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<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />

Das Wichtige im Überblick<br />

Vertragsrecht<br />

Internet-Versandhandel: Kaufpreisrückzahlung bei<br />

Warenrückgabe nicht durch AGB ausschließbar<br />

(BGH)<br />

Arbeitsrecht<br />

Höchstarbeitszeitberechung: Nachtwachen sind<br />

„volle“ Arbeitszeit (EuGH)<br />

Betriebsratswahl: Nur begrenztes Einsichtsrecht<br />

des Arbeitgebers in Wahlakten (BAG)<br />

Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft: Keine<br />

Geschäftsführerhaftung gegenüber Arbeitnehmern<br />

im Insolvenzfall (BAG)<br />

Sozialrecht<br />

Arbeitslosenhilfe: Nur ALG II auch für ältere Arbeitnehmer<br />

(SG Dortmund)<br />

ALG II: Einstweiliger Rechtsschutz nur für 80% des<br />

Anspruches (SG Dortmund)<br />

Verwaltungsrecht<br />

Abfallbeseitigung: Für Gewerbetreibende trotz privater<br />

Müllentsorgung gebührenpflichtig (BVerwG)<br />

Aus dem Inhalt:<br />

47/05<br />

Strafrecht und OWi<br />

Sicherungsverwahrung: Nachträgliche Anordnung<br />

nur unter engen Voraussetzungen (BGH)<br />

Untersuchungshaft: Anspruch auf nachträglichen<br />

Rechtsschutz (BVerfG)<br />

Steuerrecht<br />

Akteneinsichtsrecht: Erlöschen bei Verfahrensende<br />

(BFH)<br />

Renovierung: Keine haushaltsnahe Dienstleistung<br />

(Niedersächsisches FG)


<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 47/05 Inhalt<br />

Vertragsrecht<br />

Internetversandhäuser müssen Kunden bei Rückgabe<br />

der bestellten Ware Geld zurückerstatten<br />

BGH 5.10.2005, VIII ZR 382/04 4<br />

Arbeitsrecht<br />

Nachtwachen stellen bei der Berechnung der zulässigen<br />

Höchstarbeitszeit in vollem Umfang Arbeitszeit<br />

dar<br />

EuGH 1.12.2005, C-14/04 4<br />

Vertragsstrafenabrede in Formulararbeitsverträgen<br />

ist bei unangemessener „Übersicherung“ unzulässig<br />

BAG 18.8.2005, 8 AZR 65/05 5<br />

Arbeitgeber haben nicht ohne weiteres einen<br />

Anspruch auf Einsichtnahme in sämtliche Wahlakten<br />

der Betriebsratswahl<br />

BAG 27.7.2005, 7 ABR 54/04 5<br />

Bei Weiterbeschäftigung eines Geschäftsführers<br />

nach seiner Abberufung kann das vorhergehende<br />

Arbeitsverhältnis wieder aufleben<br />

BAG 24.11.2005, 2 AZR 614/04 6<br />

Geschäftsführer einer insolventen Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />

haften Arbeitnehmern regelmäßig<br />

nicht auf Schadensersatz<br />

BAG 24.11.2005, 8 AZR 1/05 6<br />

Sozialrecht<br />

Ältere Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf<br />

Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe<br />

SG Dortmund 23.11.2005, S 35 AS 22/05 7<br />

Langzeitarbeitslose können im Eilverfahren höchstens<br />

80 Prozent ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld<br />

II erstreiten<br />

SG Dortmund 17.11.2005, S 22 AS 206/05 ER 7<br />

Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Zwischen den Wortmarken „Post” und „Die grüne<br />

Post” besteht keine Verwechslungsgefahr<br />

OLG Hamburg 23.9.2005, 5 U 178/04 7<br />

Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />

Gewerbetreibende müssen trotz privater Müllentsorgung<br />

Abfallbeseitigungsgebühren zahlen<br />

BVerwG 1.12.2005, 10 C 4.04 8<br />

Bei einer Verkaufsfläche von mehr 800 Quadratmetern<br />

liegt ein nur in Kern- und Sondergebieten<br />

genehmigungsfähiger großflächiger Einzelhandelsbetrieb<br />

vor<br />

BVerwG 24.11.2005, 4 C 10.04 u.a. 8<br />

Aufenthaltserlaubnis für Ausländerkinder darf nicht<br />

nur vom Aufenthaltsrecht der Mutter abhängig<br />

gemacht werden<br />

BVerfG 25.10.2005, 2 BvR 524/01 9<br />

Strafrecht und OWi<br />

Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

ist nur unter engen Voraussetzungen möglich<br />

BGH 25.11.2005, 2 StR 272/05 9<br />

Bundesjustizministerium bringt neues EU-Haftbefehlsgesetz<br />

auf den Weg<br />

Untersuchungshäftlinge haben Anspruch auf nachträglichen<br />

Rechtsschutz<br />

BVerfG 31.10.2005, 2 BvR 2233/04 10<br />

Steuerrecht<br />

Steuerberater und Rechtsanwälte müssen für<br />

Betriebsausgabenabzug von Telefonkosten Mandantenamen<br />

nennen<br />

FG Sachsen-Anhalt 28.4.2005, 1 K 371/02 11<br />

Mit einer Anhörungsrüge kann eine Entscheidung<br />

nicht materiell-rechtlich angegriffen werden<br />

BFH 30.9.2005, V S 12, 13/05 11<br />

Techno-Veranstaltungen können dem ermäßigten<br />

Umsatzsteuersatz unterliegen<br />

BFH 18.8.2005, V R 50/04 12<br />

Bundeskabinett hat die Abschaffung der Eigenheimzulage<br />

und den Abbau anderer Steuervergünstigungen<br />

beschlossen 12


<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 47/05 Inhalt<br />

Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß<br />

FG Münster 27.9.2005, 12 K 6263/03 E 13<br />

Aktivierung eines Anspruchs der GmbH auf Einlage<br />

eines Aktiendepots setzt den Nachweis einer entsprechenden<br />

Vereinbarung voraus<br />

FG München 15.6.2005, 7 V 1569/05 13<br />

Das Akteneinsichtsrecht erlischt mit dem endgültigen<br />

Abschluss des betreffenden Verfahrens<br />

BFH 20.10.2005, VII B 207/05 14<br />

Renovierungen stellen keine haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen dar<br />

Niedersächsisches FG 4.10.2005, 13 K 368/04 14<br />

Anmietung einer Wohnung vom Arbeitgeber zum<br />

Mietspiegel-Preis stellt keine verbilligte Wohnraumüberlassung<br />

dar<br />

BFH 17.8.2005, IX R 10/05 15<br />

Zum Vorliegen einer festen Betriebsstätte nach dem<br />

DBA-Portugal<br />

BFH 3.8.2005, I R 87/04 15<br />

Verlag<br />

Impressum<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />

Gustav-Heinemann-Ufer 58<br />

50968 Köln<br />

Geschäftsführender Gesellschafter: Dr. h.c. Karl-Peter Winters<br />

Amtsgericht Köln, HRA 5237<br />

USt-Ident-Nr. DE 123047975<br />

Zitierweise<br />

<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />

ISSN 1613-8090<br />

Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />

Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />

Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />

E-Mail: anwaltswoche@otto-schmidt.de<br />

Tel.: +49 (0) 221-93738-501<br />

Fax: +49 (0) 221-93738-951<br />

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Die <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> erscheint wöchentlich.<br />

Bezugspreis: 98,- € pro Jahr.<br />

Anzeigenleitung: Renate Becker<br />

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Haftungsausschluss<br />

Inhalte<br />

Die Inhalte der <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> werden sorgfältig geprüft und nach bestem<br />

Wissen erstellt. Jedoch kann keinerlei Gewähr für die Korrektheit, Vollständigkeit,<br />

Aktualität oder Qualität der bereitgestellten Informationen übernommen<br />

werden. Haftungsansprüche gegen den Verlag Dr. Otto Schmidt, welche<br />

sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die<br />

Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die<br />

Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden<br />

sind grundsätzlich ausgeschlossen, sofern auf Seiten des Verlages Dr. Otto-<br />

Schmidt kein nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden<br />

vorliegt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln nicht unbedingt die<br />

Meinung des Herausgebers wider.<br />

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Der Verlag Dr. Otto Schmidt ist bestrebt, in allen Publikationen die Urheberrechte<br />

der verwendeten Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte<br />

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gestattet.<br />

Rechtswirksamkeit des Haftungsausschlusses<br />

Sofern Teile oder einzelne Formulierungen dieses Textes der geltenden<br />

Rechtslage nicht, nicht mehr oder nicht vollständig entsprechen sollten, bleiben<br />

die übrigen Teile des Dokumentes in ihrem Inhalt und ihrer Gültigkeit<br />

davon unberührt.


Vertragsrecht<br />

Internetversandhäuser müssen Kunden bei<br />

Rückgabe der bestellten Ware Geld zurückerstatten<br />

BGH 5.10.2005, VIII ZR 382/04<br />

Internetversandhäuser dürfen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

nicht regeln, dass die Verbraucher bei der Rückgabe<br />

der bestellten Ware nicht ihr Geld zurückerhalten, sondern lediglich<br />

eine Gutschrift bekommen. Dies benachteiligt die Verbraucher<br />

unangemessen, da ihnen der Eindruck vermittelt wird, ihre Rechte<br />

seien auf die Erteilung einer Gutschrift beschränkt, obwohl ihnen<br />

tatsächlich ein Anspruch auf Rückgewähr ihrer Leistung zusteht.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte betreibt einen Versandhandel und bietet ihre Waren<br />

auch im Internet an. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

verwendet sie unter anderem folgende Klausel zum Rückgaberecht:<br />

„Wenn Sie uns keinen bestimmten Wunsch mitteilen, wird der<br />

Wert der Rücksendung Ihrem Kundenkonto gutgeschrieben oder<br />

Sie erhalten beim Nachnahmekauf einen Verrechnungsscheck“<br />

Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er<br />

vertrat die Auffassung, dass die Klausel in den Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen der Beklagten rechtswidrig sei, weil sie<br />

den Verbraucher nicht klar und verständlich über seine Rechte<br />

aufkläre. Er verlangte deshalb die Unterlassung der Verwendung<br />

der Klausel. Die hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte darf die streitige Rückgaberecht-Klausel nicht<br />

mehr in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwenden.<br />

Die Klausel ist nach § 307 Abs.1 S.1 und 2 BGB unwirksam, weil<br />

sie die Verbraucher unangemessen benachteiligt. Die Benachteiligung<br />

der Verbraucher ergibt sich daraus, dass sie nicht klar und<br />

unmissverständlich über ihre Rechte aufgeklärt werden. Denn<br />

eine Klausel darf die Rechtslage nicht unzutreffend oder missverständlich<br />

darstellen und auf diese Weise dem Verwender die<br />

Möglichkeit geben, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die<br />

in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren.<br />

Bei einem Fernabsatzvertrag steht dem Verbraucher gemäß § 312d<br />

Abs.1 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Auf dieses<br />

Widerrufsrecht finden nach § 357 Abs.1 S.1 BGB die Vorschriften<br />

über den gesetzlichen Rücktritt entsprechend Anwendung.<br />

Diesbezüglich sieht § 346 Abs.1 S.1 BGB vor, dass im Fall des<br />

Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind.<br />

Die streitige Klausel genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie<br />

lediglich die Erteilung einer Gutschrift an die Verbraucher vorsieht.<br />

Eine Gutschrift stellt aber lediglich ein abstraktes Schuldversprechen<br />

dar, mit dem die Verbraucher noch nicht über die zurück<br />

zu gewährende Leistung verfügen können. Sie müssen vielmehr<br />

einen Anspruch aus der Gutschrift gegen die Beklagte geltend<br />

machen. Dies entspricht nicht ihren Rechten. Die Klausel vermittelt<br />

den Verbrauchern daher unzulässigerweise den Eindruck, dass<br />

ihre Rechte auf die Erteilung einer Gutschrift beschränkt seien.<br />

Linkhinweis:<br />

- DieEntscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.<br />

- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />

Arbeitsrecht<br />

Nachtwachen stellen bei der Berechnung<br />

der zulässigen Höchstarbeitszeit in vollem<br />

Umfang Arbeitszeit dar<br />

EuGH 1.12.2005, C-14/04<br />

Eine nationale Regelung, wonach Nachtwachen nur teilweise<br />

als Arbeitszeit anerkannt werden, verstößt gegen die Arbeitszeitrichtlinie<br />

der EU. Die Richtlinie unterscheidet im Hinblick auf<br />

die zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden nur zwischen<br />

„Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“. Sie sieht keine Zwischenkategorie<br />

vor. Die Einstufung als „Arbeitszeit“ hängt daher nicht<br />

von der Intensität der geleisteten Arbeitszeit ab.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger des Ausgangsverfahrens arbeitet in Frankreich als<br />

