Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Mögliche Vereinseitigungen der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen Bezüglich der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen sind typisierend Vereinseitigungen in Richtung Intimisierung und Technologisierung sowohl auf Seiten der Mitarbeiterin/ des Mitarbeiters wie auf Seiten der Leitung darstellbar. L L L Auf Seiten der Mitarbeiterin/ des Mitarbeiters • Der Mitarbeiter fällt aus der Rolle, er kann Herausforderungen und Konflikte nicht angemessen i.R.v. Rollenhandeln handhaben und lösen und greift statt dessen „ersatzweise“ auf Haltungen und Konstellationen aus dem familialen Sozialisationssystem zurück, was zu einer unangemessenen Übertragung primärer familialer Reaktionsweisen führt (Intimisierung/ Familialisierung). • Der Mitarbeiter zieht sich in Rolle zurück, lässt sich nichts zu Schulden kommen, macht aber „Dienst nach Vorschrift“, ist als Person nicht erreichbar, z.B. „innere Kündigung“ (Technologisierung) Auf Seiten der Leitung • Die Leitung fällt aus der Rolle, sie kann Herausforderungen und Konflikte nicht angemessen innerhalb der Leitungsrolle handhaben und lösen und greift statt dessen ersatzweise auf Haltungen und Konstellationen aus dem familialen Sozialisationssystem zurück, was zu einer unangemessenen Übertragung primärer familialer Reaktionsweisen führt (Intimisierung/ Familialisierung). • Die Leitung stellt innerhalb ihrer Leitungsrolle keine Verbindung zum Mitarbeiter als ganzer Person her, d.h. sie kann oder will sich nicht in die Situation des Mitarbeiters als ganze Person innerhalb seiner Mitarbeiterrolle hineinversetzen (Technologisierung) • oder sie bezieht sich in einer nur äußerlichen Weise auf den Mitarbeiter als ganze Person innerhalb einer Mitarbeiterrolle. D.h., die Leitung bezieht sich auf den Mitarbeiter als ganze Person, aber ohne eigene innere Anteilnahme und Beteiligung als ganze Person (manipulative Formen der Mitarbeiterführung- und –entwicklung, Psycho-Technologie ). Abb. 16: Vereinseitigungen der LeiterInnen-MitarbeiterInnen-Beziehungen © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 60
Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 1.7 Das Arbeitsbündnis und die Autonomie der Lebenspraxis 1.7.1 Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis Der Ansatz einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie verweist auf ein strukturtheoretisches Modell von Lebenspraxis und ihrer Autonomie (Oevermann 1995, 1997c, 2001a, 2001b). Autonomie und Bewährungsdynamik menschlichen Lebens als widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung • Die stellvertretende Übernahme von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung in der Praxis beruflicher sozialer Arbeit wie in der primären familialen Sozialisation verweist auf strukturelle Grundbestimmungen, die für jede Lebenspraxis, sei es die Lebenspraxis eines einzelnen Individuums, die einer Familie, einer sozialen Gemeinschaft oder einer ganzen Gesellschaft gelten: Angesichts knapper materieller und psychosozialer Ressourcen und einer Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Zeit ist jede Lebenspraxis beständig und dauerhaft unter einen lebenspraktischen Entscheidungszwang gestellt. • Nicht-Entscheidung kann diesen Entscheidungszwang nicht grundsätzlich unterlaufen, da sich damit gleichsam automatisch bestimmte Konsequenzen und damit die Selektion von Handlungsmöglichkeiten einstellen. In den handlungspraktischen Routinen des Alltags verbirgt sich dieser Entscheidungszwang praktisch meist unbemerkt, dramatisch zum Ausdruck kommt er dagegen in lebenspraktischen Krisensituationen, in denen als Bestandteil der Krisensituation gerade nicht auf Entscheidungsregeln zurückgegriffen werden kann.(8) • Die Autonomie einer Lebenspraxis erweist, bewährt und entwickelt sich nun gerade darin, dass sie in einer praktischen Krisensituation, in der ja bestimmte Entscheidungsregeln nicht mehr greifen, dennoch eine Entscheidung trifft und dabei den Anspruch auf Begründbarkeit, auch wenn er zeitgleich gerade nicht einlösbar ist, grundsätzlich nicht aufgibt. Diese widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung, im Bereich z.B. ärztlichen professionalisierten Handelns noch deutlich gesteigert, macht die Bewährungsdynamik einer jeden Lebenspraxis aus. ______________________________ (8) „In diesem Modell ist natürlich auch eine Entscheidung durch Zufall ausgeschlossen. Sie wäre in zentralen Fragen der Lebensführung nicht nur explizit irrational im Sinne der Verleugnung der Autonomie als Lebensaufgabe, sondern auch die Sittlichkeit der Sozialität zerstörend. Würde man z.B. einem Ehepartner nachträglich eröffnen, man habe über die Heiratsentscheidung letztlich gewürfelt, so würde man der gemeinsamen Lebenspraxis damit ihren bindenden Grund entziehen und zugleich den Partner entwürdigen. Dieser könnte dann über ein daraus folgendes Scheidungsbegehren, sollte er darüber noch im Zweifel sein, seinerseits nicht würfeln, wenn er nicht die Verletzung seiner Würde und der Sittlichkeit der Sozialität als solche reproduzieren will. Einfacher formuliert: Der in seiner Würde verletzte Partner kann nicht zurückwürfeln, sondern nur zurück-schlagen“ (Oevermann 1995, S.39.) 61 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005
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