Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Weitere fachlich-inhaltliche Aspekte der Abgrenzungsproblematik vor dem Hintergrund<br />
der Überlegungen zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe<br />
Durch einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff kann sich - wie aufgezeigt - sowohl die<br />
Schnittstelle zwischen Pflegeversicherungsleistungen einerseits und Eingliederungshilfe andererseits<br />
vergrößern als auch die Frage notwendiger schärferer Abgrenzung vergrößern. Zu<br />
prüfen bleibt, ob es nicht sinnvoll sein kann, um ein (weiteres) Auseinanderlaufen der Systeme<br />
zu vermeiden, die Gültigkeit des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs identisch sowohl auf<br />
das SGB XI wie auch das SGB XII zu beziehen.<br />
Weiterhin ist zu prüfen, inwieweit das im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />
vorgesehene neue Begutachtungsassessment mit den avisierten Reformvorschlägen in der<br />
Eingliederungs-/Sozialhilfe kompatibel (bzw. identisch?) sein kann/wird. Dies bezieht sich<br />
sowohl auf die Formen der Bedarfsermittlung wie auch auf die Personenzentrierung der individuellen<br />
Hilfeplanung und den damit einhergehenden Paradigmenwechsel, die Leistungsgewährung<br />
am Teilhabebedarf des Menschen mit Behinderung zu orientieren und nicht mehr<br />
auf Leistungsform, Leistungsort und Leistungsanbieter abzustellen (s. Konzept der 85. Arbeits-<br />
und Sozialministerkonferenz Nov. 2008).<br />
Diese weit reichenden fachlich-inhaltlichen Folgen gilt es jedenfalls vor der politischen Umsetzung<br />
ausreichend abzuklären.<br />
Aus Sicht des Autors ist es deshalb z.B. von besonderer Brisanz, dass im neuen<br />
Begutachtungsassessment des SGB XI künftig auf 5 leistungsrechtlich relevante Bedarfsstufen/-grade<br />
rekurriert werden soll und die Pflegeversicherung sich künftig vor allem vor dem<br />
aus dem ambulanten Bereich kommenden Vorwurf der „Minutenpflege“ schützen will, wohingegen<br />
im Vorhaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers in Hessen mit der personenzentrierten<br />
Hilfeplanung die Zukunft in „zeitbasierten Vergütungen“ gesehen wird, weil angeblich<br />
dies der Vorstellung passgenauer Hilfen entspreche und damit genau die Abkehr von Bedarfsgruppen<br />
vollzogen werden soll ....<br />
Ein letzter, nicht weniger bedeutender Aspekt soll hier noch Erwähnung finden: Die in den<br />
unterschiedlichen Leistungssystemen derzeit arbeitenden Professionen und ihre spezifischen<br />
Standards. Zum einen muss mit der Ablösung von der rein medizinisch-somatischen Sichtweise<br />
im Pflegesektor und der Berücksichtigung der sozialen Teilhabe eine Veränderung im<br />
beruflichen Fokus auf die betroffenen Menschen als Klienten einhergehen. Zum andern stellen<br />
sich gleichsam von der anderen Seite dieselben Fragen in Diensten und Einrichtungen der<br />
Behinderten-/Eingliederungshilfe. Nicht zuletzt durch den demografischen Faktor stehen Mitarbeiter<br />
in den Diensten und Einrichtungen der <strong>Behindertenhilfe</strong> zunehmend vor der Aufgabe,<br />
neben pflegerischen auch behandlungspflegerische Leistungen in ihren Arbeitstalltag integrieren<br />
zu müssen. Die Durchführung behandlungspflegerischer Maßnahmen kann sich hierbei<br />
nur nach anerkannten fachlichen Standards richten, wie sie in der Pflege entwickelt worden<br />
sind.<br />
Diese auf beiden Seiten unter dem neuen Paradigma der leistungserbringungsrechtlich relevanten<br />
Forderung nach Teilhabe, Aktivierung, Prävention und Förderung der Selbständigkeit<br />
zu beobachtende Konvergenz der Systeme wird nachhaltige Auswirkungen auch auf Selbstverständnis,<br />
Habitus und Qualifikation der auf beiden Seiten jeweils beteiligten Professionen<br />
haben müssen und neue Kooperationsformen sowohl in inter- wie auch multidisziplinärer<br />
Sicht evozieren.<br />
97 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005