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Das Wichtige im Überblick - Anwalt-Suchservice

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<strong>Anwalt</strong>swoche<br />

<strong>Das</strong> <strong>Wichtige</strong> <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong><br />

Vertragsrecht<br />

Internet-Automietvertrag: Kein kostenloser Widerruf<br />

Radarwarner: Sittenwidriger Kaufvertrag<br />

Mietrecht<br />

Verzug: Wirksame Kündigung trotz später Ausgleichszahlung<br />

Stromkosten: Rückforderungsfrist bei Falschberechnung<br />

KFZ-Recht<br />

Reparaturkosten: Deckelung auf den Wiederbeschaffungswert<br />

bei „wertlosen“ Fahrzeugen<br />

Familien- und Erbrecht<br />

Abstammungsgutachten: Kein Zwang zum Vaterschaftstest<br />

Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht: Einschränkung bei<br />

drohender Zwangsbeschneidung<br />

Bankrecht<br />

Anlageberatung: Verjährungsfrist bei fahrlässiger<br />

Falschberatung<br />

Lastschriftverfahren: Keine Kostenüberwälzung auf<br />

den Kunden<br />

Aus dem Inhalt:<br />

11/05<br />

Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />

Insolvenzverwalter: Rückforderung unter Vorbehalt<br />

gezahlter Sozialversicherungsbeiträge<br />

Gebühren und Kosten<br />

Verteidigerhonorar: 35.000 Euro nicht zwangsläufig<br />

sittenwidrig<br />

Erfolgshonorar: Weiterhin unzulässig<br />

Strafrecht und OWi<br />

Untersuchungshaft: Überlange Verfahrensdauer


<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />

Vertragsrecht<br />

Verbraucher können per Internet geschlossene Automietverträge<br />

nicht kostenlos widerrufen 5<br />

Der Kauf von Radarwarngeräten ist sittenwidrig 6<br />

He<strong>im</strong>träger müssen Entgelte für Unterkunft und Verpflegung<br />

<strong>im</strong> Rahmen der Pflegeversicherung weiterhin<br />

nicht aufschlüsseln 6<br />

Mietrecht<br />

Ausländische Mieter haben nicht <strong>im</strong>mer einen<br />

Anspruch auf Zust<strong>im</strong>mung des Vermieters zur Installation<br />

einer Parabolantenne 7<br />

Mieter können falsch berechnete Stromkosten nur<br />

für zwei Jahre zurückfordern 7<br />

Ordentliche Kündigung des Vermieters kann auch<br />

bei einem nachträglichen Ausgleich des Mietrückstands<br />

wirksam sein 8<br />

Wohnungseigentum<br />

Wohnungseigentümer können für dringende Fälle<br />

auch eine Einberufungsfrist von drei Tagen vereinbaren<br />

9<br />

Wohnungseigentümer-Gemeinschaften dürfen einzelnen<br />

Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung für<br />

die Führung von Prozessen zahlen 9<br />

Wohnungseigentümer müssen Gartenhäuschen nur<br />

bei feststellbarer Störung der übrigen Eigentümer<br />

entfernen 10<br />

Grundstücksrecht<br />

Günstige Grundstückskäufe nach dem so genannten<br />

„Modrow-Gesetz“ sind wirksam 10<br />

Grundstückseigentümer haften bei Umsturz eines<br />

Grenzbaums grundsätzlich hälftig für den entstandenen<br />

Schaden 11<br />

Bau- und Nachbarschaftsrecht<br />

Zum Ausgleichanspruch von Nachbarn für Schäden<br />

durch umgestürzte Bäume 11<br />

Zur Beachtung der Grenzwerte für Luftschadstoffe<br />

<strong>im</strong> Rahmen von Straßenbauvorhaben 12<br />

In einem Mischgebiet müssen die Anwohner ein<br />

Jugendhe<strong>im</strong> in ihrer Nachbarschaft dulden 12<br />

Zur Wirksamkeit von in Straßenbau-Verträgen häufig<br />

verwendeten Klauseln 12<br />

KFZ-Recht und Verkehr<br />

Verkäufer eines defekten Autos müssen bei Selbstreparatur<br />

durch den Käufer nur bei Fristsetzung zur<br />

Nacherfüllung die Kosten tragen 13<br />

Bei teilweiser oder nicht fachgerechter Reparatur an<br />

„wertlosen“ Fahrzeugen kann grundsätzlich nur der<br />

Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt werden 13<br />

Zur wirksamen Kündigung eines Kfz-Leasingvertrags<br />

14<br />

Fahrzeuge einer vorherigen Modellreihe mit kleinerem<br />

Tank sind keine Neuwagen mehr 14<br />

Haftungs- und Versicherungsrecht<br />

Ärzte müssen über schwerwiegende Nebenwirkungen<br />

von Medikamenten aufklären 15<br />

Deutsche Post AG haftet nur in Höhe des angegebenen<br />

Werts für den Verlust von Auslandspaketen 16<br />

Zur Reichweite einer Einwilligungserklärung in eine<br />

Operation 17<br />

Familien- und Erbrecht<br />

Untreue des „angeheirateten“ Ehegatten berechtigt<br />

Verwandte regelmäßig nicht zum Widerruf einer<br />

Schenkung 17<br />

Unterhaltschuldner können zur Einleitung eines Verbraucher-Insolvenzverfahrens<br />

verpflichtet sein 18<br />

Mutmaßliche Väter können nicht zur Mitwirkung an<br />

einem Vaterschaftstest gezwungen werden 18<br />

<strong>Das</strong> Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht ausländischer<br />

Eltern kann bei drohender Beschneidung ihrer Tochter<br />

beschränkt werden 18<br />

Arbeitsrecht<br />

Altersteilzeitbeschäftigte in der Freistellungsphase<br />

haben keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung 19<br />

Arbeitgeber müssen nach Verschmelzung mehrerer<br />

Betriebe nicht allen Arbeitnehmern den gleichen<br />

Lohn zahlen 19<br />

Einkommen eines getrennt lebenden Ehegatten darf<br />

nicht auf Arbeitslosenhilfe angerechnet werden 20<br />

Arbeitgeber können überzahltes Gehalt grundsätzlich<br />

nur innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist<br />

zurückfordern 20


<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />

Sozialrecht<br />

Vorübergehend in Deutschland tätige ausländische<br />

Arbeitnehmer können sozialversicherungspflichtig<br />

sein 21<br />

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen seit dem<br />

1.1.2004 kein Sterbegeld mehr zahlen 21<br />

Einkünfte aus einer aufgegeben selbständigen Tätigkeit<br />

werden nicht auf eine Erwerbsminderungsrente<br />

angerechnet 22<br />

Zur Leistungserbringung zugelassene kommunale<br />

Träger müssen nunmehr alle Widersprüche gegen<br />

Arbeitslosengeld II-Bescheide bearbeiten 22<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

Gesellschafter müssen nach ihrem Ausscheiden von<br />

der Gesellschaft erhaltene Beträge unter Umständen<br />

zurückzahlen 23<br />

Auch bei einer „Schwester-Fusion“ muss bei der<br />

übernehmenden Gesellschaft zwingend eine Kapitalerhöhung<br />

erfolgen 23<br />

Bundesregierung hat Eckpunkte zum Gesetzentwurf<br />

zur individualisierten Offenlegung der Gehälter von<br />

Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften vorgelegt<br />

24<br />

Geschäftsführer dürfen keine Forderungen des<br />

Unternehmens zur Besicherung eigener Verbindlichkeiten<br />

abtreten 25<br />

Bankrecht<br />

Deliktische Schadensersatzansprüche eines Anlegers<br />

wegen fahrlässiger Falschberatung verjähren<br />

innerhalb von drei Jahren 25<br />

Banken dürfen die Konten ihrer Kunden nicht mit<br />

den Kosten der Rückgabe einer Lastschrift wegen<br />

fehlender Kontodeckung belasten 26<br />

Anleger haben gegen den Staat keinen Amtshaftungsanspruch<br />

wegen Fehler bei der Bankenaufsicht 26<br />

<strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis steht einer Forderungsabtretung<br />

nicht entgegen 27<br />

Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Zur Abgrenzung wettbewerbswidriger Telefonwerbung<br />

gegenüber Verbrauchern und gegenüber<br />

Gewerbetreibenden 28<br />

Deutsche Übersetzung eines englischen Markennamens<br />

begründet nicht in jedem Fall eine Verwechslungsgefahr<br />

28<br />

Händler-Werbung mit „Direktverkauf ab Werk“ kann<br />

wettbewerbswidrig sein 29<br />

Unternehmensberater dürfen über die Vergabe<br />

öffentlicher Fördermittel beraten 29<br />

Verfahrensrecht<br />

Die Bezeichnung einer Methode als „unseriös“<br />

begründet keine Befangenheit eines Sachverständigen<br />

30<br />

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt die<br />

zuvor erteilte Prozessvollmacht 30<br />

Anwälte müssen bei Berufungsbegründungsfristen<br />

die Eintragung von Vorfristen sicherstellen 31<br />

Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei bestehendem<br />

Anspruch auf einen Prozesskostenvorschusses<br />

unter Eheleuten 31<br />

Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />

Insolvenzverwalter haben in „Altfällen“ lediglich<br />

Anspruch auf die niedrige Mindestvergütung nach<br />

der InsVV a.F. 32<br />

Insolvenzverwalter dürfen unter Vorbehalt gezahlte<br />

Sozialversicherungsbeiträge zurückfordern 32<br />

Insolvenzverwalter können mehr als drei Monate vor<br />

dem Insolvenzantrag durchgeführte Zwangsvollstreckungen<br />

nicht anfechten 33<br />

Vorläufige Insolvenzverwalter dürfen eine Überweisung<br />

durch Lastschrift widerrufen 33<br />

Gebühren und Kosten<br />

Anwälte dürfen weiterhin keine Erfolgshonorare vereinbaren<br />

34


<strong>Anwalt</strong>swoche 11/05 Inhalt<br />

Beweisgebühr wegen Verwertung beigezogener<br />

Akten setzt deren Würdigung in der gerichtlichen<br />

Entscheidung voraus 35<br />

Im vorprozessualen Schlichtungsverfahren bei der<br />

ärztlichen Schlichtungsstelle entsteht keine Beweisgebühr<br />

35<br />

Verteidigerhonorar in Höhe von 35.000 Euro ist nicht<br />

zwangsläufig sittenwidrig 36<br />

Berufsrecht<br />

Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt<br />

für Strafrecht“ setzt nicht zwingend praktische Erfahrungen<br />

als Strafverteidiger voraus 36<br />

Für die Höhe der Beiträge eines Rechtsanwalts und<br />

Steuerberaters zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

kommt es nur auf die anwaltlichen Einkünfte an 37<br />

Über die Zulassung als Rechtsanwalt darf auch ein<br />

teilweise mit Rechtsanwälten besetzter Prüfungsausschuss<br />

entscheiden 37<br />

Auch Steuerberater dürfen als Testamentsvollstrecker<br />

tätig werden 38<br />

Verwaltungs- und Verfahrensrecht<br />

Auch unverheiratete Eltern können einen Anspruch<br />

auf Hinterbliebenenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz<br />

haben 39<br />

Anteilserwerb an ehemals jüdischen Grundstücken<br />

steht einem Rückübertragungsanspruch nach dem<br />

VermG nicht entgegen („Werthe<strong>im</strong>-Erben“) 39<br />

Verbeamtete Lokomotivführer können nicht zur Reinigung<br />

der Züge herangezogen werden 39<br />

Private Kuriere von Blutpräparaten dürfen weder<br />

Blaulicht noch Martinshorn benutzen 40<br />

Strafrecht und OWi<br />

Mitglieder einer rechtsradikalen Musikgruppe können<br />

sich wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung<br />

strafbar machen („Landser“) 40<br />

Bundestag hat erweiterte Strafvorschriften <strong>im</strong> Kampf<br />

gegen Rechtsextremismus beschlossen 41<br />

Untersuchungshaft muss bei überlanger Verfahrensdauer<br />

außer Vollzug gesetzt werden 41<br />

Bundesrepublik und Niederlande haben Vertrag über<br />

die grenzüberschreitende polizeiliche und strafrechtliche<br />

Zusammenarbeit geschlossen 42<br />

Steuerrecht<br />

Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung<br />

entsteht nicht bereits mit der Eintragung einer Auflassungsvormerkung<br />

42<br />

Die Beteiligten eines „Umsatzsteuer-Karussells“<br />

sind möglicherweise nicht zum Vorsteuerabzug<br />

berechtigt 42<br />

Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht nur die in ihrem<br />

Land ausgeführten Forschungsarbeiten steuerlich<br />

begünstigen 43<br />

Der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />

Betriebsvermögen ist bei mehreren Erwerbern nicht<br />

nur „nach Köpfen“ zu verteilen 44


Vertragsrecht<br />

Verbraucher können per Internet geschlossene<br />

Automietverträge nicht kostenlos<br />

widerrufen<br />

EuGH 10.3.2005, C-336/03<br />

Verbraucher, die per Internet ein Auto angemietet haben, können<br />

diesen Fernabsatzvertrag zwar innerhalb einer best<strong>im</strong>mten Frist<br />

widerrufen. Sie haben jedoch keinen Anspruch auf kostenlose<br />

Auflösung des Vertrags. Bei Automietverträgen handelt es sich um<br />

„Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen (<strong>im</strong> Bereich)<br />

Beförderung“. Für solche Verträge sieht die Fernabsatzrichtlinie<br />

eine Ausnahme vom Grundsatz der kostenlosen Widerruflichkeit<br />

vor.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Im Ausgangsverfahren streiten „easyCar“, ein Unternehmen,<br />

das in England und anderen Mitgliedstaaten eine Autovermietung<br />

betreibt, und Verbraucherschutzverbände über die kostenlose<br />

Widerruflichkeit von Fernabsatzverträgen.<br />

Die Buchung von Mietwagen erfolgt bei easyCar ausschließlich<br />

über das Internet. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

von easyCar können Verbraucher bei Auflösung des<br />

Mietvertrags grundsätzlich keine Rückerstattung verlangen.<br />

Etwas anderes soll nur für eine Vertragsauflösung auf Grund<br />

von best<strong>im</strong>mten, vom Verbraucher nicht beeinflussbaren außergewöhnlichen<br />

und unvorhergesehenen Ereignissen gelten.<br />

Nach der Fernabsatzrichtlinie (Richtlinie 97/7/EG) können<br />

Verbraucher Fernabsatzverträge innerhalb einer best<strong>im</strong>mten<br />

Frist widerrufen und haben einen Anspruch auf Erstattung<br />

bereits geleisteter Zahlungen und der Kosten der Rücksendung<br />

der Ware. Der Grundsatz der kostenlosen Widerruflichkeit gilt<br />

allerdings nicht für „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen<br />

(<strong>im</strong> Bereich) Beförderung“. Der mit dem Streitfall<br />

befasste High Court legte dem EuGH die Frage vor, ob diese<br />

Ausnahme auch für Autovermietungen gilt. Der EuGH bejahte<br />

dies.<br />

Die Gründe:<br />

Die Vermietung von Autos stellt eine „Dienstleistung (<strong>im</strong><br />

Bereich) Beförderung“ dar. Verbraucher haben daher bei Widerruf<br />

eines auf Anmietung eines Autos gerichteten Fernabsatzvertrages<br />

ausnahmsweise keinen Anspruch auf kostenlose Vertragsauflösung.<br />

Der Gesetzgeber hat bewusst nicht den engeren Begriff „Beförderungsverträge“<br />

gewählt, der lediglich die Beförderung von<br />

Menschen oder Waren durch einen Beförderer umfasst, sondern<br />

auf den gesamten Bereich der Beförderung abgestellt. Hierzu<br />

gehört nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch das Bereitstellen<br />

von Beförderungsmitteln.<br />

Diese Auslegung steht auch <strong>im</strong> Einklang mit dem Gesetzeszweck,<br />

einerseits den Verbraucher zu schützen, andererseits<br />

aber auch Anbieter best<strong>im</strong>mter Dienstleistungen vor unverhältnismäßigen<br />

Nachteilen auf Grund des Rechts zur kostenlosen<br />

Vertragsauflösung zu bewahren. Autovermieter erleiden <strong>im</strong><br />

Fall einer Stornierung die gleichen Nachteile wie andere Anbieter<br />

von Beförderungsdienstleistungen, da sie Vorkehrungen für<br />

die Bereitstellung des Autos zum vereinbarten Zeitpunkt treffen<br />

müssen. Die Ausnahmevorschrift für Beförderungsdienstleistungen<br />

gilt daher auch für Autovermietungen.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />

veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Verkäufer können falsche Kaufpreisangaben<br />

<strong>im</strong> Internet anfechten<br />

BGH 26.1.2005, VIII ZR 79/04<br />

Wird ein Produkt <strong>im</strong> Internet auf Grund eines Fehlers <strong>im</strong><br />

Datentransfer zu einem niedrigeren Preis angeboten als vom<br />

Anbieter beabsichtigt, so kann er den Kaufvertrag über das<br />

Produkt anfechten. In diesem Fall liegt ein Erklärungsirrtum<br />

<strong>im</strong> Sinn von § 119 Abs.1 2.Alt. BGB vor. Fehler be<strong>im</strong><br />

Datentransfer sind mit einem Vertippen oder Verschreiben<br />

vergleichbar und stellen nicht etwa einen unbeachtlichen<br />

(verdeckten) Kalkulationsirrtum dar.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin bietet <strong>im</strong> Internet Computer zum Kauf an. Ihre<br />

Mitarbeiter geben den Verkaufspreis für das jeweilige Produkt in<br />

ein EDV-gesteuertes Warenwirtschaftssystem ein. Eine spezielle<br />

Software sorgt dafür, dass die Preise automatisch in die Produktdatenbank<br />

der Internetseite der Klägerin übertragen werden.<br />

Im Januar 2003 versah ein Mitarbeiter der Klägerin ein Notebook<br />

<strong>im</strong> Warenwirtschaftsystem mit einem Kaufpreis von 2.650 Euro.<br />

Auf Grund eines Fehlers <strong>im</strong> Datentransfer wurde das Notebook<br />

<strong>im</strong> Internet zu einem Preis von 245 Euro angeboten. Der Beklagte<br />

bestellte das Notebook zu diesem Preis. Daraufhin erhielt er<br />

von der Klägerin per E-Mail eine automatische Bestellbestätigung<br />

sowie die Mitteilung, dass der Auftrag von der Versandabteilung<br />

bearbeitet werde.<br />

Die Klägerin lieferte das Notebook am 5.2.2003 zum Preis von<br />

245 Euro an den Beklagten aus. Mit Schreiben vom 11.2.2003<br />

erklärte sie die Anfechtung des Kaufvertrags, da der Preis für das<br />

Notebook auf Grund eines technischen Versehens viel zu niedrig<br />

angegeben gewesen sei. Sie verlangte von dem Beklagten die<br />

Herausgabe des Notebooks Zug um Zug gegen Rückzahlung der<br />

245 Euro. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 812 Abs.1 S.1 1.Alt.<br />

BGB einen Anspruch auf Herausgabe des Notebooks. Die Übergabe<br />

des Notebooks ist ohne Rechtsgrund erfolgt, weil die Klägerin<br />

den Kaufvertrag mit dem Beklagten gemäß § 119 Abs.1 2.Alt. BGB<br />

wirksam angefochten hat. Ihre auf den Abschluss des Kaufvertrags<br />

gerichtete Willenserklärung ist daher rückwirkend nichtig.<br />

Die Klägerin unterlag bei Abgabe des Kaufangebots einem<br />

Erklärungsirrtum <strong>im</strong> Sinn von § 119 Abs.1 2. Alt. BGB. Sie<br />

wollte eine Erklärung des Inhalts, das Notebook solle 245 Euro<br />

kosten, nicht abgeben. Zu der fehlerhaften Kaufpreisangabe <strong>im</strong><br />

Internet ist es auf Grund eines bis dahin unerkannten Fehlers in<br />

der Datenübertragung gekommen. Dies ist mit den - als Erklärungsirrtum<br />

allgemein anerkannten - Fällen des Verschreibens<br />

oder Vertippens vergleichbar.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 5


Dagegen liegt kein Fall eines unbeachtlichen (verdeckten) Kalkulationsirrtums<br />

vor. Die falsche Preisangabe <strong>im</strong> Internet beruhte<br />

nicht auf einer falschen Berechnung. Der Fehler ist vielmehr<br />

erst in der nachfolgenden Datenübertragung aufgetreten.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BGH veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier<br />

(pdf-Datei).<br />

Der Kauf von Radarwarngeräten ist sittenwidrig<br />

BGH 23.2.2005, VIII ZR 129/04<br />

Kaufverträge über den Erwerb eines Radarwarngeräts<br />

sind gemäß § 138 BGB sittenwidrig und deshalb nichtig.<br />

Radarwarngeräte dienen allein dem Zweck, Geschwindigkeitsko<br />

ntrollen zu unterlaufen, und damit der Begehung eines nach § 23<br />

Abs.1b StVO verbotenen Verhaltens. Daher haben Käufer eines<br />

fehlerhaften Geräts gegen den Verkäufer auch keinen Anspruch<br />

auf Rückabwicklung des Vertrags.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin erwarb von der Beklagten ein zum Einsatz <strong>im</strong> deutschen<br />

Straßenverkehr best<strong>im</strong>mtes Radarwarngerät. Später wollte<br />

sie den Kauf rückgängig machen, weil das Gerät nicht funktioniere.<br />

Es habe an verschiedenen Messstellen der Polizei kein<br />

Warnsignal abgegeben. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin<br />

die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe<br />

des Radarwarngeräts. <strong>Das</strong> AG gab der hierauf gerichteten Klage<br />

statt.<br />

Auf die Berufung der Beklagten wies das LG die Klage ab. Die<br />

Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrags,<br />

weil der Kaufvertrag nichtig sei. <strong>Das</strong> Radarwarngerät<br />

habe allein dem Zweck gedient, entgegen dem Verbot in § 23<br />

Abs.1bStVO vor Geschwindigkeitskontrollen zu warnen. Damit<br />

werde das Interesse der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr<br />

beeinträchtigt. Die hiergegen gerichtete Revision der<br />

Klägerin hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung<br />

des Kaufvertrags.<br />

Ein Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag wegen Mangelhaftigkeit<br />

des Radargeräts aus §§ 433, 434 Abs.1, 437 Nr.2, 323 BGB<br />

scheidet aus, weil der Kaufvertrag wegen Verstoßes gegen die<br />

guten Sitten nach § 138 Abs.1 BGB nichtig ist. Nach § 23 Abs.1b<br />

StVO dürfen Autofahrer <strong>im</strong> Straßenverkehr keine Radarwarngeräte<br />

benutzen. Der Kauf eines Radarwarngeräts dient der Umgehung<br />

dieses Verbots.<br />

§ 23 Abs.1b StVO verbietet zwar nur den Einsatz und das Mitsichführen<br />

und nicht den Kauf eines Radarwarngeräts. Der Kauf<br />

eines solchen Geräts erfolgt jedoch nur zu dem Zweck, es <strong>im</strong><br />

Straßenverkehr einzusetzen, und stellt damit eine unmittelbare<br />

Vorbereitungshandlung für die Inbetriebnahme dar. Deshalb ist<br />

bereits der Erwerb eines Radarwarngeräts rechtlich zu missbilligen.<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen bereicherungsrechtlichen<br />

Anspruch auf Rückabwicklung des nichtigen Vertrags.<br />

Der bei nichtigen Verträgen an sich gegebene Anspruch<br />

auf Rückzahlung des Kaufpreises ist gemäß § 817 S.2 BGB ausgeschlossen.<br />

Hiernach scheidet ein Rückforderungsanspruch<br />

aus, wenn beide Vertragsparteien gegen die guten Sitten verstoßen<br />

haben.<br />

Der Vertrieb von Radarwarngeräten ist ebenso sittenwidrig wie<br />

der Kauf, so dass die Voraussetzungen von § 817 S.2 BGB vorliegen.<br />

Der Ausschluss des Rückforderungsanspruchs ist auch<br />

nicht deshalb unbillig, weil die Beklagte aus dem sittenwidrigen<br />

Geschäft wirtschaftliche Vorteile gezogen hat. Denn die Klägerin<br />

handelte ebenfalls sittenwidrig und hat - <strong>im</strong> Gegensatz zur<br />

Beklagten - durch den Einsatz des Geräts unmittelbar gegen das<br />

Verbot aus § 23 Abs.1b StVO verstoßen.<br />

He<strong>im</strong>träger müssen Entgelte für Unterkunft<br />

und Verpflegung <strong>im</strong> Rahmen der Pflegeversicherung<br />

weiterhin nicht aufschlüsseln<br />

BGH 3.2.2005, III ZR 411/04<br />

Seit dem 1.1.2002 müssen He<strong>im</strong>träger gemäß § 5 Abs.3<br />

S.3 He<strong>im</strong>G in ihren Verträgen die Entgelte für Unterkunft<br />

und Verpflegung zwar <strong>im</strong> Einzelnen aufschlüsseln. <strong>Das</strong> gilt<br />

aber nicht für Leistungen, die <strong>im</strong> Rahmen der gesetzlichen<br />

Pflegeversicherung erbracht werden. Insoweit handeln die<br />

Leistungsträger einheitliche Beträge aus, die für die He<strong>im</strong>e<br />

verbindlich sind. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn die<br />

He<strong>im</strong>träger den einheitlichen Betrag nach Gutdünken aufgliedern<br />

würden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverein. Er verlangte von<br />

dem beklagten He<strong>im</strong>träger, in den He<strong>im</strong>verträgen die Verwendung<br />

einer best<strong>im</strong>mten Klausel zu unterlassen. Danach wird das<br />

Entgelt für die Unterkunft und Verpflegung von Bewohnern, die<br />

Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in Anspruch<br />

nehmen, in einem einheitlichen Betrag angegeben. Der Kläger<br />

sah hierin einen Verstoß gegen § 5 Abs.3 S.3 He<strong>im</strong>G.<br />

<strong>Das</strong> LG gab der Klage auf Unterlassung der Verwendung der<br />

Klausel statt; das OLG wies sie ab. Die hiergegen gerichtete<br />

Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Beklagte ist <strong>im</strong> Hinblick auf Bewohner, die Leistungen der<br />

gesetzlichen Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, nicht verpflichtet,<br />

das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung <strong>im</strong> Einzelnen<br />

aufzuschlüsseln. Der seit dem 1.1.2002 geltende § 5 Abs.3<br />

S.3 He<strong>im</strong>G schreibt zwar vor, dass die einzelnen Entgelte für die<br />

Leistungen eines He<strong>im</strong>s gesondert angegeben werden müssen.<br />

Diese Vorschrift gilt aber nicht für Leistungen <strong>im</strong> Rahmen der<br />

gesetzlichen Pflegeversicherung.<br />

Mit der Neuregelung in § 5 Abs.3 S.3 He<strong>im</strong>G wollte der Gesetzgeber<br />

den Markt der He<strong>im</strong>leistungen transparenter machen und<br />

den Betroffenen einen Leistungsvergleich ermöglichen. Dieser<br />

Transparenzgedanke ist jedoch in die Sondervorschriften für<br />

Leistungsempfänger der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht<br />

aufgenommen worden. Diese sehen weiterhin vor, dass Art und<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 6


Umfang der Leistungen sowie das hierfür zu entrichtende Entgelt<br />

zum Schutz der He<strong>im</strong>bewohner nicht individuell, sondern<br />

mit den Leistungsträgern ausgehandelt werden.<br />

Für Leistungsempfänger der gesetzlichen Pflegeversicherung<br />

sieht der unverändert gebliebene § 87 SGB XI einheitliche<br />

Beträge für Unterkunft und Verpflegung vor. Diese Beträge sind<br />

sowohl für die Pflegehe<strong>im</strong>e als auch für die Pflegebedürftigen<br />

verbindlich. Vor diesem Hintergrund ist für eine Aufteilung des<br />

einheitlichen Betrags nach eigenem Gutdünken des He<strong>im</strong>trägers<br />

kein Raum.<br />

Mietrecht<br />

Ausländische Mieter haben nicht <strong>im</strong>mer<br />

einen Anspruch auf Zust<strong>im</strong>mung des Vermieters<br />

zur Installation einer Parabolantenne<br />

BGH 2.3.2005, VIII ZR 118/04<br />

Ausländische Mieter dürfen gegen den Willen des Vermieters keine<br />

Parabolantenne am Haus anbringen, wenn sie ihre he<strong>im</strong>ischen<br />

Programme in ausreichender Zahl per Kabel empfangen können. In<br />

einem solchen Fall überwiegt das Eigentumsrecht des Vermieters<br />

das Recht des Mieters auf Informationsfreiheit.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger. Er hatte vom Beklagten<br />

eine Wohnung in dessen Mehrparteienhaus gemietet. Die<br />

Wohnung hat einen Kabelanschluss für den Empfang von Radio-<br />

und Fernsehprogrammen. Mit der Installation eines Decoders<br />

hätte der Kläger fünf russische Fernsehprogramme empfangen<br />

können. Der Kläger wollte aber eine Parabolantenne an einem<br />

Metallgitter vor seinem Wohnz<strong>im</strong>merfenster anbringen, damit<br />

der er eine größere Zahl staatlicher und privater russischer Fernsehprogramme<br />

empfangen kann.<br />

Er verlangte von der Beklagten, ihre Zust<strong>im</strong>mung zur Installation<br />

der Parabolantenne zu geben. Seine hierauf gerichtete Klage<br />

hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zust<strong>im</strong>mung zur<br />

Installation der Parabolantenne verlangen. Zwar steht dem Kläger<br />

aus Art.5 Abs.1 S.1 Hs.2 GG das Recht zu, sich aus frei<br />

zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren. Dem steht<br />

jedoch das Grundrecht des Vermieters auf Eigentum aus Art.14<br />

Abs.1 GG gegenüber, in das eingegriffen wird, wenn er die<br />

Installation einer Parabolantenne an seinem Haus dulden muss.<br />

Die Interessenabwägung zwischen beiden Grundrechten muss<br />

anhand eines jeden Einzelfalls vorgenommen werden.<br />

Im Streitfall genießt das Eigentumsgrundrecht des Beklagten<br />

Vorrang vor dem Recht des Klägers auf Informationsfreiheit. Der<br />

Kläger kann über einen bereits verlegten Kabelanschluss mittels<br />

eines Decoders fünf russische Programme empfangen. Hiermit<br />

wird eine ausreichende Information des Klägers gewährleistet.<br />

Demgegenüber würde das Gesamtbild der Hausfassade durch<br />

die Installation einer Parabolantenne erheblich beeinträchtigt.<br />

Dies muss der Beklagte vor dem Hintergrund, dass die Informiertheit<br />

des Klägers in seiner Muttersprache gewährleistet ist,<br />

nicht hinnehmen.<br />

Mieter können falsch berechnete Stromkosten<br />

nur für zwei Jahre zurückfordern<br />

LG München I 17.12.2004, 26 O 6255/04<br />

Werden auf Grund einer Verwechslung der Stromzähler die<br />

Stromkosten einer Mietwohnung falsch abgerechnet, kann der<br />

Geschädigte die zu hoch gezahlten Beträge nur für die letzten zwei<br />

Jahre seit der Feststellung des Fehlers verlangen. Bei so genannten<br />

Massenverträgen sollen Streitigkeiten über Stromabrechnungen<br />

möglichst schnell beendet werden. Für länger zurückliegende<br />

Zeiträume soll <strong>im</strong> Interesse der Rechtssicherheit ein Streit über<br />

Abrechnungsfehler ausgeschlossen sein.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist seit 15 Jahren Mieter einer Wohnung. Nach einem<br />

Wechsel des Strom-Versorgungsunternehmens, stellte sich heraus,<br />

dass der Kläger seit 1989 zuviel Entgelt für Strom bezahlt<br />

hatte. Auf Grund einer Verwechslung der Stromzähler zahlte er<br />

die Stromkosten der benachbarten Familie. Der Kläger hatte<br />

sich zwar wiederholt bei der Hausverwaltung wegen der hohen<br />

Stromkosten beschwert, aber nie eine Überprüfung der Zähler<br />

verlangt.<br />

<strong>Das</strong> beklagte Versorgungsunternehmen zahlte dem Kläger das<br />

für den Zeitraum von 2001 bis 2003 zuviel gezahlte Stromentgelt<br />

zurück. Eine Erstattung der Beiträge für den Zeitraum von<br />

1989 bis 2001 lehnte es jedoch ab. Der Anspruch auf Erstattung<br />

wegen fehlerhafter Abrechnungen sei auf zwei Jahre beschränkt.<br />

Außerdem müsse sich der Kläger an das vorherige Stromversorgungsunternehmen<br />

wenden. Der Kläger begehrte von der<br />

Beklagten dennoch die Rückzahlung der Beiträge für den Zeitraum<br />

von 1989 bis 2001. Seine hierauf gerichtete Klage hatte<br />

keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung<br />

der Beträge für den Zeitraum von 1989 bis 2001. Die Verwechslung<br />

der Stromzähler stellt einen Fehler bei der Ermittlung<br />

des Rechnungsbetrags dar und ist somit als Berechnungsfehler <strong>im</strong><br />

Sinn des § 21 Abs.2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen<br />

für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden anzusehen.<br />

Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Rückerstattung<br />

zuviel gezahlter Strombeträge auf die zurückliegenden zwei Jahre<br />

seit der Feststellung des Fehlers beschränkt. Sinn dieser Regelung<br />

ist es, bei sogenannten Massenverträgen Streitigkeiten über<br />

Stromabrechnungen möglichst schnell zu beenden. Für länger<br />

zurückliegende Zeiträume soll <strong>im</strong> Interesse der Rechtssicherheit<br />

ein Streit über Abrechnungsfehler ausgeschlossen sein.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 7


Ordentliche Kündigung des Vermieters<br />

kann auch bei einem nachträglichen Ausgleich<br />

des Mietrückstands wirksam sein<br />

BGH 16.2.2005, VIII ZR 6/04<br />

Hat ein Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs<br />

des Mieters außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt,<br />

so führt ein nachträglicher Ausgleich der Zahlungsrückstände<br />

gemäß 569 Abs.3 Nr.2 BGB zwar zur Unwirksamkeit der<br />

außerordentlichen Kündigung. Die hilfsweise ausgesprochene<br />

ordentliche Kündigung ist aber gleichwohl wirksam,<br />

wenn der ursprüngliche Zahlungsrückstand eine verschuldete<br />

Pflichtverletzung des Mieters darstellt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin hatte an die Beklagte eine Wohnung vermietet. Die<br />

