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<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />
Das Wichtige im Überblick<br />
Vertragsrecht<br />
Kedítsicherung: Unwirksamkeitskriterien bei formularmäßiger<br />
Arbeitnehmerbürgschaft (OLG Zweibrücken)<br />
Mietrecht<br />
„Versorgungssperre“: Keine „Stromkappung“ bei<br />
gewerblichem Untermieter (LG München)<br />
KFZ-Recht und Verkehr<br />
Autokauf: Beweislastumkehr gem. § 476 BGB auch<br />
bei Karosserieschäden (BGH)<br />
Sozialrecht<br />
ALG II: Verschleierungstaktik führt zu Anspruchsverlust<br />
(LSG NW)<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Kapitalgesellschaften: EFTA-Gründungen mit deutschem<br />
Verwaltungssitz sind rechts- und parteifähig<br />
(BGH)<br />
Sacheinlage: Nicht durch Gesellschafterschulden<br />
(KG)<br />
Aus dem Inhalt:<br />
37/05<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenzverwalter: Prozesskostenhilfe bei Massearmut<br />
(OLG Hamm)<br />
Steuerrecht<br />
Antragsveranlagung: Nur bei fristgemäß eingereichter<br />
Steuererklärung (FG Saarland)<br />
Kindergeld: Voraussetzungen bei Pflegekindern (FG<br />
Düsseldorf)
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 37/05 Inhalt<br />
Vertragsrecht<br />
Formularmäßige Arbeitnehmerbürgschaften können<br />
unwirksam sein<br />
OLG Zweibrücken 14.4.2005, 4 U 132/04 3<br />
Mietrecht<br />
Vermieter dürfen einem gewerblichen Untermieter<br />
nicht ohne weiteres den Strom sperren<br />
LG München I 9.6.2005, 26 O 8764/05 3<br />
KFZ-Recht und Verkehr<br />
Die Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB gilt auch<br />
bei Karosserieschäden<br />
BGH 14.9.2005, VIII ZR 363/04 3<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Fußballspieler haften nicht unbedingt für die<br />
Beschädigung eines neben dem Sportplatz abgestellten<br />
Autos<br />
LG Mainz 31.8.2005, 3 S 89/05 4<br />
Arbeitsrecht<br />
Fahrtzeiten bei Dienstreisen gehören nicht zur<br />
Arbeitszeit im Sinn des ArbZG<br />
LAG Niedersachsen 20.7.2005, 15 Sa 1812/04 4<br />
Sozialrecht<br />
Bei Verschleierung der Vermögensverhältnisse<br />
besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II<br />
LSG NRW 14.6.2005, L 1 B 2/05 AS ER 5<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Die Beteiligung von Managern und Mitarbeitern an<br />
der sie anstellenden GmbH darf zeitlich beschränkt<br />
werden<br />
BGH 19.9.2005, II ZR 342/03 u.a. 6<br />
In einem EFTA-Staat gegründete Kapitalgesellschaften<br />
sind in Deutschland rechts- und parteifähig<br />
BGH 19.9.2005, II ZR 372/03 6<br />
Anlagevermittler können trotz Hinzuziehung eines<br />
Anlagenberaters auf Schadensersatz haften<br />
OLG Köln 15.7.2005, 6 U 227/04 7<br />
GmbH-Gesellschafter können keine gegen sie<br />
gerichtete Forderungen als Sacheinlage in die<br />
Gesellschaft einbringen<br />
KG Berlin 3.2.2005, 1 W 319/03 7<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Aufbringung der Prozesskosten ist für Insolvenzgläubiger<br />
nur bei positiver Feststellung ihrer wirtschaftlichen<br />
Leistungsfähigkeit zumutbar<br />
OLG Hamm 12.4.2005, 8 W 33/04 8<br />
Steuerrecht<br />
Antragsveranlagung kommt nur bei fristgerechtem<br />
Einreichen der Einkommensteuererklärung in<br />
Betracht<br />
FG des Saarlandes 30.6.2005, 1 K 259/01 8<br />
Zu den Voraussetzungen für die Gewährung von<br />
Kindergeld bei Aufnahme eines Pflegekindes<br />
FG Düsseldorf 19.8.2005, 18 K 3149/04 Kg 9<br />
Anstrich der Außenfassade ist keine steuerbegünstigte<br />
„haushaltsnahe Dienstleistung“<br />
FG München 30.7.2005, 5 K 2262/04 10<br />
Die Steuerfahndung kann von Banken Auskünfte<br />
über die Inhaber von Telekom-Bonusaktien verlangen<br />
FG Baden-Württemberg 18.7.2005, 4 V 24/04 10
Vertragsrecht<br />
Formularmäßige Arbeitnehmerbürgschaften<br />
können unwirksam sein<br />
OLG Zweibrücken 14.4.2005, 4 U 132/04<br />
Eine formularmäßig erklärte Bürgschaft eines Arbeitnehmers<br />
für Verbindlichkeiten seines Arbeitgebers ist nach § 307 Abs.1<br />
S.1 BGB unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer unzumutbar<br />
belastet. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der<br />
Arbeitnehmer die Bürgschaft nur aus Angst vor dem Verlust seines<br />
Arbeitsplatzes übernimmt und die Bürgschaftssumme außer<br />
Verhältnis zu seinem Einkommen oder seinen Vorteilen aus der<br />
Bürgschaft steht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte war als Arbeitnehmer bei einer Elektrofirma angestellt,<br />
die am Neubau des Klägers die elektronischen Arbeiten<br />
verrichten sollte. Da die Elektrofirma sich in finanziellen Schwierigkeiten<br />
befand, erklärt sich die Klägerin bereit, die erforderlichen<br />
Materialien vorzufinanzieren, verlangte aber im Gegenzug<br />
eine Bürgschaft über 150.000 Euro.<br />
Auf Bitten seines Arbeitgebers verbürgte sich der damals 61jährige<br />
Beklagte für die Materialbeschaffungskosten und unterzeichnete<br />
zu diesem Zweck eine formularmäßige Bürgschaftserklärung.<br />
Hierauf ließ sich die Klägerin nur deshalb ein, weil<br />
der damals 61-Jährige Beklagte, der ein monatliches Nettogehalt<br />
von 1.600 Euro bezog, über ein eigenes Grundstück verfügte<br />
und die Bürgschaftsforderung daher mit einer Grundschuld<br />
absichern konnte.<br />
Wenige Monate nach Beginn der Arbeiten am Neubau des Klägers<br />
wurde die Elektrofirma zahlungsunfähig. Die Klägerin nahm<br />
den Beklagten daraufhin aus der Grundschuld auf Duldung der<br />
Zwangsvollstreckung in Anspruch. Die hierauf gerichtete Klage<br />
hatte vor dem LG Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hob<br />
das OLG diese Entscheidung auf und wies die Klage ab.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Duldung<br />
der Zwangsvollstreckung, weil die mit der Grundschuld<br />
besicherte Bürgschaftserklärung wegen Verstoßes gegen § 307<br />
Abs.1 S.1 BGB unwirksam ist. Formularmäßig erklärte Arbeitnehmerbürgschaften<br />
sind unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer<br />
unzumutbar belasten. Eine derartige unzumutbare Belastung<br />
liegt hier angesichts der Vermögensverhältnisse des Beklagten<br />
und der Umstände, unter denen er sich zur Abgabe der Bürgschaftserklärung<br />
entschlossen hat, vor.<br />
Die Klägerin hat mit der Annahme des Bürgschaftsversprechens<br />
des Beklagten in verwerflicher Weise dessen schwierige Situation<br />
ausgenutzt. Sie wusste, dass der Beklagte das Bürgschaftsversprechen<br />
nur abgegeben hat, um seinen Arbeitgeber vor der<br />
drohenden Insolvenz und damit sich selbst vor dem drohenden<br />
Arbeitsplatzverlust zu schützen. Die Vorteile aus der Bürgschaft<br />
standen in keinem Verhältnis zu seinem wirtschaftlichen Risiko.<br />
Das ergibt sich insbesondere daraus, dass der Beklagte ein vergleichsweise<br />
niedriges Gehalt bezog und bis zur Verrentung nur<br />
nach maximal vier Jahr arbeiten musste.<br />
Mietrecht<br />
Vermieter dürfen einem gewerblichen Untermieter<br />
nicht ohne weiteres den Strom sperren<br />
LG München I 9.6.2005, 26 O 8764/05<br />