Erzieher in einem Heim für behinderte Kinder. Nach dem französischen<br />

Recht werden Nachtdienste in bestimmten sozialen<br />

und medizinisch-sozialen Einrichtungen nur zu einem Drittel<br />

als Arbeitszeit gewertet. Damit soll dem Umstand Rechnung<br />

getragen werden, dass die Arbeitnehmer bei Nachtdiensten nicht<br />

durchgehend Arbeitsleistungen erbringen.<br />

Der Kläger wurde entlassen, weil er verlangt hatte, dass die von<br />

ihm geleisteten Nachtdienste in vollem Umfang als Arbeitszeit<br />

erfasst und entsprechend vergütet werden. Mit seiner Klage<br />

machte er die Nichtigkeit der französischen Regelung zur<br />

Behandlung von Nachtdiensten geltend. Das von ihm angerufene<br />

französische Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem<br />

EuGH die Frage vor, ob die streitige Regelung gegen das EU-<br />

Recht verstößt. Der EuGH bejahte dies.<br />

Die Gründe:<br />

Die streitige Regelung verstößt gegen die Arbeitszeitrichtlinie<br />

(Richtlinie 93/104/EG). Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften<br />

für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am<br />

Arbeitsplatz und sieht unter anderem eine Höchstarbeitszeit von<br />

48 Wochenstunden vor. Dabei wird nur zwischen „Arbeitszeit“<br />

und „Ruhezeit“ unterschieden, eine Zwischenkategorie gibt es<br />

nicht. Daher kommt es für die Ermittlung der Höchstarbeitszeit<br />

nicht auf die Intensität der geleisteten Arbeitszeit an.<br />

Nach diesen Grundsätzen sind Nachtwachen und andere Bereitschaftsdienste<br />

in vollem Umfang als Arbeitszeit zu erfassen. Das<br />

gilt allerdings nur für die Ermittlung der zulässigen Höchstarbeitszeit<br />

und nicht für die Vergütung der Arbeitnehmer. Der Vergütungsbereich<br />

ist in der Arbeitszeitrichtlinie nicht geregelt.<br />

Der Hintergrund:<br />

Der EuGH bestätigt mit dieser Entscheidung seine ständige<br />

Rechtsprechung zur arbeitszeitrechtlichen Beurteilung von<br />

Bereitschaftsdiensten. In Deutschland ist diese Rechtsprechung<br />

noch nicht umgesetzt. Das Bundeskabinett hat am 29.11.2005<br />

beschlossen, die den Tarifvertragsparteien eingeräumte Frist zur<br />

Umsetzung dieser Rechtsprechung bis zum 31.12.2006 zu verlängern.<br />

Bis dahin müssen Bereitschaftsdienste - insbesondere<br />

von Klinikärzten - weiterhin nicht in vollem Umfang als Arbeitszeit<br />

gewertet werden.<br />

Derzeit wird eine Änderung der Arbeitszeitrichtlinie diskutiert.<br />

So wurde vorgeschlagen, den Berechnungszeitraum für die<br />

durchschnittliche Wochenarbeitszeit von sechs auf zwölf Mona-<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4


te zu erhöhen oder es den Mitgliedstaaten zu überlassen, ob sie<br />

die Arbeitszeitrichtlinie anwenden wollen. Bislang hat sich der<br />

EU-Ministerrat allerdings nicht auf eine einheitliche Linie einigen<br />

können.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

EuGH veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Vertragsstrafenabrede in Formulararbeitsverträgen<br />

ist bei unangemessener „Übersicherung“<br />

unzulässig<br />

BAG 18.8.2005, 8 AZR 65/05<br />

Formulararbeitsverträge dürfen zwar grundsätzlich eine Vertragsstrafenabrede<br />

enthalten. Die Vertragsstrafenabrede darf aber<br />

nicht zu einer „Übersicherung“ des Arbeitgebers führen. Dies ist<br />

etwa dann der Fall, wenn jeder Einzelfall eines Verstoßes gegen<br />

das Wettbewerbsverbot mit einer Vertragsstrafe in Höhe eines<br />

ein- bis dreifachen Monatsgehalts sanktioniert wird.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beklagte war bei der Klägerin, einer Wirtschaftsprüfungs-<br />

und Steuerberatungsgesellschaft, als Assistent im steuerlichen<br />

Beratungsdienst beschäftigt.<br />

Der von der Klägerin für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte<br />

Arbeitsvertrag enthielt eine Vertragsstrafenabrede. Wörtlich hieß<br />

es: „Der Mitarbeiter hat im Fall eines gravierenden Vertragsverstoßes<br />

(etwa gegen das Wettbewerbsverbot ...) für jeden Einzelfall<br />

eine Vertragsstrafe in Höhe des ein- bis dreifachen Betrags<br />

des jeweiligen Monatsgehalts ... zu bezahlen.“<br />

Am 1.12.2003 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />

der Klägerin zum 31.12.2003. Die Klägerin stellte den Beklagten<br />

daraufhin von der Arbeit frei und wies ihn darauf hin, dass<br />

er sich während des Arbeitsverhältnisses jeglichen Wettbewerbs<br />

enthalten müsse. Wenige Tage nach der Kündigung des Beklagten<br />

wechselten 13 Mandanten, die bisher von ihm betreut worden<br />

waren, zum neuen Arbeitgeber des Beklagten.<br />

Die Klägerin verlangte daraufhin für jeden der 13 Einzelfälle die<br />

Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehalts. Die<br />

hierauf gerichtete Klage hatte in allen Fällen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />

der Vertragsstrafe. Die Vertragsstrafenklausel im Arbeitsvertrag<br />

stellt eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten dar<br />

und ist deshalb nach § 307 Abs.1 BGB unwirksam.<br />

In Formulararbeitsverträgen sind Vertragsstrafenabreden zwar<br />

nicht generell unzulässig. § 309 Nr.6 BGB, der ein entsprechendes<br />

Verbot enthält, findet auf Arbeitsverträge keine Anwendung,<br />

weil die Arbeitsleistung - anders als andere Leistungsversprechen<br />

- nicht vollstreckbar ist und der Arbeitgeber deshalb ein anerkennenswertes<br />

Interesse an der Absicherung der Vertragserfüllung<br />

durch eine Vertragsstrafenabrede hat. Eine Vertragstrafenabrede<br />

in einem Formulararbeitsvertrag kann aber im Einzelfall gemäß<br />

§ 307 Abs.1 BGB unzulässig sein, wenn sie den Arbeitnehmer<br />

unangemessen benachteiligt.<br />

Im Streitfall liegt eine unangemessene Benachteiligung des<br />

Beklagten darin, dass der Arbeitsvertrag für jeden Einzelfall eines<br />

Wettbewerbsverstoßes eine Vertragsstrafe in Höhe des ein- bis<br />

dreifachen Monatsgehalts vorsieht. Hierin liegt eine unzulässige<br />

„Übersicherung“. Für gleichartige Wettbewerbsverstöße nach<br />

Kündigung des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitgeber nicht für<br />

jeden Einzelfall eine derart hohe Vertragsstrafe fordern.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BAG veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Arbeitgeber haben nicht ohne weiteres<br />

einen Anspruch auf Einsichtnahme in sämtliche<br />

Wahlakten der Betriebsratswahl<br />

BAG 27.7.2005, 7 ABR 54/04<br />

Arbeitgeber haben zwar grundsätzlich auch ohne Darlegung<br />

eines besonderen rechtlichen Interesses einen Anspruch auf<br />

Einsichtnahme in die vom Betriebsrat aufbewahrten Wahlakten<br />

der Betriebsratswahl. Das gilt jedoch nicht für Bestandteile der<br />

Wahlakten, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner<br />

Arbeitnehmer zulassen. Derartige Unterlagen darf der Arbeitgeber<br />

nur einsehen, wenn er darlegen kann, dass dies zur Überprüfung<br />

der Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

In dem Unternehmerin der Arbeitgeberin fand am 24.4.2002 eine<br />

Betriebsratswahl statt. Mehrere Monate nach der Wahl bat die<br />

Arbeitgeberin den gewählten Betriebsrat, ihr Einsicht in sämtliche<br />

Wahlunterlagen zu gewähren. Dies lehnte der Betriebsrat<br />

ab. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim ArbG, den<br />

Betriebsrat zu verpflichten, ihr Einsicht in sämtliche Wahlakten<br />

der Betriebsratswahl zu gewähren. Das ArbG wies den Antrag<br />

zurück. LAG und BAG bestätigten diese Entscheidung.<br />

Die Gründe:<br />

Die Arbeitgeberin hat keinen Anspruch auf Einsichtnahme in<br />

sämtliche Wahlakten der Betriebsratswahl.<br />

Aus § 19 WO ergibt sich zwar grundsätzlich ein Anspruch des<br />

Arbeitgebers auf Einsichtnahme in die Wahlakten - und zwar<br />

auch ohne Darlegung eines besonderen rechtlichen Interesses<br />

und unabhängig von einem Wahlanfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsverfahren.<br />

