand entfällt<br />
bereits deshalb, weil das Verfahren ein Jahr seit Eröffnung des<br />
Insolvenzverfahrens nicht betrieben worden war.<br />
R. trägt die Kosten des unzulässigen Berufungsverfahrens. Fehlt<br />
eine wirksame Bevollmächtigung, so sind grundsätzlich demjenigen<br />
die Prozesskosten aufzuerlegen, der den nutzlosen Verfahrensaufwand<br />
veranlasst hat. Im Streitfall wusste R., dass über<br />
das Vermögen des Klägers zu 3) das Insolvenzverfahren eröffnet<br />
worden war. Als Rechtskundigem waren ihm daher auch die Folgen<br />
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach den §§ 115 bis<br />
117 InsO bekannt.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 30
Anwälte müssen bei Berufungsbegründungsfristen<br />
die Eintragung von Vorfristen<br />
sicherstellen<br />
OLG Frankfurt 9.8.2004, 9 U 44/04<br />
Es stellt einen Organisationsmangel dar, wenn der <strong>Anwalt</strong> sein<br />
Büropersonal nicht anweist, bei Berufungsbegründungsfristen<br />
eine Vorfrist einzutragen. Dies ist notwendig, weil der <strong>Anwalt</strong> zur<br />
Vorbereitung der Berufungsbegründung Zeit benötigt. Werden<br />
in einem <strong>Anwalt</strong>sbüro keine Vorfristen notiert und kommt es<br />
zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, so kann keine<br />
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger wandte sich mit einer Vollstreckungsabwehrklage<br />
gegen die Beklagte, die aus einer Grundschuld gegen ihn vorgegangen<br />
war. <strong>Das</strong> LG wies die Klage ab. Gegen das am 6.5.2004<br />
zugestellte Urteil legte der Klägervertreter mit Schriftsatz vom<br />
4.6.2004, der am 6.6.2004 bei Gericht einging, Berufung ein.<br />
Die einen Wiedereinsetzungsantrag enthaltende Berufungsbegründungsschrift<br />
ist erst am 8.7.2004 bei Gericht eingegangen.<br />
Der Klägervertreter begründete den Wiedereinsetzungsantrag<br />
damit, dass die mit der Fristenkontrolle beauftragte <strong>Anwalt</strong>sgehilfin<br />
X. am 6.7.2004 versehentlich eine Fristenkontrolle unterlassen<br />
und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erst am<br />
Nachmittag des 7.7.2004 festgestellt habe. X. sei eine zuverlässige<br />
Fachkraft, der insoweit noch niemals ein Fehler oder ein Versäumnis<br />
unterlaufen sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag legte der<br />
Klägervertreter eine entsprechende eidesstattliche Versicherung<br />
der X. vom 8.7.2004 bei.<br />
<strong>Das</strong> OLG verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig.<br />
Die Gründe:<br />
Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist<br />
des § 520 Abs.2 Nr.1 ZPO begründet wurde. Dem Kläger kann<br />
wegen der Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen<br />
Stand gewährt werden, weil sich aus den Darlegungen seines<br />
Prozessvertreters nicht ergibt, dass dieser ohne Verschulden an<br />
der Einhaltung der Frist gehindert war. <strong>Das</strong> Verschulden seines<br />
Prozessvertreters muss sich der Kläger gemäß § 85 Abs.2 ZPO<br />
zurechnen lassen.<br />
Die Wiedereinsetzungsgründe müssen gem. § 236 Abs.2 ZPO <strong>im</strong><br />
Antrag bezeichnet werden. Dabei müssen diese Angaben hinreichend<br />
substantiiert sein. Jede Unklarheit, die ein Verschulden möglich<br />
erscheinen lässt, ist zu Lasten der säumigen Partei zu werten.<br />
Aus dem Vortrag des Klägervertreters geht nicht hervor, warum<br />
X. trotz ordnungsgemäßer Eintragung der Berufungsbegründungsfrist<br />
<strong>im</strong> PC und Fristenkalender die Fristenkontrolle am<br />
6.7.2004 unterließ. Ein Verschulden des Klägervertreters hätte<br />
nur dann ausgeschlossen werden können, wenn er dargelegt hätte,<br />
welche Weisungen er seinem Büropersonal <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
die Fristenkontrolle gegeben hat, wie die Fristnotierung ausgestaltet<br />
war, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um mögliche<br />
Fehlerrisiken auszuschließen, und inwieweit die X. auf Grund<br />
ihrer Ausbildung und Berufserfahrung in der Lage war, die an sie<br />
delegierte Aufgabe zu erfüllen.<br />
Zu diesen Substantiierungsmängeln kommt hinzu, dass der Klägervertreter<br />
sein Personal offenbar nicht angewiesen hat, Vorfristen<br />
zu notieren. Dies stellt einen Organisationsmangel dar.<br />
Bei Berufungsbegründungsfristen ist die Eintragung von Vorfristen<br />
schon deshalb notwendig, weil zur Vorbereitung der Beru-<br />
fungsbegründung Zeit benötigt wird. <strong>Das</strong> Gericht musste den<br />
Klägervertreter nicht auf die Mängel des Wiedereinsetzungsgesuchs<br />
hinweisen, da ein Nachschieben oder Nachholen von relevanten<br />
Angaben nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist nach §<br />
234 Abs.1 ZPO grundsätzlich unzulässig ist.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei<br />
bestehendem Anspruch auf einen Prozesskostenvorschusses<br />
unter Eheleuten<br />
OLG Frankfurt 18.11.2004, 19 W 33/04<br />
Wer Anspruch auf die Zahlung eines Prozesskostenvorschusses<br />
hat, kann keine Gewährung von Prozesskostenhilfe verlangen.<br />
Dem Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gemäß § 1360a<br />
BGB steht dabei nicht entgegen, dass die Ehe geschieden wurde,<br />
nachdem der Ehegatte in Verzug gesetzt worden war.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin verlangte vom Beklagten, ihrem Ex-Ehemann, die<br />
Rückzahlung eines Geldbetrags. Zur klageweisen Geltendmachung<br />
ihres Anspruchs verlangte sie von ihm die Zahlung eines Prozesskostenvorschusses.<br />
Nachdem die Klägerin diesen Anspruch geltend<br />
gemacht hatte, wurde die Ehe geschieden. Der Beklagte weigerte<br />
sich, den Prozesskostenvorschuss zu leisten. Aus diesem Grund<br />
beantragte die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der<br />
hierauf gerichtete Antrag hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin kann keine Prozesskostenhilfe beanspruchen. Nach<br />
§ 114 S.1 ZPO darf Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden,<br />
wenn der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nach seinen<br />
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen<br />
kann. Dazu hat er gem. § 115 Abs.2 ZPO sein Vermögen<br />
einzusetzen. Zum Vermögen gehören auch Ansprüche gegen<br />
Dritte auf Vorleistung.<br />
Im Streitfall hat die Klägerin gegen den Beklagten gemäß §§<br />
1361 Abs.4, 1360a Abs.4 BGB einen Anspruch auf Zahlung des<br />
Prozesskostenvorschusses. Die Klägerin ist auch nicht gehindert,<br />
diesen Anspruch trotz der inzwischen erfolgten Ehescheidung<br />
gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Sie hat ihn<br />
vor Abschluss des Scheidungsverfahrens auf Zahlung des Prozesskostenvorschusses<br />
in Anspruch genommen. Zwar hat ein<br />
geschiedener Ehegatte keinen Vorschussanspruch gegen seinen<br />
früheren Partner. Hierauf kann sich ein Ehegatte jedoch nicht<br />
berufen, wenn er rechtzeitig vor der Scheidung, als der Anspruch<br />
bestand und fällig war, in Verzug gesetzt worden ist. Es ist nicht<br />
einzusehen, dass der Unterhaltsschuldner, der die Zahlung verweigert,<br />
sich auf den zwischenzeitlichen Abschluss des Scheidungsverfahrens<br />
berufen und damit seiner Zahlungsverpflichtung<br />
entgehen kann.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
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Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 31
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Zwangsvollstreckung und<br />
Insolvenz<br />
Insolvenzverwalter haben in „Altfällen“<br />
lediglich Anspruch auf die niedrige Mindestvergütung<br />
nach der InsVV a.F.<br />
BGH 20.1.2005, IX ZB 134/04<br />
Die in der bis zum 31.12.2003 geltenden Insolvenzrechtlichen<br />
Vergütungsordnung (InsVV a.F.) vorgesehene Mindestvergütung<br />
für masselose Verfahren ist zwar so niedrig, dass sie nicht<br />
mehr verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der<br />
Verordnungsgeber musste aber erst mit Wirkung zum<br />
1.1.2004 eine Gebührenerhöhung beschließen. Daher können<br />
Insolvenzverwalter und Treuhänder für vor dem 1.1.2004<br />
eröffnete Insolvenzverfahren weiterhin lediglich die niedrigere<br />
„alte“ Mindestvergütung beanspruchen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beschwerdeführerin war Treuhänderin in einem vor dem<br />
1.1.2004 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren. Sie machte<br />
geltend, dass die in § 13 Abs.1 S.3 InsVV a.F. vorgesehene<br />
Mindestvergütung in masselosen Verfahren von 250 Euro verfassungswidrig<br />
sei. Diese Gebühr sei angesichts ihres Bearbeitungsaufwands<br />
nicht kostendeckend.<br />
In zwei anderen Verfahren hatte der BGH am 15.1.2004 (Az.: IX<br />
ZB 96/03 und IX ZB 46/03) entschieden, dass die damals geltenden<br />
Mindestsätze für Insolvenzverwalter in Höhe von 500 Euro<br />
und für Treuhänder in Höhe von 250 Euro seit dem 1.1.2004<br />
verfassungswidrig sind. Daraufhin änderte das Bundesjustizministerium<br />
die InsVV mit Wirkung zum 1.1.2004. AG und LG<br />
sprachen der Beschwerdeführerin auf der Grundlage dieser<br />
BGH-Rechtsprechung lediglich die ihr nach altem Recht zustehende<br />
Gebühr in Höhe von 250 Euro zu.<br />
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das<br />
BVerfG (mit Beschluss vom 29.7.2004; Az.: 1 BvR 1322/04)<br />
nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei mangels<br />
Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist. Unter Berücksichtigung<br />
der durch die BGH-Urteile vom 15.1.2004 ausgelösten<br />
Diskussion bestehe <strong>im</strong> Streitfall noch keine gefestigte<br />
höchstrichterliche Rechtsprechung, von der keine Abweichung<br />
zu erwarten sei. Die daraufhin eingelegte Rechtsbeschwerde<br />
zum BGH hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beschwerdeführerin kann lediglich die ihr nach § 13 Abs.1<br />
S.3 InsVV a.F. zustehende Vergütung in Höhe von 250 Euro<br />
beanspruchen. Diese Mindestvergütung ist zwar so niedrig,<br />
dass sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr<br />
gerecht wird. Ein Verfassungsverstoß liegt aber nur für nach dem<br />
1.1.2004 eröffnete Insolvenzverfahren vor. Für „Altfälle“ ist die<br />
Mindestvergütung hingegen noch hinzunehmen.<br />
Dem Verordnungsgeber stand bis zum Ende des Jahres 2003<br />
hinsichtlich der Höhe der Mindestvergütung ein Prognose- und<br />
Anpassungsspielraum zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es<br />
die massearme Kleininsolvenz erst seit dem 1.12.2001 gibt. Die<br />
große Zahl masseloser Verfahren bei nicht kostendeckender Vergütung<br />
der Insolvenzverwalter und Treuhänder war in dieser<br />
Form nicht absehbar. Dem Verordnungsgeber ist daher nicht von<br />
Anfang an eine untragbare Fehleinschätzung vorzuwerfen.<br />
Linkhinweise:<br />