Beklagte geriet für mehrere Termine mit der Zahlung der Miete<br />

in Verzug. Daraufhin kündigte die Klägerin das Mietverhältnis<br />

fristlos, hilfsweise fristgerecht, und klagte auf Räumung und<br />

Herausgabe. Während des Prozesses zahlte das Sozialamt die<br />

rückständige Miete.<br />

AG und LG wiesen die Räumungsklage ab, weil ein Ausgleich<br />

des Zahlungsrückstands sowohl zur Unwirksamkeit der fristlosen<br />

als auch der fristgerechten Kündigung führe. Auf die Revision<br />

der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies<br />

den Rechtstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an<br />

das LG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin<br />

das Mietverhältnis durch wirksame Kündigung beendet hat<br />

und deshalb die Räumung der Wohnung verlangen kann. Der<br />

nachträgliche Ausgleich des Mietrückstands durch das Sozialamt<br />

führte zwar gemäß § 569 Abs.3 Nr.2 BGB zur Unwirksamkeit der<br />

außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses. Eine solche<br />

Nachzahlung hat jedoch entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts<br />

nicht auch zwingend die Unwirksamkeit einer hilfsweise<br />

ausgesprochenen ordentlichen Kündigung zur Folge.<br />

Während für die außerordentliche Kündigung wegen eines Mietrückstands<br />

die Rechtsfolgen einer Nachzahlung <strong>im</strong> laufenden<br />

Räumungsprozess in den §§ 569 Abs.3 Nr.2 BGB, 543 Abs.2 Nr.3<br />

BGB ausdrücklich geregelt sind, fehlt für die ordentliche Kündigung<br />

nach § 573 Abs.2 Nr.1 BGB eine entsprechende Regelung.<br />

Die Vorschrift weisen zudem große Unterschiede auf. Die außerordentliche<br />

Kündigung setzt einen Verzug des Mieters mit der<br />

Zahlung von mindestens zwei Mietraten voraus. Dagegen verlangt<br />

die ordentliche Kündigung eine nicht unerhebliche schuldhafte<br />

Pflichtverletzung des Mieters. Wegen eines Zahlungsrückstands<br />

kann dem Mieter deshalb nur dann ordentlich gekündigt<br />

werden, wenn er schuldhaft mit den Mietzahlungen in Verzug<br />

geraten ist.<br />

Daher führt die Nachzahlung der Zahlungsrückstände nur dann<br />

zur Unwirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen<br />

Kündigung, wenn der Mieter wegen unvorhergesehener wirtschaftlicher<br />

Engpässe unverschuldet in Zahlungsverzug geraten<br />

ist oder die nachträgliche Zahlung das Fehlverhalten in einem<br />

milderen Licht erscheinen lässt. <strong>Das</strong> Berufungsgericht muss<br />

hierzu weitere Feststellungen treffen. Es muss prüfen, warum<br />

die Beklagte in Zahlungsverzug geraten ist und ob insoweit eine<br />

schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt.<br />

Vermieter müssen durch Mieter verursachte<br />

Schäden am Wohnraum beweisen<br />

BGH 10.11.2004, XII ZR 71/01<br />

Der Mieter ist nicht nach § 542 BGB a.F. zur außerordentlichen<br />

fristlosen Kündigung berechtigt, wenn er die Störung des<br />

vertragsgemäßen Gebrauchs (hier durch einen Wasserschaden)<br />

selbst zu vertreten hat. Ist die Schadensursache zwischen den<br />

Vertragsparteien streitig, trägt der Vermieter die Beweislast<br />

dafür, dass sie dem Obhutsbereich des Mieters entstammt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger hatten an die Beklagte Gewerberäume zum Betrieb<br />

einer Arztpraxis vermietet. Durch einen Wasserschaden entstanden<br />

in dem Mietobjekt erhebliche Schäden, darunter Sch<strong>im</strong>melbildungen<br />

mit einer erheblichen Geruchsbelastung. Die Parteien<br />

stritten um die Ursache des Wasserschadens. Während die<br />

Beklagte behauptete, das Wasser sei von außen in ihre Mieträume<br />

eingedrungen, behaupteten die Kläger, als Schadensursache<br />

komme nur ein Wasseraustritt in den Mieträumen der Beklagten<br />

in Betracht.<br />

Die Beklagte minderte die Miete, kündigte das Mietverhältnis<br />

fristlos und räumte die Mietsache. Die Kläger verlangten daraufhin<br />

von ihr die Zahlung von rückstehendem Mietzins und<br />

begehrten die Feststellung, dass das Mietverhältnis zwischen<br />

den Parteien fortbesteht. Die hierauf gerichtete Klage hatte in<br />

den Vorinstanzen keinen Erfolg. Auf die Revision der Kläger<br />

hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Sache zur<br />

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kläger können gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />

des rückstehenden Mietzinses haben. Außerdem kann das<br />

Mietverhältnis zwischen den Parteien fortbestehen.<br />

Der Mieter ist nicht zur Mietminderung oder außerordentlichen<br />

fristlosen Kündigung berechtigt, wenn er die Störung des vertragsgemäßen<br />

Gebrauchs der Mietsache selbst zu vertreten hat.<br />

Ist - wie hier - streitig, ob die Feuchtigkeitsschäden ihre Ursache<br />

<strong>im</strong> Verantwortungsbereich des Vermieters oder des Mieters<br />

haben, muss der Vermieter zunächst sämtliche Ursachen ausräumen,<br />

die aus seinem Gefahrenbereich herrühren können. Erst<br />

dann, wenn ihm dieser Beweis gelungen ist, muss der Mieter<br />

beweisen, dass die Feuchtigkeitsschäden nicht aus seinem Verantwortungsbereich<br />

stammen.<br />

<strong>Das</strong> Berufungsgericht hat es <strong>im</strong> Streitfall versäumt, die von den<br />

Klägern für den Ausschluss einer Schadensursache aus ihrem<br />

Gefahrenbereich angebotenen weiteren Beweise zu erheben.<br />

Insbesondere haben die Kläger vorgetragen, dass noch am Schadenstag<br />

selbst alle Leitungen <strong>im</strong> Haus durch die fachkundigen<br />

Zeugen S., K. und O. untersucht worden seien, wobei keine<br />

Schadensursache festgestellt wurde. Wäre dieser Vortrag bewiesen,<br />

stünde fest, dass der Wasserschaden nicht auf einen Wasserrohrbruch<br />

zurückzuführen war.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

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Abruf ist kostenpflichtig.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 8


Wohnungseigentum<br />

Wohnungseigentümer können für dringende<br />

Fälle auch eine Einberufungsfrist von drei<br />

Tagen vereinbaren<br />

BayObLG 15.12.2004, 2Z BR 163/04<br />

Wohnungseigentümer können für Einladungen zu Eigentümerversammlungen<br />

eine verbindliche Einberufungsfrist von<br />

zwei Wochen vereinbaren, die in dringenden Fällen auf drei<br />

Tage abgekürzt werden kann. Ob ein dringender Fall vorliegt,<br />

obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Prüfung und ist<br />

<strong>im</strong> Beschwerdeverfahren nur beschränkt nachprüfbar. Ein<br />

dringender Fall ist etwa zu bejahen, wenn es um die Abbestellung<br />

eines Verwalters geht, der in Kürze sein Amt antreten soll.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragsteller zu 1) bis 4) und die Antragsgegner sind die<br />

Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Nach der Gemeinschaftsordnung<br />

gilt für Einladungen zur Eigentümerversammlung<br />

eine Einberufungsfrist von zwei Wochen. Diese kann in<br />

dringenden Fällen auf drei Tage abgekürzt werden.<br />

Die Wohnanlage wurde bislang von A. verwaltet. Am 24.11.2003<br />

beschloss die Eigentümerversammlung, für die Zeit vom<br />

1.1.2004 bis zum 31.12.2005 B. zur Verwalterin zu bestellen. A.<br />

wollte dies verhindern und lud deshalb mit einem am 8.12.2003<br />

zur Post gegebenen Schreiben zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung<br />

am 18.12.2003 ein. Auf dieser Eigentümerversammlung,<br />

an der zwei der Antragsteller nicht teilnahmen,<br />

hoben die Eigentümer den Beschluss vom 24.11.2003 auf und<br />

bestellten wieder A. zur Verwalterin. Die Bestellung sollte für<br />

die Zeit vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2008 gelten.<br />

Die Antragsteller hielten die Beschlüsse vom 18.12.2003 für<br />

ungültig. Die Versammlung sei zu kurzfristig einberufen worden.<br />

Deshalb hätten zwei der Antragsteller nicht kommen können.<br />

Außerdem verstieße die Bestellungsfrist von fünf Jahren gegen<br />

die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung. <strong>Das</strong> AG gab den<br />

Anträgen statt; das LG wies sie ab. Die hiergegen gerichtete sofortige<br />

weitere Beschwerde der Antragsteller hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beschlüsse vom 18.12.2003 verstoßen nicht gegen die in der<br />

Gemeinschaftsordnung vereinbarte Einberufungsfrist. Nach der<br />

Gemeinschaftsordnung kann die Einberufungsfrist in dringenden<br />

Fällen auf drei Tage verkürzt werden. Ob ein derartiger Eilfall vorliegt,<br />

obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung und ist durch<br />

das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt nachprüfbar.<br />

<strong>Das</strong> LG hat zu Recht einen Eilfall angenommen. Die Eilbedürftigkeit<br />

ergab sich daraus, dass B. schon ab dem 1.1.2004 als Verwalterin<br />

tätig werden sollte. Die Auffassung der Antragsteller zu<br />

1) bis 4), dass am Wochenende vor Weihnachten oder zwischen<br />

dem 27.12.2003 und 30.12.2003 eine Eigentümerversammlung<br />

hätte stattfinden können, erscheint wenig einleuchtend. Es<br />

ist auch nicht ersichtlich, dass die beiden bei der Versammlung<br />

nicht anwesenden Antragsteller wegen der kurzen Einberufungsfrist<br />

an der Teilnahme gehindert waren und bei einer Teilnahme<br />

das Ergebnis tatsächlich beeinflusst hätten.<br />

Der Beschluss verstößt auch nicht wegen der langen Bestellungsfrist<br />

gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung.<br />

Die Wohnungseigentümer dürfen die gesetzlich zulässige Bestellungsfrist<br />

von fünf Jahren voll ausschöpfen.<br />

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Wohnungseigentümer-Gemeinschaften dürfen<br />

einzelnen Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung<br />

für die Führung von Prozessen<br />

zahlen<br />

OLG Frankfurt 12.7.2004, 20 W 96/03<br />

Beauftragt die Wohnungseigentümer-Gemeinschaft einzelne<br />

Mitglieder, für alle Eigentümer stellvertretend Prozesse zu führen,<br />

so darf sie diesen Mitgliedern eine Aufwandsentschädigung für<br />

die Prozessführung zubilligen. <strong>Das</strong> widerspricht selbst dann<br />

nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn<br />

Rechtsanwälte mit der Prozessvertretung beauftragt werden.<br />

Die Aufwandsentschädigung muss allerdings ihrer Höhe nach<br />

angemessen sein.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Eine Wohnungseigentümer-Gemeinschaft beschloss mehrheitlich,<br />

zwei ihrer Mitglieder (Antragsgegner) stellvertretend für<br />

alle Eigentümer mit der Führung von zwei Prozessen zu beauftragen.<br />

Gleichzeitig billigte die Gemeinschaft den beiden eine<br />

Aufwandsentschädigung für die Prozessführung in Höhe von<br />

jeweils rund 6.000 Euro zu.<br />

Die Antragsteller hatten dem Beschluss über die Aufwandsentschädigung<br />

nicht zugest<strong>im</strong>mt. Ihre Anfechtung des Beschlusses<br />

hatte sowohl vor dem AG als auch vor dem LG keinen Erfolg.<br />

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller hob das<br />

OLG den Beschluss des LG auf und wies die Sache zur erneuten<br />

Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob der<br />

Beschluss der Eigentümer-Gemeinschaft anfechtbar ist. Grundsätzlich<br />

ist es nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinschaft<br />

einzelnen Mitgliedern, die sie mit der Prozessführung für die<br />

Gemeinschaft beauftragt hat, eine Aufwandsentschädigung<br />

zubilligt.<br />

Dies widerspricht selbst dann nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer<br />

Verwaltung <strong>im</strong> Sinn von § 21 Abs.3 WEG, wenn die<br />

mit der Prozessführung beauftragten Mitglieder ihrerseits einen<br />

Rechtsanwalt mit der Prozessführung <strong>im</strong> engeren Sinn beauftragen.<br />

Die Prozessführung der Mitglieder kann auch in diesem<br />

Fall mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden sein.<br />

Da die hierbei zu entfaltende Tätigkeit nicht grundsätzlich zum<br />

Aufgabenbereich von Wohnungseigentümern gehört, kann nicht<br />

erwartet werden, dass die Mitglieder ohne jede Aufwandsentschädigung<br />

tätig werden.<br />

Eine solche Aufwandsentschädigung muss allerdings der Höhe<br />

nach angemessen sein. Hierzu fehlen <strong>im</strong> Streitfall ausreichende<br />

Feststellungen. Bislang steht nicht fest, wie lange die beiden<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 9


Prozesse gedauert haben und in welchem zeitlichen Umfang die<br />

Antragsgegner während des Verfahrens tätig geworden sind.<br />

Außerdem ist unklar, welche Aktivitäten die Antragsteller konkret<br />

entfaltet haben. <strong>Das</strong> LG muss hierzu <strong>im</strong> zweiten Rechtsgang<br />

weitere Feststellungen treffen.<br />

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Wohnungseigentümer müssen Gartenhäuschen<br />

nur bei feststellbarer Störung der übrigen<br />

Eigentümer entfernen<br />

LG München I 30.1.2004, 1 T 14169/03<br />

Wohnungseigentümer müssen ein Gartenhaus in ihrer Anlage<br />

grundsätzlich nicht dulden. Gartenhäuschen wirken in der<br />

Regel störend und müssen beseitigt werden, wenn die übrigen<br />

Wohnungseigentümer dies verlangen. Ein Anspruch auf<br />

Beseitigung eines Gartenhauses besteht nur ausnahmsweise nicht,<br />

wenn nach den örtlichen Gegebenheiten keine Beeinträchtigung<br />

der übrigen Wohnungseigentümer feststellbar ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Parteien sind Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. Der<br />

Beschwerdegegner bewohnt eine Erdgeschosswohnung und<br />

errichtete ein Gartenhaus in der hinteren Ecke seines Gartens.<br />

Hinter dem Häuschen befinden sich auf einem Nachbargrundstück<br />

verschiedene Bauten, darunter ein Schuppen und ein Fahrradständer.<br />

<strong>Das</strong> Gartenhäuschen ist weder von der Straße noch<br />

vom Eingangsbereich der Anlage aus sichtbar.<br />

Die Eigentümergemeinschaft beschloss mehrheitlich, den<br />

Beschwerdegegner aufzufordern, das Gartenhaus zu entfernen.<br />

Auf dessen Antrag hob das AG den Beschluss der Eigentümerversammlung<br />

auf. Die hiergegen gerichtete Beschwerde eines<br />

Miteigentümers hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> AG hat den Beschluss der Eigentümerversammlung zu<br />

Recht aufgehoben. Zwar müssen Wohnungseigentümer den Bau<br />

eines Gartenhäuschens in ihrer Anlage regelmäßig nicht dulden.<br />

Derartige Bauten wirken regelmäßig störend. Ein Anspruch auf<br />

Beseitigung des störenden Bauwerks besteht aber nicht, wenn<br />

nach den örtlichen Gegebenheiten keine Beeinträchtigung der<br />

übrigen Wohnungseigentümer feststellbar ist.<br />

Im Streitfall werden die Miteigentümer durch das Gartenhäuschen<br />

nicht gestört. Es ist weder von der Straße noch vom Eingangsbereich<br />

der Anlage aus sichtbar. Von den Fenstern der Wohnanlage<br />

zur Gartenseite blickt man nicht nur auf das Gartenhaus, sondern<br />

auch auf den Schuppen und den Fahrradständer des Nachbarhofes.<br />

Angesichts dieser Umgebung wirkt das Gartenhäuschen<br />

optisch nicht nachteilig. Der Hinweis des Beschwerdeführers<br />

auf eine geplante Sanierung des Nachbarhofs ist unbeachtlich.<br />

Für die Beurteilung einer Beeinträchtigung der Miteigentümer<br />

ist der gegenwärtige Zustand ausschlaggebend.<br />

Grundstücksrecht<br />

Günstige Grundstückskäufe nach dem so<br />

genannten „Modrow-Gesetz“ sind wirksam<br />

BGH 17.9.2004, V ZR 339/03<br />

Ostdeutsche, die auf der Grundlage des Gesetzes über den Verkauf<br />

volkseigener Gebäude vom 7.3.1990 („Modrow-Gesetz“)<br />

auch noch nach der Wiedervereinigung günstig Grundstücke<br />

erworben haben, müssen nicht die Differenz zum Verkehrswert<br />

der Grundstücke nachzahlen. Die Kaufverträge sind trotz der<br />

niedrigen Kaufpreise (<strong>im</strong> Streitfall 4.250 DM) nicht sittenwidrig.<br />

Die Behandlung der Kaufverträge nach dem „Modrow-Gesetz“<br />

diente dem legit<strong>im</strong>en Ziel, Ungleichbehandlungen bei der<br />

Bearbeitung der 1990 gestellten Kaufanträge zu beseitigen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die beklagten Eheleute erhielten 1984 durch die Stadt Dresden<br />

(Klägerin) das Nutzungsrecht an einem volkseigenen Grundstück<br />

verliehen und bebauten es mit einem Eigenhe<strong>im</strong>. Noch vor den<br />

ersten freien Wahlen ließ die DDR mit dem Gesetz über den Verkauf<br />

volkseigener Gebäude vom 7.3.1990 („Modrow-Gesetz“) den<br />

Verkauf von Grundstücken zu den damals geltenden sehr niedrigen<br />

Stopp-Preisen zu. Die Beklagten stellten daraufhin - wie tausende<br />

andere Bürger auch - bei dem Rat der Stadt Dresden einen<br />

Kaufantrag, der aber zunächst nicht beschieden wurde.<br />

Mit der Wiedervereinigung am 3.10.1990 wurde das „Modrow-<br />

Gesetz“ außer Kraft gesetzt. Trotzdem bot die Stadt Dresden (nach<br />

rechtskräftiger Abweisung von Rückübertragungsanträgen Dritter)<br />

den Beklagten <strong>im</strong> August 1996 einen Kaufvertrag zu dem Stopp-<br />

Preis von 4.250 DM an. Der Kaufvertrag wurde <strong>im</strong> September 1996<br />

geschlossen und <strong>im</strong> Januar 1998 vollzogen. Seit April 1996 erlaubt<br />

ein Erlass des Sächsischen Innenministeriums den Abschluss solcher<br />

Verträge nur noch bei geordneter Haushaltsführung.<br />

In der Folgezeit überprüfte das Regierungspräsidium in Dresden<br />

diesen und 145 andere Kaufverträge, die die Stadt Dresden<br />

mit Bürgern geschlossen hatte, die einen Kaufantrag nach dem<br />

„Modrow-Gesetz“ gestellt hatten. Im Jahre 2001 beanstandete<br />

das Regierungspräsidium diese Verträge wegen der extrem<br />

niedrigen Preise. Es hält diese Verträge für sittenwidrig und forderte<br />

die Stadt Dresden auf, die Rückabwicklung der Verträge zu<br />

betreiben. Die hierauf gerichtete Musterklage der Stadt Dresden<br />

gegen die Beklagten hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Stadt Dresden hat gegen die Beklagten keinen Anspruch<br />

auf Rückabwicklung des 1996 geschlossenen Kaufvertrags. Der<br />

Vertrag ist wirksam. Er ist nicht an den engeren Maßstäben der<br />

Vorschriften über die Veräußerung kommunalen Vermögens zu<br />

messen. Die Stadt Dresden hat das Grundstück an die Beklagten<br />

auf Grund einer besonderen Verfügungsbefugnis verkauft. In<br />

Ausnutzung dieser Befugnis unterlag sie lediglich dem allgemeinen<br />

Grundsatz, dass der Staat nichts verschenken darf.<br />

Dieser Grundsatz wurde nicht verletzt. Der niedrige Preis ist insbesondere<br />

nicht sittenwidrig. Sittenwidrig ist ein Verkauf erst<br />

dann, wenn der Preisnachlass unter keinem Gesichtspunkt als<br />

durch die Verfolgung legit<strong>im</strong>er öffentlicher Aufgaben gerechtfertigt<br />

angesehen werden kann.<br />

So liegt es hier nicht. Der Verkauf an die Beklagten diente der<br />

Beseitigung der Ungleichbehandlung, die die Beklagten - wie<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 10


viele andere Bürger in den neuen Ländern auch - bei der Behandlung<br />

ihrer Kaufanträge nach dem „Modrow-Gesetz“ erfahren<br />

haben. Diese Anträge wurden nicht nach der Reihenfolge ihres<br />

Eingangs oder nach anderen sachlichen, sondern nach nicht<br />

nachvollziehbaren Kriterien abgearbeitet. Durch den nachträglichen<br />

Verkauf zu den niedrigen Stopp-Preisen wollte die Stadt<br />

Dresden die Gleichbehandlung so weit wie möglich wiederherstellen.<br />

<strong>Das</strong> ist eine legit<strong>im</strong>e öffentliche Aufgabe.<br />

Grundstückseigentümer haften bei Umsturz<br />

eines Grenzbaums grundsätzlich hälftig für<br />

den entstandenen Schaden<br />

BGH 2.7.2004, V ZR 33/04<br />

Grundstückseigentümer sind auch die Eigentümer eines auf<br />

einer Grundstücksgrenze stehenden Baumes. Sie sind daher<br />

verpflichtet, die Standfestigkeit und Gesundheit des Baumes<br />

überprüfen zu lassen. Stürzt ein kranker Baum auf das Haus<br />

eines Nachbarn, haften die Grundstückseigentümer regelmäßig<br />

zu gleichen Teilen für den entstandenen Schaden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Parteien sind (Mit-)Eigentümer benachbarter Grundstücke.<br />

Auf der Grundstücksgrenze stand eine alte Steineiche, die seit<br />

mehreren Jahren eine verringerte Belaubung sowie totes Holz<br />

in der Krone zeigte. Außerdem hatte sich rings um den Stamm<br />

ein Pilz gebildet. Im Jahr 1996 ließ der Ehemann der Beklagten<br />

in dem Teil der Baumkrone, der sich über ihrem Grundstück<br />

befand, das tote Holz fachmännisch entfernen. Weitere Baumpflegemaßnahmen<br />

erfolgten weder auf der Grundstücksseite der<br />

Klägerin noch auf der Seite der Beklagten.<br />

Im Dezember 2001 stürzte die Eiche ohne Sturmeinwirkung um<br />

und beschädigte das Wohnhaus der Klägerin erheblich. Diese<br />

verlangt von der Beklagten Schadensersatz. Sie vertrat die Auffassung,<br />

dass die Beklagte zumindest anteilig für den Baum verkehrssicherungspflichtig<br />

gewesen sei. LG und OLG wiesen die<br />

Schadensersatzklage ab. Die hiergegen gerichtete Revision der<br />

Klägerin hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />

von Schadensersatz. Jeder Grundstückseigentümer ist Eigentümer<br />

des Teils des Baumes, der sich auf seinem Grundstück befindet<br />

(vertikal geteiltes Eigentum). Als Eigentümer eines Teils des<br />

Baumes waren die Beklagte und ihr Ehemann für diesen Teil in<br />

demselben Umfang verkehrssicherungspflichtig wie für einen<br />

vollständig auf ihrem Grundstück stehenden Baum.<br />

Die Beklagte und ihr Ehemann hätten den Grenzbaum daher<br />

in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall überwachen<br />

und bei Anzeichen für eine besondere Gefahr wie beispielsweise<br />

trockenes Laub, dürre Äste und Pilzbefall untersuchen lassen<br />

müssen. Dabei wäre die mangelnde Standfestigkeit des Baumes<br />

erkannt worden und es hätten rechtzeitig geeignete Maßnahmen<br />

gegen ein plötzliches Umstürzen ergriffen werden können. Da<br />

die Beklagte und ihr Ehemann dies unterlassen haben, sind sie<br />

für die Beschädigung des Nachbargrundstücks verantwortlich.<br />

Die Klägerin trifft allerdings eine Mitverantwortung an dem eingetretenen<br />

Schaden. Auch sie hat dem erkennbaren Krankheits-<br />

zeichen des Baumes keine Beachtung geschenkt. Im Streitfall ist<br />

der beiderseitige Verschuldensanteil der Parteien gleich hoch zu<br />

bewerten, so dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf<br />

Ersatz der Hälfte des ihr entstandenen Schadens hat.<br />

Bau- und<br />

Nachbarschaftsrecht<br />

Zum Ausgleichanspruch von Nachbarn für<br />

Schäden durch umgestürzte Bäume<br />

BGH 17.9.2004, V ZR 230/03<br />

Grundstückseigentümer sind ihren Nachbarn zur Zahlung von<br />

Schadensersatz verpflichtet, wenn ein umgestürzter Baum<br />

Schaden auf dem Grundstück des Nachbarn angerichtet hat.<br />

Dies kann selbst dann gelten, wenn der Grundstückseigentümer<br />

auf Grund naturschutzrechtlicher Belange am Fällen des Baums<br />

gehindert war. Voraussetzung für die Haftung ist in diesem Fall,<br />

dass der Grundstückseigentümer einem geschützten Baum durch<br />

die Rodung anderer Bäume den Windschutz genommen hat.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück der Beklagten<br />

befinden sich naturschutzrechtlich geschützte Bäume, deren<br />

Beseitigung grundsätzlich verboten ist. Im Zuge einer Baugenehmigung<br />

war der Beklagten das Roden eines Teiles des Baumbestandes<br />

gestattet worden. Zwei von den übrig gebliebenen<br />

Bäumen stürzten bei einem Gewittersturm auf das Grundstück<br />

des Klägers und beschädigten dort eine Garage.<br />

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz.<br />

Sie habe durch die Rodung eines Teils des Baumbestands<br />

das Umstürzen der verbliebenen Bäume und damit den<br />

Schaden verursacht. Die Beklagte berief sich demgegenüber<br />

darauf, dass sie durch naturschutzrechtliche Belange am Fällen<br />

der zwei verbliebenen Bäume gehindert gewesen sei. Die Klage<br />

auf Zahlung von Schadensersatz hatte in den Vorinstanzen<br />

Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil<br />

des OLG auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und<br />

Entscheidung an das OLG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte grundsätzlich einen Anspruch<br />

auf Zahlung von Schadensersatz. Der Anspruch ergibt sich aus<br />

§ 906 Abs.2 S.2 BGB. Hiernach hat ein Grundstückseigentümer<br />

gegen den Störer einen Anspruch auf Entschädigung, wenn<br />

sein Grundstück durch unzumutbare Immissionen beeinträchtigt<br />

wird.<br />

Im Streitfall war die Beklagte Störerin <strong>im</strong> Sinn von § 906 Abs.2<br />

S.2 BGB. Dies gilt, obwohl der Gewittersturm die letzte Ursache<br />

des schädigenden Ereignisses war. Die mittelbare, aber adäquat<br />

kausale Ursache für das Umstürzen der Bäume hat die Beklagte<br />

zu verantworten. Sie hat den Baumbestand in der Nähe des<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 11


Hauses des Klägers in einem Maß gerodet, dass kein ausreichender<br />

Windschutz mehr für die noch verbliebenen Bäume bestand.<br />

Ihre Standsicherheit war somit nicht mehr gegeben. Die Klägerin<br />

kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihr das Fällen der<br />

beiden verbliebenen Bäume naturschutzrechtlich verboten war.<br />

Die Störereigenschaft bleibt so lange bestehen, wie der Eigentümer<br />

mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung für die Beseitigung<br />

der Störquelle beantragen kann. Da die Klägerin keinen<br />

Antrag auf Beseitigung der Bäume gestellt hat, ist sie nach wie<br />

vor Störerin.<br />

Die Sache war jedoch wegen einer mangelnden Beweiswürdigung<br />

an das OLG zurückzuverweisen. <strong>Das</strong> Gericht ist nicht hinreichend<br />

auf den Vortrag der Beklagten eingegangen, dass der<br />

Schadensfall auch dann eingetreten wäre, wenn der komplette<br />

Baumbestand noch vorhanden gewesen wäre.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />

Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Zur Beachtung der Grenzwerte für Luftschadstoffe<br />

<strong>im</strong> Rahmen von Straßenbauvorhaben<br />

BVerwG 26.5.2004, 9 A 5.03 u.a.<br />

Nach den Vorschriften über die Begrenzung von Luftschadstoffen<br />

dürfen zukünftig best<strong>im</strong>mte Grenzwerte für Luftschadstoffe nicht<br />

überschritten werden. Die Einhaltung der Grenzwerte ist nicht<br />

vorhabenbezogen durch die Planfeststellungsbehörden, sondern<br />

gebietsbezogen durch die Luftreinhaltebehörden sicherzustellen.<br />

Daher muss die Planfeststellungsbehörde bei ihrer Entscheidung<br />

über ein Straßenbauvorhaben die Wahrung der erst künftig<br />

geltenden Grenzwerte <strong>im</strong> Vorgriff auf eine noch ausstehende<br />

Luftreinhalteplanung nicht gewährleisten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

<strong>Das</strong> BVerwG musste über mehrere Klagen gegen den Ausbau<br />

der B 170 in Dresden zu einem vierspurigen Autobahnzubringer<br />

entscheiden. Die Kläger rügten die Nichteinhaltung der europarechtlichen<br />

und mittlerweile auch in deutsches Recht umgesetzten<br />

Vorschriften über die Begrenzung von Luftschadstoffen<br />

durch die Planfeststellungsbehörde. Die Klagen hatten keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Es ist nicht Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, bei jedem<br />

einzelnen Vorhaben die Einhaltung der Luftschadstoff-Grenzwerte<br />

sicherzustellen. Diese Aufgabe weist das Gesetz vielmehr<br />

gebietsbezogen den Luftreinhaltebehörden zu. Nur diese können<br />

<strong>im</strong> Rahmen von Luftreinhalteplänen vielfältige Maßnahmen zur<br />

Schadstoffminderung in einem Gebiet treffen. Daher muss die<br />

Planfeststellungsbehörde bei ihrer Entscheidung über ein Straßenbauvorhaben<br />

die Wahrung der erst künftig geltenden Grenzwerte<br />

<strong>im</strong> Vorgriff auf eine noch ausstehende Luftreinhalteplanung<br />

nicht gewährleisten.<br />

Die Planfeststellungsbehörde muss allerdings bei ihrer Entscheidung<br />

öffentliche Belange beachten. Hierzu gehört auch das Luftreinhalte-Interesse.<br />

Sie handelt daher pflichtwidrig, wenn sie ein<br />

Vorhaben zulässt, obgleich absehbar ist, dass dieses die Möglichkeit<br />

ausschließt, die Einhaltung der Grenzwerte mit den Mitteln<br />

der Luftreinhalteplanung zu sichern.<br />

Im Streitfall ist ein derartiger Abwägungsfehler nicht ersichtlich.<br />

Die Planungsbehörde hat der Bedeutung der Grenzwerte hinreichend<br />

Rechnung getragen, indem sie dem Bauträger aufgegeben<br />

hat, einen die Wahrung der Grenzwerte gewährleistenden Maßnahmenkatalog<br />

vorzulegen.<br />

In einem Mischgebiet müssen die Anwohner<br />

ein Jugendhe<strong>im</strong> in ihrer Nachbarschaft<br />

dulden<br />

VG Koblenz 27.4.2004, 1 K 98/04.KO<br />

Bei einem Jugendhe<strong>im</strong> handelt es sich um eine <strong>im</strong> Mischgebiet<br />

grundsätzlich zulässige Anlage für soziale Zwecke. Die<br />

Errichtung eines Jugendhe<strong>im</strong>s <strong>im</strong> Mischgebiet muss daher<br />

von den Nachbarn grundsätzlich hingenommen werden. <strong>Das</strong><br />

gilt jedenfalls dann, wenn durch Lärmschutz-Auflagen dem<br />

Ruhebedürfnis der Nachbarschaft Rechnung getragen wird.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die beklagte Stadt will in einem Mischgebiet ein Jugendhe<strong>im</strong><br />

errichten. Die beantragte Baugenehmigung wurde von der Kreisverwaltung<br />

unter den Auflagen erteilt, dass Live-Musik nicht<br />

erlaubt ist und das Jugendhe<strong>im</strong> spätestens um 22 Uhr geschlossen<br />

werden muss. Die Kläger wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

zu dem geplanten Jugendhe<strong>im</strong>. Sie machten mit ihrer<br />

gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage geltend, dass das<br />

Vorhaben ihnen gegenüber rücksichtslos sei. Die Klage hatte<br />

keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> Bauvorhaben darf verwirklicht werden. Bei der Errichtung<br />

eines städtischen Jugendhe<strong>im</strong>es handelt es sich um eine <strong>im</strong><br />

Mischgebiet grundsätzlich zulässige Anlage für soziale Zwecke.<br />

<strong>Das</strong> Vorhaben entspricht auch dem Gebot der Rücksichtnahme.<br />

Die zu erwartenden Lärm<strong>im</strong>missionen stehen dem nicht entgegen.<br />

Solange die Auflagen der Kreisverwaltung eingehalten werden,<br />

ist eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger nicht zu<br />

befürchten. Dabei ist auch zu beachten, dass einem Jugendhaus<br />

eine wichtige soziale Funktion zukommt. Die Stadt kann deshalb<br />

von den Nachbarn ein besonderes Maß an Rücksichtnahme<br />

verlangen.<br />

Zur Wirksamkeit von in Straßenbau-Verträgen<br />

häufig verwendeten Klauseln<br />

BGH 29.4.2004, VII ZR 107/03<br />

In Bauverträgen <strong>im</strong> Straßenbau wird in den Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen häufig eine Klausel verwendet, wonach<br />

der Auftraggeber bei Nichteinhaltung best<strong>im</strong>mter Grenzwerte<br />

Abzüge vornehmen kann. Die Gewährleistungsverpflichtu<br />

ng des Auftragnehmers soll davon unberührt bleiben. Eine<br />

solche Klausel ist wegen unangemessener Benachteiligung des<br />

Werkunternehmers unwirksam.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 12


Der Sachverhalt:<br />

Der BGH musste <strong>im</strong> Rahmen eines Rechtsstreits über Werklohn<br />

für die Herstellung einer Fahrbahn über die Wirksamkeit einer<br />

Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftaggebers<br />

(Bundesrepublik Deutschland) entscheiden. Es handelte<br />

sich um folgende Klausel der „Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen<br />

und Richtlinien für den Bau<br />

von Fahrbahndecken aus Asphalt (ZTV-Asphalt-StB 94)“:<br />

„1.7.4<br />

...Der Auftraggeber kann bei Nichteinhaltung der Grenzwerte für<br />

... Abzüge gemäß Anhang 1 vornehmen. Die Gewährleistungsverpflichtungen<br />

des Auftragnehmers bleiben dabei unberührt.<br />

Für Mängel aus sonstigen Gründen werden in dieser Vorschrift<br />

keine Angaben für Abzüge gemacht. Der Auftragnehmer hat<br />

jedoch Anspruch auf Rückzahlung des auf Grund eines Mangels<br />

abgezogenen Betrages, wenn er diesen Mangel auf Grund seiner<br />

Gewährleistungsverpflichtung beseitigt.“<br />

Der BGH entschied, dass diese Klausel unwirksam ist.<br />

Die Gründe:<br />

Die streitige Klausel ist unwirksam. Sie ist Bestandteil der Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen der Auftraggeberin und hält der<br />

Inhaltskontrolle des § 9 AGBG a.F. (jetzt: § 307 Abs.1 S.1 BGB)<br />

nicht stand, da der Werkunternehmer durch die Vereinbarung<br />

eines von den Gewährleistungsverpflichtungen unabhängigen<br />

Abzugs vom Werklohn unangemessen benachteiligt wird.<br />

KFZ-Recht und Verkehr<br />

Verkäufer eines defekten Autos müssen bei<br />

Selbstreparatur durch den Käufer nur bei<br />

Fristsetzung zur Nacherfüllung die Kosten<br />

tragen<br />

BGH 23.2.2005, VIII ZR 100/04<br />

Autokäufer, die einen Mangel an dem gekauften Fahrzeug<br />

selbst beseitigen, ohne dem Verkäufer eine Frist zur<br />

Nacherfüllung gesetzt zu haben, können vom Verkäufer nicht<br />

die Kosten für die Mängelbeseitigung ersetzt verlangen.<br />

Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung der Mängelrechte<br />

des Käufers durch das Schuldrechtsmodernisierungsgese<br />

tz bewusst von einem Selbstvornahmerecht auf Kosten des<br />

Verkäufers abgesehen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger hatte vom Beklagten, einem Kfz-Händler, einen<br />

