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www.anwaltswoche.de<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />
Das Wichtige im Überblick<br />
Vertragsrecht<br />
Internet-Versandhandel: Kaufpreisrückzahlung bei<br />
Warenrückgabe nicht durch AGB ausschließbar<br />
(BGH)<br />
Arbeitsrecht<br />
Höchstarbeitszeitberechung: Nachtwachen sind<br />
„volle“ Arbeitszeit (EuGH)<br />
Betriebsratswahl: Nur begrenztes Einsichtsrecht<br />
des Arbeitgebers in Wahlakten (BAG)<br />
Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft: Keine<br />
Geschäftsführerhaftung gegenüber Arbeitnehmern<br />
im Insolvenzfall (BAG)<br />
Sozialrecht<br />
Arbeitslosenhilfe: Nur ALG II auch für ältere Arbeitnehmer<br />
(SG Dortmund)<br />
ALG II: Einstweiliger Rechtsschutz nur für 80% des<br />
Anspruches (SG Dortmund)<br />
Verwaltungsrecht<br />
Abfallbeseitigung: Für Gewerbetreibende trotz privater<br />
Müllentsorgung gebührenpflichtig (BVerwG)<br />
Aus dem Inhalt:<br />
47/05<br />
Strafrecht und OWi<br />
Sicherungsverwahrung: Nachträgliche Anordnung<br />
nur unter engen Voraussetzungen (BGH)<br />
Untersuchungshaft: Anspruch auf nachträglichen<br />
Rechtsschutz (BVerfG)<br />
Steuerrecht<br />
Akteneinsichtsrecht: Erlöschen bei Verfahrensende<br />
(BFH)<br />
Renovierung: Keine haushaltsnahe Dienstleistung<br />
(Niedersächsisches FG)
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 47/05 Inhalt<br />
Vertragsrecht<br />
Internetversandhäuser müssen Kunden bei Rückgabe<br />
der bestellten Ware Geld zurückerstatten<br />
BGH 5.10.2005, VIII ZR 382/04 4<br />
Arbeitsrecht<br />
Nachtwachen stellen bei der Berechnung der zulässigen<br />
Höchstarbeitszeit in vollem Umfang Arbeitszeit<br />
dar<br />
EuGH 1.12.2005, C-14/04 4<br />
Vertragsstrafenabrede in Formulararbeitsverträgen<br />
ist bei unangemessener „Übersicherung“ unzulässig<br />
BAG 18.8.2005, 8 AZR 65/05 5<br />
Arbeitgeber haben nicht ohne weiteres einen<br />
Anspruch auf Einsichtnahme in sämtliche Wahlakten<br />
der Betriebsratswahl<br />
BAG 27.7.2005, 7 ABR 54/04 5<br />
Bei Weiterbeschäftigung eines Geschäftsführers<br />
nach seiner Abberufung kann das vorhergehende<br />
Arbeitsverhältnis wieder aufleben<br />
BAG 24.11.2005, 2 AZR 614/04 6<br />
Geschäftsführer einer insolventen Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />
haften Arbeitnehmern regelmäßig<br />
nicht auf Schadensersatz<br />
BAG 24.11.2005, 8 AZR 1/05 6<br />
Sozialrecht<br />
Ältere Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf<br />
Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe<br />
SG Dortmund 23.11.2005, S 35 AS 22/05 7<br />
Langzeitarbeitslose können im Eilverfahren höchstens<br />
80 Prozent ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld<br />
II erstreiten<br />
SG Dortmund 17.11.2005, S 22 AS 206/05 ER 7<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Zwischen den Wortmarken „Post” und „Die grüne<br />
Post” besteht keine Verwechslungsgefahr<br />
OLG Hamburg 23.9.2005, 5 U 178/04 7<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Gewerbetreibende müssen trotz privater Müllentsorgung<br />
Abfallbeseitigungsgebühren zahlen<br />
BVerwG 1.12.2005, 10 C 4.04 8<br />
Bei einer Verkaufsfläche von mehr 800 Quadratmetern<br />
liegt ein nur in Kern- und Sondergebieten<br />
genehmigungsfähiger großflächiger Einzelhandelsbetrieb<br />
vor<br />
BVerwG 24.11.2005, 4 C 10.04 u.a. 8<br />
Aufenthaltserlaubnis für Ausländerkinder darf nicht<br />
nur vom Aufenthaltsrecht der Mutter abhängig<br />
gemacht werden<br />
BVerfG 25.10.2005, 2 BvR 524/01 9<br />
Strafrecht und OWi<br />
Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />
ist nur unter engen Voraussetzungen möglich<br />
BGH 25.11.2005, 2 StR 272/05 9<br />
Bundesjustizministerium bringt neues EU-Haftbefehlsgesetz<br />
auf den Weg<br />
Untersuchungshäftlinge haben Anspruch auf nachträglichen<br />
Rechtsschutz<br />
BVerfG 31.10.2005, 2 BvR 2233/04 10<br />
Steuerrecht<br />
Steuerberater und Rechtsanwälte müssen für<br />
Betriebsausgabenabzug von Telefonkosten Mandantenamen<br />
nennen<br />
FG Sachsen-Anhalt 28.4.2005, 1 K 371/02 11<br />
Mit einer Anhörungsrüge kann eine Entscheidung<br />
nicht materiell-rechtlich angegriffen werden<br />
BFH 30.9.2005, V S 12, 13/05 11<br />
Techno-Veranstaltungen können dem ermäßigten<br />
Umsatzsteuersatz unterliegen<br />
BFH 18.8.2005, V R 50/04 12<br />
Bundeskabinett hat die Abschaffung der Eigenheimzulage<br />
und den Abbau anderer Steuervergünstigungen<br />
beschlossen 12
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 47/05 Inhalt<br />
Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß<br />
FG Münster 27.9.2005, 12 K 6263/03 E 13<br />
Aktivierung eines Anspruchs der GmbH auf Einlage<br />
eines Aktiendepots setzt den Nachweis einer entsprechenden<br />
Vereinbarung voraus<br />
FG München 15.6.2005, 7 V 1569/05 13<br />
Das Akteneinsichtsrecht erlischt mit dem endgültigen<br />
Abschluss des betreffenden Verfahrens<br />
BFH 20.10.2005, VII B 207/05 14<br />
Renovierungen stellen keine haushaltsnahen<br />
Dienstleistungen dar<br />
Niedersächsisches FG 4.10.2005, 13 K 368/04 14<br />
Anmietung einer Wohnung vom Arbeitgeber zum<br />
Mietspiegel-Preis stellt keine verbilligte Wohnraumüberlassung<br />
dar<br />
BFH 17.8.2005, IX R 10/05 15<br />
Zum Vorliegen einer festen Betriebsstätte nach dem<br />
DBA-Portugal<br />
BFH 3.8.2005, I R 87/04 15<br />
Verlag<br />
Impressum<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />
Gustav-Heinemann-Ufer 58<br />
50968 Köln<br />
Geschäftsführender Gesellschafter: Dr. h.c. Karl-Peter Winters<br />
Amtsgericht Köln, HRA 5237<br />
USt-Ident-Nr. DE 123047975<br />
Zitierweise<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />
ISSN 1613-8090<br />
Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />
Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />
Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />
E-Mail: anwaltswoche@otto-schmidt.de<br />
Tel.: +49 (0) 221-93738-501<br />
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Rechtswirksamkeit des Haftungsausschlusses<br />
Sofern Teile oder einzelne Formulierungen dieses Textes der geltenden<br />
Rechtslage nicht, nicht mehr oder nicht vollständig entsprechen sollten, bleiben<br />
die übrigen Teile des Dokumentes in ihrem Inhalt und ihrer Gültigkeit<br />
davon unberührt.
Vertragsrecht<br />
Internetversandhäuser müssen Kunden bei<br />
Rückgabe der bestellten Ware Geld zurückerstatten<br />
BGH 5.10.2005, VIII ZR 382/04<br />
Internetversandhäuser dürfen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
nicht regeln, dass die Verbraucher bei der Rückgabe<br />
der bestellten Ware nicht ihr Geld zurückerhalten, sondern lediglich<br />
eine Gutschrift bekommen. Dies benachteiligt die Verbraucher<br />
unangemessen, da ihnen der Eindruck vermittelt wird, ihre Rechte<br />
seien auf die Erteilung einer Gutschrift beschränkt, obwohl ihnen<br />
tatsächlich ein Anspruch auf Rückgewähr ihrer Leistung zusteht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte betreibt einen Versandhandel und bietet ihre Waren<br />
auch im Internet an. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
verwendet sie unter anderem folgende Klausel zum Rückgaberecht:<br />
„Wenn Sie uns keinen bestimmten Wunsch mitteilen, wird der<br />
Wert der Rücksendung Ihrem Kundenkonto gutgeschrieben oder<br />
Sie erhalten beim Nachnahmekauf einen Verrechnungsscheck“<br />
Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er<br />
vertrat die Auffassung, dass die Klausel in den Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen der Beklagten rechtswidrig sei, weil sie<br />
den Verbraucher nicht klar und verständlich über seine Rechte<br />
aufkläre. Er verlangte deshalb die Unterlassung der Verwendung<br />
der Klausel. Die hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte darf die streitige Rückgaberecht-Klausel nicht<br />
mehr in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwenden.<br />
Die Klausel ist nach § 307 Abs.1 S.1 und 2 BGB unwirksam, weil<br />
sie die Verbraucher unangemessen benachteiligt. Die Benachteiligung<br />
der Verbraucher ergibt sich daraus, dass sie nicht klar und<br />
unmissverständlich über ihre Rechte aufgeklärt werden. Denn<br />
eine Klausel darf die Rechtslage nicht unzutreffend oder missverständlich<br />
darstellen und auf diese Weise dem Verwender die<br />
Möglichkeit geben, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die<br />
in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren.<br />
Bei einem Fernabsatzvertrag steht dem Verbraucher gemäß § 312d<br />
Abs.1 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Auf dieses<br />
Widerrufsrecht finden nach § 357 Abs.1 S.1 BGB die Vorschriften<br />
über den gesetzlichen Rücktritt entsprechend Anwendung.<br />
Diesbezüglich sieht § 346 Abs.1 S.1 BGB vor, dass im Fall des<br />
Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind.<br />
Die streitige Klausel genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie<br />
lediglich die Erteilung einer Gutschrift an die Verbraucher vorsieht.<br />
Eine Gutschrift stellt aber lediglich ein abstraktes Schuldversprechen<br />
dar, mit dem die Verbraucher noch nicht über die zurück<br />
zu gewährende Leistung verfügen können. Sie müssen vielmehr<br />
einen Anspruch aus der Gutschrift gegen die Beklagte geltend<br />
machen. Dies entspricht nicht ihren Rechten. Die Klausel vermittelt<br />
den Verbrauchern daher unzulässigerweise den Eindruck, dass<br />
ihre Rechte auf die Erteilung einer Gutschrift beschränkt seien.<br />
Linkhinweis:<br />
- DieEntscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
Arbeitsrecht<br />
Nachtwachen stellen bei der Berechnung<br />
der zulässigen Höchstarbeitszeit in vollem<br />
Umfang Arbeitszeit dar<br />
EuGH 1.12.2005, C-14/04<br />
Eine nationale Regelung, wonach Nachtwachen nur teilweise<br />
als Arbeitszeit anerkannt werden, verstößt gegen die Arbeitszeitrichtlinie<br />
der EU. Die Richtlinie unterscheidet im Hinblick auf<br />
die zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden nur zwischen<br />
„Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“. Sie sieht keine Zwischenkategorie<br />
vor. Die Einstufung als „Arbeitszeit“ hängt daher nicht<br />
von der Intensität der geleisteten Arbeitszeit ab.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger des Ausgangsverfahrens arbeitet in Frankreich als<br />
Erzieher in einem Heim für behinderte Kinder. Nach dem französischen<br />
Recht werden Nachtdienste in bestimmten sozialen<br />
und medizinisch-sozialen Einrichtungen nur zu einem Drittel<br />
als Arbeitszeit gewertet. Damit soll dem Umstand Rechnung<br />