Das gilt aber nicht für Bestandteile<br />

der Wahlakten, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner<br />

Arbeitnehmer zulassen. Die Einsichtnahme auch in solche<br />

Unterlagen ist nur zulässig, wenn dies zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit<br />

der Wahl erforderlich ist. Dies muss der Arbeitgeber<br />

darlegen.<br />

Die Wahlakten enthalten verschiedene Schriftstücke, die auf das<br />

Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer schließen lassen. Hierzu<br />

gehören etwa Briefwahlunterlagen, persönliche Schreiben einzelner<br />

Wahlberechtigter an den Wahlvorstand oder die mit Stimmabgabevermerken<br />

des Wahlvorstands versehenen Wählerlisten,<br />

aus denen hervorgeht, wer sich an der Wahl nicht beteiligt<br />

hat. Ein uneingeschränktes Recht des Arbeitnehmers zur Einsichtnahme<br />

auch in solche Unterlagen würde den Grundsatz der<br />

geheimen Wahl verletzen.<br />

Nach diesen Grundsätzen besteht im Streitfall kein Anspruch der<br />

Arbeitgeberin auf Einsichtnahme in alle Wahlakten. Denn sie hat<br />

nicht dargelegt, inwieweit auch die Einsichtnahme in Unterla-<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5


gen, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Mitarbeiter<br />

zulassen, zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl<br />

erforderlich ist.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BAG veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Bei Weiterbeschäftigung eines Geschäftsführers<br />

nach seiner Abberufung kann das<br />

vorhergehende Arbeitsverhältnis wieder<br />

aufleben<br />

BAG 24.11.2005, 2 AZR 614/04<br />

Wird ein Arbeitnehmer, der zum Geschäftsführer aufgestiegen<br />

ist, als Geschäftsführer abberufen und als Arbeitnehmer weiter<br />

beschäftigt, so lebt das alte Arbeitsverhältnis regelmäßig wieder<br />

auf. Die Dauer der Beschäftigungszeit als Geschäftsführer wird<br />

deshalb auf die Wartezeit nach § 1 Abs.1 KSchG angerechnet,<br />

so dass der abberufene Geschäftsführer von Anfang an Kündigungsschutz<br />

genießt. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien<br />

eine Fortsetzung des alten Arbeitsverhältnisses ausdrücklich<br />

ausschließen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger war seit 1984 bei der Beklagten, einer KG, als Sachbearbeiter<br />

beschäftigt. Mit einem „Geschäftsführer-Anstellungsvertrag“<br />

vom 15.11.1996 wurde der Kläger zum Geschäftsführer<br />

der Komplementär-GmbH der Beklagten bestellt. Nach verschiedenen<br />

Auseinandersetzungen einigten sich die Parteien am<br />

15.8.2002 über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer<br />

und seine Weiterbeschäftigung als Arbeitnehmer entsprechend<br />

dem Anstellungsvertrag vom 15.11.1996. Der Kläger war daraufhin<br />

als Assistent der Geschäftsleitung der Beklagten tätig.<br />

Am 16.1.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />

dem Kläger zum 31.8.2003. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage<br />

rügte der Kläger das Fehlen eines Kündigungsgrundes<br />

im Sinn von § 1 Abs.2 KSchG. ArbG und LAG<br />

wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger wegen<br />

Nichterfüllung der Wartezeit gemäß § 1 Abs.2 KSchG noch keinen<br />

Kündigungsschutz gehabt habe. Auf die Revision des Klägers<br />

hob das BAG das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur<br />

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat die sechsmonatige Wartezeit gemäß § 1 Abs.1<br />

KSchG entgegen der Auffassung der Vorinstanzen erfüllt, so<br />

dass die Kündigung eines Kündigungsgrundes im Sinn von § 1<br />

Abs.2 KSchG bedarf. Die Parteien haben nach der Abberufung<br />

des Klägers als Geschäftsführer das am 15.11.1996 begründete<br />

Arbeitsverhältnis fortgeführt, mit der Folge, dass der Kläger im<br />

Zeitpunkt der Kündigung bereits länger als sechs Monate bei der<br />

Beklagten beschäftigt war.<br />

Grundsätzlich lebt das alte Arbeitsverhältnis zwar nicht wieder<br />

auf, wenn ein Arbeitnehmer zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH<br />

seiner Arbeitgeberin bestellt und später wieder<br />

abberufen wird. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Parteien<br />

- wie hier - nach Kündigung des Geschäftsführervertrages die<br />

Weiterbeschäftigung des Betreffenden im Rahmen eines Arbeits-<br />

verhältnisses vereinbaren. In diesem Fall lebt das alte Arbeitsverhältnis<br />

regelmäßig wieder auf und ist daher auf die Wartezeit<br />

gemäß § 1 Abs.1 KSchG anzurechnen. Wollen die Parteien diese<br />

Rechtsfolge vermeiden, so muss dies im neuen Arbeitsvertrag<br />

hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen.<br />

Im Streitfall haben die Parteien die Weiterbeschäftigung des Klägers<br />

als Arbeitnehmer vereinbart, ohne zum Ausdruck zu bringen,<br />

dass die frühere Beschäftigungszeit als Geschäftsführer ab<br />

dem 15.11.1996 nicht angerechnet werden soll. Daher war die<br />

Wartzeit am 16.1.2003 erfüllt.<br />

Geschäftsführer einer insolventen Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />

haften Arbeitnehmern<br />

regelmäßig nicht auf Schadensersatz<br />

BAG 24.11.2005, 8 AZR 1/05<br />

Sind Arbeitnehmer an einer Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft<br />

in der Rechtsform einer GmbH beteiligt, so können sie<br />

bei Insolvenz der GmbH regelmäßig nicht deren Geschäftsführer<br />

oder Gesellschafter auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.<br />

Ein Schadensersatzanspruch kommt nur in Betracht, wenn der<br />

Geschäftsführer oder die Gesellschafter in besonderem Maße<br />

Vertrauen für sich in Anspruch genommen haben oder ein unmittelbares<br />

eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des<br />

Geschäfts hatten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger war Arbeitnehmer der S-GmbH, deren Geschäftsführer<br />

und Gesellschafter die Beklagten zu 2) und 3) sind. Seit 1984<br />

bestand eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft, die B-GmbH.<br />

Hieran konnten sich die Mitarbeiter der S-GmbH als stille Gesellschafter<br />

beteiligen. Der Beklagte zu 1) war Geschäftsführer der<br />

B-GmbH und Personalchef der S-GmbH, die Beklagten zu 2)<br />

und zu 3) waren zu je 40 Prozent Gesellschafter der B-GmbH.<br />

Nachdem im Jahr 2002 sowohl über das Vermögen der S-GmbH<br />

als auch über das der B-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet<br />

worden war, verlangte der Kläger von den Beklagten die Rückzahlung<br />

seiner Einlage bei der B-GmbH als Schadensersatz. Die<br />

hierauf gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz<br />

wegen des Verlusts seiner Einlagen bei der B-GmbH.<br />

Fällt eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft in Insolvenz, so<br />

können die Arbeitnehmer für den Ausfall ihrer Ansprüche grundsätzlich<br />

weder die Gesellschafter noch den Geschäftsführer der<br />

Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft persönlich in Anspruch nehmen.<br />

Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des BGH nur,<br />

wenn diese in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch<br />

genommen haben oder ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches<br />

Interesse am Abschluss des Geschäfts hatten.<br />

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Allein der<br />

Umstand, dass der Geschäftsführer der B-GmbH, der Beklagte<br />

zu 1), auch der Personalchef der S-GmbH war, führt nicht dazu,<br />

dass dieser ein besonderes persönliches Vertrauen der Arbeitnehmer<br />

in Anspruch genommen hat. Darüber hinaus hat die B-GmbH<br />

der S-GmbH zwar ihre Einlagen als Kapitalbeteiligung zur Verfügung<br />

gestellt. Dies reicht jedoch nicht aus, um ein besonderes<br />

wirtschaftliches Interesse der Beklagten zu 2) und zu 3) am<br />

Abschluss des Beteiligungsvertrags annehmen zu können.<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6


Sozialrecht<br />

Ältere Arbeitnehmer haben keinen Anspruch<br />

auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe<br />

SG Dortmund 23.11.2005, S 35 AS 22/05<br />

Langzeitarbeitslose, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres<br />

bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe unter erleichterten Voraussetzungen<br />

bezogen haben, haben seit dem 1.1.2005 keinen<br />

Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe mehr, sondern<br />

erhalten lediglich Arbeitslosengeld II. Arbeitslosenhilfe wird<br />

seit Jahresbeginn generell nicht mehr gewährt. Dies gilt auch für<br />

ältere Langzeitarbeitslose.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die 60 Jahre alte Klägerin erhielt bis zum 31.12.2004 auf der<br />

Grundlage der so genannten „58er-Regelung“ (§ 428 SGB III)<br />

Arbeitslosenhilfe von rund 308 Euro monatlich.<br />

Nach § 428 SGB III erhalten Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr<br />

vollendet haben, auch dann Arbeitslosengeld, wenn sie nicht<br />

in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden wollen. Nach<br />

dem Auslaufen des Arbeitslosengelds erhielten die Betroffenen<br />

zunächst bis zum Rentenbeginn Arbeitslosenhilfe. Zum 1.1.2005<br />

wurde der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe durch den Anspruch<br />

auf Arbeitslosengeld II ersetzt.<br />

Dementsprechend erhielt auch die Klägerin ab dem 1.1.2005<br />

Arbeitslosengeld II. Der Anspruch beläuft sich auf monatliche<br />

Leistungen in Höhe von rund 190 Euro. Mit ihrer Klage verlangte<br />

die Klägerin die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe und berief sich<br />

insoweit auf Vertrauensschutz. Ihre Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die beklagte Arbeitsagentur keinen<br />

Anspruch auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe.<br />

Arbeitslosenhilfe wird seit Einführung des SGB II nicht mehr<br />

gewährt. Langzeitarbeitslose haben seitdem lediglich einen<br />

Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Das gilt auch für Arbeitslose,<br />

die - wie die Klägerin - bislang die „58er-Regelung“ in Anspruch<br />

genommen haben. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf Vertrauensschutz<br />

berufen. Ein Vertrauensschutz könnte sich allenfalls<br />

darauf beziehen, weiterhin ohne Arbeitsbereitschaft Leistungen zu<br />

erhalten, nicht aber auf eine bestimmte Leistungshöhe.<br />

Für die Klägerin ist die Einführung des Arbeitslosengelds II zwar<br />

mit Vermögenseinbußen verbunden. Hierin liegt aber keine Verletzung<br />

der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie des<br />

Art. 14 Abs.1 GG, weil die Arbeitslosenhilfe nicht aus Versicherungsbeiträgen,<br />

sondern aus Steuermitteln finanziert wird. Außerdem<br />

dient die Gesetzesänderung der Anpassung der Sozialausgaben<br />

an die verschlechterte Wirtschaftslage und damit wichtigen<br />

Gemeinwohlinteressen.<br />

Langzeitarbeitslose können im Eilverfahren<br />

höchstens 80 Prozent ihres Anspruchs auf<br />

Arbeitslosengeld II erstreiten<br />

SG Dortmund 17.11.2005, S 22 AS 206/05 ER<br />

Langzeitarbeitslose können im gerichtlichen Eilverfahren zur<br />

Vermeidung einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache<br />

nur einen Teilbetrag der Regelleistung erstreiten. Denn bei Eilentscheidungen<br />

ist nur das zum Lebensunterhalt Unerlässliche<br />

durchsetzbar. Langzeitarbeitslose benötigen für ihren Lebensunterhalt<br />

nicht das volle Arbeitslosengeld II. Sie können vielmehr<br />

auch von 80 Prozent des Regelsatzes leben.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragstellerin ist seit langem arbeitslos und erhält Arbeitslosengeld<br />

II. Die Antragsgegnerin kürzte das Arbeitslosengeld II um<br />

20 Prozent, weil die Antragstellerin mietkostenfrei in eheähnlicher<br />

Gemeinschaft mit ihrem Partner in dessen Doppelhaushälfte lebe.<br />

Die Antragstellerin hielt die Kürzung für unzulässig und beantragte<br />

im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ihr bis zum Abschluss<br />

des Hauptsacheverfahrens einen ungekürzten Anspruch auf Arbeitslosengeld<br />

II zuzusprechen. Der Antrag hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Antragsgegnerin muss der Antragstellerin einstweilig nicht<br />

die volle Regelleistung auszahlen. Um eine unzulässige Vorwegnahme<br />

in der Hauptsache zu vermeiden, kann im Verfahren des<br />

einstweiligen Rechtsschutzes nur ein Teilbetrag der Regelleistung<br />

zugesprochen werden. Die Antragstellerin erhält bereits 80 Prozent<br />

der Regelleistung und damit monatlich rund 250 Euro. Es ist<br />

ihr zuzumuten, zumindest bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens<br />

von diesem Geld ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.<br />

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelleistung unter anderem<br />