EG-Neuwagen zum Preis von 6.700 Euro erworben. Nachdem<br />

das Fahrzeug einen Motorschaden erlitten hatte, ließ der Kläger<br />

den Motor bei einer Vertragshändlerin austauschen. Wegen der<br />

Erstattung der Reparaturkosten wandte sich der Kläger vergeblich<br />

an die deutsche Repräsentantin des Herstellers. Dann forderte<br />

er den Beklagten auf, ihm die Summe zu erstatten. Dies lehnte<br />

der Beklagte ab. Die Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrags<br />

blieb ohne Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />

der Rechnung für den Motoraustausch. Die kaufrechtlichen<br />

Gewährleistungsansprüche nach §§ 437 ff BGB, insbesondere<br />

der Minderungs- und Schadensersatzanspruch des Käufers, setzen<br />

voraus, dass der Käufer dem Verkäufer gemäß § 439 BGB<br />

erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.<br />

Diese Vorgabe hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat den Wagen,<br />

ohne dem Beklagten eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt zu<br />

haben, reparieren lassen.<br />

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung ersparter<br />

Nacherfüllungskosten des Beklagten gemäß § 326 Abs.2 S.2<br />

BGB (analog) in Verbindung mit §§ 326 Abs.4, 346 ff. BGB.<br />

Zwar wird in Teilen des Schrifttums die Auffassung vertreten,<br />

dass einem Käufer ein solcher Erstattungsanspruch auch ohne<br />

Ablauf der Nacherfüllungspflicht zusteht. Dieser Auffassung<br />

ist aber nicht zu folgen. Die §§ 437 ff. BGB enthalten insoweit<br />

abschließende Regelungen. Diese schließen eine Erstattung von<br />

Mängelbeseitigungskosten in Anwendung des § 326 Abs.2 S.2<br />

BGB aus. <strong>Das</strong> Gesetz räumt dem Käufer keinen Aufwendungsersatzanspruch<br />

<strong>im</strong> Fall der Selbstbeseitigung von Mängeln ein.<br />

Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung der Mängelrechte des<br />

Käufers durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz bewusst<br />

von einem Selbstvornahmerecht auf Kosten des Verkäufers<br />

abgesehen. Damit wollte er dem Verkäufer die Möglichkeit der<br />

Untersuchung und Beweissicherung belassen. Nach einer vom<br />

Käufer bereits durchgeführten Reparatur verschlechtern sich die<br />

Verteidigungschancen des Verkäufers erheblich.<br />

Bei teilweiser oder nicht fachgerechter<br />

Reparatur an „wertlosen“ Fahrzeugen kann<br />

grundsätzlich nur der Wiederbeschaffungsaufwand<br />

ersetzt werden<br />

BGH 15.2.2005, VI ZR 70/04 u. 172/04<br />

Geschädigte aus einem Verkehrsunfall können die Zahlung<br />

von Reparaturkosten verlangen, die bis zu 30 Prozent über<br />

dem Wiederbeschaffungswert liegen, wenn sie ein besonderes<br />

Interesse an der Reparatur des Fahrzeugs haben. Ein solches<br />

Interesse ist zu bejahen, wenn der Geschädigte die Reparatur<br />

fachgerecht und in einem Unfang durchgeführt hat, wie ihn der<br />

Sachverständige seiner Kostenschätzung zu Grunde gelegt hat.<br />

Repariert der Geschädigte nur teilweise oder nicht fachgerecht,<br />

ist grundsätzlich nur der Wiederbeschaffungsaufwand zu<br />

ersetzen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger verlangten von den beklagten Versicherungen die<br />

Zahlung von Schadensersatz für ihre bei einem Verkehrsunfall<br />

beschädigten Fahrzeuge. Nach der Einschätzung des Gutachters<br />

liegen die Kosten für eine fachgerechte und vollständige Reparatur<br />

jeweils über dem Wiederbeschaffungswert, ohne aber die<br />

Grenze von 130 Prozent des Wiederbeschaffungswerts zu übersteigen.<br />

Die Kläger hatten ihre Fahrzeuge mit einer Teilreparatur in einen<br />

fahrbereiten und verkehrstüchtigen Zustand versetzt. Sie wollten<br />

den Schaden auf der Basis der jeweiligen Sachverständigengut-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 13


achten abrechnen und verlangten Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert<br />

überstiegen. Im Verfahren VI ZR 70/04 hat<br />

das Berufungsgericht Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswerts<br />

zugebilligt. Im Verfahren VI ZR 172/04 hat das<br />

Berufungsgericht hingegen lediglich einen Anspruch auf Ersatz<br />

des Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert<br />

abzüglich des Restwerts) zugesprochen. Die hiergegen gerichteten<br />

Revisionen hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung von Reparaturkosten,<br />

die den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Der Wiederbeschaffungswert<br />

bildet grundsätzlich die Obergrenze für den<br />

Schadensersatz. Der Geschädigte kann allerdings dann die Zahlung<br />

von Reparaturkosten verlangen, die bis zu 30 Prozent über<br />

dem Wiederbeschaffungswert liegen, wenn er ein besonderes<br />

Interesse an der Reparatur des Fahrzeugs hat. Ein solches Interesse<br />

ist zu bejahen, wenn der Geschädigte die Reparatur fachgerecht<br />

und in einem Umfang durchgeführt hat, wie ihn der Sachverständige<br />

seiner Kostenschätzung zu Grunde gelegt hat.<br />

Repariert der Geschädigte bei einem den Wiederbeschaffungswert<br />

des Fahrzeugs übersteigenden Schaden nur teilweise oder<br />

nicht fachgerecht, sind Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand<br />

(Wiederbeschaffungswert abzüglich des<br />

Restwerts) des Fahrzeugs liegen, nur dann zu erstatten, wenn<br />

diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der<br />

Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert<br />

hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Ansonsten<br />

ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand<br />

beschränkt.<br />

Zur wirksamen Kündigung eines Kfz-Leasingvertrags<br />

BGH 26.1.2005, VIII ZR 90/04<br />

Leasinggeber können einen Leasingvertrag fristlos kündigen,<br />

wenn der Leasingnehmer mit der Zahlung von zwei<br />

aufeinanderfolgenden Leasingraten in Verzug ist. Die Kündigung<br />

kann der Leasingnehmer nur durch die rechtzeitige und vollständige<br />

Zahlung des rückständigen Betrags abwenden. Voraussetzung für<br />

die Kündigung des Leasinggebers ist zudem, dass er die Kündigung<br />

androht. Die Kündigungsandrohung ist jedoch nur wirksam,<br />

wenn der rückständige Betrag richtig angegeben wird. Fordert<br />

der Leasinggeber einen überhöhten Betrag, ist die Kündigung<br />

unwirksam.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beklagte hatte mit der Klägerin, einer Leasinggesellschaft,<br />

1998 einen Kfz-Leasingvertrag über eine Laufzeit von 42 Monaten<br />

geschlossen. Die monatliche Bruttoleasingrate betrug 791,93<br />

DM (404, 91 Euro). Nachdem der Beklagte mit den Leasingraten<br />

für Januar bis März 2000 in Rückstand geraten war, drohte ihm<br />

die Klägerin mit Schreiben vom 24.3.2000 die fristlose Kündigung<br />

des Leasingvertrags an. In diesem Schreiben forderte sie<br />

zudem die Zahlung von sieben verschiedenen Posten, darunter<br />

beispielsweise Mahngebühren.<br />

Der Beklagte zahlte am 28.3.2000 die März-Rate; weitere<br />

Zahlungen leistete er nicht. Die Klägerin sprach daraufhin am<br />

14.4.2000 die fristlose Kündigung des Leasingvertrags aus. Im<br />

August 2000 ließ sie das Leasingfahrzeug während eines Werkstattaufenthalts<br />

sicherstellen und verwertete es anschließend.<br />

Mit der Klage n<strong>im</strong>mt sie den Beklagten auf Zahlung der rückständigen<br />

Leasingraten für die Monate Januar und Februar 2000<br />

sowie auf Ersatz des Kündigungsschadens in Anspruch, den sie<br />

zuletzt mit 6.274,77 Euro beziffert hat.<br />

<strong>Das</strong> LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Leasingraten<br />

für die Monate Januar und Februar 2000 und wies die weitergehende<br />

Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin gab das OLG der<br />

Klage in vollem Umfang statt. Im Revisionsverfahren hob der<br />

BGH die Vorentscheidung auf und wies die Sache zur erneuten<br />

Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten nicht ohne weiteres einen<br />

Anspruch auf Zahlung der Leasingraten und Ersatz des Kündigungsschadens.<br />

Nach § 12 Abs.1 S.1 Nr.1 VerbrKrG (jetzt: § 498 Abs.1 S.1 Nr.1<br />

BGB) setzt die Kündigung wegen Zahlungsverzugs voraus, dass<br />

der Leasingnehmer mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden<br />

Leasingraten ganz oder teilweise in Verzug ist und sich der<br />

Rückstand - bei einer Vertragslaufzeit von mehr als drei Jahren<br />

- auf mindestens fünf Prozent der Summe der Bruttoleasingraten<br />

beläuft. Im Streitfall war diese Rückstandsquote bei Androhung<br />

der Kündigung zwar erreicht, vor Ausspruch der fristlosen Kündigung<br />

hatte der Beklagte den Rückstand jedoch durch Zahlung<br />

der März-Rate unter die Fünfprozentquote zurückgeführt. <strong>Das</strong><br />

reicht aber nach der herrschenden Meinung nicht aus, um das<br />

Kündigungsrecht des Leasinggebers zu beseitigen. Dies kann<br />

der Leasingnehmer nur durch die rechtzeitige und vollständige<br />

Zahlung des rückständigen Betrags erreichen.<br />

Die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs hängt<br />

aber nach § 12 Abs.1 S.1 Nr.2 VerbrKrG (jetzt: § 498 Abs.1 S.1<br />

Nr.2 BGB) davon ab, dass der Leasinggeber dem Leasingnehmer<br />

unter Androhung der Kündigung erfolglos eine zweiwöchige Frist<br />

zur Zahlung des rückständigen Betrags gesetzt hat. <strong>Das</strong> war hier<br />

zwar mit der Kündigungsandrohung vom 24.3.2000 geschehen. Die<br />

Kündigungsandrohung ist jedoch nur dann wirksam, wenn der rückständige<br />

Betrag vom Leasinggeber richtig angegeben wird. Fordert<br />

der Leasinggeber einen auch nur geringfügig überhöhten Betrag, so<br />

hat dies regelmäßig die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.<br />

Ob die Kündigungsandrohung der Klägerin vom 24.3.2000 diesen<br />

Anforderungen genügt, kann <strong>im</strong> Revisionsverfahren nicht<br />

geklärt werden. Denn in dem Schreiben hat die Klägerin neben<br />

den drei rückständigen Leasingraten weitere sieben Positionen<br />

in Höhe von jeweils 20 DM als „Mahngebühren“ ,“RLS-<br />

Gebühr“ und „Mahnspesen“ aufgeführt, deren Berechtigung<br />

sich weder aus dem Berufungsurteil noch aus den zu den Akten<br />

gelangten Vertragsunterlagen ergab. <strong>Das</strong> OLG muss nun klären,<br />

ob die Klägerin die genannten Beträge als Verzugsschaden vom<br />

Beklagten verlangen kann.<br />

Fahrzeuge einer vorherigen Modellreihe mit<br />

kleinerem Tank sind keine Neuwagen mehr<br />

OLG Köln 18.1.2005, 22 U 180/04<br />

Verkauft ein Kfz-Händler einen Pkw als fabrikneu, weisen<br />

aber Fahrzeuge der aktuellen Modellreihe zum Zeitpunkt des<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 14


Verkaufs einen um rund 50 Prozent größeren Tank auf, ist der<br />

verkaufte Pkw kein Neuwagen mehr. Verweigert der Händler die<br />

Lieferung eines Fahrzeugs mit größerem Tank, kann der Käufer<br />

vom Kaufvertrag zurücktreten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger hatte <strong>im</strong> Juni 2002 bei dem beklagten Automobilhändler<br />

einen „Smart“ als Neuwagen erworben. <strong>Das</strong> Fahrzeug<br />

stammt aus einer bis Mitte Februar 2002 produzierten Modellreihe<br />

und weist einen 22 Liter fassenden Tank auf. Die seit Mitte<br />

Februar 2002 hergestellten Fahrzeuge verfügen dagegen über<br />

einen 33 Liter fassenden Tank. Der Kläger begehrte die Rückabwicklung<br />

des Kaufvertrags, weil es sich bei dem von ihm gekauften<br />

„Smart“ nicht um einen Neuwagen handele. Die hierauf<br />

gerichtete Klage hatte vor dem OLG zum größten Teil Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger kann vom Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrags<br />

verlangen, weil das Fahrzeug nicht die vereinbarte Beschaffenheit<br />

eines Neufahrzeugs hat. Damit liegt ein Sachmangel vor.<br />

Verkauft ein Kfz-Händler einen Pkw als Neuwagen, so liegt darin<br />

die schlüssige Zusicherung, dass das Fahrzeug fabrikneu ist. Fabrikneu<br />

ist ein Pkw aber nur, solange das Modell unverändert weitergebaut<br />

wird. „Unverändert“ bedeutet dabei, dass es keinerlei<br />

Änderungen in der Technik und der Ausstattung aufweist.<br />

Der vom Kläger erworbene „Smart“ war wegen des um rund 50<br />

Prozent vergrößerten Tanks bei den Nachfolgemodellen aber nicht<br />

mehr unverändert.<br />

Da Fahrzeuge mit einem größeren Tank eine deutlich erhöhte<br />

Reichweite haben, handelt es sich um eine für den praktischen<br />

Gebrauch wesentliche Veränderung. Hierauf hätte der Beklagten<br />

den Kläger hinweisen müssen.<br />

Bei einer Rückabwicklung erhält der Kläger den Kaufpreis allerdings<br />

nicht in voller Höhe, sondern nur gemindert um eine Nutzungsentschädigung<br />

für den vorübergehenden Gebrauch des<br />

Pkw zurück. Diese Entschädigung ist mit 0,5 Prozent des Bruttokaufpreises<br />

je gefahrene 1.000 Kilometer zu veranschlagen.<br />

Haftungs- und<br />

Versicherungsrecht<br />

Ärzte müssen über schwerwiegende Nebenwirkungen<br />

von Medikamenten aufklären<br />

BGH 15.3.2005, VI ZR 289/03<br />

Kann die Einnahme eines Medikaments zu schwerwiegenden<br />

Nebenwirkungen führen (hier: Risiko eines Schlaganfalls bei<br />

Einnahme der Anti-Baby-Pille durch Raucherinnen), so dürfen<br />

sich Ärzte nicht auf die Warnhinweise <strong>im</strong> Beipackzettel des<br />

Medikaments verlassen. Sie müssen den Patienten vielmehr<br />

selbst über die mit der Einnahme des Medikaments verbundenen<br />

Risken aufklären. Nur dann können Patienten frei entscheiden,<br />

ob sie dieses Risiko eingehen wollen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die beklagte Gynäkologin verschrieb der damals 30 Jahre alten<br />

Klägerin die Anti-Baby-Pille. Obwohl die Beklagte wusste, dass<br />

die Klägerin rauchte, wies sie nicht auf das Risiko eines Herzinfarkts<br />

oder Schlaganfalls bei Einnahme der Pille durch Raucherinnen<br />

hin.<br />

Der Beipackzettel des Medikaments enthielt allerdings einen<br />

entsprechenden Warnhinweis. Danach bestand für Raucherinnen,<br />

die das Medikament einnahmen, ein erhöhtes Risiko, an<br />

Gefäßveränderungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall<br />

zu erkranken. <strong>Das</strong> Risiko stieg mit zunehmenden Alter und Zigarettenkonsum.<br />

Frauen ab 30 sollten deshalb nicht rauchen, wenn<br />

sie die Pille einnahmen.<br />

Wenige Monate nach Beginn der Einnahme der Pille erlitt die<br />

Klägerin einen Schlaganfall. Nach dem Beweisergebnis ist der<br />

Schlaganfall auf die Einnahme des Medikaments in Verbindung<br />

mit dem rauchen zurückzuführen. Die Klägerin verlangte von<br />

der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung<br />

ihrer ärztlichen Aufklärungspflicht. LG und OLG wiesen<br />

die hierauf gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin<br />

hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur<br />

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin ihre ärztliche Aufklärungspflicht<br />

verletzt. Sie hätte die Klägerin ausdrücklich auf das<br />

erhebliche Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfall bei Einnahme<br />

des Medikaments in Verbindung mit dem Rauchen hinweisen<br />

müssen.<br />

Zumindest bei schwerwiegenden Nebenwirkungen eines Medikaments<br />

dürfen sich Ärzte nicht darauf verlassen, dass ihre Patienten<br />

die Packungsbeilage aufmerksam lesen. In diesem Fall<br />

müssen sie vielmehr selbst auf die möglichen Nebenwirkungen<br />

hinweisen, damit der Patient frei entscheiden kann, ob er dieses<br />

Risiko eingehen oder eventuell seine Lebensgewohnheiten<br />

umstellen will.<br />

Im Streitfall war die Einnahme der Pille für Raucherinnen mit<br />

erheblichen gesundheitlichen Risken verbunden. Die Beklagte<br />

hätte die Klägerin daher ausdrücklich auf die Gefahr eines Herzinfarkts<br />

oder Schlaganfalls hinweisen müssen. Nur dann hätte<br />

die Klägerin ihr Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht wirksam ausüben und<br />

entscheiden können, ob sie das Risiko in Kauf n<strong>im</strong>mt oder entweder<br />

auf die Einnahme die Medikaments oder auf das Rauchen<br />

verzichtet.<br />

Steuerberater müssen nicht auf die Möglichkeit<br />

eines Kirchenaustritts hinweisen<br />

OLG Köln 24.2.2005, 8 U 61/04<br />

Steuerberater müssen ihre Mandanten nicht über die Möglichkeit<br />

eines Kirchenaustritts und die damit verbundene Steuerersparnis<br />

aufklären. Bei einem Kirchenaustritt handelt es sich um eine<br />

höchstpersönliche Gewissensentscheidung des Mandanten,<br />

auf die Dritte keinen Einfluss nehmen dürfen. Die Frage des<br />

Kirchenaustritts wird daher von der Beratungspflicht des<br />

Steuerberaters nicht erfasst.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte<br />

Eheleute. Der beklagte Steuerberater berät die Kläger sowohl <strong>im</strong><br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 15


Hinblick auf ihre private Steuererklärung als auch <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die steuerlichen Angelegenheiten der Firma des Klägers.<br />

Der Beklagte hatte eine Vergleichsberechnung zu den Folgen<br />

einer beabsichtigten Gewinnausschüttung der Firma aufgestellt,<br />

ohne darin die anfallende Kirchensteuer aufzuführen. Als die<br />

Gewinnausschüttung daraufhin realisiert wurde, stellten die Kläger<br />

fest, dass diese - unter anderem <strong>im</strong> Bereich der Kirchensteuer<br />

-eine Steuermehrbelastung <strong>im</strong> Rahmen ihrer privaten Steuerveranlagung<br />

zur Folge hatte.<br />

Die Kläger machten geltend, dass der Beklagte auch auf die mit<br />

der Gewinnausschüttung verbundene Kirchensteuer und auf die<br />

Möglichkeit eines Kirchenaustritts zur Vermeidung dieser steuerlichen<br />

Belastung hätten hinweisen müssen. Indem er dies unterlassen<br />

habe, habe er seine Beratungspflicht verletzt. Sie verlangten<br />

von ihm die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von rund<br />

40.200 Euro. Die hierauf gerichtete Klage hatte sowohl vor dem<br />

LG als auch vor dem OLG keinen Erfolg. <strong>Das</strong> OLG ließ allerdings<br />

die Revision zum BGH zu.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf<br />

Schadensersatz. Der Beklagte hat mit dem unterlassenen Hinweis<br />

auf die Möglichkeit eines Kirchenaustritts seine den Klägern<br />

gegenüber bestehende Pflicht zur umfassenden Beratung<br />

über vermeidbare Steuerbelastungen nicht verletzt. Bei einem<br />

Kirchenaustritt handelt es sich um eine höchstpersönliche Gewissensentscheidung.<br />

Hierauf dürfen Steuerberater keinen Einfluss<br />

nehmen. Es ist allein Sache des Mandanten, zu entscheiden, ob<br />

er Mitglied der Kirche bleiben will.<br />

Eine Pflichtverletzung des Beklagten kann zwar möglicherweise<br />

darin gesehen werden, dass er in der Vergleichsberechnung<br />

zu den steuerlichen Auswirkungen der Gewinnausschüttung die<br />

hiermit verbundene Kirchensteuerbelastung nicht ausgewiesen<br />

hat. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kläger<br />

haben aber nicht nachgewiesen, dass dieses Versäumnis für den<br />

Eintritt des Schadens ursächlich war.<br />

Den Klägern kommt in dieser Frage keine Beweiserleichterung<br />

zugute. Sie können sich insbesondere nicht auf die Grundsätze<br />

des Anscheinsbeweises berufen. Es gibt keinen allgemeinen<br />

Erfahrungswert, dass Steuerpflichtige sich in einem solchen Fall<br />

bei umfassender Aufklärung für einen Kirchenaustritt entscheiden.<br />

Der Hintergrund:<br />

Anders hat beispielsweise das OLG Düsseldorf (mit Urteil vom<br />

20.12.2002, Az.: 23 U 39/02) entschieden. <strong>Das</strong> OLG Düsseldorf<br />

hatte einem Alleingesellschafter einer GmbH Schadensersatz<br />

zugesprochen, weil er auf Anraten seines Steuerberaters eine<br />

Gewinnausschüttung vorgenommen hatte, ohne vorher über die<br />

Möglichkeit der Steuerersparnis durch einen Kirchenaustritt hingewiesen<br />

worden zu sein.<br />

<strong>Das</strong> OLG Düsseldorf war nicht der Auffassung, dass der höchstpersönliche<br />

Charakter der Entscheidung über den Kirchenaustritt<br />

einer entsprechenden Beratungspflicht entgegensteht. Der Steuerberater<br />

solle schließlich nicht auf diese Gewissensentscheidung<br />

des Mandanten Einfluss nehmen, sondern nur die steuerlichen<br />

Konsequenzen der verschiedenen Handlungsalternativen<br />

aufzeigen.<br />

Der Volltext des Urteils des OLG Düsseldorf ist erhältlich unter<br />

www.nrwe.de - Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.<br />

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Deutsche Post AG haftet nur in Höhe des<br />

angegebenen Werts für den Verlust von<br />

Auslandspaketen<br />

BGH 3.3.2005, I ZR 273/02<br />

Die Deutsche Post AG muss bei verloren gegangenen<br />

Wertpaketen für das Ausland - unabhängig davon, wo der<br />

Verlust des Paketes eingetreten ist - nur Schadensersatz in<br />

Höhe des vom Absender angegebenen Werts leisten. <strong>Das</strong> ergibt<br />

sich aus dem internationalen Postpaketübereinkommen, das<br />

für Auslandslieferungen die allgemeinen Haftungsregeln des<br />

Postgesetzes und der §§ 407 ff. HGB verdrängt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

A. gab bei der beklagten Deutschen Post AG ein Wertpaket auf,<br />

das an eine Adresse auf den Bermudas geliefert werden sollte.<br />

<strong>Das</strong> Paket enthielt Schmuck <strong>im</strong> Wert von 5.680 Euro. Bei der<br />

Paketaufgabe gab A. allerdings nur einen Wert von 399 Euro an,<br />

um Porto zu sparen.<br />

<strong>Das</strong> Paket wurde auf dem Transport entwendet. Wo dies geschehen<br />

ist, ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte erstattete<br />

dem A. den von ihm angegebenen Paketwert von 399 Euro.<br />

Darüber hinausgehend Schadensersatzzahlungen lehnte sie unter<br />

Berufung auf das internationale Postpaketübereinkommen ab.<br />

Dieses beschränke die Haftung für den Verlust von Auslandspaketen<br />

auf den von dem Absender angegebenen Wert.<br />

A. hatte die Sendung bei der Klägerin, einem Transportversicherungsunternehmen,<br />

versichert. Die Klägerin erstattete dem A.<br />

die Differenz zwischen dem von der Beklagten ersetzten Betrag<br />

und dem tatsächlichen Wert der Sendung. Aus abgetretenem und<br />

übergegangenem Recht verlangte sie von der Beklagten Schadensersatz<br />

in Höhe des an A. geleisteten Betrags. Die hierauf<br />

gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere<br />

Zahlungen. Die Beklagte hat ihrer Pflicht zur Zahlung von<br />

Schadensersatz für den Verlust des Pakets bereits durch den<br />

Ersatz des angegebenen Werts erfüllt. Zu weiteren Ersatzleistungen<br />

ist sie nach dem internationalen Postpaketübereinkommen<br />

(PPÜ) nicht verpflichtet.<br />

Dieser völkerrechtliche Vertrag wurde sowohl von den Bermudas<br />

als auch von Deutschland unterzeichnet. Nach Art. 26 Nr.3.1.<br />

PPÜ 1994 ist die Haftung für Auslandslieferungen auf die<br />

Wertangabe des Absenders beschränkt. Art. 26 Nr.3.1. PPÜ 1994<br />

verdrängt die für Inlandspakete und den Transport von Auslandspaketen<br />

durch andere Kurierdienste geltenden Regelungen des<br />

Postgesetzes in Verbindung mit den §§ 407 ff. HGB . <strong>Das</strong> ergibt<br />

sich aus § 3 Postgesetz, wonach dieses nur insoweit Anwendung<br />

findet, als völkerrechtliche Verträge nichts anderes best<strong>im</strong>men.<br />

Gegen die Anwendung von Art. 26 Nr.3.1. PPÜ 1994 bestehen<br />

auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Haftungsbegrenzung<br />

verstößt weder gegen das in Art. 3 Abs.1 GG geregelte<br />

Willkürverbot noch gegen den EG-Vertrag.<br />

Die Haftungsbeschränkung gilt zwar nur für Auslandspakete,<br />

die durch die Post oder andere nach Art. 3 Abs.2 WPVG in die<br />

Rechte und Pflichten einer Postverwaltung eingetretenen Unternehmen<br />

befördert werden. Die Ungleichbehandlung ist aber auf<br />

Grund des mit der Haftungsbeschränkung verfolgten Zwecks, für<br />

den Transport von Briefen eine Grundversorgung mit best<strong>im</strong>mter<br />

Qualität zu einem erschwinglichen Preis zu gewährleisten,<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 16


gerechtfertigt. Diesem Zweck trägt die Klägerin dadurch Rechnung,<br />

dass sie den Beförderungspreis für Auslandspakete von<br />

dem angegebenen Wert abhängig macht.<br />

Zur Reichweite einer Einwilligungserklärung<br />

in eine Operation<br />

LG München I 4.8.2004, 9 O 12563/02<br />

Die Einwilligung in eine Unterleibsoperation zur Entfernung<br />

eines Eierstocks reicht grundsätzlich nicht so weit, dass die<br />

betroffene Frau auch mit einer Entfernung ihrer Gebärmutter<br />

einverstanden ist. Führt der Arzt die so genannte Total-Operation<br />

dennoch durch, kann er zur Zahlung von Schmerzensgeld<br />

verpflichtet sein.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin litt an einer Zyste am rechten Eierstock. Sie hatte<br />

sich deswegen einer Operation unterzogen und zuvor ein Formblatt<br />

zur „Einwilligung zur Operation“ unterschrieben. Hierin<br />

erklärte sie sich mit einer Entfernung der Zyste und des rechten<br />

Eierstocks einverstanden. Außerdem willigte sie unter der Voraussetzung,<br />

dass ein bösartiger Tumor vorliegt, in die Entfernung<br />

des linken Eierstocks und der Gebärmutter ein.<br />

Der Beklagte operierte die Klägerin und entfernte beide Einerstöcke<br />

und die Gebärmutter. Da während der Operation nicht sicher<br />

festgestanden habe, dass nicht doch ein bösartiger Tumor vorlag,<br />

sei die komplette Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter<br />

notwendig gewesen. Die Klägerin vertrat demgegenüber<br />

die Auffassung, dass die „Total-Operation“ nicht nötig gewesen<br />

sei. Sie leide seit der Operation unter Beschwerden, wie Blasenentzündung,<br />

Kräftemangel und einem Bandscheibenvorfall. Sie<br />

verlangte daher vom Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld<br />

in Höhe von rund 41.000 Euro. Ihre hierauf gerichtete Klage<br />

hatte nur teilweise Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung<br />

von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro. Die Einwilligung<br />

der Klägerin in die Operation umfasste nicht die komplette<br />

Entfernung der Eierstöcke und der Gebärmutter. Zwar ist es<br />

noch hinnehmbar, dass der Beklagte aus Sorge um die Patientin<br />

den linken Eierstock entfernte, um ihn als mögliche Quelle des<br />

vermuteten bösartigen Tumors zu untersuchen. Die Entfernung<br />

der Gebärmutter ist jedoch nicht mehr von der Einwilligung der<br />

Klägerin gedeckt. Wäre in den Nachuntersuchungen ein bösartiger<br />

Tumor bei der Klägerin festgestellt worden, hätten später<br />

das so genannte große Netz und die Lymphknoten entfernt werden<br />

müssen. Hierbei hätte die Gebärmutter <strong>im</strong>mer noch entfernt<br />

werden können.<br />

Die Klägein kann jedoch nur die Zahlung von 10.000 Euro verlangen.<br />

Die von ihr geltend gemachten Beschwerden stehen<br />

nach der Überzeugung des Gerichts nicht mit der Operation in<br />

Zusammenhang.<br />

Familien- und Erbrecht<br />

Untreue des „angeheirateten“ Ehegatten<br />

berechtigt Verwandte regelmäßig nicht zum<br />

Widerruf einer Schenkung<br />

OLG Düsseldorf 5.10.2004, I-24 U 83/04<br />

Verwandte können eine Schenkung an ein Ehepaar bei Untreue<br />

des „angeheirateten“ Ehepartners regelmäßig nicht wegen<br />

groben Undanks widerrufen. Derartige Eheverfehlungen stellen<br />

nur unter besonderen Umständen einen Widerrufsgrund <strong>im</strong> Sinn<br />

von § 530 Abs.1 BGB dar. Dies kann etwa bei einer evident<br />

einseitigen Abkehr eines Ehegatten aus einer bis dahin intakten<br />

Ehe der Fall sein. Eine bloße Untreue reicht hingegen nicht aus.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte war seit 1992 mit dem Sohn der Klägerin verheiratet.<br />

Sie wurde während der Ehe von einem anderen Mann<br />

schwanger. Der Kinderwunsch der Eheleute ging hingegen nicht<br />

in Erfüllung, was vermehrt zu Spannungen führte. Die Beklagte,<br />

die hiervon Kenntnis hatte, gewährte dem Ehepaar 1994 eine<br />

finanzielle Unterstützung für den Kauf eines Pkw und 1998 für<br />

die Renovierung des von dem Paar angemieteten Hauses. Ende<br />

2002 wurde die Ehe geschieden. Die Beklagte blieb in dem Haus<br />

wohnen und behielt das Auto.<br />

Die Beklagte widerrief gegenüber der Beklagten die Geldschenkungen<br />

für das Auto und das Haus wegen groben Undanks und<br />

verlangte die Rückzahlung des gesamten Betrages. Die hierauf<br />

gerichtete Klage hatte sowohl vor dem LG als auch vor dem<br />

OLG keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung<br />

des Geldbetrags, den sie der Klägerin und ihrem Sohn<br />

zu Ehezeiten geschenkt hat. Sie kann die Schenkung gegenüber<br />

der Klägerin insbesondere nicht gemäß § 530 Abs.1 BGB wegen<br />

groben Undanks widerrufen.<br />

Die eheliche Untreue stellt nur unter besonderen Bedingungen<br />

eine „schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen<br />

Angehörigen des Schenkers“ <strong>im</strong> Sinn von § 530 Abs.1 BGB<br />

dar. Derartige besondere Bedingungen können etwa bei einer<br />

evident einseitigen Abkehr eines Ehegatten aus einer bis dahin<br />

intakten Ehe vorliegen. Die <strong>im</strong> Streitfall gegebene bloße Untreue<br />

der Beklagten reicht hierfür hingegen nicht aus. Ein erschwerender<br />

Umstand ist auch nicht darin zu sehen, dass die Untreue <strong>im</strong><br />

Streitfall eine Schwangerschaft zur Folge hatte.<br />

Ein Anspruch auf Rückzahlung des geschenkten Betrags ergibt<br />

sich auch nicht aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dabei<br />

kann dahinstehen, ob der Bestand der Ehe zwischen der Klägerin<br />

und dem Sohn der Beklagten wesentliche Geschäftsgrundlage für<br />

die Schenkung war. Ein Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte<br />

ist jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Schenkung nicht<br />

ehe-, sondern familienbezogen erfolgte. Der geschenkte Betrag<br />

sollte der gesamten Familien zugute kommen. Diesen Zweck hat<br />

die Schenkung auch erreicht, weil die gesamte Familie Auto und<br />

Haus mehrere Jahre lang genutzt hat.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 17


Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />

Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Unterhaltschuldner können zur Einleitung<br />

eines Verbraucher-Insolvenzverfahrens verpflichtet<br />

sein<br />

BGH 23.2.2005, XII ZR 114/03<br />

Ein Unterhaltschuldner ist zur Einleitung eines Verbraucherinso<br />

lvenzverfahrens verpflichtet, wenn dieses Verfahren geeignet ist,<br />

den laufenden Unterhaltsansprüchen seiner Kinder Vorrang vor<br />

sonstigen Verbindlichkeiten zu verschaffen. Etwas anderes gilt,<br />

wenn der Unterhaltsschuldner Umstände vorträgt und beweist,<br />

die die Einleitung des Insolvenzverfahrens <strong>im</strong> Einzelfall als<br />

unzumutbar erscheinen lassen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Parteien streiten um Unterhaltsansprüche. Der Unterhaltsschuldner<br />

vertrat die Auffassung, dass er nicht verpflichtet sei,<br />

den laufenden Unterhaltsansprüchen seiner minderjährigen Kinder<br />

durch Einleitung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens Vorrang<br />

vor sonstigen Verbindlichkeiten zu verschaffen. Der BGH<br />

entschied, dass den Schuldner eine Obliegenheit zur Einleitung<br />

eines Verbraucherinsolvenzverfahrens treffen kann.<br />

Die Gründe:<br />

Der Unterhaltschuldner muss ein Verbraucherinsolvenzverfahren<br />

einleiten, wenn dieses Verfahren geeignet ist, den laufenden<br />

Unterhaltsansprüchen seiner Kinder Vorrang vor sonstigen Verbindlichkeiten<br />

zu verschaffen. Denn seit der Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens<br />

ist es für den Unterhaltsschuldner<br />

möglich, den ungeschmälerten Unterhalt zu zahlen und zugleich<br />

nach Ablauf von sechs Jahren seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

die Befreiung von seinen Schulden zu erreichen. Damit<br />

besteht auch nicht mehr die Gefahr, dass sich der Unterhaltsschuldner<br />

durch die Unterhaltszahlungen <strong>im</strong>mer tiefer verschuldet.<br />

Der Unterhaltsschuldner ist lediglich dann nicht zur Einleitung<br />

des Insolvenzverfahrens verpflichtet, wenn er Umstände vorträgt<br />

und beweist, die die Einleitung der Insolvenz <strong>im</strong> Einzelfall als<br />

unzumutbar erscheinen lassen.<br />

Mutmaßliche Väter können nicht zur Mitwirkung<br />

an einem Vaterschaftstest gezwungen<br />

werden<br />

OLG Zweibrücken 7.10.2004, 2 WF 159/04<br />

Ein mutmaßlicher leiblicher Vater kann nicht gezwungen<br />

werden, sich einem Vaterschaftstest zu unterziehen. Es besteht<br />

kein durchsetzbarer Anspruch auf Mitwirkung an der Erstellung<br />

des Gutachtens, da der mutmaßliche Vater autonom darüber<br />

entscheiden kann, wann und innerhalb welcher Grenzen er<br />

persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Antragsteller begehrte die Feststellung, dass der Antragsgegner<br />

sein leiblicher Vater ist. Seine hierauf gerichtete Klage<br />

hatte vor dem AG keinen Erfolg.<br />

Später wollte der Antragsteller die Sache mittels eines Restitutionsklage<br />

erneut aufrollen und verlangte vom Antragsgegner,<br />

an der Erstellung eines Abstammungsgutachtens mitzuwirken.<br />

Dazu müsse er sich einem Vaterschaftstest unterziehen. Für den<br />

bevorstehenden Prozess beantragte der Antragsteller Prozesskostenhilfe.<br />

Der Antrag hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Antragsteller kann keine Prozesskostenhilfe beanspruchen,<br />

da seine Restitutionsklage keine Aussicht auf Erfolg hat. Der<br />

Antragsteller hat keinen durchsetzbaren Anspruch gegen den<br />

Antragsgegner auf Mitwirkung an der Erstellung eines neuen<br />

Vaterschaftsgutachtens.<br />

Der Antragsgegner hat ein Recht auf Selbstbest<strong>im</strong>mung. Er kann<br />

autonom entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen<br />

er persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte. Damit<br />

obliegt ihm auch die Verfügungsgewalt über die Preisgabe seiner<br />

genetischen Daten. Er kann daher nicht gegen seinen Willen<br />

zur Abgabe von Genmaterial gezwungen werden. <strong>Das</strong> mit<br />

diesem Grundrecht der informationellen Selbstbest<strong>im</strong>mung kollidierende<br />