getragen werden, dass die Arbeitnehmer bei Nachtdiensten nicht<br />
durchgehend Arbeitsleistungen erbringen.<br />
Der Kläger wurde entlassen, weil er verlangt hatte, dass die von<br />
ihm geleisteten Nachtdienste in vollem Umfang als Arbeitszeit<br />
erfasst und entsprechend vergütet werden. Mit seiner Klage<br />
machte er die Nichtigkeit der französischen Regelung zur<br />
Behandlung von Nachtdiensten geltend. Das von ihm angerufene<br />
französische Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem<br />
EuGH die Frage vor, ob die streitige Regelung gegen das EU-<br />
Recht verstößt. Der EuGH bejahte dies.<br />
Die Gründe:<br />
Die streitige Regelung verstößt gegen die Arbeitszeitrichtlinie<br />
(Richtlinie 93/104/EG). Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften<br />
für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am<br />
Arbeitsplatz und sieht unter anderem eine Höchstarbeitszeit von<br />
48 Wochenstunden vor. Dabei wird nur zwischen „Arbeitszeit“<br />
und „Ruhezeit“ unterschieden, eine Zwischenkategorie gibt es<br />
nicht. Daher kommt es für die Ermittlung der Höchstarbeitszeit<br />
nicht auf die Intensität der geleisteten Arbeitszeit an.<br />
Nach diesen Grundsätzen sind Nachtwachen und andere Bereitschaftsdienste<br />
in vollem Umfang als Arbeitszeit zu erfassen. Das<br />
gilt allerdings nur für die Ermittlung der zulässigen Höchstarbeitszeit<br />
und nicht für die Vergütung der Arbeitnehmer. Der Vergütungsbereich<br />
ist in der Arbeitszeitrichtlinie nicht geregelt.<br />
Der Hintergrund:<br />
Der EuGH bestätigt mit dieser Entscheidung seine ständige<br />
Rechtsprechung zur arbeitszeitrechtlichen Beurteilung von<br />
Bereitschaftsdiensten. In Deutschland ist diese Rechtsprechung<br />
noch nicht umgesetzt. Das Bundeskabinett hat am 29.11.2005<br />
beschlossen, die den Tarifvertragsparteien eingeräumte Frist zur<br />
Umsetzung dieser Rechtsprechung bis zum 31.12.2006 zu verlängern.<br />
Bis dahin müssen Bereitschaftsdienste - insbesondere<br />
von Klinikärzten - weiterhin nicht in vollem Umfang als Arbeitszeit<br />
gewertet werden.<br />
Derzeit wird eine Änderung der Arbeitszeitrichtlinie diskutiert.<br />
So wurde vorgeschlagen, den Berechnungszeitraum für die<br />
durchschnittliche Wochenarbeitszeit von sechs auf zwölf Mona-<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4
te zu erhöhen oder es den Mitgliedstaaten zu überlassen, ob sie<br />
die Arbeitszeitrichtlinie anwenden wollen. Bislang hat sich der<br />
EU-Ministerrat allerdings nicht auf eine einheitliche Linie einigen<br />
können.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
EuGH veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Vertragsstrafenabrede in Formulararbeitsverträgen<br />
ist bei unangemessener „Übersicherung“<br />
unzulässig<br />
BAG 18.8.2005, 8 AZR 65/05<br />
Formulararbeitsverträge dürfen zwar grundsätzlich eine Vertragsstrafenabrede<br />
enthalten. Die Vertragsstrafenabrede darf aber<br />
nicht zu einer „Übersicherung“ des Arbeitgebers führen. Dies ist<br />
etwa dann der Fall, wenn jeder Einzelfall eines Verstoßes gegen<br />
das Wettbewerbsverbot mit einer Vertragsstrafe in Höhe eines<br />
ein- bis dreifachen Monatsgehalts sanktioniert wird.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte war bei der Klägerin, einer Wirtschaftsprüfungs-<br />
und Steuerberatungsgesellschaft, als Assistent im steuerlichen<br />
Beratungsdienst beschäftigt.<br />
Der von der Klägerin für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte<br />
Arbeitsvertrag enthielt eine Vertragsstrafenabrede. Wörtlich hieß<br />
es: „Der Mitarbeiter hat im Fall eines gravierenden Vertragsverstoßes<br />
(etwa gegen das Wettbewerbsverbot ...) für jeden Einzelfall<br />
eine Vertragsstrafe in Höhe des ein- bis dreifachen Betrags<br />
des jeweiligen Monatsgehalts ... zu bezahlen.“<br />
Am 1.12.2003 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />
der Klägerin zum 31.12.2003. Die Klägerin stellte den Beklagten<br />
daraufhin von der Arbeit frei und wies ihn darauf hin, dass<br />
er sich während des Arbeitsverhältnisses jeglichen Wettbewerbs<br />
enthalten müsse. Wenige Tage nach der Kündigung des Beklagten<br />
wechselten 13 Mandanten, die bisher von ihm betreut worden<br />
waren, zum neuen Arbeitgeber des Beklagten.<br />
Die Klägerin verlangte daraufhin für jeden der 13 Einzelfälle die<br />
Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehalts. Die<br />
hierauf gerichtete Klage hatte in allen Fällen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />
der Vertragsstrafe. Die Vertragsstrafenklausel im Arbeitsvertrag<br />
stellt eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten dar<br />
und ist deshalb nach § 307 Abs.1 BGB unwirksam.<br />
In Formulararbeitsverträgen sind Vertragsstrafenabreden zwar<br />
nicht generell unzulässig. § 309 Nr.6 BGB, der ein entsprechendes<br />
Verbot enthält, findet auf Arbeitsverträge keine Anwendung,<br />
weil die Arbeitsleistung - anders als andere Leistungsversprechen<br />
- nicht vollstreckbar ist und der Arbeitgeber deshalb ein anerkennenswertes<br />
Interesse an der Absicherung der Vertragserfüllung<br />
durch eine Vertragsstrafenabrede hat. Eine Vertragstrafenabrede<br />
in einem Formulararbeitsvertrag kann aber im Einzelfall gemäß<br />
§ 307 Abs.1 BGB unzulässig sein, wenn sie den Arbeitnehmer<br />
unangemessen benachteiligt.<br />
Im Streitfall liegt eine unangemessene Benachteiligung des<br />
Beklagten darin, dass der Arbeitsvertrag für jeden Einzelfall eines<br />
Wettbewerbsverstoßes eine Vertragsstrafe in Höhe des ein- bis<br />
dreifachen Monatsgehalts vorsieht. Hierin liegt eine unzulässige<br />
„Übersicherung“. Für gleichartige Wettbewerbsverstöße nach<br />
Kündigung des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitgeber nicht für<br />
jeden Einzelfall eine derart hohe Vertragsstrafe fordern.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BAG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Arbeitgeber haben nicht ohne weiteres<br />
einen Anspruch auf Einsichtnahme in sämtliche<br />
Wahlakten der Betriebsratswahl<br />
BAG 27.7.2005, 7 ABR 54/04<br />
Arbeitgeber haben zwar grundsätzlich auch ohne Darlegung<br />
eines besonderen rechtlichen Interesses einen Anspruch auf<br />
Einsichtnahme in die vom Betriebsrat aufbewahrten Wahlakten<br />
der Betriebsratswahl. Das gilt jedoch nicht für Bestandteile der<br />
Wahlakten, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner<br />
Arbeitnehmer zulassen. Derartige Unterlagen darf der Arbeitgeber<br />
nur einsehen, wenn er darlegen kann, dass dies zur Überprüfung<br />
der Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
In dem Unternehmerin der Arbeitgeberin fand am 24.4.2002 eine<br />
Betriebsratswahl statt. Mehrere Monate nach der Wahl bat die<br />
Arbeitgeberin den gewählten Betriebsrat, ihr Einsicht in sämtliche<br />
Wahlunterlagen zu gewähren. Dies lehnte der Betriebsrat<br />
ab. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim ArbG, den<br />
Betriebsrat zu verpflichten, ihr Einsicht in sämtliche Wahlakten<br />
der Betriebsratswahl zu gewähren. Das ArbG wies den Antrag<br />
zurück. LAG und BAG bestätigten diese Entscheidung.<br />
Die Gründe:<br />
Die Arbeitgeberin hat keinen Anspruch auf Einsichtnahme in<br />
sämtliche Wahlakten der Betriebsratswahl.<br />
Aus § 19 WO ergibt sich zwar grundsätzlich ein Anspruch des<br />
Arbeitgebers auf Einsichtnahme in die Wahlakten - und zwar<br />
auch ohne Darlegung eines besonderen rechtlichen Interesses<br />
und unabhängig von einem Wahlanfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsverfahren.<br />
Das gilt aber nicht für Bestandteile<br />
der Wahlakten, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner<br />
Arbeitnehmer zulassen. Die Einsichtnahme auch in solche<br />
Unterlagen ist nur zulässig, wenn dies zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit<br />
der Wahl erforderlich ist. Dies muss der Arbeitgeber<br />
darlegen.<br />
Die Wahlakten enthalten verschiedene Schriftstücke, die auf das<br />
Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer schließen lassen. Hierzu<br />
gehören etwa Briefwahlunterlagen, persönliche Schreiben einzelner<br />
Wahlberechtigter an den Wahlvorstand oder die mit Stimmabgabevermerken<br />
des Wahlvorstands versehenen Wählerlisten,<br />
aus denen hervorgeht, wer sich an der Wahl nicht beteiligt<br />
hat. Ein uneingeschränktes Recht des Arbeitnehmers zur Einsichtnahme<br />
auch in solche Unterlagen würde den Grundsatz der<br />
geheimen Wahl verletzen.<br />
Nach diesen Grundsätzen besteht im Streitfall kein Anspruch der<br />
Arbeitgeberin auf Einsichtnahme in alle Wahlakten. Denn sie hat<br />
nicht dargelegt, inwieweit auch die Einsichtnahme in Unterla-<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5
gen, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Mitarbeiter<br />
zulassen, zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl<br />
erforderlich ist.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BAG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Bei Weiterbeschäftigung eines Geschäftsführers<br />
nach seiner Abberufung kann das<br />
vorhergehende Arbeitsverhältnis wieder<br />
aufleben<br />
BAG 24.11.2005, 2 AZR 614/04<br />
Wird ein Arbeitnehmer, der zum Geschäftsführer aufgestiegen<br />
ist, als Geschäftsführer abberufen und als Arbeitnehmer weiter<br />
beschäftigt, so lebt das alte Arbeitsverhältnis regelmäßig wieder<br />
auf. Die Dauer der Beschäftigungszeit als Geschäftsführer wird<br />
deshalb auf die Wartezeit nach § 1 Abs.1 KSchG angerechnet,<br />
so dass der abberufene Geschäftsführer von Anfang an Kündigungsschutz<br />
genießt. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien<br />
eine Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses ausdrücklich<br />
ausschließen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war seit 1984 bei der Beklagten, einer KG, als Sachbearbeiter<br />
beschäftigt. Mit einem „Geschäftsführer-Anstellungsvertrag“<br />
vom 15.11.1996 wurde der Kläger zum Geschäftsführer<br />
der Komplementär-GmbH der Beklagten bestellt. Nach verschiedenen<br />
Auseinandersetzungen einigten sich die Parteien am<br />
15.8.2002 über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer<br />
und seine Weiterbeschäftigung als Arbeitnehmer entsprechend<br />
dem Anstellungsvertrag vom 15.11.1996. Der Kläger war daraufhin<br />
als Assistent der Geschäftsleitung der Beklagten tätig.<br />
Am 16.1.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />
dem Kläger zum 31.8.2003. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage<br />
rügte der Kläger das Fehlen eines Kündigungsgrundes<br />
im Sinn von § 1 Abs.2 KSchG. ArbG und LAG<br />
wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger wegen<br />
Nichterfüllung der Wartezeit gemäß § 1 Abs.2 KSchG noch keinen<br />
Kündigungsschutz gehabt habe. Auf die Revision des Klägers<br />
hob das BAG das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur<br />
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat die sechsmonatige Wartezeit gemäß § 1 Abs.1<br />
KSchG entgegen der Auffassung der Vorinstanzen erfüllt, so<br />
dass die Kündigung eines Kündigungsgrundes im Sinn von § 1<br />
Abs.2 KSchG bedarf. Die Parteien haben nach der Abberufung<br />
des Klägers als Geschäftsführer das am 15.11.1996 begründete<br />
Arbeitsverhältnis fortgeführt, mit der Folge, dass der Kläger im<br />
Zeitpunkt der Kündigung bereits länger als sechs Monate bei der<br />
Beklagten beschäftigt war.<br />
Grundsätzlich lebt das alte Arbeitsverhältnis zwar nicht wieder<br />
auf, wenn ein Arbeitnehmer zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH<br />
seiner Arbeitgeberin bestellt und später wieder<br />
abberufen wird. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Parteien<br />
- wie hier - nach Kündigung des Geschäftsführervertrages die<br />
Weiterbeschäftigung des Betreffenden im Rahmen eines Arbeits-<br />
verhältnisses vereinbaren. In diesem Fall lebt das alte Arbeitsverhältnis<br />
regelmäßig wieder auf und ist daher auf die Wartezeit<br />
gemäß § 1 Abs.1 KSchG anzurechnen. Wollen die Parteien diese<br />
Rechtsfolge vermeiden, so muss dies im neuen Arbeitsvertrag<br />
hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen.<br />
Im Streitfall haben die Parteien die Weiterbeschäftigung des Klägers<br />
als Arbeitnehmer vereinbart, ohne zum Ausdruck zu bringen,<br />
dass die frühere Beschäftigungszeit als Geschäftsführer ab<br />
dem 15.11.1996 nicht angerechnet werden soll. Daher war die<br />
Wartzeit am 16.1.2003 erfüllt.<br />
Geschäftsführer einer insolventen Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />
haften Arbeitnehmern<br />
regelmäßig nicht auf Schadensersatz<br />
BAG 24.11.2005, 8 AZR 1/05<br />
Sind Arbeitnehmer an einer Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />
in der Rechtsform einer GmbH beteiligt, so können sie<br />
bei Insolvenz der GmbH regelmäßig nicht deren Geschäftsführer<br />
oder Gesellschafter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.<br />
Ein Schadensersatzanspruch kommt nur in Betracht, wenn der<br />
Geschäftsführer oder die Gesellschafter in besonderem Maße<br />
Vertrauen für sich in Anspruch genommen haben oder ein unmittelbares<br />
eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des<br />
Geschäfts hatten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war Arbeitnehmer der S-GmbH, deren Geschäftsführer<br />
und Gesellschafter die Beklagten zu 2) und 3) sind. Seit 1984<br />
bestand eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft, die B-GmbH.<br />
Hieran konnten sich die Mitarbeiter der S-GmbH als stille Gesellschafter<br />
beteiligen. Der Beklagte zu 1) war Geschäftsführer der<br />
B-GmbH und Personalchef der S-GmbH, die Beklagten zu 2)<br />
und zu 3) waren zu je 40 Prozent Gesellschafter der B-GmbH.<br />
Nachdem im Jahr 2002 sowohl über das Vermögen der S-GmbH<br />
als auch über das der B-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet<br />
worden war, verlangte der Kläger von den Beklagten die Rückzahlung<br />
seiner Einlage bei der B-GmbH als Schadensersatz. Die<br />
hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz<br />
wegen des Verlusts seiner Einlagen bei der B-GmbH.<br />
Fällt eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft in Insolvenz, so<br />
können die Arbeitnehmer für den Ausfall ihrer Ansprüche grundsätzlich<br />
weder die Gesellschafter noch den Geschäftsführer der<br />
Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft persönlich in Anspruch nehmen.<br />
Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des BGH nur,<br />
wenn diese in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch<br />
genommen haben oder ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches<br />
Interesse am Abschluss des Geschäfts hatten.<br />
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Allein der<br />
Umstand, dass der Geschäftsführer der B-GmbH, der Beklagte<br />
zu 1), auch der Personalchef der S-GmbH war, führt nicht dazu,<br />
dass dieser ein besonderes persönliches Vertrauen der Arbeitnehmer<br />
in Anspruch genommen hat. Darüber hinaus hat die B-GmbH<br />
der S-GmbH zwar ihre Einlagen als Kapitalbeteiligung zur Verfügung<br />
gestellt. Dies reicht jedoch nicht aus, um ein besonderes<br />
wirtschaftliches Interesse der Beklagten zu 2) und zu 3) am<br />
Abschluss des Beteiligungsvertrags annehmen zu können.<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6
Sozialrecht<br />
Ältere Arbeitnehmer haben keinen Anspruch<br />
auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe<br />
SG Dortmund 23.11.2005, S 35 AS 22/05<br />
Langzeitarbeitslose, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres<br />
bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe unter erleichterten Voraussetzungen<br />
bezogen haben, haben seit dem 1.1.2005 keinen<br />
Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe mehr, sondern<br />
erhalten lediglich Arbeitslosengeld II. Arbeitslosenhilfe wird<br />
seit Jahresbeginn generell nicht mehr gewährt. Dies gilt auch für<br />
ältere Langzeitarbeitslose.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die 60 Jahre alte Klägerin erhielt bis zum 31.12.2004 auf der<br />
Grundlage der so genannten „58er-Regelung“ (§ 428 SGB III)<br />
Arbeitslosenhilfe von rund 308 Euro monatlich.<br />
Nach § 428 SGB III erhalten Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr<br />
vollendet haben, auch dann Arbeitslosengeld, wenn sie nicht<br />
in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden wollen. Nach<br />
dem Auslaufen des Arbeitslosengelds erhielten die Betroffenen<br />
zunächst bis zum Rentenbeginn Arbeitslosenhilfe. Zum 1.1.2005<br />
wurde der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe durch den Anspruch<br />
auf Arbeitslosengeld II ersetzt.<br />
Dementsprechend erhielt auch die Klägerin ab dem 1.1.2005<br />
Arbeitslosengeld II. Der Anspruch beläuft sich auf monatliche<br />
Leistungen in Höhe von rund 190 Euro. Mit ihrer Klage verlangte<br />
die Klägerin die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe und berief sich<br />
insoweit auf Vertrauensschutz. Ihre Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die beklagte Arbeitsagentur keinen<br />
Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe.<br />
Arbeitslosenhilfe wird seit Einführung des SGB II nicht mehr<br />
gewährt. Langzeitarbeitslose haben seitdem lediglich einen<br />
Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Das gilt auch für Arbeitslose,<br />
die - wie die Klägerin - bislang die „58er-Regelung“ in Anspruch<br />
genommen haben. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf Vertrauensschutz<br />
berufen. Ein Vertrauensschutz könnte sich allenfalls<br />
darauf beziehen, weiterhin ohne Arbeitsbereitschaft Leistungen zu<br />
erhalten, nicht aber auf eine bestimmte Leistungshöhe.<br />
Für die Klägerin ist die Einführung des Arbeitslosengelds II zwar<br />
mit Vermögenseinbußen verbunden. Hierin liegt aber keine Verletzung<br />
der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie des<br />
Art. 14 Abs.1 GG, weil die Arbeitslosenhilfe nicht aus Versicherungsbeiträgen,<br />
sondern aus Steuermitteln finanziert wird. Außerdem<br />
dient die Gesetzesänderung der Anpassung der Sozialausgaben<br />
an die verschlechterte Wirtschaftslage und damit wichtigen<br />
Gemeinwohlinteressen.<br />
Langzeitarbeitslose können im Eilverfahren<br />
höchstens 80 Prozent ihres Anspruchs auf<br />
Arbeitslosengeld II erstreiten<br />
SG Dortmund 17.11.2005, S 22 AS 206/05 ER<br />
Langzeitarbeitslose können im gerichtlichen Eilverfahren zur<br />
Vermeidung einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache<br />
nur einen Teilbetrag der Regelleistung erstreiten. Denn bei Eilentscheidungen<br />
ist nur das zum Lebensunterhalt Unerlässliche<br />
durchsetzbar. Langzeitarbeitslose benötigen für ihren Lebensunterhalt<br />
nicht das volle Arbeitslosengeld II. Sie können vielmehr<br />
auch von 80 Prozent des Regelsatzes leben.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist seit langem arbeitslos und erhält Arbeitslosengeld<br />
II. Die Antragsgegnerin kürzte das Arbeitslosengeld II um<br />
20 Prozent, weil die Antragstellerin mietkostenfrei in eheähnlicher<br />
Gemeinschaft mit ihrem Partner in dessen Doppelhaushälfte lebe.<br />
Die Antragstellerin hielt die Kürzung für unzulässig und beantragte<br />
im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ihr bis zum Abschluss<br />
des Hauptsacheverfahrens einen ungekürzten Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />
II zuzusprechen. Der Antrag hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Antragsgegnerin muss der Antragstellerin einstweilig nicht<br />
die volle Regelleistung auszahlen. Um eine unzulässige Vorwegnahme<br />
in der Hauptsache zu vermeiden, kann im Verfahren des<br />
einstweiligen Rechtsschutzes nur ein Teilbetrag der Regelleistung<br />
zugesprochen werden. Die Antragstellerin erhält bereits 80 Prozent<br />
der Regelleistung und damit monatlich rund 250 Euro. Es ist<br />
ihr zuzumuten, zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens<br />
von diesem Geld ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelleistung unter anderem<br />
Anteile für die Anschaffung von Tabakwaren, Bekleidung,<br />
Einrichtungs- und Haushaltsgegenständen sowie Aufwendungen<br />
für Freizeit und Unterhaltung enthält. Die Antragstellerin kann<br />
sich in diesen Bereichen vorübergehend einschränken.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://<br />
www.sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Wettbewerbsrecht<br />
und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Zwischen den Wortmarken „Post” und „Die<br />
grüne Post” besteht keine Verwechslungsgefahr<br />
OLG Hamburg 23.9.2005, 5 U 178/04<br />
Zwischen der für die Deutsche Post AG eingetragenen Wortmarke<br />
„Post” und der Marke „Die grüne Post” besteht keine Verwechslungsgefahr.<br />
Die Marke „Post“ hat eine nur schwache und damit<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7
nicht durch § 14 Abs.2 Nr.2 MarkenG geschützte Kennzeichnungskraft,<br />
weil sie lediglich der Bezeichnung einer Dienstleistung dient.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist die Deutsche Post AG. Sie ist Inhaberin der Wortmarke<br />
„Post“, die sie auch als Unternehmenskennzeichnung nutzt.<br />