Vermieter dürfen einem gewerblichen Untermieter nicht den<br />
Strom sperren, wenn sie die Untervermietung geduldet haben.<br />
Die Absperrung des Stroms ist in einem solchen Fall nur mit<br />
einem wirksamen Räumungstitel zulässig.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller betreibt ein Internet-Cafe. Die Ladenräume in<br />
denen sich das Cafe befindet, hatte er mittels eines Untermietvertrags<br />
von X. angemietet. X. hatte seinerseits mit dem Antragsgegner<br />
einen Mietvertrag über die Räume geschlossen.<br />
Der Antragsgegner hatte im April 2005 den Strom gesperrt,<br />
obwohl der Antragsteller an ihn die Miete und das Entgelt für<br />
den Strom gezahlt hatte. Der Antragsgegner trug hierzu vor, dass<br />
er zwar von der Untervermietung gewusst, diese aber untersagt<br />
habe. Er habe sich mit X. bereits über eine Räumung des Objekts<br />
geeinigt und einen neuen Nachmieter gefunden.<br />
Der Antragsteller beantragte den Erlass einer einstweiligen<br />
Anordnung gegen die Stromsperrung. Sein Antrag hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Antragsgegner durfte dem Antragsteller nicht ohne weiteres<br />
den Strom sperren. Denn der Antragsteller hat sich nicht durch<br />
verbotene Eigenmacht in den Besitz der Ladenräume versetzt. X.<br />
hat die Räume vielmehr im Rahmen des Hauptmietvertrags mit<br />
Willen des Antragsgegners an den Antragsteller untervermietet.<br />
Die Untervermietung fand mit Willen des Antragsgegners statt,<br />
weil dieser über einen längeren Zeitraum kommentarlos die Miete<br />
vom Antragsteller entgegengenommen und sich damit konkludent<br />
mit der Untervermietung einverstanden erklärt hat. Der<br />
Antragsgegner kann sich damit nicht auf eine verbotene Besitzentziehung<br />
seitens des Antragstellers berufen. Die Sperrung<br />
des Stroms ist daher erst dann zulässig, wenn der Antragsgegner<br />
einen gültigen Räumungstitel erwirkt.<br />
KFZ-Recht und Verkehr<br />
Die Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB<br />
gilt auch bei Karosserieschäden<br />
BGH 14.9.2005, VIII ZR 363/04<br />
Käufer eines Fahrzeugs können sich bei einem Karosserieschaden,<br />
der sich innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe<br />
zeigt, auf die Beweislastumkehr des § 476 BGB berufen. Damit<br />
muss der Verkäufer des Fahrzeugs nachweisen, dass der Schaden<br />
bei der Übergabe des Fahrzeugs noch nicht vorhanden war.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger hatte privat bei dem beklagten Neu- und Gebrauchtwagenhändler<br />
einen Vorführwagen erworben. Bei Übergabe des<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 3
Wagens unterzeichnete der Kläger ein formularmäßiges Übergabeprotokoll,<br />
in dem der Zustand des Fahrzeugs als „einwandfrei“<br />
deklariert wurde. Das Übergabeprotokoll sollte dabei Grundlage<br />
für die einjährige Sachmängelhaftung des Beklagten sein.<br />
Vier Wochen nach dem Kauf monierte der Kläger eine Verformung<br />
des rechten vorderen Kotflügels und des Stoßfängers<br />
und verlangte vom Beklagten die Beseitigung der Mängel. Der<br />
Beklagte lehnte dies mit dem Hinweis darauf ab, dass die Schäden<br />
bei der Übergabe des Fahrzeugs noch nicht vorhanden gewesen<br />
seien. Der Kläger erklärte daraufhin den Rücktritt vom Kaufvertrag<br />
und verlangte dessen Rückabwicklung. Seine hierauf<br />
gerichtete Klage hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg. Auf<br />
die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts<br />
auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung<br />
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen den Beklagten grundsätzlich einen<br />
Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags. Ihm kommt<br />
die in § 476 BGB normierte Beweislastumkehr zugute. Hiernach<br />
wir bei einem Verbrauchsgüterkauf vermutet, dass ein Sachmangel,<br />
der sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe an<br />
den Käufer zeigt, schon bei der Übergabe vorhanden war. Diese<br />
Vermutung soll dem Käufer im Regelfall zugute kommen und<br />
nur ausnahmsweise wegen der Art der Sache oder des Mangels<br />
ausgeschlossen sein. So ist die Beweislastumkehr nicht bereits<br />
dann ausgeschlossen, wenn es sich um einen Mangel handelt,<br />
der jederzeit auftreten kann. Eine solche Einengung der Beweislastumkehr<br />
würde der Intention des Gesetzgebers, den Verbraucher<br />
zu schützen, nicht gerecht werden.<br />
Die Vermutung, dass der Mangel bereits bei der Übergabe vorhanden<br />
war, ist ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn es<br />
sich um äußerliche Beschädigungen der Kaufsache handeln, die<br />
auch dem fachlich nicht versierten Käufer auffallen müssen.<br />
In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Mangel<br />
bereits bei Übergabe der Sache vorhanden war. Im Streitfall liegt<br />
indes keine äußerliche Beschädigung des Wagens vor, die dem<br />
Kläger bei der Übergabe hätte auffallen müssen.<br />
Die Sache war aber deswegen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,<br />
weil es sich nicht hinreichend mit dem Vortrag<br />
des Beklagten auseinandergesetzt hat, dass die Beseitigung des<br />
Schadens allenfalls 100 Euro kosten würde. Es könnte hier ein<br />
unerheblicher Mangel vorliegen, der die Befugnis zum Rücktritt<br />
vom Kaufvertrag ausschließt.<br />
Haftungs- und<br />
Versicherungsrecht<br />
Fußballspieler haften nicht unbedingt für<br />
die Beschädigung eines neben dem Sportplatz<br />
abgestellten Autos<br />
LG Mainz 31.8.2005, 3 S 89/05<br />
Fußballspieler haften nicht für die Beschädigung eines neben<br />
dem Sportplatz abgestellten Autos durch einen Fehlschuss,<br />
wenn der Sportplatz mit einem Ballfangzaun ausgestattet ist. Es<br />
ist beim Fußballspielen nicht zu vermeiden, dass Bälle ihr Ziel<br />
manchmal verfehlen und einen Ballfangzaun überfliegen. Solche<br />
Fehlschüsse halten sich im Rahmen des erlaubten Risikos und<br />
rechtfertigen keinen Schuldvorwurf.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger hatte sein Fahrzeug auf einem direkt neben einem<br />
Sportplatz gelegenen Parkplatz abgestellt. Auf dem Sportplatz,<br />
der mit einem Ballfangzaun vom Parkplatz abgegrenzt ist, übte<br />
der Beklagte Torschüsse. Ein Ball verfehlte sein Ziel, überflog<br />
den Ballfangzaun und traf das Auto des Beklagten, das hierdurch<br />
am Kotflügel beschädigt wurde. Der Kläger verlangte von dem<br />
Beklagten Schadensersatz. Die hierauf gerichtete Klage hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz<br />
wegen der Beschädigung seines Autos. Der Beklagte<br />
hat den Schaden durch seinen Fehlschuss zwar verursacht. Ihm<br />
ist insoweit aber kein Verschulden vorzuwerfen.<br />
Es gehört zu den Eigenarten des Fußballspiels, dass Bälle auch<br />
schon einmal ihr Ziel verpassen und weit über das Spielfeld hinausfliegen.<br />
Ein solcher Fehlschuss begründet jedenfalls dann<br />
keine Schadensersatzpflicht, wenn – wie hier - eine Vorrichtung<br />
zum Schutz von Fahrzeugen vor abirrenden Bällen besteht. Der<br />