Grundrecht des anderen Teils auf Kenntnis über die<br />

Vaterschaft beziehungsweise die Abstammung hat grundsätzlich<br />

keinen Vorrang.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

<strong>Das</strong> Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht ausländischer<br />

Eltern kann bei drohender<br />

Beschneidung ihrer Tochter beschränkt<br />

werden<br />

BGH 15.12.2004, XII ZB 166/03<br />

Droht einem Mädchen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland der Eltern (hier: Gambia)<br />

die Beschneidung, so kann das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />

der in Deutschland lebenden Eltern dahingehend eingeschränkt<br />

werden, dass sie ihre Tochter nicht in ihr He<strong>im</strong>atland bringen<br />

dürfen. Die Beschneidung eines Mädchens stellt eine grausame,<br />

folgenschwere und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung<br />

dar, die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beschwerdeführerin und ihre 1998 geborene Tochter stammen<br />

aus Gambia. Sie leben inzwischen in Deutschland, weil die<br />

Mutter einen deutschen Mann geheiratet hat. Sie will sich in<br />

Deutschland zur Altenpflegerin ausbilden lassen und beabsichtigt,<br />

ihre Tochter zu ihrer Familie nach Gambia zurückbringen<br />

zu lassen.<br />

Auf Antrag des Jugendamts entzog das AG der Mutter das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />

für ihre Tochter und ordnete insoweit<br />

die Pflegschaft des Jugendamts an. Dieses brachte das Kind in<br />

einer Pflegfamilie unter. Auf die hiergegen gerichtete Beschwer-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 18


de der Mutter gab das OLG ihr das Kind zurück und schränkte<br />

ihr Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht lediglich dahingehend ein,<br />

dass sie das Kind nicht nach Gambia bringen dürfe.<br />

Hiergegen legten sowohl die Mutter als auch das Jugendamt<br />

Rechtsbeschwerde ein. Die Mutter, die selbst als Kind beschnitten<br />

worden ist, argumentierte, dass ihrem Kind in Gambia keine<br />

Beschneidung drohe. Es solle bei seiner Großmutter untergebracht<br />

werden, die selbst nicht beschnitten sei und diesen Brauch<br />

ablehne. Der Mann ihrer Großmutter gehöre zudem einem<br />

Stamm an, in dem Beschneidungen nicht mehr vorgenommen<br />

würden.<br />

<strong>Das</strong> Jugendamt machte dagegen geltend, dass ein teilweiser Entzug<br />

des Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht zum Schutz des Kindes<br />

nicht ausreiche. Es bestehe die Gefahr, dass das Kind durch Dritte<br />

über einen Mitgliedstaat der EU mittels eines Ersatzpasses<br />

nach Gambia gebracht werde. Der BGH bestätigte <strong>im</strong> Grundsatz<br />

die Entscheidung des OLG. Es wies den Rechtsstreit aber an das<br />

OLG zurück, damit dieses prüfen kann, ob weitere Maßnahme<br />

zum Schutz des Mädchens erforderlich sind.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beschneidung von Mädchen stellt eine grausame, folgenschwere<br />

und durch nichts zu rechtfertigende Misshandlung dar,<br />

die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren ist. AG und OLG<br />

haben zu Recht entschieden, dass dem Kind der Beschwerdeführerin<br />

in Gambia eine Beschneidung droht. Die Tradition der<br />

Beschneidung ist in Gambia tief verwurzelt. 80 bis 90 Prozent<br />

der weiblichen Bevölkerung sind beschnitten.<br />

Die Großmutter des Kindes konnte ihre eigene Tochter nicht vor<br />

dieser Verstümmelung bewahren. Deshalb ist zu befürchten, dass<br />

sie dies auch bei ihrer Enkelin nicht verhindern kann. Die angeordnete<br />

teilweise Entziehung des Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrechts<br />

ist deshalb ein gebotener, aber auch verhältnismäßiger Eingriff<br />

in das Elternrecht, um das Kind vor einem irreparablen physischen<br />

und psychischen Schaden zu bewahren.<br />

<strong>Das</strong> Jugendamt hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass<br />

die Gefahr besteht, dass die Beschwerdeführerin das Kind über<br />

einen anderen EU-Staat mittels eines Ersatzpasses nach Gambia<br />

bringen lässt. Der Rechtsstreit war deshalb an das OLG zurückzuverweisen.<br />

Dieses muss prüfen, ob zum Schutz des Kindes<br />

weitere Maßnahmen, wie etwa eine beaufsichtigende Pflegschaft<br />

des Jugendamtes, geboten sind.<br />

Arbeitsrecht<br />

Altersteilzeitbeschäftigte in der Freistellungsphase<br />

haben keinen Anspruch auf<br />

Urlaubsabgeltung<br />

BAG 15.3.2005, 9 AZR 143/04<br />

Altersteilzeitbeschäftigte <strong>im</strong> „Blockmodell“ müssen ihren<br />

Urlaub möglichst bis zum Ende der Arbeitsphase nehmen.<br />

Anderenfalls verfällt der Urlaubsanspruch ersatzlos. Ein<br />

Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht nach § 7 Abs.4 BUrlG<br />

nur, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

nicht gewährt werden kann. Diese Voraussetzung ist bei einem bis<br />

zum Ende der Arbeitsphase nicht gewährten Urlaub nicht erfüllt,<br />

da das Arbeitsverhältnis mit Beginn der Freistellungsphase noch<br />

nicht beendet wird.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin war als Sachbearbeiterin bei der beklagten Universität<br />

beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der Bundesangestelltentarifvertrag<br />

(BAT) und der Tarifvertrag zur Regelung<br />

der Altersteilzeit Anwendung. Die Parteien vereinbarten ein<br />

Altersteilzeitverhältnis <strong>im</strong> so genannten „Blockmodell“. Hierbei<br />

schließt sich an eine Arbeitsphase mit voller Arbeitszeit und verringerten<br />

Bezügen eine Freistellungsphase unter Weiterzahlung<br />

der Bezüge an.<br />

Wenige Monate vor Ablauf der Arbeitsphase erkrankte die Klägerin.<br />

Die Krankheit dauerte bis zum Beginn der Freistellungsphase<br />

an, so dass die Klägerin in der Arbeitsphase ihren Resturlaub<br />

nicht mehr in Anspruch nehmen konnte. Sie verlangte<br />

deshalb von der Beklagten die Abgeltung des Resturlaubs. Ihre<br />

hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf<br />

Abgeltung des bis zum Ende der Arbeitsphase nicht in Anspruch<br />

genommenen Resturlaubs.<br />

Nach § 7 Abs.4 BUrlG muss der Arbeitgeber nicht genommenen<br />

Urlaub nur dann abgelten, wenn der Urlaub wegen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden konnte. Diese<br />

Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin konnte den<br />

Urlaub nur deshalb nicht mehr nehmen, weil sie sich bereits in<br />

der Freistellungsphase befand. Der Beginn der Freistellungsphase<br />

ist aber keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses <strong>im</strong> Sinn<br />

von § 7 Abs.4 BAT.<br />

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem BAT oder dem<br />

Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit. § 51 BAT stellt für<br />

den Anspruch auf Urlaubsabgeltung ebenso wie § 7 Abs.4 BUrlG<br />

auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab.<br />

Hierin liegt keine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.<br />

Zwar werden Altersteilzeitbeschäftigte<br />

<strong>im</strong> „Blockmodell“ anders behandelt als Altersteilzeitbeschäftigte,<br />

die durchgehend mit verringerter Arbeitszeit weiterarbeiten.<br />

Denn diese können bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

für Urlaub von der Arbeitspflicht freigestellt werden. Diese<br />

Ungleichbehandlung ist aber sachlich gerechtfertigt.<br />

Arbeitgeber müssen nach Verschmelzung<br />

mehrerer Betriebe nicht allen Arbeitnehmern<br />

den gleichen Lohn zahlen<br />

LAG Schleswig-Holstein 26.8.2004, 3 Sa 189/04<br />

Nach einer Betriebsverschmelzung dürfen Arbeitgeber die<br />

Arbeitnehmer weiterhin nach den <strong>im</strong> jeweiligen Ursprungsbetrieb<br />

geltenden Regelungen vergüten. Dies kann zwar zu einer<br />

unterschiedlich hohen Vergütung für gleiche Arbeitsleistungen<br />

führen. Die Ungleichbehandlung ist aber wegen der in den §§<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 19


613a BGB, 324 UmwG vorgeschriebene Besitzstandswahrung<br />

sachlich gerechtfertigt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte ist ein Zusammenschluss von fünf ehemaligen Einzelgewerkschaften.<br />

Sie bezahlt ihre Mitarbeiter weiterhin nach<br />

den in den jeweiligen Einzelgewerkschaften geltenden Vergütungsordnungen.<br />

Der Kläger ist als Gewerkschaftssekretär bei der Beklagten<br />

angestellt. Er verlangte, genauso gut bezahlt zu werden wie die<br />

Gewerkschaftssekretäre der ehemaligen H. Es stelle eine Verletzung<br />

des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes dar,<br />

wenn Arbeitnehmer eines Unternehmens für die gleiche Arbeit<br />

unterschiedlich hoch entlohnt würden. Seine Zahlungsklage hatte<br />

sowohl vor dem ArbG als auch vor dem LAG keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die<br />

begehrte Gehaltserhöhung. Die Beklagte verletzt mit der weiteren<br />

Anwendung der Vergütungsregelungen der ehemaligen<br />

Einzelgewerkschaften nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz.<br />

Dieser verbietet nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner<br />

Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe und eine sachfremde<br />

Gruppenbildung.<br />

Für den Fall der Betriebsübernahme nach § 613a BGB ist bereits<br />

höchstrichterlich entschieden, dass ein Arbeitgeber den übernommenen<br />

Arbeitnehmern Weihnachtsgeld nach der in dem<br />

früheren Betrieb geltenden Ordnung zahlen darf. Die Besitzstandswahrung<br />

ist ein allgemein anerkanntes Regelungsziel <strong>im</strong><br />

Arbeitsleben. Sie beinhaltet sachlogisch die Möglichkeit, dass<br />

die übernommenen Mitarbeiter anders vergütet werden als die<br />

Stammbelegschaft.<br />

Diese Grundsätze gelten auch bei einer Betriebsverschmelzung.<br />

Die Beklagte war nach den §§ 324 UmwG, 613a BGB verpflichtet,<br />

den Besitzstand der Arbeitnehmer der ehemaligen Einzelgewerkschaften<br />

zu wahren. Die gesetzlich vorgeschriebene Besitzstandswahrung<br />

ist ein sachlicher Differenzierungsgrund für die<br />

Ungleichbehandlung.<br />

Einkommen eines getrennt lebenden Ehegatten<br />

darf nicht auf Arbeitslosenhilfe angerechnet<br />

werden<br />

LSG Rheinland-Pfalz 27.1.2005, L 1 AL 156/04<br />

Bei getrennt lebenden Ehegatten ist eine Anrechnung des<br />

Vermögens des einen Ehegatten auf den Arbeitslosenhilfe-<br />

Anspruch des anderen nicht gerechtfertigt. In diesem Fall<br />

fehlt es an der zum Wesen der Ehe gehörenden Lebens- und<br />

Wirtschaftgemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird nicht nur<br />

durch eine offizielle Trennung des Paares aufgehoben, sondern<br />

auch, wenn einer der beiden wegen einer schweren geistigen<br />

Erkrankung keine eheliche Gemeinschaft mehr führen kann.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Ehemann der arbeitslosen Klägerin ist wegen einer Alzhe<strong>im</strong>er-Erkrankung<br />

<strong>im</strong> Endstadium schon seit mehreren Jahren in<br />

einem Pflegehe<strong>im</strong> untergebracht. Die Arbeitsverwaltung weigerte<br />

sich, an die Klägerin Arbeitslosenhilfe auszuzahlen, da sie sich<br />

die Rente ihres Ehemanns anrechnen lassen müsse. Die hiergegen<br />

gerichtete Klage hatte sowohl vor dem SG als auch vor dem<br />

LSG Erfolg. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache<br />

ließ das LSG allerdings die Revision zum BSG zu.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung<br />

von Arbeitslosenhilfe (jetzt: Arbeitslosengeld II). Die<br />

Beklagte durfte die Rente des Ehemannes der Klägerin nicht auf<br />

deren Arbeitslosenhilfe-Anspruch anrechnen.<br />

Eheleute müssen sich bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe<br />

zwar grundsätzlich das Vermögen ihres Partners anrechnen lassen.<br />

Die Anrechnung ist aber nicht mehr zulässig, wenn sich das<br />

Ehepaar getrennt hat. Grund für die Anrechnung ist, dass Eheleute<br />

eine Lebens- und Wirtschaftgemeinschaft bilden. Trennen<br />

sie sich, so wird auch die Wirtschaftsgemeinschaft aufgehoben,<br />

so dass die Anrechnung nicht mehr gerechtfertigt ist.<br />

Die Klägerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Maßgeblich<br />

hierfür ist nicht die räumliche Trennung von ihrem Mann, sondern<br />

der Umstand, dass dieser wegen seiner schweren Erkrankung<br />

keine eheliche Gemeinschaft mehr führen kann. Zur ehelichen<br />

Gemeinschaft gehört auch die geistige Gemeinschaft der<br />

Eheleute und die Fähigkeit, das gemeinsame Leben zumindest<br />

in einem best<strong>im</strong>mten Umfang mitzuprägen. Hierzu ist der Ehemann<br />

der Klägerin schon seit Jahren nicht mehr in der Lage.<br />

Arbeitgeber können überzahltes Gehalt<br />

grundsätzlich nur innerhalb der tariflichen<br />

Ausschlussfrist zurückfordern<br />

BAG 10.3.2005, 6 AZR 217/04<br />

Arbeitgeber, die einem Arbeitnehmer über einen längeren<br />

Zeitraum zu viel Gehalt gezahlt haben, können den überzahlten<br />

Betrag grundsätzlich nur innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist<br />

zurückfordern. <strong>Das</strong> kann selbst dann gelten, wenn der<br />

Arbeitnehmer Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung hatte. Seine<br />

Berufung auf die Ausschlussfrist ist dennoch nicht treuwidrig,<br />

wenn der Arbeitgeber trotz Kenntnis vom Sachverhalt mehrere<br />

Monate abwartet, bevor er den zu viel gezahlten Betrag<br />

zurückfordert.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte war bei dem klagenden Land zunächst als vollzeitbeschäftigte<br />

Schreibkraft eingestellt. Auf das Arbeitsverhältnis<br />

findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.<br />

Nach Ablauf des Erziehungsurlaubs der Beklagten vereinbarten<br />

die Parteien mit Wirkung zum 11.12.1990 eine Halbierung der<br />

Arbeitszeit der Beklagten auf 19,25 Stunden.<br />

Obwohl das Landesamt für Besoldung unverzüglich über die<br />

Arbeitszeitverringerung informiert worden war, zahlte es der<br />

Beklagten weiterhin die für Vollzeitbeschäftigte festgelegte Vergütung<br />

aus. Die Beschäftigungsstelle der Beklagten bemerkte<br />

den Irrtum erst am 6.10.2001 und informierte am 6.12.2001 das<br />

für die Rückforderung zuständige Landesamt für Besoldung.<br />

Mit Bescheid vom 27.2.2002 verlangte das Landesamt für<br />

Besoldung von der Beklagten die Rückzahlung des von Dezember<br />

1990 bis August 2001 zu viel gezahlten Gehalts (in Höhe von<br />

rund 114.000 Euro). Die Beklagte machte dagegen geltend, dass<br />

die Rückzahlungsansprüche wegen Nichteinhaltung der Sechs-<br />

Monats-Frist des § 70 BAT verfallen seien. Hierauf könne sie<br />

sich auch berufen, da sie die Überzahlung nicht bemerkt habe.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 20


<strong>Das</strong> ArbG gab der auf Rückzahlung des überzahlten Gehalts<br />

gerichteten Klage statt; das LAG wies sie ab. Die hiergegen<br />

gerichtete Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung<br />

ist nach § 70 BAT verfallen. Hiernach müssen Ansprüche<br />

aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von<br />

sechs Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden.<br />

Der Kläger hatte von Anfang an Kenntnis von der Arbeitszeitreduzierung<br />

der Beklagten. Sein Anspruch auf Rückzahlung<br />

des überzahlten Betrags ist deshalb bereits mit der jeweiligen<br />

Gehaltszahlung am 15. eines jeden Monats entstanden und fällig<br />

geworden. Da er erstmals am 27.2.2002 die Rückzahlung der bis<br />

August 2001 zu viel ausgezahlten Beträgen verlangt hat, sind die<br />

Ansprüche insgesamt verfallen.<br />

Die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 70<br />

BAT ist auch nicht treuwidrig. Dabei kann dahinstehen, ob und<br />

gegebenenfalls seit wann sie positive Kenntnis von den Gehaltsüberzahlungen<br />

hatte und ob sie den Kläger hierauf hätte hinweisen<br />

müssen. Die Berufung auf die Ausschlussfrist ist jedenfalls<br />

dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitgeber trotz<br />

Kenntnis des Sachverhalts über einen längeren Zeitraum von der<br />

Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs absieht. Dies war<br />

hier der Fall, da der Kläger <strong>im</strong> Zeitpunkt der Rückforderung am<br />

27.2.2002 bereits mehrere Monate Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung<br />

hatte.<br />

Sozialrecht<br />

Vorübergehend in Deutschland tätige ausländische<br />

Arbeitnehmer können sozialversicherungspflichtig<br />

sein<br />

SG Dortmund 25.2.2005, S 34 RJ 79/04<br />

Vorübergehend von einem ausländischen Arbeitgeber nach<br />

Deutschland entsandte Arbeitnehmer sind zwar nicht sozialve<br />

rsicherungspflichtig. Etwas anderes gilt aber, wenn es sich bei<br />

dem vermeintlichen ausländischen Arbeitgeber um eine reine<br />

Briefkastenfirma handelt. In diesem Fall sind die Arbeitnehmer<br />

faktisch bei dem deutschen Unternehmen beschäftigt, das sie nach<br />

Deutschland geholt hat. Dieses muss daher für die Arbeitnehmer<br />

Sozialversicherungsbeiträge entrichten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist ein deutsches Bauunternehmen. In den Jahren<br />

1997 bis 1999 beschäftigte sie auf ihren Baustellen britische<br />

Bauarbeiter, die angeblich von der auf der Isle of Man ansässigen<br />

Firma H. vorübergehend nach Deutschland entsandt worden<br />

sind. Es existieren keine schriftlichen Werkverträge zwischen<br />

der Klägerin und der Firma H. Die Zahlungen der Klägerin an H.<br />

deckten lediglich die Lohnkosten für die britischen Bauarbeiter<br />

sowie deren Reisekosten ab.<br />

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprü-<br />

fung überprüfte die beklagte Landesversicherungsanstalt auch<br />

die Firma H. Sie fand heraus, dass H. unter einer bekannten<br />

Massendomizilgesellschaft firmiert, nicht <strong>im</strong> Telefonbuch steht,<br />

weder über ortsansässige Mitarbeiter noch über eine formelle<br />

Geschäftsführung verfügt und nur mit einem min<strong>im</strong>alen Haftungskapital<br />

ausgestattet ist. Hieraus schloss sie, dass es sich bei<br />

H. um eine reine Briefkastengesellschaft handelt.<br />

Daraufhin zog die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen<br />

für die britischen Bauarbeiter heran, da es<br />

sich nicht um nach Deutschland entsandte, sondern um unmittelbar<br />

bei der Klägerin beschäftigte Arbeitnehmer gehandelt habe. Die<br />

gegen den Zahlungsbescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen<br />

für die auf ihren Baustellen beschäftigten<br />

britischen Arbeitnehmer herangezogen. Nach den §§ 3<br />

Nr.1, 7 Abs.1 SGB IV sind grundsätzlich alle nichtselbständig<br />

Beschäftigten, die gegenüber ihrem Arbeitgeber weisungsabhängig<br />

sind, sozialversicherungspflichtig. Eine Ausnahme sieht<br />

§ 5 Abs.1 SGB IV nur für vorübergehend nach Deutschland entsandte<br />

Arbeitnehmer eines ausländischen Arbeitgebers vor.<br />

Dieser Ausnahmetatbestand ist <strong>im</strong> Streitfall nicht erfüllt. Die auf<br />

den Baustellen der Klägerin eingesetzten britischen Bauarbeiter<br />

waren keine Arbeitnehmer der ausländischen Firma H. Hierbei<br />

handelt es sich um eine reine Briefkastenfirma ohne eigene<br />

Betriebsorganisation. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte<br />

ist davon auszugehen, dass nicht H. den Bauarbeitern Weisungen<br />

erteilt hat, sondern dass die Weisungsbefugnis von der Klägerin<br />

ausgeübt wurde. Daher lag faktisch ein Arbeitsverhältnis<br />

mit der Klägerin und damit eine sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung vor.<br />

Die geschäftlichen Beziehungen der Klägerin zu H. stellen sich<br />

als Scheingeschäft zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht<br />

dar. Die Klägerin hat einen Subunternehmervertrag mit H. nicht<br />

nachgewiesen. Es ist nicht glaubwürdig, dass die Klägerin mit<br />

H. angeblich nur einen mündlichen Werkvertrag geschlossen hat.<br />

Werkverträge werden schon zur Sicherung der Gewährleistungsrechte<br />

des Bestellers regelmäßig schriftlich abgeschlossen. Im<br />

Streitfall spricht außerdem gegen einen mündlichen Werkvertrag,<br />

dass die von der Klägerin an H. gezahlten Beträge nur die Lohn-<br />

und Reisekosten für die britischen Bauarbeiter abgedeckt haben.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://www.<br />

sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen<br />

seit dem 1.1.2004 kein Sterbegeld mehr zahlen<br />

SG Duisburg 28.2.2005, S 11 KR 133/04<br />

Seit dem 1.1.2004 müssen die gesetzlichen Krankenkassen<br />

kein Sterbegeld mehr zahlen. Die entsprechenden Vorschriften<br />

<strong>im</strong> SGB V a.F. sind seit dem Inkrafttreten Gesetzes zur<br />

Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung zum<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 21


1.1.2004 abgeschafft, so dass keine Anspruchsgrundlage mehr<br />

besteht. Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die<br />

Vorschriften über das Sterbegeld nicht ausdrücklich aufgehoben,<br />

sondern durch eine Neuregelung zum Zahnersatz ersetzt hat, die<br />

erst zum 1.1.2005 in Kraft treten sollte.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin hatte <strong>im</strong> Jahr 2004 für eine bei der beklagten gesetzlichen<br />

Krankenkasse versicherte Person die Beerdigungskosten<br />

übernommen. Sie verlangte von der Beklagten unter Berufung<br />

auf die §§ 58, 59 SGB V a.F. die Zahlung eines Zuschusses zu<br />

den Beerdigungskosten. Dies lehnte die Beklagte ab, weil der<br />

Gesetzgeber die Vorschriften über das Sterbegeld mit dem zum<br />

1.1.2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) abgeschafft habe.<br />

Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem SG keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung<br />

des Sterbegelds. Hierfür existiert seit Inkrafttreten des<br />

GMG keine Anspruchsgrundlage mehr.<br />

Der Gesetzgeber hat die ursprüngliche Regelung des Sterbegelds<br />

in den §§ 58, 59 SGB V in die Neufassung des SGB V nicht<br />

übernommen, und statt dessen in den §§ 58, 59 SGB V Regelungen<br />

über den Zahnersatz getroffen, die ursprünglich zum<br />

1.1.2005 in Kraft treten sollten, später dann aber ersatzlos gestrichen<br />

wurden. Der Gesetzgeber hat den gesamten Abschnitt des<br />

Gesetzes, in dem sich die Regelungen zum Sterbegeld befanden,<br />

neu gefasst und damit alle zuvor geltenden Vorschriften abgeschafft.<br />

Hierfür musste er die §§ 58, 59 SGB V a.F. nicht ausdrücklich<br />

aufheben.<br />

Der Hintergrund:<br />

In der Literatur wurde teilweise aus dem Fehlen einer ausdrücklichen<br />

Aufhebung der §§ 58, 59 SGB V a.F. geschlossen, dass<br />

diese zumindest bis zum Inkrafttreten der nunmehr den Zahnersatz<br />

regelnden §§ 58, 59 SGB V n.F. zum 1.1.2005 fortgelten.<br />

Da die Neuregelungen über den Zahnersatz noch vor ihrem<br />

Inkrafttreten wieder aufgehoben worden sind, wurde teilweise<br />

sogar die Auffassung vertreten, dass der Anspruch auf Sterbegeld<br />

auch über den 31.12.2004 hinaus fortbesteht. <strong>Das</strong> SG ist<br />

dieser Argumentation nicht gefolgt.<br />

Weitere Informationen zum Thema können sie zwei auf dem<br />

Internetportal Arbeitsrecht und Sozialrecht (AuS-<br />

Portal) veröffentlichten Aufsätzen zum Thema entnehmen:<br />

„<strong>Das</strong> Sterbegeld nach §§ 58, 59 SGB V - Requiescat in<br />

pace“ (pdf-Datei)<br />

„<strong>Das</strong> Sterbegeld nach §§ 58, 59 SGB V - Tote brauchen<br />

keinen Zahnersatz“ (pdf-Datei)<br />

Einkünfte aus einer aufgegeben selbständigen<br />

Tätigkeit werden nicht auf eine<br />

Erwerbsminderungsrente angerechnet<br />

BSG 17.2.2005, B 13 RJ 43/03 R<br />

Grundsätzlich müssen Einkünfte aus einer selbständigen<br />

Tätigkeit auf eine Erwerbsminderungsrente angerechnet werden.<br />

Etwas anderes gilt allerdings, wenn die selbständige Tätigkeit<br />

steuerrechtlich bereits aufgegeben ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der 1945 geborene Kläger war bis 1978 rentenversicherungspflichtig<br />

beschäftigt. Außerdem entrichtete er aus seiner Tätigkeit<br />

als selbständiger Handelsvertreter freiwillige Beiträge zur<br />

gesetzlichen Rentenversicherung. Auf seinen Antrag hin bewilligte<br />

ihm die Beklagte ab August 1997 die Zahlung einer Rente<br />

wegen Berufsunfähigkeit. Die Leistungen enthielten auch Zahlungen<br />

einer Berufsunfähigkeitsrente des Vertreterversorgungswerks.<br />

Im Jahr 2000 forderte die Beklagte die ausgezahlten Beiträge<br />

wieder zurück, weil der Kläger keinen Anspruch auf sie gehabt<br />

habe. Mit dem Einkommen des Klägers aus seiner Tätigkeit als<br />

selbständiger Handelsvertreter sei die Hinzuverdienstgrenze<br />

überschritten worden. Insoweit seien die Leistungen aus dem<br />

Vertreterversorgungswerk, die steuerlich nachträgliche Einkünfte<br />

aus Gewerbebetrieb seien, in voller Höhe anzurechnen. Dem<br />

widersprach der Kläger und trug vor, dass die Leistungen nicht<br />

anzurechnen seien, weil er sein Gewerbe zum Juni 1999 abgemeldet<br />

habe. Die gegen den entsprechenden Bescheid gerichtete<br />

Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Einkünfte des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit sind<br />

nicht auf die Erwerbsminderungsrente anzurechnen. Grundsätzlich<br />

müssen solche Einkünfte zwar auf die Erwerbsminderungsrente<br />

angerechnet werden. Etwas anderes gilt aber, wenn die<br />

selbständige Tätigkeit steuerrechtlich bereits aufgegeben ist.<br />

Steuerlich stellen zwar auch Einkünfte aus einer ehemaligen<br />

Tätigkeit weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar. Die<br />

grundsätzlich anzustrebende Parallelität von Sozialrecht und<br />

Steuerrecht (§ 15 Abs.1 SGB IV) findet in Bezug auf die Anrechnung<br />

von Einkünften auf eine Erwerbsminderungsrente jedoch<br />

ihre Grenze. Damit soll eine unter Gleichheitsgesichtspunkten<br />

(Art.3 Abs.1 GG) problematische Ungleichbehandlung zwischen<br />

ehemaligen Arbeitnehmern und ehemaligen Selbständigen<br />

vermieden werden.<br />

Zur Leistungserbringung zugelassene kommunale<br />

Träger müssen nunmehr alle Widersprüche<br />

gegen Arbeitslosengeld II-Bescheide<br />

bearbeiten<br />

SG Dortmund 18.1.2005, S 5 AS 1/05 ER<br />

Die <strong>im</strong> Rahmen der so genannten Optionsregelung zur<br />

Leistungserbringung zugelassenen kommunalen Träger müssen<br />

seit dem 1.1.2005 alle Widersprüche und gerichtliche Verfahren<br />

zum Arbeitslosengeld II bearbeiten. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn der<br />

angegriffene Arbeitslosengeld II-Bescheid noch <strong>im</strong> Jahr 2004<br />

von der Agentur für Arbeit erlassen worden ist. Alle Rechte und<br />

Pflichten aus dem Ausgangsbescheid der Agentur für Arbeit<br />

treffen ab dem 1.1.2005 die nunmehr zuständigen kommunalen<br />

Träger.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragstellerin beantragte am 7.10.2004 die Gewährung von<br />

Arbeitslosengeld II. Die zuständige Agentur für Arbeit in Hagen<br />

lehnte den Antrag am 2.12.2004 ab, weil die Antragstellerin<br />

wegen der Einkünfte ihres Lebensgefährten, mit dem sie zusammenlebe,<br />

nicht hilfebedürftig sei. Die Antragstellerin legte hier-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 22


gegen Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden<br />

worden ist. Am 3.1.2005 stellte sie be<strong>im</strong> SG einen Antrag auf<br />

Erlass einer einstweiligen Anordnung.<br />

Die Agentur für Arbeit hielt sich nicht mehr für zuständig, weil<br />

der Ennepe-Ruhr-Kreis zugelassener kommunaler Leistungsträger<br />

für das Arbeitslosengeld II sei. Der vom SG beigeladene<br />

Ennepe-Ruhr-Kreis verweigerte dagegen die Mitwirkung am<br />

gerichtlichen Verfahren. Er sei für die Bearbeitung dieser Sache<br />

noch nicht zuständig, weil nicht er, sondern die Agentur für<br />

Arbeit den angefochtenen Bescheid erlassen habe.<br />

<strong>Das</strong> SG bejahte die Zuständigkeit des beigeladenen Kreises,<br />

lehnte den Antrag aber mangels eines Anordnungsanspruchs ab.<br />

Die Gründe:<br />

Der <strong>im</strong> Rahmen der so genannten Optionsregelung zur Leistungserbringung<br />

zugelassene Beigeladene muss seit dem 1.1.2005 alle<br />

Widersprüche und gerichtliche Verfahren zum Arbeitslosengeld<br />

II bearbeiten. Er hat den angefochtenen Ausgangsbescheid zwar<br />

nicht erlassen. Seit dem 1.1.2005 ist er aber allein zuständiger<br />

Träger für die Bewilligung von Arbeitslosengeld II und damit<br />

materiell verpflichtet, entsprechende Ansprüche zu befriedigen.<br />

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung<br />

liegen allerdings nicht vor. Nach summarischer Prüfung<br />

steht nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der<br />

geltend gemachte Anordnungsanspruch besteht. Nach Aktenlage<br />

spricht vieles dafür, dass die Antragstellerin wegen der Einkünfte<br />

ihres Lebensgefährten nicht hilfebedürftig ist.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://www.<br />

sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />

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Handels- und<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Gesellschafter müssen nach ihrem Ausscheiden<br />

von der Gesellschaft erhaltene<br />

Beträge unter Umständen zurückzahlen<br />

BGH 15.11.2004, II ZR 299/02<br />

Ausgeschiedene Gesellschafter müssen Beträge, die sie nach ihren<br />

Ausscheiden unter Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrif<br />

ten erhalten haben, an die Gesellschaft zurückzahlen. Ein solcher<br />

Verstoß kann etwa vorliegen, wenn der Gesellschafter bei seinem<br />

Ausscheiden das Stammkapital der Gesellschaft durch Verzicht<br />

auf einen Teil seiner Forderungen „auf null gestellt“ hat. In<br />

diesem Fall darf die Gesellschaft auf die restlichen Forderungen,<br />

soweit sie bereits eigenkapitalersetzenden Charakter besitzen,<br />

keine Zahlungen mehr leisten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger machte gegen die beklagte K. GmbH Ansprüche aus<br />

abgetretenem Recht der 1998 in Konkurs gefallenen B. GmbH<br />

(B.) geltend. Die Beklagte war an B. zu 75 Prozent beteiligt. B.<br />

schuldete der Beklagten aus den laufenden Geschäftsbeziehungen<br />

einen zweistelligen Millionenbetrag.<br />

Die Beklagte veräußerte ihre Beteiligung an B. durch „Geschäftsanteilsübertragungs-<br />

und Abtretungsvertrag“ vom 2.2.1996 zum<br />

Preis von einer DM an W. Dabei verzichtete sie auf den Teil<br />

der Forderungen gegen B., der nicht durch Eigenkapital der B.<br />

gedeckt war. <strong>Das</strong> Stammkapital sollte damit „auf null gestellt“<br />

und dem W. die Möglichkeit eines Neubeginns verschafft werden.<br />

W. musste sich allerdings verpflichten, die nicht vom Forderungsverzicht<br />

erfassten Verbindlichkeiten aus eigenem Vermögen<br />

auszugleichen.<br />

In der Folgezeit beglich W. die Restforderungen der Beklagten<br />

in Höhe von rund zwei Millionen DM vermeintlich aus seinem<br />

eigenem Vermögen. In Wirklichkeit stammte das Geld jedoch<br />

aus einem Kredit, den W. für die B. aufgenommen hatte. Der<br />

Kläger verlangte die Rückzahlung dieses Betrags. Die hierauf<br />

gerichtete Klage hatte vor dem BGH Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung<br />

der Beträge, die sie nach ihrem Ausscheiden angeblich<br />

von W., tatsächlich aber von B. erhalten hat. Der Anspruch ergibt<br />

sich aus einer Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften in<br />

den §§ 30, 31 GmbHG. Hiernach darf das zur Erhaltung des<br />

Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an<br />

die Gesellschaft ausgezahlt und müssen dennoch geleistete Zahlungen<br />

erstattet werden.<br />

Die von W. veranlasste Zahlung der B. an die Beklagte verstößt<br />

gegen die §§ 30, 31 GmbHG. Denn die Beklagte hat mit ihrem<br />

Teilforderungsverzicht das Stammkapital der B. nicht wieder<br />

hergestellt. Die Beklagte hat lediglich den nicht durch Eigenkapital<br />

gedeckten Fehlbetrag ausgeglichen. Durch diesen Teilforderungsverzicht<br />

war die Überschuldungssituation der B. nicht<br />

behoben, da W. in Vertretung der B. einen Kredit aufgenommen<br />

hat, um die von dem Teilverzicht nicht erfassten Forderungen<br />

der Beklagten zu befriedigen. Daher durfte B. auf die als eigenkapitalersetzende<br />

