Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Die Beschäftigung mit Systematisierungen lebenszyklischen Entwicklungsaufgaben (sowie<br />
die Berücksichtigung kritischer Lebensereignisse) kann für die Praxis beruflicher sozialer<br />
Arbeit eine hilfreiche Strukturierungshilfe bieten, um bei Fallverstehen und normativpraktischer<br />
Stellungnahme möglichst schnell Schwerpunkte und Konflikte im individuellen<br />
oder familialen Entwicklungsgeschehen zu identifizieren. Die Kenntnis von und Auseinandersetzung<br />
mit lebenszyklischen Entwicklungsaufgaben ist zudem zentrale Voraussetzung<br />
von Entwicklungsberatung und Prävention in den verschiedenen Bereichen beruflicher sozialer<br />
Arbeit.<br />
Exkurs: Unterschiedliche Krisentypen und Erfahrungsmodi im strukturtheoretischen<br />
Ansatz<br />
Im strukturtheoretischen Zusammenhang können drei Krisentypen und vier korrespondierende<br />
Erfahrungstypen unterschieden werden, wobei der erste Krisentypus den kritischen<br />
Lebensereignissen der Entwicklungspsychologie und der zweite Typus den normativen<br />
Entwicklungsaufgaben der Entwicklungspsychologie und Stressforschung nahe kommt:<br />
1. „Die Krise durch Überraschungen, die negativ oder positiv als „brute facts“<br />
über einen hereinbrechen, als Schmerz oder Glück, als Scheitern oder Erfüllung.<br />
Diesem elementaren Krisentyp, den wir mit den subhumanen Gattungen am ehesten<br />
teilen, und der dem animalischen Stress nahe kommt, ordne ich die Konstitution von<br />
Natur und Leiberfahrung zu und bezeichne ihn als Traumatisierungskrise.<br />
2. Die Entscheidungskrise, die wir schon, auch mit Beispielen kennen gelernt haben.<br />
Ihr entspricht der Typ der religiösen Erfahrung, denn in Entscheidungskrisen muss<br />
die Lebenspraxis sich bewähren“ (Oevermann, 2001 a, 312 f.)<br />
3. „Der Krisentypus der Muße. Dieser ist selbsterzeugt. Ihm zuzuordnen ist der Modus<br />
der ästhetischen Erfahrung und der methodisierten Erkenntnis, Wesentlich ist für diesen<br />
Erfahrungsmodus die Erfahrung von Unbekanntem und Unerwartetem“ (Wagner,<br />
2001, 204).<br />
1.7.3 Die Dimensionen des Kohärenzgefühls im salutogenetischen Ansatz<br />
als Bedingungen der Möglichkeit autonomer Lebenspraxis<br />
Von seinen theoretischen Grundannahmen zur Lebenspraxis sowie vom Krankheits – und<br />
Gesundheitsbegriff her ist der von Antonovsky entwickelte salutogenetische Ansatz anschlussfähig<br />
an das strukturtheoretische Modell der Lebenspraxis und seine sozialiationstheoretischen<br />
und professionalisierungstheoretischen Implikationen. (14)<br />
Antonovsky stellt die zentrale Frage, warum Menschen trotz gleichermaßen wirksamer schädlicher<br />
Einflüsse gesund bleiben. „Antonovsky baut seine Überlegungen auf Erkenntnisse der<br />
Stressforschung u.a. von Lazarus (1981) auf (siehe dazu auch Franke 2001). Im Mittel-punkt<br />
der Überlegungen steht die Frage nach den Kompetenzen des Einzelnen, auf innere und äußere<br />
Anforderungen zu reagieren. Auch im Denkansatz der Salutogenese werden belastende<br />
Situationen und Schwierigkeiten zur Kenntnis genommen; diese erzeugen sog. Spannungszustände.<br />
Wichtig ist nun, wie die Spannung gelöst wird. Antonovsky unterstellt in seiner<br />
Hypothese des Kontinuums von Gesundheit und Krankheit, dass derjenige wieder eher das<br />
Pendel in Richtung Gesundheit bewegen kann, der auf einen Stressor erfolgreiche Reaktionsmechanismen<br />
zur Verfügung hat“ (Mathe, 2003, 124).<br />
_____________________________________<br />
(14) Vgl. hierzu insbesondere: Antonovsky 1979, 1991, 1997 sowie zusammenfassend BZgA<br />
1999, 2001, Lorenz 2004, Mathe 2003.<br />
73 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005