Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Eine fachwissenschaftlich gesicherte Beschreibung von Pflegebedürftigkeit geht heute vom<br />
Vorliegen eines zentralen Definitionsmerkmales aus: Der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit<br />
und der damit in Folge einhergehenden Abhängigkeit von personeller Hilfe.<br />
Pflegebedürftig ist ein Mensch demnach, wenn er „infolge fehlender personaler Ressourcen,<br />
mit denen körperliche oder psychische Schädigungen, die Beeinträchtigung körperlicher oder<br />
kognitiver/psychischer Funktionen, gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen<br />
kompensiert oder bewältigt werden könnten, dauerhaft oder vorübergehend zu selbständigen<br />
Aktivitäten im Lebensalltag, selbstständiger Krankheitsbewältigung oder selbstständiger Gestaltung<br />
von Lebensbereichen und sozialer Teilhabe nicht in der Lage und daher auf personelle<br />
Hilfe angewiesen ist.“ 1<br />
Mit dieser Neudefinition erfolgt eine Abkehr von einem einerseits vormals stark medizinisch<br />
geprägten und andererseits sehr verrichtungsbezogenen Verständnis von Pflegebedürftigkeit.<br />
Es kommen verstärkt auch nichtsomatisch bedingte Einschränkungen der Selbstständigkeit in<br />
den Blick. Pflegebedürftigkeit bezieht sich demnach auf Lebenslagen, die spezifische Lebenswelten<br />
und Kontextfaktoren ebenso in den Fokus nimmt wie die Prüfung der gegebenen<br />
Teilhabe(-möglichkeiten) am Leben in der Gesellschaft.<br />
Dieses neue Verständnis von Pflegebedürftigkeit ist auch kennzeichnend für die Lebenslagen<br />
von Menschen mit Behinderung, die Übereinstimmung und damit auch der Überschneidungsbereich<br />
der Lebenslagen behinderter und pflegebedürftiger Menschen wird möglicherweise<br />
größer und verschärft damit die Abgrenzungsfrage, v.a. in leistungsrechtlicher Hinsicht. Zusätzlich<br />
kompliziert wird dies durch den Umstand, dass in einer Reihe von Lebenslagen Pflegebedürftigkeit<br />
Teil von Behinderung ist. Gleichwohl kann Behinderung auch ohne Merkmale<br />
der Pflegebedürftigkeit bestehen.<br />
Inwieweit die Leistungstatbestände des SGB XI und SGB XII künftig diese fachwissenschaftliche<br />
Herangehensweise auch leistungsrechtlich umsetzen bzw. umzusetzen bereit sind, bleibt<br />
eine offene Frage der politischen Realisierbarkeit.<br />
Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil mit einem neuen Verständnis von Pflegebedürftigkeit<br />
sich die bestehenden Finanzierungsfragen in der Pflegeversicherung ebenso verschärfen werden<br />
wie die Frage der leistungsrechtlichen Abgrenzung zwischen der Pflegeversicherung und<br />
der Sozialhilfe.<br />
Schnittstellenproblematik: Pflege und Eingliederungshilfe<br />
Die aus der fachlichen Weiterentwicklung zum einen, die aus den leistungsrechtlichen Abgrenzungs-<br />
und Zuständigkeitsregularien zum anderen hervorgehenden Fragen lösen neben<br />
der bestimmenden Frage nach den neuen finanziellen Ungewissheiten und wahrscheinlichen<br />
Mehrbelastungen und Kostenverschiebungen auch Fragen nach inhaltlichen Folgen und Konsequenzen<br />
für die bestehenden Sozialleistungssysteme auf. Die sozialgesetzgeberische Bearbeitung<br />
der Schnittstelle zwischen Pflege und Behinderung resp. der Eingliederungshilfe gehört<br />
hierbei zur zentralen Aufgabenstellung.<br />
1 (Diskussionspapier DV zur Abgrenzung der Begriffe und Leistungen in einem neuen Verständnis von Pflege-<br />
bedürftigkeit, Okt. 2008, S.5)<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 92