Gesellschafterhilfe zu qualifizierenden Forderungen<br />

der Beklagten nicht zahlen.<br />

Auch bei einer „Schwester-Fusion“ muss<br />

bei der übernehmenden Gesellschaft zwingend<br />

eine Kapitalerhöhung erfolgen<br />

OLG Hamm 3.8.2004, 15 W 236/04<br />

Bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften muss<br />

eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft<br />

erfolgen. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn sich sämtliche Anteile an den<br />

Kapitalgesellschaften in einer Hand oder mit identischen Quoten<br />

in der Hand derselben Rechtsträger befinden (so genannte<br />

„Schwester-Fusion“). <strong>Das</strong> ergibt sich aus einer eindeutigen<br />

Willensbekundung des Gesetzgebers, die insbesondere in § 2<br />

UmwG zum Ausdruck kommt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Sämtliche Anteile an den beteiligten Kapitalgesellschaften A., B.<br />

und C. werden von X. gehalten. Im August 2003 schlossen die<br />

Beteiligten Verschmelzungsverträge, durch die das Vermögen<br />

der A. und der B. rückwirkend zum 31.12.2002 auf die C. über-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 23


tragen werden sollte. Eine Anteilsgewährung als Gegenleistung<br />

für die Vermögensübertragung und eine Kapitalerhöhung bei der<br />

C. schlossen die Beteiligten ausdrücklich aus.<br />

<strong>Das</strong> Registergericht lehnte die Eintragung <strong>im</strong> November 2003<br />

ab. Der Verschmelzungsvertrag sei nichtig, weil auch bei einer<br />

„Schwester-Fusion“ bei der übernehmenden Gesellschaft zwingend<br />

eine Kapitalerhöhung erfolgen müsse. <strong>Das</strong> Gericht räumte<br />

den Beteiligten eine Frist von einem Monat zum Abschluss neuer<br />

Verschmelzungsverträge ein. Die gegen diese Zwischenverfügung<br />

gerichtete Beschwerde hatte vor dem LG keinen Erfolg.<br />

Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten hob das OLG die<br />

Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache zur erneuten<br />

Entscheidung an das Registergericht zurück.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> Registergericht hätte die angegriffene Zwischenverfügung<br />

nicht erlassen dürfen. Eine Zwischenverfügung ist nur zulässig,<br />

wenn der Anmeldung ein behebbares Hindernis entgegensteht.<br />

Nach dessen Behebung muss daher die Abmeldung, wie vorgelegt,<br />

vollzogen werden können. Dies ist hier nicht der Fall. <strong>Das</strong><br />

Registergericht geht selbst von einem nicht behebbaren Mangel<br />

aus und wollte den Beteiligten offenbar Gelegenheit zur Vorlage<br />

einer neuen Abmeldung geben. Dies rechtfertigt aber nicht den<br />

Erlass einer Zwischenverfügung. <strong>Das</strong> Gericht hätte vielmehr die<br />

Sache endgültig zurückweisen müssen.<br />

Die rechtlichen Erwägungen des Registergerichts sind allerdings<br />

nicht zu beanstanden. Der Senat neigt ebenso zu der Auffassung,<br />

dass auch bei einer „Schwester-Fusion“ eine Anteilsgewährung<br />

als Gegenleistung für die Vermögensübertragung und damit einhergehend<br />

eine Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft<br />

erforderlich ist. <strong>Das</strong> ergibt sich aus einer dahingehenden<br />

eindeutigen Willensbekundung des Gesetzgebers, etwa in der<br />

Regierungsbegründung zu § 54 UmwG 95.<br />

Da dieser gesetzgeberische Wille in Wortlaut und Systematik des<br />

UmwG (insbesondere in § 2 UmwG) einen deutlichen Ausdruck<br />

gefunden hat, bleibt für eine teleologische Reduktion des Gesetzes<br />

auf Grund rechtspolitischer Überlegungen kein Raum.<br />

Bundesregierung hat Eckpunkte zum<br />

Gesetzentwurf zur individualisierten Offenlegung<br />

der Gehälter von Vorstandsmitgliedern<br />

von Aktiengesellschaften vorgelegt<br />

Am 11.3.2005 hat die Bundesregierung die Eckpunkte zum<br />

Gesetzentwurf zur individualisierten Offenlegung der Gehälter<br />

von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften (Corporate<br />

Governance) vorgelegt. Der Corporate Governance-Kodex enthält<br />

insgesamt 72 Empfehlungen zur Verbesserung der Corporate<br />

Governance deutscher börsennotierter Gesellschaften. Ziel des<br />

Gesetzesvorschlags ist es, die Kontrollrechte der Aktionäre<br />

beziehungsweise der Hauptversammlung zu stärken. Wesentliche<br />

Punkte der geplanten Neuregelung sind die Offenlegung der<br />

individuellen Vorstandsgehälter sowie die Aufklärungspflicht<br />

des Aufsichtsrats über die angemessene Vergütung für jedes<br />

Vorstandsmitglied zur Information der Aktionäre.<br />

Die neuen Vorschriften lehnen sich an die bisherigen gesetzlichen<br />

Regelungen zu den Angaben von Vorstandsbezügen an:<br />

Nach geltendem HGB sind für alle Vorstandsmitglieder zusammen<br />

die für die Tätigkeit <strong>im</strong> Geschäftsjahr gewährten Gesamtbezüge<br />

(Gehälter, Gewinnbeteiligungen, Bezugsrechte und sonstige<br />

aktienbasierte Vergütungen, Aufwandsentschädigungen,<br />

Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder<br />

Art) anzugeben. Ebenso sind die Gesamtbezüge der früheren<br />

Mitglieder des Vorstandes insgesamt für die Vorstandsgruppe<br />

anzugeben (Abfindungen, Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge<br />

und Leistungen verwandter Art).<br />

Für die Vorstandsmitglieder sind künftig all diese Angaben nach<br />

einer Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene<br />

Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger<br />

Anreizwirkung zu erstellen. Sollten mit dem Gesetzentwurf<br />

die Aktionärsrechte gestärkt werden, können die Aktionäre auf<br />

dahingehende Rechte verzichten. Deshalb sieht der Entwurf vor,<br />

dass die Hauptversammlung mit Dreiviertel-Mehrheit auf die<br />

individuelle Offenlegung verzichten kann. Der Gesetzentwurf<br />

sieht auch Individualangaben für die Bezüge der früheren Vorstandsmitglieder<br />

hinsichtlich Abfindungen und Leistungen verwandter<br />

Art vor.<br />

Die Eckpunkte des Gesetzentwurfs <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />

Börsennotierte Aktiengesellschaften sollen künftig <strong>im</strong> Anhang<br />

zum Jahresabschluss für jedes einzelne Vorstandsmitglied die<br />

gesamten Bezüge unter Namensnennung angeben (aufgeteilt<br />

nach erfolgsunabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten<br />

sowie nach Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung).<br />

Offenlegung der individuellen Vorstandsgehälter sowie die Aufklärungspflicht<br />

des Aufsichtsrats über die angemessene Vergütung<br />

für jedes Vorstandsmitglied zur Information der Aktionäre.<br />

Ziel der Offenlegung ist die Information der Anteilseigner.<br />

Dazu sieht der Entwurf eine „Opting Out“-Regelung vor, mit<br />

der Aktionäre von der Entscheidung des Gesetzgebers für die<br />

individuelle Offenlegung absehen können. Dazu muss auf der<br />

Hauptversammlung ein entsprechender Beschluss mit einer<br />

Dreiviertel- Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen<br />

Grundkapitals gefasst werden. Der Beschluss gilt für höchstens<br />

fünf Jahre; danach ist eine neue Entscheidung der Hauptversammlung<br />

erforderlich.<br />

Die neuen Vorschriften knüpfen an die bisherigen gesetzlichen<br />

Regelungen zu den Angaben von Vorstandsbezügen an.<br />

Der Gesetzentwurf sieht Individualangaben für die Bezüge der<br />

früheren Vorstandsmitglieder in bezug auf Abfindungen und<br />

Leistungen verwandter Art vor.<br />

Der Gesetzesvorschlag verzichtet bewusst auf Regelungen, die<br />

bis ins letzte Detail gehen.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Regierungsentwurf ist auf den Webseiten des BMJ veröffentlicht.<br />

Zum direkten Aufrufen der pdf-Datei (70 Seiten) klicken<br />

Sie bitte hier.<br />

Weiterführende Details zum Corporate Governance finden Sie<br />

hier.<br />

Weitere Artikel dazu:<br />

Bundesregierung hat Gesetzentwurf zur Unternehmensintegrität<br />

und Modernisierung des Anfechtungsrechts<br />

(UMAG) eingebracht<br />

Deutscher Corporate Governance Kodex wurde nach Maßgabe<br />

der Beschlüsse der Cromme-Kommission geändert<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 24


Corporate Governance: EU-Kommission hat Konsultationsverfahren<br />

zu Direktorengehältern eingeleitet<br />

Dazu Fachliteratur aus unserem Verlagsprogramm:<br />

Hommelhoff, Hopt, v. Werder, Handbuch Corporate<br />

Governance<br />

Baetge/Lutter, Abschlussprüfung und Corporate Governance<br />

Geschäftsführer dürfen keine Forderungen<br />

des Unternehmens zur Besicherung eigener<br />

Verbindlichkeiten abtreten<br />

OLG Schleswig 27.1.2005, 5 U 72/04<br />

Geschäftsführer eines Unternehmens handeln rechtsmissbräuchlich,<br />

wenn sie Forderungen des Unternehmens an<br />

eine Bank abtreten, um damit eigene Verbindlichkeiten zu<br />

besichern. Die Abtretungsvereinbarung ist in einem solchen Fall<br />

unwirksam.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist eine KG, die sich mit dem Erwerb und der Verwertung<br />

von Immobilen beschäftigt. Der Geschäftsführer B. der<br />

Klägerin traf mit der beklagten Bank eine Abtretungsvereinbarung,<br />

mit welcher er der Beklagten eigene Forderungen, aber<br />

auch Forderungen der Klägerin, die ihr aus Miet- und Pachteinnahmen<br />

zustehen, an die Beklagte abtrat. Damit wollte er, da er<br />

über kein eigenes Vermögen verfügt, eigene Verbindlichkeiten<br />

besichern.<br />

Die Klägerin hielt diese Abtretungsvereinbarung für unwirksam.<br />

B. habe missbräuchlich gehandelt, als er der Beklagten die Forderungen<br />

abgetreten hat. Es handele sich bei den abgetretenen<br />

Forderungen fast um ihr gesamtes Vermögen. Der Beklagten sei<br />

dies und auch der Umstand bekannt gewesen, dass E. über kein<br />

eigenes Vermögen verfügte. Sie verlangte daher die Auszahlung<br />

der bisher von der Beklagten eingezogenen Miet- und Pachteinnahmen<br />

und begehrte die Feststellung, dass der Beklagten nicht<br />

die Berechtigung zur Einziehung der Miet- und Pachtforderungen<br />

zusteht. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte muss der Klägerin die bereits von ihr vereinnahmten<br />

Miet- und Pachtforderungen auszahlen. Außerdem ist sie<br />

nicht berechtigt, diese künftig weiterhin einzuziehen. Die Abtretungsvereinbarung<br />

zwischen dem Kläger und der Beklagten ist<br />

unwirksam.<br />

Der Kläger hat die ihm zustehende organschaftliche Vertretungsmacht<br />

grob missbräuchlich ausgenutzt, indem er zur Besicherung<br />

eigener Verbindlichkeiten Forderungen der Klägerin an<br />

die Beklagte abgetreten hat. Zwar ist es nicht die Aufgabe eines<br />

Kreditinstituts, ohne weiteren Anlass zu prüfen, ob der Abtretende<br />

auch dazu berechtigt ist, die Forderungen abzutreten. Etwas<br />

anderes gilt aber, wenn offensichtliche Zweifel an der Abtretungsberechtigung<br />

des Abtretenden bestehen.<br />

Im Streitfall musste die Beklagte davon ausgehen, dass E. zur<br />

Abtretung der Forderungen der Klägerin nicht berechtigt war.<br />

Ihr war bekannt, dass er über kein eigenes Vermögen verfügte.<br />

Sie hätte daher entsprechende Erkundigungen einholen müssen,<br />

ob E. zur Abtretung berechtigt war.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />

Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Bankrecht<br />

Deliktische Schadensersatzansprüche<br />

eines Anlegers wegen fahrlässiger Falschberatung<br />

verjähren innerhalb von drei Jahren<br />

BGH 8.3.2005, XI ZR 170/04<br />

Nach § 37a WpHG verjähren Schadensersatzansprüche<br />

eines Anlegers wegen Falschberatung innerhalb von drei<br />

Jahren. Diese Verjährungsvorschrift gilt auch für deliktische<br />

Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger Falschberatung.<br />

Da ein vertragliches Beratungsverschulden <strong>im</strong>mer auch zu einer<br />

deliktischen Haftung führt, würde andernfalls der mit § 37a<br />

WpHG verfolgte Zweck, die Haftungsrisiken für Anlageberater<br />

kalkulierbar zu machen, unterlaufen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

A. hatte nach Beratung durch die beklagte Bank am 8.2.2000<br />

mehrere risikoreiche Fondsanteile erworben, die bis Ende 2000<br />

erheblich an Wert verloren. A. warf der Bank daraufhin Beratungsfehler<br />

vor und trat ihre etwaigen Schadensersatzansprüche<br />

an den Kläger ab.<br />

Der Kläger verlangte mit seiner am 28.2.2003 erhobenen Klage<br />

von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von<br />

50.000 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe der Fondsanteile. Die<br />

Beklagte berief sich demgegenüber auf die Verjährung nach §<br />

37a WpHG. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />

von Schadensersatz. Etwaige Schadensersatzansprüche<br />

waren <strong>im</strong> Zeitpunkt der Klageerhebung bereits nach § 37a<br />

WpHG verjährt. Hiernach verjähren Schadensersatzansprüche<br />

gegen Anlageberater wegen Falschberatung innerhalb von drei<br />

Jahren nach Entstehung des Anspruchs. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch<br />

aus positiver Vertragsverletzung war daher<br />

<strong>im</strong> Zeitpunkt der Klageerhebung am 28.2.2003 bereits verjährt,<br />

da bereits der Erwerb der Anteile am 8.2.2000 als Schadenseintritt<br />

anzusehen ist und nicht etwa der spätere Kursverfall.<br />

Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen fahrlässiger Falschberatung<br />

ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. §<br />

31 Abs.2 S.1 Nr.2 WpHG. Zwar verjährten deliktische Schadensansprüche<br />

nach § 852 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden<br />

Fassung grundsätzlich erst innerhalb von 30 Jahren. Diese<br />

Vorschrift wird aber <strong>im</strong> Streitfall durch die speziellere dreijährige<br />

Verjährungsfrist nach § 37a WpHG verdrängt.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 25


Der Gesetzgeber verfolgte mit § 37a WpHG den Zweck, Anlageberatern<br />

innerhalb eines relative kurzen Zeitraums Gewissheit<br />

über etwaige Schadensersatzansprüche zu verschaffen. Anlageberater<br />

sollten dadurch motiviert werden, auch risikoreichere<br />

Titel junger innovativer Unternehmen zu empfehlen. Da bei<br />

Erfüllung des Tatbestands von § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 31<br />

Abs.2 S.1 Nr.2 WpHG <strong>im</strong>mer auch ein vertragliches Beratungsverschulden<br />

vorliegt, würde dieser Gesetzeszweck unterlaufen,<br />

wenn für deliktische Ansprüche eine dreißigjährige Verjährungsfrist<br />

gelten würde.<br />

Etwas anderes gilt lediglich für deliktische Schadensersatzansprüche<br />

wegen vorsätzlicher Falschberatung. In diesem Fall<br />

gibt es keinen Grund, von der Regelverjährung für deliktische<br />

Schadensersatzansprüche abzuweichen. Für eine vorsätzliche<br />

Falschberatung gibt es <strong>im</strong> Streitfall allerdings keine Anhaltspunkte.<br />

Der Hintergrund:<br />

Diese Entscheidung hat lediglich für Altfälle vor Inkrafttreten<br />

der Schuldrechtsreform am 1.1.2002 Bedeutung. Mit der Schuldrechtsreform<br />

wurde die dreißigjährige Verjährungsfrist für deliktische<br />

Schadensersatzansprüche (§ 852 BGB a.F.) abgeschafft.<br />

Anstatt dessen gilt inzwischen auch für diese Ansprüche gemäß<br />

§ 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren.<br />

Weitere Entscheidungen zum Thema:<br />

BGH: Geprellte Immobilienfonds-Anleger müssen Kredite<br />

nicht <strong>im</strong>mer zurückzahlen<br />

BGH: Anleger können bei Täuschung oder mangelnder<br />

Aufklärung ihre volle Einlage zurückfordern<br />

OLG Koblenz: Banken genügen auch mit einem knappen<br />

Hinweis auf das Risiko einer Geldanlage ihren Beratungspflichten<br />

(„Argentinien-Anleihen“)<br />

Banken dürfen die Konten ihrer Kunden<br />

nicht mit den Kosten der Rückgabe einer<br />

Lastschrift wegen fehlender Kontodeckung<br />

belasten<br />

BGH 8.3.2005, XI ZR 154/04<br />

Banken dürfen nach Rückgabe einer Lastschrift wegen fehlender<br />

Kontodeckung das Konto ihres Kunden nicht mit den Kosten der<br />

Rückbuchung belasten. <strong>Das</strong> gilt auch, wenn sie eine entsprechende<br />

Kostentragungspflicht nicht in ihren AGB regeln, sondern ihre<br />

Geschäftsstellen intern anweisen, die Kundenkonten mit den<br />

Kosten zu belasten. Eine solche interne Anweisung verstößt<br />

gegen das Umgehungsverbot des § 306a BGB.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist eine Verbraucherschutzzentrale. Sie beanstandete<br />

die Gebührenpraxis der beklagten Großbank bei der Rückgabe<br />

von Lastschriften mangels Kontodeckung.<br />

Der BGH hatte in Bezug auf einen ähnlichen Fall mit Urteil vom<br />

21.10.1997 (Az.: XI ZR 296/96) entschieden, dass allgemeine<br />

Geschäftsbedingungen (AGB), wonach die Konten des Bankkunden<br />

<strong>im</strong> Fall einer solchen Rückbuchung mit den hierbei entstehenden<br />

Kosten belastet werden, gegen § 9 AGBG verstoßen.<br />

Die Beklagte verzichtete seitdem zwar auf eine entsprechende<br />

Klausel in ihren AGB, wies ihre Geschäftsstellen aber intern<br />

an, die Kosten der Rückgabe einer Lastschrift be<strong>im</strong> Kunden als<br />

Schadensersatz geltend zu machen und sein Konto mit sechs<br />

Euro zu belasten.<br />

Dies begründete die Beklagte gegenüber betroffenen Kunden<br />

damit, dass ihr wegen Verletzung einer den Kunden treffenden<br />

Kontodeckungspflicht ein entsprechender Schadensersatzanspruch<br />

zustehe. Die Kontoauszüge der Kunden enthielten eine<br />

entsprechende Belastungsbuchung, die mit dem Hinweis „Lastschrift-Rückgabe<br />

vom ... 6 Euro“ versehen war.<br />

Der Kläger sah in der bundesweit einheitlichen Praxis der<br />

Beklagten ein Verwenden von unzulässigen AGB. Seine Unterlassungsklage<br />

hatte vor dem BGH Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte darf die Konten ihrer Kunden bei Rückgabe einer<br />

Lastschrift mangels Kontodeckung nicht mit den Kosten der<br />

Rückbuchung belasten. Die entsprechende Praxis stellt zwar<br />

keine allgemeine Geschäftsbedingung dar, weil sich die interne<br />

Anweisung nicht als Vertragsbedingung qualifizieren lässt.<br />

Sie verstößt aber gegen das Umgehungsverbot des § 306a BGB.<br />

Nach dieser Vorschrift finden die Vorschriften über die Inhaltskontrolle<br />

von AGB auch dann Anwendung, wenn sie durch eine<br />

anderweitige Gestaltung umgangen werden.<br />

Eine solche Umgehung liegt <strong>im</strong> Streitfall vor. Die interne Anweisung<br />

der Beklagten, die Kundenkonten bei Rückgabe einer Lastschrift<br />

mit den hierfür entstehenden Kosten zu belasten, ist<br />

genauso effektiv wie die 1997 für unzulässig erklärten AGB, da<br />

wirtschaftlich das gleiche Ergebnis erzielt wird. Folglich unterliegt<br />

auch die interne Anweisung der Inhaltskontrolle der §§ 307<br />

bis 309 BGB.<br />

Die interne Anweisung der Beklagten verstößt gegen § 307 Abs.1<br />

S.2 BGB, weil sie die Bankkunden unangemessen benachteiligen.<br />

Die Beklagte hat in diesen Fällen keinen Schadensersatzanspruch<br />

gegen ihre Kunden, weil diese ihr gegenüber nicht<br />

verpflichtet sind, für die Einlösung von Lastschriften eine ausreichende<br />

Deckung vorzuhalten. Die Beklagte kann diese Kosten<br />

vielmehr nur von der Gläubigerbank ersetzt verlangen, die<br />

den Betrag dem Gläubiger in Rechnung stellen kann. Nur dieser<br />

kann dann gegebenenfalls den Schuldner in Regress nehmen.<br />

Anleger haben gegen den Staat keinen<br />

Amtshaftungsanspruch wegen Fehler bei<br />

der Bankenaufsicht<br />

BGH 20.1.2005, III ZR 48/01<br />

Anleger, die nach dem Konkurs einer Bank Verluste erleiden, haben<br />

gegen den Staat keinen Amtshaftungsanspruch wegen Fehler der<br />

Bankenaufsicht. Die Bankenaufsicht wird nach § 4 Abs.4 FinDAG<br />

(früher § 6 Abs.4 KWG) lediglich <strong>im</strong> öffentlichen Interesse tätig,<br />

so dass Private aus einer Pflichtverletzung keine Rechte ableiten<br />

können. Wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der EU-Einlag<br />

ensicherungsrichtlinie können Betroffene vom Staat allerdings<br />

Schadensersatz in Höhe von bis zu 20.000 Euro verlangen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger hatten Konten bei der Düsseldorfer BHV-Bank. Diese<br />

gehörte keinem Einlagesicherungssystem an und hatte 1987<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 26


vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Erlaubnis zum<br />

Betrieb von Bankgeschäften erhalten. Die Bank geriet Anfang<br />

der 90er Jahre in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im November<br />

1997 stellte das Bundesaufsichtsamt Konkursantrag und entzog<br />

der Bank die Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften. <strong>Das</strong><br />

Konkursverfahren wurde am 1.12.1997 eröffnet.<br />

Die Kläger sind mit ihren Einlagen vom Vermögensverfall der<br />

Bank betroffen. Sie verlangten von der beklagten Bundesrepublik<br />

den Ersatz ihres Schadens. Ihre hierauf gerichtete Klage<br />

begründeten sie damit, dass Deutschland die EU- Einlagensicherungsrichtlinie<br />

nicht rechtzeitig vor dem 1.7.1995 in das nationale<br />

Recht umgesetzt habe. Außerdem sei das Bundesaufsichtsamt<br />

seiner Verpflichtung zur Bankenaufsicht nicht ordnungsgemäß<br />

nachgekommen.<br />

<strong>Das</strong> LG gab der Klage wegen verspäteter Umsetzung der Einlagensicherungsrichtlinie<br />

<strong>im</strong> Rahmen der nach dieser Richtlinie<br />

vorgesehenen Haftungshöchstgrenze von 20.000 Euro statt<br />

und wies sie wegen des darüber hinausgehenden Schadens ab.<br />

Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Kläger blieben ohne<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kläger haben gegen Deutschland keinen über den zugesprochenen<br />

Betrag hinausgehenden Schadensersatzanspruch.<br />

Als Anspruchsgrundlage hierfür kommt nur ein Amtshaftungsanspruch<br />

gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 S.1 GG<br />

in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür liegen jedoch nicht<br />

vor, weil das Bundesaufsichtsamt gegenüber den Klägern keine<br />

Amtspflichten wahrzunehmen hatte, da es die ihm zugewiesenen<br />

Aufgaben nach § 6 Abs.4 KWG (jetzt § 4 Abs.4 FinDAG) ausschließlich<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Interesse wahrn<strong>im</strong>mt.<br />

Dieser Ausschluss der Staatshaftung wegen unzureichender<br />

Bankenaufsicht ist rechtmäßig und verstößt insbesondere nicht<br />

gegen EU-Recht. <strong>Das</strong> ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom<br />

12.10.2004 (Rs.: C-222/02), den der Senat in dieser Sache um<br />

eine Vorabentscheidung gebeten hatte. Der EuGH hat entschieden,<br />

dass Anleger auf Grund des Gemeinschaftsrechts nicht verlangen<br />

können, dass die zuständigen Behörden in ihrem Interesse<br />

Aufsichtsmaßnahmen treffen. <strong>Das</strong> Gemeinschaftsrecht<br />

steht daher einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der<br />

die nationale Behörde ihre Aufsicht über Kreditinstitute nur <strong>im</strong><br />

öffentlichen Interesse wahrn<strong>im</strong>mt.<br />

§ 6 Abs.4 KWG und § 4 Abs.4 FinDAG verstoßen auch nicht<br />

gegen Best<strong>im</strong>mungen des GG. Der Gesetzgeber hat mit diesen<br />

Regelungen insbesondere nicht gegen die grundsätzlich nach<br />

Art. 34 S.1 GG gewährleistete Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen<br />

verstoßen. Er durfte mit Rücksicht auf die<br />

unübersehbare Vielzahl von Anlegern und angesichts der Komplexität<br />

der Bankenaufsicht und des von ihr zu beaufsichtigenden<br />

Bereichs die Haftung gegenüber nur mittelbar von Aufsichtsmaßnahmen<br />

Begünstigten ausschließen.<br />

Es liegt auch keine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14<br />

GG vor. Aus Art. 14 GG ergibt sich zwar möglicherweise die<br />

Schutzpflicht des Gesetzgebers, Unternehmen der Kreditwirtschaft<br />

zu beaufsichtigen. Diesem Auftrag ist der Gesetzgeberaber<br />

durch die <strong>im</strong> KWG und FinDAG vorgesehenen Aufsichtsmaßnahmen<br />

aber nachgekommen. Dem Gesetzgeber ist insoweit<br />

ein weiter Gestaltungsraum zuzubilligen. Es ist nicht ersichtlich,<br />

dass die getroffenen Regelungen gänzlich ungeeignet und völlig<br />

unzulänglich sind, um das Schutzziel zu erreichen.<br />

Linkhinweis:<br />

Für den Volltext der auf der Website des EuGH veröffentlichten<br />

Vorabentscheidung in dieser Sache klicken Sie bitte hier.<br />

<strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis steht einer Forderungsabtretung<br />

nicht entgegen<br />

LG Frankfurt a.M. 11.1.2005, 2-21 O 96/02<br />

Banken sind trotz ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht<br />

gehindert, Forderungen aus Verträgen mit Kunden abzutreten.<br />

Eine Abtretung ist daher nicht deshalb unwirksam, weil sie unter<br />

Verletzung des Bankgehe<strong>im</strong>nisses erfolgt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer<br />

Bank. Die Beklagten hatten dieser Bank zur Sicherung von Darlehen<br />

und aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus<br />

den Geschäftsverbindungen ihre Aktiendepots verpfändet. Nach<br />

Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Bank<br />

trat der Kläger das Kreditportfolio der Bank an die Firma H. ab<br />

- darunter insbesondere unter Nennung der Kontonummern der<br />

Beklagten auch die streitgegenständlichen Darlehensforderungen.<br />

Die Beklagten haben die Refinanzierungsdarlehensbeträge<br />

bis heute nicht zurückgezahlt.<br />

Der Kläger verlangte von den Beklagten, die Darlehensbeträge<br />

an die Firma H. zu zahlen. Die hierauf gerichtete Klage hatte<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger durfte die Forderungen aus den Refinanzierungsdarlehen<br />

an die Firma H. abtreten und kann von den Beklagten Zahlung<br />

an diese Firma verlangen.<br />

Die Abtretung der Forderungen ist nicht gemäß § 134 BGB<br />

wegen Verstoßes gegen das Bankgehe<strong>im</strong>nis nichtig. <strong>Das</strong> Bankgehe<strong>im</strong>nis<br />

ist nicht strafrechtlich geschützt und betrifft auch<br />

keinen sensiblen Lebensbereich, wie dies zum Beispiel bei dem<br />

Verhältnis von Arzt und Patient sowie <strong>Anwalt</strong> und Mandant der<br />

Fall ist. So sind die Forderungen von Ärzten und Rechtsanwälten<br />

gegen ihre Patienten und Mandanten nicht abtretbar. Diese<br />

Rechtsprechung ist jedoch auf das Verhältnis einer Bank zu ihren<br />

Kunden nicht übertragbar, weil dieses Verhältnis nicht mit den<br />

oben erwähnten sensiblen Bereichen vergleichbar ist.<br />

Die Wirksamkeit der Forderungsabtretung scheitert auch nicht<br />

an den Vorschriften des BDSG. Zwar ist gemäß § 4 Abs.1<br />

BDSG die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener<br />

Daten unzulässig. Jedoch liegt dann kein Verstoß gegen<br />

das BDSG vor, wenn die Abtretung zur Wahrung der berechtigten<br />

Interessen der Bank erforderlich ist und kein Grund zu der<br />

Annahme besteht, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen<br />

überwiegen (§ 28 Abs.1 Nr.2 BDSG). <strong>Das</strong> Interesse des<br />

Betroffenen an Vertraulichkeit ist jedenfalls dann nicht vollumfänglich<br />

schutzwürdig, wenn er sich seinerseits nicht vertragsgerecht<br />

verhält. Im Streitfall haben sich die Beklagten nicht vertragsgerecht<br />

verhalten. Die Refinanzierungsdarlehen waren nach<br />

Ablauf der Laufzeit zum 11.1.2002 zur Rückzahlung fällig. Die<br />

Beklagten haben diese verweigert und befinden sich demzufolge<br />

<strong>im</strong> Zahlungsverzug.<br />

Die Abtretung ist auch nicht gemäß §§ 399, 400 BGB unwirksam.<br />

Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Bank, wie sie in<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 27


ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen niedergelegt ist, beinhaltet<br />

kein stillschweigend vereinbartes Verbot der Abtretung der<br />

streitgegenständlichen Forderungen mit der Folge der Unwirksamkeit<br />

der Abtretung.<br />

Der Hintergrund:<br />

<strong>Das</strong> OLG Frankfurt entschied mit Urteil vom 25.5.2004 (Az.:<br />

8 U 84/04), dass bei Vereinbarung eines Bankgehe<strong>im</strong>nisses<br />

zugleich ein stillschweigendes Abtretungsverbot zwischen den<br />

Parteien vereinbart wurde. Die herrschende Meinung geht <strong>im</strong><br />

Gegensatz dazu davon aus, dass eine Abtretung als solche wirksam<br />

ist, aber bei Offenbarung eines Gehe<strong>im</strong>nisses <strong>im</strong> Zuge der<br />

Abtretung die Bank dem Kunden zum Schadensersatz verpflichtet<br />

ist. <strong>Das</strong> LG folgte dieser Ansicht und begründete dies auch<br />

mit den erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Banken an<br />

Forderungsverkäufen. Die der Bank bei Verletzung des Bankgehe<strong>im</strong>nisses<br />

drohende Schadensersatzpflicht stelle zudem eine<br />

den wirtschaftlichen Bedürfnissen angemessene Sanktion dar.<br />

Wettbewerbsrecht<br />

und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Zur Abgrenzung wettbewerbswidriger Telefonwerbung<br />

gegenüber Verbrauchern und<br />

gegenüber Gewerbetreibenden<br />

OLG Köln 5.11.2004, 6 U 88/04<br />

Für die Zulässigkeit der Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern<br />

gelten strengere Voraussetzungen als für die Telefonwerbung<br />

gegenüber Gewerbetreibenden. Daher muss bereits <strong>im</strong><br />

Klageantrag danach unterschieden werden, ob Anrufe gegenüber<br />

Verbrauchern oder Gewerbetreibenden untersagt werden sollen.<br />

Telefonwerbung gegenüber einem Gewerbetreibenden liegt vor,<br />

wenn eine gewerbliche Nummer angerufen wird. Dieser Anruf<br />

bleibt auch dann gewerblich, wenn der Unternehmer die Anrufe<br />

automatisch an seine Privatnummer weiterleiten lässt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist ein Dachverband von Verbraucherzentralen. Die<br />

Beklagte betreibt einen Weinhandel. Anfang April 2003 bewarb<br />

sie ihr Angebot telefonisch. Dabei rief sie unter anderem eine<br />

Blumenhandlung an. Auf Grund einer automatischen Rufnummerumleitung<br />

ging der Anruf be<strong>im</strong> Privatanschluss der Inhaberin<br />

der Blumenhandlung ein.<br />

Der Kläger beurteilte die Telefon-Werbeaktion der Beklagten<br />

als wettbewerbswidrig und klagte auf Unterlassung. Wortwörtlich<br />

war der Antrag darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen,<br />

es zu unterlassen, „Verbraucher ohne deren ausdrückliches oder<br />

stillschweigendes Einverständnis anzurufen oder anrufen zu lassen“.<br />

<strong>Das</strong> LG gab der hierauf gerichteten Klage durch Versäumnisurteil<br />

statt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten<br />

hob das OLG das Versäumnisurteil auf.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klage ist unbegründet, weil es bezüglich des begehrten Verbots<br />

von Telefonanrufen gegenüber Verbrauchern an einer Erstbegehungsgefahr<br />

fehlt und die tatsächlich begangene Verletzungshandlung<br />

vom Klageantrag nicht erfasst wird.<br />

<strong>Das</strong> LG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der fragliche<br />

Werbeanruf der Beklagten ein unlauteres Wettbewerbsverhalten<br />

<strong>im</strong> Sinn von § 7 Abs.2 Nr.2 UWG n.F. darstellt. Hiernach<br />

ist eine Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern ohne deren<br />

