Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.7.5 Sozialer Wandel, Enttraditionalisierung und Auswirkungen<br />
auf die Lebenspraxis<br />
• In einer funktional differenzierten Gesellschaft mit ihrer Rationalisierung und Entzauberung<br />
religiöser Deutungsmuster können Religion und Kirche keinen “Gesamtsinn“<br />
und keine Lebensordnung mehr repräsentieren, die verbindlich und unproblematisch<br />
für alle Geltung besitzen könnte.<br />
• Es wird zunehmend mehr die Aufgabe jedes Einzelnen, in der Reflexion auf seine Biographie<br />
Deutungsmuster für das eigene Leben zu finden, die unterschiedliche Erfahrungen,<br />
Krisen und Brüche zu integrieren vermögen. (Beck/Beck-Gernsheim 1994,<br />
Oevermann 1995). Es gibt nicht mehr ein verbindliches Konzept eines „guten gottgefälligen<br />
Lebens“ nach klar definierbaren Kriterien „christlicher Lebensführung“ i. S.<br />
e. Bewährungs- und Erlösungsmythos, das wie selbstverständlich Sicherheit, Trost<br />
und Erlösung garantieren könnte.<br />
• Sozialer Wandel und die Rationalisierung und Entzauberung traditionaler Deutungsmuster<br />
haben traditionale Lebensformen und traditionale Sinnstiftungen zerstört und<br />
dem Einzelnen größere Freiheiten und Handlungsspielräume eröffnet. Zugleich muten<br />
diese Prozesse dem einzelnen aber auch eine erhöhte individuelle Verantwortlichkeit<br />
für seine Belange sowie eine erhöhte individuelle Sinnstiftungs-notwendigkeit zu.<br />
Dies gilt sowohl für die individuelle Lebenspraxis wie auch für die kollektive Lebenspraxis<br />
privater partnerschaftliche Lebensformen, von denen die Erscheinungsform der<br />
traditionellen Familie nur noch eine unter vielen ist.<br />
• Mit der Enttraditionalisierung des gesellschaftlichen Lebens sind auch die Entlastungen<br />
in der Bewältigung des Bewährungsproblems entfallen, „die früher mit einer<br />
stabilen familialen Herkunft mehr oder weniger automatisch gegeben waren, indem<br />
durch sie die Wege ins Berufs- und Familienleben doch mehr oder weniger vorgeprägt<br />
waren. Immer mehr ist heute der Einzelne in seiner Lebensplanung vergleichsweise<br />
früh auf sich selbst gestellt, während auf der anderen Seite die funktionalen Verknüpfungen<br />
von Ausbildung und Berufschance immer lockerer geworden sind, gleichzeitig<br />
aber auch bei aller Durchlässigkeit des gegliederten Bildungssystems die verpassten<br />
Chancen immer weniger sich institutionell kompensieren lassen angesichts des enormen<br />
Zeitdrucks, der auf den Karrieren lastet“ (Oevermann 2001b, 112).<br />
Dieser Auflösung von Lebensformen und Deutungsmustern ist bezüglich der verschiedenen<br />
Bereichen und Phasen des sozialen Lebens kein zureichender positiver Entwurf einer entsprechenden<br />
neuen Kultur gefolgt, die durch sozialen Wandel induzierten Folgeprobleme<br />
werden den einzelnen Individuen und Familien vielmehr weitgehend individualisierend angelastet.<br />
Entsprechend mangelt es an einer neuen und einbettenden Kultur des Umganges mit Kindheit,<br />
d.h. einer Kultur des Aufwachsens und Erziehens und des bewusst gestalteten Verhältnisses<br />
von Kinderwelten und Erwachsenenwelten (Krappmann 1996). Ebenso mangelt es auch an<br />
einer Kultur des Umganges mit Krankheit und Behinderung sowie vor allem an einer Kultur<br />
des Umganges mit Alter, Sterben und Tod.<br />
77 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005