Der BGH hat mit der vorliegenden Entscheidungen seine Grundsatzurteile<br />
vom 15.1.2004 bestätigt.<br />
Für den Volltext der auf der Website des BGH veröffentlichten<br />
Entscheidung vom 15.1.2004 mit dem Aktenzeichen IX ZB<br />
96/03 klicken Sie bitte hier (pdf-Datei).<br />
Die zweite BGH- Entscheidung zum Thema mit dem Aktenzeichen<br />
IX ZB 46/03 finden Sie hier (pdf-Datei).<br />
Für die auf der Website des BVerfG veröffentlichte Nichtzulassungsentscheidung<br />
vom 29.7.2004 (Az.: 1 BvR 1322/04) klicken<br />
Sie bitte hier.<br />
Insolvenzverwalter dürfen unter Vorbehalt<br />
gezahlte Sozialversicherungsbeiträge<br />
zurückfordern<br />
BGH 9.12.2004, IX ZR 108/04<br />
St<strong>im</strong>mt ein mit Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt ausgestatteter vorläufiger<br />
Insolvenzverwalter unter dem Druck einer Strafanzeige der<br />
Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Sozialkasse<br />
zu, so kann er die Zahlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
grundsätzlich anfechten. <strong>Das</strong> gilt jedenfalls dann, wenn er<br />
der Zahlung nur unter dem Vorbehalt der Anfechtung und<br />
Rückforderung zugest<strong>im</strong>mt hat. In diesem Fall entsteht auf Seiten<br />
der Sozialkasse kein schutzwürdiges Vertrauen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. KG.<br />
Diese zahlte ihren Arbeitnehmern seit Januar 2003 keinen Lohn<br />
mehr. Am 28.2.2003 wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter<br />
bestellt und ihm ein Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt eingeräumt.<br />
Im April 2003 kündigte der Kläger gegenüber der beklagten<br />
Sozialkasse an, dass er zwar der Auszahlung der Nettolöhne für<br />
den Monat Januar 2003 zust<strong>im</strong>men werde, nicht aber der Auszahlung<br />
der hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge.<br />
Die Beklagte drohte ihm für diesen Fall eine Strafanzeige wegen<br />
Verstoßes gegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen<br />
von Arbeitsentgelt) an. Der Kläger st<strong>im</strong>mte daraufhin einer Auszahlung<br />
der Sozialversicherungsbeiträge unter dem Vorbehalt<br />
der späteren Anfechtung und Rückforderung zu.<br />
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte der Kläger die<br />
Anfechtung der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nach<br />
§ 130 Abs.1 S.1 Nr.2 InsO und verlangte die Rückzahlung. Die<br />
hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung<br />
der Sozialversicherungsbeiträge. Er hat die Zahlung wirk-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 32
sam gemäß § 130 Abs.1 S.1 Nr.2 InsO angefochten. Hiernach ist<br />
eine nach dem Eröffnungsantrag vorgenommene Befriedigung<br />
eines Gläubigers anfechtbar, wenn der Gläubiger zu diesem<br />
Zeitpunkt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners<br />
oder dem Eröffnungsantrag hatte. Diese Voraussetzungen liegen<br />
hier vor. Die Gemeinschuldnerin hat die Sozialversicherungsbeiträge<br />
nach dem Eröffnungsantrag, von dem die Beklagte Kenntnis<br />
hatte, gezahlt.<br />
Der Anfechtbarkeit dieser Rechtshandlung steht nicht entgegen,<br />
dass der Kläger der Zahlung als mit Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt<br />
ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter zugest<strong>im</strong>mt hat.<br />
Grundsätzlich können Insolvenzverwalter auch solche Rechtshandlungen<br />
nach den §§ 130, 131 InsO anfechten, an denen sie<br />
selbst als vorläufige Insolvenzverwalter ohne allgemeine Verwaltungs-<br />
und Verfügungsbefugnis beteiligt waren. Etwas anderes<br />
gilt nur, wenn der spätere Insolvenzverwalter durch sein<br />
Handeln ein schutzwürdiges Vertrauen des Empfängers in das<br />
Behaltendürfen der Leistung begründet hat.<br />
Die Beklagte durfte nicht darauf vertrauen, die unter dem Druck<br />
einer drohenden Strafanzeige gezahlten Sozialversicherungsbeiträge<br />
behalten zu dürfen. Der Kläger hat seine Zust<strong>im</strong>mung zur<br />
Auszahlung der Gelder von vornherein mit dem Vorbehalt der<br />
späteren Anfechtung der Zahlung versehen. Die Beklagte musste<br />
deshalb mit der Rückforderung der Beträge rechnen.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BGH veröffentlicht.<br />
Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier<br />
(pdf-Datei).<br />
Insolvenzverwalter können mehr als drei<br />
Monate vor dem Insolvenzantrag durchgeführte<br />
Zwangsvollstreckungen nicht anfechten<br />
BGH 10.2.2005, IX ZR 211/02<br />
Führt ein Gläubiger mehr als drei Monate vor dem<br />
Insolvenzantrag Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den<br />
späteren Gemeinschuldner durch, so kann der Insolvenzverwalter<br />
dies nicht anfechten. Eine Insolvenzanfechtung nach den<br />
§§ 130 bis 132 InsO scheidet aus, weil diese Vorschriften<br />
nur Rechtshandlungen in den letzten drei Monaten vor dem<br />
Insolvenzantrag erfassen. Es liegt auch keine anfechtbare<br />
vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO vor, weil<br />
hierfür eine Rechtshandlung des Schuldners erforderlich ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die spätere Gemeinschuldnerin war mit ihren Umsatzsteuerzahlungen<br />
in Verzug geraten. Auf eine entsprechende Zahlungsaufforderung<br />
teilte die Schuldnerin dem Finanzamt mit, dass sie<br />
nicht mehr leistungsfähig sei. Daraufhin pfändete das Finanzamt<br />
am 3.2.1999 eine Forderung der Gemeinschuldnerin gegen einen<br />
Dritten und beglich mit dem Geld die Umsatzsteuerschuld der<br />
Gemeinschuldnerin.<br />
Am 4.5.1999 und damit mehr als drei Monate nach der Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />
des Finanzamts stellte die Gemeinschuldnerin<br />
einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah-<br />
rens. <strong>Das</strong> Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der Kläger<br />
zum Insolvenzverwalter bestellt. Er erklärte gegenüber der von<br />
dem Finanzamt des beklagten Landes durchgeführten Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />
die Insolvenzanfechtung und nahm<br />
das beklagte Land auf Rückzahlung in Anspruch. Die hierauf<br />
gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Zahlung des Drittschuldners an das Finanzamt ist nicht<br />
anfechtbar. Eine Insolvenzanfechtung nach den §§ 130 bis 132<br />
InsO kommt nicht in Betracht, da das Finanzamt die Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />
außerhalb des durch diese Vorschriften<br />
geschützten Dre<strong>im</strong>onatszeitraums vor dem Insolvenzantrag<br />
durchgeführt hat.<br />
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckungsmaßnahme auch<br />
nicht gemäß § 133 Abs.1 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung<br />
anfechten. Diese Vorschrift setzt eine in Gläubigerbenachteiligungsabsicht<br />
durchgeführte Rechtshandlung des<br />
Gemeinschuldners voraus. Hieran fehlt es <strong>im</strong> Streitfall, da das<br />
Finanzamt - und nicht die Gemeinschuldnerin - die Zwangsvollstreckung<br />
veranlasst hat.<br />
Die Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung<br />
kann auch nicht auf alle Fälle ausgedehnt werden, in denen<br />
lediglich eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung seitens<br />
eines Gläubigers vorliegt. Dagegen spricht bereits der eindeutige<br />
Wortlaut von § 133 InsO.<br />
Eine derartige Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 133<br />
ist auch nicht mit dem systematischen Zusammenhang der Norm<br />
vereinbar. Während die §§ 130 bis 132 InsO Rechtshandlungen<br />
in zeitlicher Nähe zum Insolvenzantrag erfassen, stellt §<br />
133 InsO nicht auf den engen Zusammenhang mit der bevorstehenden<br />
Insolvenz, sondern auf best<strong>im</strong>mte Verhaltensweisen des<br />
Gemeinschuldners ab.<br />
Vorläufige Insolvenzverwalter dürfen eine<br />
Überweisung durch Lastschrift widerrufen<br />
KG Berlin 23.11.2004, 7 U 73/04<br />
Es ist die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, das<br />
Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller Gläubiger zu<br />
sichern und nicht einzelne Gläubiger vorab zu befriedigen.<br />
Er kann daher berechtigt sein, den auf dem Konto der<br />
Insolvenzschuldnerin <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />
eingelösten Lastschriften zu widersprechen. Voraussetzung<br />
hierfür ist, dass der Insolvenzverwalter einen anerkennenswerten<br />
Grund für den Widerspruch hat. Ein anerkennenswerter Grund<br />
liegt beispielsweise vor, wenn dem Insolvenzverwalter ein<br />
Anfechtungsrecht nach §§ 129 ff InsO zusteht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte ist vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen<br />
der Schuldnerin. Die Klägerin verlangte vom Beklagten<br />
Schadenersatz in Höhe von rund 108.000 Euro wegen des<br />
Widerrufs von Lastschriften auf dem Konto der Schuldnerin, die<br />
zu Gunsten der Klägerin <strong>im</strong> Wege der Einziehung erfolgt waren.<br />
Die Lastschriften waren mit einem Einziehungsvermerk versehen.<br />
Die Schuldnerin hatte der Klägerin einen Abbuchungsauftrag<br />
erteilt, von dem die Klägerin aber, wie sie behauptet hat,<br />
versehentlich keinen Gebrauch gemacht hatte.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 33
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der Beklagte nicht<br />
berechtigt war, Lastschriften auf dem Konto der Schuldnerin<br />
ohne weitere Prüfung zu widerrufen, weil er keinen anerkennenswerten<br />
Grund dazu hatte. Der vorläufige Insolvenzverwalter<br />
sei zur Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen <strong>im</strong> Vorfeld<br />
der Insolvenzeröffnung nicht befugt. Die Klage auf Zahlung von<br />
rund 108.000 Euro hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die<br />
Zahlung der 108.000 Euro. Der Anspruch ergibt sich insbesondere<br />
nicht aus §§ 21 Abs.2 Nr.1, 60 Abs.1 InsO. Danach ist der vorläufige<br />
Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz<br />
verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm<br />
nach der Insolvenzordnung obliegen. <strong>Das</strong> ist hier nicht der Fall.<br />
Der Beklagte hat als vorläufiger Insolvenzverwalter seine gegenüber<br />
der Klägerin bestehenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt,<br />
indem er den von der Klägerin <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />
eingereichten und auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin<br />
eingelösten Lastschriften wirksam widersprochen hat.<br />
Ein Recht zum Widerruf einer Lastschrift <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />
besteht <strong>im</strong>mer dann, wenn dafür ein anerkennenswerter<br />
Grund vorliegt. Ein solcher liegt beispielsweise vor,<br />
wenn der Schuldner ein Leistungsverweigerungs-, Zurückbehaltungs-<br />