Die Beklagte ist die Inhaberin der Wortmarke „Die grüne Post“, die<br />
unter anderem für Werbung, Büroarbeiten, Transport von Wertsachen,<br />
Verpackung und Lagerung von Waren und Datenverarbeitung<br />
eingetragen ist. Die Beklagte nutzt ihre Marke zudem für ihre Internet-Domain<br />
„gruenepost.de“.<br />
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte ihre Markenrechte<br />
verletze. Aus diesem Grund nahm sie die Beklagte auf Unterlassung<br />
der Nutzung sowie Zustimmung zur Löschung der Marke<br />
„Die grüne Post“, sowie auf Auskunft und Zahlung von Schadensersatz<br />
in Anspruch. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung,<br />
Löschung, Auskunft und Zahlung von Schadensersatz.<br />
Ihr Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 14 Abs.2 Nr.2,<br />
Abs.5 MarkenG wegen einer etwaigen Verwechslungsgefahr der<br />
Wortmarken „Post“ und die „Die grüne Post“.<br />
Die markenrechtliche Verwechslungsgefahr bestimmt sich anhand<br />
der drei Faktoren Kennzeichnungskraft des Klagzeichens, Waren-<br />
oder Dienstleistungsähnlichkeit und Zeichenähnlichkeit. Eine Verwechslungsgefahr<br />
könnte lediglich dann anzunehmen sein, wenn<br />
der Marke der Klägerin eine hohe Kennzeichnungskraft zukommt.<br />
Die Marke „Post“ hat indes eine nur schwache Kennzeichnungskraft.<br />
Der Begriff „Post“ dient lediglich der Bezeichnung der von<br />
der Klägerin erbrachten Dienstleistungen. Er ist kein Hinweis auf<br />
das Unternehmen der Klägerin und deren Bekanntheit.<br />
Da eine nur schwache Kennzeichnungskraft vorliegt, müssten<br />
sich die Zeichen, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen,<br />
sehr ähnlich sein. Insofern kann eine nur geringe Ähnlichkeit der<br />
Marken festgestellt werden. Sowohl der Klang bei der Aussprache<br />
der Wortmarken als auch ihr Schriftbild unterscheiden sich<br />
beträchtlich.<br />
Der Hintergrund:<br />
Die Deutsche Post AG ist mit diesem Urteil erneut mit dem Versuch<br />
gescheitert, ihre Marke vor Konkurrenz zu schützen. Auch<br />
das OLG Köln hat mit Urteil vom 28.1.2005 (Az.:6 U 131/04)<br />
entschieden, dass die Deutsche Post AG keinen Unterlassungsanspruch<br />
gegen ein Unternehmen hat, das die Marke „die blaue<br />
Post“ verwendet.<br />
Verwaltungs- und<br />
Verfassungsrecht<br />
Gewerbetreibende müssen trotz privater<br />
Müllentsorgung Abfallbeseitigungsgebühren<br />
zahlen<br />
BVerwG 1.12.2005, 10 C 4.04<br />
Gewerbetreibende müssen kommunalen Müllentsorgungsträgern<br />
ihre hausmüllähnlichen Abfälle überlassen. Verbringen sie den<br />
Müll dennoch zu einem privaten Müllentsorgungsunternehmen,<br />
können die Kommunen Abfallbeseitigungsgebühren verlangen.<br />
Weder das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz noch das EU-<br />
Recht räumen Gewerbetreibenden die Möglichkeit ein, die Entsorgung<br />
ihrer hausmüllähnlichen Abfälle ausschließlich auf ein<br />
Unternehmen der privaten Abfallwirtschaft zu übertragen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin verkauft Backwaren. Die in ihrer Filiale in S. anfallenden<br />
Abfälle, wie Backpapier, Putzutensilien oder Abfälle von<br />
Kunden sortiert die Klägerin vor und verbringt sie zu einem privaten<br />
Müllentsorgungsunternehmen.<br />
Der beklagte Landkreis hat der Klägerin eine Restmülltonne zur<br />
Verfügung gestellt und verlangte von ihr die Zahlung der dafür<br />
anfallenden Abfallbeseitigungsgebühren. Die Klägerin vertrat<br />
die Auffassung, dass sie die Gebühren nicht zahlen müsse, da sie<br />
die Tonnen nicht nutze. Die gegen den entsprechenden Bescheid<br />
gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin muss die Abfallbeseitigungsgebühren an die<br />
Beklagte zahlen. Sie ist verpflichtet, ihre Abfälle dem kommunalen<br />
Entsorgungsträger zu überlassen. Weder das Kreislaufwirtschafts-<br />
und Abfallgesetz noch das EU-Recht räumen<br />
Gewerbetreibenden die Möglichkeit ein, die Entsorgung ihrer<br />
hausmüllähnlichen Abfälle ausschließlich auf ein Unternehmen<br />
der privaten Abfallwirtschaft zu übertragen. Die Beklagte ist<br />
daher nicht gehindert, von der Klägerin die Mindestgebühr für<br />
die Abfallentsorgung zu verlangen. Die Höhe der Mindestgebühr<br />
orientiert sich an der Höhe des durchschnittlichen Abfallvolumen<br />
eines Kleinsthaushalts und an den anteiligen Kosten für die<br />
Bereitstellung der Restmülltonne, das regelmäßige Anfahren des<br />
Grundstücks durch ein Fahrzeug der Müllabfuhr und das Vorhalten<br />
der übrigen Abfallentsorgungseinrichtung.<br />
Bei einer Verkaufsfläche von mehr 800 Quadratmetern<br />
liegt ein nur in Kern- und Sondergebieten<br />
genehmigungsfähiger großflächiger<br />
Einzelhandelsbetrieb vor<br />
BVerwG 24.11.2005, 4 C 10.04 u.a.<br />
Großflächige Einzelhandelsbetriebe dürfen nur in Kern- und<br />
Sondergebieten errichtet werden. Ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb<br />
liegt vor, wenn er eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern<br />
überschreitet. In die Berechnung der Verkaufsfläche<br />
sind dabei alle Flächen einzubeziehen, die vom Kunden betreten<br />
werden können oder die er einsehen, aber aus hygienischen<br />
Gründen nicht betreten darf.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin beabsichtigte, ein Ladengeschäft zu eröffnen. Die<br />
zuständige Behörde genehmigte den Bau nicht, da es sich um<br />
einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb handele, dessen Bau<br />
ausschließlich in Kern- und Sondergebieten zulässig sei. Die<br />
gegen den ablehnenden Bescheid gerichtete Klage hatte keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Bei dem Ladengeschäft der Klägerin handelt es sich um einen<br />
großflächigen Einzelhandelsbetrieb, dessen Bau nur in einem<br />
Kern- und Sondergebiet zulässig ist. Ein Einzelhandelsbetrieb ist<br />
als großflächig anzusehen, wenn er eine Verkaufsfläche von 800<br />
Quadratmetern überschreitet. In die Berechnung der Verkaufs-<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8
fläche sind dabei alle Flächen einzubeziehen, die vom Kunden<br />
betreten werden können oder die er einsehen, aber aus hygienischen<br />
Gründen nicht betreten darf (beispielweise der Bereich<br />
hinter einer Fleischtheke). Auch der Bereich, in den die Kunden<br />
nach der Bezahlung ihrer Ware gelangen, ist der Verkaufsfläche<br />
hinzurechnen. Nicht zur Verkaufsfläche gehören dagegen reine<br />
Lagerflächen und vom Verkaufsraum völlig abgetrennte Räume,<br />
in denen zum Beispiel Waren zubereitet oder portioniert werden.<br />
Aufenthaltserlaubnis für Ausländerkinder<br />
darf nicht nur vom Aufenthaltsrecht der<br />
Mutter abhängig gemacht werden<br />
BVerfG 25.10.2005, 2 BvR 524/01<br />
Die Regelung im Ausländerrecht, wonach die Erteilung einer<br />
Aufenthaltsgenehmigung für in Deutschland geborene ausländische<br />
Kinder vom Aufenthaltsstatus der Mutter abhängt, ist verfassungswidrig.<br />
Die Regelung verletzt das Gleichbehandlungsgebot<br />
aus Art. 3 Abs.3 S.1 GG, da sie den Aufenthaltsstatus des<br />
Vaters unberücksichtigt lässt. Der Gesetzgeber muss bis zum<br />
31.12.2006 eine verfassungsgemäße Neuregelung schaffen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beschwerdeführerin ist ein 1999 in Deutschland geborenes<br />
Kind türkischer Eltern. Während ihr Vater über eine unbefristete<br />
Aufenthaltserlaubnis verfügt, wird die Mutter lediglich geduldet.<br />
Im Jahr 2002 ließen sich die Eltern scheiden. Die Beschwerdeführerin<br />
lebt seitdem bei ihrem Vater, dem auch das alleinige<br />
Sorgerecht zusteht.<br />
Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin<br />
auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, weil die Mutter<br />
über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfüge. Die hiergegen<br />
gerichtete Klage hatte vor den Verwaltungsgerichten keinen<br />
Erfolg. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin<br />
hob das BVerfG die angegriffenen Entscheidungen auf und verwies<br />
den Rechtsstreit an das VG Düsseldorf zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Regelung in § 21 Abs.1 S.1 AuslG (jetzt: § 33 S.1 AufenthG),<br />
wonach die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für<br />
in Deutschland geborene ausländische Kinder vom Aufenthaltsrecht<br />
der Mutter abhängt, ist verfassungswidrig. Hierin liegt eine<br />
Verletzung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs.3 S.1<br />
GG. Kinder, deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis hat, werden<br />
gegenüber solchen Kindern bevorzugt, bei denen allein der Vater<br />
über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt.<br />
Die Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. §<br />
21 Abs.1 S.1 AuslG dient nicht dem Schutz der Mutter-Kind-<br />
Beziehung. Es bereitet auch keine praktischen Schwierigkeiten,<br />
das Aufenthaltsrecht des Kindes vom Aufenthaltsrecht des<br />
Vaters abzuleiten. Die Ungleichbehandlung kann zudem nicht<br />
aus Gründen des Kindeswohls gerechtfertigt werden. Das Kindeswohl<br />
verlangt nicht, dass das Kind aufenthaltsrechtlich ausschließlich<br />
der Mutter zugeordnet wird.<br />
Der Gesetzgeber muss die Ungleichbehandlung bis zum<br />
31.12.2006 beseitigen. Bis dahin findet § 21 Abs.1 S.1 AuslG<br />
(beziehungsweise § 33 S.1 AufenthG) zu Gunsten von Kindern,<br />
die ihr Aufenthaltsrecht von der Mutter ableiten, weiterhin<br />
Anwendung. Entscheidungen über Anträge, die an das Aufent-<br />
haltsrecht des Vaters anknüpfen, sind bis zum Inkrafttreten der<br />
Neuregelung auszusetzen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Strafrecht und OWi<br />
Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />
ist nur unter engen Voraussetzungen<br />
möglich<br />
BGH 25.11.2005, 2 StR 272/05<br />
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die eine weitere<br />
Unterbringung des Straftäters nach Ablauf der Haftstrafe ermöglicht,<br />
darf nur unter engen Voraussetzungen angeordnet werden.<br />
Hierfür müssen während der Haftstrafe gravierende neue Tatsachen<br />
bekannt werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des<br />
Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Ungehorsam während<br />
des Vollzugs oder die schon bei der Verurteilung bekannten<br />
sozialschädlichen Neigungen reichen nicht aus.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer war wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe<br />
von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.<br />
In dem Strafurteil waren ihm eine soziopathische Persönlichkeitsfehlentwicklung<br />
mit antisozialem Verhaltensmuster und<br />
ein erheblicher Drogenmissbrauch bescheinigt worden. Hieran<br />