Einwilligung oder gegenüber sonstigen Marktteilnehmern ohne<br />

deren mutmaßliche Einwilligung unzulässig. Die Beklagte hat<br />

ihr Weinangebot gegenüber einer Blumenhandlung telefonisch<br />

beworben. Für ein mutmaßliches Einverständnis der Inhaberin<br />

des Blumenhandels mit einem solchen Werbeanruf gibt es keine<br />

Anhaltspunkte, da zwischen Wein und Blumen keinerlei Sachbezug<br />

besteht.<br />

Der Klageantrag ist aber lediglich auf die Unterlassung von<br />

Verletzungshandlungen gegenüber Verbrauchern gerichtet. Die<br />

Beklagte hat jedoch keinen Verbraucher, sondern eine Gewerbetreibende<br />

angerufen. Da § 7 Abs.2 Nr.2 UWG n.F. die Zulässigkeit<br />

von Werbeanrufen gegenüber Verbrauchern und gegenüber sonstigen<br />

Marktteilnehmern von unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

abhängig macht, ist diese Unterscheidung auch von Bedeutung.<br />

Die Abgrenzung ist nicht nach dem Inhalt der jeweiligen Werbung<br />

vorzunehmen. Vielmehr ist entscheidend, unter welcher<br />

Rufnummer der Anruf erfolgt ist. Anrufe unter einer Privatnummer<br />

sind demnach stets Werbung gegenüber Verbrauchern und<br />

Anrufe unter einer gewerblichen Nummer solche gegenüber<br />

sonstigen Marktteilnehmern. Dabei ist nur auf die unmittelbar<br />

angerufene Nummer abzustellen und nicht auf etwaige Umleitungen<br />

auf private oder gewerbliche Anschlüsse. Im Streitfall<br />

liegt daher ein vom Klageantrag nicht erfasster Werbeanruf<br />

gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer vor.<br />

Deutsche Übersetzung eines englischen<br />

Markennamens begründet nicht in jedem<br />

Fall eine Verwechslungsgefahr<br />

EuG 9.3.2005, T-33/03<br />

Eine ähnliche Bedeutung zweier Marken führt nicht zwingend<br />

zu einer Verwechslungsgefahr. Daher kann <strong>im</strong> Einzelfall auch<br />

die deutsche Übersetzung eines bereits geschützten englischen<br />

Markennamens als Gemeinschaftsmarke eingetragen werden.<br />

<strong>Das</strong> gilt jedenfalls dann, wenn die Marken in bildlicher und<br />

klanglicher Hinsicht leicht zu unterscheiden sind und die<br />

jeweiligen Waren in erster Linie „nach Sicht“ gekauft oder<br />

mündlich bestellt werden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin vertreibt unter der eingetragenen Bildmarke<br />

„SHARK“ ein Energiegetränk. Ein anderer Getränkehersteller<br />

beantragte für das von ihm vertriebene Energiegetränk die Eintragung<br />

des Wortzeichens „Hai“ als Gemeinschaftsmarke. <strong>Das</strong><br />

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt gab dem Antrag statt.<br />

Mit der hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend,<br />

dass zwischen dem angemeldeten Zeichen und der älteren<br />

Marke „SHARK“ eine Verwechslungsgefahr bestehe. Die Klage<br />

hatte keinen Erfolg.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 28


Die Gründe:<br />

Zwischen der angemeldeten Wortmarke „Hai“ und der bereits<br />

eingetragenen Bildmarke „SHARK“ besteht keine Verwechslungsgefahr.<br />

Zwar sollen hiermit ähnliche Waren gekennzeichnet<br />

werden, nämlich jeweils ein Energiegetränk. In bildlicher<br />

Hinsicht weisen die beiden Zeichen aber keinerlei Ähnlichkeit<br />

auf, da nur die Marke „SHARK“ in Bildform erscheint. Auch in<br />

klanglicher Hinsicht sind die beiden Zeichen ohne weiteres voneinander<br />

zu unterscheiden.<br />

Zwar bedeutet das Wort „SHARK“ ins Deutsche übersetzt „Hai“.<br />

Diese begriffliche Ähnlichkeit führt jedoch <strong>im</strong> Streitfall nicht zu<br />

einer Verwechslungsgefahr. Energiegetränke werden in erster<br />

Linie von einem jungen markenbewussten Publikum gekauft -<br />

und zwar entweder in einem Geschäft und hier vor allem „nach<br />

Sicht“ oder in Restaurants, Cafes oder Bars, wo sie mündlich<br />

bestellt werden. Daher kommt es hier für die Beurteilung der<br />

Markenähnlichkeit in erster Linie auf die (hier nicht bestehende)<br />

Ähnlichkeit in bildlicher und klanglicher Hinsicht. Die Bedeutungsähnlichkeit<br />

tritt dahinter zurück.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />

veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Händler-Werbung mit „Direktverkauf ab<br />

Werk“ kann wettbewerbswidrig sein<br />

BGH 20.1.2005, I ZR 96/02<br />

Es kann wettbewerbswidrig sein, wenn ein Händler mit den<br />

Angaben „Direkt ab Werk - kein Zwischenhandel - garantierter<br />

Tief-Preis“ wirbt. Hierin liegt eine nach § 5 Abs.1 UWG (§ 3<br />

UWG a.F.) unzulässige Täuschung über die Preisbemessung,<br />

wenn der Händler die Ware nicht zu Herstellerpreisen anbietet,<br />

sondern diese Preise um eine eigene Gewinnspanne erhöht.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Parteien betreiben beide einen Fahrrad-Einzelhandel. Der<br />

Beklagte hatte für seine Fahrräder teilweise mit den Angaben<br />

„Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel - garantierter Tief-Preis“<br />

geworben. Diese Ware stammt zwar direkt vom Hersteller. Der<br />

Beklagte bot die Fahrräder aber nicht zu den Abgabepreisen des<br />

Herstellers an, sondern rechnete seine eigene Gewinnspanne ein.<br />

Der Kläger hielt die Werbung für irreführend und verlangte<br />

Unterlassung. Der Beklagte täusche über die Preisgestaltung,<br />

weil er den Verbrauchern einen Verkauf zu Werkspreisen vorspiegele.<br />

Die Unterlassungsklage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die beanstandete Werbung ist irreführend <strong>im</strong> Sinn von § 5 Abs.1<br />

UWG (§ 3 UWG a.F.) und deshalb wettbewerbswidrig. Der<br />

Beklagte täuscht mit den Angaben „Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel<br />

- garantierter Tief-Preis“ über die Preisbemessung.<br />

Die Werbung erweckt be<strong>im</strong> durchschnittlichen Verbraucher den<br />

Eindruck, dass die Fahrräder zu den Abgabepreisen des Herstellers<br />

angeboten werden. Tatsächlich hat der Beklagte die Herstellerpreise<br />

aber um seine eigene Gewinnspanne erhöht.<br />

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn die Werbung, wie<br />

vom Beklagten behauptet, dahingehend zu verstehen ist, dass<br />

zwischen dem Hersteller und dem Beklagten kein Zwischenhändler<br />

eingeschaltet ist. Auch in diesem Fall erweckt die Werbung<br />

nicht nur den Eindruck irgendeines Preisvorteils. Aus<br />

der Kombination der Angaben „Direkt ab Werk- kein Zwischenhandel“<br />

mit dem Versprechen „garantierter Tief-Preis“<br />

folgt auch bei dieser Auslegung, dass die Verbraucher einen<br />

Direktbezug „ab Werk“ erwarten. Ein solcher Direktbezug ist<br />

untrennbar mit der Vorstellung verbunden, dass der Preis dem<br />

Herstellerpreis entspricht.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BGH veröffentlicht.<br />

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Unternehmensberater dürfen über die Vergabe<br />

öffentlicher Fördermittel beraten<br />

BGH 24.2.2005, I ZR 128/02<br />

Es stellt keine unzulässige Rechtsberatung dar, wenn Unternehmensberater,<br />

die nicht über eine Erlaubnis nach dem<br />

RBerG verfügen, Unternehmen in Bezug auf die Beantragung<br />

und Vergabe öffentlicher Fördermittel beraten. Eine solche<br />

Beratung findet überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet statt<br />

und bezweckt die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange. Eine<br />

Erlaubnis nach dem RBerG ist daher nicht erforderlich.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagten sind Unternehmensberater. Sie warben damit,<br />

dass sie Unternehmen in Bezug auf die Beantragung und Vergabe<br />

öffentlicher Fördermittel beraten. Hierzu verwandten sie<br />

unter anderem folgende Slogans:<br />

„Wir helfen Ihnen bei der Auswahl des richtigen (Förder )Programms,<br />

zugeschnitten auf ihren persönlichen Bedarf, und<br />

unterstützen Sie bei der Beantragung der Gelder durch erfahrene<br />

Evaluierungsgutachter“<br />

„Unternehmensberater „können“ helfen, Förder- oder Kreditmittel<br />

in der opt<strong>im</strong>alen Kombination zu beantragen“<br />

Der Kläger ist Rechtsanwalt und auf dem Gebiet des Subventionsrechts<br />

tätig. Er hielt die Werbung der Beklagten für<br />

wettbewerbswidrig, weil sie eine unzulässige Rechtsberatung<br />

betreffe. Die Beklagten verfügten über keine Erlaubnis nach<br />

dem RBerG, obwohl die Beratung auf dem Gebiet der öffentlichen<br />

Fördermittel schwerpunktmäßig Rechtsberatung sei. Seine<br />

Unterlassungsklage hatte vor dem BGH keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Werbung der Beklagten ist nicht wettbewerbswidrig. Die<br />

von den Beklagten beworbene Beratung <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Beantragung und Vergabe öffentlicher Fördermittel findet überwiegend<br />

auf wirtschaftlichem Gebiet statt und bezweckt die<br />

Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange. Eine solche Beratung<br />

befasst sich in erster Linie damit, welche Fördermittelprogramme<br />

vorhanden sind und welche Programme auf das zu beratende<br />

Unternehmen zugeschnitten sind. Die Beratung über öffentliche<br />

Fördermittel stellt sich damit als wirtschaftlich notwendiger Teil<br />

der Unternehmensberatung dar. Ob ein Unternehmensberater <strong>im</strong><br />

Einzelfall eine unzulässige Rechtsberatung erteilt, stand <strong>im</strong> vorliegenden<br />

Fall nicht zur Entscheidung an.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 29


Verfahrensrecht<br />

Die Bezeichnung einer Methode als „unseriös“<br />

begründet keine Befangenheit eines<br />

Sachverständigen<br />

OLG Saarbrücken 16.9.2004, 5 W 196/04-67<br />

Sachverständige können wegen der Besorgnis der Befangenheit<br />

abgelehnt werden, wenn ihre Formulierungen Anlass zu der<br />

Annahme geben, dass sie nicht unparteiisch sind. Dies ist<br />

insbesondere bei überzogenen Äußerungen, die keiner sachlichen<br />

Diskussion zugänglich sind, der Fall. Diese Grenze ist noch nicht<br />

überschritten, wenn der Sachverständige in seinem Gutachten<br />

von „unseriösen“ Methoden spricht.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin n<strong>im</strong>mt die Beklagten wegen einer fehlerhaft durchgeführten<br />

Operation an ihrer Wirbelsäule auf Zahlung von Schadensersatz<br />

und Schmerzensgeld in Anspruch. <strong>Das</strong> Gericht beauftragte<br />

einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Falls. In<br />

seinem Gutachten stellte er unter anderem fest, dass „kein seriöser<br />

Wirbelsäulenchirurg“ die Operation derart durchgeführt hätte.<br />

Die Beklagten lehnten den Sachverständigen wegen der Besorgnis<br />

der Befangenheit ab. Sie vertraten die Auffassung, dass die<br />

Formulierung „unseriös“ eine Diskr<strong>im</strong>inierung darstelle. Ihr<br />

Befangenheitsantrag hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Sachverständige muss nicht wegen Besorgnis der Befangenheit<br />

ablehnt werden. Gemäß § 406 Abs.1 ZPO kann eine<br />

Sachverständiger abgelehnt werden, wenn Zweifel an seiner<br />

Unparteilichkeit bestehen. Die Äußerung „kein seriöser Wirbelsäulenchirurg“<br />

gibt keinen Anlass, die Unparteilichkeit des<br />

Medizin-Sachverständigen zu bezweifeln.<br />

Die Ausdrucksweise eines Sachverständigen kann dann Anlass zur<br />

Besorgnis der Befangenheit geben, wenn sie überzogen und einer<br />

sachlichen Auseinadersetzung nicht zugänglich ist. Im Streitfall<br />

stellt sich die Äußerung des Sachverständigen nicht als überzogen<br />

dar. Angesichts der Komplexität der Materie in einem Arzthaftungsprozess<br />

ist das Gericht auf eine sehr deutliche Ausdrucksweise<br />

des Sachverständigen angewiesen. Denn für die rechtliche<br />

Beurteilung eines Behandlungsfehlers ist nicht nur die Frage „ob“,<br />

sondern auch in welchem Umfang ein Fehler vorliegt, entscheidend.<br />

Insofern ist eine deutliche Sprache unabdingbare Voraussetzung<br />

für ein Gutachten. <strong>Das</strong> Wort „unseriös“ ist Ausdruck einer<br />

solchen deutlichen Sprache. Es ist, anders als beispielsweise beleidigende<br />

Worte, einer sachlichen Auseinandersetzung zugänglich.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />

Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

erlischt die zuvor erteilte Prozessvollmacht<br />

OLG Karlsruhe 30.9.2004, 19 U 2/04<br />

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt gemäß<br />

§§ 115, 116, 117 InsO die dem Prozessbevollmächtigten<br />

erteilte Vollmacht. Eine ohne erneute Erteilung einer Vollmacht<br />

eingelegte Berufung ist unzulässig. Die Kosten des unzulässigen<br />

Berufungsverfahren muss der Prozessbevollmächtigte tragen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger zu 1) bis 3) nahmen die Beklagte aus einem inzwischen<br />

beendeten Mietverhältnis auf Schadensersatz in Anspruch.<br />

Dem Verfahren sind auf Seiten der Beklagten mehrere Streithelferinnen<br />

beigetreten. Durch Teil-Urteil wies das LG die Klage<br />

der Kläger zu 1) und 2) ab. Die hiergegen gerichtete Berufung<br />

wies das OLG zurück.<br />

Am 17.5.2002 wurde über das Vermögen des Klägers zu 3) das<br />

Insolvenzverfahren eröffnet worden, das nach Ankündigung<br />

gemäß § 291 InsO am 11.8.2003 wieder aufgehoben wurde. Im<br />

daraufhin wieder aufgenommenen Verfahren wies das LG auch<br />

die Klage des Klägers zu 3) ab.<br />

Hiergegen legte Rechtsanwalt R., der den Kläger zu 3) schon<br />

<strong>im</strong> Verfahren vor dem LG vertreten hatte, frist- und formgerecht<br />

Berufung ein. Eine der Streithelferinnen rügte das Bestehen<br />

einer Prozessvollmacht des R. Zum Senatstermin vom 15.9.2004<br />

erschienen weder der Kläger zu 3) noch R. <strong>Das</strong> OLG wies die<br />

Berufung durch unechtes Versäumnis-Urteil als unzulässig ab.<br />

Die Gründe:<br />

Die durch R. eingelegte Berufung ist unzulässig, da der Kläger<br />

zu 3) zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung durch diesen<br />

nicht mehr ordnungsgemäß vertreten war. Selbst wenn ursprünglich<br />

eine wirksame Bevollmächtigung vorgelegen haben sollte,<br />

ist diese gemäß §§ 115, 116, 117 InsO durch die Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens erloschen.<br />

Mit dem Aufschub der Geschäftsbesorgung durch R. war auch<br />

keine Gefahr verbunden, so dass die Prozessvollmacht auch<br />

nicht aus diesem Grund gemäß §§ 115 Abs.2, 117 Abs.2 InsO<br />

als fortbestehend zu behandeln war. Dieser Tatbestand entfällt<br />

bereits deshalb, weil das Verfahren ein Jahr seit Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens nicht betrieben worden war.<br />

R. trägt die Kosten des unzulässigen Berufungsverfahrens. Fehlt<br />

eine wirksame Bevollmächtigung, so sind grundsätzlich demjenigen<br />

die Prozesskosten aufzuerlegen, der den nutzlosen Verfahrensaufwand<br />

veranlasst hat. Im Streitfall wusste R., dass über<br />

das Vermögen des Klägers zu 3) das Insolvenzverfahren eröffnet<br />

worden war. Als Rechtskundigem waren ihm daher auch die Folgen<br />

der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach den §§ 115 bis<br />

117 InsO bekannt.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 30


Anwälte müssen bei Berufungsbegründungsfristen<br />

die Eintragung von Vorfristen<br />

sicherstellen<br />

OLG Frankfurt 9.8.2004, 9 U 44/04<br />

Es stellt einen Organisationsmangel dar, wenn der <strong>Anwalt</strong> sein<br />

Büropersonal nicht anweist, bei Berufungsbegründungsfristen<br />

eine Vorfrist einzutragen. Dies ist notwendig, weil der <strong>Anwalt</strong> zur<br />

Vorbereitung der Berufungsbegründung Zeit benötigt. Werden<br />

in einem <strong>Anwalt</strong>sbüro keine Vorfristen notiert und kommt es<br />

zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, so kann keine<br />

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger wandte sich mit einer Vollstreckungsabwehrklage<br />

gegen die Beklagte, die aus einer Grundschuld gegen ihn vorgegangen<br />

war. <strong>Das</strong> LG wies die Klage ab. Gegen das am 6.5.2004<br />

zugestellte Urteil legte der Klägervertreter mit Schriftsatz vom<br />

4.6.2004, der am 6.6.2004 bei Gericht einging, Berufung ein.<br />

Die einen Wiedereinsetzungsantrag enthaltende Berufungsbegründungsschrift<br />

ist erst am 8.7.2004 bei Gericht eingegangen.<br />

Der Klägervertreter begründete den Wiedereinsetzungsantrag<br />

damit, dass die mit der Fristenkontrolle beauftragte <strong>Anwalt</strong>sgehilfin<br />

X. am 6.7.2004 versehentlich eine Fristenkontrolle unterlassen<br />

und den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erst am<br />

Nachmittag des 7.7.2004 festgestellt habe. X. sei eine zuverlässige<br />

Fachkraft, der insoweit noch niemals ein Fehler oder ein Versäumnis<br />

unterlaufen sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag legte der<br />

Klägervertreter eine entsprechende eidesstattliche Versicherung<br />

der X. vom 8.7.2004 bei.<br />

<strong>Das</strong> OLG verwarf die Berufung des Klägers als unzulässig.<br />

Die Gründe:<br />

Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist<br />

des § 520 Abs.2 Nr.1 ZPO begründet wurde. Dem Kläger kann<br />

wegen der Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen<br />

Stand gewährt werden, weil sich aus den Darlegungen seines<br />

Prozessvertreters nicht ergibt, dass dieser ohne Verschulden an<br />

der Einhaltung der Frist gehindert war. <strong>Das</strong> Verschulden seines<br />

Prozessvertreters muss sich der Kläger gemäß § 85 Abs.2 ZPO<br />

zurechnen lassen.<br />

Die Wiedereinsetzungsgründe müssen gem. § 236 Abs.2 ZPO <strong>im</strong><br />

Antrag bezeichnet werden. Dabei müssen diese Angaben hinreichend<br />

substantiiert sein. Jede Unklarheit, die ein Verschulden möglich<br />

erscheinen lässt, ist zu Lasten der säumigen Partei zu werten.<br />

Aus dem Vortrag des Klägervertreters geht nicht hervor, warum<br />

X. trotz ordnungsgemäßer Eintragung der Berufungsbegründungsfrist<br />

<strong>im</strong> PC und Fristenkalender die Fristenkontrolle am<br />

6.7.2004 unterließ. Ein Verschulden des Klägervertreters hätte<br />

nur dann ausgeschlossen werden können, wenn er dargelegt hätte,<br />

welche Weisungen er seinem Büropersonal <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

die Fristenkontrolle gegeben hat, wie die Fristnotierung ausgestaltet<br />

war, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um mögliche<br />

Fehlerrisiken auszuschließen, und inwieweit die X. auf Grund<br />

ihrer Ausbildung und Berufserfahrung in der Lage war, die an sie<br />

delegierte Aufgabe zu erfüllen.<br />

Zu diesen Substantiierungsmängeln kommt hinzu, dass der Klägervertreter<br />

sein Personal offenbar nicht angewiesen hat, Vorfristen<br />

zu notieren. Dies stellt einen Organisationsmangel dar.<br />

Bei Berufungsbegründungsfristen ist die Eintragung von Vorfristen<br />

schon deshalb notwendig, weil zur Vorbereitung der Beru-<br />

fungsbegründung Zeit benötigt wird. <strong>Das</strong> Gericht musste den<br />

Klägervertreter nicht auf die Mängel des Wiedereinsetzungsgesuchs<br />

hinweisen, da ein Nachschieben oder Nachholen von relevanten<br />

Angaben nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist nach §<br />

234 Abs.1 ZPO grundsätzlich unzulässig ist.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bei<br />

bestehendem Anspruch auf einen Prozesskostenvorschusses<br />

unter Eheleuten<br />

OLG Frankfurt 18.11.2004, 19 W 33/04<br />

Wer Anspruch auf die Zahlung eines Prozesskostenvorschusses<br />

hat, kann keine Gewährung von Prozesskostenhilfe verlangen.<br />

Dem Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gemäß § 1360a<br />

BGB steht dabei nicht entgegen, dass die Ehe geschieden wurde,<br />

nachdem der Ehegatte in Verzug gesetzt worden war.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin verlangte vom Beklagten, ihrem Ex-Ehemann, die<br />

Rückzahlung eines Geldbetrags. Zur klageweisen Geltendmachung<br />

ihres Anspruchs verlangte sie von ihm die Zahlung eines Prozesskostenvorschusses.<br />

Nachdem die Klägerin diesen Anspruch geltend<br />

gemacht hatte, wurde die Ehe geschieden. Der Beklagte weigerte<br />

sich, den Prozesskostenvorschuss zu leisten. Aus diesem Grund<br />

beantragte die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der<br />

hierauf gerichtete Antrag hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin kann keine Prozesskostenhilfe beanspruchen. Nach<br />

§ 114 S.1 ZPO darf Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden,<br />

wenn der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nach seinen<br />

persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen<br />

kann. Dazu hat er gem. § 115 Abs.2 ZPO sein Vermögen<br />

einzusetzen. Zum Vermögen gehören auch Ansprüche gegen<br />

Dritte auf Vorleistung.<br />

Im Streitfall hat die Klägerin gegen den Beklagten gemäß §§<br />

1361 Abs.4, 1360a Abs.4 BGB einen Anspruch auf Zahlung des<br />

Prozesskostenvorschusses. Die Klägerin ist auch nicht gehindert,<br />

diesen Anspruch trotz der inzwischen erfolgten Ehescheidung<br />

gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Sie hat ihn<br />

vor Abschluss des Scheidungsverfahrens auf Zahlung des Prozesskostenvorschusses<br />

in Anspruch genommen. Zwar hat ein<br />

geschiedener Ehegatte keinen Vorschussanspruch gegen seinen<br />

früheren Partner. Hierauf kann sich ein Ehegatte jedoch nicht<br />

berufen, wenn er rechtzeitig vor der Scheidung, als der Anspruch<br />

bestand und fällig war, in Verzug gesetzt worden ist. Es ist nicht<br />

einzusehen, dass der Unterhaltsschuldner, der die Zahlung verweigert,<br />

sich auf den zwischenzeitlichen Abschluss des Scheidungsverfahrens<br />

berufen und damit seiner Zahlungsverpflichtung<br />

entgehen kann.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 31


Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Zwangsvollstreckung und<br />

Insolvenz<br />

Insolvenzverwalter haben in „Altfällen“<br />

lediglich Anspruch auf die niedrige Mindestvergütung<br />

nach der InsVV a.F.<br />

BGH 20.1.2005, IX ZB 134/04<br />

Die in der bis zum 31.12.2003 geltenden Insolvenzrechtlichen<br />

Vergütungsordnung (InsVV a.F.) vorgesehene Mindestvergütung<br />

für masselose Verfahren ist zwar so niedrig, dass sie nicht<br />

mehr verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der<br />

Verordnungsgeber musste aber erst mit Wirkung zum<br />

1.1.2004 eine Gebührenerhöhung beschließen. Daher können<br />

Insolvenzverwalter und Treuhänder für vor dem 1.1.2004<br />

eröffnete Insolvenzverfahren weiterhin lediglich die niedrigere<br />

„alte“ Mindestvergütung beanspruchen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beschwerdeführerin war Treuhänderin in einem vor dem<br />

1.1.2004 eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren. Sie machte<br />

geltend, dass die in § 13 Abs.1 S.3 InsVV a.F. vorgesehene<br />

Mindestvergütung in masselosen Verfahren von 250 Euro verfassungswidrig<br />

sei. Diese Gebühr sei angesichts ihres Bearbeitungsaufwands<br />

nicht kostendeckend.<br />

In zwei anderen Verfahren hatte der BGH am 15.1.2004 (Az.: IX<br />

ZB 96/03 und IX ZB 46/03) entschieden, dass die damals geltenden<br />

Mindestsätze für Insolvenzverwalter in Höhe von 500 Euro<br />

und für Treuhänder in Höhe von 250 Euro seit dem 1.1.2004<br />

verfassungswidrig sind. Daraufhin änderte das Bundesjustizministerium<br />

die InsVV mit Wirkung zum 1.1.2004. AG und LG<br />

sprachen der Beschwerdeführerin auf der Grundlage dieser<br />

BGH-Rechtsprechung lediglich die ihr nach altem Recht zustehende<br />

Gebühr in Höhe von 250 Euro zu.<br />

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das<br />

BVerfG (mit Beschluss vom 29.7.2004; Az.: 1 BvR 1322/04)<br />

nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei mangels<br />

Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig ist. Unter Berücksichtigung<br />

der durch die BGH-Urteile vom 15.1.2004 ausgelösten<br />

Diskussion bestehe <strong>im</strong> Streitfall noch keine gefestigte<br />

höchstrichterliche Rechtsprechung, von der keine Abweichung<br />

zu erwarten sei. Die daraufhin eingelegte Rechtsbeschwerde<br />

zum BGH hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beschwerdeführerin kann lediglich die ihr nach § 13 Abs.1<br />

S.3 InsVV a.F. zustehende Vergütung in Höhe von 250 Euro<br />

beanspruchen. Diese Mindestvergütung ist zwar so niedrig,<br />

dass sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr<br />

gerecht wird. Ein Verfassungsverstoß liegt aber nur für nach dem<br />

1.1.2004 eröffnete Insolvenzverfahren vor. Für „Altfälle“ ist die<br />

Mindestvergütung hingegen noch hinzunehmen.<br />

Dem Verordnungsgeber stand bis zum Ende des Jahres 2003<br />

hinsichtlich der Höhe der Mindestvergütung ein Prognose- und<br />

Anpassungsspielraum zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es<br />

die massearme Kleininsolvenz erst seit dem 1.12.2001 gibt. Die<br />

große Zahl masseloser Verfahren bei nicht kostendeckender Vergütung<br />

der Insolvenzverwalter und Treuhänder war in dieser<br />

Form nicht absehbar. Dem Verordnungsgeber ist daher nicht von<br />

Anfang an eine untragbare Fehleinschätzung vorzuwerfen.<br />

Linkhinweise:<br />

Der BGH hat mit der vorliegenden Entscheidungen seine Grundsatzurteile<br />

vom 15.1.2004 bestätigt.<br />

Für den Volltext der auf der Website des BGH veröffentlichten<br />

Entscheidung vom 15.1.2004 mit dem Aktenzeichen IX ZB<br />

96/03 klicken Sie bitte hier (pdf-Datei).<br />

Die zweite BGH- Entscheidung zum Thema mit dem Aktenzeichen<br />

IX ZB 46/03 finden Sie hier (pdf-Datei).<br />

Für die auf der Website des BVerfG veröffentlichte Nichtzulassungsentscheidung<br />

vom 29.7.2004 (Az.: 1 BvR 1322/04) klicken<br />

Sie bitte hier.<br />

Insolvenzverwalter dürfen unter Vorbehalt<br />

gezahlte Sozialversicherungsbeiträge<br />

zurückfordern<br />

BGH 9.12.2004, IX ZR 108/04<br />

St<strong>im</strong>mt ein mit Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt ausgestatteter vorläufiger<br />

Insolvenzverwalter unter dem Druck einer Strafanzeige der<br />

Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Sozialkasse<br />

zu, so kann er die Zahlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

grundsätzlich anfechten. <strong>Das</strong> gilt jedenfalls dann, wenn er<br />

der Zahlung nur unter dem Vorbehalt der Anfechtung und<br />

Rückforderung zugest<strong>im</strong>mt hat. In diesem Fall entsteht auf Seiten<br />

der Sozialkasse kein schutzwürdiges Vertrauen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. KG.<br />

Diese zahlte ihren Arbeitnehmern seit Januar 2003 keinen Lohn<br />

mehr. Am 28.2.2003 wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter<br />

bestellt und ihm ein Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt eingeräumt.<br />

Im April 2003 kündigte der Kläger gegenüber der beklagten<br />

Sozialkasse an, dass er zwar der Auszahlung der Nettolöhne für<br />

den Monat Januar 2003 zust<strong>im</strong>men werde, nicht aber der Auszahlung<br />

der hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge.<br />

Die Beklagte drohte ihm für diesen Fall eine Strafanzeige wegen<br />

Verstoßes gegen § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen<br />

von Arbeitsentgelt) an. Der Kläger st<strong>im</strong>mte daraufhin einer Auszahlung<br />

der Sozialversicherungsbeiträge unter dem Vorbehalt<br />

der späteren Anfechtung und Rückforderung zu.<br />

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte der Kläger die<br />

Anfechtung der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nach<br />

§ 130 Abs.1 S.1 Nr.2 InsO und verlangte die Rückzahlung. Die<br />

hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung<br />

der Sozialversicherungsbeiträge. Er hat die Zahlung wirk-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 32


sam gemäß § 130 Abs.1 S.1 Nr.2 InsO angefochten. Hiernach ist<br />

eine nach dem Eröffnungsantrag vorgenommene Befriedigung<br />

eines Gläubigers anfechtbar, wenn der Gläubiger zu diesem<br />

Zeitpunkt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners<br />

oder dem Eröffnungsantrag hatte. Diese Voraussetzungen liegen<br />

hier vor. Die Gemeinschuldnerin hat die Sozialversicherungsbeiträge<br />

nach dem Eröffnungsantrag, von dem die Beklagte Kenntnis<br />

hatte, gezahlt.<br />

Der Anfechtbarkeit dieser Rechtshandlung steht nicht entgegen,<br />

dass der Kläger der Zahlung als mit Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt<br />

ausgestatteter vorläufiger Insolvenzverwalter zugest<strong>im</strong>mt hat.<br />

Grundsätzlich können Insolvenzverwalter auch solche Rechtshandlungen<br />

nach den §§ 130, 131 InsO anfechten, an denen sie<br />

selbst als vorläufige Insolvenzverwalter ohne allgemeine Verwaltungs-<br />

und Verfügungsbefugnis beteiligt waren. Etwas anderes<br />

gilt nur, wenn der spätere Insolvenzverwalter durch sein<br />

Handeln ein schutzwürdiges Vertrauen des Empfängers in das<br />

Behaltendürfen der Leistung begründet hat.<br />

Die Beklagte durfte nicht darauf vertrauen, die unter dem Druck<br />

einer drohenden Strafanzeige gezahlten Sozialversicherungsbeiträge<br />

behalten zu dürfen. Der Kläger hat seine Zust<strong>im</strong>mung zur<br />

Auszahlung der Gelder von vornherein mit dem Vorbehalt der<br />

späteren Anfechtung der Zahlung versehen. Die Beklagte musste<br />

deshalb mit der Rückforderung der Beträge rechnen.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BGH veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier<br />

(pdf-Datei).<br />

Insolvenzverwalter können mehr als drei<br />

Monate vor dem Insolvenzantrag durchgeführte<br />

Zwangsvollstreckungen nicht anfechten<br />

BGH 10.2.2005, IX ZR 211/02<br />

Führt ein Gläubiger mehr als drei Monate vor dem<br />

Insolvenzantrag Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den<br />

späteren Gemeinschuldner durch, so kann der Insolvenzverwalter<br />

dies nicht anfechten. Eine Insolvenzanfechtung nach den<br />

§§ 130 bis 132 InsO scheidet aus, weil diese Vorschriften<br />

nur Rechtshandlungen in den letzten drei Monaten vor dem<br />

Insolvenzantrag erfassen. Es liegt auch keine anfechtbare<br />

vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO vor, weil<br />

hierfür eine Rechtshandlung des Schuldners erforderlich ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die spätere Gemeinschuldnerin war mit ihren Umsatzsteuerzahlungen<br />

in Verzug geraten. Auf eine entsprechende Zahlungsaufforderung<br />

teilte die Schuldnerin dem Finanzamt mit, dass sie<br />

nicht mehr leistungsfähig sei. Daraufhin pfändete das Finanzamt<br />

am 3.2.1999 eine Forderung der Gemeinschuldnerin gegen einen<br />

Dritten und beglich mit dem Geld die Umsatzsteuerschuld der<br />

Gemeinschuldnerin.<br />

Am 4.5.1999 und damit mehr als drei Monate nach der Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />

des Finanzamts stellte die Gemeinschuldnerin<br />

einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah-<br />

rens. <strong>Das</strong> Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der Kläger<br />

zum Insolvenzverwalter bestellt. Er erklärte gegenüber der von<br />

dem Finanzamt des beklagten Landes durchgeführten Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />

die Insolvenzanfechtung und nahm<br />

das beklagte Land auf Rückzahlung in Anspruch. Die hierauf<br />

gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Zahlung des Drittschuldners an das Finanzamt ist nicht<br />

anfechtbar. Eine Insolvenzanfechtung nach den §§ 130 bis 132<br />

InsO kommt nicht in Betracht, da das Finanzamt die Zwangsvollstreckungsmaßnahme<br />

außerhalb des durch diese Vorschriften<br />

geschützten Dre<strong>im</strong>onatszeitraums vor dem Insolvenzantrag<br />

durchgeführt hat.<br />

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckungsmaßnahme auch<br />

nicht gemäß § 133 Abs.1 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung<br />

anfechten. Diese Vorschrift setzt eine in Gläubigerbenachteiligungsabsicht<br />

durchgeführte Rechtshandlung des<br />

Gemeinschuldners voraus. Hieran fehlt es <strong>im</strong> Streitfall, da das<br />

Finanzamt - und nicht die Gemeinschuldnerin - die Zwangsvollstreckung<br />

veranlasst hat.<br />

Die Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung<br />

kann auch nicht auf alle Fälle ausgedehnt werden, in denen<br />

lediglich eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung seitens<br />

eines Gläubigers vorliegt. Dagegen spricht bereits der eindeutige<br />

Wortlaut von § 133 InsO.<br />

Eine derartige Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 133<br />

ist auch nicht mit dem systematischen Zusammenhang der Norm<br />

vereinbar. Während die §§ 130 bis 132 InsO Rechtshandlungen<br />

in zeitlicher Nähe zum Insolvenzantrag erfassen, stellt §<br />

133 InsO nicht auf den engen Zusammenhang mit der bevorstehenden<br />

Insolvenz, sondern auf best<strong>im</strong>mte Verhaltensweisen des<br />

Gemeinschuldners ab.<br />

Vorläufige Insolvenzverwalter dürfen eine<br />

Überweisung durch Lastschrift widerrufen<br />

KG Berlin 23.11.2004, 7 U 73/04<br />

Es ist die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, das<br />

Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller Gläubiger zu<br />

sichern und nicht einzelne Gläubiger vorab zu befriedigen.<br />

Er kann daher berechtigt sein, den auf dem Konto der<br />

Insolvenzschuldnerin <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />

eingelösten Lastschriften zu widersprechen. Voraussetzung<br />

hierfür ist, dass der Insolvenzverwalter einen anerkennenswerten<br />

Grund für den Widerspruch hat. Ein anerkennenswerter Grund<br />

liegt beispielsweise vor, wenn dem Insolvenzverwalter ein<br />

Anfechtungsrecht nach §§ 129 ff InsO zusteht.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beklagte ist vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen<br />

der Schuldnerin. Die Klägerin verlangte vom Beklagten<br />

Schadenersatz in Höhe von rund 108.000 Euro wegen des<br />

Widerrufs von Lastschriften auf dem Konto der Schuldnerin, die<br />

zu Gunsten der Klägerin <strong>im</strong> Wege der Einziehung erfolgt waren.<br />