oder Aufrechnungsrecht gegenüber dem an sich begründeten<br />
Anspruch des Gläubigers hat. Kann sich der Schuldner<br />
nicht auf einen solchen anerkennenswerten Grund stützen, so<br />
übt er den Widerspruch zweckfremd aus und macht sich schadensersatzpflichtig.<br />
Im Streitfall konnte sich der Beklagte auf einen anerkennenswerten<br />
Grund zum Widerruf der Lastschrift berufen. Er durfte davon<br />
ausgehen, dass die Klägerin die 108.000 Euro in anfechtbarer Weise<br />
erlangt hat. Es bestand ein Anfechtungsgrund aus § 130 Abs.1<br />
Nr.2 InsO, denn die Klägerin hat die Rechtshandlung nach dem<br />
Eröffnungsantrag und in Kenntnis des Antrags vorgenommen.<br />
Dem vorläufigen Insolvenzverwalter steht zwar kein Anfechtungsrecht<br />
nach Maßgabe der §§ 129 ff InsO zu. <strong>Das</strong> schließt aber<br />
nicht aus, dass sich aus diesen Vorschriften auch ein anerkennenswerter<br />
Grund für die Ausübung des Widerrufsrechts ergeben<br />
kann. Drängt sich der Verdacht auf, dass der spätere (endgültige)<br />
Insolvenzverwalter vom Anfechtungsrecht Gebrauch<br />
machen könnte, besteht für den vorläufigen Insolvenzverwalter<br />
die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die anfechtbar erlangte Rechtsposition<br />
eines Gläubigers nicht durch Übertragung von Vermögenswerten<br />
aus der Insolvenzmasse zum Nachteil der übrigen<br />
Gläubiger gestärkt wird.<br />
Der vorläufige Insolvenzverwalter muss gemäß § 22 Abs.1 Nr.1<br />
InsO das Vermögen des Insolvenzschuldners sichern und erhalten.<br />
Es ist daher nicht seine Sache, eine vor dem Insolvenzantrag<br />
unvollständig erfüllte Verbindlichkeit endgültig zu vollziehen<br />
oder einer schwebend unwirksamen Erfüllungshandlung des<br />
Schuldners durch Genehmigung zur Wirksamkeit zu verhelfen.<br />
Er muss vielmehr das Vermögen des Schuldners zu Gunsten<br />
aller Gläubiger sichern und soll nicht einzelne Gläubiger vorab<br />
befriedigen.<br />
Der anerkennenswerten Grund entfällt auch nicht deshalb, weil<br />
die Insolvenzschuldnerin ihrer Bank den Abbuchungsauftrag zu<br />
Gunsten der Klägerin erteilt hat. Die Klägerin hat davon unstreitig<br />
keinen Gebrauch gemacht, sondern das Einziehungsermächtigungsverfahren<br />
gewählt und dem Schuldner damit ein Widerrufsrecht<br />
gewährt.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Gebühren und Kosten<br />
Anwälte dürfen weiterhin keine Erfolgshonorare<br />
vereinbaren<br />
OLG Celle 26.11.2004, 3 U 250/04<br />
Nach § 49b Abs.2 BRAO dürfen Rechtsanwälte mit ihren<br />
Mandanten keine Erfolgshonorare vereinbaren. Dieses Verbot<br />
ist verfassungsgemäß und verletzt insbesondere nicht die<br />
durch Art. 12 Abs.1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit<br />
der Rechtsanwälte. Der Eingriff in Art. 12 Abs.1 GG ist<br />
gerechtfertigt, weil den Anwälten in jedem Fall die gesetzlichen<br />
Gebühren verbleiben und ein Erfolgshonorar ihre Unabhängigkeit<br />
gefährdet.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin hatte den beklagten Rechtsanwalt <strong>im</strong> November<br />
2002 mit der außergerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen<br />
gegenüber einer Versicherung in Höhe von 340.000 Euro beauftragt.<br />
Die Parteien trafen eine Honorarvereinbarung, wonach der<br />
Beklagte ein Pauschalhonorar von 50.000 Euro erhalten sollte, das<br />
bei Eingang der Entschädigung auf dem Konto der Klägerin fällig<br />
werde. Auf dieses Pauschalhonorar musste die Klägerin bei Mandatsübernahme<br />
eine Anzahlung von 10.000 Euro leisten.<br />
Später verlangte die Klägerin die von ihr geleistete Anzahlung<br />
von 10.000 Euro unter Anrechnung einer 10/10 Geschäftsgebühr<br />
nach § 118 Abs.1 S.1 BRAGO aus 340.000 Euro zurück. Die<br />
hierauf gerichtete Klage hatte sowohl vor dem LG als auch vor<br />
dem OLG Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 812 Abs.1 S.1 1.Alt.<br />
BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der 10.000 Euro abzüglich<br />
der 10/10 Geschäftsgebühr nach § 118 Abs.1 S.1 BRAGO.<br />
Die Anzahlung der 10.000 Euro beruhte auf einer Honorarvereinbarung,<br />
die wegen Verstoßes gegen § 49b Abs.2 BRAO, §<br />
134 BGB nichtig ist. <strong>Das</strong> Pauschalhonorar sollte mit Zahlung<br />
der Entschädigung fällig werden und war damit erfolgsorientiert.<br />
Die angezahlten 10.000 Euro stellten einen Vorschuss auf das<br />
unzulässige Erfolgshonorar dar.<br />
<strong>Das</strong> in § 49b Abs.2 BRAO normierte Verbot der Vereinbarung<br />
eines Erfolgshonorars ist auch verfassungsgemäß. Es verstößt<br />
insbesondere nicht gegen die durch Art. 12 Abs.1 GG geschützte<br />
Berufsausübungsfreiheit der Anwälte. § 49b Abs.2 BRAO dient<br />
einem wichtigen Gemeinwohlbelang, nämlich dem Schutz der<br />
Stellung der Anwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege.<br />
Daneben werden Anwälte durch das Verbot auch nicht übermä-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 34
ßig belastet, da ihnen auf jeden Fall die gesetzlichen Gebühren<br />
verbleiben und unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen auch Honorarvereinbarungen<br />
möglich sind.<br />
Beweisgebühr wegen Verwertung beigezogener<br />
Akten setzt deren Würdigung in der<br />
gerichtlichen Entscheidung voraus<br />
BGH 29.7.2004, III ZB 71/03<br />
Werden Akten beigezogen, so erhält der Rechtsanwalt gemäß<br />
§ 34 Abs.2 BRAGO nur dann eine Beweisgebühr, wenn die<br />
Akten durch Beweisbeschluss oder sonst erkennbar zum<br />
Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden. Eine<br />
Verwertung der beigezogenen Akten setzt deren Würdigung in<br />
einer gerichtlichen Entscheidung voraus. Es genügt daher nicht,<br />
wenn das Gericht die Akten lediglich zu Informationszwecken<br />
beizieht, der Inhalt der Akten für die Sachentscheidung aber<br />
letztlich nicht von Bedeutung ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die klagende Gemeinde nahm die Beklagte als Erbin ihres verstorbenen<br />
Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Der Ehemann<br />
war für die Gemeinde als Bodengutachter tätig geworden.<br />
Die Beklagte machte geltend, dass sie nicht Erbin ihres Ehemannes<br />
geworden sei. <strong>Das</strong> LG ließ diese Frage offen und wies die<br />
Klage wegen Verjährung des geltend gemachten Anspruchs ab.<br />
Im Berufungsverfahren zog das OLG „vorsorglich zu Informationszwecken“<br />
die Nachlassakten bei. Im Verhandlungstermin<br />
wies es die Parteien darauf hin, dass auch eine Eintrittspflicht<br />
der hinter dem Ehemann stehenden Versicherung in Betracht<br />
komme. Auf dieser Grundlage schlossen die Parteien und die zu<br />
diesem Zweck dem Rechtsstreit beigetretene Versicherung einen<br />
Vergleich. Danach verpflichtete sich die Versicherung zur Zahlung<br />
von 65.000 Euro an die Klägerin. Diese sollte wiederum 75<br />
Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen.<br />
Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Beklagte, wegen<br />
der Beiziehung der Nachlassakten gegen die Klägerin eine<br />
Beweisgebühr festzusetzen. Der hierauf gerichtete Antrag hatte<br />
in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Im Streitfall ist keine Beweisgebühr entstanden. Hierfür hätten<br />
die Nachlassakten nach § 34 Abs.2 BRAGO als Beweis verwertet<br />
werden müssen. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. <strong>Das</strong><br />
OLG hat die Nachlassakten ausdrücklich nur „zu Informationszwecken“<br />
beigezogen und daran ausweislich des Protokolls auch<br />
in der mündlichen Verhandlung festgehalten.<br />
Eine derartige Verwendung beigezogener Akten zu reinen Informationszwecken<br />
reicht für eine Verwertung als Beweis <strong>im</strong> Sinn<br />
von § 34 Abs.2 BRAGO nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine<br />
Würdigung des Akteninhalts in der gerichtlichen Entscheidung.<br />
Jede vorausgehende Einschätzung des Gerichts ist nur vorläufig<br />
und enthält noch keine endgültige gerichtliche Beweiswürdigung,<br />
sondern lediglich eine unverbindliche Prognose.<br />
Für diese Rechtsauffassung spricht auch, dass aus Gründen der<br />
Rechtssicherheit und Praktikabilität regelmäßig an formale,<br />
leicht zu handhabende Kriterien anzuknüpfen ist. Dem würde es<br />
widersprechen, wenn auf eine in vielen Fällen nicht einmal protokollierte<br />
und für die Kostenfestsetzung daher erst zu ermitteln-<br />
de Äußerung einer Rechtsauffassung des vorher mit der Sache<br />
befassten Gerichts abgestellt würde.<br />
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Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Im vorprozessualen Schlichtungsverfahren<br />
bei der ärztlichen Schlichtungsstelle entsteht<br />
keine Beweisgebühr<br />
BGH 14.9.2004, VI ZB 22/04<br />
Für die anwaltschaftliche Vertretung einer Partei <strong>im</strong><br />
vorprozessualen Schlichtungsverfahren bei der ärztlichen<br />
Schlichtungsstelle entsteht lediglich eine Geschäftsgebühr<br />
nach § 118 Abs.1 Nr.1 BRAGO. Diese wird gemäß § 118 Abs.2<br />
BRAGO auf die entsprechenden Gebühren <strong>im</strong> anschließenden<br />
gerichtlichen Verfahren angerechnet. Eine gesonderte<br />
Beweisgebühr nach § 118 Abs.1 Nr.3 BRAGO entsteht hingegen<br />
nicht, da die ärztliche Schlichtungsstelle weder Gericht noch<br />
Behörde <strong>im</strong> Sinn dieser Vorschrift ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin verlangte von dem Beklagten, dem Träger eines<br />
Krankenhauses Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen<br />
eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Bereits <strong>im</strong> Schlichtungsverfahren<br />
vor der ärztlichen Schlichtungsstelle ließ die Klägerin<br />
sich von ihren späteren Prozessbevollmächtigten vertreten. Die<br />
Schlichtungsstelle holte ein medizinisches Gutachten ein, auf<br />
das sich die Klägerin in dem späteren Gerichtsverfahren berief.<br />
Der Prozess endete mit einem Vergleich der Parteien, in dem sich<br />
der Beklagte zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits verpflichtete.<br />
Die Klägerin beantragte, für die Einholung des Gutachtens<br />
durch die Schlichtungsstelle eine Beweisgebühr festzusetzen.<br />
Die zuständige Rechtspflegerin gab diesem Antrag statt.<br />
Auf die Beschwerde des Beklagten hob das OLG den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />
des LG auf und lehnte die Festsetzung<br />
der beantragten weiteren Kosten ab. Die hiergegen gerichtete<br />
Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Für die vorprozessuale Vertretung der Klägerin vor der ärztlichen<br />
Schlichtungsstelle ist lediglich die Geschäftsgebühr nach §<br />
118 Abs.1 Nr.1 BRAGO angefallen. Diese war nach § 118 Abs.2<br />
BRAGO auf die entsprechenden Gebühren <strong>im</strong> anschließenden<br />