Streitfall zeigt zwar, dass es trotz einer solchen Schutzvorrichtung<br />
zu Sachschäden kommen kann. Das gehört aber zum allgemeinen<br />
Lebensrisiko und rechtfertigt keinen Schuldvorwurf.<br />
Arbeitsrecht<br />
Fahrtzeiten bei Dienstreisen gehören nicht<br />
zur Arbeitszeit im Sinn des ArbZG<br />
LAG Niedersachsen 20.7.2005, 15 Sa 1812/04<br />
Fahrtzeiten anlässlich von Dienstreisen führen nicht zu einer entsprechenden<br />
Erhöhung der Arbeitszeit im Sinn des ArbZG. Sie<br />
sind daher für die Ermittlung der Höchstarbeitszeit ohne Relevanz.<br />
Nur wenn das Reisen - wie zum Beispiel bei Kraftfahrern -<br />
zur arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht gehört, zählen die<br />
Fahrtzeiten in vollem Umfang zur Arbeitszeit.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der beklagten<br />
Bundesbehörde beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet<br />
der BAT Anwendung. Nach § 17 Abs.2 BAT und einer im<br />
Wesentlichen gleichlautenden Regelung in der Gesamtdienstvereinbarung-Gleitzeit<br />
der Beklagten gilt bei Dienstreisen grundsätzlich<br />
nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen<br />
Geschäftsort als Arbeitszeit. Es wird jedoch für jeden<br />
Tag einschließlich der Reisetage mindestens die dienstplanmäßige<br />
oder betriebsübliche Arbeitszeit berücksichtigt.<br />
Im Jahr 2000 unternahm der Kläger zahlreiche Dienstreisen und<br />
war dabei unter Berücksichtigung der Fahrtzeiten häufig insgesamt<br />
länger unterwegs als es seiner täglichen Arbeitszeit von<br />
7,7 Stunden entsprach. Die Fahrtzeiten nutzte er teilweise zum<br />
Aktenstudium.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4
Die Beklagte schrieb dem Kläger für jeden Tag einer Dienstreise<br />
lediglich 7,7 Stunden gut, obwohl der Kläger mit Korrekturbögen<br />
zur Zeiterfassung auch die über 7,7 Stunden pro Tag hinausgehenden<br />
Fahrtzeiten als Arbeitszeit geltend gemacht hatte.<br />
Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Anerkennung weiterer<br />
Arbeitszeiten sowie die Feststellung, dass die Beklagte sicherstellen<br />
müsse, dass bei Dienstreisen unter Berücksichtigung der<br />
Fahrtzeiten eine tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden nicht<br />
überschritten werde. Die Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte muss dem Kläger die anlässlich von Dienstreisen<br />
angefallenen Fahrtzeiten nicht als Arbeitszeit gutschreiben.<br />
Dabei kann dahinstehen, ob Reisezeiten grundsätzlich vergütungspflichtig<br />
sind. Jedenfalls können hierzu abweichende kollektivrechtliche<br />
oder einzelvertragliche Regelungen getroffen<br />
werden. Im Streitfall stellt § 17 Abs.2 BAT eine derartige abweichende<br />
Vereinbarung dar. Hiernach sind Fahrtzeiten vergütungsrechtlich<br />
nicht zu berücksichtigen.<br />
Die Beklagte muss die bei Dienstreisen anfallenden Fahrtzeiten<br />
auch nicht arbeitszeitschutzrechtlich als Arbeitszeit berücksichtigen.<br />
Lediglich wenn das Reisen – wie etwa bei Berufskraftfahrern<br />
- zu den arbeitsrechtlichen Hauptleistungspflichten gehört,<br />
sind die Fahrtzeiten Bestandteil der Arbeitszeit im Sinn des Arb-<br />
ZG. Der Zeitaufwand für Dienstreisen stellt dagegen grundsätzlich<br />
keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn dar. Das<br />
gilt auch, wenn der Arbeitnehmer während der Fahrtzeiten teilweise<br />
Arbeitsleistungen erbringt.<br />
Der Kläger hat eingeräumt, dass er die Fahrtzeiten nur teilweise<br />
zum Aktenstudium nutzt. Anders als beim Bereitschaftsdienst,<br />
der nach der Arbeitszeitrichtlinie der EU grundsätzlich als<br />
Arbeitszeit zu werten ist, steht der Kläger seinem Arbeitgeber<br />
auch nicht während der gesamten Fahrtzeit zur Verfügung, um<br />
bei Bedarf Arbeitsleistungen zu erbringen. Vielmehr entscheidet<br />
er selbst, ob und wann er arbeitet und in welchen Zeiten er<br />
ruht.<br />
Zu berücksichtigen ist auch der Sinn und Zweck der arbeitsschutzrechtlichen<br />
Vorschriften. Diese sollen den Arbeitnehmer<br />
vor einer arbeitsmäßigen Überbeanspruchung schützen. Der<br />
Kläger ist insoweit nicht schutzbedürftig, weil er während der<br />
Fahrtzeiten nach eigenem Belieben Ruhepausen einlegen kann.<br />
Sozialrecht<br />
Bei Verschleierung der Vermögensverhältnisse<br />
besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />
II<br />
LSG NRW 14.6.2005, L 1 B 2/05 AS ER<br />
Wer seine Vermögensverhältnisse systematisch verschleiert, hat<br />
keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Die hieraus resultierende<br />
Ungewissheit geht zu Lasten des Langzeitarbeitslosen. Denn<br />
er muss die für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II erforder-<br />
lichen Tatsachen umfassend und vollständig vortragen. Ist seine<br />
persönliche Glaubwürdigkeit erschüttert, so muss er seine Vermögensverhältnisse<br />
durch Vorlage beweiskräftiger Urkunden<br />
oder Aussagen glaubwürdiger Zeugen nachweisen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller erhielt bis Ende Juni 2004 Sozialhilfe. Diese<br />
Leistungen stellte die Stadt E. ein, nachdem sie durch einen<br />
anonymen Hinweis von Einnahmen des Klägers aus einem nicht<br />
genehmigten Gewerbebetrieb (Produktion und Vertrieb von Pornofilmen)<br />
erfahren hatte.<br />
Ende 2004 beantragte der Antragsteller die Gewährung von<br />
Arbeitslosengeld II. Der Antragsgegner wies den Antrag ab, weil<br />
der Antragsteller bislang nicht dargelegt habe, dass er seinen<br />
Lebensunterhalt nicht durch eigenes Vermögen sicherstellen könne.<br />
Es sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller weiterhin<br />
Pornofilme produziere und verkaufe. Außerdem sei der Verbleib<br />
einer Erbschaft des Jahres 2002 in Höhe von 30.000 Euro unklar.<br />
Mit dem hiergegen gerichteten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz<br />
machte der Kläger geltend, dass das Verschweigen seines<br />
Gewerbeunternehmens eine „Notlüge“ gewesen sei, um sich für<br />
die Zukunft eine eigene Erwerbsquelle zu erschließen. Er habe<br />
sich geschworen, das Gewerbe zu melden, sobald es Gewinne<br />
erziele. Hierzu sei es jedoch nicht gekommen. Das SG gab<br />
dem Antrag statt. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des<br />
Antragsgegners hob das LSG diese Entscheidung auf und wies<br />
den Antrag ab.<br />
Die Gründe:<br />
Die Antragsgegnerin muss dem Antragsteller einstweilig kein<br />
Arbeitslosengeld II auszahlen.<br />
Der Antragsteller hat bislang nicht nachgewiesen, dass er nicht<br />
über genügend eigene Mittel verfügt, um seinen Lebensunterhalt<br />
zu bestreiten. Die diesbezüglichen Zweifel gehen zu Lasten<br />
des Antragstellers. Er muss die für den Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />
II erforderlichen Tatsachen umfassend, vollständig und<br />
behördlich nachprüfbar vortragen. Denn die behördliche Ermittlungspflicht<br />
findet dort ihre Grenze, wo – wie hier – eine weitere<br />
Aufklärung des Sachverhalts ohne Mitwirkung des Antragstellers<br />