hat sich während der Strafverbüßung nichts geändert. Außerdem<br />
wurden während der Haft in seiner Zelle wiederholt Messer und<br />
andere verbotene Gegenstände gefunden.<br />
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das LG kurz vor<br />
Ablauf der Haftstrafe die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />
an. Dies begründete es mit der Persönlichkeitsstörung des<br />
Beschwerdeführers und seiner Drogensucht sowie damit, dass<br />
er sich während der Haftzeit wiederholt in den Besitz verbotener<br />
Gegenstände gebracht habe. Auf die Revision des Beschwerdeführers<br />
hob der BGH die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />
auf.<br />
Die Gründe:<br />
Die Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen<br />
Sicherungsverwahrung sind im Streitfall nicht erfüllt. § 66b Abs.1<br />
StGB setzt ausdrücklich voraus, dass nach der Verurteilung Tatsachen<br />
erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit<br />
des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Hierbei muss<br />
es sich angesichts des schweren Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht<br />
des Betroffenen um erhebliche neue Tatsachen handeln,<br />
die im Strafverfahren nicht bekannt oder erkennbar waren.<br />
Bei der Auslegung von § 66b Abs.1 StGB ist außerdem zu berücksichtigen,<br />
dass der Gesetzgeber die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />
nur für extreme Ausnahmefälle vorgesehen hat. Daher<br />
können ausschließlich solche Umstände eine nachträgliche<br />
Sicherungsverwahrung rechtfertigen, die auf eine Gefährdung<br />
des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9
der sexuellen Selbstbestimmung anderer schließen lassen. Daher<br />
kann nicht jede während der Haft aufgetretene Ungehorsamkeit<br />
als neue Tatsache im Sinn von § 66b Abs.1 StGB gewertet werden.<br />
Das Verfahren nach § 66b StGB dient auch nicht der Korrektur<br />
eines rechtsfehlerhaften Strafurteils.<br />
Nach diesen Grundsätzen war die streitige Anordnung der nachträglichen<br />
Sicherungsverwahrung rechtswidrig. Das LG hat sich<br />
in seiner Begründung größtenteils auf Umstände gestützt, die<br />
bereits bei der Verurteilung des Beschwerdeführers berücksichtigt<br />
worden sind. Als neue Tatsache hat das LG lediglich den<br />
Besitz von Messern und anderen verbotenen Gegenständen während<br />
der Haft angeführt. Diese Regelverstöße des Beschwerdeführers<br />
lassen aber nicht auf eine besondere Gefährlichkeit für<br />
die Allgemeinheit schließen.<br />
Der Hintergrund:<br />
Mit der zum 1.7.2004 beschlossenen Einführung von § 66b StGB<br />
hat der Bundesgesetzgeber auf eine Entscheidung des BVerfG<br />
vom 10.2.2004 (Az.: 2 BvR 824/02) reagiert, mit der das BVerfG<br />
die Landesgesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für<br />
verfassungswidrig erklärt hatte. Für den Volltext dieser auf den<br />
Webseiten des BVerfG veröffentlichten Entscheidung klicken<br />
Sie bitte hier.<br />
Bundesjustizministerium bringt neues EU-<br />
Haftbefehlsgesetz auf den Weg<br />
Das Bundesjustizministerium hat am 24.11.2005 den Entwurf<br />
eines neuen EU-Haftbefehlgesetzes zur Stellungnahme an Länder<br />
und Verbände übersandt. Der Entwurf berücksichtigt die Vorgaben<br />
der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2005 (Az.: 2 BvR<br />
2236/04), in der das BVerfG das ursprüngliche EU-Haftbefehlgesetz<br />
für verfassungswidrig erklärt hat.<br />
Das BVerfG hat seine Entscheidung insbesondere damit begründet,<br />
dass der Gesetzgeber zu wenig Vorkehrungen für den Schutz<br />
der Grundrechte von Tatverdächtigen getroffen habe. Er habe<br />
nicht den ihm durch den Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen<br />
Union über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb)<br />
eingeräumten Spielraum zum Schutz Tatverdächtiger ausgeschöpft.<br />
Insbesondere müsse der die Auslieferung bewilligende<br />
Bescheid gerichtlich voll überprüfbar sein.<br />
Die Umsetzung dieser Vorgaben soll künftig über das Gesetz zur<br />
internationalen Rechtshilfe (IRG) erfolgen. In diesem Gesetz<br />
wird in § 79 IRG die gerichtliche Überprüfung der Auslieferungs-Bewilligungsentscheidung<br />
normiert. Die Bewilligungsentscheidung<br />
wird auf ihre Zulässigkeit und Begründetheit hin<br />
überprüft. Das bedeutet, dass eine Auslieferung nicht in allen<br />
Fällen bewilligt werden muss, in denen die Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />
gegeben sind. § 83b IRG benennt die Gründe, aus<br />
denen die Bewilligung einer Auslieferung abgelehnt werden<br />
kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Strafverfolgung<br />
vorrangig im Inland oder einem Drittstaat erfolgen soll. Die Entscheidung<br />
trifft die Bewilligungsbehörde nach pflichtgemäßem<br />
Ermessen.<br />
Um den Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz gegen ihre<br />
Auslieferung zu geben, regelt § 79 Abs.2 IRG, dass die Bewilligungsbehörde<br />
bereits im Vorfeld der Bewilligung prüfen muss,<br />
ob sie Bewilligungshindernisse sieht. Stellt sie Bewilligungshindernisse<br />
fest, muss sie ihre Begründung an das zuständige OLG<br />
übermitteln.<br />
Das BVerfG hat ferner entschieden, dass für die Auslieferung<br />
Deutscher und ihnen gleichgestellter Ausländer ein besonderes<br />
gesetzliches Prüfprogramm erforderlich sei. Denn für diese Personen<br />
sehe das RbEuHb Spielräume für eine mögliche Nichtauslieferung<br />
vor. Künftig sollen § 80 Abs.1 und 2 IRG regeln, dass<br />
eine Auslieferung Deutscher oder ihnen gleichgestellter Ausländer<br />
nur noch zulässig ist, wenn die spätere Rücküberstellung zur<br />
Vollstreckung einer verhängten freiheitsentziehenden Sanktion<br />
gesichert ist. Die Tat darf ferner keinen maßgeblichen Inlandsbezug<br />
aufweisen und muss entweder einen maßgeblichen Bezug<br />
zum ersuchenden Staat haben oder es muss die beiderseitige<br />
Strafbarkeit gegeben sein. Zudem darf bei konkreter Abwägung<br />
der widerstreitenden Interessen kein schutzwürdiges Vertrauen<br />
des Verfolgten in seine Nichtauslieferung bestehen.<br />
Der Hintergrund:<br />
Bei dem Urteil des BVerfG vom 18.7.2005 ging es um den Fall<br />
des unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers Mamoun<br />
Darkazanli, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Nach<br />
dem Urteil des BVerfG wurde Darkazanli aus der Haft entlassen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Gesetzentwurf zum neuen EU-Haftbefehlgesetz ist auf<br />
der Homepage des BMJ veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext des Gesetzentwurf klicken Sie bitte hier.<br />
- Für das auf der Homepage des BVerfG veröffentlichte<br />
maßgebende Urteil des BVerfG vom 18.7.2005 klicken Sie<br />
bitte hier.<br />
Untersuchungshäftlinge haben Anspruch<br />
auf nachträglichen Rechtsschutz<br />
BVerfG 31.10.2005, 2 BvR 2233/04<br />
Wer zu Unrecht in Untersuchungshaft war, kann gerichtlich<br />
feststellen lassen, dass die Untersuchungshaft von Anfang<br />
an rechtswidrig war. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis<br />
ergibt sich daraus, dass der Betroffene ein schützenswertes Interesse<br />
an nachträglicher Rehabilitierung hat.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer befand sich seit Herbst 2003 wegen des<br />
Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft.<br />
Auf seine im Februar 2004 eingelegte Haftbeschwerde<br />
hob das Bayerische Oberste Landesgericht den Haftbefehl<br />
mangels dringenden Tatverdachts auf.<br />
Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragte<br />
der Beschwerdeführer die Feststellung, dass der Haftbefehl<br />
bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. Das Bayerische<br />
Oberste Landesgericht stellte jedoch lediglich fest, dass<br />
der Haftbefehl im Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde<br />
rechtswidrig war, und verwarf den Antrag im Übrigen mangels<br />
Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig.<br />
Auf die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hob das<br />
BVerfG den angegriffenen Beschluss auf und wies die Sache an<br />
das Bayerische Oberste Landesgericht zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene<br />
Beschluss verletzt das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers<br />
aus Art. 2 Abs.2 S.1 GG sowie den Grundsatz des effekti-<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10
ven Rechtsschutzes. Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch<br />
auf Feststellung, dass der Haftbefehl von Anfang an rechtswidrig<br />
war. Sein Rechtsschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag ist<br />
durch seine Haftentlassung nicht entfallen.<br />
Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen kann das Feststellungsinteresse<br />
auch nach Beendigung des Grundrechtseingriffs<br />
fortbestehen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf solche staatlichen<br />
Eingriffe, die - wie die Untersuchungshaft - vom Richter<br />
angeordnet werden.<br />
Nach diesen Grundsätzen können Untersuchungshäftlinge auch<br />
nach ihrer Entlassung die Feststellung verlangen, dass der Haftbefehl<br />
bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. Sie<br />
haben ein schützenswertes Interesse an nachträglicher Rehabilitierung,<br />
das bis auf den Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls<br />
zurückwirkt.<br />
Der Hintergrund:<br />
Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG abermals die Rechte<br />
von Untersuchungshäftlingen gestärkt. Erst vor kurzem hat das<br />
BVerfG entschieden, dass eine überlange Dauer der Untersuchungshaft<br />
verfassungswidrig ist (Entscheidung vom 23.9.2005,<br />
Az.: 2 BvR 1315/05).<br />
Linkhinweise:<br />
- Die Volltexte der Entscheidungen des BVerfG sind auf der<br />
Homepage des BVerfG veröffentlicht.<br />
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nachträglichen Rechtsschutz bei rechtswidriger Untersuchungshaft<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
- Für den Volltext der Entscheidung vom 23.9.2005 (Az.: 2 BvR<br />
1315/05, „Überlange Untersuchungshaft“) klicken Sie bitte<br />
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Steuerrecht<br />
Steuerberater und Rechtsanwälte müssen<br />
für Betriebsausgabenabzug von Telefonkosten<br />
Mandantenamen nennen<br />
FG Sachsen-Anhalt 28.4.2005, 1 K 371/02<br />
Steuerberater und Rechtsanwälte können Telefonkosten nur<br />
dann als Betriebskosten absetzen, wenn sie die betriebliche Veranlassung<br />
der Telefonate nachweisen. Zu diesem Zweck müssen<br />
sie die Namen der angerufenen Mandanten angeben. Die berufliche<br />