Anteile für die Anschaffung von Tabakwaren, Bekleidung,<br />

Einrichtungs- und Haushaltsgegenständen sowie Aufwendungen<br />

für Freizeit und Unterhaltung enthält. Die Antragstellerin kann<br />

sich in diesen Bereichen vorübergehend einschränken.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Website http://<br />

www.sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Wettbewerbsrecht<br />

und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Zwischen den Wortmarken „Post” und „Die<br />

grüne Post” besteht keine Verwechslungsgefahr<br />

OLG Hamburg 23.9.2005, 5 U 178/04<br />

Zwischen der für die Deutsche Post AG eingetragenen Wortmarke<br />

„Post” und der Marke „Die grüne Post” besteht keine Verwechslungsgefahr.<br />

Die Marke „Post“ hat eine nur schwache und damit<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7


nicht durch § 14 Abs.2 Nr.2 MarkenG geschützte Kennzeichnungskraft,<br />

weil sie lediglich der Bezeichnung einer Dienstleistung dient.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist die Deutsche Post AG. Sie ist Inhaberin der Wortmarke<br />

„Post“, die sie auch als Unternehmenskennzeichnung nutzt.<br />

Die Beklagte ist die Inhaberin der Wortmarke „Die grüne Post“, die<br />

unter anderem für Werbung, Büroarbeiten, Transport von Wertsachen,<br />

Verpackung und Lagerung von Waren und Datenverarbeitung<br />

eingetragen ist. Die Beklagte nutzt ihre Marke zudem für ihre Internet-Domain<br />

„gruenepost.de“.<br />

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte ihre Markenrechte<br />

verletze. Aus diesem Grund nahm sie die Beklagte auf Unterlassung<br />

der Nutzung sowie Zustimmung zur Löschung der Marke<br />

„Die grüne Post“, sowie auf Auskunft und Zahlung von Schadensersatz<br />

in Anspruch. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung,<br />

Löschung, Auskunft und Zahlung von Schadensersatz.<br />

Ihr Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 14 Abs.2 Nr.2,<br />

Abs.5 MarkenG wegen einer etwaigen Verwechslungsgefahr der<br />

Wortmarken „Post“ und die „Die grüne Post“.<br />

Die markenrechtliche Verwechslungsgefahr bestimmt sich anhand<br />

der drei Faktoren Kennzeichnungskraft des Klagzeichens, Waren-<br />

oder Dienstleistungsähnlichkeit und Zeichenähnlichkeit. Eine Verwechslungsgefahr<br />

könnte lediglich dann anzunehmen sein, wenn<br />

der Marke der Klägerin eine hohe Kennzeichnungskraft zukommt.<br />

Die Marke „Post“ hat indes eine nur schwache Kennzeichnungskraft.<br />

Der Begriff „Post“ dient lediglich der Bezeichnung der von<br />

der Klägerin erbrachten Dienstleistungen. Er ist kein Hinweis auf<br />

das Unternehmen der Klägerin und deren Bekanntheit.<br />

Da eine nur schwache Kennzeichnungskraft vorliegt, müssten<br />

sich die Zeichen, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen,<br />

sehr ähnlich sein. Insofern kann eine nur geringe Ähnlichkeit der<br />

Marken festgestellt werden. Sowohl der Klang bei der Aussprache<br />

der Wortmarken als auch ihr Schriftbild unterscheiden sich<br />

beträchtlich.<br />

Der Hintergrund:<br />

Die Deutsche Post AG ist mit diesem Urteil erneut mit dem Versuch<br />

gescheitert, ihre Marke vor Konkurrenz zu schützen. Auch<br />

das OLG Köln hat mit Urteil vom 28.1.2005 (Az.:6 U 131/04)<br />

entschieden, dass die Deutsche Post AG keinen Unterlassungsanspruch<br />

gegen ein Unternehmen hat, das die Marke „die blaue<br />

Post“ verwendet.<br />

Verwaltungs- und<br />

Verfassungsrecht<br />

Gewerbetreibende müssen trotz privater<br />

Müllentsorgung Abfallbeseitigungsgebühren<br />

zahlen<br />

BVerwG 1.12.2005, 10 C 4.04<br />

Gewerbetreibende müssen kommunalen Müllentsorgungsträgern<br />

ihre hausmüllähnlichen Abfälle überlassen. Verbringen sie den<br />

Müll dennoch zu einem privaten Müllentsorgungsunternehmen,<br />

können die Kommunen Abfallbeseitigungsgebühren verlangen.<br />

Weder das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz noch das EU-<br />

Recht räumen Gewerbetreibenden die Möglichkeit ein, die Entsorgung<br />

ihrer hausmüllähnlichen Abfälle ausschließlich auf ein<br />

Unternehmen der privaten Abfallwirtschaft zu übertragen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin verkauft Backwaren. Die in ihrer Filiale in S. anfallenden<br />

Abfälle, wie Backpapier, Putzutensilien oder Abfälle von<br />

Kunden sortiert die Klägerin vor und verbringt sie zu einem privaten<br />

Müllentsorgungsunternehmen.<br />

Der beklagte Landkreis hat der Klägerin eine Restmülltonne zur<br />

Verfügung gestellt und verlangte von ihr die Zahlung der dafür<br />

anfallenden Abfallbeseitigungsgebühren. Die Klägerin vertrat<br />

die Auffassung, dass sie die Gebühren nicht zahlen müsse, da sie<br />

die Tonnen nicht nutze. Die gegen den entsprechenden Bescheid<br />

gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin muss die Abfallbeseitigungsgebühren an die<br />

Beklagte zahlen. Sie ist verpflichtet, ihre Abfälle dem kommunalen<br />

Entsorgungsträger zu überlassen. Weder das Kreislaufwirtschafts-<br />

und Abfallgesetz noch das EU-Recht räumen<br />

Gewerbetreibenden die Möglichkeit ein, die Entsorgung ihrer<br />

hausmüllähnlichen Abfälle ausschließlich auf ein Unternehmen<br />

der privaten Abfallwirtschaft zu übertragen. Die Beklagte ist<br />

daher nicht gehindert, von der Klägerin die Mindestgebühr für<br />

die Abfallentsorgung zu verlangen. Die Höhe der Mindestgebühr<br />

orientiert sich an der Höhe des durchschnittlichen Abfallvolumen<br />

eines Kleinsthaushalts und an den anteiligen Kosten für die<br />

Bereitstellung der Restmülltonne, das regelmäßige Anfahren des<br />

Grundstücks durch ein Fahrzeug der Müllabfuhr und das Vorhalten<br />

der übrigen Abfallentsorgungseinrichtung.<br />

Bei einer Verkaufsfläche von mehr 800 Quadratmetern<br />

liegt ein nur in Kern- und Sondergebieten<br />

genehmigungsfähiger großflächiger<br />

Einzelhandelsbetrieb vor<br />

BVerwG 24.11.2005, 4 C 10.04 u.a.<br />

Großflächige Einzelhandelsbetriebe dürfen nur in Kern- und<br />

Sondergebieten errichtet werden. Ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb<br />

liegt vor, wenn er eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern<br />

überschreitet. In die Berechnung der Verkaufsfläche<br />

sind dabei alle Flächen einzubeziehen, die vom Kunden betreten<br />

werden können oder die er einsehen, aber aus hygienischen<br />

Gründen nicht betreten darf.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin beabsichtigte, ein Ladengeschäft zu eröffnen. Die<br />

zuständige Behörde genehmigte den Bau nicht, da es sich um<br />

einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb handele, dessen Bau<br />

ausschließlich in Kern- und Sondergebieten zulässig sei. Die<br />

gegen den ablehnenden Bescheid gerichtete Klage hatte keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Bei dem Ladengeschäft der Klägerin handelt es sich um einen<br />

großflächigen Einzelhandelsbetrieb, dessen Bau nur in einem<br />

Kern- und Sondergebiet zulässig ist. Ein Einzelhandelsbetrieb ist<br />

als großflächig anzusehen, wenn er eine Verkaufsfläche von 800<br />

Quadratmetern überschreitet. In die Berechnung der Verkaufs-<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8


fläche sind dabei alle Flächen einzubeziehen, die vom Kunden<br />

betreten werden können oder die er einsehen, aber aus hygienischen<br />

Gründen nicht betreten darf (beispielweise der Bereich<br />

hinter einer Fleischtheke). Auch der Bereich, in den die Kunden<br />

nach der Bezahlung ihrer Ware gelangen, ist der Verkaufsfläche<br />

hinzurechnen. Nicht zur Verkaufsfläche gehören dagegen reine<br />

Lagerflächen und vom Verkaufsraum völlig abgetrennte Räume,<br />

in denen zum Beispiel Waren zubereitet oder portioniert werden.<br />

Aufenthaltserlaubnis für Ausländerkinder<br />

darf nicht nur vom Aufenthaltsrecht der<br />

Mutter abhängig gemacht werden<br />

BVerfG 25.10.2005, 2 BvR 524/01<br />

Die Regelung im Ausländerrecht, wonach die Erteilung einer<br />

Aufenthaltsgenehmigung für in Deutschland geborene ausländische<br />

Kinder vom Aufenthaltsstatus der Mutter abhängt, ist verfassungswidrig.<br />

Die Regelung verletzt das Gleichbehandlungsgebot<br />

aus Art. 3 Abs.3 S.1 GG, da sie den Aufenthaltsstatus des<br />

Vaters unberücksichtigt lässt. Der Gesetzgeber muss bis zum<br />

31.12.2006 eine verfassungsgemäße Neuregelung schaffen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beschwerdeführerin ist ein 1999 in Deutschland geborenes<br />

Kind türkischer Eltern. Während ihr Vater über eine unbefristete<br />

Aufenthaltserlaubnis verfügt, wird die Mutter lediglich geduldet.<br />

Im Jahr 2002 ließen sich die Eltern scheiden. Die Beschwerdeführerin<br />

lebt seitdem bei ihrem Vater, dem auch das alleinige<br />

Sorgerecht zusteht.<br />

Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin<br />

auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, weil die Mutter<br />

über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfüge. Die hiergegen<br />

gerichtete Klage hatte vor den Verwaltungsgerichten keinen<br />

Erfolg. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin<br />

hob das BVerfG die angegriffenen Entscheidungen auf und verwies<br />

den Rechtsstreit an das VG Düsseldorf zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Regelung in § 21 Abs.1 S.1 AuslG (jetzt: § 33 S.1 AufenthG),<br />

wonach die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung für<br />

in Deutschland geborene ausländische Kinder vom Aufenthaltsrecht<br />

der Mutter abhängt, ist verfassungswidrig. Hierin liegt eine<br />

Verletzung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs.3 S.1<br />

GG. Kinder, deren Mutter eine Aufenthaltserlaubnis hat, werden<br />

gegenüber solchen Kindern bevorzugt, bei denen allein der Vater<br />

über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt.<br />

Die Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt. §<br />

21 Abs.1 S.1 AuslG dient nicht dem Schutz der Mutter-Kind-<br />

Beziehung. Es bereitet auch keine praktischen Schwierigkeiten,<br />

das Aufenthaltsrecht des Kindes vom Aufenthaltsrecht des<br />

Vaters abzuleiten. Die Ungleichbehandlung kann zudem nicht<br />

aus Gründen des Kindeswohls gerechtfertigt werden. Das Kindeswohl<br />

verlangt nicht, dass das Kind aufenthaltsrechtlich ausschließlich<br />

der Mutter zugeordnet wird.<br />

Der Gesetzgeber muss die Ungleichbehandlung bis zum<br />

31.12.2006 beseitigen. Bis dahin findet § 21 Abs.1 S.1 AuslG<br />

(beziehungsweise § 33 S.1 AufenthG) zu Gunsten von Kindern,<br />

die ihr Aufenthaltsrecht von der Mutter ableiten, weiterhin<br />

Anwendung. Entscheidungen über Anträge, die an das Aufent-<br />

haltsrecht des Vaters anknüpfen, sind bis zum Inkrafttreten der<br />

Neuregelung auszusetzen.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BVerfG veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Strafrecht und OWi<br />

Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung<br />

ist nur unter engen Voraussetzungen<br />

möglich<br />

BGH 25.11.2005, 2 StR 272/05<br />

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die eine weitere<br />

Unterbringung des Straftäters nach Ablauf der Haftstrafe ermöglicht,<br />

darf nur unter engen Voraussetzungen angeordnet werden.<br />

Hierfür müssen während der Haftstrafe gravierende neue Tatsachen<br />

bekannt werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des<br />

Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Ungehorsam während<br />

des Vollzugs oder die schon bei der Verurteilung bekannten<br />

sozialschädlichen Neigungen reichen nicht aus.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beschwerdeführer war wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe<br />

von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.<br />

In dem Strafurteil waren ihm eine soziopathische Persönlichkeitsfehlentwicklung<br />

mit antisozialem Verhaltensmuster und<br />

ein erheblicher Drogenmissbrauch bescheinigt worden. Hieran<br />

hat sich während der Strafverbüßung nichts geändert. Außerdem<br />

wurden während der Haft in seiner Zelle wiederholt Messer und<br />

andere verbotene Gegenstände gefunden.<br />

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das LG kurz vor<br />

Ablauf der Haftstrafe die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />

an. Dies begründete es mit der Persönlichkeitsstörung des<br />

Beschwerdeführers und seiner Drogensucht sowie damit, dass<br />

er sich während der Haftzeit wiederholt in den Besitz verbotener<br />

Gegenstände gebracht habe. Auf die Revision des Beschwerdeführers<br />

hob der BGH die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung<br />

auf.<br />

Die Gründe:<br />

Die Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung sind im Streitfall nicht erfüllt. § 66b Abs.1<br />

StGB setzt ausdrücklich voraus, dass nach der Verurteilung Tatsachen<br />

erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit<br />

des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Hierbei muss<br />

es sich angesichts des schweren Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht<br />

des Betroffenen um erhebliche neue Tatsachen handeln,<br />

die im Strafverfahren nicht bekannt oder erkennbar waren.<br />

Bei der Auslegung von § 66b Abs.1 StGB ist außerdem zu berücksichtigen,<br />

dass der Gesetzgeber die nachträgliche Sicherungsverwahrung<br />

nur für extreme Ausnahmefälle vorgesehen hat. Daher<br />

können ausschließlich solche Umstände eine nachträgliche<br />

Sicherungsverwahrung rechtfertigen, die auf eine Gefährdung<br />

des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit oder<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9


der sexuellen Selbstbestimmung anderer schließen lassen. Daher<br />

kann nicht jede während der Haft aufgetretene Ungehorsamkeit<br />

als neue Tatsache im Sinn von § 66b Abs.1 StGB gewertet werden.<br />

Das Verfahren nach § 66b StGB dient auch nicht der Korrektur<br />

eines rechtsfehlerhaften Strafurteils.<br />

Nach diesen Grundsätzen war die streitige Anordnung der nachträglichen<br />

Sicherungsverwahrung rechtswidrig. Das LG hat sich<br />

in seiner Begründung größtenteils auf Umstände gestützt, die<br />

bereits bei der Verurteilung des Beschwerdeführers berücksichtigt<br />

worden sind. Als neue Tatsache hat das LG lediglich den<br />

Besitz von Messern und anderen verbotenen Gegenständen während<br />

der Haft angeführt. Diese Regelverstöße des Beschwerdeführers<br />

lassen aber nicht auf eine besondere Gefährlichkeit für<br />

die Allgemeinheit schließen.<br />

Der Hintergrund:<br />

Mit der zum 1.7.2004 beschlossenen Einführung von § 66b StGB<br />

hat der Bundesgesetzgeber auf eine Entscheidung des BVerfG<br />

vom 10.2.2004 (Az.: 2 BvR 824/02) reagiert, mit der das BVerfG<br />

die Landesgesetze zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für<br />

verfassungswidrig erklärt hatte. Für den Volltext dieser auf den<br />

Webseiten des BVerfG veröffentlichten Entscheidung klicken<br />

Sie bitte hier.<br />

Bundesjustizministerium bringt neues EU-<br />

Haftbefehlsgesetz auf den Weg<br />

Das Bundesjustizministerium hat am 24.11.2005 den Entwurf<br />

eines neuen EU-Haftbefehlgesetzes zur Stellungnahme an Länder<br />

und Verbände übersandt. Der Entwurf berücksichtigt die Vorgaben<br />

der Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2005 (Az.: 2 BvR<br />

2236/04), in der das BVerfG das ursprüngliche EU-Haftbefehlgesetz<br />

für verfassungswidrig erklärt hat.<br />

Das BVerfG hat seine Entscheidung insbesondere damit begründet,<br />

dass der Gesetzgeber zu wenig Vorkehrungen für den Schutz<br />

der Grundrechte von Tatverdächtigen getroffen habe. Er habe<br />

nicht den ihm durch den Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen<br />

Union über den Europäischen Haftbefehl (RbEuHb)<br />

eingeräumten Spielraum zum Schutz Tatverdächtiger ausgeschöpft.<br />

Insbesondere müsse der die Auslieferung bewilligende<br />

Bescheid gerichtlich voll überprüfbar sein.<br />

Die Umsetzung dieser Vorgaben soll künftig über das Gesetz zur<br />

internationalen Rechtshilfe (IRG) erfolgen. In diesem Gesetz<br />

wird in § 79 IRG die gerichtliche Überprüfung der Auslieferungs-Bewilligungsentscheidung<br />

normiert. Die Bewilligungsentscheidung<br />

wird auf ihre Zulässigkeit und Begründetheit hin<br />

überprüft. Das bedeutet, dass eine Auslieferung nicht in allen<br />

Fällen bewilligt werden muss, in denen die Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

gegeben sind. § 83b IRG benennt die Gründe, aus<br />

denen die Bewilligung einer Auslieferung abgelehnt werden<br />

kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Strafverfolgung<br />

vorrangig im Inland oder einem Drittstaat erfolgen soll. Die Entscheidung<br />

trifft die Bewilligungsbehörde nach pflichtgemäßem<br />

Ermessen.<br />

Um den Betroffenen einen effektiven Rechtsschutz gegen ihre<br />

Auslieferung zu geben, regelt § 79 Abs.2 IRG, dass die Bewilligungsbehörde<br />

bereits im Vorfeld der Bewilligung prüfen muss,<br />

ob sie Bewilligungshindernisse sieht. Stellt sie Bewilligungshindernisse<br />

fest, muss sie ihre Begründung an das zuständige OLG<br />

übermitteln.<br />

Das BVerfG hat ferner entschieden, dass für die Auslieferung<br />

Deutscher und ihnen gleichgestellter Ausländer ein besonderes<br />

gesetzliches Prüfprogramm erforderlich sei. Denn für diese Personen<br />

sehe das RbEuHb Spielräume für eine mögliche Nichtauslieferung<br />

vor. Künftig sollen § 80 Abs.1 und 2 IRG regeln, dass<br />

eine Auslieferung Deutscher oder ihnen gleichgestellter Ausländer<br />

nur noch zulässig ist, wenn die spätere Rücküberstellung zur<br />

Vollstreckung einer verhängten freiheitsentziehenden Sanktion<br />

gesichert ist. Die Tat darf ferner keinen maßgeblichen Inlandsbezug<br />

aufweisen und muss entweder einen maßgeblichen Bezug<br />

zum ersuchenden Staat haben oder es muss die beiderseitige<br />

Strafbarkeit gegeben sein. Zudem darf bei konkreter Abwägung<br />

der widerstreitenden Interessen kein schutzwürdiges Vertrauen<br />

des Verfolgten in seine Nichtauslieferung bestehen.<br />

Der Hintergrund:<br />

Bei dem Urteil des BVerfG vom 18.7.2005 ging es um den Fall<br />

des unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers Mamoun<br />

Darkazanli, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Nach<br />

dem Urteil des BVerfG wurde Darkazanli aus der Haft entlassen.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Gesetzentwurf zum neuen EU-Haftbefehlgesetz ist auf<br />

der Homepage des BMJ veröffentlicht.<br />

- Für den Volltext des Gesetzentwurf klicken Sie bitte hier.<br />

- Für das auf der Homepage des BVerfG veröffentlichte<br />

maßgebende Urteil des BVerfG vom 18.7.2005 klicken Sie<br />

bitte hier.<br />

Untersuchungshäftlinge haben Anspruch<br />

auf nachträglichen Rechtsschutz<br />

BVerfG 31.10.2005, 2 BvR 2233/04<br />

Wer zu Unrecht in Untersuchungshaft war, kann gerichtlich<br />

feststellen lassen, dass die Untersuchungshaft von Anfang<br />

an rechtswidrig war. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis<br />

ergibt sich daraus, dass der Betroffene ein schützenswertes Interesse<br />

an nachträglicher Rehabilitierung hat.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beschwerdeführer befand sich seit Herbst 2003 wegen des<br />

Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft.<br />

Auf seine im Februar 2004 eingelegte Haftbeschwerde<br />

hob das Bayerische Oberste Landesgericht den Haftbefehl<br />

mangels dringenden Tatverdachts auf.<br />

Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragte<br />

der Beschwerdeführer die Feststellung, dass der Haftbefehl<br />

bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. Das Bayerische<br />

Oberste Landesgericht stellte jedoch lediglich fest, dass<br />

der Haftbefehl im Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde<br />

rechtswidrig war, und verwarf den Antrag im Übrigen mangels<br />

Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig.<br />

Auf die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hob das<br />

BVerfG den angegriffenen Beschluss auf und wies die Sache an<br />

das Bayerische Oberste Landesgericht zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der angegriffene<br />

Beschluss verletzt das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers<br />

aus Art. 2 Abs.2 S.1 GG sowie den Grundsatz des effekti-<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10


ven Rechtsschutzes. Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch<br />

auf Feststellung, dass der Haftbefehl von Anfang an rechtswidrig<br />

war. Sein Rechtsschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag ist<br />

durch seine Haftentlassung nicht entfallen.<br />

Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen kann das Feststellungsinteresse<br />

auch nach Beendigung des Grundrechtseingriffs<br />

fortbestehen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf solche staatlichen<br />

