Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Das christliche Menschenbild kann angesichts der mit dem Bewährungsproblem gegebenen typischen menschlichen Ängste Beruhigung und Trost spenden: Der einzelne Mensch erhält als Geschöpf und Ebenbild Gottes eine deutliche Bestätigung und Erhöhung seines Selbstwertes und wird so vor der Angst vor Beschämung geschützt. Indem Gott auch ein gnädiger und verzeihender Gott ist, kann er zugleich Schutz vor Schuld- bzw. Über-Ich-Angst gewähren. Mit der Überwindung des Todes und dem Erlösungsversprechen in einem Jenseits wird schließlich Schutz vor Trennungsangst und Angst vor dem Tod als letzter Trennung möglich. Mit der Auflösung traditionaler christlicher Deutungsmuster und Vergemeinschaftungsformen geht auch ihre Kraft einer glaubwürdigen Beruhigung des Lebens, ihre mögliche Schutzfunktion vor den menschlichen Grundängsten verloren. Die Rede vom Klienten als Kunden könnte vor diesem Hintergrund, wenn sie nicht von vorne herein zynisch ist, sowohl Ausdruck der Verleugnung dieser Grundängste sein als auch gleichzeitig Ausdruck des Versuches, diesen wenigstens in der Rolle eines Kunden zu begegnen, die Nichtausge-liefertheit und Wirkmächtigkeit verheißt. Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis • Sozialer Wandel bewirkt die Auflösung traditionaler Lebensformen und traditionaler Deutungs- und Sinnstiftungsmuster. • Hierdurch erfolgt eine Autonomisierung der Lebenspraxis und die Ermöglichung neuer Freiheitsräume. • Zugleich resultiert eine gesteigerte Belastung des einzelnen mit neuen individuellen Entscheidungs- und Sinnstiftungsnotwendigkeiten, da traditionale Entlastungen in der Bewältigung des Bewährungsproblems durch „vorgezeichnete“ Lebenswege und Bewährungskarrieren entfallen. • Die gesellschaftlich bedingten Folgeprobleme sozialen Wandels werden der einzelnen Lebenspraxis individualisierend angelastet. • Dabei mangelt es in unterschiedlichem Ausmaß an positiven Entwürfen neuer Kulturen des bewusst und kollektiv gestalteten Umganges mit Erziehung, Krankheit, Behinderung, Alter, Sterben und Tod. Abb. 18: Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis 1.8 Resümee: Das Arbeitsbündnis als zentrales berufsübergreifendes Wesensmerkmal beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie Berufliche soziale Arbeit in den Bereichen Erziehung, Sozialisation, Therapie, Pflege und institutionellen Hilfen hat es wesentlich mit der Begegnung ganzer Menschen innerhalb einer rollenförmigen beruflichen Hilfebeziehung zu tun. Im Kontext einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie lässt sich dieses zentrale Merkmal beruflicher sozialer Arbeit näher als Arbeitsbündnis charakterisieren. Das Arbeitsbündnis stellt dabei eine eigenlogische Praxisform, einen eigenständigen Beziehungstypus dar, der durch die Gleichzeitigkeit diffus-familialer und rollenförmig-spezifischer Beziehungskomponenten gekennzeichnet ist. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 78

Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Innerhalb dieser Praxisform geht es einerseits um eine stellvertretende Bewältigung lebenspraktischer Krisen eines Klienten durch eine Fachkraft oder Fachkräfte, da der Klient aufgrund einer Einschränkung seiner Autonomie oder aufgrund fortgeschrittener spezialisierter Wissensbestände (wie z.B. im Bereich der Medizin) zu einer selbständigen Krisenbewältigung nicht oder nicht angemessen in der Lage ist (vgl. Oevermann 2002, 22 ff). Andererseits geht es im Arbeitsbündnis aber auch darum, fallangemessen und grundsätzlich nicht-standardisierbar an den je besonderen Möglichkeiten und Ressourcen des Klienten anzuknüpfen und seine autonomen Entwicklungs- und Selbstheilungskräfte zu respektieren und bindend in das Arbeitsbündnis i. S. e. Hilfe zur Selbsthilfe einzubeziehen, damit die Hilfestellung nicht zu einer weiteren Deautonomisierung führt (vgl. Oevermann 2002, 25 ff). Dieser Zusammenhang stellt ja das grundlegende Paradoxon beruflicher sozialer Arbeit als stellvertretender Bewältigung lebenspraktischer Krisen dar. Voraussetzung für eine angemessene autonomiefördernde Handhabung des Arbeitsbündnisses ist eine möglichst umfassende und differenzierte Erfassung der Problemlage des Klienten als ganzer Person, d.h. als einer biopsychosozialen Einheit mit einer je eigenen Geschichte und je besonderen Möglichkeiten und Ressourcen. Das Arbeitsbündnis bedarf zu seiner Einrichtung, Aufrechterhaltung und Gestaltung eines Rahmens, einer sozialen Rahmung, die sich gleichzeitig auf mindestens drei Ebenen bezieht: 1. Die kontraktuelle Ebene (Vereinbarungen und Absprachen) 2. Die fachliche Ebene (fachliche Überlegungen und Standards) 3. Die sozialisatorische und resozialisatorisch- therapeutischeEbene (Herstellung eines Schutz- und Entwicklungsraumes strukturähnlich der primären familialen Sozialisation und deshalb mit entsprechenden sozialisatorischen und symbolischen Qualitäten) Eine solchermaßen professionalisierungstheoretisch geleitete Sichtweise sozialer Dienstleistungen stellt konsequent den einzelnen Klienten als ganzen Menschen mit seinem je individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf sowie die Besonderheiten, Dynamiken und Paradoxien von Hilfebeziehungen in den Mittelpunkt der Bestimmung dessen, was im Kern die besondere Qualität beruflicher sozialer Arbeit ausmacht. Diese Sichtweise grenzt sich einerseits deutlich von sogenannten „Kundenmodellen“ ab, die die Besonderheiten beruflicher sozialer Arbeit von vorne herein begrifflich unterlaufen und angesichts immer knapper werdender Ressourcen im Sozial- , Gesundheits- und Bildungsbereich einen zynischen Beigeschmack erhalten. Sie grenzt sich andererseits von eher organisationslastigen Konzeptualisierungen der Qualität sozialer Dienstleistungen ab, die an der Struktur- und Prozessqualität sozialer Dienstleistungen ansetzen, ohne einen zureichenden Begriff beruflicher sozialer Arbeit auch auf der Mikroebene entwickelt zu haben (vgl. Schädler, 1999, 16). „Von einem professionalisierungstheoretischen Standpunkt aus sind solche Konzepte, die nicht aus der Profession selbst kommen, sondern ihr aufgezwungen werden, wie das mit der 79 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005