Schweigepflicht entbindet Steuerberater und Rechtsanwälte<br />
nicht von dieser Nachweispflicht, da das öffentliche Interesse<br />
an einer gleichmäßigen Besteuerung gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse<br />
der Mandanten überwiegt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist Steuerberater und Rechtsbeistand. Er erzielte Einkünfte<br />
aus selbständiger Arbeit. Für das Streitjahr 1997 machte<br />
er unter anderem Telefonkosten als Betriebsausgaben geltend.<br />
Dabei verbuchte er auf Grund von „Erfahrungswerten“ 22 Prozent<br />
der Gesprächskosten im Festnetz-Bereich (rund 430 DM)<br />
als Privatanteil. Für den Mobil-Telefon-Bereich verbuchte er<br />
keinen Privatanteil.<br />
Das Finanzamt forderte den Kläger auf, eine Liste der angerufenen<br />
Mandanten vorzulegen. Nachdem sich der Kläger geweigert<br />
hatte, dem nachzukommen, ließ das Finanzamt im Festnetz-<br />
Bereich rund 720 DM der Telefonkosten unberücksichtigt. Für<br />
den Mobil-Telefon-Bereich ging es von einem privaten Nutzungsanteil<br />
in Höhe von 25 Prozent aus und berücksichtigte<br />
dementsprechend nur 75 Prozent der Kosten als Betriebsausgaben.<br />
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die vom Finanzamt vorgenommene Schätzung des Privatanteils<br />
der Telefonkosten ist nicht zu beanstanden. Telefonkosten, die<br />
sowohl beruflich als auch privat während der Arbeitszeit anfallen,<br />
sind nur insoweit als Betriebsausgaben abziehbar, als entsprechende<br />
Nachweise vorliegen. Steuerberater und Rechtsanwälte müssen<br />
die berufliche Veranlassung der Telefonate durch Angabe der<br />
Namen der angerufenen Mandanten nachweisen.<br />
Die berufliche Schweigepflicht entbindet den Kläger nicht davon,<br />
in den Einzelaufzeichnungen über die Telefongespräche jeweils die<br />
Mandantennamen anzugeben. Mandanten, die sich einem Steuerberater<br />
oder Rechtsanwalt anvertrauen, haben zwar ein - durch das<br />
Recht auf informationelle Selbstbestimmung verfassungsrechtlich<br />
abgesichertes - Interesse daran, dass ihre Informationen nicht gegen<br />
ihren Willen offenbart werden. Dem steht jedoch das öffentliche<br />
Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung gegenüber.<br />
Soweit von einem Steuerberater oder Rechtsanwalt für den<br />
Betriebskostenabzug die Angabe von Mandantennamen verlangt<br />
wird, wird dadurch nicht in unverhältnismäßiger Weise in das Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Berater und Mandant eingegriffen.<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Geheimhaltungsinteresse<br />
der Mandanten bereits durch das mit empfindlicher Strafe bewahrte<br />
Steuergeheimnis (§ 30 AO, § 355 StGB) geschützt wird.<br />
Nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger für den geltend<br />
gemachten Betriebskostenabzug die Namen der angerufenen<br />
Mandanten angeben müssen. Da er seiner Nachweispflicht nicht<br />
nachgekommen ist, durfte das Finanzamt den Privatanteil der<br />
Telefonate schätzen.<br />
Der Volltext in der BFH-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der BFH-Report-<br />
Datenbank unter http://www.bfh-report.de. Die Nutzung der<br />
Online-Datenbank ist für Abonnenten der Zeitschriften „BFHReport“/„FGReport“<br />
und der StRK kostenlos. Um ein kostenloses<br />
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Mit einer Anhörungsrüge kann eine Entscheidung<br />
nicht materiell-rechtlich angegriffen<br />
werden<br />
BFH 30.9.2005, V S 12, 13/05<br />
Verfahrensbeteiligte können eine Anhörungsrüge nicht darauf<br />
stützen, dass das erkennende Gericht in der Sache falsch entschieden<br />
habe. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene<br />
Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals<br />
zu überprüfen. Sie kommt lediglich in Betracht, wenn das erkennende<br />
Gericht die Verfahrensbeteiligten nicht ausreichend über<br />
den Verfahrensstoff informiert oder ihnen nicht die Gelegenheit<br />
zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen nicht zur Kenntnis nimmt<br />
und bei seiner Entscheidung außer Acht lässt.<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller war in zwei Verfahren vor dem FG unterlegen.<br />
Seine Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision durch<br />
das FG wies der BFH zurück. Gegen diesen Beschluss wandte<br />
sich der Antragsteller mit zwei Anhörungsrügen und beantragte<br />
die Fortsetzung der Verfahren. Hierzu trug er vor, dass der<br />
BFH in der Sache falsch entschieden habe. Außerdem hätten die<br />
beiden Verfahren nicht ohne weiteres verbunden werden dürfen.<br />
Zumindest hätte er vor der Verbindung der Verfahren angehört<br />
werden müssen. Die Anhörungsrügen hatten keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass die Verfahren<br />
fortgesetzt werden. Eine Verfahrensfortsetzung kommt gemäß §<br />
133a Abs.1 FGO nur in Betracht, wenn ein Rechtsmittel oder ein<br />
anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist<br />
und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches<br />
Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.<br />
Der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs kann insbesondere<br />
dann verletzt sein, wenn das erkennende Gericht die<br />
Verfahrensbeteiligten nicht ausreichend über den Verfahrensstoff<br />
informiert oder ihnen nicht die Gelegenheit zur Äußerung<br />
gibt, ihre Ausführungen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner<br />
Entscheidung außer Acht lässt.<br />
Der Vortrag des Antragstellers, der BFH habe in der Sache falsch<br />
entschieden, ist daher unbeachtlich. Die Anhörungsrüge dient<br />
nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem<br />
Umfang nochmals zu überprüfen.<br />
Im Streitfall sah der Antragsteller seinen Anspruch auf die<br />
Gewährung rechtlichen Gehörs auch dadurch verletzt, dass der<br />
BFH die Verfahren ohne seine Anhörung verbunden habe. Nach<br />
gängiger Rechtsprechung können die Beteiligten vor einer Verbindung<br />
von Verfahren zwar angehört werden, notwendig ist<br />
dies aber nicht. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall der Verbindung<br />
zweier Nichtzulassungsbeschwerden, da die Beteiligten<br />
durch diese Verbindung nicht beschwert werden können.<br />
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BFH veröffentlicht.<br />
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Techno-Veranstaltungen können dem<br />
ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen<br />
BFH 18.8.2005, V R 50/04<br />
Die Erlöse aus einer Techno-Veranstaltung können dem ermäßigten<br />
Umsatzsteuersatz unterliegen. Voraussetzung hierfür ist,<br />
dass es sich bei der Veranstaltung um ein Konzert im Sinn von<br />
§ 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993 handelt. Konzerte setzen zwar<br />
den Einsatz von Instrumenten oder Gesang voraus. Aber auch<br />
Plattenteller, Mischpulte und CD-Player, mit denen bestehende<br />
Musik verfremdet oder gemischt wird, können „Instrumente“<br />
sein, wenn sie zum Vortrag eines Musikstücks und nicht nur zum<br />
Abspielen eines Tonträgers genutzt werden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine Konzertveranstalterin. Einmal jährlich<br />
richtet sie eine große Techno-Veranstaltung aus, bei der alle<br />
aktuellen Stars der internationalen Techno- und Housemusik-<br />
Szene auftreten. Bei den auftretenden Künstlern handelt es sich<br />
überwiegend um „DJs“, die verschiedene Tonträger und Medien<br />
mischen („mixen“) oder die Abspielgeschwindigkeit einer<br />
Schallplatte oder CD laufend verändern („scratchen“).<br />
Die Klägerin erfasste die Umsätze aus der im Streitjahr 1997 ausgerichteten<br />
Techno-Veranstaltung mit der ermäßigten Umsatzsteuer.<br />
Zur Begründung machte sie geltend, dass es sich bei der<br />
Techno-Veranstaltung um ein Konzert im Sinn von § 12 Abs.2<br />
Nr.7a UStG 1993 handele. Das Finanzamt folgte dem nicht und<br />
unterwarf die Umsätze dem allgemeinen Steuersatz. Die Techno-<br />
Veranstaltung sei kein reines Hörkonzert, sondern eine Tanzveranstaltung<br />
mit Partycharakter.<br />
Die gegen den daraufhin erlassenen Umsatzsteuerbescheid<br />
gerichtete Klage hatte sowohl vor dem FG als auch vor dem<br />
BFH Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Entgegen der Auffassung des Finanzamts handelt es sich bei der<br />
von der Klägerin ausgerichteten Techno-Veranstaltung um ein<br />
Konzert im Sinn von § 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993, für das der<br />
ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt.<br />
Konzerte im Sinn von § 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993 sind Aufführungen<br />
von Musikstücken, bei denen Instrumente oder Gesang<br />
eingesetzt werden. Das bloße Abspielen eines Tonträgers ist<br />
zwar kein Konzert. Etwas anderes gilt aber, wenn die abgespielte<br />
Musik verfremdet oder gemischt wird. In diesem Fall können<br />
die hierzu benutzten Plattenteller, Mischpulte und CD-Player<br />
„Instrumente“ sein, mit denen die Musik im Rahmen eines Konzerts<br />
dargeboten wird.<br />
Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat angenommen,<br />
dass die „DJs“, die auf den Techno-Veranstaltungen<br />
der Klägerin auftreten, durch eine eigene künstlerische Leistung<br />
neue Musikstücke schaffen, indem sie vorhandene Musik<br />
mischen oder verfremden. Diese Würdigung verstößt nicht<br />
gegen Denk- oder Erfahrungssätze und ist daher für den entscheidenden<br />
Senat bindend.<br />
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BFH veröffentlicht.<br />
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Bundeskabinett hat die Abschaffung der<br />
Eigenheimzulage und den Abbau anderer<br />
Steuervergünstigungen beschlossen<br />
Das Bundeskabinett hat am 29.11.2005 den Entwürfen von so<br />
genannten Formulierungshilfen für zwei Gesetze zum Abbau von<br />
Steuervergünstigungen zugestimmt. Damit hat es die Abschaffung<br />
der Eigenheimzulage und den Abbau weiterer Steuervergünstigen<br />
beschlossen. So wird beispielweise die begrenzte<br />
Steuerbefreiung für Abfindungen gemäß § 3 Nr.9 EStG wegen<br />
einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen<br />
Auflösung des Dienstverhältnisses aufgehoben.<br />
Das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage wird für Neufälle<br />
ab dem 1.6.2005 gelten. Ab diesem Zeitpunkt werden nur<br />
noch Bauherrn, die vor dem 1.1.2006 mit der Herstellung beginnen,<br />
einen Anspruch auf Eigenheimzulage nach den bisherigen<br />
Regelungen des EigZulG über den gesamten Förderzeitraum<br />
von acht Jahren haben. Das gleiche gilt für Erwerber die vor<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12