Eingriffe, die - wie die Untersuchungshaft - vom Richter<br />

angeordnet werden.<br />

Nach diesen Grundsätzen können Untersuchungshäftlinge auch<br />

nach ihrer Entlassung die Feststellung verlangen, dass der Haftbefehl<br />

bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. Sie<br />

haben ein schützenswertes Interesse an nachträglicher Rehabilitierung,<br />

das bis auf den Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls<br />

zurückwirkt.<br />

Der Hintergrund:<br />

Mit dieser Entscheidung hat das BVerfG abermals die Rechte<br />

von Untersuchungshäftlingen gestärkt. Erst vor kurzem hat das<br />

BVerfG entschieden, dass eine überlange Dauer der Untersuchungshaft<br />

verfassungswidrig ist (Entscheidung vom 23.9.2005,<br />

Az.: 2 BvR 1315/05).<br />

Linkhinweise:<br />

- Die Volltexte der Entscheidungen des BVerfG sind auf der<br />

Homepage des BVerfG veröffentlicht.<br />

- Für den Volltext der aktuellen Entscheidung des BVerfG zum<br />

nachträglichen Rechtsschutz bei rechtswidriger Untersuchungshaft<br />

klicken Sie bitte hier.<br />

- Für den Volltext der Entscheidung vom 23.9.2005 (Az.: 2 BvR<br />

1315/05, „Überlange Untersuchungshaft“) klicken Sie bitte<br />

hier.<br />

Steuerrecht<br />

Steuerberater und Rechtsanwälte müssen<br />

für Betriebsausgabenabzug von Telefonkosten<br />

Mandantenamen nennen<br />

FG Sachsen-Anhalt 28.4.2005, 1 K 371/02<br />

Steuerberater und Rechtsanwälte können Telefonkosten nur<br />

dann als Betriebskosten absetzen, wenn sie die betriebliche Veranlassung<br />

der Telefonate nachweisen. Zu diesem Zweck müssen<br />

sie die Namen der angerufenen Mandanten angeben. Die berufliche<br />

Schweigepflicht entbindet Steuerberater und Rechtsanwälte<br />

nicht von dieser Nachweispflicht, da das öffentliche Interesse<br />

an einer gleichmäßigen Besteuerung gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse<br />

der Mandanten überwiegt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist Steuerberater und Rechtsbeistand. Er erzielte Einkünfte<br />

aus selbständiger Arbeit. Für das Streitjahr 1997 machte<br />

er unter anderem Telefonkosten als Betriebsausgaben geltend.<br />

Dabei verbuchte er auf Grund von „Erfahrungswerten“ 22 Prozent<br />

der Gesprächskosten im Festnetz-Bereich (rund 430 DM)<br />

als Privatanteil. Für den Mobil-Telefon-Bereich verbuchte er<br />

keinen Privatanteil.<br />

Das Finanzamt forderte den Kläger auf, eine Liste der angerufenen<br />

Mandanten vorzulegen. Nachdem sich der Kläger geweigert<br />

hatte, dem nachzukommen, ließ das Finanzamt im Festnetz-<br />

Bereich rund 720 DM der Telefonkosten unberücksichtigt. Für<br />

den Mobil-Telefon-Bereich ging es von einem privaten Nutzungsanteil<br />

in Höhe von 25 Prozent aus und berücksichtigte<br />

dementsprechend nur 75 Prozent der Kosten als Betriebsausgaben.<br />

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die vom Finanzamt vorgenommene Schätzung des Privatanteils<br />

der Telefonkosten ist nicht zu beanstanden. Telefonkosten, die<br />

sowohl beruflich als auch privat während der Arbeitszeit anfallen,<br />

sind nur insoweit als Betriebsausgaben abziehbar, als entsprechende<br />

Nachweise vorliegen. Steuerberater und Rechtsanwälte müssen<br />

die berufliche Veranlassung der Telefonate durch Angabe der<br />

Namen der angerufenen Mandanten nachweisen.<br />

Die berufliche Schweigepflicht entbindet den Kläger nicht davon,<br />

in den Einzelaufzeichnungen über die Telefongespräche jeweils die<br />

Mandantennamen anzugeben. Mandanten, die sich einem Steuerberater<br />

oder Rechtsanwalt anvertrauen, haben zwar ein - durch das<br />

Recht auf informationelle Selbstbestimmung verfassungsrechtlich<br />

abgesichertes - Interesse daran, dass ihre Informationen nicht gegen<br />

ihren Willen offenbart werden. Dem steht jedoch das öffentliche<br />

Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung gegenüber.<br />

Soweit von einem Steuerberater oder Rechtsanwalt für den<br />

Betriebskostenabzug die Angabe von Mandantennamen verlangt<br />

wird, wird dadurch nicht in unverhältnismäßiger Weise in das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Berater und Mandant eingegriffen.<br />

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Geheimhaltungsinteresse<br />

der Mandanten bereits durch das mit empfindlicher Strafe bewahrte<br />

Steuergeheimnis (§ 30 AO, § 355 StGB) geschützt wird.<br />

Nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger für den geltend<br />

gemachten Betriebskostenabzug die Namen der angerufenen<br />

Mandanten angeben müssen. Da er seiner Nachweispflicht nicht<br />

nachgekommen ist, durfte das Finanzamt den Privatanteil der<br />

Telefonate schätzen.<br />

Der Volltext in der BFH-Report-Datenbank:<br />

Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der BFH-Report-<br />

Datenbank unter http://www.bfh-report.de. Die Nutzung der<br />

Online-Datenbank ist für Abonnenten der Zeitschriften „BFHReport“/„FGReport“<br />

und der StRK kostenlos. Um ein kostenloses<br />

Probeabo des BFHReports zu bestellen, klicken Sie bitte hier.<br />

Mit einer Anhörungsrüge kann eine Entscheidung<br />

nicht materiell-rechtlich angegriffen<br />

werden<br />

BFH 30.9.2005, V S 12, 13/05<br />

Verfahrensbeteiligte können eine Anhörungsrüge nicht darauf<br />

stützen, dass das erkennende Gericht in der Sache falsch entschieden<br />

habe. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene<br />

Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals<br />

zu überprüfen. Sie kommt lediglich in Betracht, wenn das erkennende<br />

Gericht die Verfahrensbeteiligten nicht ausreichend über<br />

den Verfahrensstoff informiert oder ihnen nicht die Gelegenheit<br />

zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen nicht zur Kenntnis nimmt<br />

und bei seiner Entscheidung außer Acht lässt.<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11


Der Sachverhalt:<br />

Der Antragsteller war in zwei Verfahren vor dem FG unterlegen.<br />

Seine Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision durch<br />

das FG wies der BFH zurück. Gegen diesen Beschluss wandte<br />

sich der Antragsteller mit zwei Anhörungsrügen und beantragte<br />

die Fortsetzung der Verfahren. Hierzu trug er vor, dass der<br />

BFH in der Sache falsch entschieden habe. Außerdem hätten die<br />

beiden Verfahren nicht ohne weiteres verbunden werden dürfen.<br />

Zumindest hätte er vor der Verbindung der Verfahren angehört<br />

werden müssen. Die Anhörungsrügen hatten keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass die Verfahren<br />

fortgesetzt werden. Eine Verfahrensfortsetzung kommt gemäß §<br />

133a Abs.1 FGO nur in Betracht, wenn ein Rechtsmittel oder ein<br />

anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist<br />

und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches<br />

Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.<br />

Der Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs kann insbesondere<br />

dann verletzt sein, wenn das erkennende Gericht die<br />

Verfahrensbeteiligten nicht ausreichend über den Verfahrensstoff<br />

informiert oder ihnen nicht die Gelegenheit zur Äußerung<br />

gibt, ihre Ausführungen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner<br />

Entscheidung außer Acht lässt.<br />

Der Vortrag des Antragstellers, der BFH habe in der Sache falsch<br />

entschieden, ist daher unbeachtlich. Die Anhörungsrüge dient<br />

nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem<br />

Umfang nochmals zu überprüfen.<br />

Im Streitfall sah der Antragsteller seinen Anspruch auf die<br />

Gewährung rechtlichen Gehörs auch dadurch verletzt, dass der<br />

BFH die Verfahren ohne seine Anhörung verbunden habe. Nach<br />

gängiger Rechtsprechung können die Beteiligten vor einer Verbindung<br />

von Verfahren zwar angehört werden, notwendig ist<br />

dies aber nicht. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall der Verbindung<br />

zweier Nichtzulassungsbeschwerden, da die Beteiligten<br />

durch diese Verbindung nicht beschwert werden können.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

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Techno-Veranstaltungen können dem<br />

ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen<br />

BFH 18.8.2005, V R 50/04<br />

Die Erlöse aus einer Techno-Veranstaltung können dem ermäßigten<br />

Umsatzsteuersatz unterliegen. Voraussetzung hierfür ist,<br />

dass es sich bei der Veranstaltung um ein Konzert im Sinn von<br />

§ 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993 handelt. Konzerte setzen zwar<br />

den Einsatz von Instrumenten oder Gesang voraus. Aber auch<br />

Plattenteller, Mischpulte und CD-Player, mit denen bestehende<br />

Musik verfremdet oder gemischt wird, können „Instrumente“<br />

sein, wenn sie zum Vortrag eines Musikstücks und nicht nur zum<br />

Abspielen eines Tonträgers genutzt werden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist eine Konzertveranstalterin. Einmal jährlich<br />

richtet sie eine große Techno-Veranstaltung aus, bei der alle<br />

aktuellen Stars der internationalen Techno- und Housemusik-<br />

Szene auftreten. Bei den auftretenden Künstlern handelt es sich<br />

überwiegend um „DJs“, die verschiedene Tonträger und Medien<br />

mischen („mixen“) oder die Abspielgeschwindigkeit einer<br />

Schallplatte oder CD laufend verändern („scratchen“).<br />

Die Klägerin erfasste die Umsätze aus der im Streitjahr 1997 ausgerichteten<br />

Techno-Veranstaltung mit der ermäßigten Umsatzsteuer.<br />

Zur Begründung machte sie geltend, dass es sich bei der<br />

Techno-Veranstaltung um ein Konzert im Sinn von § 12 Abs.2<br />

Nr.7a UStG 1993 handele. Das Finanzamt folgte dem nicht und<br />

unterwarf die Umsätze dem allgemeinen Steuersatz. Die Techno-<br />

Veranstaltung sei kein reines Hörkonzert, sondern eine Tanzveranstaltung<br />

mit Partycharakter.<br />

Die gegen den daraufhin erlassenen Umsatzsteuerbescheid<br />

gerichtete Klage hatte sowohl vor dem FG als auch vor dem<br />

BFH Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Entgegen der Auffassung des Finanzamts handelt es sich bei der<br />

von der Klägerin ausgerichteten Techno-Veranstaltung um ein<br />

Konzert im Sinn von § 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993, für das der<br />

ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt.<br />

Konzerte im Sinn von § 12 Abs.2 Nr.7a UStG 1993 sind Aufführungen<br />

von Musikstücken, bei denen Instrumente oder Gesang<br />

eingesetzt werden. Das bloße Abspielen eines Tonträgers ist<br />

zwar kein Konzert. Etwas anderes gilt aber, wenn die abgespielte<br />

Musik verfremdet oder gemischt wird. In diesem Fall können<br />

die hierzu benutzten Plattenteller, Mischpulte und CD-Player<br />

„Instrumente“ sein, mit denen die Musik im Rahmen eines Konzerts<br />

dargeboten wird.<br />

Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat angenommen,<br />

dass die „DJs“, die auf den Techno-Veranstaltungen<br />

der Klägerin auftreten, durch eine eigene künstlerische Leistung<br />

neue Musikstücke schaffen, indem sie vorhandene Musik<br />

mischen oder verfremden. Diese Würdigung verstößt nicht<br />

gegen Denk- oder Erfahrungssätze und ist daher für den entscheidenden<br />

Senat bindend.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

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Bundeskabinett hat die Abschaffung der<br />

Eigenheimzulage und den Abbau anderer<br />

Steuervergünstigungen beschlossen<br />

Das Bundeskabinett hat am 29.11.2005 den Entwürfen von so<br />

genannten Formulierungshilfen für zwei Gesetze zum Abbau von<br />

Steuervergünstigungen zugestimmt. Damit hat es die Abschaffung<br />

der Eigenheimzulage und den Abbau weiterer Steuervergünstigen<br />

beschlossen. So wird beispielweise die begrenzte<br />

Steuerbefreiung für Abfindungen gemäß § 3 Nr.9 EStG wegen<br />

einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen<br />

Auflösung des Dienstverhältnisses aufgehoben.<br />

Das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage wird für Neufälle<br />

ab dem 1.6.2005 gelten. Ab diesem Zeitpunkt werden nur<br />

noch Bauherrn, die vor dem 1.1.2006 mit der Herstellung beginnen,<br />

einen Anspruch auf Eigenheimzulage nach den bisherigen<br />

Regelungen des EigZulG über den gesamten Förderzeitraum<br />

von acht Jahren haben. Das gleiche gilt für Erwerber die vor<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12


dem 1.1.2006 noch einen notariellen Kaufvertrag abschließen<br />

oder einer Genossenschaft beitreten.<br />

Bei dem zweiten vom Bundeskabinett gebilligten Entwurf handelt<br />

sich um ein Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm,<br />

das der Stabilisierung des Haushalts dienen und<br />

ebenfalls zum 1.1.2006 in Kraft treten soll.<br />

Das Gesetz wird folgende Maßnahmen vorsehen:<br />

Die begrenzte Steuerbefreiung für Abfindungen gemäß § 3 Nr.9<br />

EStG wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich<br />

ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses wird<br />

aufgehoben.<br />

Außerdem entfällt die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr.10 EStG für<br />