<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

Das christliche Menschenbild kann angesichts der mit dem Bewährungsproblem gegebenen<br />

typischen menschlichen Ängste Beruhigung und Trost spenden: Der einzelne Mensch erhält<br />

als Geschöpf und Ebenbild Gottes eine deutliche Bestätigung und Erhöhung seines Selbstwertes<br />

und wird so vor der Angst vor Beschämung geschützt. Indem Gott auch ein gnädiger<br />

und verzeihender Gott ist, kann er zugleich Schutz vor Schuld- bzw. Über-Ich-Angst gewähren.<br />

Mit der Überwindung des Todes und dem Erlösungsversprechen in einem Jenseits wird<br />

schließlich Schutz vor Trennungsangst und Angst vor dem Tod als letzter Trennung möglich.<br />

Mit der Auflösung traditionaler christlicher Deutungsmuster und Vergemeinschaftungsformen<br />

geht auch ihre Kraft einer glaubwürdigen Beruhigung des Lebens, ihre mögliche Schutzfunktion<br />

vor den menschlichen Grundängsten verloren. Die Rede vom Klienten als Kunden<br />

könnte vor diesem Hintergrund, wenn sie nicht von vorne herein zynisch ist, sowohl Ausdruck<br />

der Verleugnung dieser Grundängste sein als auch gleichzeitig Ausdruck des Versuches,<br />

diesen wenigstens in der Rolle eines Kunden zu begegnen, die Nichtausge-liefertheit<br />

und Wirkmächtigkeit verheißt.<br />

Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis<br />

• Sozialer Wandel bewirkt die Auflösung traditionaler Lebensformen und traditionaler Deutungs- und<br />

Sinnstiftungsmuster.<br />

• Hierdurch erfolgt eine Autonomisierung der Lebenspraxis und die Ermöglichung neuer Freiheitsräume.<br />

• Zugleich resultiert eine gesteigerte Belastung des einzelnen mit neuen individuellen Entscheidungs-<br />

und Sinnstiftungsnotwendigkeiten, da traditionale Entlastungen in der Bewältigung des Bewährungsproblems<br />

durch „vorgezeichnete“ Lebenswege und Bewährungskarrieren entfallen.<br />

• Die gesellschaftlich bedingten Folgeprobleme sozialen Wandels werden der einzelnen Lebenspraxis<br />

individualisierend angelastet.<br />

• Dabei mangelt es in unterschiedlichem Ausmaß an positiven Entwürfen neuer Kulturen des bewusst<br />

und kollektiv gestalteten Umganges mit Erziehung, Krankheit, Behinderung, Alter, Sterben und Tod.<br />

Abb. 18: Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis<br />

1.8 Resümee: Das Arbeitsbündnis als zentrales berufsübergreifendes Wesensmerkmal<br />

beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie<br />

Berufliche soziale Arbeit in den Bereichen Erziehung, Sozialisation, Therapie, Pflege und<br />

institutionellen Hilfen hat es wesentlich mit der Begegnung ganzer Menschen innerhalb einer<br />

rollenförmigen beruflichen Hilfebeziehung zu tun. Im Kontext einer strukturtheoretischen<br />

Professionalisierungstheorie lässt sich dieses zentrale Merkmal beruflicher sozialer Arbeit<br />

näher als Arbeitsbündnis charakterisieren.<br />

Das Arbeitsbündnis stellt dabei eine eigenlogische Praxisform, einen eigenständigen Beziehungstypus<br />

dar, der durch die Gleichzeitigkeit diffus-familialer und rollenförmig-spezifischer<br />

Beziehungskomponenten gekennzeichnet ist.<br />

© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 78

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