dem 1.1.2006 noch einen notariellen Kaufvertrag abschließen<br />
oder einer Genossenschaft beitreten.<br />
Bei dem zweiten vom Bundeskabinett gebilligten Entwurf handelt<br />
sich um ein Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm,<br />
das der Stabilisierung des Haushalts dienen und<br />
ebenfalls zum 1.1.2006 in Kraft treten soll.<br />
Das Gesetz wird folgende Maßnahmen vorsehen:<br />
Die begrenzte Steuerbefreiung für Abfindungen gemäß § 3 Nr.9<br />
EStG wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich<br />
ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses wird<br />
aufgehoben.<br />
Außerdem entfällt die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr.10 EStG für<br />
Übergangsgelder und Übergangsbeihilfen auf Grund gesetzlicher<br />
Vorschriften (beispielsweise nach dem Beamten- oder Soldatenversorgungsgesetz).<br />
Für Verträge über Abfindungen, Gerichtsentscheidungen oder<br />
Entlassungen vor dem 1.1.2006 wird eine Übergangsregelung<br />
geschaffen. Diese sieht aus Gründen des Vertrauensschutzes die<br />
Weiteranwendung der bisherigen Steuerfreiheit vor, soweit dem<br />
Arbeitnehmer die Zahlung vor dem 1.1.2007 zufließt.<br />
Die begrenzte Steuerfreiheit für Heirats- und Geburtshilfen in<br />
Höhe von jeweils 315 Euro (§ 3 Nr.15 EStG) entfällt.<br />
Die Möglichkeit, Mietwohngebäude degressiv abzuschreiben (§<br />
7 Abs.5 S.1 Nr.3c EStG) wird für Neufälle abgeschafft. Die Vereinheitlichung<br />
des Abschreibungssatzes auf zwei Prozent entspricht<br />
dem tatsächlichen Wertverlust.<br />
§ 10 Abs.1 Nr.6 EStG, wonach Steuerberatungskosten als Sonderausgaben<br />
abziehbar sind, wird aufgehoben.<br />
Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß<br />
FG Münster 27.9.2005, 12 K 6263/03 E<br />
Der Solidaritätszuschlag zur Einkommenssteuer verstößt auch<br />
viele Jahre nach der Wiedervereinigung nicht gegen das Grundgesetz.<br />
Der Solidaritätszuschlag stellt keine, nur zur Behebung<br />
kurzfristiger staatlicher Notstände erlaubte, Sonderabgabe dar.<br />
Da er in den allgemeinen Haushalt einfließt, handelt es sich bei<br />
dem Solidaritätszuschlag vielmehr um eine Steuer in Form einer<br />
Ergänzungsabgabe.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger vertrat die Auffassung, dass der Solidaritätszuschlag<br />
spätestens seit dem Jahr 2002 eine verfassungswidrige Sonderabgabe<br />
darstelle. Diese dürfe der Staat nur zur Bewältigung von<br />
Notständen für eine kurze Dauer erheben. Die Voraussetzung<br />
erfülle der Solidaritätszuschlag nicht mehr. Die gegen die Erhebung<br />
des Solidaritätszuschlags gerichtete Klage hatte keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß. Er stellt keine<br />
Sonderabgabe dar, weil er in den allgemeinen Haushalt einfließt.<br />
Daher handelt es sich bei dem Solidaritätszuschlag um eine Steuer<br />
in Form einer Ergänzungsabgabe.<br />
Der Gesetzgeber hat bei Erlass des Solidaritätszuschlaggesetzes<br />
seinen ihm bei der Erschließung von Steuerquellen weitreichenden<br />
Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Der Solidaritätszuschlag<br />
dient der Entlastung des Haushalts im Zusammenhang<br />
mit den durch die Wiedervereinigung entstandenen finanziellen<br />
Belastungen. Dies hat der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung<br />
nachvollziehbar dargestellt.<br />
Außerdem liegt kein Verfassungsverstoß darin, dass der Gesetzgerber<br />
auch für das Jahr 2002 am Solidaritätszuschlag festgehalten<br />
hat. Die Finanzlage des Bundeshaushalts hat sich von 1990<br />
bis 2002 erheblich verschlechtert, so dass der Solidaritätszuschlag<br />
zur Stabilisierung des Haushalts erforderlich war. Ob eine<br />
Haushaltsstabilisierung auch auf anderem Weg möglich gewesen<br />
wäre, entzieht sich der gerichtlichen Überprüfbarkeit.<br />
Aktivierung eines Anspruchs der GmbH auf<br />
Einlage eines Aktiendepots setzt den Nachweis<br />
einer entsprechenden Vereinbarung<br />
voraus<br />
FG München 15.6.2005, 7 V 1569/05<br />
Der Anspruch einer GmbH auf Übertragung eines Aktiendepots<br />
ist nicht zu aktivieren, wenn eine entsprechende vertragliche<br />
Vereinbarung nicht nachgewiesen ist. Für den erforderlichen<br />
Nachweis reicht es nicht aus, dass die Übertragung des Depots<br />
bereits gemäß § 409 Abs.1 BGB der Bank angezeigt worden ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist eine GmbH, die Wertpapiere und sonstige<br />
Vermögenswerte verwaltet. Zum 1.11.1999 brachte der alleinige<br />
Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin seine bisher<br />
als Einzelunternehmen geführte Firma X. zu Buchwerten in<br />
die Antragstellerin ein. Dabei soll der Gesellschafter die Übertragung<br />
eines ihm gehörenden Aktiendepots zugesagt haben. Es<br />
existiert allerdings keine entsprechende schriftliche Vereinbarung.<br />
Zum 1.10.2001 zeigte die Antragstellerin der Hausbank ihres<br />
Gesellschafters die Abtretung der in den Aktien verkörperten<br />
Forderungen im Sinn des § 409 Abs.1 BGB an und bat um<br />
Umschreibung des Depots auf den Namen der Antragstellerin.<br />
Die Übertragung des Depots auf das Konto der Antragstellerin<br />
erfolgte im Herbst 2002.<br />
Die Antragstellerin berücksichtigte zum 1.7.2001 gewinnmindernd<br />
eine Teilwertabschreibung des Aktiendepotbestandes. Das<br />
Finanzamt folgte dem nicht, sondern ging im Zusammenhang<br />
mit der Einlage des Aktiendepots von einer verdeckten Gewinnausschüttung<br />
aus und erhöhte entsprechend die Körperschaftsteuer<br />
für 2001. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des<br />
Körperschaftsteuerbescheids hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen<br />
Körperschaftsteuerbescheids. Eine verdeckte Gewinnausschüttung<br />
kann nur vorliegen, wenn sich der fragliche Geschäftsvorfall<br />
in der Steuerbilanz erfolgswirksam niedergeschlagen hat.<br />
Im Streitfall müsste deshalb der Anspruch der Antragstellerin<br />
gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer auf Übertragung des<br />
Aktiendepots dem Betriebsvermögen zuzurechnen sein.<br />
Bei einer Kapitalgesellschaft gehört zwar grundsätzlich jede<br />
Forderung, deren Inhaberin sie zivilrechtlich ist, zu ihrem bilanziell<br />
zu erfassenden Betriebsvermögen. Im Streitfall ist jedoch<br />
davon auszugehen, dass die Antragstellerin noch nicht Inhaberin<br />
des bei ihr zum 1.7.2001 verbuchten zivilrechtlichen Anspruchs<br />
auf Übertragung des Depots war. Sie trägt insoweit die Feststellungslast,<br />
so dass bereits Zweifel an der Zugehörigkeit der For-<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13
derung zum Betriebsvermögen der Antragstellerin ausreichen,<br />
um die Teilwertabschreibung nicht anzuerkennen.<br />
Solche Zweifel sind im Streitfall gegeben. Die Antragstellerin<br />
hat keine schriftliche Vereinbarung vorgelegt, die die Forderung<br />
auf Übertragung des Aktiendepots belegt. Sie hat den erforderlichen<br />
Nachweis auch nicht durch Vorlage des Schreibens vom<br />
1.10.2001 erbracht, mit dem sie der Bank ihres Gesellschafter-Geschäftsführers<br />
die Übertragung des Depots gemäß § 409<br />
Abs.1 BGB angezeigt hat. § 409 Abs.1 BGB regelt lediglich,<br />
dass die Bank in diesen Fällen darauf vertrauen darf, dass die<br />
Forderung an den Dritten abgetreten worden ist, ersetzt aber<br />
nicht den Nachweis, dass eine Abtretung tatsächlich erfolgt ist.<br />
Das Akteneinsichtsrecht erlischt mit dem<br />
endgültigen Abschluss des betreffenden<br />
Verfahrens<br />
BFH 20.10.2005, VII B 207/05<br />
Das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 78 FGO erlischt, sobald<br />
das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Das<br />
Akteneinsichtrecht dient allein der „aktuellen“ Prozessführung<br />
und lebt nach Verfahrensabschluss selbst dann nicht wieder auf,<br />
wenn das Bedürfnis nach Akteneinsicht damit begründet wird,<br />
dass der Inhalt der Akten auch für andere Verfahren wegen einer<br />
etwaigen Regressforderung gegenüber Dritten erforderlich sei.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger hatte mit dem beklagten Finanzamt über die Rechtmäßigkeit<br />
eines Haftungsbescheids gestritten. In dem Verfahren vor<br />
dem FG war der Kläger von der Steuerberaterin X. vertreten worden.<br />
Das Verfahren ist inzwischen rechtskräftig abgeschlossen.<br />
Nach Abschluss des Verfahrens wandte sich der Kläger durch<br />
seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten an das FG und beantragte<br />
Akteneinsicht. Sein Begehren begründete der Kläger<br />
damit, dass sein Prozessbevollmächtigter prüfen solle, ob eventuelle<br />
Schadensersatzansprüche gegen die Steuerberaterin X.<br />
bestünden. Das FG lehnte den Antrag auf Akteneinsicht mit der<br />
Begründung ab, dass die Streitsache rechtskräftig abgeschlossen<br />
sei. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Klägers hatten<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Akteneinsicht. § 78 Abs.1<br />
FGO gewährt den Beteiligten das Recht auf Akteneinsicht nur<br />
im Rahmen eines anhängigen, noch nicht abgeschlossenen<br />
Streitverfahrens. Den Verfahrensbeteiligten soll die Möglichkeit<br />
geben werden, sich über die dem Gericht vorliegenden Entscheidungsgrundlagen<br />
zu informieren und zu diesen Grundlagen Stellung<br />
zu nehmen. Das Akteneinsichtsrecht dient dabei allein der<br />
„aktuellen“ Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende<br />
Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Diese Auslegung von<br />
§ 78 Abs.1 FGO ergibt sich aus seiner systematischen Stellung<br />
innerhalb des mit „Verfahren im ersten Rechtszug“ überschriebenen<br />
Abschnitts III des Zweiten Teil der FGO.<br />
Das Akteneinsichtsrecht erlischt selbst dann, wenn das Bedürfnis<br />
nach Akteneinsicht - wie im Streitfall - damit begründet wird,<br />
dass der Inhalt der Akten auch für andere Verfahren wegen einer<br />
etwaigen Regressforderung gegenüber einem Dritten erforderlich<br />
sei. Auch in einem solchen Fall ist der erforderliche Bezug<br />
zur „aktuellen“ Prozessführung nicht mehr gegeben.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
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Renovierungen stellen keine haushaltsnahen<br />
Dienstleistungen dar<br />
Niedersächsisches FG 4.10.2005, 13 K 368/04<br />
Aufwendungen für umfassende Renovierungen unterliegen nicht<br />
der Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen gemäß<br />
§ 35a Abs.2 EStG. Denn unter den Begriff der haushaltsnahen<br />
Dienstleistungen fallen nicht solche Tätigkeiten, deren Ausübung<br />
regelmäßig eine umfassende handwerkliche Vorbildung voraussetzt<br />