unmöglich ist.<br />
Im Streitfall kommt hinzu, dass die persönliche Glaubwürdigkeit<br />
des Antragstellers erheblich erschüttert ist, weil er in der Vergangenheit<br />
seinen Gewerbetrieb sowie eine Erbschaft verschwiegen<br />
hat. In einem solchen Fall muss der Betroffene nicht nur<br />
lückenlos über seine Vermögensverhältnisse aufklären, sondern<br />
beweiskräftige Urkunden vorlegen oder glaubwürdige Zeugen<br />
benennen. Dies hat der Antragsteller bislang nicht getan.<br />
Eine weitere Entscheidung zum Thema:<br />
Das Hessische LSG hat am 22.8.2005 (Az.: L 7 AS 32/05 ER)<br />
entschieden, dass Langzeitarbeitslose für einen Anspruch auf<br />
Arbeitslosengeld II grundsätzlich nicht die Kontoauszüge der<br />
letzten Monate und eine Vermieterbescheinigung vorlegen müssen.<br />
Für eine derartige Auskunftspflicht gebe es jedenfalls dann<br />
keine gesetzliche Grundlage, wenn keine konkreten Hinweise<br />
auf einen Leistungsmissbrauch vorlägen. Den Volltext dieser auf<br />
den Webseiten des Hessischen LSG veröffentlichten Volltext<br />
finden Sie hier (pdf-Datei).<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung des LSG NRW ist auf der Website<br />
http://www.sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5
Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Die Beteiligung von Managern und Mitarbeitern<br />
an der sie anstellenden GmbH darf zeitlich<br />
beschränkt werden<br />
BGH 19.9.2005, II ZR 342/03 u.a.<br />
Manager oder verdiente Mitarbeiter einer GmbH, die Minderheitsbeteiligungen<br />
an der Gesellschaft übertragen bekommen,<br />
müssen diese regelmäßig nach ihrem Ausscheiden wieder an die<br />
Gesellschaft zurückübertragen. Eine zeitliche Beschränkung der<br />
Beteiligung ist zulässig und stellt insbesondere keinen Verstoß<br />
gegen das so genannte Hinauskündigungsverbot dar.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der BGH hatte in zwei Verfahren über die Zulässigkeit von so<br />
genannten Manager- und Mitarbeitermodellen entschieden. Bei<br />
diesen Modellen werden Geschäftsführern oder verdienten Mitarbeiten<br />
einer GmbH Minderheitsbeteiligungen an der Gesellschaft<br />
übertragen.<br />
In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen II ZR 342/03 hatte ein<br />
Elektro- und Unterhaltungselektronik- Handelsunternehmen seine<br />
„Vor-Ort-Geschäftsführer“, die für die in der Rechtsform von<br />
GmbH geführten Filialen zuständig sind, als Gesellschafter mit<br />
einem Gesellschaftsanteil von jeweils zehn Prozent beteiligt.<br />
Nachdem einer dieser Geschäftsführer entlassen worden war,<br />
verlangte das Unternehmen den Gesellschaftsanteil von ihm<br />
zurück.<br />
In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen II ZR 173/04 hatte ein<br />
mittelständisches Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH<br />
Gesellschaftsanteile an seine verdienten Mitarbeiter herausgegeben.<br />
Als eine dieser Mitarbeiterinnen aus dem Betrieb ausschied,<br />
verlangte das Unternehmen ebenfalls die Rückübertragung der<br />
Anteile.<br />
Der BGH entschied in beiden Fällen, dass die Mitarbeiter ihre<br />
Anteile an die jeweiligen Unternehmen zurückübertragen müssen.<br />
Die Gründe:<br />
In beiden Fällen müssen die Manager beziehungsweise verdienten<br />
Mitarbeiter ihre Gesellschaftsanteile an die GmbH zurückübertragen.<br />
Die Mitarbeiter der Unternehmen können sich insbesondere nicht<br />
auf die so genannte Hinauskündigungsklausel berufen. Dieses<br />
von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut betraf Fälle,<br />
in denen vereinbart wurde, dass ein Gesellschafter oder eine<br />
Gruppe von Gesellschaftern das Recht haben sollte, die anderen<br />
Gesellschafter ohne Angabe von Gründen auszuschließen.<br />
In solchen Fällen sollten die Gesellschafter ihre Beteiligungen<br />
regelmäßig behalten dürfen. Der BGH stufte solche Hinauskündigungsklauseln<br />
als sittenwidrig ein, weil jedes Mitglied einer<br />
Personengesellschaft seine Rechte und Pflichten unabhängig von<br />
dem Wohlwollen der Mehrheit in Selbstverantwortung ausüben<br />
müsse.<br />
Hinauskündigungsklauseln sind aber dann nicht sittenwidrig,<br />
wenn sachliche Gründe für die Hinauskündigungsmöglichkeit<br />
bestehen. Bei Manager- und Mitarbeitermodellen ist ein solcher<br />
sachlicher Grund regelmäßig gegeben. Denn die Manager- und<br />
Mitarbeiter halten ihre Gesellschafterstellungen nur treuhänderisch<br />
und haben daher kein Interesse daran, nach ihrem Ausscheiden<br />
noch an der Gesellschaft beteiligt zu sein. Die Beteiligung<br />
an einem Unternehmen mit Gesellschaftsanteilen ist nämlich nur<br />
möglich, wenn die Anteile am Ende der Unternehmenszugehörigkeit<br />
zurückgegeben werden müssen und der Ausscheidende einen<br />
Kaufpreis erhält, der die Fortführung des Modells ermöglicht.<br />
Der Hintergrund:<br />
Bei den im Streitfall behandelten und in der Praxis häufig vorkommenden<br />
Manager- und Mitarbeitermodellen werden Geschäftsführern<br />
oder verdienten Mitarbeiten einer GmbH Minderheitsbeteiligungen<br />
an der Gesellschaft übertragen. Die geschieht meist<br />
unentgeltlich oder zu einem sehr günstigen Preis. Zugleich wird<br />
regelmäßig vereinbart, dass die Manager oder Mitarbeiter ihre<br />
Beteiligungen nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft<br />
zurückübertragen müssen. Dies erfolgt ebenfalls unentgeltlich<br />
beziehungsweise zu dem für den Erwerb gezahlten Preis. Über<br />
die jährlichen Gewinnausschüttungen werden die Manager-<br />
und Mitarbeiter an dem von ihnen miterzielten wirtschaftlichen<br />
Erfolg ihres Unternehmens beteiligt. Sinn dieses Modells ist es,<br />
die Motivation des Geschäftsführers und der Mitarbeiter zu stärken<br />
und sie an das Unternehmen zu binden.<br />
In einem EFTA-Staat gegründete Kapitalgesellschaften<br />
sind in Deutschland rechts-<br />
und parteifähig<br />
BGH 19.9.2005, II ZR 372/03<br />
In einem EFTA-Staat (hier: Fürstentum Liechtenstein) gegründete<br />
Kapitalgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in<br />
Deutschland sind in Deutschland rechts- und parteifähig. Das<br />
gilt auch, wenn sie nicht in einem deutschen Handelsregister<br />
eingetragen sind. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei<br />
in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften,<br />
da das EWR-Abkommen die Niederlassungsfreiheit in gleicher<br />
Weise schützt wie der EG-Vertrag.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine nach dem Recht des Fürstentums Liechtenstein<br />
gegründete Aktiengesellschaft. Sie hat ihren tatsächlichen<br />
Verwaltungssitz in Deutschland, ist allerdings nicht in einem<br />
deutschen Handelsregister eingetragen.<br />
Die Klägerin gewährte der in Deutschland ansässigen G. 1997<br />
ein Darlehen zum Erwerb eines Mietshauses und ließ sich als<br />
Sicherheit die Mietzinsforderungen aus dem Objekt abtreten.<br />
Nach vorheriger Sequestration wurde am 14.7.1999 über das<br />
Vermögen der G. das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte<br />
