Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Inhaltliche Dimensionen des Bewährungsproblems • Das Bewährungsproblem des eigenen Lebens stellt sich inhaltlich für jeden bezüglich dreier eigenlogischer Dimensionen von Bewährung, die auch als Bewährungskarrieren bezeichnet werden können: 1. Berufs- und Erwerbstätigkeit: Die Selbstverwirklichung in Berufs- und Erwerbstätigkeit ist für die Bewältigung des Bewährungsproblems des eigenen Lebens entscheidend. Ihr entspricht eine Karriere der Berufs- und Erwerbstätigkeit. (Mit der Krise der Arbeitsgesellschaft hat sich das Bewährungsproblem in dieser Dimension nicht etwa aufgelöst, sondern hat sich im Gegenteil noch weiter zugespitzt.) 2. Sexuelle Reproduktion und partnerschaftliche private Lebensform: Die eigene Stellungnahme zur familialen Bewährungskarriere, d.h. die Frage der Selbstverwirklichung in i. R. v. partnerschaftlicher privater Lebensform und Kindererziehung, unabhängig von je besonderen historischen Erscheinungsformen von privater Partnerschaftlichkeit und Kindererziehung, ist nach wie vor entscheidend für die Bewältigung des Bewährungsproblems. 3. Übergeordnete abstrakte Vergemeinschaftungsformen wie Gemeinde, Nationalstaat, Schicksalsgemeinschaft der Gattung, öffentliche Institutionen: Die Bewährungsfrage stellt sich für jeden grundsätzlich und unhintergehbar auch bezüglich seiner Funktion in den übergeord-neter Vergemeinschaftungsformen und in diesem Sinne als Frage einer staatsbürgerlichen Bewährungskarriere (vgl. Oevermann 2001, 112). Der bekannte Satz, dass jeder in seinem Leben ein Häuschen bauen, eine Familie gründen und ein Bäumchen pflanzen bzw. ein Buch schreiben müsse, bezieht sich sehr prägnant auf diese drei inhaltlichen Dimensionen des Bewährungsproblems und die damit verbundenen Bewährungskarrieren. Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit Unter dem Aspekt des Bewährungsproblems muss sich berufliche soziale Arbeit als stellvertretende Krisenbewältigung immer auch mit der zukünftigen oder aktuellen Selbstverwirklichung ihrer Klienten/ Nutzer in den Bereichen Berufs- und Erwerbstätigkeit, Partnerschaft und Familie sowie übergeordneten Vergemeinschaftungsformen auseinander-setzen, sie hat hierzu implizit oder explizit inhaltlich Stellung zu beziehen und praktische Schritte der Vorbereitung, Begleitung und Unterstützung zu unternehmen. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 66

Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Pädagogik hat z.B. immer mit der Vorbereitung auf und Ermutigung zu Selbstverwirklichung in den Dimensionen von Berufs- und Erwerbstätigkeit, Familie sowie Gemeinwesen zu tun. Pädagogik hat sich dabei m Bereich der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Behinderung aber auch mit der Frage der konkreten Ermöglichung und Unterstützung einer Berufs- und Erwerbskarriere oder bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung mit der Frage der Möglichkeiten und Einschränkungen einer familialen Bewährungskarriere auseinander zusetzen und begründet praktisch Stellung zu beziehen. Berufliche soziale Arbeit als „Begleiterin von Lebenswegen“ ist in Wahrnehmung ihrer Aufgaben immer wieder dazu aufgefordert, sich über die impliziten und expliziten Vorstellungen von Selbstverwirklichung und Bewährung und ihrer normativen Implikate, die sie ihren Klienten entgegenbringt, Rechenschaft abzulegen (vgl. z.B. Brisch, K.H./ Kächele, H. 1999). Mit anderen Worten: Sie hat immer wieder die Entwicklungsaufgaben, die sie ihren Klienten und deren Angehörigen sowohl zutraut als auch zumutet, reflexiv in den Blick zu nehmen und mit Klienten und Angehörigen zu besprechen und zu bestimmen. Überzeugungen, Glauben und Schuldverstrickung als Momente der Bewährungsdynamik und ihre Entstehung in den frühen Phasen der Bildung des Subjektes • Überzeugungen geben dem Subjekt Halt und Orientierung bei der Krisenlösung, sie sind tiefsitzende Habitusformationen, deren allgemeinste Form im strukturellen Optimismus, „Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“ zum Ausdruck kommt (vgl. Oevermann 2001 a, 295). „Überzeugungen sind Grundlagen im Krisenbewältigungsprozess, die von dem in die Krise geratenen Wissen nicht betroffen sind. „Die Krise des Wissens, die zu einer neuen Erfahrung führen muss, lässt sich nun ihrerseits nicht bewältigen ohne die Grundlagen von Überzeugungen, die von der Krise als solcher unberührt bleiben. Wenn nämlich alle eine Lebenspraxis habitualisirenden Überzeugungen gewissermaßen auf einmal in eine Krise gerieten, dann läge nicht mehr nur die Situation des berechtigten Zweifels an einem bislang bewährten Wissen vor, sondern dann wäre die tödliche Situation der Verzweiflung eingetreten“ (Oevermann, Überlegungen zur Integration und Synthesis der begrifflichen und methodischen Instrumentarien der Forschungen im Sonderforschungsbereich/FK 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“, unveröffentlichtes Manuskript, Frankfurt am Main, 2000)“ (Wagner 2001, 194 f.). • Die Überzeugungen bilden sich grundlegend in den frühen und frühesten Mutter-Kind- Beziehungen, d.h. im Zusammenhang mit dem symbiotischem Formenkreis und den Vorgängen bei Schwangerschaft und Geburt und differenzieren sich dann im weiteren Verlauf des Lebens aus. Eine gelingende Symbiose und ein gelingender Geburtsvorgang führen dabei zur Entwicklung von Urvertrauen und Selbstvertrauen. (Vgl. Wagner, 2001, 195). • Das Kind erreicht das Ziel der Sozialisation, seine Autonomie, nur, wenn es sich aus der Symbiose löst. „Das Kind muss sich gleichsam, um Autonomie zu erlangen, aus der schützenden Symbiose heraustransformieren.“ Deshalb muss der Bildungsprozess an dem anderen, gegenüberliegenden Pol die Symbiosen und Schutzräume immer wieder durch Ablösung in Richtung eigener Unabhängigkeit und Autonomie aufbrechen und hinter sich lassen. Das sich bildende Leben muss dabei notwendig die ursprünglich schützenden Instanzen als hinderliche Fesseln durchschneiden, sich von den geliebten Instanzen, die sich für es aufgeopfert haben, als lästigen „Hemmschuhen“ trennen. 67 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005