und die das Maß üblicher Ausbesserungen und Schönheitsreparaturen<br />
überschreiten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute,<br />
ließen im Streitjahr 2003 ihr Badezimmer renovieren und dabei<br />
insbesondere neue Fliesen verlegen. In ihrer Einkommensteuererklärung<br />
machten sie die Aufwendungen für die Bad-Renovierung<br />
als haushaltsnahe Dienstleistung geltend und reichten hierzu<br />
Handwerker-Rechnungen über insgesamt rund 4.600 Euro ein.<br />
Von diesen Aufwendungen erkannte das Finanzamt lediglich 181<br />
Euro an und gewährte eine Steuerermäßigung in Höhe von 37 Euro.<br />
Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Kläger eine weitere<br />
Steuerermäßigung von 335 Euro begehrten, hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Finanzamt hat die begehrte Steuerermäßigung zu Recht versagt.<br />
Den Klägerin steht für die Renovierung ihres Bads keine<br />
Steuerermäßigung nach § 35a Abs.2 EStG zu, da die in Auftrag<br />
gegebenen Renovierungsarbeiten keine haushaltsnahen Dienstleistungen<br />
darstellen.<br />
Der Begriff der haushaltsnahen Dienstleistungen ist gesetzlich<br />
nicht definiert. Er ist jedoch dahingehend auszulegen, dass er<br />
nicht solche Tätigkeiten erfasst, deren Ausübung regelmäßig eine<br />
umfassende handwerkliche Vorbildung voraussetzt und die das<br />
Maß üblicher Ausbesserungen und Schönheitsreparaturen überschreiten.<br />
Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, wonach<br />
nur typischerweise und mit einiger Regelmäßigkeit im laufenden<br />
privaten Haushalt anfallende Tätigkeiten steuerlich privilegiert<br />
werden sollen. Er muss sich demnach um Arbeiten handeln, die<br />
gewöhnlich die Haushaltsmitglieder selbst erledigen.<br />
Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall keine haushaltsnahen<br />
Dienstleistungen vor, da eine umfassende Bad-Renovierung<br />
regelmäßig nicht von den Haushaltsmitgliedern selbst<br />
vorgenommen werden kann, sondern fachlich besonders ausgebildeten<br />
Handwerkern übertragen wird. Die Aufwendungen<br />
der Kläger für die Bad-Renovierung sind auch nicht teilweise<br />
(etwa soweit sie die Malerarbeiten im Bad betreffen) ermäßigt zu<br />
besteuern. Aus einer einheitlichen handwerklichen Werkleistung<br />
dürfen nicht einzelne Tätigkeiten herausgelöst werden, die für<br />
sich betrachtet auch durch die Mitglieder des privaten Haushalts<br />
bewerkstelligt werden könnten.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den auf der Website des Niedersächsischen FG veröffentlichten<br />
Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />
47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14
Anmietung einer Wohnung vom Arbeitgeber<br />
zum Mietspiegel-Preis stellt keine verbilligte<br />
Wohnraumüberlassung dar<br />
BFH 17.8.2005, IX R 10/05<br />
Überlässt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer eine Mietwohnung<br />
zu einem Mietpreis, der sich innerhalb der im örtlichen<br />
Mietspiegel angegebenen Mietpreisspanne bewegt, so liegt hierin<br />
kein als Arbeitslohn zu erfassender geldwerter Vorteil. Eine<br />
verbilligte Wohnraumüberlassung liegt erst vor, wenn die verlangte<br />
Miete unterhalb dieser Mietpreisspanne liegt. Daher müssen<br />
Arbeitnehmer auch bei einer Miete, die am untersten Rand<br />
der ortsüblichen Mietpreisspanne liegt, noch keinen geldwerten<br />
Vorteil versteuern.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte<br />
Eheleute. Ihr Arbeitgeber überließ ihnen in den Streitjahren 1999<br />
bis 2001 eine 140 Quadratmeter große Mietwohnung, wofür<br />
die Kläger eine Miete von 10,10 DM pro Quadratmeter zahlen<br />
mussten. Grundlage für die Festsetzung der Miete war der örtliche<br />
Mietspiegel, der für vergleichbare Wohnungen eine Spanne<br />
von 10,10 bis 12,30 DM je Quadratmeter vorsah.<br />
Das Finanzamt ging von einer verbilligten Wohnraumüberlassung<br />
aus, weil die gezahlte Miete sich am untersten Rand des<br />
Mietspiegel-Preises bewege, für die ortsübliche Miete aber auf<br />
den Mittelwert der im Mietspiegel angegeben Preisspanne abzustellen<br />
sei. Der Mittelwert liege bei 11,20 DM pro Quadratmeter.<br />
Die Differenz zwischen diesem ortsüblichen und dem tatsächlich<br />
gezahlten Mietpreis sei als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu<br />
erfassen.<br />
Das FG wies die gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide<br />
gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob<br />
der BFH diese Entscheidung auf und gab der Klage statt.<br />
Die Gründe:<br />
Das FG hat im Streitfall zu Unrecht einen geldwerten Vorteil<br />
angenommen. Überlässt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer<br />
eine Mietwohnung, so liegt hierin nur dann ein als Arbeitslohn<br />
zu erfassender geldwerter Vorteil, wenn die verlangte Miete<br />
unterhalb der ortsüblichen Miete liegt. Die ortsübliche Miete<br />
ist anhand des örtlichen Mietspiegels zu ermitteln. Sieht dieser<br />
- wie hier - für vergleichbare Wohnungen eine bestimmte Mietpreisspanne<br />
vor, so ist jeder Mietpreis, der sich noch innerhalb<br />
dieser Preisspanne bewegt, als ortsüblich anzusehen.<br />
Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der verlangte Mietpreis<br />
dem Mittelwert der im Mietspiegel angegebenen Preisspanne<br />
entspricht. Mit dem Abstellen auf die ortsübliche Miete soll dem<br />
Umstand Rechnung getragen werden, dass die Verpflichtung des<br />
Arbeitgebers zur Ermittlung des Mietpreises wegen des damit<br />
verbundenen Aufwands durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />
begrenzt wird. Diesem Vereinfachungszweck würde es zuwiderlaufen,<br />
wenn der Arbeitgeber bei einer vom Mietspiegel vorgegebenen<br />
Spanne weitere Ermittlungen anstellen müsste, welcher<br />
Wert innerhalb der Spanne angemessen ist.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Zum Vorliegen einer festen Betriebsstätte<br />
nach dem DBA-Portugal<br />
BFH 3.8.2005, I R 87/04<br />
Die Gewinne eines portugiesischen Unternehmens sind nach<br />
dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und<br />
Portugal (DBA-Portugal) in Deutschland zu besteuern, wenn das<br />
Unternehmen eine feste Betriebsstätte in Deutschland unterhält.<br />
Eine feste Betriebsstätte kann vorliegen, wenn für das Unternehmen<br />
eine Person in Deutschland tätig wird, die eine Vollmacht<br />
zum Abschluss von Verträgen im Namen des Unternehmens<br />
besitzt und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt. Die betreffende<br />
Person darf sich aber nicht nur kurzfristig (jedenfalls länger als<br />
60 Tage pro Jahr) in Deutschland aufhalten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine in der Baubranche tätige Kapitalgesellschaft,<br />
deren Sitz und Geschäftsleitung sich in Portugal befindet.<br />
In Deutschland war sie von 1994 bis 1998 als Subunternehmerin<br />
für verschiedene Auftraggeber auf verschiedenen Baustellen<br />
tätig. Lediglich auf einer Baustelle dauerten die Bausausführungen<br />
länger als sechs Monate. Auf den Baustellen wurden wechselnde<br />
Personen als Betriebsleiter eingesetzt.<br />
Die Klägerin hatte im Streitjahr 1998 drei Geschäftsführer. Der<br />
Geschäftsführer A. reiste in den Jahren 1995 bis 1998 durchschnittlich<br />
elf Mal pro Jahr für die Dauer von zwei bis fünf Tagen<br />
nach Deutschland. Im Streitjahr hielt er sich hier 43 Tage lang<br />
auf. Seine Inlandsaufenthalte dienten dem Abschluss von Verträgen<br />
mit Auftraggebern der Klägerin, der Kontrolle der Baustellen<br />
und der Kontaktierung neuer Vertragspartner.<br />
Das Finanzamt erließ gegenüber der Klägerin einen Körperschaftsteuerbescheid,<br />
in dem es die Besteuerungsgrundlagen<br />
schätzte. Es vertrat die Auffassung, dass die von der Klägerin in<br />
Deutschland erzielten Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht<br />
unterlägen, weil sich A. als ständiger Vertreter in Deutschland<br />
aufgehalten habe. Demgegenüber vertrat die Klägerin die<br />
Ansicht, dass ihre Einkünfte nach dem Doppelbesteuerungsabkommen<br />
zwischen Deutschland und Portugal (DBA-Portugal<br />
vom 15.7.1980) nicht in Deutschland besteuert werden dürften.<br />
A. sei nicht ihr ständiger Vertreter gewesen. Die gegen den entsprechenden<br />
Körperschaftsteuerbescheid gerichtete Klage hatte<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der von der Klägerin im Streitjahr erzielte Gewinn darf in<br />
Deutschland nicht besteuert werden.<br />
Gemäß Art. 7 Abs.1 S.1 DBA-Portugal dürfen Gewinne eines<br />
Unternehmens eines Vertragsstaats nur dann in Deutschland<br />
besteuert werden, wenn das Unternehmen hier über eine feste<br />
Betriebsstätte verfügt. Ein Betriebsstätte ist nach Art. 5 Abs.1<br />
DBA-Portugal jede feste Geschäftseinrichtung, durch die die<br />
Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt<br />
wird. Die Betriebsstätte muss dabei für mindestens sechs Monate<br />
(Art. 5 Abs.3 DBA-Portugal) unterhalten werden. Eine solche<br />
Geschäftseinrichtung hat die Klägerin in Deutschland nicht<br />
besessen, weil die Bauausführungen - abgesehen von einem Fall<br />
- nie länger als sechs Monate andauerten.<br />
Nach Art. 5 Abs.5 DBA-Portugal kann ein Unternehmen auch<br />
dann über eine feste Betriebsstätte verfügen, wenn die abkommensrechtlichen<br />
Voraussetzungen einer festen Betriebsstätte<br />
nicht erfüllt sind. Dies kommt in Betracht, wenn für das Unter-<br />
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nehmen eine Person tätig wird, die eine Vollmacht zum Abschluss<br />
von Verträgen im Namen des Unternehmens besitzt und diese<br />
Vollmacht gewöhnlich ausübt. Art. 5 Abs.5 DBA-Portugal definiert<br />
zwar nicht, was unter dem Begriff „gewöhnlich“ - insbesondere<br />
im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen der Betätigung<br />
dieser Person - zu verstehen ist. Der BFH hat aber im Anwendungsbereich<br />
von § 12 AO 1977 wiederholt entschieden, dass<br />
eine nur kurzfristige Tätigkeit an einem bestimmten Ort selbst<br />
dann keine Betriebsstätte begründet, wenn sie sich jährlich wiederholt.<br />
Er hat in diesem Zusammenhang eine Tätigkeit von einmalig<br />
vier Wochen pro Kalenderjahr als kurzfristig eingestuft.<br />
Im Streitfall hatte der Geschäftsführer A. der Klägerin zwar<br />
eine Vollmacht, um in ihrem Namen Verträge abzuschließen. Er<br />
hielt sich aber nie länger als 60 Tage pro Jahr in Deutschland<br />
auf, wobei sich diese Tage auf mehrere Besuche verteilen. Dies<br />
stellt eine kurzfristige Tätigkeit dar, die keine feste Betriebsstätte<br />
begründet.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
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