Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 In dem Maße, in dem diese vier großen Ablösekrisen in der sozialen Geburt des Subjektes erfolgreich bewältigt werden, entfalten sich Autonomie und Identität in den Polen von Bindung und Ablösung. In dem Maße, indem die Bewältigung dieser Krisen erschwert, behindert oder verunmöglicht wird, werden auch die Entfaltung von Autonomie und Identität erschwert, behindert oder verunmöglicht. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 70
Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis • Die einzelne Lebenspraxis steht in einer Bewährungsdynamik als widersprüchlicher Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung. • Autonomie beweist, bewährt und entwickelt sich in lebenspraktischen Krisensituationen, in denen gerade nicht auf Entscheidungsregeln zurückgegriffen werden kann, aber dennoch entschieden werden muss, ohne dabei auf den Anspruch auf zumindest nachträgliche Begründbarkeit zu verzichten. • Autonomie als Besonderheit menschlicher Praxis besteht also in der widersprüchlichen Einheit von Wahlmöglichkeit und Verantwortungszumutung, in einem zur „Autonomie-Verurteilt-Sein“. • Die Voraussetzungen für eine autonome Lebensführung werden auf der Grundlage angeborener Autonomiepotentiale als soziale Geburt des Subjektes in den triadischen Strukturen der primären familialen Sozialisation erworben • Mit der letzten der vier großen Ablösekrisen, der Adoleszenzkrise, vollzieht sich die Ablösung aus der Herkunftsfamilie und mit dem nachfolgenden endgültigen Eintritt in das Erwachsenenalte die Chance und Zumutung der eigenverantwortlichen Übernahme von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung. • Das der Bewährungsdynamik zugrunde liegende Bewährungsproblem resultiert letztlich aus dem grundsätzlich gegebenen Endlichkeitsbewusstsein menschlichen Lebens, d.h. angesichts der Antizipation des Todes aber auch der grundsätzlichen Irreversibilität alltäglicher Entscheidungen. • Die Bewährungsdynamik ist nicht stillstellbar, jede Krisenlösung kann als Routine ihrerseits wieder scheitern und zu einer neuen Krise führen. Bewährungsproblem und Nichtstillstellbarkeit der Bewährungsdynamik sind lebenspraktisch nur aushaltbar auf der Grundlage eines identitätsverbürgenden Bewährungsmythos, der auf die berühmte dreifache Frage eine verbindliche Antwort zu geben vermag: Wer bin ich (sind wir)?, woher komme ich (kommen wir)? und wohin gehe ich (gehen wir)? • Überzeugungen als tiefgreifende Haltungen dem Leben gegenüber, z.B. als Haltung „Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“ sowie Glaubenshaltungen als Glauben an die Macht einer übergeordneten Instanz, unabhängig von ihrer konkret inhaltlichen Bestimmung, bezeichnen zentrale Momente und Grundlagen von Krisenbewältigung. • Überzeugungen bilden sich aus der Positivität des dialogisch-symbiotischen Wachstums, Glauben bzw. Glaubenshaltungen bilden sich aus Ablöseprozessen aus Symbiose und Schutz- und Schonräumen. • Das „Weggehen in Undankbarkeit“ ist eine Notwendigkeit in Ablöseprozessen, mit der das sich bildende Subjekt objektiv schuldig macht und diese Schuld muss in ihrer Unausweichlichkeit nachträglich als selbst verursachte subjektiv übernommen werden (Vgl. jüdisch-christlicher Schöpfungsmythos und griechischer Ödipus-Mythos). • Schuldverstrickung und die Notwendigkeit einer begründeten Hoffnung auf Versöhnung und Bewährung sind notwendige Momente von Ablösung. • Implikation von Schuldverstrickung und Notwendigkeit einer begründeten Hoffnung auf Bewährung und Versöhnung ist die Notwendigkeit eines Glaubens an eine übergeordnete Instanz, so dass die Loyalität zu ihr, wie auch immer sie inhaltlich bestimmt wird, eine Hoffnung auf Versöhnung und Bewährung ermöglicht. • Das Bewährungsproblem stellt sich inhaltlich bezüglich dreier Dimensionen von Bewährung bzw. Bewährungskarrieren: 1. Die Frage der Selbstverwirklichung im Bereich von Berufs- und Erwerbstätigkeit 2. Die Frage der Selbstverwirklichung im Bereich privater partnerschaftlicher Lebensformen und sexueller Reproduktion/ Kinderaufzucht 3. Die Frage der Selbstverwirklichung in übergeordneten Vergemeinschaftungsformen von Gemeinde, Nationalstaat, Schicksalsgemeinschaft der Gattung oder im Dienste öffentlicher Institutionen Abb. 17: Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis 71 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005
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