Übergangsgelder und Übergangsbeihilfen auf Grund gesetzlicher<br />

Vorschriften (beispielsweise nach dem Beamten- oder Soldatenversorgungsgesetz).<br />

Für Verträge über Abfindungen, Gerichtsentscheidungen oder<br />

Entlassungen vor dem 1.1.2006 wird eine Übergangsregelung<br />

geschaffen. Diese sieht aus Gründen des Vertrauensschutzes die<br />

Weiteranwendung der bisherigen Steuerfreiheit vor, soweit dem<br />

Arbeitnehmer die Zahlung vor dem 1.1.2007 zufließt.<br />

Die begrenzte Steuerfreiheit für Heirats- und Geburtshilfen in<br />

Höhe von jeweils 315 Euro (§ 3 Nr.15 EStG) entfällt.<br />

Die Möglichkeit, Mietwohngebäude degressiv abzuschreiben (§<br />

7 Abs.5 S.1 Nr.3c EStG) wird für Neufälle abgeschafft. Die Vereinheitlichung<br />

des Abschreibungssatzes auf zwei Prozent entspricht<br />

dem tatsächlichen Wertverlust.<br />

§ 10 Abs.1 Nr.6 EStG, wonach Steuerberatungskosten als Sonderausgaben<br />

abziehbar sind, wird aufgehoben.<br />

Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß<br />

FG Münster 27.9.2005, 12 K 6263/03 E<br />

Der Solidaritätszuschlag zur Einkommenssteuer verstößt auch<br />

viele Jahre nach der Wiedervereinigung nicht gegen das Grundgesetz.<br />

Der Solidaritätszuschlag stellt keine, nur zur Behebung<br />

kurzfristiger staatlicher Notstände erlaubte, Sonderabgabe dar.<br />

Da er in den allgemeinen Haushalt einfließt, handelt es sich bei<br />

dem Solidaritätszuschlag vielmehr um eine Steuer in Form einer<br />

Ergänzungsabgabe.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass der Solidaritätszuschlag<br />

spätestens seit dem Jahr 2002 eine verfassungswidrige Sonderabgabe<br />

darstelle. Diese dürfe der Staat nur zur Bewältigung von<br />

Notständen für eine kurze Dauer erheben. Die Voraussetzung<br />

erfülle der Solidaritätszuschlag nicht mehr. Die gegen die Erhebung<br />

des Solidaritätszuschlags gerichtete Klage hatte keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß. Er stellt keine<br />

Sonderabgabe dar, weil er in den allgemeinen Haushalt einfließt.<br />

Daher handelt es sich bei dem Solidaritätszuschlag um eine Steuer<br />

in Form einer Ergänzungsabgabe.<br />

Der Gesetzgeber hat bei Erlass des Solidaritätszuschlaggesetzes<br />

seinen ihm bei der Erschließung von Steuerquellen weitreichenden<br />

Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Der Solidaritätszuschlag<br />

dient der Entlastung des Haushalts im Zusammenhang<br />

mit den durch die Wiedervereinigung entstandenen finanziellen<br />

Belastungen. Dies hat der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung<br />

nachvollziehbar dargestellt.<br />

Außerdem liegt kein Verfassungsverstoß darin, dass der Gesetzgerber<br />

auch für das Jahr 2002 am Solidaritätszuschlag festgehalten<br />

hat. Die Finanzlage des Bundeshaushalts hat sich von 1990<br />

bis 2002 erheblich verschlechtert, so dass der Solidaritätszuschlag<br />

zur Stabilisierung des Haushalts erforderlich war. Ob eine<br />

Haushaltsstabilisierung auch auf anderem Weg möglich gewesen<br />

wäre, entzieht sich der gerichtlichen Überprüfbarkeit.<br />

Aktivierung eines Anspruchs der GmbH auf<br />

Einlage eines Aktiendepots setzt den Nachweis<br />

einer entsprechenden Vereinbarung<br />

voraus<br />

FG München 15.6.2005, 7 V 1569/05<br />

Der Anspruch einer GmbH auf Übertragung eines Aktiendepots<br />

ist nicht zu aktivieren, wenn eine entsprechende vertragliche<br />

Vereinbarung nicht nachgewiesen ist. Für den erforderlichen<br />

Nachweis reicht es nicht aus, dass die Übertragung des Depots<br />

bereits gemäß § 409 Abs.1 BGB der Bank angezeigt worden ist.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragstellerin ist eine GmbH, die Wertpapiere und sonstige<br />

Vermögenswerte verwaltet. Zum 1.11.1999 brachte der alleinige<br />

Gesellschafter-Geschäftsführer der Antragstellerin seine bisher<br />

als Einzelunternehmen geführte Firma X. zu Buchwerten in<br />

die Antragstellerin ein. Dabei soll der Gesellschafter die Übertragung<br />

eines ihm gehörenden Aktiendepots zugesagt haben. Es<br />

existiert allerdings keine entsprechende schriftliche Vereinbarung.<br />

Zum 1.10.2001 zeigte die Antragstellerin der Hausbank ihres<br />

Gesellschafters die Abtretung der in den Aktien verkörperten<br />

Forderungen im Sinn des § 409 Abs.1 BGB an und bat um<br />

Umschreibung des Depots auf den Namen der Antragstellerin.<br />

Die Übertragung des Depots auf das Konto der Antragstellerin<br />

erfolgte im Herbst 2002.<br />

Die Antragstellerin berücksichtigte zum 1.7.2001 gewinnmindernd<br />

eine Teilwertabschreibung des Aktiendepotbestandes. Das<br />

Finanzamt folgte dem nicht, sondern ging im Zusammenhang<br />

mit der Einlage des Aktiendepots von einer verdeckten Gewinnausschüttung<br />

aus und erhöhte entsprechend die Körperschaftsteuer<br />

für 2001. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des<br />

Körperschaftsteuerbescheids hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen<br />

Körperschaftsteuerbescheids. Eine verdeckte Gewinnausschüttung<br />

kann nur vorliegen, wenn sich der fragliche Geschäftsvorfall<br />

in der Steuerbilanz erfolgswirksam niedergeschlagen hat.<br />

Im Streitfall müsste deshalb der Anspruch der Antragstellerin<br />

gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer auf Übertragung des<br />

Aktiendepots dem Betriebsvermögen zuzurechnen sein.<br />

Bei einer Kapitalgesellschaft gehört zwar grundsätzlich jede<br />

Forderung, deren Inhaberin sie zivilrechtlich ist, zu ihrem bilanziell<br />

zu erfassenden Betriebsvermögen. Im Streitfall ist jedoch<br />

davon auszugehen, dass die Antragstellerin noch nicht Inhaberin<br />

des bei ihr zum 1.7.2001 verbuchten zivilrechtlichen Anspruchs<br />

auf Übertragung des Depots war. Sie trägt insoweit die Feststellungslast,<br />

so dass bereits Zweifel an der Zugehörigkeit der For-<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13


derung zum Betriebsvermögen der Antragstellerin ausreichen,<br />

um die Teilwertabschreibung nicht anzuerkennen.<br />

Solche Zweifel sind im Streitfall gegeben. Die Antragstellerin<br />

hat keine schriftliche Vereinbarung vorgelegt, die die Forderung<br />

auf Übertragung des Aktiendepots belegt. Sie hat den erforderlichen<br />

Nachweis auch nicht durch Vorlage des Schreibens vom<br />

1.10.2001 erbracht, mit dem sie der Bank ihres Gesellschafter-Geschäftsführers<br />

die Übertragung des Depots gemäß § 409<br />

Abs.1 BGB angezeigt hat. § 409 Abs.1 BGB regelt lediglich,<br />

dass die Bank in diesen Fällen darauf vertrauen darf, dass die<br />

Forderung an den Dritten abgetreten worden ist, ersetzt aber<br />

nicht den Nachweis, dass eine Abtretung tatsächlich erfolgt ist.<br />

Das Akteneinsichtsrecht erlischt mit dem<br />

endgültigen Abschluss des betreffenden<br />

Verfahrens<br />

BFH 20.10.2005, VII B 207/05<br />

Das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 78 FGO erlischt, sobald<br />

das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Das<br />

Akteneinsichtrecht dient allein der „aktuellen“ Prozessführung<br />

und lebt nach Verfahrensabschluss selbst dann nicht wieder auf,<br />

wenn das Bedürfnis nach Akteneinsicht damit begründet wird,<br />

dass der Inhalt der Akten auch für andere Verfahren wegen einer<br />

etwaigen Regressforderung gegenüber Dritten erforderlich sei.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger hatte mit dem beklagten Finanzamt über die Rechtmäßigkeit<br />

eines Haftungsbescheids gestritten. In dem Verfahren vor<br />

dem FG war der Kläger von der Steuerberaterin X. vertreten worden.<br />

Das Verfahren ist inzwischen rechtskräftig abgeschlossen.<br />

Nach Abschluss des Verfahrens wandte sich der Kläger durch<br />

seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten an das FG und beantragte<br />

Akteneinsicht. Sein Begehren begründete der Kläger<br />

damit, dass sein Prozessbevollmächtigter prüfen solle, ob eventuelle<br />

Schadensersatzansprüche gegen die Steuerberaterin X.<br />

bestünden. Das FG lehnte den Antrag auf Akteneinsicht mit der<br />

Begründung ab, dass die Streitsache rechtskräftig abgeschlossen<br />

sei. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Klägers hatten<br />

keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Akteneinsicht. § 78 Abs.1<br />

FGO gewährt den Beteiligten das Recht auf Akteneinsicht nur<br />

im Rahmen eines anhängigen, noch nicht abgeschlossenen<br />

Streitverfahrens. Den Verfahrensbeteiligten soll die Möglichkeit<br />

geben werden, sich über die dem Gericht vorliegenden Entscheidungsgrundlagen<br />

zu informieren und zu diesen Grundlagen Stellung<br />

zu nehmen. Das Akteneinsichtsrecht dient dabei allein der<br />

„aktuellen“ Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende<br />

Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Diese Auslegung von<br />

§ 78 Abs.1 FGO ergibt sich aus seiner systematischen Stellung<br />

innerhalb des mit „Verfahren im ersten Rechtszug“ überschriebenen<br />

Abschnitts III des Zweiten Teil der FGO.<br />

Das Akteneinsichtsrecht erlischt selbst dann, wenn das Bedürfnis<br />

nach Akteneinsicht - wie im Streitfall - damit begründet wird,<br />

dass der Inhalt der Akten auch für andere Verfahren wegen einer<br />

etwaigen Regressforderung gegenüber einem Dritten erforderlich<br />

sei. Auch in einem solchen Fall ist der erforderliche Bezug<br />

zur „aktuellen“ Prozessführung nicht mehr gegeben.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />

Renovierungen stellen keine haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen dar<br />