war zunächst zum Sequester und später zum Insolvenzverwalter<br />
bestellt worden und hatte in diesen Funktionen bis zum<br />
31.7.1999 Mieten in einer Gesamthöhe von rund 12.500 Euro<br />
erhalten. Diesen Betrag forderte die Klägerin vom Beklagten.<br />
Das LG wies die hierauf gerichtete Klage als unzulässig ab, weil<br />
die Klägerin mangels Eintragung in einem deutschen Handelsregister<br />
nicht partei- und rechtsfähig sei. Auf die Berufung der<br />
Klägerin hob das OLG diese Entscheidung auf und gab der Klage<br />
statt. Die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten führte<br />
zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung<br />
an das OLG.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6
Die Gründe:<br />
Entgegen der Auffassung des LG ist die Klage zulässig. Das<br />
unter anderem von Deutschland und vom Fürstentum Liechtenstein<br />
ratifizierte EWR-Abkommen schützt die Dienstleistungsfreiheit<br />
in gleicher Weise wie Art. 43 EG-Vertrag. Daher gelten<br />
für die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften aus einem<br />
anderem EFTA-Staat dieselben Grundsätze wie für in einem<br />
anderen EU-Mitgliedstaat gegründete Gesellschaften.<br />
Die in einem anderen EU-Mitgliedstaat wirksam gegründeten<br />
Gesellschaften sind nach der Rechtsprechung des EuGH („Überseering“-Entscheidung)<br />
und des BGH (Urteil vom 14.3.2005,<br />
Az.: II ZR 5/03) im Inland rechts- und parteifähig. Da dasselbe<br />
auch für Gesellschaften aus einem anderen EFTA-Staat gilt, ist<br />
folglich auch die Klägerin als eine nach dem Recht des Fürstentums<br />
Liechtenstein wirksam gegründete Gesellschaft in Deutschland<br />
partei- und rechtsfähig.<br />
Es kann allerdings noch nicht abschließend entschieden werden,<br />
ob die Klage auch begründet ist. Dies hängt von der Frage ab,<br />
ob die Mieten während der Zeit der Sequestration oder erst nach<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt worden sind. Da das<br />
OLG hierzu bislang noch keine Feststellungen getroffen hat,<br />
muss es dies im zweiten Rechtszug nachholen.<br />
Linkhinweise:<br />
- Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte „Überseering“-Entscheidung<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
- Den auf den Webseiten des BGH veröffentlichten Volltext<br />
des Urteils des BGH vom 14.3.2005 (Az.: II ZR 5/03) finden<br />
Sie hier (pdf-Datei).<br />
Anlagevermittler können trotz Hinzuziehung<br />
eines Anlagenberaters auf Schadensersatz<br />
haften<br />
OLG Köln 15.7.2005, 6 U 227/04<br />
Bringt der Anlagevermittler den Anleger mit einem Anlageberater<br />
zusammen, so haftet zwar grundsätzlich nur der Anlageberater<br />
dem Anleger auf Schadensersatz wegen unzureichender<br />
Beratung über die Anlagerisiken. Etwas anderes gilt aber, wenn<br />
der Anlagevermittler die Anlage zuvor selbst empfiehlt. In diesem<br />
Fall muss auch der Anlagevermittler für Beratungsfehler<br />
einstehen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte kannte die Klägerin bereits aus seiner früheren<br />
Tätigkeit für eine Versicherung. Nachdem er sich selbständig<br />
gemacht hatte, nahm er Kontakt zur Klägerin auf, besuchte sie<br />
mehrmals und schloss mit ihr unter anderem einen Maklervertrag,<br />
in dem die Klägerin den Beklagten mit dem Abschluss von<br />
Versicherungsverträgen beauftragte. Bei einem seiner Hausbesuche<br />
sprachen die Parteien auch über die Alterssicherung der Klägerin.<br />
Dabei wies der Beklagte die Klägerin auf die Möglichkeit<br />
der Beteiligung an einem Immobilienfonds hin.<br />
Zu einem weiteren Gespräch brachte der Beklagte den Anlageberater<br />
A. mit, der einen von ihm selbst initiierten Immobilienfonds<br />
vertrieb. A. erläuterte die Geldanlage anhand einer Powerpoint-<br />
Präsentation, in der nicht auf die Risiken der Anlage hingewiesen<br />
wurde. Der Beklagte bestärkte die werbenden Bemühungen<br />
des A. mit dem Hinweis, dass es ihm leid tue, derzeit kein Geld<br />
für Anlagezwecke zur Verfügung zu haben. Sonst würde er auf<br />
jeden Fall selbst in den Fonds investieren.<br />
Die Klägerin erhielt von A. einen rund 44-seitigen Anlageprospekt,<br />
der auf Seite 30 einen Hinweis darauf enthielt, dass das Projekt<br />
auch gänzlich scheitern und ein Totalverlust eintreten könne.<br />
Die Klägerin kaufte für 76.000 Euro Anteile an dem Fonds.<br />
Nachdem der Fonds insolvent geworden war, verlangte sie vom<br />
Beklagten Schadenersatz in Höhe ihres Anlagebetrags, weil der<br />
Beklagte sie pflichtwidrig nicht auf die Risiken des Fonds hingewiesen<br />
habe. Die Klage hatte teilweise Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beklagte haftet der Klägerin grundsätzlich auf Schadensersatz.<br />
Er hat die Klägerin nicht hinreichend auf die Risiken der<br />
Anlage hingewiesen. Der Risikohinweis im Fließtext des Prospekts<br />
reichte insoweit nicht aus. Da A. alle Details der Anlage im<br />
Rahmen einer Computerpräsentation vorgestellt hat, die keinen<br />
Risikohinweis enthielt, durfte der Beklagte nicht darauf vertrauen,<br />
dass die Klägerin auch noch den umfangreichen Anlageprospekt<br />
Seite für Seite durcharbeiten und den Risikohinweis auf<br />
Seite 30 des Fließtextes zur Kenntnis nehmen würde.<br />
Der Schadensersatzpflicht des Beklagten steht nicht entgegen,<br />
dass es in erster Linie die Aufgabe des Anlageberaters A. war,<br />
die Klägerin auf die Risiken der Fondsbeteiligung hinzuweisen.<br />
Gleichwohl hätte auch der Beklagte die Klägerin über die Risken<br />
aufklären müssen. Denn der Beklagte hat sich nicht auf eine<br />
reine Anlagevermittlung beschränkt, sondern durch seine Empfehlung<br />
die Klägerin zur Zeichnung der Fondsanteile veranlasst.<br />
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlich unerfahrene<br />
Klägerin dem Beklagten durch die jahrelange Zusammenarbeit<br />
ein besonderes Vertrauen entgegengebracht hat.<br />
Die Klägerin muss sich allerdings ein Mitverschulden in Höhe<br />
von 50 Prozent anrechnen lassen. Der Prospekt enthielt einen<br />
Hinweis auf den drohenden Totalverlust, der von einem aufmerksamen<br />
Leser zur Kenntnis genommen und verstanden werden<br />
konnte. Außerdem ist es Allgemeingut, dass Immobilienfonds-Anlagen<br />
auch scheitern können. Sollte die Klägerin also<br />
tatsächlich auf die Sicherheit der Anlage vertraut haben, so ist<br />
dieses Vertrauen nicht in vollem Umfang schutzwürdig.<br />
GmbH-Gesellschafter können keine gegen<br />
sie gerichtete Forderungen als Sacheinlage<br />
in die Gesellschaft einbringen<br />
KG Berlin 3.2.2005, 1 W 319/03<br />
GmbH-Gesellschafter können keine Forderungen, die einem<br />
Dritten gegen sie zustehen, als Sacheinlage in die Gesellschaft<br />
einbringen. Denn bei einer gegen einen Gesellschafter gerichteten<br />
Forderung handelt es sich nicht um einen Vermögensgegenstand,<br />
sondern um Schulden. Der hinter diesen Schulden<br />
stehende Vermögenswert verbleibt indes in der Hand des Gesellschafters<br />