gerichtlichen Verfahren anzurechnen. Eine Beweisgebühr nach §<br />
118 Abs.1 Nr.3 BRAGO ist hingegen nicht entstanden.<br />
§ 118 Abs.1 Nr.3 BRAGO setzt das Mitwirken an einer Beweisaufnahme<br />
voraus, die von einem Gericht oder einer Behörde<br />
angeordnet worden ist. Die ärztliche Schlichtungsstelle ist weder<br />
ein Gericht noch eine Behörde in diesem Sinne. Der Gebührentatbestand<br />
ist auch nicht über seinen Wortlaut hinaus auf alle Fälle<br />
auszudehnen, in denen es sachgerecht erscheint, sich außergerichtlich<br />
anwaltlich vertreten zu lassen. Eine derart weite<br />
Auslegung würde <strong>im</strong> Widerspruch zu § 91 Abs.2 S.1 ZPO stehen,<br />
wonach dem Rechtsanwalt der obsiegenden Partei nur die<br />
gesetzlichen Gebühren und Auslagen zu erstatten sind.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 35
Es dürfen demnach keine höheren Kosten als erstattungsfähig<br />
festgesetzt werden, als gesetzlich vorgesehen. Andernfalls würde<br />
für die Partei das mit dem Rechtsstreit verbundene Kostenrisiko<br />
unkalkulierbar. <strong>Das</strong> gilt erst recht <strong>im</strong> vorliegenden Fall, in dem<br />
die Kostenverteilung auf dem den Prozess beendenden Vergleich<br />
beruht und deshalb ein nicht wichtiger Bestandteil der angestrebten<br />
Einigung war.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH<br />
veröffentlicht.<br />
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(pdf-Datei).<br />
Verteidigerhonorar in Höhe von 35.000 Euro<br />
ist nicht zwangsläufig sittenwidrig<br />
OLG München 15.7.2004, 6 U 3864/03<br />
Die Vereinbarung eines Verteidigerhonorars in Höhe von rund<br />
35.000 Euro ist nicht ohne weiteres sittenwidrig, wenn das<br />
Ermittlungsverfahren wegen Betrugs einen Aktenumfang von über<br />
100 Aktenordnern hat. In einem solchen Fall ist die Verteidigung<br />
sehr aufwändig und n<strong>im</strong>mt allein das Aktenstudium einige Zeit<br />
in Anspruch. Für die Frage der Sittenwidrigkeit spielt es keine<br />
Rolle, ob andere Anwälte die Verteidigung auch für ein geringeres<br />
Honorar übernommen hätten, da insoweit Vertragsfreiheit gilt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Gegen den Ehemann der Klägerin wurde <strong>im</strong> Jahr 2001 ein<br />
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der „Anlagespekulation“<br />
geführt. Seit Ende Januar 2001 befand er sich deswegen in<br />
Untersuchungshaft. Er beauftragte den Beklagten mit seiner Verteidigung.<br />
Dieser stellte ihm hierfür <strong>im</strong> April 2001 rund 10.000<br />
Euro in Rechnung. Die Klägerin bezahlte diesen Betrag.<br />
Im Juni 2001 beauftragten die Klägerin und ihr Mann den<br />
Beklagten mit der weiteren Verteidigung. Für das künftige Verfahren<br />
inklusive Hauptverhandlung vereinbarten die Parteien<br />
ein Pauschalhonorar von 25.000 Euro. Die Klägerin bezahlte<br />
zwar das Honorar, verlangte jedoch später die Rückzahlung des<br />
Gesamtbetrags von 35.000 Euro.<br />
Dies begründete sie damit, dass das vereinbarte Honorar das 54fache<br />
der gesetzlichen Gebühren betragen hätte und deshalb sittenwidrig<br />
sei. Außerdem sei die Tätigkeit des Beklagten von keinerlei Erfolg<br />
gekrönt gewesen. Die Schriftsätze hätten sich größtenteils auf<br />
eine DIN-A4-Seite beschränkt. Ihrer Klage auf Rückzahlung der<br />
35.000 Euro gab das LG statt. Die hiergegen gerichtete Berufung<br />
des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf<br />
Rückzahlung des Honorars. Ein Rückzahlungsanspruch ergibt<br />
sich insbesondere nicht aus § 138 BGB i.V.m. § 812 Abs.1 S.1,<br />
1.Alt. BGB. Die streitige Honorarvereinbarung ist nicht sittenwidrig.<br />
Bei dem Strafverfahren gegen den Ehemann der Klägerin<br />
wegen Anlagespekulation handelte es sich um ein sehr<br />
umfangreiches Verfahren, bei dem über 100 Ordner Verfahrensakten<br />
angefallen sind. Hieraus ergibt sich, dass die Verteidigung<br />
aufwändig und sehr zeitintensiv war. Schon allein die Sichtung<br />
der Verfahrensakten nahm einige Zeit in Anspruch.<br />
Dies rechtfertigt ohne weiteres ein hohes Verteidigerhonorar.<br />
<strong>Das</strong> an den Beklagten bezahlte Verteidigerhonorar hält sich <strong>im</strong><br />
Rahmen und ist nicht zu beanstanden. <strong>Das</strong>s ein anderer Verteidiger<br />
die Verteidigung auch für ein geringeres Honorar übernommen<br />
hätte, spielt dabei keine Rolle und muss unberücksichtigt<br />
bleiben, da insoweit Vertragsfreiheit gilt.<br />
Es ist nicht zu prüfen, ob der Beklagte - wie die Klägerin meint<br />
- nicht ausreichend tätig geworden ist. Diesbezüglich hätte die<br />
Klägerin Schlechtleistung geltend machen und dies konkret und<br />
substanziiert vortragen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen.<br />
Daher muss von einer ordnungsgemäßen Verteidigung ausgegangen<br />
werden, für die das gezahlte Honorar keineswegs so unangemessen<br />
hoch ist, dass der Vertrag gem. § 138 Abs.1 wegen Verstoßes<br />
gegen die guten Sitten nichtig ist.<br />
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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
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Berufsrecht<br />
Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Strafrecht“ setzt nicht<br />
zwingend praktische Erfahrungen als Strafverteidiger<br />
voraus<br />
BGH 8.11.2004, AnwZ (B) 84/03<br />
Die Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für<br />
Strafrecht“ kann auch solchen Rechtsanwälten erteilt werden, die<br />
überwiegend Nebenklagevertretungen übernehmen und deshalb<br />
über wenig Erfahrung als Strafverteidiger verfügen. § 5 S.1f FAO<br />
setzt lediglich besondere praktische Erfahrungen auf dem Gebiet<br />
des Strafrechts voraus. Dem lässt sich keine Beschränkung auf<br />
Erfahrungen auf dem Gebiet der Strafverteidigung entnehmen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Er beantragte be<strong>im</strong> Antragsgegner,<br />
ihm das Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“<br />
zu gestatten. Zum erforderlichen Nachweis seiner praktischen<br />
Erfahrungen legte er eine Fallliste vor, die die Bearbeitung<br />
von 101 strafrechtlichen Fällen - davon 67 als Verteidiger - in den<br />
letzten drei Jahren dokumentierte. Außerdem wies er nach, dass<br />
er an 43 Hauptverhandlungstagen teilgenommen hat. Davon entfielen<br />
zwei Tage auf eine Tätigkeit als Verteidiger und die übrigen<br />
41 Tage auf Nebenklagevertretungen.<br />
Der Antragsgegner lehnte den Antrag ab, weil der Antragsteller<br />
keine hinreichenden praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet<br />
der Strafverteidigung nachgewiesen habe. Der vom Antragsteller<br />
angerufene AGH hob diesen Beschluss auf und verpflichtete den<br />
Antragsgegner, dem Antragsteller das Führen der Bezeichnung<br />
„Fachanwalt für Strafrecht“ zu erlauben. Die hiergegen gerichtete<br />
sofortige Beschwerde des Antragsgegners hatte keinen Erfolg.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 36
Die Gründe:<br />
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für die Erlaubnis<br />
zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“. Er<br />
verfügt insbesondere über die nach § 5 S.1f FAO erforderlichen<br />
praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Strafrechts. Diese<br />
Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut keine Erfahrungen als Strafverteidiger<br />
voraus, sondern erfasst alle Formen der anwaltlichen<br />
Beteiligung am Strafprozess. Hierzu gehört auch das Gebiet der<br />
Nebenklagevertretung, auf das sich der Antragsteller spezialisiert<br />
hat.<br />
Eine Beschränkung der Fachanwaltsbezeichnung auf Spezialisten<br />
in der Strafverteidigung ergibt sich auch nicht aus dem<br />
Sinn und Zweck von § 5 S.1f FAO. Der Titel „Fachanwalt für<br />
Strafrecht“ soll <strong>im</strong> Strafrecht besonders qualifiziert ausgebildeten<br />
Anwälten verliehen werden. Diese Qualifikation weist auch<br />
der Antragsteller auf. Zwischen der Tätigkeit als Nebenklagevertreter<br />
und der als Strafverteidiger bestehen keine qualitativen<br />
Unterschiede. In beiden Fällen sind eingehende Kenntnisse des<br />
Strafrechts erforderlich.<br />
Nach § 13 Nr.1 FAO müssen „Fachanwälte für Strafrecht“ zwar<br />
unter anderem besondere Kenntnisse in der „Methodik und<br />
(dem) Recht der Strafverteidigung“ vorweisen können. Dies<br />
bezieht sich aber ausschließlich auf die nachzuweisenden theoretischen<br />
Kenntnisse und nicht auf die Art der nachzuweisen<br />
praktischen Erfahrungen.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Für die Höhe der Beiträge eines Rechtsanwalts<br />
und Steuerberaters zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />
kommt es nur auf<br />
die anwaltlichen Einkünfte an<br />
OVG Rheinland-Pfalz 1.2.2005, 6 A 11903/04.OVG<br />
Bei Rechtsanwälten, die zugleich als Steuerberater tätig sind,<br />
best<strong>im</strong>mt sich die Höhe der Beiträge zum Rechtsanwaltsverso<br />
rgungswerk allein nach den Einkünften aus ihrer anwaltlichen<br />
Tätigkeit. <strong>Das</strong> maßgebliche Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />
geht von einer berufsständischen Versorgung aus und erfasst<br />
daher bei der Beitragsbemessung nur solche Einkünfte, die aus<br />
einer berufstypischen Tätigkeit erzielt werden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der als Rechtsanwalt zugelassene Kläger ist hauptberuflich als<br />
Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft tätig. Seine<br />
anwaltliche Tätigkeit übt er nur nebenberuflich aus. Dementsprechend<br />
erzielt er den Großteil seiner Einkünfte aus seiner<br />
Tätigkeit als Steuerberater.<br />
<strong>Das</strong> Rechtsanwaltsversorgungswerk legte die Höhe der vom<br />
Kläger zu zahlenden Beiträge anhand seines Gesamteinkommens<br />
fest. Mit der hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger<br />
geltend, dass die Beiträge zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />
nur nach seinen anwaltlichen Einkünften bemessen werden<br />
dürfe. Die Klage hatte sowohl vor dem VG als auch vor dem<br />
OVG Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Höhe der Beiträge des Klägers zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />
darf nur nach seinen anwaltlichen Einkünften und<br />
nicht auch nach seinen Einkünften aus der Tätigkeit als Steuerberater<br />
bemessen werden. <strong>Das</strong> rheinland-pfälzische Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />
(RAVG) geht vom Leitbild einer berufsständischen<br />
Versorgung aus. Danach kann es für die Höhe der<br />
Solidarbeiträge lediglich auf die Einkünfte aus einer berufstypischen<br />
Tätigkeit ankommen. Berufstypisch ist nur die anwaltliche<br />
Tätigkeit als solche und nicht hiermit verwandte Berufe wie<br />