Die Lastschriften waren mit einem Einziehungsvermerk versehen.<br />

Die Schuldnerin hatte der Klägerin einen Abbuchungsauftrag<br />

erteilt, von dem die Klägerin aber, wie sie behauptet hat,<br />

versehentlich keinen Gebrauch gemacht hatte.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 33


Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der Beklagte nicht<br />

berechtigt war, Lastschriften auf dem Konto der Schuldnerin<br />

ohne weitere Prüfung zu widerrufen, weil er keinen anerkennenswerten<br />

Grund dazu hatte. Der vorläufige Insolvenzverwalter<br />

sei zur Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen <strong>im</strong> Vorfeld<br />

der Insolvenzeröffnung nicht befugt. Die Klage auf Zahlung von<br />

rund 108.000 Euro hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die<br />

Zahlung der 108.000 Euro. Der Anspruch ergibt sich insbesondere<br />

nicht aus §§ 21 Abs.2 Nr.1, 60 Abs.1 InsO. Danach ist der vorläufige<br />

Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz<br />

verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm<br />

nach der Insolvenzordnung obliegen. <strong>Das</strong> ist hier nicht der Fall.<br />

Der Beklagte hat als vorläufiger Insolvenzverwalter seine gegenüber<br />

der Klägerin bestehenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt,<br />

indem er den von der Klägerin <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />

eingereichten und auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin<br />

eingelösten Lastschriften wirksam widersprochen hat.<br />

Ein Recht zum Widerruf einer Lastschrift <strong>im</strong> Einzugsermächtigungsverfahren<br />

besteht <strong>im</strong>mer dann, wenn dafür ein anerkennenswerter<br />

Grund vorliegt. Ein solcher liegt beispielsweise vor,<br />

wenn der Schuldner ein Leistungsverweigerungs-, Zurückbehaltungs-<br />

oder Aufrechnungsrecht gegenüber dem an sich begründeten<br />

Anspruch des Gläubigers hat. Kann sich der Schuldner<br />

nicht auf einen solchen anerkennenswerten Grund stützen, so<br />

übt er den Widerspruch zweckfremd aus und macht sich schadensersatzpflichtig.<br />

Im Streitfall konnte sich der Beklagte auf einen anerkennenswerten<br />

Grund zum Widerruf der Lastschrift berufen. Er durfte davon<br />

ausgehen, dass die Klägerin die 108.000 Euro in anfechtbarer Weise<br />

erlangt hat. Es bestand ein Anfechtungsgrund aus § 130 Abs.1<br />

Nr.2 InsO, denn die Klägerin hat die Rechtshandlung nach dem<br />

Eröffnungsantrag und in Kenntnis des Antrags vorgenommen.<br />

Dem vorläufigen Insolvenzverwalter steht zwar kein Anfechtungsrecht<br />

nach Maßgabe der §§ 129 ff InsO zu. <strong>Das</strong> schließt aber<br />

nicht aus, dass sich aus diesen Vorschriften auch ein anerkennenswerter<br />

Grund für die Ausübung des Widerrufsrechts ergeben<br />

kann. Drängt sich der Verdacht auf, dass der spätere (endgültige)<br />

Insolvenzverwalter vom Anfechtungsrecht Gebrauch<br />

machen könnte, besteht für den vorläufigen Insolvenzverwalter<br />

die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die anfechtbar erlangte Rechtsposition<br />

eines Gläubigers nicht durch Übertragung von Vermögenswerten<br />

aus der Insolvenzmasse zum Nachteil der übrigen<br />

Gläubiger gestärkt wird.<br />

Der vorläufige Insolvenzverwalter muss gemäß § 22 Abs.1 Nr.1<br />

InsO das Vermögen des Insolvenzschuldners sichern und erhalten.<br />

Es ist daher nicht seine Sache, eine vor dem Insolvenzantrag<br />

unvollständig erfüllte Verbindlichkeit endgültig zu vollziehen<br />

oder einer schwebend unwirksamen Erfüllungshandlung des<br />

Schuldners durch Genehmigung zur Wirksamkeit zu verhelfen.<br />

Er muss vielmehr das Vermögen des Schuldners zu Gunsten<br />

aller Gläubiger sichern und soll nicht einzelne Gläubiger vorab<br />

befriedigen.<br />

Der anerkennenswerten Grund entfällt auch nicht deshalb, weil<br />

die Insolvenzschuldnerin ihrer Bank den Abbuchungsauftrag zu<br />

Gunsten der Klägerin erteilt hat. Die Klägerin hat davon unstreitig<br />

keinen Gebrauch gemacht, sondern das Einziehungsermächtigungsverfahren<br />

gewählt und dem Schuldner damit ein Widerrufsrecht<br />

gewährt.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />

Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />

Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Gebühren und Kosten<br />

Anwälte dürfen weiterhin keine Erfolgshonorare<br />

vereinbaren<br />

OLG Celle 26.11.2004, 3 U 250/04<br />

Nach § 49b Abs.2 BRAO dürfen Rechtsanwälte mit ihren<br />

Mandanten keine Erfolgshonorare vereinbaren. Dieses Verbot<br />

ist verfassungsgemäß und verletzt insbesondere nicht die<br />

durch Art. 12 Abs.1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit<br />

der Rechtsanwälte. Der Eingriff in Art. 12 Abs.1 GG ist<br />

gerechtfertigt, weil den Anwälten in jedem Fall die gesetzlichen<br />

Gebühren verbleiben und ein Erfolgshonorar ihre Unabhängigkeit<br />

gefährdet.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin hatte den beklagten Rechtsanwalt <strong>im</strong> November<br />

2002 mit der außergerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen<br />

gegenüber einer Versicherung in Höhe von 340.000 Euro beauftragt.<br />

Die Parteien trafen eine Honorarvereinbarung, wonach der<br />

Beklagte ein Pauschalhonorar von 50.000 Euro erhalten sollte, das<br />

bei Eingang der Entschädigung auf dem Konto der Klägerin fällig<br />

werde. Auf dieses Pauschalhonorar musste die Klägerin bei Mandatsübernahme<br />

eine Anzahlung von 10.000 Euro leisten.<br />

Später verlangte die Klägerin die von ihr geleistete Anzahlung<br />

von 10.000 Euro unter Anrechnung einer 10/10 Geschäftsgebühr<br />

nach § 118 Abs.1 S.1 BRAGO aus 340.000 Euro zurück. Die<br />

hierauf gerichtete Klage hatte sowohl vor dem LG als auch vor<br />

dem OLG Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 812 Abs.1 S.1 1.Alt.<br />

BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der 10.000 Euro abzüglich<br />

der 10/10 Geschäftsgebühr nach § 118 Abs.1 S.1 BRAGO.<br />

Die Anzahlung der 10.000 Euro beruhte auf einer Honorarvereinbarung,<br />

die wegen Verstoßes gegen § 49b Abs.2 BRAO, §<br />

134 BGB nichtig ist. <strong>Das</strong> Pauschalhonorar sollte mit Zahlung<br />

der Entschädigung fällig werden und war damit erfolgsorientiert.<br />

Die angezahlten 10.000 Euro stellten einen Vorschuss auf das<br />

unzulässige Erfolgshonorar dar.<br />

<strong>Das</strong> in § 49b Abs.2 BRAO normierte Verbot der Vereinbarung<br />

eines Erfolgshonorars ist auch verfassungsgemäß. Es verstößt<br />

insbesondere nicht gegen die durch Art. 12 Abs.1 GG geschützte<br />

Berufsausübungsfreiheit der Anwälte. § 49b Abs.2 BRAO dient<br />

einem wichtigen Gemeinwohlbelang, nämlich dem Schutz der<br />

Stellung der Anwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege.<br />

Daneben werden Anwälte durch das Verbot auch nicht übermä-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 34


ßig belastet, da ihnen auf jeden Fall die gesetzlichen Gebühren<br />

verbleiben und unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen auch Honorarvereinbarungen<br />

möglich sind.<br />

Beweisgebühr wegen Verwertung beigezogener<br />

Akten setzt deren Würdigung in der<br />

gerichtlichen Entscheidung voraus<br />

BGH 29.7.2004, III ZB 71/03<br />

Werden Akten beigezogen, so erhält der Rechtsanwalt gemäß<br />

§ 34 Abs.2 BRAGO nur dann eine Beweisgebühr, wenn die<br />

Akten durch Beweisbeschluss oder sonst erkennbar zum<br />

Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden. Eine<br />

Verwertung der beigezogenen Akten setzt deren Würdigung in<br />

einer gerichtlichen Entscheidung voraus. Es genügt daher nicht,<br />

wenn das Gericht die Akten lediglich zu Informationszwecken<br />

beizieht, der Inhalt der Akten für die Sachentscheidung aber<br />

letztlich nicht von Bedeutung ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die klagende Gemeinde nahm die Beklagte als Erbin ihres verstorbenen<br />

Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Der Ehemann<br />

war für die Gemeinde als Bodengutachter tätig geworden.<br />

Die Beklagte machte geltend, dass sie nicht Erbin ihres Ehemannes<br />

geworden sei. <strong>Das</strong> LG ließ diese Frage offen und wies die<br />

Klage wegen Verjährung des geltend gemachten Anspruchs ab.<br />

Im Berufungsverfahren zog das OLG „vorsorglich zu Informationszwecken“<br />

die Nachlassakten bei. Im Verhandlungstermin<br />

wies es die Parteien darauf hin, dass auch eine Eintrittspflicht<br />

der hinter dem Ehemann stehenden Versicherung in Betracht<br />

komme. Auf dieser Grundlage schlossen die Parteien und die zu<br />

diesem Zweck dem Rechtsstreit beigetretene Versicherung einen<br />

Vergleich. Danach verpflichtete sich die Versicherung zur Zahlung<br />

von 65.000 Euro an die Klägerin. Diese sollte wiederum 75<br />

Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen.<br />

Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Beklagte, wegen<br />

der Beiziehung der Nachlassakten gegen die Klägerin eine<br />

Beweisgebühr festzusetzen. Der hierauf gerichtete Antrag hatte<br />

in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Im Streitfall ist keine Beweisgebühr entstanden. Hierfür hätten<br />

die Nachlassakten nach § 34 Abs.2 BRAGO als Beweis verwertet<br />

werden müssen. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. <strong>Das</strong><br />

OLG hat die Nachlassakten ausdrücklich nur „zu Informationszwecken“<br />

beigezogen und daran ausweislich des Protokolls auch<br />

in der mündlichen Verhandlung festgehalten.<br />

Eine derartige Verwendung beigezogener Akten zu reinen Informationszwecken<br />

reicht für eine Verwertung als Beweis <strong>im</strong> Sinn<br />

von § 34 Abs.2 BRAGO nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine<br />

Würdigung des Akteninhalts in der gerichtlichen Entscheidung.<br />

Jede vorausgehende Einschätzung des Gerichts ist nur vorläufig<br />

und enthält noch keine endgültige gerichtliche Beweiswürdigung,<br />

sondern lediglich eine unverbindliche Prognose.<br />

Für diese Rechtsauffassung spricht auch, dass aus Gründen der<br />

Rechtssicherheit und Praktikabilität regelmäßig an formale,<br />

leicht zu handhabende Kriterien anzuknüpfen ist. Dem würde es<br />

widersprechen, wenn auf eine in vielen Fällen nicht einmal protokollierte<br />

und für die Kostenfestsetzung daher erst zu ermitteln-<br />

de Äußerung einer Rechtsauffassung des vorher mit der Sache<br />

befassten Gerichts abgestellt würde.<br />

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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Im vorprozessualen Schlichtungsverfahren<br />

bei der ärztlichen Schlichtungsstelle entsteht<br />

keine Beweisgebühr<br />

BGH 14.9.2004, VI ZB 22/04<br />

Für die anwaltschaftliche Vertretung einer Partei <strong>im</strong><br />

vorprozessualen Schlichtungsverfahren bei der ärztlichen<br />

Schlichtungsstelle entsteht lediglich eine Geschäftsgebühr<br />

nach § 118 Abs.1 Nr.1 BRAGO. Diese wird gemäß § 118 Abs.2<br />

BRAGO auf die entsprechenden Gebühren <strong>im</strong> anschließenden<br />

gerichtlichen Verfahren angerechnet. Eine gesonderte<br />

Beweisgebühr nach § 118 Abs.1 Nr.3 BRAGO entsteht hingegen<br />

nicht, da die ärztliche Schlichtungsstelle weder Gericht noch<br />

Behörde <strong>im</strong> Sinn dieser Vorschrift ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin verlangte von dem Beklagten, dem Träger eines<br />

Krankenhauses Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen<br />

eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Bereits <strong>im</strong> Schlichtungsverfahren<br />

vor der ärztlichen Schlichtungsstelle ließ die Klägerin<br />

sich von ihren späteren Prozessbevollmächtigten vertreten. Die<br />

Schlichtungsstelle holte ein medizinisches Gutachten ein, auf<br />

das sich die Klägerin in dem späteren Gerichtsverfahren berief.<br />

Der Prozess endete mit einem Vergleich der Parteien, in dem sich<br />

der Beklagte zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits verpflichtete.<br />

Die Klägerin beantragte, für die Einholung des Gutachtens<br />

durch die Schlichtungsstelle eine Beweisgebühr festzusetzen.<br />

Die zuständige Rechtspflegerin gab diesem Antrag statt.<br />

Auf die Beschwerde des Beklagten hob das OLG den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

des LG auf und lehnte die Festsetzung<br />

der beantragten weiteren Kosten ab. Die hiergegen gerichtete<br />

Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Für die vorprozessuale Vertretung der Klägerin vor der ärztlichen<br />

Schlichtungsstelle ist lediglich die Geschäftsgebühr nach §<br />

118 Abs.1 Nr.1 BRAGO angefallen. Diese war nach § 118 Abs.2<br />

BRAGO auf die entsprechenden Gebühren <strong>im</strong> anschließenden<br />

gerichtlichen Verfahren anzurechnen. Eine Beweisgebühr nach §<br />

118 Abs.1 Nr.3 BRAGO ist hingegen nicht entstanden.<br />

§ 118 Abs.1 Nr.3 BRAGO setzt das Mitwirken an einer Beweisaufnahme<br />

voraus, die von einem Gericht oder einer Behörde<br />

angeordnet worden ist. Die ärztliche Schlichtungsstelle ist weder<br />

ein Gericht noch eine Behörde in diesem Sinne. Der Gebührentatbestand<br />

ist auch nicht über seinen Wortlaut hinaus auf alle Fälle<br />

auszudehnen, in denen es sachgerecht erscheint, sich außergerichtlich<br />

anwaltlich vertreten zu lassen. Eine derart weite<br />

Auslegung würde <strong>im</strong> Widerspruch zu § 91 Abs.2 S.1 ZPO stehen,<br />

wonach dem Rechtsanwalt der obsiegenden Partei nur die<br />

gesetzlichen Gebühren und Auslagen zu erstatten sind.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 35


Es dürfen demnach keine höheren Kosten als erstattungsfähig<br />

festgesetzt werden, als gesetzlich vorgesehen. Andernfalls würde<br />

für die Partei das mit dem Rechtsstreit verbundene Kostenrisiko<br />

unkalkulierbar. <strong>Das</strong> gilt erst recht <strong>im</strong> vorliegenden Fall, in dem<br />

die Kostenverteilung auf dem den Prozess beendenden Vergleich<br />

beruht und deshalb ein nicht wichtiger Bestandteil der angestrebten<br />

Einigung war.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH<br />

veröffentlicht.<br />

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(pdf-Datei).<br />

Verteidigerhonorar in Höhe von 35.000 Euro<br />

ist nicht zwangsläufig sittenwidrig<br />

OLG München 15.7.2004, 6 U 3864/03<br />

Die Vereinbarung eines Verteidigerhonorars in Höhe von rund<br />

35.000 Euro ist nicht ohne weiteres sittenwidrig, wenn das<br />

Ermittlungsverfahren wegen Betrugs einen Aktenumfang von über<br />

100 Aktenordnern hat. In einem solchen Fall ist die Verteidigung<br />

sehr aufwändig und n<strong>im</strong>mt allein das Aktenstudium einige Zeit<br />

in Anspruch. Für die Frage der Sittenwidrigkeit spielt es keine<br />

Rolle, ob andere Anwälte die Verteidigung auch für ein geringeres<br />

Honorar übernommen hätten, da insoweit Vertragsfreiheit gilt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Gegen den Ehemann der Klägerin wurde <strong>im</strong> Jahr 2001 ein<br />

Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der „Anlagespekulation“<br />

geführt. Seit Ende Januar 2001 befand er sich deswegen in<br />

Untersuchungshaft. Er beauftragte den Beklagten mit seiner Verteidigung.<br />

Dieser stellte ihm hierfür <strong>im</strong> April 2001 rund 10.000<br />

Euro in Rechnung. Die Klägerin bezahlte diesen Betrag.<br />

Im Juni 2001 beauftragten die Klägerin und ihr Mann den<br />

Beklagten mit der weiteren Verteidigung. Für das künftige Verfahren<br />

inklusive Hauptverhandlung vereinbarten die Parteien<br />

ein Pauschalhonorar von 25.000 Euro. Die Klägerin bezahlte<br />

zwar das Honorar, verlangte jedoch später die Rückzahlung des<br />

Gesamtbetrags von 35.000 Euro.<br />

Dies begründete sie damit, dass das vereinbarte Honorar das 54fache<br />

der gesetzlichen Gebühren betragen hätte und deshalb sittenwidrig<br />

sei. Außerdem sei die Tätigkeit des Beklagten von keinerlei Erfolg<br />

gekrönt gewesen. Die Schriftsätze hätten sich größtenteils auf<br />

eine DIN-A4-Seite beschränkt. Ihrer Klage auf Rückzahlung der<br />

35.000 Euro gab das LG statt. Die hiergegen gerichtete Berufung<br />

des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf<br />

Rückzahlung des Honorars. Ein Rückzahlungsanspruch ergibt<br />

sich insbesondere nicht aus § 138 BGB i.V.m. § 812 Abs.1 S.1,<br />

1.Alt. BGB. Die streitige Honorarvereinbarung ist nicht sittenwidrig.<br />

Bei dem Strafverfahren gegen den Ehemann der Klägerin<br />

wegen Anlagespekulation handelte es sich um ein sehr<br />

umfangreiches Verfahren, bei dem über 100 Ordner Verfahrensakten<br />

angefallen sind. Hieraus ergibt sich, dass die Verteidigung<br />

aufwändig und sehr zeitintensiv war. Schon allein die Sichtung<br />

der Verfahrensakten nahm einige Zeit in Anspruch.<br />

Dies rechtfertigt ohne weiteres ein hohes Verteidigerhonorar.<br />

<strong>Das</strong> an den Beklagten bezahlte Verteidigerhonorar hält sich <strong>im</strong><br />

Rahmen und ist nicht zu beanstanden. <strong>Das</strong>s ein anderer Verteidiger<br />

die Verteidigung auch für ein geringeres Honorar übernommen<br />

hätte, spielt dabei keine Rolle und muss unberücksichtigt<br />

bleiben, da insoweit Vertragsfreiheit gilt.<br />

Es ist nicht zu prüfen, ob der Beklagte - wie die Klägerin meint<br />

- nicht ausreichend tätig geworden ist. Diesbezüglich hätte die<br />

Klägerin Schlechtleistung geltend machen und dies konkret und<br />

substanziiert vortragen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen.<br />

Daher muss von einer ordnungsgemäßen Verteidigung ausgegangen<br />

werden, für die das gezahlte Honorar keineswegs so unangemessen<br />

hoch ist, dass der Vertrag gem. § 138 Abs.1 wegen Verstoßes<br />

gegen die guten Sitten nichtig ist.<br />

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Berufsrecht<br />

Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung<br />

„Fachanwalt für Strafrecht“ setzt nicht<br />

zwingend praktische Erfahrungen als Strafverteidiger<br />

voraus<br />

BGH 8.11.2004, AnwZ (B) 84/03<br />

Die Erlaubnis zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für<br />

Strafrecht“ kann auch solchen Rechtsanwälten erteilt werden, die<br />

überwiegend Nebenklagevertretungen übernehmen und deshalb<br />

über wenig Erfahrung als Strafverteidiger verfügen. § 5 S.1f FAO<br />

setzt lediglich besondere praktische Erfahrungen auf dem Gebiet<br />

des Strafrechts voraus. Dem lässt sich keine Beschränkung auf<br />

Erfahrungen auf dem Gebiet der Strafverteidigung entnehmen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Er beantragte be<strong>im</strong> Antragsgegner,<br />

ihm das Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“<br />

zu gestatten. Zum erforderlichen Nachweis seiner praktischen<br />

Erfahrungen legte er eine Fallliste vor, die die Bearbeitung<br />

von 101 strafrechtlichen Fällen - davon 67 als Verteidiger - in den<br />

letzten drei Jahren dokumentierte. Außerdem wies er nach, dass<br />

er an 43 Hauptverhandlungstagen teilgenommen hat. Davon entfielen<br />

zwei Tage auf eine Tätigkeit als Verteidiger und die übrigen<br />

41 Tage auf Nebenklagevertretungen.<br />

Der Antragsgegner lehnte den Antrag ab, weil der Antragsteller<br />

keine hinreichenden praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet<br />

der Strafverteidigung nachgewiesen habe. Der vom Antragsteller<br />

angerufene AGH hob diesen Beschluss auf und verpflichtete den<br />

Antragsgegner, dem Antragsteller das Führen der Bezeichnung<br />

„Fachanwalt für Strafrecht“ zu erlauben. Die hiergegen gerichtete<br />

sofortige Beschwerde des Antragsgegners hatte keinen Erfolg.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 36


Die Gründe:<br />

Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für die Erlaubnis<br />

zum Führen der Bezeichnung „Fachanwalt für Strafrecht“. Er<br />

verfügt insbesondere über die nach § 5 S.1f FAO erforderlichen<br />

praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Strafrechts. Diese<br />

Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut keine Erfahrungen als Strafverteidiger<br />

voraus, sondern erfasst alle Formen der anwaltlichen<br />

Beteiligung am Strafprozess. Hierzu gehört auch das Gebiet der<br />

Nebenklagevertretung, auf das sich der Antragsteller spezialisiert<br />

hat.<br />

Eine Beschränkung der Fachanwaltsbezeichnung auf Spezialisten<br />

in der Strafverteidigung ergibt sich auch nicht aus dem<br />

Sinn und Zweck von § 5 S.1f FAO. Der Titel „Fachanwalt für<br />

Strafrecht“ soll <strong>im</strong> Strafrecht besonders qualifiziert ausgebildeten<br />

Anwälten verliehen werden. Diese Qualifikation weist auch<br />

der Antragsteller auf. Zwischen der Tätigkeit als Nebenklagevertreter<br />

und der als Strafverteidiger bestehen keine qualitativen<br />

Unterschiede. In beiden Fällen sind eingehende Kenntnisse des<br />

Strafrechts erforderlich.<br />

Nach § 13 Nr.1 FAO müssen „Fachanwälte für Strafrecht“ zwar<br />

unter anderem besondere Kenntnisse in der „Methodik und<br />

(dem) Recht der Strafverteidigung“ vorweisen können. Dies<br />

bezieht sich aber ausschließlich auf die nachzuweisenden theoretischen<br />

Kenntnisse und nicht auf die Art der nachzuweisen<br />

praktischen Erfahrungen.<br />

Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />

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Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />

Abruf ist kostenpflichtig.<br />

Für die Höhe der Beiträge eines Rechtsanwalts<br />

und Steuerberaters zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

kommt es nur auf<br />

die anwaltlichen Einkünfte an<br />

OVG Rheinland-Pfalz 1.2.2005, 6 A 11903/04.OVG<br />

Bei Rechtsanwälten, die zugleich als Steuerberater tätig sind,<br />

best<strong>im</strong>mt sich die Höhe der Beiträge zum Rechtsanwaltsverso<br />

rgungswerk allein nach den Einkünften aus ihrer anwaltlichen<br />

Tätigkeit. <strong>Das</strong> maßgebliche Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />

geht von einer berufsständischen Versorgung aus und erfasst<br />

daher bei der Beitragsbemessung nur solche Einkünfte, die aus<br />

einer berufstypischen Tätigkeit erzielt werden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der als Rechtsanwalt zugelassene Kläger ist hauptberuflich als<br />

Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft tätig. Seine<br />

anwaltliche Tätigkeit übt er nur nebenberuflich aus. Dementsprechend<br />

erzielt er den Großteil seiner Einkünfte aus seiner<br />

Tätigkeit als Steuerberater.<br />

<strong>Das</strong> Rechtsanwaltsversorgungswerk legte die Höhe der vom<br />

Kläger zu zahlenden Beiträge anhand seines Gesamteinkommens<br />

fest. Mit der hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger<br />

geltend, dass die Beiträge zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

nur nach seinen anwaltlichen Einkünften bemessen werden<br />

dürfe. Die Klage hatte sowohl vor dem VG als auch vor dem<br />

OVG Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Höhe der Beiträge des Klägers zum Rechtsanwaltsversorgungswerk<br />

darf nur nach seinen anwaltlichen Einkünften und<br />

nicht auch nach seinen Einkünften aus der Tätigkeit als Steuerberater<br />

bemessen werden. <strong>Das</strong> rheinland-pfälzische Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />

(RAVG) geht vom Leitbild einer berufsständischen<br />

Versorgung aus. Danach kann es für die Höhe der<br />

Solidarbeiträge lediglich auf die Einkünfte aus einer berufstypischen<br />

Tätigkeit ankommen. Berufstypisch ist nur die anwaltliche<br />

Tätigkeit als solche und nicht hiermit verwandte Berufe wie<br />

etwa die Tätigkeit als Steuerberater.<br />

Diese enge Betrachtungsweise ist bei einer gleichzeitigen Tätigkeit<br />

als Rechtsanwalt und Steuerberater auch nicht mit der<br />

Gefahr verbunden, dass einem Versorgungswerk rechtswidrig<br />

Beiträge entzogen werden. Für den Berufszweig der Steuerberater<br />

existiert ebenfalls ein eigenständiges Versorgungswerk.<br />

Daher werden die Einkünfte eines Rechtsanwalts und Steuerberaters<br />

entweder bei den Beträgen für das eine oder für das andere<br />

Versorgungswerk erfasst.<br />

Über die Zulassung als Rechtsanwalt darf<br />

auch ein teilweise mit Rechtsanwälten<br />

besetzter Prüfungsausschuss entscheiden<br />

EuGH 17.2.2005, C-250/03<br />

Die italienische Regelung, wonach dem fünfköpfigen<br />

Prüfungsausschuss für das Rechtsanwaltsexamen zwei<br />

Rechtsanwälte angehören, verletzt nicht die Grundsätze des<br />

freien Wettbewerbs oder der Niederlassungsfreiheit. Hierdurch<br />

werden grundsätzlich nicht Kartellabsprachen ermöglicht oder<br />

erleichtert, da der italienische Staat die Entscheidung über die<br />

<strong>Anwalt</strong>szulassung nicht allein den Anwälten überlässt, sondern<br />

sich umfangreiche Kontrollbefugnisse vorbehält.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger des Ausgangsverfahrens hatte in Italien an der<br />

schriftlichen Prüfung für das Rechtsanwaltsexamen teilgenommen.<br />

Da er nicht die für die Zulassung zur mündlichen Prüfung<br />

erforderliche Punktzahl erreicht hatte, ließ ihn der Prüfungsausschuss<br />

nicht zur mündlichen Prüfung zu.<br />

Der Prüfungsausschuss für das Rechtsanwaltsexamen setzt sich<br />

in Italien aus fünf Mitgliedern zusammen. Vorsitzender und<br />

stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses sind zwei in dem<br />

jeweiligen Prüfungsbezirk ansässige Rechtsanwälte, die vom<br />

Nationalen Rat der Rechtsanwaltskammern ernannt werden.<br />

Weitere Mitglieder des Prüfungsausschusses sind zwei Richter<br />

und ein Jura-Professor. Über die Zusammensetzung der Ausschüsse<br />

entscheidet das Justizministerium. Dieses best<strong>im</strong>mt<br />

auch die Themen der Prüfung und kann Prüfungen <strong>im</strong> Einzelfall<br />

für nichtig erklären.<br />

Mit seiner gegen die Nichtzulassung zur mündlichen Prüfung<br />

gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass die Zusammensetzung<br />

des Prüfungsausschusses keine unparteiische Beurteilung<br />

erlaube. Die starke Beteiligung von Rechtsanwälten<br />

beschränke den freien Wettbewerb und den freien Zugang zum<br />

Beruf des Rechtsanwalts. <strong>Das</strong> mit dieser Sache befasste nationale<br />

Gericht setzte den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH die<br />

Frage vor, ob die italienische Regelung über die Zusammenset-<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 37


zung des Prüfungsausschusses für das Rechtsanwaltsexamen mit<br />

dem EU-Recht vereinbar ist. Der EuGH bejahte dies.<br />

Die Gründe:<br />

Die streitige Regelung über die Zusammensetzung der Prüfungsausschüsse<br />

für das Rechtsanwaltsexamen verstößt nicht gegen<br />

das Gemeinschaftsrecht. Der Staat darf zwar nicht zugunsten<br />

privater Wirtschaftsteilnehmer - hier zugunsten der Rechtsanwaltschaft<br />

- auf die Ausübung seiner Befugnisse verzichten und<br />

dadurch wettbewerbswidrige Kartellabsprachen erleichtern oder<br />

vorschreiben. Die streitige italienische Regelung sieht aber hinreichende<br />

staatliche Kontrollbefugnisse vor, um Kartellabsprachen<br />

der Anwälte zu verhindern.<br />

Die staatliche Kontrolle wird unter anderem dadurch gewährleistet,<br />

dass dem Prüfungssauschuss auch zwei Richter angehören.<br />

Außerdem kann das Justizministerium die Arbeit des Prüfungssauschusses<br />

in jeder Phase kontrollieren und bei einem Verstoß<br />

gegen seine Vorgaben die Prüfung für nichtig erklären. Daneben<br />

können die Prüflinge die Entscheidungen des Prüfungsausschusses<br />

auch durch die nationalen Gerichte überprüfen lassen.<br />

Der Hintergrund:<br />

Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er nur über<br />

die Vereinbarkeit der Regelung als solcher mit dem Gemeinschaftsrecht<br />

entscheiden kann. Es liegt dagegen nicht in seiner<br />

Prüfungskompetenz, zu entscheiden, ob es in Italien trotz der in<br />

der Regelung vorgesehenen staatlichen Kontrollbefugnisse tatsächlich<br />

zu Kartellabsprachen kommt oder kommen kann.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />

veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Auch Steuerberater dürfen als Testamentsvollstrecker<br />

tätig werden<br />

BGH 11.11.2004, I ZR 182/02<br />

Es verstößt nicht gegen Art. 1 § 1 RBerG, wenn Steuerberater,<br />

die über keine Erlaubnis nach dem RBerG verfügen, als<br />

Testamentsvollstrecker tätig werden. Dies ergibt sich aus<br />

der engen Verzahnung von rechtlicher und wirtschaftlicher<br />

Betätigung bei der Testamentsvollstreckung. Die Erlaubnis-<br />

Befreiung gilt grundsätzlich und ist nicht einzelfallabhängig.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beklagte ist Diplom-Volkswirt und betreibt eine Kanzlei als<br />

Steuerberater. Auf seiner Homepage bietet er unter anderem auch<br />

die Übernahme von Testamentsvollstreckungen an. Der Kläger<br />

ist Rechtsanwalt und sah hierin einen Verstoß gegen das RBerG.<br />

Er verlangte vom Beklagten, es zu unterlassen, <strong>im</strong> geschäftlichen<br />

Verkehr Testamentsvollstreckungen anzubieten. Seine hierauf<br />

gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die<br />

Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts<br />

auf und wies die Klage ab.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Unterlassung<br />

der Werbung. Der Anspruch ergibt sich insbesondere<br />

nicht aus § 8 Abs.1 S.1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit<br />

Art. 1 § 1 RBerG, weil die Werbung des Beklagten für die Tätig-<br />

keit als Testamentsvollstreckers kein Angebot einer Rechtsberatung<br />

darstellt, die eine behördliche Erlaubnis nach Art. 1 § 1<br />

RBerG erfordert.<br />

Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die von dem<br />

Beklagten angebotene Tätigkeit als Testamentsvollstrecker nicht<br />

gegen Art. 1 § 1 RBerG. Diese Tätigkeit stellt keine ausschließliche<br />

Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten dar. Eine erlaubnispflichtige<br />

Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten liegt<br />

nur vor, wenn eine geschäftsmäßige Tätigkeit darauf gerichtet<br />

ist, konkrete fremde Rechtsangelegenheiten zu verwirklichen<br />

oder konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten. Es ist<br />

daher zu ermitteln, ob der Schwerpunkt der betreffenden Tätigkeit<br />

überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt oder ob es<br />

um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht.<br />

Die Tätigkeit als Testamentsvollstrecker kann in wesentlichem<br />

Umfang eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. Dies gilt insbesondere<br />

dann, wenn der Testamentsvollstrecker den Nachlass in Besitz<br />

n<strong>im</strong>mt, die zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstände und<br />

Verbindlichkeiten bewertet und Verbindlichkeiten erfüllt sowie<br />

Nachlassgegenstände veräußert. Dies gilt auch für die Verwaltung<br />

des Nachlasses <strong>im</strong> Fall der Dauer- oder Verwaltungsvollstreckung<br />

und die Auseinandersetzung des Nachlasses unter den Miterben.<br />

Die Beurteilung, ob eine überwiegend rechtliche oder wirtschaftliche<br />

Tätigkeit vorliegt, hängt aber nicht vom jeweiligen<br />

Einzelfall ab. Vielmehr ist die Funktionalität der Rechtspflege,<br />

die den Erlaubnisvorbehalt der des RBerG rechtfertigt, gegen<br />

die Berufsfreiheit desjenigen abzuwägen, dem best<strong>im</strong>mte Handlungen<br />

untersagt werden sollen. Diese Abwägung führt zu einer<br />

Befreiung der Testamentsvollstreckung vom Erlaubnisvorbehalt<br />

des Art. 1 § 1 RBerG. Dies ergibt sich aus der engen Verzahnung<br />

von rechtlicher und wirtschaftlicher Betätigung bei der<br />

Testamentsvollstreckung. Außerdem ist auch nicht zu erwarten,<br />

dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beeinträchtigt<br />

wird, wenn Personen ohne Erlaubnis nach dem RBerG eine Testamentsvollstreckung<br />

besorgen. Dem Klienten eines Testamentsvollstreckers<br />

bleibt <strong>im</strong>mer noch die Möglichkeit sich zusätzlich<br />

Rat bei einem <strong>Anwalt</strong> einzuholen.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH<br />

veröffentlicht.<br />

Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 38


Verwaltungs- und<br />

Verfahrensrecht<br />

Auch unverheiratete Eltern können einen<br />

Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach<br />

dem Opferentschädigungsgesetz haben<br />

BVerfG 9.11.2004, 1 BvR 684/98<br />

Es verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3<br />

Abs.1 GG), dass das Opferentschädigungsgesetz (OEG) nur<br />

Verheirateten be<strong>im</strong> Tod des Partners eine Hinterbliebenenrente<br />

für die Kinderbetreuung gewährt. Zumindest in den ersten drei<br />

Lebensjahren des Kindes ist ein unverheirateter Elternteil, dessen<br />

Partner an den Folgen einer Gewalttat gestorben ist, genauso<br />

auf Unterhaltsleistungen angewiesen wie ein verheirateter<br />

Elternteil. Der Gesetzgeber muss die Ungleichbehandlung bis<br />

zum 31.3.2006 beseitigen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beschwerdeführer ist nichtehelicher Vater von Zwillingen.<br />