<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

Pädagogik hat z.B. immer mit der Vorbereitung auf und Ermutigung zu Selbstverwirklichung<br />

in den Dimensionen von Berufs- und Erwerbstätigkeit, Familie sowie Gemeinwesen zu tun.<br />

Pädagogik hat sich dabei m Bereich der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Behinderung<br />

aber auch mit der Frage der konkreten Ermöglichung und Unterstützung einer Berufs- und<br />

Erwerbskarriere oder bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung mit der<br />

Frage der Möglichkeiten und Einschränkungen einer familialen Bewährungskarriere auseinander<br />

zusetzen und begründet praktisch Stellung zu beziehen.<br />

Berufliche soziale Arbeit als „Begleiterin von Lebenswegen“ ist in Wahrnehmung ihrer Aufgaben<br />

immer wieder dazu aufgefordert, sich über die impliziten und expliziten Vorstellungen<br />

von Selbstverwirklichung und Bewährung und ihrer normativen Implikate, die sie ihren Klienten<br />

entgegenbringt, Rechenschaft abzulegen (vgl. z.B. Brisch, K.H./ Kächele, H. 1999). Mit<br />

anderen Worten: Sie hat immer wieder die Entwicklungsaufgaben, die sie ihren Klienten und<br />

deren Angehörigen sowohl zutraut als auch zumutet, reflexiv in den Blick zu nehmen und mit<br />

Klienten und Angehörigen zu besprechen und zu bestimmen.<br />

Überzeugungen, Glauben und Schuldverstrickung als Momente der Bewährungsdynamik<br />

und ihre Entstehung in den frühen Phasen der Bildung des Subjektes<br />

• Überzeugungen geben dem Subjekt Halt und Orientierung bei der Krisenlösung, sie sind<br />

tiefsitzende Habitusformationen, deren allgemeinste Form im strukturellen Optimismus,<br />

„Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“ zum Ausdruck kommt (vgl. Oevermann 2001 a,<br />

295). „Überzeugungen sind Grundlagen im Krisenbewältigungsprozess, die von dem in<br />

die Krise geratenen Wissen nicht betroffen sind. „Die Krise des Wissens, die zu einer<br />

neuen Erfahrung führen muss, lässt sich nun ihrerseits nicht bewältigen ohne die Grundlagen<br />

von Überzeugungen, die von der Krise als solcher unberührt bleiben. Wenn nämlich<br />

alle eine Lebenspraxis habitualisirenden Überzeugungen gewissermaßen auf einmal in eine<br />

Krise gerieten, dann läge nicht mehr nur die Situation des berechtigten Zweifels an einem<br />

bislang bewährten Wissen vor, sondern dann wäre die tödliche Situation der Verzweiflung<br />

eingetreten“ (Oevermann, Überlegungen zur Integration und Synthesis der begrifflichen<br />

und methodischen Instrumentarien der Forschungen im Sonderforschungsbereich/FK<br />

435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“, unveröffentlichtes Manuskript,<br />

Frankfurt am Main, 2000)“ (Wagner 2001, 194 f.).<br />

• Die Überzeugungen bilden sich grundlegend in den frühen und frühesten Mutter-Kind-<br />

Beziehungen, d.h. im Zusammenhang mit dem symbiotischem Formenkreis und den Vorgängen<br />

bei Schwangerschaft und Geburt und differenzieren sich dann im weiteren Verlauf<br />

des Lebens aus. Eine gelingende Symbiose und ein gelingender Geburtsvorgang führen<br />

dabei zur Entwicklung von Urvertrauen und Selbstvertrauen. (Vgl. Wagner, 2001, 195).<br />

• Das Kind erreicht das Ziel der Sozialisation, seine Autonomie, nur, wenn es sich aus der<br />

Symbiose löst. „Das Kind muss sich gleichsam, um Autonomie zu erlangen, aus der<br />

schützenden Symbiose heraustransformieren.“ Deshalb muss der Bildungsprozess an dem<br />

anderen, gegenüberliegenden Pol die Symbiosen und Schutzräume immer wieder durch<br />

Ablösung in Richtung eigener Unabhängigkeit und Autonomie aufbrechen und hinter sich<br />

lassen. Das sich bildende Leben muss dabei notwendig die ursprünglich schützenden Instanzen<br />

als hinderliche Fesseln durchschneiden, sich von den geliebten Instanzen, die sich<br />

für es aufgeopfert haben, als lästigen „Hemmschuhen“ trennen.<br />

67 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005

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