etwa die Tätigkeit als Steuerberater.<br />
Diese enge Betrachtungsweise ist bei einer gleichzeitigen Tätigkeit<br />
als Rechtsanwalt und Steuerberater auch nicht mit der<br />
Gefahr verbunden, dass einem Versorgungswerk rechtswidrig<br />
Beiträge entzogen werden. Für den Berufszweig der Steuerberater<br />
existiert ebenfalls ein eigenständiges Versorgungswerk.<br />
Daher werden die Einkünfte eines Rechtsanwalts und Steuerberaters<br />
entweder bei den Beträgen für das eine oder für das andere<br />
Versorgungswerk erfasst.<br />
Über die Zulassung als Rechtsanwalt darf<br />
auch ein teilweise mit Rechtsanwälten<br />
besetzter Prüfungsausschuss entscheiden<br />
EuGH 17.2.2005, C-250/03<br />
Die italienische Regelung, wonach dem fünfköpfigen<br />
Prüfungsausschuss für das Rechtsanwaltsexamen zwei<br />
Rechtsanwälte angehören, verletzt nicht die Grundsätze des<br />
freien Wettbewerbs oder der Niederlassungsfreiheit. Hierdurch<br />
werden grundsätzlich nicht Kartellabsprachen ermöglicht oder<br />
erleichtert, da der italienische Staat die Entscheidung über die<br />
<strong>Anwalt</strong>szulassung nicht allein den Anwälten überlässt, sondern<br />
sich umfangreiche Kontrollbefugnisse vorbehält.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte in Italien an der<br />
schriftlichen Prüfung für das Rechtsanwaltsexamen teilgenommen.<br />
Da er nicht die für die Zulassung zur mündlichen Prüfung<br />
erforderliche Punktzahl erreicht hatte, ließ ihn der Prüfungsausschuss<br />
nicht zur mündlichen Prüfung zu.<br />
Der Prüfungsausschuss für das Rechtsanwaltsexamen setzt sich<br />
in Italien aus fünf Mitgliedern zusammen. Vorsitzender und<br />
stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses sind zwei in dem<br />
jeweiligen Prüfungsbezirk ansässige Rechtsanwälte, die vom<br />
Nationalen Rat der Rechtsanwaltskammern ernannt werden.<br />
Weitere Mitglieder des Prüfungsausschusses sind zwei Richter<br />
und ein Jura-Professor. Über die Zusammensetzung der Ausschüsse<br />
entscheidet das Justizministerium. Dieses best<strong>im</strong>mt<br />
auch die Themen der Prüfung und kann Prüfungen <strong>im</strong> Einzelfall<br />
für nichtig erklären.<br />
Mit seiner gegen die Nichtzulassung zur mündlichen Prüfung<br />
gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass die Zusammensetzung<br />
des Prüfungsausschusses keine unparteiische Beurteilung<br />
erlaube. Die starke Beteiligung von Rechtsanwälten<br />
beschränke den freien Wettbewerb und den freien Zugang zum<br />
Beruf des Rechtsanwalts. <strong>Das</strong> mit dieser Sache befasste nationale<br />
Gericht setzte den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH die<br />
Frage vor, ob die italienische Regelung über die Zusammenset-<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 37
zung des Prüfungsausschusses für das Rechtsanwaltsexamen mit<br />
dem EU-Recht vereinbar ist. Der EuGH bejahte dies.<br />
Die Gründe:<br />
Die streitige Regelung über die Zusammensetzung der Prüfungsausschüsse<br />
für das Rechtsanwaltsexamen verstößt nicht gegen<br />
das Gemeinschaftsrecht. Der Staat darf zwar nicht zugunsten<br />
privater Wirtschaftsteilnehmer - hier zugunsten der Rechtsanwaltschaft<br />
- auf die Ausübung seiner Befugnisse verzichten und<br />
dadurch wettbewerbswidrige Kartellabsprachen erleichtern oder<br />
vorschreiben. Die streitige italienische Regelung sieht aber hinreichende<br />
staatliche Kontrollbefugnisse vor, um Kartellabsprachen<br />
der Anwälte zu verhindern.<br />
Die staatliche Kontrolle wird unter anderem dadurch gewährleistet,<br />
dass dem Prüfungssauschuss auch zwei Richter angehören.<br />
Außerdem kann das Justizministerium die Arbeit des Prüfungssauschusses<br />
in jeder Phase kontrollieren und bei einem Verstoß<br />
gegen seine Vorgaben die Prüfung für nichtig erklären. Daneben<br />
können die Prüflinge die Entscheidungen des Prüfungsausschusses<br />
auch durch die nationalen Gerichte überprüfen lassen.<br />
Der Hintergrund:<br />
Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er nur über<br />
die Vereinbarkeit der Regelung als solcher mit dem Gemeinschaftsrecht<br />
entscheiden kann. Es liegt dagegen nicht in seiner<br />
Prüfungskompetenz, zu entscheiden, ob es in Italien trotz der in<br />
der Regelung vorgesehenen staatlichen Kontrollbefugnisse tatsächlich<br />
zu Kartellabsprachen kommt oder kommen kann.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />
veröffentlicht.<br />
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Auch Steuerberater dürfen als Testamentsvollstrecker<br />
tätig werden<br />
BGH 11.11.2004, I ZR 182/02<br />
Es verstößt nicht gegen Art. 1 § 1 RBerG, wenn Steuerberater,<br />
die über keine Erlaubnis nach dem RBerG verfügen, als<br />
Testamentsvollstrecker tätig werden. Dies ergibt sich aus<br />
der engen Verzahnung von rechtlicher und wirtschaftlicher<br />
Betätigung bei der Testamentsvollstreckung. Die Erlaubnis-<br />
Befreiung gilt grundsätzlich und ist nicht einzelfallabhängig.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte ist Diplom-Volkswirt und betreibt eine Kanzlei als<br />
Steuerberater. Auf seiner Homepage bietet er unter anderem auch<br />
die Übernahme von Testamentsvollstreckungen an. Der Kläger<br />
ist Rechtsanwalt und sah hierin einen Verstoß gegen das RBerG.<br />
Er verlangte vom Beklagten, es zu unterlassen, <strong>im</strong> geschäftlichen<br />
Verkehr Testamentsvollstreckungen anzubieten. Seine hierauf<br />
gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die<br />
Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts<br />
auf und wies die Klage ab.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Unterlassung<br />
der Werbung. Der Anspruch ergibt sich insbesondere<br />
nicht aus § 8 Abs.1 S.1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit<br />
Art. 1 § 1 RBerG, weil die Werbung des Beklagten für die Tätig-<br />
keit als Testamentsvollstreckers kein Angebot einer Rechtsberatung<br />
darstellt, die eine behördliche Erlaubnis nach Art. 1 § 1<br />
RBerG erfordert.<br />
Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die von dem<br />
Beklagten angebotene Tätigkeit als Testamentsvollstrecker nicht<br />
gegen Art. 1 § 1 RBerG. Diese Tätigkeit stellt keine ausschließliche<br />
Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten dar. Eine erlaubnispflichtige<br />
Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten liegt<br />
nur vor, wenn eine geschäftsmäßige Tätigkeit darauf gerichtet<br />
ist, konkrete fremde Rechtsangelegenheiten zu verwirklichen<br />
oder konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten. Es ist<br />
daher zu ermitteln, ob der Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit<br />
überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt oder ob es<br />
um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht.<br />
Die Tätigkeit als Testamentsvollstrecker kann in wesentlichem<br />
Umfang eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. Dies gilt insbesondere<br />
dann, wenn der Testamentsvollstrecker den Nachlass in Besitz<br />
n<strong>im</strong>mt, die zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und<br />
Verbindlichkeiten bewertet und Verbindlichkeiten erfüllt sowie<br />
Nachlassgegenstände veräußert. Dies gilt auch für die Verwaltung<br />
des Nachlasses <strong>im</strong> Fall der Dauer- oder Verwaltungsvollstreckung<br />
und die Auseinandersetzung des Nachlasses unter den Miterben.<br />
Die Beurteilung, ob eine überwiegend rechtliche oder wirtschaftliche<br />
Tätigkeit vorliegt, hängt aber nicht vom jeweiligen<br />
Einzelfall ab. Vielmehr ist die Funktionalität der Rechtspflege,<br />
die den Erlaubnisvorbehalt der des RBerG rechtfertigt, gegen<br />
die Berufsfreiheit desjenigen abzuwägen, dem best<strong>im</strong>mte Handlungen<br />
untersagt werden sollen. Diese Abwägung führt zu einer<br />
Befreiung der Testamentsvollstreckung vom Erlaubnisvorbehalt<br />
des Art. 1 § 1 RBerG. Dies ergibt sich aus der engen Verzahnung<br />
von rechtlicher und wirtschaftlicher Betätigung bei der<br />
Testamentsvollstreckung. Außerdem ist auch nicht zu erwarten,<br />
dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beeinträchtigt<br />
wird, wenn Personen ohne Erlaubnis nach dem RBerG eine Testamentsvollstreckung<br />
besorgen. Dem Klienten eines Testamentsvollstreckers<br />
bleibt <strong>im</strong>mer noch die Möglichkeit sich zusätzlich<br />
Rat bei einem <strong>Anwalt</strong> einzuholen.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH<br />
veröffentlicht.<br />
Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 38
Verwaltungs- und<br />
Verfahrensrecht<br />
Auch unverheiratete Eltern können einen<br />
Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach<br />
dem Opferentschädigungsgesetz haben<br />
BVerfG 9.11.2004, 1 BvR 684/98<br />
Es verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3<br />
Abs.1 GG), dass das Opferentschädigungsgesetz (OEG) nur<br />
Verheirateten be<strong>im</strong> Tod des Partners eine Hinterbliebenenrente<br />
für die Kinderbetreuung gewährt. Zumindest in den ersten drei<br />
Lebensjahren des Kindes ist ein unverheirateter Elternteil, dessen<br />
Partner an den Folgen einer Gewalttat gestorben ist, genauso<br />
auf Unterhaltsleistungen angewiesen wie ein verheirateter<br />
Elternteil. Der Gesetzgeber muss die Ungleichbehandlung bis<br />
zum 31.3.2006 beseitigen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer ist nichtehelicher Vater von Zwillingen.<br />
Sechs Monate nach der Geburt der Kinder wurde seine Lebensgefährtin<br />
ermordet. Der Beschwerdeführer, der bis dahin mit seiner<br />
Erwerbstätigkeit den Familienunterhalt gesichert hatte, nahm<br />
drei Jahre unbezahlten Urlaub, um sich um die Kinder kümmern<br />
zu können. Seitdem ist er auf Sozialhilfe angewiesen.<br />
Der Beschwerdeführer beantragte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente<br />
nach dem OEG. Die zuständige Behörde wies den<br />
Antrag ab. SG und LSG bestätigten diese Entscheidung. Die hiergegen<br />
gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg und führte<br />
zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung.<br />
Außerdem gab das BVerfG dem Gesetzgeber auf, bis zum<br />
31.3.2006 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.<br />
Die Gründe:<br />
Die angegriffene Entscheidung des LSG verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
(Art.3 Abs.1 GG) in Verbindung mit dem<br />
durch Art. 6 Abs.1 GG gewährleisteten Schutz der Familie.<br />
<strong>Das</strong> OEG bezweckt mit der Hinterbliebenenversorgung für verheiratete<br />
Eltern, die ihren Partner bei einer Straftat verloren<br />
haben, eine Absicherung ihres zivilrechtlichen Anspruchs auf<br />
Unterhalt wegen Kinderbetreuung. Zumindest für die ersten<br />