und steht nicht der Gesellschaft zur freien Verfügung.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger sind die Geschäftsführer der X. GmbH. Sie beantragten<br />
beim Registergericht unter anderem, eine weitere Erhöhung<br />
des Stammkapitals im Wege der Sachkapitalerhöhung ins<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7
Handelsregister einzutragen. Als Sacheinlage sollten die beiden<br />
einzigen Kommanditanteile einer KG eingebracht werden, deren<br />
persönlich haftende Gesellschafterin die GmbH war.<br />
Das Registergericht verweigerte die Eintragung, weil die KG<br />
Inhaberin von Forderungen gegen die Kläger war. Die gegen die<br />
Entscheidung des Registergerichts gerichteten Rechtsmittel hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Registergericht hat die Eintragung der Erhöhung des Stammkapitals<br />
ins Handelsregister zu Recht abgelehnt.<br />
Eine gegen einen Gesellschafter gerichtete Forderung kann von<br />
diesem nicht im Wege der Sacheinlage in die Gesellschaft eingebracht<br />
werden. Denn bei einer gegen einen Gesellschafter<br />
gerichteten Forderung handelt es sich nicht um einen Vermögensgegenstand,<br />
sondern um Schulden. Der hinter diesen Schulden<br />
stehende Vermögenswert verbleibt indes in der Hand des<br />
Gesellschafters und steht nicht der Gesellschaft zur freien Verfügung.<br />
Daher fehlt es an einen Zufluss eines Vermögensgegenstands<br />
zur freien Verfügung bei der GmbH (§ 7 Abs.3 GmbHG).<br />
Gesellschafter erlangen außerdem bei der Einlegung von gegen<br />
sie gerichteten Forderungen einen ungerechtfertigen Vorteil.<br />
Denn bei der Übernahme einer Bareinlagenverpflichtung würde<br />
der GmbH ein abgesicherter Zahlungsanspruch zustehen.<br />
Im Streitfall liegt eine solche unzulässige Sachkapitalerhöhung<br />
vor. Da die GmbH alle Kommanditanteile übernimmt, erlischt<br />
die KG, und ihr Vermögen geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge<br />
auf die GmbH über. Die GmbH wird damit unmittelbar die<br />
Gläubigerin der gegen ihre Geschäftsführer gerichteten Forderungen.<br />
Dies führt im Endeffekt dazu, dass bereits der Stammkapital-Erhöhungsbeschluss<br />
der Kläger unwirksam ist.<br />
Zwangsvollstreckung und<br />
Insolvenz<br />
Aufbringung der Prozesskosten ist für<br />
Insolvenzgläubiger nur bei positiver Feststellung<br />
ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
zumutbar<br />
OLG Hamm 12.4.2005, 8 W 33/04<br />
Gerichte dürfen einem Insolvenzverwalter die Gewährung von<br />
Prozesskostenhilfe nur verweigern, wenn sie positiv festgestellt<br />
haben, dass die Kostenaufbringung den am Gegenstand<br />
des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zumutbar ist. Eine<br />
Zumutbarkeit ergibt sich nicht allein aus der Tatsache, dass die<br />
Insolvenzquote bei der Durchführung des Rechtsstreits steigen<br />
würde.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners.<br />
Er beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für<br />
einen bevorstehenden Prozess. Er trug vor, dass die Kosten nicht<br />
aus der Masse bestritten werden könnten, da der Schuldner über<br />
keine hinreichenden liquiden Mittel verfüge. Bei einer erfolgreichen<br />
Durchsetzung der Klageforderung würde sich die Masse<br />
für die Insolvenzgläubiger um knapp 13.600 Euro erhöhen. Die<br />
Insolvenzquote stiege um 0,25 auf 1,88 Prozent.<br />
Das LG wies den Antrag mit der Begründung zurück, dass es<br />
den Insolvenzgläubigern des Schuldners zumutbar sei, die Kosten<br />
für den Prozess aufzubringen. Dies sei schon allein wegen<br />
der Verbesserung der Insolvenzquote anzunehmen. Auf die hiergegen<br />
gerichtete sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters<br />
hob das OLG die Entscheidung des LG auf und wies die Sache<br />
gemäß § 572 Abs.3 ZPO an das LG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.<br />
Gemäß § 116 S.1 Nr.1 ZPO erhält eine Partei kraft<br />
Amtes auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten aus der<br />
verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können<br />
und den am Rechtsstreit wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten<br />
ist, die Kosten aufzubringen. Entgegen der Auffassung<br />
des LG ist es den Insolvenzgläubigern im Streitfall nicht zuzumuten,<br />
die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen.<br />
Das LG hat festgestellt, dass sich die Insolvenzquote um 0,25<br />
auf 1,88 Prozent steigern würde, sofern der Rechtsstreit geführt<br />
würde. Der Zuwachs für die Masse würde damit rund 13.600<br />
Euro betragen. Diese Feststellungen reichen aber nicht aus, um<br />
eine Kostentragung durch die Insolvenzgläubiger als zumutbar<br />
erscheinen zu lassen. Das LG hätte vielmehr positiv feststellen<br />
müssen, dass für sie die Kostenaufbringung zumutbar ist. Denn<br />
es steht nicht fest, ob der Gewinn bei dem beklagten Forderungsschuldner<br />
auch tatsächlich zu realisieren ist. Bei der gebotenen<br />
wirtschaftlichen Betrachtung, die auch Risiken sachgerecht zu<br />
berücksichtigen hat, kann hier nicht ohne weiteres von einer<br />
Gewinnrealisierung ausgegangen werden.<br />
Steuerrecht<br />
Antragsveranlagung kommt nur bei fristgerechtem<br />
Einreichen der Einkommensteuererklärung<br />
in Betracht<br />
FG des Saarlandes 30.6.2005, 1 K 259/01<br />
Soweit Steuerpflichtige, die zumindest auch Einkünfte aus nichtselbständiger<br />
Tätigkeit beziehen, nur auf Antrag veranlagt werden,<br />
müssen sie hierfür gemäß § 46 Abs.2 Nr.8 EStG innerhalb<br />
einer Frist von zwei Jahren eine Einkommensteuererklärung einreichen.<br />
Der Antrag kann ausschließlich durch Einreichen der<br />
Einkommensteuererklärung gestellt werden. Daher reicht es<br />
nicht aus, wenn der Steuerpflichtige seinen Willen zur Durchführung<br />
der Antragsveranlagung auf andere Weise zum Ausdruck<br />
bringt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der seit dem Streitjahr 1997 verheiratete Kläger bezieht Einkünfte<br />
aus nichtselbständiger Tätigkeit sowie aus der Vermietung<br />
einer Wohnung. Zunächst reichte er trotz Aufforderung des<br />
Finanzamts für das Streitjahr keine Steuererklärung ein, woraufhin<br />
das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen schätzte und am<br />
1.2.1999 einen entsprechenden Steuerbescheid erließ.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8
Der Kläger legte gegen den Schätzungsbescheid durch seinen<br />
Steuerberater fristgerecht Einspruch ein. Die Steuererklärung<br />
1997 sollte bis zum 20.4.1999 eingereicht und wegen Heirat die<br />
Zusammenveranlagung durchgeführt werden. Tatsächlich wurde<br />
die Steuererklärung erst am 24.5.2000 eingereicht. Noch im<br />
gleichen Monat teilte das Finanzamt dem Kläger mit, dass eine<br />
Antragsveranlagung wegen Ablauf der Zwei-Jahres-Frist nach §<br />
46 Abs.2 Nr.8 EStG nicht mehr möglich sei.<br />
Den hiergegen gerichteten Einspruch des Klägers wies das<br />
Finanzamt zurück, hob den angefochtenen Schätzungsbescheid<br />
vom 1.2.1999 von Amts wegen auf und erstattete die bereits<br />