Sechs Monate nach der Geburt der Kinder wurde seine Lebensgefährtin<br />

ermordet. Der Beschwerdeführer, der bis dahin mit seiner<br />

Erwerbstätigkeit den Familienunterhalt gesichert hatte, nahm<br />

drei Jahre unbezahlten Urlaub, um sich um die Kinder kümmern<br />

zu können. Seitdem ist er auf Sozialhilfe angewiesen.<br />

Der Beschwerdeführer beantragte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente<br />

nach dem OEG. Die zuständige Behörde wies den<br />

Antrag ab. SG und LSG bestätigten diese Entscheidung. Die hiergegen<br />

gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg und führte<br />

zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung.<br />

Außerdem gab das BVerfG dem Gesetzgeber auf, bis zum<br />

31.3.2006 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.<br />

Die Gründe:<br />

Die angegriffene Entscheidung des LSG verletzt den Gleichbehandlungsgrundsatz<br />

(Art.3 Abs.1 GG) in Verbindung mit dem<br />

durch Art. 6 Abs.1 GG gewährleisteten Schutz der Familie.<br />

<strong>Das</strong> OEG bezweckt mit der Hinterbliebenenversorgung für verheiratete<br />

Eltern, die ihren Partner bei einer Straftat verloren<br />

haben, eine Absicherung ihres zivilrechtlichen Anspruchs auf<br />

Unterhalt wegen Kinderbetreuung. Zumindest für die ersten<br />

drei Lebensjahre haben aber auch unverheiratete Eltern einen<br />

Anspruch auf Kinderbetreuungsunterhalt (§ 1615l Abs.2 S.2<br />

BGB). Sie sind zudem genauso schutzbedürftig wie verheiratete<br />

Eltern. Ein unverheirateter Elternteil, der das Kind betreut, ist<br />

in den ersten drei Lebensjahren ebenso auf Unterhaltsleistungen<br />

wie ein verheirateter Elternteil angewiesen.<br />

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass inzwischen mehr als 20 Prozent<br />

aller Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften aufwachsen.<br />

Die Benachteiligung einer derart großen Gruppe, die zumindest<br />

in den ersten drei Lebensjahren den gleichen Bedarf an Betreuungsunterhalt<br />

hat wie verheiratete Eltern, ist verfassungswidrig.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BVerfG veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Anteilserwerb an ehemals jüdischen Grundstücken<br />

steht einem Rückübertragungsanspruch<br />

nach dem VermG nicht entgegen<br />

(„Werthe<strong>im</strong>-Erben“)<br />

VG Berlin 4.3.2005, VG 31 A 53.03<br />

Einem Anspruch auf Rückübertragung von in der NS-Zeit<br />

enteigneten jüdischen Grundstücken aus § 3 Abs.1 des Gesetzes<br />

zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) steht es<br />

nicht entgegen, dass ein Unternehmen Geschäftsanteile des<br />

enteigneten Unternehmens erworben hat. <strong>Das</strong> VermG knüpft<br />

an das Schicksal der in der NS-Zeit Verfolgten an und will<br />

diesen oder ihren Erben Wiedergutmachung gewähren. <strong>Das</strong> soll<br />

unabhängig davon gelten, wer <strong>im</strong> Laufe der Zeit Geschäftsanteile<br />

an dem betroffenen Unternehmen erworben hat.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist die KarstadtQuelle AG. Diese hatte in der Vergangenheit<br />

die Anteile an dem Berliner Kaufhaus-Unternehmen<br />

Werthe<strong>im</strong> erworben. Werthe<strong>im</strong> gehörte unter anderem ein in<br />

Berlin-Mitte gelegenes Kaufhaus, eines der größten Kaufhäuser<br />

seiner Zeit. Die jüdischen Eigentümer wurden während der NS-<br />

Zeit enteignet und flohen ins Ausland.<br />

Die beklagte Jewish Cla<strong>im</strong>s Conference (JCC) hatte für die<br />

Werthe<strong>im</strong>-Erben einen Anspruch auf den Erlös aus dem Verkauf<br />

der Grundstücke geltend gemacht. <strong>Das</strong> Landesamt zur Regelung<br />

offener Vermögensfragen (Vermögensamt) sprach der Beklagten<br />

die Entschädigung zu. Mit der hiergegen gerichteten Klage<br />

machte die Klägerin geltend, dass sie durch den Erwerb der<br />

Anteile an dem Werthe<strong>im</strong>-Unternehmen selbst Rechtsnachfolgerin<br />

des jüdischen Unternehmens geworden sei. <strong>Das</strong> VG wies die<br />

Klage ab und ließ die Revision nicht zu.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin wird durch den Bescheid des Vermögensamts nicht<br />

in eigenen Rechten verletzt. Entgegen der Auffassung des Klägers<br />

stellt das VermG für das Bestehen von Entschädigungs- oder<br />

Rückübertragungsansprüchen nicht darauf ab, wer <strong>im</strong> Laufe der<br />

Zeit Anteile an dem während der NS-Zeit enteigneten Unternehmen<br />

erworben hat. Maßgeblich ist vielmehr die Opfersicht: <strong>Das</strong><br />

VermG knüpft an das Schicksal der in der Nazi-Zeit geschädigten<br />

jüdischen Eigentümer an und will diese oder ihren Erben<br />

Wiedergutmachung gewähren.<br />

Verbeamtete Lokomotivführer können nicht<br />

zur Reinigung der Züge herangezogen werden<br />

BVerwG 3.3.2005, 2 C 11.04<br />

Verbeamtete Lokomotivführer dürfen nicht dauerhaft zur<br />

groben Reinigung der von ihnen geführten Züge verpflichtet<br />

werden. Sie haben nach beamtenrechtlichen Grundsätzen<br />

Anspruch auf einen Tätigkeitsbereich, der ihrer Ausbildung<br />

und Dienststellung entspricht. Hieran hat sich durch die<br />

Privatisierung der Bahn nichts geändert. In Art. 143a Abs.1<br />

S.2 GG ist ausdrücklich best<strong>im</strong>mt, dass die Rechtsstellung der<br />

Beamten der ehemaligen Bundesbahn durch die Privatisierung<br />

unberührt bleibt.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 39


Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger waren zunächst als verbeamtete Lokomotivführer<br />

für die ehemalige Bundesbahn tätig. Seit der Privatisierung der<br />

Bahn arbeiten sie für die Deutsche Bahn AG und werden <strong>im</strong> regionalen<br />

S-Bahn-Verkehr eingesetzt.<br />

Die Deutsche Bahn AG wies sie an, die von ihnen geführten<br />

Züge bei mehr als halbstündigen Pausen an der Endhaltstelle<br />

grob von Abfällen wie Zeitungen, Verpackungsmaterial und Flaschen<br />

zu reinigen sowie volle Mülle<strong>im</strong>er und Aschenbecher zu<br />

leeren. Die Kläger machten hiergegen geltend, dass diese Reinigungsarbeiten<br />

mit ihrem Status als verbeamtete Lokomotivführer<br />

nicht vereinbar seien. Ihre gegen die Anweisung gerichtete<br />

Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kläger sind zur Verrichtung derartiger Reinigungsarbeiten<br />

nicht verpflichtet. Als Beamte haben sie grundsätzlich Anspruch<br />

auf Zuweisung eines Tätigkeitsbereichs, der ihrer Ausbildung<br />

und Dienststellung entspricht. Geringerwertige Tätigkeiten dürfen<br />

einem Beamten nur ausnahmsweise für einen vorübergehenden<br />

Zeitraum zugewiesen werden.<br />

Die angeordnete Grobreinigung der Züge entspricht nicht dem<br />

Aufgabenbereich verbeamteter Lokomotivführer. Da die Anordnung<br />

zeitlich unbegrenzt gelten sollte, war die Übertragung<br />

dieser geringerwertigen Tätigkeit auch nicht ausnahmsweise<br />

erlaubt.<br />

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die ehemalige Bundesbahn<br />

inzwischen privatisiert worden ist. Die Privatisierung<br />

hat keine Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Beamten, wie<br />

Art. 143a GG ausdrücklich best<strong>im</strong>mt. Danach können Beamte<br />

der ehemaligen Bundesbahn nur unter Wahrung ihrer bisherigen<br />

Rechtsstellung der Deutschen Bahn AG zugewiesen werden.<br />

Private Kuriere von Blutpräparaten dürfen<br />

weder Blaulicht noch Martinshorn benutzen<br />

VG Minden 28.1.2005, 3 K 5185/03<br />

Private Kuriere von Blutpräparaten haben keinen Anspruch auf<br />

die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die Nutzung von<br />

Blaulicht und Martinshorn. Eine zu hohe Verbreitungsdichte<br />

dieser Signale birgt die Gefahr des Fehlgebrauchs und einer<br />

verminderten Akzeptanz in der Bevölkerung.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das auf die Versorgung von<br />

Krankenhäusern und Blutspendeeinrichtungen mit Blutpräparaten<br />

spezialisiert ist. Sie beantragte bei der beklagten Bezirksregierung,<br />

ihr eine Ausnahmegenehmigung für die Ausrüstung<br />

ihrer Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn zu erteilen. Dies<br />

lehnte die Beklagte ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht keine Ausnahmegenehmigung<br />

erteilt. Die Zahl der Fahrzeuge, die mit Sondersignalen<br />

ausgestattet sind, muss möglichst gering gehalten werden. Eine<br />

zu hohe Verbreitungsdichte dieser Signale birgt die Gefahr des<br />

Fehlgebrauchs und einer verminderten Akzeptanz in der Bevölkerung.<br />

Die Erteilung der Genehmigung ist auch nicht ausnahmsweise<br />

gerechtfertigt. Die Klägerin führt lediglich Regeltransporte<br />

durch. In Notfällen wird der Transport der Blutpräparate vom<br />

Rettungsdienst übernommen. Es besteht damit nicht die Gefahr,<br />

dass ohne eine Berechtigung der Klägerin zur Nutzung des<br />

Blaulichts die Versorgung der Bevölkerung mit Blutpräparaten<br />

gefährdet ist.<br />

Strafrecht und OWi<br />

Mitglieder einer rechtsradikalen Musikgruppe<br />

können sich wegen Bildung einer<br />

kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung strafbar machen<br />

(„Landser“)<br />

BGH 10.3.2005, 3 StR 233/04<br />

Fordert eine rechtsradikale Musikgruppe in ihren Liedtexten zur<br />

Begehung ausländerfeindlicher oder antisemitischer Gewalttaten<br />

auf und verherrlicht sie die NS-Ideologie, so können sich<br />

die Mitglieder der Gruppe wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen<br />

Vereinigung strafbar machen. Der hierfür erforderliche<br />

organisatorische Zusammenhalt ist jedenfalls dann gegeben,<br />

wenn die Gruppe seit mehreren Jahren in gleicher Besetzung<br />

probt und CDs produziert sowie vertreibt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die aus drei Mitgliedern bestehende Musikgruppe „Landser“<br />

produziert seit 1997 in gleicher Besetzung CDs mit Liedern<br />

überwiegend rechtsradikalen und nationalsozialistischen, insbesondere<br />

auch antisemitischen und ausländerfeindlichen Inhalts.<br />

Die Lieder wurden he<strong>im</strong>lich <strong>im</strong> Ausland aufgenommen und konspirativ<br />

in der rechten Szene vertrieben. In mehreren Strafprozessen<br />

gegen Neonazis war deutlich geworden, dass diese sich<br />

durch die Liedtexte von „Landser“ zur Begehung von Gewalttaten<br />

motiviert fühlten.<br />

<strong>Das</strong> KG Berlin verurteilte die drei Mitglieder der Musikgruppe<br />

„Landser“ unter anderem wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung<br />

zu mehrjährigen Haftstrafen. Der Bandleader, der zu<br />

einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt<br />

worden war, legte gegen das Urteil Revision ein, die vom BGH<br />

ganz überwiegend verworfen wurde.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> KG Berlin hat den Angeklagten zu Recht wegen Bildung<br />

einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung und anderer Straftaten zu einer<br />

Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt.<br />

Wegen Bildung einer kr<strong>im</strong>inellen Vereinigung macht sich<br />

gemäß § 129 Abs.1 StGB strafbar, wer einer Vereinigung angehört,<br />

deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten<br />

zu begehen.<br />

Die Musikband „Landser“ stellt eine Vereinigung <strong>im</strong> Sinn von<br />

§ 129 Abs.1 StGB dar. Der hierfür erforderliche organisatorische<br />

Zusammenhalt ist schon deshalb gegeben, weil die Band<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 40


seit vielen Jahren in gleicher Besetzung probt und CDs produziert.<br />

Die Tätigkeit der Band war angesichts der Verherrlichung<br />

der NS-Zeit und der Aufforderung zu ausländerfeindlichen und<br />

antisemitischen Gewalttaten in den Liedtexten auf die Begehung<br />

von Straftaten wie etwa Volksverhetzung, Verbreitung von Propagandamitteln<br />

verfassungswidriger Organisationen und Verungl<strong>im</strong>pfung<br />

des Staates gerichtet.<br />

Der Schuldspruch des KG war lediglich dahingehend abzuändern,<br />

dass die Verurteilung wegen öffentlichen Aufforderns zu<br />

Straftaten entfällt. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf das<br />

verhängte Strafmaß.<br />

Bundestag hat erweiterte Strafvorschriften<br />

<strong>im</strong> Kampf gegen Rechtsextremismus<br />

beschlossen<br />

Am 11.3.2005 hat der Bundestag eine Ergänzung des §<br />

130 Strafgesetzbuch (StGB) beschlossen. Damit soll das<br />

Versammlungsrecht und das Strafrecht gegen extremistische<br />

Aufmärsche an Orten des Gedenkens an NS-Verbrechen<br />

kurzfristig verschärft werden. Der dazu neu geschaffene<br />

Artikel 2 Abs.4 StGB stellt das öffentliche oder in einer<br />

Versammlung erfolgte Verherrlichen und Verharmlosen der<br />

nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter<br />

Strafe, wenn dieses geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu<br />

stören und schließt damit eine Gesetzeslücke.<br />

Die Änderungen <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />

Nach Absatz 3 wird folgender neuer Absatz 4 eingefügt:<br />

„(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird<br />

bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen<br />

Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch<br />

stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft<br />

billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“<br />

Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt geändert: Die<br />

Angabe „Absatz 3“ wird durch die Angabe „den Absätzen 3 und<br />

4“ ersetzt.<br />

Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und wie folgt geändert: Die<br />

Angabe „Absatz 4“ wird durch die Angabe „Absatz 5“ und die<br />

Angabe „des Absatzes 3“ durch die Angabe „der Absätze 3 und<br />

4“ ersetzt.<br />

Untersuchungshaft muss bei überlanger<br />

Verfahrensdauer außer Vollzug gesetzt werden<br />

BVerfG 22.2.2005, 2 BvR 109/05<br />

Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist bei einer<br />

überlangen Verfahrensdauer verfassungswidrig. <strong>Das</strong> gilt auch<br />

für Verfahrensverzögerungen, die erst nach der erstinstanzlichen<br />

Verurteilung des Untersuchungshäftlings eintreten. Die<br />

Angemessenheit der Untersuchungshaft-Dauer kann nicht allein<br />

anhand der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe beurteilt werden.<br />

Sie hängt vielmehr von objektiven Kriterien wie der Komplexität<br />

der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem<br />

Verhalten der Verteidigung ab.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beschwerdeführer befindet sich seit August 2002 unter<br />

anderem wegen des Verdachts der ausbeuterischen Zuhälterei<br />

und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. Am 1.12.2003<br />

verurteilte ihn das LG wegen dieser Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe<br />

von drei Jahren und sechs Monaten. Gegen das Urteil<br />

des LG legten sowohl die Staatsanwaltschaft und zwei Nebenklägerinnen<br />

als auch der Beschwerdeführer Revision ein.<br />

<strong>Das</strong> LG stellte die einzelnen Revisionsbegründungen teilweise<br />

erst zweieinhalb Monate nach ihrem Eingang bei Gericht<br />

der jeweiligen Gegenpartei zu. Die Staatsanwaltschaft gab die<br />

Akten an den Generalbundesanwalt weiter, der sie vier Monate<br />

später dem BGH übersandte. Der BGH best<strong>im</strong>mte den 15.6.2005<br />

als Termin für die Hauptverhandlung über die Revisionen der<br />

Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen.<br />

Nach rund zweieinhalbjähriger Untersuchungshaft beantragte<br />

der Beschwerdeführer die Außervollzugsetzung des Haftbefehls.<br />

LG und OLG lehnten diesen Antrag ab. <strong>Das</strong> OLG begründete<br />

dies in erster Linie mit der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe,<br />

die eine entsprechend lange Untersuchungshaft rechtfertige.<br />

Die gegen die Entscheidungen des LG und OLG gerichtete Verfassungsbeschwerde<br />

hatte Erfolg und führte zur Aufhebung der<br />

angegriffenen Entscheidungen sowie zur Zurückverweisung an<br />

das OLG.<br />

Die Gründe:<br />

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer<br />

in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs.2 S.2 GG.<br />

Dieses Grundrecht verbietet in Untersuchthaft-Fällen eine überlange<br />

Verfahrensdauer. Wird gegen den Beschleunigungsgrundsatz<br />

verstoßen, so muss der Inhaftierte aus der Untersuchungshaft<br />

entlassen werden.<br />

<strong>Das</strong> OLG hat nicht berücksichtigt, dass <strong>im</strong> Streitfall möglicherweise<br />

eine überlange, dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerung<br />

vorliegt. Hierfür spricht die verzögerte Zustellung der<br />

Revisionsbegründungen durch das LG, die nicht nachvollziehbar<br />

lange Bearbeitungsdauer durch den Generalbundesanwalt<br />

sowie die Best<strong>im</strong>mung eines relativ späten Termins zur Hauptverhandlung<br />

durch den BGH. Diese vermeidbaren Verfahrensverzögerungen<br />

haben die Untersuchungshaft um mindestens sieben<br />

Monate verlängert.<br />

<strong>Das</strong> OLG ist zudem zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich<br />

die Angemessenheit der Untersuchungshaft-Dauer maßgeblich<br />

nach der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe richtet. Die zulässige<br />

Höchstdauer der Untersuchungshaft best<strong>im</strong>mt sich vielmehr<br />

nach objektiven Kriterien wie der Komplexität der Rechtssache,<br />

der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der<br />

Verteidigung ab.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BVerfG veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 41


Bundesrepublik und Niederlande haben<br />

Vertrag über die grenzüberschreitende polizeiliche<br />

und strafrechtliche Zusammenarbeit<br />

geschlossen<br />

Am 2.3.2005 hat die Bundesregierung mit den Niederlanden<br />

einen bilateralen Vertrag über die grenzüberschreitende<br />

polizeiliche und strafrechtliche Zusammenarbeit geschlossen.<br />

Danach können künftig sowohl in der Bundesrepublik als<br />

auch in den Niederlanden Polizeikräfte des jeweiligen anderen<br />

Landes eingesetzt werden. Außerdem regelt der Vertrag den<br />

grenzüberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittler und enthält<br />

Best<strong>im</strong>mungen zur „kontrollierten Lieferung“ von Rauschgift<br />

oder anderen unerlaubten Gütern.<br />

Die Kernelemente des Vertrages <strong>im</strong> <strong>Überblick</strong>:<br />

Künftig können <strong>im</strong> eigenen Land Polizeikräfte des jeweils anderen<br />

Landes eingesetzt werden. Diese Polizeikräfte dürfen dann<br />

jeweils als Unterstellte der Länder auch hoheitliche Aufgaben<br />

wahrnehmen.<br />

Der Vertrag regelt die rechtliche Grundlage für die Übermittlung<br />

und den Abgleich von DNA-Identifizierungsmustern während<br />

eines laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens sowie zu so<br />

genannten Spontanübermittlungen.<br />

Der neue Vertrag erweitert und ergänzt die Schengener Regelungen<br />

zur grenzüberschreitenden Observation und Nacheile bei der<br />

Strafverfolgung.<br />

Daneben regelt der Vertrag den grenzüberschreitenden Einsatz<br />

verdeckter Ermittler und enthält Best<strong>im</strong>mungen zur „kontrollierten<br />

Lieferung“ von Rauschgift oder anderen unerlaubten<br />

Gütern.<br />

Steuerrecht<br />

Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung<br />

entsteht nicht bereits mit der<br />

Eintragung einer Auflassungsvormerkung<br />

BFH 2.2.2005, II R 26/02<br />

Die Schenkungsteuer für eine Grundstücksschenkung entsteht noch<br />

nicht, wenn der Beschenkte von der Eintragungsbewilligung erst<br />

zu einem späteren Zeitpunkt (hier: Tod des Schenkers) Gebrauch<br />

machen darf. Dies gilt selbst dann, wenn für den Beschenkten<br />

bereits eine Auflassungsvormerkung eingetragen worden ist.<br />

Die Auflassungsvormerkung begründet zwar ein dingliches<br />

Anwartschaftsrecht an dem Grundstück, ist für den Zeitpunkt der<br />

Entstehung der Schenkungsteuer aber ohne Bedeutung.<br />

Der Sachverhalt:<br />

T. versprach der Klägerin mit notariell beurkundetem „Übergabevertrag“<br />

vom 19.12.1995 die Schenkung eines Grundstücks.<br />

Die Übergabe des Grundstücks sollte allerdings erst mit dem Tod<br />

der T. erfolgen. Zugunsten der Klägerin wurde eine Auflassungsvormerkung<br />

<strong>im</strong> Grundbuch eingetragen. Die Eigentumsänderung<br />

sollte gegen Vorlage der Sterbeurkunde der T. <strong>im</strong> Grundbuch<br />

eingetragen werden.<br />

Nachdem T. am 12.4.1999 verstorben war, wurde das Grundstück<br />

auf die Klägerin umgeschrieben. <strong>Das</strong> Finanzamt erließ einen Schenkungsteuerbescheid<br />

nach Maßgabe der am 12.4.1999 geltenden<br />

Rechtslage. Die Klägerin machte dagegen geltend, dass die Grundstücksschenkung<br />

bereits mit Abschluss des „Übergabevertrags“<br />

ausgeführt worden sei. Daher müsse das ErbStG in seiner bis zum<br />

31.12.1995 geltenden Fassung Anwendung finden. Ihre gegen den<br />

Schenkungsteuerbescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Schenkungsteuer<br />

erst mit dem Tod der T. entstanden ist.<br />

Nach § 9 Abs.1 Nr.2 ErbStG entsteht die Schenkungsteuer für<br />

Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung<br />

der Zuwendung. Eine Grundstücksschenkung ist erst dann<br />

ausgeführt, wenn der Schenker alles zur Grundstücksübertragung<br />

Erforderliche getan hat und der Beschenkte jederzeit den<br />

Eintritt der dinglichen Rechtsänderung herbeiführen kann. Deshalb<br />

entsteht die Schenkungsteuer nicht schon dann, wenn der<br />

Beschenkte - wie hier - erst zu einem späteren Zeitpunkt von<br />

der Eintragungsbewilligung Gebrauch machen darf.<br />

<strong>Das</strong> gilt selbst dann, wenn zugunsten des Beschenkten bereits<br />

eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist. Diese begründet<br />

für den Beschenkten zwar ein dingliches Anwartschaftsrecht<br />

an dem Grundstück. Für den Zeitpunkt der Ausführung einer<br />

Grundstücksschenkung ist die Auflassungsvormerkung aber<br />

ohne Bedeutung. Schenkungsteuerrechtlich kommt es lediglich<br />

auf den Erwerb des Vollrechts an.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />

veröffentlicht.<br />

Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Die Beteiligten eines „Umsatzsteuer-Karussells“<br />

sind möglicherweise nicht zum Vorsteuerabzug<br />

berechtigt<br />

BFH 29.11.2004, V B 78/04<br />

Es ist zweifelhaft, ob Warenbewegungen innerhalb eines<br />

so genannten „Umsatzsteuer-Karussells“, bei dem Waren<br />

nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und<br />

gegebenenfalls an den Lieferempfänger zurück“geliefert“<br />

werden, der Umsatzbesteuerung unterliegen. Sollte der EuGH,<br />

dem hierzu schon mehrere Verfahren vorliegen, entscheiden,<br />

dass dies nicht der Fall ist, so scheidet ein Vorsteuerabzug aus<br />

Rechnungen über Warenbewegungen innerhalb des „Karussells“<br />

aus.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragstellerin ist eine GmbH, die mit Computerteilen handelt.<br />

In den Streitjahren 1999 bis 2001 ließ das Finanzamt zunächst die<br />

von der Antragstellerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge für<br />

den behaupteten Ankauf von Computerteilen zum Abzug zu.<br />

11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 42


Im Dezember 2002 stellte die Steuerfahndung fest, dass sich die<br />

Antragstellerin an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell<br />

beteiligt habe. Sie habe ihre Waren nahezu ausschließlich<br />

von der ebenfalls an dem Karussell beteiligten Firma<br />

H. bezogen und sie an weitere an dem Karussell beteiligte<br />

Firmen verkauft. Jedenfalls zehn Prozent der Waren habe die<br />

Antragstellerin mehrfach bezogen und weiterverkauft.<br />

<strong>Das</strong> Finanzamt vertrat daraufhin die Auffassung, dass die Antragstellerin<br />

in den Streitjahren nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt<br />

gewesen sei und erließ entsprechende Rückforderungsbescheide<br />

in Millionenhöhe. Es setzte zwar antragsgemäß die Vollziehung<br />

der Bescheide aus, verlangte hierfür aber eine Sicherheitsleistung,<br />

da die Antragstellerin ihre Geschäftstätigkeit inzwischen weitgehend<br />

eingestellt habe und ihre Kreditlinie ausgeschöpft sei. Der<br />

hiergegen gerichtete Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne<br />

Sicherheitsleistung hatte letztinstanzlich keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

<strong>Das</strong> Finanzamt hat die Aussetzung der Vollziehung der Rückforderungsbescheide<br />

zu Recht von einer Sicherheitsleistung<br />

abhängig gemacht. Die Sicherheitsleistung ist geboten, weil die<br />

Antragstellerin sich in einer schlechten finanziellen Lage befindet<br />

und nicht mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit in<br />

der Hauptsache ein günstiger Prozessausgang für die Antragstellerin<br />

zu erwarten ist.<br />

Die Antragstellerin war in den Streitjahren an einem so genannten<br />

„Umsatzsteuer-Karussell“ beteiligt. Es ist zweifelhaft, ob<br />

Warenbewegungen innerhalb eines solchen „Karussells“ der<br />

Umsatzbesteuerung unterliegen.<br />

Dem EuGH liegen bereits mehrere Vorabentscheidungsersuchen<br />

vor, in denen zu entscheiden ist, ob Umsätze innerhalb eines solchen<br />

„Karussells“ als „wirtschaftliche Tätigkeit“ <strong>im</strong> Sinn der<br />

Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie und damit als steuerbare<br />

Tätigkeit <strong>im</strong> Sinn des UStG anzusehen sind. Sollte der EuGH<br />

zu dem Ergebnis kommen, dass Warenbewegungen innerhalb<br />

eines „Karussells“ keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ darstellen,<br />

so scheidet ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die Warenbewegung<br />

aus.<br />

Der Hintergrund:<br />

Im Regelfall funktionieren die „Karusselle“ so, dass Waren aus<br />

einem anderen Mitgliederstaat an einen Erwerber <strong>im</strong> Inland steuerfrei<br />

veräußert werden. Der Erwerber veräußert die Waren mit<br />

einem Aufschlag an einen Abnehmer, der den in der Rechnung<br />

ausgewiesenen - aber tatsächlich nicht gezahlten - Steuerbetrag<br />

als Vorsteuer abzieht.<br />

Der Abnehmer veräußert die Waren mit Gewinnaufschlag an<br />

einen weiteren Abnehmer. Dieser zieht den Steuerbetrag als Vorsteuer<br />

ab und veräußert die Waren an einen Exporteur, der sie<br />

wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat verkauft und die<br />

ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />

veröffentlicht.<br />

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Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht nur die<br />

in ihrem Land ausgeführten Forschungsarbeiten<br />

steuerlich begünstigen<br />

EuGH 10.3.2005, C-39/04<br />

Es verstößt gegen den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit,<br />

wenn ein Mitgliedstaat (hier: Frankreich) nur <strong>im</strong> eigenen Land<br />

ausgeführte Forschungsarbeiten steuerlich begünstigt. Diese<br />

Ungleichbehandlung steht <strong>im</strong> direkten Gegensatz zum Ziel der<br />

Gemeinschaftspolitik, in diesem Bereich alle Hindernisse, die<br />

einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entgegenstehen,<br />

zu beseitigen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

<strong>Das</strong> französische Steuerrecht sieht eine Steuervergünstigung für<br />

Forschungsarbeiten vor, die ein in Frankreich ansässiges Unternehmen<br />

in Frankreich ausführen lässt. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens<br />

ist Firma mit Sitz in Frankreich, die Arzneispezialitäten herstellt<br />

und vertreibt. Sie vergab in den Streitjahren 1995 und 1996<br />

verschiedene Forschungsaufträge an in anderen Mitgliedstaaten<br />

niedergelassene Forschungszentren und machte für ihre Ausgaben<br />

die Steuervergünstigung für Forschungsarbeiten geltend.<br />

Die französische Steuerbehörde gewährte die Steuervergünstigung<br />

nicht, weil die Forschungsarbeiten nicht in Frankreich ausgeführt<br />

worden seien. Auf die gegen die entsprechenden Steuerbescheide<br />

gerichtete Klage setzte das mit der Sache befasste<br />

nationale Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die<br />

Frage vor, ob die Beschränkung der Steuervergünstigung auf<br />

in Frankreich ausgeführte Forschungsarbeiten <strong>im</strong> Einklang mit<br />

dem EU-Recht steht. Der EuGH verneinte dies.<br />

Die Gründe:<br />

Die streitige Beschränkung der Steuervergünstigung auf in<br />

Frankreich ausgeführte Forschungsarbeiten verstößt gegen den<br />

Grundsatz der Dienstsleistungsfreiheit. Die Regelung macht die<br />

Begünstigung mittelbar vom Sitz des Erbringers der Forschungsleistungen<br />

abhängig und ist daher geeignet, dessen grenzüberschreitende<br />

Tätigkeiten zu behindern.<br />

Diese Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Forschungsleistungen<br />

ist nicht gerechtfertigt. Die Förderung der<br />

Forschung <strong>im</strong> eigenen Land ist zwar ein wichtiges Allgemeininteresse.<br />

Dieses Anliegen steht aber in direktem Gegensatz zu<br />

dem Ziel der Gemeinschaftspolitik, in diesem Bereich alle rechtlichen<br />

und steuerlichen Hindernisse, die einer grenzüberschreitenden<br />

Zusammenarbeit entgegenstehen, zu beseitigen.<br />

Die Ungleichbehandlung kann auch nicht aus Gründen der<br />

Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle gerechtfertigt werden.<br />

Die Mitgliedstaaten dürfen zwar Regelungen treffen, die eine<br />

klare und eindeutige Feststellung der in ihrem Land steuerlich<br />

abziehbaren Beträge erlauben. Die streitige Regelung geht aber<br />

weit über dieses Ziel hinaus, da sie nicht der Abgrenzung der in<br />

Frankreich als Forschungsausgaben abziehbaren Beträge dient,<br />

sondern die steuerliche Berücksichtigung von Ausgaben für Forschungsarbeiten,<br />

die ein in Frankreich ansässiges Unternehmen<br />

in einem anderen Mitgliedstaat ausführen lässt, von vornherein<br />

ausschließt.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH<br />

veröffentlicht.<br />

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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 43


Der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />

Betriebsvermögen ist bei mehreren Erwerbern<br />

nicht nur „nach Köpfen“ zu verteilen<br />

BFH 15.12.2004, II R 75/01<br />

Soweit mehreren Erwerbern eines Betriebs nach § 13a Abs.1<br />

S.1 Nr.1 ErbStG der erbschaftsteuerrechtliche Freibetrag für<br />

Betriebsvermögen zu gleichen Teilen zusteht, kommt nicht nur eine<br />

Verteilung des Freibetrags „nach Köpfen“ in Betracht. § 13a Abs.1<br />

S.1 ErbStG bezweckt die Verteilung des gesamten Freibetrags.<br />

Deshalb ist der bei der (ersten) Verteilung „nach Köpfen“ nicht<br />

verbrauchte Teil des Freibetrags zu gleichen Anteilen auf Erwerber<br />

zu verteilen, die noch Teile ihres durch § 13a ErbStG begünstigten<br />

Betriebsvermögens zu versteuern haben.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die <strong>im</strong> Dezember 1997 verstorbene Erblasserin war Kommanditistin<br />

einer KG. Sie hatte zunächst den Kläger als Alleinerben<br />

eingesetzt, später jedoch jeweils fünf Prozent ihrer Beteiligung<br />

an der KG ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin vermacht.<br />

<strong>Das</strong> Finanzamt teilte den Betriebsvermögensfreibetrag des § 13a<br />

ErbStG „nach Köpfen“ auf und ließ den bei der Schwiegertochter<br />

und der Enkelin nicht verbrauchten Teil des Freibetrags be<strong>im</strong><br />

Kläger unberücksichtigt.<br />

Mit der gegen den entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid<br />

gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass ihm entsprechend<br />

des auf ihn übergegangenen Anteils am Betriebsvermögen<br />

von 90 Prozent auch 90 Prozent des Freibetrags (450.000 DM)<br />

zustehe. <strong>Das</strong> FG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers<br />

hob der BFH die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat einen Anspruch auf Berücksichtigung eines<br />

Betriebsvermögensfreibetrags gemäß § 13a ErbStG in Höhe von<br />

450.000 DM. Nach § 13a Abs.1 S.1 Nr.1 ErbStG in der <strong>im</strong> Streitjahr<br />

geltenden Fassung bleibt bei der Besteuerung unter anderem<br />

Betriebsvermögen von 500.000 DM außer Ansatz. Hat der Erblasser<br />

- wie hier - keine Aufteilung des Freibetrags verfügt, so<br />

steht der Freibetrag den Erwerbern zu gleichen Teilen zu.<br />

<strong>Das</strong> Finanzamt ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Verteilung<br />

des Freibetrags „zu gleichen Teilen“ auf eine Verteilung<br />

„nach Köpfen“ beschränkt ist. Die Verteilung „zu gleichen Teilen“<br />

umschreibt nur ein Aufteilungsprinzip, das auf die Aufteilung<br />

des gesamten nach § 13a Abs.1 S.1 ErbStG außer Ansatz<br />

zu bleibenden Freibetrags gerichtet ist.<br />

<strong>Das</strong> ergibt sich aus dem Zweck von § 13a Abs.1 S.1 ErbStG,<br />

einen Ausgleich für die Sozialgebundenheit des erworbenen<br />

Betriebsvermögens zu schaffen. § 13a Abs.1 S.1 ErbStG ist<br />

demnach dahingehend auszulegen, dass der bei der ersten Verteilung<br />

des Freibetrags noch unverbrauchte Teil auf die Erwerber<br />

zu verteilen ist, die nach der ersten Aufteilung noch Teile ihres<br />

Betriebsvermögens zu versteuern hätten. Diese weitere Aufteilung<br />

hat wiederum zu gleichen Teilen bis zum vollständigen Verbrauch<br />

des Freibetrags zu erfolgen. Daher steht <strong>im</strong> Streitfall der<br />

nach der Aufteilung „nach Köpfen“ noch nicht verteilte Freibetrag<br />

in vollem Umfang dem Kläger zu.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH<br />

veröffentlicht.<br />

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Verlag<br />

Impressum<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />

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<strong>Anwalt</strong>swoche Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />

ISSN 1613-8090<br />

Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />

Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />

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11/2005 <strong>Anwalt</strong>swoche 44

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