drei Lebensjahre haben aber auch unverheiratete Eltern einen<br />
Anspruch auf Kinderbetreuungsunterhalt (§ 1615l Abs.2 S.2<br />
BGB). Sie sind zudem genauso schutzbedürftig wie verheiratete<br />
Eltern. Ein unverheirateter Elternteil, der das Kind betreut, ist<br />
in den ersten drei Lebensjahren ebenso auf Unterhaltsleistungen<br />
wie ein verheirateter Elternteil angewiesen.<br />
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass inzwischen mehr als 20 Prozent<br />
aller Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsen.<br />
Die Benachteiligung einer derart großen Gruppe, die zumindest<br />
in den ersten drei Lebensjahren den gleichen Bedarf an Betreuungsunterhalt<br />
hat wie verheiratete Eltern, ist verfassungswidrig.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
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Anteilserwerb an ehemals jüdischen Grundstücken<br />
steht einem Rückübertragungsanspruch<br />
nach dem VermG nicht entgegen<br />
(„Werthe<strong>im</strong>-Erben“)<br />
VG Berlin 4.3.2005, VG 31 A 53.03<br />
Einem Anspruch auf Rückübertragung von in der NS-Zeit<br />
enteigneten jüdischen Grundstücken aus § 3 Abs.1 des Gesetzes<br />
zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) steht es<br />
nicht entgegen, dass ein Unternehmen Geschäftsanteile des<br />
enteigneten Unternehmens erworben hat. <strong>Das</strong> VermG knüpft<br />
an das Schicksal der in der NS-Zeit Verfolgten an und will<br />
diesen oder ihren Erben Wiedergutmachung gewähren. <strong>Das</strong> soll<br />
unabhängig davon gelten, wer <strong>im</strong> Laufe der Zeit Geschäftsanteile<br />
an dem betroffenen Unternehmen erworben hat.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist die KarstadtQuelle AG. Diese hatte in der Vergangenheit<br />
die Anteile an dem Berliner Kaufhaus-Unternehmen<br />
Werthe<strong>im</strong> erworben. Werthe<strong>im</strong> gehörte unter anderem ein in<br />
Berlin-Mitte gelegenes Kaufhaus, eines der größten Kaufhäuser<br />
seiner Zeit. Die jüdischen Eigentümer wurden während der NS-<br />
Zeit enteignet und flohen ins Ausland.<br />
Die beklagte Jewish Cla<strong>im</strong>s Conference (JCC) hatte für die<br />
Werthe<strong>im</strong>-Erben einen Anspruch auf den Erlös aus dem Verkauf<br />
der Grundstücke geltend gemacht. <strong>Das</strong> Landesamt zur Regelung<br />
offener Vermögensfragen (Vermögensamt) sprach der Beklagten<br />
die Entschädigung zu. Mit der hiergegen gerichteten Klage<br />
machte die Klägerin geltend, dass sie durch den Erwerb der<br />
Anteile an dem Werthe<strong>im</strong>-Unternehmen selbst Rechtsnachfolgerin<br />
des jüdischen Unternehmens geworden sei. <strong>Das</strong> VG wies die<br />
Klage ab und ließ die Revision nicht zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin wird durch den Bescheid des Vermögensamts nicht<br />
in eigenen Rechten verletzt. Entgegen der Auffassung des Klägers<br />
stellt das VermG für das Bestehen von Entschädigungs- oder<br />
Rückübertragungsansprüchen nicht darauf ab, wer <strong>im</strong> Laufe der<br />
Zeit Anteile an dem während der NS-Zeit enteigneten Unternehmen<br />
erworben hat. Maßgeblich ist vielmehr die Opfersicht: <strong>Das</strong><br />
VermG knüpft an das Schicksal der in der Nazi-Zeit geschädigten<br />
jüdischen Eigentümer an und will diese oder ihren Erben<br />
Wiedergutmachung gewähren.<br />
Verbeamtete Lokomotivführer können nicht<br />
zur Reinigung der Züge herangezogen werden<br />
BVerwG 3.3.2005, 2 C 11.04<br />
Verbeamtete Lokomotivführer dürfen nicht dauerhaft zur<br />
groben Reinigung der von ihnen geführten Züge verpflichtet<br />
werden. Sie haben nach beamtenrechtlichen Grundsätzen<br />
Anspruch auf einen Tätigkeitsbereich, der ihrer Ausbildung<br />
und Dienststellung entspricht. Hieran hat sich durch die<br />
Privatisierung der Bahn nichts geändert. In Art. 143a Abs.1<br />
S.2 GG ist ausdrücklich best<strong>im</strong>mt, dass die Rechtsstellung der<br />
Beamten der ehemaligen Bundesbahn durch die Privatisierung<br />
unberührt bleibt.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 39
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger waren zunächst als verbeamtete Lokomotivführer<br />
für die ehemalige Bundesbahn tätig. Seit der Privatisierung der<br />
Bahn arbeiten sie für die Deutsche Bahn AG und werden <strong>im</strong> regionalen<br />
S-Bahn-Verkehr eingesetzt.<br />
Die Deutsche Bahn AG wies sie an, die von ihnen geführten<br />
Züge bei mehr als halbstündigen Pausen an der Endhaltstelle<br />
grob von Abfällen wie Zeitungen, Verpackungsmaterial und Flaschen<br />
zu reinigen sowie volle Mülle<strong>im</strong>er und Aschenbecher zu<br />
leeren. Die Kläger machten hiergegen geltend, dass diese Reinigungsarbeiten<br />
mit ihrem Status als verbeamtete Lokomotivführer<br />
nicht vereinbar seien. Ihre gegen die Anweisung gerichtete<br />
Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger sind zur Verrichtung derartiger Reinigungsarbeiten<br />
nicht verpflichtet. Als Beamte haben sie grundsätzlich Anspruch<br />
auf Zuweisung eines Tätigkeitsbereichs, der ihrer Ausbildung<br />
und Dienststellung entspricht. Geringerwertige Tätigkeiten dürfen<br />
einem Beamten nur ausnahmsweise für einen vorübergehenden<br />
Zeitraum zugewiesen werden.<br />
Die angeordnete Grobreinigung der Züge entspricht nicht dem<br />
Aufgabenbereich verbeamteter Lokomotivführer. Da die Anordnung<br />
zeitlich unbegrenzt gelten sollte, war die Übertragung<br />
dieser geringerwertigen Tätigkeit auch nicht ausnahmsweise<br />
erlaubt.<br />
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die ehemalige Bundesbahn<br />
inzwischen privatisiert worden ist. Die Privatisierung<br />
hat keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beamten, wie<br />
Art. 143a GG ausdrücklich best<strong>im</strong>mt. Danach können Beamte<br />
der ehemaligen Bundesbahn nur unter Wahrung ihrer bisherigen<br />
Rechtsstellung der Deutschen Bahn AG zugewiesen werden.<br />
Private Kuriere von Blutpräparaten dürfen<br />
weder Blaulicht noch Martinshorn benutzen<br />
VG Minden 28.1.2005, 3 K 5185/03<br />
Private Kuriere von Blutpräparaten haben keinen Anspruch auf<br />
die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Nutzung von<br />
Blaulicht und Martinshorn. Eine zu hohe Verbreitungsdichte<br />
dieser Signale birgt die Gefahr des Fehlgebrauchs und einer<br />
verminderten Akzeptanz in der Bevölkerung.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das auf die Versorgung von<br />
Krankenhäusern und Blutspendeeinrichtungen mit Blutpräparaten<br />
spezialisiert ist. Sie beantragte bei der beklagten Bezirksregierung,<br />
ihr eine Ausnahmegenehmigung für die Ausrüstung<br />
ihrer Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn zu erteilen. Dies<br />
lehnte die Beklagte ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht keine Ausnahmegenehmigung<br />
erteilt. Die Zahl der Fahrzeuge, die mit Sondersignalen<br />
ausgestattet sind, muss möglichst gering gehalten werden. Eine<br />
zu hohe Verbreitungsdichte dieser Signale birgt die Gefahr des<br />
Fehlgebrauchs und einer verminderten Akzeptanz in der Bevölkerung.<br />
Die Erteilung der Genehmigung ist auch nicht ausnahmsweise<br />
gerechtfertigt. Die Klägerin führt lediglich Regeltransporte<br />
durch. In Notfällen wird der Transport der Blutpräparate vom<br />
Rettungsdienst übernommen. Es besteht damit nicht die Gefahr,<br />
dass ohne eine Berechtigung der Klägerin zur Nutzung des<br />
Blaulichts die Versorgung der Bevölkerung mit Blutpräparaten<br />
gefährdet ist.<br />
Strafrecht und OWi<br />
Mitglieder einer rechtsradikalen Musikgruppe<br />
können sich wegen Bildung einer<br />
kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung strafbar machen<br />
(„Landser“)<br />
BGH 10.3.2005, 3 StR 233/04<br />
Fordert eine rechtsradikale Musikgruppe in ihren Liedtexten zur<br />
Begehung ausländerfeindlicher oder antisemitischer Gewalttaten<br />
auf und verherrlicht sie die NS-Ideologie, so können sich<br />
die Mitglieder der Gruppe wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen<br />
Vereinigung strafbar machen. Der hierfür erforderliche<br />
organisatorische Zusammenhalt ist jedenfalls dann gegeben,<br />
wenn die Gruppe seit mehreren Jahren in gleicher Besetzung<br />
probt und CDs produziert sowie vertreibt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die aus drei Mitgliedern bestehende Musikgruppe „Landser“<br />
produziert seit 1997 in gleicher Besetzung CDs mit Liedern<br />
überwiegend rechtsradikalen und nationalsozialistischen, insbesondere<br />
auch antisemitischen und ausländerfeindlichen Inhalts.<br />
Die Lieder wurden he<strong>im</strong>lich <strong>im</strong> Ausland aufgenommen und konspirativ<br />
in der rechten Szene vertrieben. In mehreren Strafprozessen<br />
gegen Neonazis war deutlich geworden, dass diese sich<br />
durch die Liedtexte von „Landser“ zur Begehung von Gewalttaten<br />
motiviert fühlten.<br />
<strong>Das</strong> KG Berlin verurteilte die drei Mitglieder der Musikgruppe<br />
„Landser“ unter anderem wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung<br />
zu mehrjährigen Haftstrafen. Der Bandleader, der zu<br />
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt<br />
worden war, legte gegen das Urteil Revision ein, die vom BGH<br />
ganz überwiegend verworfen wurde.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> KG Berlin hat den Angeklagten zu Recht wegen Bildung<br />
einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung und anderer Straftaten zu einer<br />
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.<br />
Wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung macht sich<br />
gemäß § 129 Abs.1 StGB strafbar, wer einer Vereinigung angehört,<br />
deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten<br />
zu begehen.<br />
Die Musikband „Landser“ stellt eine Vereinigung <strong>im</strong> Sinn von<br />
§ 129 Abs.1 StGB dar. Der hierfür erforderliche organisatorische<br />
Zusammenhalt ist schon deshalb gegeben, weil die Band<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 40
seit vielen Jahren in gleicher Besetzung probt und CDs produziert.<br />
Die Tätigkeit der Band war angesichts der Verherrlichung<br />
der NS-Zeit und der Aufforderung zu ausländerfeindlichen und<br />
antisemitischen Gewalttaten in den Liedtexten auf die Begehung<br />
von Straftaten wie etwa Volksverhetzung, Verbreitung von Propagandamitteln<br />
verfassungswidriger Organisationen und Verungl<strong>im</strong>pfung<br />
des Staates gerichtet.<br />
Der Schuldspruch des KG war lediglich dahingehend abzuändern,<br />
dass die Verurteilung wegen öffentlichen Aufforderns zu<br />
Straftaten entfällt. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf das<br />
verhängte Strafmaß.<br />