gezahlten Steuerbeträge. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage<br />
begehrte der Kläger, entsprechend seiner nachgereichten<br />
Einkommensteuererklärung veranlagt zu werden. Er habe konkludent<br />
einen fristgerechten Antrag auf Einkommensteuerveranlagung<br />
gestellt. Hierfür sei nicht zwingend erforderlich, dass die<br />
Einkommensteuererklärung innerhalb der Zwei-Jahres-Frist eingereicht<br />
werde. Die Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann vom Finanzamt nicht verlangen, entsprechend<br />
seiner Einkommensteuererklärung veranlagt zu werden. Eine<br />
Veranlagung wird nur in den in § 46 Abs.2 Nr.1 bis 8 EStG<br />
genannten Fällen durchgeführt. Vorliegend kommt lediglich eine<br />
Antragsveranlagung nach § 46 Abs.2 Nr. 8 EStG in Betracht.<br />
Hiernach können Steuerpflichtige auf Antrag veranlagt werden.<br />
Der Antrag muss gemäß § 46 Abs.2 Nr. 8 S.2 EStG innerhalb<br />
einer Frist von zwei Jahren durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung<br />
gestellt werden.<br />
Der Kläger hat die Einkommensteuererklärung erst nach Ablauf<br />
der Zweijahresfrist des § 46 Abs.2 Nr. 8 S.2 EStG eingereicht<br />
und daher keinen fristgerechten Antrag gestellt. Nach dem eindeutigen<br />
Wortlaut der Vorschrift kann der Antrag ausschließlich<br />
durch Einreichen der Einkommensteuererklärung und nicht etwa<br />
konkludent durch andere Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen,<br />
die auf einen Willen zur Antragsveranlagung schließen lassen,<br />
gestellt werden.<br />
Der Kläger durfte sich auch nicht auf Grund des zunächst ergangenen<br />
Schätzungsbescheids darauf verlassen, dass er veranlagt<br />
würde. Wegen der eindeutigen Gesetzesfassung kann es zumindest<br />
bei von einem Steuerberater vertretenen Steuerpflichtigen<br />
keinen dahingehenden Gutglaubensschutz geben.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website des FG<br />
des Saarlandes veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Zu den Voraussetzungen für die Gewährung<br />
von Kindergeld bei Aufnahme eines Pflegekindes<br />
FG Düsseldorf 19.8.2005, 18 K 3149/04 Kg<br />
Steuerpflichtige haben einen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld<br />
für ein Pflegekind, wenn sie durch ein familienähnliches,<br />
auf längere Dauer angelegtes Band mit dem Kind verbunden<br />
sind, die Aufnahme des Kindes nicht zu Erwerbszwecken erfolgt<br />
ist und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern<br />
nicht mehr besteht. Ein familienähnliches Band wird nicht<br />
bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Pflegeeltern einem<br />
Erziehungsverein oder dem Jugendamt in gewissen Abständen<br />
Bericht erstatten und sich in Fragen der Erziehung beraten lassen<br />
müssen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger bezog für seinen drei leiblichen Kinder Kindergeld.<br />
Als er und seine Ehefrau T. als Pflegekind in ihre Familie aufnahmen,<br />
beantragte er bei der beklagten Familienkasse auch für<br />
T. die Zahlung von Kindergeld. Dies lehnte die Beklagte ab.<br />
Zur Begründung führte sie aus, dass zwischen dem Kläger und<br />
T. kein dauerhaftes familienähnliches Band bestehe. Der Kläger<br />
und seine Ehefrau müssten Entscheidungen in Bezug auf T.<br />
zunächst mit dem Erziehungsverein besprechen und halbjährlich<br />
Bericht erstatten. Hierzu sei ein entsprechender Erziehungsstellenvertrag<br />
geschlossen worden. All dies lasse nicht den Schluss<br />
auf eine „normale“ familiäre Bindung zu. Der Kläger habe T.<br />
vielmehr zu Erwerbszwecken - um also nach marktwirtschaftlichen<br />
Gesichtspunkten entlohnt zu werden - in seinen Haushalt<br />
aufgenommen.<br />
Die gegen den ablehnenden Bescheid der Familienkasse gerichtete<br />
Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat für T. einen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld.<br />
Steuerpflichtige können gemäß § 63 Abs.1 Nr.1 EStG in<br />
Verbindung mit § 32 Abs.1 Nr.2 EStG für ein Pflegekind Kindergeld<br />
beanspruchen, wenn sie durch ein familienähnliches, auf<br />
längere Dauer angelegtes Band mit dem Kind verbunden sind,<br />
die Aufnahme des Kindes nicht zu Erwerbszwecken erfolgt ist<br />
und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern<br />
nicht mehr besteht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall<br />
erfüllt.<br />
Der Kläger und seine Ehefrau haben T. in ihren Haushalt aufgenommen.<br />
Entgegen der Auffassung der Familienkasse bestand<br />
auch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Band<br />
mit dem Kind. Der Kläger und seine Ehefrau sind an die Stelle<br />
der leiblichen Eltern von T. getreten und betreuen es wie ihr<br />
eigenes Kind. Sie treffen die wesentlichen Entscheidungen für T.<br />
und sind dessen Ansprechpartner. Ihre Beziehung zu T. ist auch<br />
auf Dauer angelegt und nicht nur als vorübergehende Überbrückung<br />
gedacht. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger und<br />
seine Ehefrau dem Erziehungsverein halbjährlich Bericht erstatten<br />
und mit dem Jugendamt ständig in Kontakt bleiben müssen.<br />
Die wesentlichen Entscheidungen des Alltags muss der Kläger<br />
gemeinsam mit seiner Ehefrau treffen, so dass sie die eigentliche<br />
Erziehungsarbeit leisten.<br />
Der Kläger hat T. auch nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt<br />
aufgenommen. Ein solches Verhalten ist regelmäßig erst<br />
dann zu unterstellen, wenn ein Steuerpflichtiger mehr als sechs<br />
Kinder in seinen Haushalt aufnimmt. Im Streitfall haben der Kläger<br />
und seine Ehefrau aber nur ein Pflegekind in ihren Haushalt<br />
aufgenommen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des FG<br />
Düsseldorf veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9
Anstrich der Außenfassade ist keine steuerbegünstigte<br />
„haushaltsnahe Dienstleistung“<br />
FG München 30.7.2005, 5 K 2262/04<br />
Der Anstrich der Außenfassade eines Hauses ist keine zu einer<br />
Steuerermäßigung berechtigende haushaltsnahe Dienstleistung<br />
im Sinn von § 35a Abs.2 EStG. Die Steuerermäßigung gilt nur<br />
für Dienstleistungen, die üblicherweise von den Haushaltsmitgliedern<br />
selbst und daher ohne besondere Fachkenntnisse erledigt<br />
werden können. Dies ist bei einem Anstrich der Außenfassade<br />
eines Hauses aber regelmäßig nicht der Fall.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte<br />
Eheleute. Im Streitjahr 2003 ließen sie von einem Dritten die<br />
bislang nur weiß verputzte Außenfassade ihres Neubaus erstmalig<br />
mit einem Außenanstrich versehen. In ihrer Einkommensteuererklärung<br />
beantragten sie für den Neuanstrich der Fassade die<br />
Tarifermäßigung gemäß § 35a EStG. Das Finanzamt lehnte den<br />
Antrag ab, weil der Außenanstrich eines Hauses keine haushaltsnahe<br />
Dienstleistung darstelle.<br />
Mit der hiergegen gerichteten Klage machten die Kläger geltend,<br />
dass es sich bei dem Außenanstrich nicht um einen notwendig<br />
gewordenen Renovierungsanstrich, sondern um eine reine Verschönerungsmaßnahme<br />
