Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Die Autonomie der Eltern/ gesetzlichen Betreuern kommt ja gerade darin zum Ausdruck, dass<br />
sie sich eigenverantwortlich und selbständig stellvertretend für ihr Kind um eine angemessene<br />
Hilfeleistung oder Unterstützung bemühen.<br />
Eine Überlagerung von Unterstützungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Fachkraft und<br />
Eltern mit einer Klientenrolle der Eltern erfolgt allerdings dann, wenn die Eltern aufgrund<br />
einer eigenen Autonomieeinschränkung ihre autonomiefördernden Stellvertretungsaufgaben<br />
für ihr Kind nicht angemessen wahrnehmen können. Umgekehrt können natürlich auch Fachkräfte<br />
mit ihren autonomiefördernden Stellvertretungsaufgaben für ihre Klienten überfordert<br />
sein, was dann ein Professionalisierungsdefizit darstellt.<br />
Mit einer Überlagerung der Erziehungs- und Unterstützungspartnerschaft durch Elemente<br />
einer Klientenrolle der Eltern ist regelmäßig dann zu rechnen, wenn ihr Kind bzw. die Krisenkonstellation<br />
ihres Kindes sie selbst in eine eigene Krisenkonstellation gebracht hat,<br />
die sie selbständig und eigenverantwortlich nicht mehr angemessen bewältigen können oder<br />
zumindest eine große Gefahr zu einer solchen Entwicklung besteht.<br />
Der fallverstehenden Diagnostik sowohl der einzelnen Familienmitglieder als auch der Familie<br />
als ganzer kommt in diesen Situationen eine entscheidende Bedeutung zu. Das Arbeitsbündnis<br />
zwischen Fachkraft und Eltern muss sich in solchen Konstellationen differenzieren,<br />
z.B. intern als Erweiterung zu einem Mehrpersonensetting auch mit speziellen Angeboten für<br />
die Eltern. Oder aber es müssen weitere Hilfe- und Unterstützungsangebote außerhalb vermittelt<br />
oder initiiert werden (vgl. hierzu beispielhaft aus dem Bereich früher Hilfen: Barth 1998,<br />
Brisch 2000, v. Hofacker 1998, Papousek 1998, Pedrina 2001).<br />
Aber selbst bei Psychotherapien der Eltern ist in einem erziehungspartnerschaftlichen Sinne<br />
an die Kinder mitzudenken und sind die möglichen Auswirkungen auf die Eltern-Kind-<br />
Interaktion mitzubedenken. Partnerschaft und gemeinsame Verantwortung wird auch gerade<br />
am Grenzfall deutlich.<br />
Der angemessene Umgang mit der Triade Fachkraft-Klient-Eltern bedeutet in einer professionalisierten<br />
Praxis auch, ihre jeweilige Funktion und Dynamik in Abhängigkeit von Alter<br />
und Problemkonstellation des Kindes und der Eltern zu verstehen und angemessen zu gestalten.<br />
Dabei stellt diese triadische Beziehungsstruktur, ähnlich der primären familialen Sozialisation,<br />
eine widersprüchliche Einheit mit spezifischen Ausschließungstendenzen und Grenzziehungsproblematiken<br />
dar. So kann es z.B. zu einer unbewussten Übernahme der Elternrolle<br />
durch die Fachkraft i. S. e. Eltern-Ersatzes kommen (vgl. z.B. Völpert 1985, Bauriedl 1994).<br />
Ebenso ist es möglich, dass sich die Eltern von sich aus oder von außen gedrängt, in eine Therapeutenrolle<br />
gegenüber ihrem Kind begeben. Schließlich können auch Kinder i. S. e. überwachenden<br />
und sanktionierenden Elternrolle von den Erwachsenen erlebt werden<br />
(Parentifizierung)( vgl. z.B. Stierlin 1984).<br />
Auf der Ebene von Paarbildungen kann es entsprechend zu einer Allianz von Fachkraft und<br />
Eltern gegen das Kind kommen, in der dessen Behinderung, Auffälligkeit oder Eigensinnigkeit<br />
ungeschehen gemacht werden soll (vgl. Milani Comparetti 1985). Ebenso sind<br />
Paarbildungen zwischen Eltern und Kindern gegen die Fachkraft wie Paarbildungsangebote<br />
der Fachkraft gegenüber den Kindern und gegen die Eltern denkbar, welche die Kinder jeweils<br />
in Loyalitätskonflikte bringen können. Oft sind viele dieser Vereinseitigungen und Verstrickungen<br />
zunächst unvermeidbar. Halten sie aber auf Dauer an und verfestigen sich, so<br />
ergeben sich Blockierungen von Entwicklung und Autonomie.<br />
45 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005