Bundestag hat erweiterte Strafvorschriften<br />
<strong>im</strong> Kampf gegen Rechtsextremismus<br />
beschlossen<br />
Am 11.3.2005 hat der Bundestag eine Ergänzung des §<br />
130 Strafgesetzbuch (StGB) beschlossen. Damit soll das<br />
Versammlungsrecht und das Strafrecht gegen extremistische<br />
Aufmärsche an Orten des Gedenkens an NS-Verbrechen<br />
kurzfristig verschärft werden. Der dazu neu geschaffene<br />
Artikel 2 Abs.4 StGB stellt das öffentliche oder in einer<br />
Versammlung erfolgte Verherrlichen und Verharmlosen der<br />
nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter<br />
Strafe, wenn dieses geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu<br />
stören und schließt damit eine Gesetzeslücke.<br />
Die Änderungen <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />
Nach Absatz 3 wird folgender neuer Absatz 4 eingefügt:<br />
„(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird<br />
bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen<br />
Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch<br />
stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft<br />
billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“<br />
Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt geändert: Die<br />
Angabe „Absatz 3“ wird durch die Angabe „den Absätzen 3 und<br />
4“ ersetzt.<br />
Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und wie folgt geändert: Die<br />
Angabe „Absatz 4“ wird durch die Angabe „Absatz 5“ und die<br />
Angabe „des Absatzes 3“ durch die Angabe „der Absätze 3 und<br />
4“ ersetzt.<br />
Untersuchungshaft muss bei überlanger<br />
Verfahrensdauer außer Vollzug gesetzt werden<br />
BVerfG 22.2.2005, 2 BvR 109/05<br />
Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist bei einer<br />
überlangen Verfahrensdauer verfassungswidrig. <strong>Das</strong> gilt auch<br />
für Verfahrensverzögerungen, die erst nach der erstinstanzlichen<br />
Verurteilung des Untersuchungshäftlings eintreten. Die<br />
Angemessenheit der Untersuchungshaft-Dauer kann nicht allein<br />
anhand der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe beurteilt werden.<br />
Sie hängt vielmehr von objektiven Kriterien wie der Komplexität<br />
der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem<br />
Verhalten der Verteidigung ab.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer befindet sich seit August 2002 unter<br />
anderem wegen des Verdachts der ausbeuterischen Zuhälterei<br />
und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. Am 1.12.2003<br />
verurteilte ihn das LG wegen dieser Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />
von drei Jahren und sechs Monaten. Gegen das Urteil<br />
des LG legten sowohl die Staatsanwaltschaft und zwei Nebenklägerinnen<br />
als auch der Beschwerdeführer Revision ein.<br />
<strong>Das</strong> LG stellte die einzelnen Revisionsbegründungen teilweise<br />
erst zweieinhalb Monate nach ihrem Eingang bei Gericht<br />
der jeweiligen Gegenpartei zu. Die Staatsanwaltschaft gab die<br />
Akten an den Generalbundesanwalt weiter, der sie vier Monate<br />
später dem BGH übersandte. Der BGH best<strong>im</strong>mte den 15.6.2005<br />
als Termin für die Hauptverhandlung über die Revisionen der<br />
Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen.<br />
Nach rund zweieinhalbjähriger Untersuchungshaft beantragte<br />
der Beschwerdeführer die Außervollzugsetzung des Haftbefehls.<br />
LG und OLG lehnten diesen Antrag ab. <strong>Das</strong> OLG begründete<br />
dies in erster Linie mit der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe,<br />
die eine entsprechend lange Untersuchungshaft rechtfertige.<br />
Die gegen die Entscheidungen des LG und OLG gerichtete Verfassungsbeschwerde<br />
hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der<br />
angegriffenen Entscheidungen sowie zur Zurückverweisung an<br />
das OLG.<br />
Die Gründe:<br />
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer<br />
in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs.2 S.2 GG.<br />
Dieses Grundrecht verbietet in Untersuchthaft-Fällen eine überlange<br />
Verfahrensdauer. Wird gegen den Beschleunigungsgrundsatz<br />
verstoßen, so muss der Inhaftierte aus der Untersuchungshaft<br />
entlassen werden.<br />
<strong>Das</strong> OLG hat nicht berücksichtigt, dass <strong>im</strong> Streitfall möglicherweise<br />
eine überlange, dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerung<br />
vorliegt. Hierfür spricht die verzögerte Zustellung der<br />
Revisionsbegründungen durch das LG, die nicht nachvollziehbar<br />
lange Bearbeitungsdauer durch den Generalbundesanwalt<br />
sowie die Best<strong>im</strong>mung eines relativ späten Termins zur Hauptverhandlung<br />
durch den BGH. Diese vermeidbaren Verfahrensverzögerungen<br />
haben die Untersuchungshaft um mindestens sieben<br />
Monate verlängert.<br />
<strong>Das</strong> OLG ist zudem zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich<br />
die Angemessenheit der Untersuchungshaft-Dauer maßgeblich<br />
nach der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe richtet. Die zulässige<br />
Höchstdauer der Untersuchungshaft best<strong>im</strong>mt sich vielmehr<br />
nach objektiven Kriterien wie der Komplexität der Rechtssache,<br />
der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der<br />
Verteidigung ab.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 41
Bundesrepublik und Niederlande haben<br />
Vertrag über die grenzüberschreitende polizeiliche<br />
und strafrechtliche Zusammenarbeit<br />
geschlossen<br />
Am 2.3.2005 hat die Bundesregierung mit den Niederlanden<br />
einen bilateralen Vertrag über die grenzüberschreitende<br />
polizeiliche und strafrechtliche Zusammenarbeit geschlossen.<br />
Danach können künftig sowohl in der Bundesrepublik als<br />
auch in den Niederlanden Polizeikräfte des jeweiligen anderen<br />
Landes eingesetzt werden. Außerdem regelt der Vertrag den<br />
grenzüberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittler und enthält<br />
Best<strong>im</strong>mungen zur „kontrollierten Lieferung“ von Rauschgift<br />
oder anderen unerlaubten Gütern.<br />
Die Kernelemente des Vertrages <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />
Künftig können <strong>im</strong> eigenen Land Polizeikräfte des jeweils anderen<br />
Landes eingesetzt werden. Diese Polizeikräfte dürfen dann<br />
jeweils als Unterstellte der Länder auch hoheitliche Aufgaben<br />
wahrnehmen.<br />
Der Vertrag regelt die rechtliche Grundlage für die Übermittlung<br />
und den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern während<br />
eines laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens sowie zu so<br />
genannten Spontanübermittlungen.<br />
Der neue Vertrag erweitert und ergänzt die Schengener Regelungen<br />
zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile bei der<br />
Strafverfolgung.<br />
Daneben regelt der Vertrag den grenzüberschreitenden Einsatz<br />
verdeckter Ermittler und enthält Best<strong>im</strong>mungen zur „kontrollierten<br />
Lieferung“ von Rauschgift oder anderen unerlaubten<br />
Gütern.<br />
Steuerrecht<br />
Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung<br />
entsteht nicht bereits mit der<br />
Eintragung einer Auflassungsvormerkung<br />
BFH 2.2.2005, II R 26/02<br />
Die Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung entsteht noch<br />
nicht, wenn der Beschenkte von der Eintragungsbewilligung erst<br />
zu einem späteren Zeitpunkt (hier: Tod des Schenkers) Gebrauch<br />
machen darf. Dies gilt selbst dann, wenn für den Beschenkten<br />
bereits eine Auflassungsvormerkung eingetragen worden ist.<br />
Die Auflassungsvormerkung begründet zwar ein dingliches<br />
Anwartschaftsrecht an dem Grundstück, ist für den Zeitpunkt der<br />
Entstehung der Schenkungsteuer aber ohne Bedeutung.<br />
Der Sachverhalt:<br />
T. versprach der Klägerin mit notariell beurkundetem „Übergabevertrag“<br />
vom 19.12.1995 die Schenkung eines Grundstücks.<br />
Die Übergabe des Grundstücks sollte allerdings erst mit dem Tod<br />
der T. erfolgen. Zugunsten der Klägerin wurde eine Auflassungsvormerkung<br />
<strong>im</strong> Grundbuch eingetragen. Die Eigentumsänderung<br />
sollte gegen Vorlage der Sterbeurkunde der T. <strong>im</strong> Grundbuch<br />
eingetragen werden.<br />
Nachdem T. am 12.4.1999 verstorben war, wurde das Grundstück<br />
auf die Klägerin umgeschrieben. <strong>Das</strong> Finanzamt erließ einen Schenkungsteuerbescheid<br />
nach Maßgabe der am 12.4.1999 geltenden<br />
Rechtslage. Die Klägerin machte dagegen geltend, dass die Grundstücksschenkung<br />
bereits mit Abschluss des „Übergabevertrags“<br />
ausgeführt worden sei. Daher müsse das ErbStG in seiner bis zum<br />
31.12.1995 geltenden Fassung Anwendung finden. Ihre gegen den<br />
Schenkungsteuerbescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Schenkungsteuer<br />
erst mit dem Tod der T. entstanden ist.<br />
Nach § 9 Abs.1 Nr.2 ErbStG entsteht die Schenkungsteuer für<br />
Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung<br />
der Zuwendung. Eine Grundstücksschenkung ist erst dann<br />
ausgeführt, wenn der Schenker alles zur Grundstücksübertragung<br />
Erforderliche getan hat und der Beschenkte jederzeit den<br />
Eintritt der dinglichen Rechtsänderung herbeiführen kann. Deshalb<br />
entsteht die Schenkungsteuer nicht schon dann, wenn der<br />
Beschenkte - wie hier - erst zu einem späteren Zeitpunkt von<br />
der Eintragungsbewilligung Gebrauch machen darf.<br />
<strong>Das</strong> gilt selbst dann, wenn zugunsten des Beschenkten bereits<br />
eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist. Diese begründet<br />
für den Beschenkten zwar ein dingliches Anwartschaftsrecht<br />
an dem Grundstück. Für den Zeitpunkt der Ausführung einer<br />
Grundstücksschenkung ist die Auflassungsvormerkung aber<br />
ohne Bedeutung. Schenkungsteuerrechtlich kommt es lediglich<br />
auf den Erwerb des Vollrechts an.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />
veröffentlicht.<br />
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Die Beteiligten eines „Umsatzsteuer-Karussells“<br />
sind möglicherweise nicht zum Vorsteuerabzug<br />
berechtigt<br />
BFH 29.11.2004, V B 78/04<br />
Es ist zweifelhaft, ob Warenbewegungen innerhalb eines<br />
so genannten „Umsatzsteuer-Karussells“, bei dem Waren<br />
nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und<br />
gegebenenfalls an den Lieferempfänger zurück“geliefert“<br />
werden, der Umsatzbesteuerung unterliegen. Sollte der EuGH,<br />
dem hierzu schon mehrere Verfahren vorliegen, entscheiden,<br />
dass dies nicht der Fall ist, so scheidet ein Vorsteuerabzug aus<br />
Rechnungen über Warenbewegungen innerhalb des „Karussells“<br />