gehandelt habe. Der Neuanstrich sei<br />
vergleichbar mit Innenanstrichen, die ihrerseits unstreitig nach §<br />
35a EStG Berücksichtigung fänden. Die Klage hatte vor dem FG<br />
keinen Erfolg. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache<br />
ließ das FG allerdings die Revision zum BFH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kläger können für den Außenanstrich der Fassade ihres<br />
Hauses keine Steuerermäßigung nach § 35a Abs.2 EStG beanspruchen.<br />
Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich bei Inanspruchnahme<br />
haushaltsnaher Dienstleistungen die Einkommensteuer<br />
auf Antrag um 20 Prozent der Aufwendungen des Steuerpflichtigen<br />
(höchstens 600 Euro).<br />
Der Begriff der haushaltsnahen Dienstleistung ist im Gesetz<br />
zwar nicht definiert. Aus dem Zusammenhang mit § 35a Abs.1<br />
EStG (Privilegierung haushaltsnaher Beschäftigungsverhältnisse)<br />
ergibt sich aber, dass es sich bei den haushaltsnahen Dienstleistungen<br />
um ein „Outsourcing“ von einzelnen Tätigkeiten handeln<br />
muss, die gewöhnlich durch die Mitglieder des Haushalts<br />
oder durch im Rahmen eines dauerhaften Arbeitsverhältnisses<br />
Beschäftigte erledigt werden. Es muss sich dabei um Dienstleistungen<br />
handeln, die üblicherweise von den Haushaltsmitgliedern<br />
selbst und damit ohne besondere Fachkenntnisse erledigt<br />
werden können.<br />
Nach diesen Grundsätzen ist der von den Klägern in Auftrag<br />
gegebene Anstrich der Außenfassade ihres Hauses nicht als<br />
haushaltsnahe Dienstleistung zu werten. Bei einem Fassadenanstrich<br />
handelt es sich um eine Tätigkeit, die üblicherweise nur<br />
von Fachleuten ausgeführt wird. Das hierfür erforderliche Aufstellen<br />
eines standfesten Gerüstes sowie die Klärung farbtechnischer<br />
Fragen können von nicht fachlich vorgebildeten Haushaltsmitgliedern<br />
regelmäßig nicht bewerkstelligt werden.<br />
Der Hintergrund:<br />
Es gibt bislang kaum Gerichtsentscheidungen zur Auslegung des<br />
Begriffs der haushaltsnahen Dienstleistungen. Das BMF hat den<br />
Begriff in seinem Schreiben vom 1.11.2004 (- IV C 8 - S 2296b<br />
- 16/04 -) dahingehend definiert, dass alle Tätigkeiten erfasst<br />
werden, die auch Gegenstand eines haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnisses<br />
sein können, gewöhnlich durch Mitglieder<br />
des Privathaushalts erledigt werden, in regelmäßigen (kürzeren)<br />
Abständen anfallen und im Falle handwerklicher Tätigkeiten<br />
lediglich Schönheitsreparaturen oder kleine Ausbesserungsarbeiten<br />
darstellen.<br />
Für den Volltext dieses auf den Webseiten des BMF veröffentlichten<br />
BMF-Schreibens klicken Sie bitte hier (pdf-Datei).<br />
Die Steuerfahndung kann von Banken<br />
Auskünfte über die Inhaber von Telekom-<br />
Bonusaktien verlangen<br />
FG Baden-Württemberg 18.7.2005, 4 V 24/04<br />
Die Steuerfahndung kann von Banken Auskünfte über Bankkunden<br />
verlangen, die im Jahr 2000 Bonusaktien aus dem zweiten<br />
Börsengang der Deutschen Telekom erhalten haben. Das gilt<br />
jedenfalls dann, wenn bislang nur wenige der Aktieninhaber entsprechende<br />
steuerpflichtige Einkünfte erklärt haben und deshalb<br />
konkrete Anhaltspunkte für Steuerhinterziehungen bestehen. Ein<br />
solches Auskunftsverlangen stellt keine unzulässige Rasterfahndung<br />
dar.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist eine Bank. Sie gab im Jahr 2000 an 30.225<br />
Kunden Bonusaktien aus dem zweiten Börsengang der Deutschen<br />
Telekom aus. Stichproben aus einem zufällig gewählten<br />
Pool von Steuerpflichtigen ergaben, dass lediglich in zwei Fällen<br />
Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Erhalt der Bonusaktien<br />
erklärt worden waren. Daraufhin richtete die Steuerfahndung des<br />
zuständigen Finanzamts an die Antragstellerin ein Auskunftsersuchen,<br />
mit dem diese aufgefordert wurde, die Daten aller Bankkunden<br />
zu benennen, die im Jahr 2000 Bonusaktien erhalten<br />
haben.<br />
Die Antragstellerin hielt das Auskunftsersuchen für rechtswidrig.<br />
Hierbei handele es sich um unzulässige Ermittlungen „ins<br />
Blaue hinein“. Das FG entschied, dass die Antragstellerin die<br />
begehrten Auskünfte erteilen muss.<br />
Die Gründe:<br />
Das an die Antragstellerin gerichtete Auskunftsersuchen der<br />
Steuerfahndung ist rechtmäßig. Anspruchsgrundlage hierfür ist<br />
§ 93 Abs.1 S.1 AO, wonach Beteiligte und andere Personen den<br />
Finanzbehörden die zur Feststellung eines für die Besteuerung<br />
erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte erteilen müssen.<br />
Das Finanzamt benötigt die Namen der Bankkunden, die im<br />
Jahr 2000 die Telekom-Bonusaktien erhalten haben, um etwaige<br />
Steuerhinterziehungen aufdecken zu können. Die Zuteilung der<br />
Telekom-Bonusaktien hat zu steuerpflichtigen Einkünften aus<br />
Kapitalvermögen geführt. Da bislang kaum einer der Erwerber<br />
der Aktien entsprechende Einkünfte erklärt hat, bestehen konkrete<br />
Anhaltspunkte für Steuerhinterziehungen.<br />
Die Erstreckung des Auskunftsersuchens auf alle Bankkunden,<br />
die entsprechende Aktien erhalten haben, stellt keine unzulässige<br />
Rasterfahndung dar. § 93 AO berechtigt die Steuerfahndung zur<br />
möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerhinterziehungen<br />
und erlaubt deshalb auch Sammelauskunftsersuchen.<br />
37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10
Das Auskunftsersuchen ist auch nicht unverhältnismäßig. Die<br />
Weitergabe der Daten beeinträchtigt zwar möglicherweise das<br />
Vertrauensverhältnis der Antragstellerin zu ihren Kunden. Da die<br />
Antragstellerin aber die einzige ist, die über die erforderlichen<br />
Informationen verfügt, muss sie diese Beeinträchtigung hinnehmen.<br />
Denn der Eingriff dient der Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit<br />
und damit wichtigen Gemeinwohlbelangen.<br />
Der Hintergrund:<br />
Bei den streitigen Bonusaktien handelt es sich um Aktien, die die<br />
Deutsche Telekom bei ihrem zweiten Börsengang den Anlegern<br />
versprochen hat, die die jungen Aktien innerhalb eines bestimmten<br />
Zeitraums nicht veräußern. Der BFH hat mit Urteil vom<br />
7.12.2004 (Az. VIII R 70/02) entschieden, dass die Bonusaktien<br />
als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu besteuern sind und<br />
ihr Erwerb nicht etwa zu einer Minderung der nicht steuerbaren<br />
Anschaffungskosten für die jungen Aktien führt. Für den auf den<br />
Webseiten des BFH veröffentlichten Volltext dieser Entscheidung<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
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Zitierweise<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />
ISSN 1613-8090<br />
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Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />
Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />
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37/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11