Niedersächsisches FG 4.10.2005, 13 K 368/04<br />

Aufwendungen für umfassende Renovierungen unterliegen nicht<br />

der Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen gemäß<br />

§ 35a Abs.2 EStG. Denn unter den Begriff der haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen fallen nicht solche Tätigkeiten, deren Ausübung<br />

regelmäßig eine umfassende handwerkliche Vorbildung voraussetzt<br />

und die das Maß üblicher Ausbesserungen und Schönheitsreparaturen<br />

überschreiten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute,<br />

ließen im Streitjahr 2003 ihr Badezimmer renovieren und dabei<br />

insbesondere neue Fliesen verlegen. In ihrer Einkommensteuererklärung<br />

machten sie die Aufwendungen für die Bad-Renovierung<br />

als haushaltsnahe Dienstleistung geltend und reichten hierzu<br />

Handwerker-Rechnungen über insgesamt rund 4.600 Euro ein.<br />

Von diesen Aufwendungen erkannte das Finanzamt lediglich 181<br />

Euro an und gewährte eine Steuerermäßigung in Höhe von 37 Euro.<br />

Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Kläger eine weitere<br />

Steuerermäßigung von 335 Euro begehrten, hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Das Finanzamt hat die begehrte Steuerermäßigung zu Recht versagt.<br />

Den Klägerin steht für die Renovierung ihres Bads keine<br />

Steuerermäßigung nach § 35a Abs.2 EStG zu, da die in Auftrag<br />

gegebenen Renovierungsarbeiten keine haushaltsnahen Dienstleistungen<br />

darstellen.<br />

Der Begriff der haushaltsnahen Dienstleistungen ist gesetzlich<br />

nicht definiert. Er ist jedoch dahingehend auszulegen, dass er<br />

nicht solche Tätigkeiten erfasst, deren Ausübung regelmäßig eine<br />

umfassende handwerkliche Vorbildung voraussetzt und die das<br />

Maß üblicher Ausbesserungen und Schönheitsreparaturen überschreiten.<br />

Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, wonach<br />

nur typischerweise und mit einiger Regelmäßigkeit im laufenden<br />

privaten Haushalt anfallende Tätigkeiten steuerlich privilegiert<br />

werden sollen. Er muss sich demnach um Arbeiten handeln, die<br />

gewöhnlich die Haushaltsmitglieder selbst erledigen.<br />

Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall keine haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen vor, da eine umfassende Bad-Renovierung<br />

regelmäßig nicht von den Haushaltsmitgliedern selbst<br />

vorgenommen werden kann, sondern fachlich besonders ausgebildeten<br />

Handwerkern übertragen wird. Die Aufwendungen<br />

der Kläger für die Bad-Renovierung sind auch nicht teilweise<br />

(etwa soweit sie die Malerarbeiten im Bad betreffen) ermäßigt zu<br />

besteuern. Aus einer einheitlichen handwerklichen Werkleistung<br />

dürfen nicht einzelne Tätigkeiten herausgelöst werden, die für<br />

sich betrachtet auch durch die Mitglieder des privaten Haushalts<br />

bewerkstelligt werden könnten.<br />

Linkhinweis:<br />

Für den auf der Website des Niedersächsischen FG veröffentlichten<br />

Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />

47/2005 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14


Anmietung einer Wohnung vom Arbeitgeber<br />

zum Mietspiegel-Preis stellt keine verbilligte<br />

Wohnraumüberlassung dar<br />

BFH 17.8.2005, IX R 10/05<br />

Überlässt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer eine Mietwohnung<br />

zu einem Mietpreis, der sich innerhalb der im örtlichen<br />

Mietspiegel angegebenen Mietpreisspanne bewegt, so liegt hierin<br />

kein als Arbeitslohn zu erfassender geldwerter Vorteil. Eine<br />

verbilligte Wohnraumüberlassung liegt erst vor, wenn die verlangte<br />

Miete unterhalb dieser Mietpreisspanne liegt. Daher müssen<br />

Arbeitnehmer auch bei einer Miete, die am untersten Rand<br />

der ortsüblichen Mietpreisspanne liegt, noch keinen geldwerten<br />

Vorteil versteuern.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte<br />

Eheleute. Ihr Arbeitgeber überließ ihnen in den Streitjahren 1999<br />

bis 2001 eine 140 Quadratmeter große Mietwohnung, wofür<br />

die Kläger eine Miete von 10,10 DM pro Quadratmeter zahlen<br />

mussten. Grundlage für die Festsetzung der Miete war der örtliche<br />

Mietspiegel, der für vergleichbare Wohnungen eine Spanne<br />

von 10,10 bis 12,30 DM je Quadratmeter vorsah.<br />

Das Finanzamt ging von einer verbilligten Wohnraumüberlassung<br />

aus, weil die gezahlte Miete sich am untersten Rand des<br />

Mietspiegel-Preises bewege, für die ortsübliche Miete aber auf<br />

den Mittelwert der im Mietspiegel angegeben Preisspanne abzustellen<br />

sei. Der Mittelwert liege bei 11,20 DM pro Quadratmeter.<br />

Die Differenz zwischen diesem ortsüblichen und dem tatsächlich<br />

gezahlten Mietpreis sei als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu<br />

erfassen.<br />

Das FG wies die gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide<br />

gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob<br />

der BFH diese Entscheidung auf und gab der Klage statt.<br />

Die Gründe:<br />

Das FG hat im Streitfall zu Unrecht einen geldwerten Vorteil<br />

angenommen. Überlässt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer<br />

eine Mietwohnung, so liegt hierin nur dann ein als Arbeitslohn<br />

zu erfassender geldwerter Vorteil, wenn die verlangte Miete<br />

unterhalb der ortsüblichen Miete liegt. Die ortsübliche Miete<br />

ist anhand des örtlichen Mietspiegels zu ermitteln. Sieht dieser<br />

- wie hier - für vergleichbare Wohnungen eine bestimmte Mietpreisspanne<br />

vor, so ist jeder Mietpreis, der sich noch innerhalb<br />

dieser Preisspanne bewegt, als ortsüblich anzusehen.<br />

Dagegen kommt es nicht darauf an, ob der verlangte Mietpreis<br />

dem Mittelwert der im Mietspiegel angegebenen Preisspanne<br />

entspricht. Mit dem Abstellen auf die ortsübliche Miete soll dem<br />

Umstand Rechnung getragen werden, dass die Verpflichtung des<br />

Arbeitgebers zur Ermittlung des Mietpreises wegen des damit<br />

verbundenen Aufwands durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />

begrenzt wird. Diesem Vereinfachungszweck würde es zuwiderlaufen,<br />

wenn der Arbeitgeber bei einer vom Mietspiegel vorgegebenen<br />

Spanne weitere Ermittlungen anstellen müsste, welcher<br />

Wert innerhalb der Spanne angemessen ist.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

Zum Vorliegen einer festen Betriebsstätte<br />

nach dem DBA-Portugal<br />

BFH 3.8.2005, I R 87/04<br />

Die Gewinne eines portugiesischen Unternehmens sind nach<br />

dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und<br />

Portugal (DBA-Portugal) in Deutschland zu besteuern, wenn das<br />

Unternehmen eine feste Betriebsstätte in Deutschland unterhält.<br />

Eine feste Betriebsstätte kann vorliegen, wenn für das Unternehmen<br />

eine Person in Deutschland tätig wird, die eine Vollmacht<br />

zum Abschluss von Verträgen im Namen des Unternehmens<br />

besitzt und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt. Die betreffende<br />

Person darf sich aber nicht nur kurzfristig (jedenfalls länger als<br />

60 Tage pro Jahr) in Deutschland aufhalten.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist eine in der Baubranche tätige Kapitalgesellschaft,<br />

deren Sitz und Geschäftsleitung sich in Portugal befindet.<br />

In Deutschland war sie von 1994 bis 1998 als Subunternehmerin<br />

für verschiedene Auftraggeber auf verschiedenen Baustellen<br />

tätig. Lediglich auf einer Baustelle dauerten die Bausausführungen<br />

länger als sechs Monate. Auf den Baustellen wurden wechselnde<br />

Personen als Betriebsleiter eingesetzt.<br />

Die Klägerin hatte im Streitjahr 1998 drei Geschäftsführer. Der<br />

Geschäftsführer A. reiste in den Jahren 1995 bis 1998 durchschnittlich<br />

elf Mal pro Jahr für die Dauer von zwei bis fünf Tagen<br />

nach Deutschland. Im Streitjahr hielt er sich hier 43 Tage lang<br />

auf. Seine Inlandsaufenthalte dienten dem Abschluss von Verträgen<br />

mit Auftraggebern der Klägerin, der Kontrolle der Baustellen<br />

und der Kontaktierung neuer Vertragspartner.<br />

Das Finanzamt erließ gegenüber der Klägerin einen Körperschaftsteuerbescheid,<br />

in dem es die Besteuerungsgrundlagen<br />

schätzte. Es vertrat die Auffassung, dass die von der Klägerin in<br />

Deutschland erzielten Einkünfte der beschränkten Steuerpflicht<br />

unterlägen, weil sich A. als ständiger Vertreter in Deutschland<br />

aufgehalten habe. Demgegenüber vertrat die Klägerin die<br />

Ansicht, dass ihre Einkünfte nach dem Doppelbesteuerungsabkommen<br />

zwischen Deutschland und Portugal (DBA-Portugal<br />

vom 15.7.1980) nicht in Deutschland besteuert werden dürften.<br />

A. sei nicht ihr ständiger Vertreter gewesen. Die gegen den entsprechenden<br />

Körperschaftsteuerbescheid gerichtete Klage hatte<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der von der Klägerin im Streitjahr erzielte Gewinn darf in<br />

Deutschland nicht besteuert werden.<br />

Gemäß Art. 7 Abs.1 S.1 DBA-Portugal dürfen Gewinne eines<br />

Unternehmens eines Vertragsstaats nur dann in Deutschland<br />

besteuert werden, wenn das Unternehmen hier über eine feste<br />

Betriebsstätte verfügt. Ein Betriebsstätte ist nach Art. 5 Abs.1<br />

DBA-Portugal jede feste Geschäftseinrichtung, durch die die<br />

Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt<br />

wird. Die Betriebsstätte muss dabei für mindestens sechs Monate<br />

(Art. 5 Abs.3 DBA-Portugal) unterhalten werden. Eine solche<br />

Geschäftseinrichtung hat die Klägerin in Deutschland nicht<br />

besessen, weil die Bauausführungen - abgesehen von einem Fall<br />

- nie länger als sechs Monate andauerten.<br />

Nach Art. 5 Abs.5 DBA-Portugal kann ein Unternehmen auch<br />

dann über eine feste Betriebsstätte verfügen, wenn die abkommensrechtlichen<br />

Voraussetzungen einer festen Betriebsstätte<br />

nicht erfüllt sind. Dies kommt in Betracht, wenn für das Unter-<br />

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nehmen eine Person tätig wird, die eine Vollmacht zum Abschluss<br />

von Verträgen im Namen des Unternehmens besitzt und diese<br />

Vollmacht gewöhnlich ausübt. Art. 5 Abs.5 DBA-Portugal definiert<br />

zwar nicht, was unter dem Begriff „gewöhnlich“ - insbesondere<br />

im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen der Betätigung<br />

dieser Person - zu verstehen ist. Der BFH hat aber im Anwendungsbereich<br />

von § 12 AO 1977 wiederholt entschieden, dass<br />

eine nur kurzfristige Tätigkeit an einem bestimmten Ort selbst<br />

dann keine Betriebsstätte begründet, wenn sie sich jährlich wiederholt.<br />

Er hat in diesem Zusammenhang eine Tätigkeit von einmalig<br />

vier Wochen pro Kalenderjahr als kurzfristig eingestuft.<br />

Im Streitfall hatte der Geschäftsführer A. der Klägerin zwar<br />

eine Vollmacht, um in ihrem Namen Verträge abzuschließen. Er<br />

hielt sich aber nie länger als 60 Tage pro Jahr in Deutschland<br />

auf, wobei sich diese Tage auf mehrere Besuche verteilen. Dies<br />

stellt eine kurzfristige Tätigkeit dar, die keine feste Betriebsstätte<br />

begründet.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />

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