aus.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist eine GmbH, die mit Computerteilen handelt.<br />
In den Streitjahren 1999 bis 2001 ließ das Finanzamt zunächst die<br />
von der Antragstellerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge für<br />
den behaupteten Ankauf von Computerteilen zum Abzug zu.<br />
11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 42
Im Dezember 2002 stellte die Steuerfahndung fest, dass sich die<br />
Antragstellerin an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell<br />
beteiligt habe. Sie habe ihre Waren nahezu ausschließlich<br />
von der ebenfalls an dem Karussell beteiligten Firma<br />
H. bezogen und sie an weitere an dem Karussell beteiligte<br />
Firmen verkauft. Jedenfalls zehn Prozent der Waren habe die<br />
Antragstellerin mehrfach bezogen und weiterverkauft.<br />
<strong>Das</strong> Finanzamt vertrat daraufhin die Auffassung, dass die Antragstellerin<br />
in den Streitjahren nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt<br />
gewesen sei und erließ entsprechende Rückforderungsbescheide<br />
in Millionenhöhe. Es setzte zwar antragsgemäß die Vollziehung<br />
der Bescheide aus, verlangte hierfür aber eine Sicherheitsleistung,<br />
da die Antragstellerin ihre Geschäftstätigkeit inzwischen weitgehend<br />
eingestellt habe und ihre Kreditlinie ausgeschöpft sei. Der<br />
hiergegen gerichtete Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne<br />
Sicherheitsleistung hatte letztinstanzlich keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
<strong>Das</strong> Finanzamt hat die Aussetzung der Vollziehung der Rückforderungsbescheide<br />
zu Recht von einer Sicherheitsleistung<br />
abhängig gemacht. Die Sicherheitsleistung ist geboten, weil die<br />
Antragstellerin sich in einer schlechten finanziellen Lage befindet<br />
und nicht mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit in<br />
der Hauptsache ein günstiger Prozessausgang für die Antragstellerin<br />
zu erwarten ist.<br />
Die Antragstellerin war in den Streitjahren an einem so genannten<br />
„Umsatzsteuer-Karussell“ beteiligt. Es ist zweifelhaft, ob<br />
Warenbewegungen innerhalb eines solchen „Karussells“ der<br />
Umsatzbesteuerung unterliegen.<br />
Dem EuGH liegen bereits mehrere Vorabentscheidungsersuchen<br />
vor, in denen zu entscheiden ist, ob Umsätze innerhalb eines solchen<br />
„Karussells“ als „wirtschaftliche Tätigkeit“ <strong>im</strong> Sinn der<br />
Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie und damit als steuerbare<br />
Tätigkeit <strong>im</strong> Sinn des UStG anzusehen sind. Sollte der EuGH<br />
zu dem Ergebnis kommen, dass Warenbewegungen innerhalb<br />
eines „Karussells“ keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ darstellen,<br />
so scheidet ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die Warenbewegung<br />
aus.<br />
Der Hintergrund:<br />
Im Regelfall funktionieren die „Karusselle“ so, dass Waren aus<br />
einem anderen Mitgliederstaat an einen Erwerber <strong>im</strong> Inland steuerfrei<br />
veräußert werden. Der Erwerber veräußert die Waren mit<br />
einem Aufschlag an einen Abnehmer, der den in der Rechnung<br />
ausgewiesenen - aber tatsächlich nicht gezahlten - Steuerbetrag<br />
als Vorsteuer abzieht.<br />
Der Abnehmer veräußert die Waren mit Gewinnaufschlag an<br />
einen weiteren Abnehmer. Dieser zieht den Steuerbetrag als Vorsteuer<br />
ab und veräußert die Waren an einen Exporteur, der sie<br />
wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat verkauft und die<br />
ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />
veröffentlicht.<br />
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Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht nur die<br />
in ihrem Land ausgeführten Forschungsarbeiten<br />
steuerlich begünstigen<br />
EuGH 10.3.2005, C-39/04<br />
Es verstößt gegen den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit,<br />
wenn ein Mitgliedstaat (hier: Frankreich) nur <strong>im</strong> eigenen Land<br />
ausgeführte Forschungsarbeiten steuerlich begünstigt. Diese<br />
Ungleichbehandlung steht <strong>im</strong> direkten Gegensatz zum Ziel der<br />
Gemeinschaftspolitik, in diesem Bereich alle Hindernisse, die<br />
einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entgegenstehen,<br />
zu beseitigen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
<strong>Das</strong> französische Steuerrecht sieht eine Steuervergünstigung für<br />
Forschungsarbeiten vor, die ein in Frankreich ansässiges Unternehmen<br />
in Frankreich ausführen lässt. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens<br />
ist Firma mit Sitz in Frankreich, die Arzneispezialitäten herstellt<br />
und vertreibt. Sie vergab in den Streitjahren 1995 und 1996<br />
verschiedene Forschungsaufträge an in anderen Mitgliedstaaten<br />
niedergelassene Forschungszentren und machte für ihre Ausgaben<br />
die Steuervergünstigung für Forschungsarbeiten geltend.<br />
Die französische Steuerbehörde gewährte die Steuervergünstigung<br />
nicht, weil die Forschungsarbeiten nicht in Frankreich ausgeführt<br />
worden seien. Auf die gegen die entsprechenden Steuerbescheide<br />
gerichtete Klage setzte das mit der Sache befasste<br />
nationale Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die<br />
Frage vor, ob die Beschränkung der Steuervergünstigung auf<br />
in Frankreich ausgeführte Forschungsarbeiten <strong>im</strong> Einklang mit<br />
dem EU-Recht steht. Der EuGH verneinte dies.<br />
Die Gründe:<br />
Die streitige Beschränkung der Steuervergünstigung auf in<br />
Frankreich ausgeführte Forschungsarbeiten verstößt gegen den<br />
Grundsatz der Dienstsleistungsfreiheit. Die Regelung macht die<br />
Begünstigung mittelbar vom Sitz des Erbringers der Forschungsleistungen<br />
abhängig und ist daher geeignet, dessen grenzüberschreitende<br />
Tätigkeiten zu behindern.<br />
Diese Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Forschungsleistungen<br />
ist nicht gerechtfertigt. Die Förderung der<br />
Forschung <strong>im</strong> eigenen Land ist zwar ein wichtiges Allgemeininteresse.<br />
Dieses Anliegen steht aber in direktem Gegensatz zu<br />
dem Ziel der Gemeinschaftspolitik, in diesem Bereich alle rechtlichen<br />
und steuerlichen Hindernisse, die einer grenzüberschreitenden<br />
Zusammenarbeit entgegenstehen, zu beseitigen.<br />
Die Ungleichbehandlung kann auch nicht aus Gründen der<br />
Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle gerechtfertigt werden.<br />
Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Regelungen treffen, die eine<br />
klare und eindeutige Feststellung der in ihrem Land steuerlich<br />
abziehbaren Beträge erlauben. Die streitige Regelung geht aber<br />
weit über dieses Ziel hinaus, da sie nicht der Abgrenzung der in<br />
Frankreich als Forschungsausgaben abziehbaren Beträge dient,<br />
sondern die steuerliche Berücksichtigung von Ausgaben für Forschungsarbeiten,<br />
die ein in Frankreich ansässiges Unternehmen<br />
in einem anderen Mitgliedstaat ausführen lässt, von vornherein<br />
ausschließt.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />
veröffentlicht.<br />
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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 43
Der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />
Betriebsvermögen ist bei mehreren Erwerbern<br />
nicht nur „nach Köpfen“ zu verteilen<br />
BFH 15.12.2004, II R 75/01<br />
Soweit mehreren Erwerbern eines Betriebs nach § 13a Abs.1<br />
S.1 Nr.1 ErbStG der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />
Betriebsvermögen zu gleichen Teilen zusteht, kommt nicht nur eine<br />
Verteilung des Freibetrags „nach Köpfen“ in Betracht. § 13a Abs.1<br />
S.1 ErbStG bezweckt die Verteilung des gesamten Freibetrags.<br />
Deshalb ist der bei der (ersten) Verteilung „nach Köpfen“ nicht<br />
verbrauchte Teil des Freibetrags zu gleichen Anteilen auf Erwerber<br />
zu verteilen, die noch Teile ihres durch § 13a ErbStG begünstigten<br />
Betriebsvermögens zu versteuern haben.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die <strong>im</strong> Dezember 1997 verstorbene Erblasserin war Kommanditistin<br />
einer KG. Sie hatte zunächst den Kläger als Alleinerben<br />
eingesetzt, später jedoch jeweils fünf Prozent ihrer Beteiligung<br />
an der KG ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin vermacht.<br />
<strong>Das</strong> Finanzamt teilte den Betriebsvermögensfreibetrag des § 13a<br />
ErbStG „nach Köpfen“ auf und ließ den bei der Schwiegertochter<br />
und der Enkelin nicht verbrauchten Teil des Freibetrags be<strong>im</strong><br />
Kläger unberücksichtigt.<br />
Mit der gegen den entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid<br />
gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass ihm entsprechend<br />
des auf ihn übergegangenen Anteils am Betriebsvermögen<br />
von 90 Prozent auch 90 Prozent des Freibetrags (450.000 DM)<br />
zustehe. <strong>Das</strong> FG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers<br />
hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat einen Anspruch auf Berücksichtigung eines<br />
Betriebsvermögensfreibetrags gemäß § 13a ErbStG in Höhe von<br />
450.000 DM. Nach § 13a Abs.1 S.1 Nr.1 ErbStG in der <strong>im</strong> Streitjahr<br />
geltenden Fassung bleibt bei der Besteuerung unter anderem<br />
Betriebsvermögen von 500.000 DM außer Ansatz. Hat der Erblasser<br />
- wie hier - keine Aufteilung des Freibetrags verfügt, so<br />
steht der Freibetrag den Erwerbern zu gleichen Teilen zu.<br />
<strong>Das</strong> Finanzamt ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Verteilung<br />
des Freibetrags „zu gleichen Teilen“ auf eine Verteilung<br />
„nach Köpfen“ beschränkt ist. Die Verteilung „zu gleichen Teilen“<br />
umschreibt nur ein Aufteilungsprinzip, das auf die Aufteilung<br />
des gesamten nach § 13a Abs.1 S.1 ErbStG außer Ansatz<br />
zu bleibenden Freibetrags gerichtet ist.<br />
<strong>Das</strong> ergibt sich aus dem Zweck von § 13a Abs.1 S.1 ErbStG,<br />
einen Ausgleich für die Sozialgebundenheit des erworbenen<br />
Betriebsvermögens zu schaffen. § 13a Abs.1 S.1 ErbStG ist<br />
demnach dahingehend auszulegen, dass der bei der ersten Verteilung<br />
des Freibetrags noch unverbrauchte Teil auf die Erwerber<br />
zu verteilen ist, die nach der ersten Aufteilung noch Teile ihres<br />
Betriebsvermögens zu versteuern hätten. Diese weitere Aufteilung<br />
hat wiederum zu gleichen Teilen bis zum vollständigen Verbrauch<br />
des Freibetrags zu erfolgen. Daher steht <strong>im</strong> Streitfall der<br />
nach der Aufteilung „nach Köpfen“ noch nicht verteilte Freibetrag<br />
in vollem Umfang dem Kläger zu.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />
veröffentlicht.<br />
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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 44