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Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

• Die Bewährungsdynamik von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung ist<br />

grundsätzlich nicht stillstellbar, d.h. ein für alle mal zu bewältigen. Das Bewährungsproblem<br />

stellt sich immer wieder von neuem, da zur Routine gewordene Krisenlösungen<br />

angesichts der sich im Lebensvollzug ergebenden neuen Handlungsprobleme<br />

immer wieder der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetzt sind und zu neuen<br />

Entscheidungskrisen führen.<br />

• Der Mensch kann, „je radikaler ihm die Paradoxie der Bewährungsproblematik zu<br />

Bewusstsein kommt, diese praktisch lebbar nur aushalten, wenn ihm positive Kriterien<br />

der Bewältigung und praktisch wirksame Anzeichen davon zur Verfügung stehen,<br />

wenn er sich rückblickend und vorblickend auf einen „record“ bzw. eine Agenda von<br />

Bewährungen verbindlich berufen kann. Die nicht stillstellbare Bewährungsdynamik<br />

erfordert also eine Bewährungsmythos, der grundsätzlich über Herkunft und Zukunft<br />

sowie die aktuelle Identität der eigenen Lebenspraxis verbindlich so Auskunft geben<br />

kann, dass darin die Unverwechselbarkeit der eigenen Lebenspraxis verbürgt ist. Der<br />

(Bewährungs-) Mythos muss also die berühmten drei Fragen – Wer bin ich (sind wir)?<br />

Woher komme ich (kommen wir)? Wohin gehe ich (gehen wir)? – verbindlich und unverwechselbar<br />

für eine konkrete Lebenspraxis beantworten.<br />

Darin besteht seine universelle Funktion. ... Für magische Kulturen sind die verschiedenen<br />

Typen konkreter Herkunftserzählungen bekannt. Dogmatisch ausgestaltete Religionen<br />

gründen zwingend auf systematisierte Schöpfungs- und Erlösungsmythen,<br />

und a-religiöse, säkularisierte Kulturen stellen an die Stelle solcher Mythen“ Ethiken,<br />

die auf eine diesseitige Autonomie bezogen sind, wie z.B. Leistungsethiken. ... „ Mit<br />

den Antworten des Bewährungsmythos ist die Bewährungsdynamik zwar nicht stillgestellt,<br />

aber der Umgang mit ihr praktisch lebbar gemacht worden“ (Oevermann 1995,<br />

64-65).<br />

• Damit der Mythos die Kraft einer glaubwürdigen Beruhigung des Lebens angesichts<br />

der Bewährungsdynamik besitzt, bedarf der Mythos einer suggestiven Einsichtigkeit<br />

und Überzeugungskraft. Diese suggestive Evidenz, die aus der Sache heraus ja primär<br />

nicht argumentativ und begründend sein kann, sondern eben „Glaubenssache“ ist, ist<br />

an ein kollektives Verbürgt-Sein, an überzeugungssichernde Vergemeinschaftungsformen<br />

gebunden. Dies gilt sowohl für religiöse Bewährungsmythen als auch für säkularisierte<br />

Bewährungsmythen wie etwa Leistungsethiken, die auf die Autonomie des<br />

einzelnen bezogen sind und die Hingabe an eine Sache oder Aufgabe erfordern. (11)<br />

______________________________<br />

(11) „Von einer Person, die mutig der offenen Zukunft zugewandt Krisenkonstellationen auf sich nimmt, ihnen<br />

nicht ausweicht und sie zu meistern sucht, kann man sagen, dass sie in Selbstvertrauen, also in Vertrauen auf ihr<br />

eigenes Problemlösungscharisma, ihr Leben vollzieht. Wenn sie über dieses Selbstvertrauen in religiöser Glaubenshaltung<br />

verfügt, kann man eben so gut sagen, dass sie von Gottvertrauen beseelt ist. ... Gemeinsam liegt<br />

ihnen zu Grunde, was sich soziologisch als die grundlegendste aller Habitusformationen bezeichnen lässt: ein<br />

struktureller Optimismus nach der Formel “Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“, dem der strukturelle Pessimismus<br />

„Im Zweifelsfalle wird es schief gehen“ als allgemeinste Formel der Verhinderung von neuen Erfahrungen<br />

und der Vermeidung von Chancen für Neues entgegenstünde. Die allgemeinste Bedingung für die Aneignung<br />

einer solchen, einen strukturellen Optimismus der Lebensführung ausmachenden Habitusformation ist in der mit<br />

einer erfolgreichen Geburt abgeschlossenen Embryogenese und Schwangerschaft zu sehen. Denn dem Organismus,<br />

der diese Häufung von zu bewältigenden Krisen, wovon der Geburtsvorgang selbst gewissermaßen einen<br />

Höhepunkt darstellt, bewältigt hat, ist damit die Formel des strukturellen Optimismus ins Körpergedächtnis<br />

eingeschrieben worden. Es ist dies gewissermaßen die Formel der ursprünglichen Positivität des Lebens selbst“<br />

(Oevermann 2001a, 295).<br />

© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 64

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