Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 1.2. Zum Begriff der Professionalisierung 1.2.1 Das Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit Professionalisierung versus Spezialisierung und Expertisierung • Unabhängig von der konkreten historischen Erscheinungsform der verschiedenen Berufe und Berufsfelder liegt im Bereich beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie eine grundsätzliche Professionalisierungsbedürftigkeit i. S. e. angemessenen Handhabung des Arbeitsbündnisses mit einem Klienten und damit der Gleichzeitigkeit diffuser und spezifischer Beziehungskomponenten vor. • Im Bezugsrahmen einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie liegt entsprechend bei Berufen, die tradiertes Berufswissen oder wissenschaftliches Wissen auf ausschließlich technische Probleme anwenden, wie im Handwerk oder den Ingenieur- wissenschaften, kein Professionalisierungserfordernis vor. In allen diesen Berufen und Berufsbereichen handelt es sich entsprechend um Prozesse der Verberuflichung, der Spezialisierung und Expertisierung sowie der Qualifizierung, nicht aber um Professiona- lisierungsprozesse. • Ein Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit kann sich auf grundsätzlich zwei Ebenen ergeben: • Auf der Ebene des Arbeitsbündnisses als einer konkret-personalen Beziehungspraxis in der Gleichzeitigkeit diffus-spezifischer Beziehungskomponenten, die es fallverstehend und autonomisierend zu gestalten gilt. Ein Professionalisierungs-erfordernis auf der Ebene des Arbeitsbündnisses gilt grundsätzlich für alle Bereiche beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie. • Auf der Wissensebene als Notwendigkeit einer über die fachliche Ausbildung hinausgehenden wissenschaftlichen Ausbildung aufgrund einer ausgesprochenen wissenschaftlichen Begründungsnotwendigkeit. beruflichen Handelns. Dies ist zwingend nicht für alle Bereiche beruflicher sozialer Arbeit, notwendig z.B. aber für die moderne Medizin. Wissenschaftliches Handeln folgt dabei selbst der Logik eines Arbeitsbündnisses: Der Wissenschaftler, als ganze Person betroffen und engagiert, prüft, freigestellt von praktischem Handlungsdruck, stellvertretend für die Gesellschaft als ganzer die Geltung von Wahrheitsbehauptungen. Durch wissenschaftlichen Fortschritt kann er damit die Steuerungsfähigkeit/ Autonomie der Gesellschaft als ganzer erheblich erweitern und unterstützen. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 38

Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Kunstlehre und professioneller Habitus Die Konzeptualisierung und Organisierung von Professionalisierungsprozessen auf der Ebene des Arbeitsbündnisses kann sich an den Prozessen beruflicher Sozialisation in voll durchprofessionalisierten Bereichen (z.B. Mediziner und Rechtsanwalt) orientieren. • Nach einer theoretischen Ausbildungsphase eignet sich das künftige Professionsmitglied in einer anwendungsbezogenen, d.h. fallorientierten praktischen Phase der beruflichen Sozialisation eine Kunstlehre als berufsspezifische Anwendungslehre fachlicher Wissensbestände an. Diese Kunstlehre umfasst neben typischen Verfahrens- und Vorgehensweisen, d.h. typischen fachlichen Routinen, auch den Erwerb eines berufsspezifischen Habitus. • Dieser Habitus beruht sowohl auf systematischem als auch auf intuitivem Wissen, er beinhaltet eine berufsspezifische, die ganze Person des Professionellen betreffende Wahrnehmungseinstellung und Haltung gegenüber seinem Klienten und unterscheidet sich damit deutlich von einer Jobmentalität gegenüber Beruf und Klientel. • Der Habitus als berufsspezifische Wahrnehmungseinstellung und Haltung betrifft also sowohl ihren Träger, d.h. die Fachkraft, als ganze Person, ist aber auch auf den Klienten als ganze Person bezogen. (diffuse Beziehungskomponente).Er hat auch die Bedeutung einer besonderen Abkürzungsstrategie des Fallverstehen im beruflichen Handeln, um unter praktischem Handlungsdruck möglichst schnell zu einer fachlich-fallbezogenen Orientierung und Strukturierung des beruflichen Handelns zu gelangen. Man könnte auch sagen, es gibt so etwas wie einen typischen „beruflichen Blick“ des Arztes, des Therapeuten, des Rechtsanwaltes, des Pädagogen, des Pflegers usw., mit dem diese möglichst schnell zu einer Orientierung ihres beruflichen Handelns zu kommen versuchen. • Angeeignet wird der Habitus in voll professionalisierten Berufen vor allem in kollegialen Lehrer-Schüler-Beziehungen, in denen der Schüler nicht infantilisiert, sondern i. S. e. „als-ob-Prinzips“ immer schon als Kollege angesprochen wird. 39 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005

<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

Kunstlehre und professioneller Habitus<br />

Die Konzeptualisierung und Organisierung von Professionalisierungsprozessen auf der Ebene<br />

des Arbeitsbündnisses kann sich an den Prozessen beruflicher Sozialisation in voll durchprofessionalisierten<br />

Bereichen (z.B. Mediziner und Rechtsanwalt) orientieren.<br />

• Nach einer theoretischen Ausbildungsphase eignet sich das künftige Professionsmitglied<br />

in einer anwendungsbezogenen, d.h. fallorientierten praktischen Phase der beruflichen<br />

Sozialisation eine Kunstlehre als berufsspezifische Anwendungslehre fachlicher Wissensbestände<br />

an. Diese Kunstlehre umfasst neben typischen Verfahrens- und Vorgehensweisen,<br />

d.h. typischen fachlichen Routinen, auch den Erwerb eines berufsspezifischen Habitus.<br />

• Dieser Habitus beruht sowohl auf systematischem als auch auf intuitivem Wissen, er beinhaltet<br />

eine berufsspezifische, die ganze Person des Professionellen betreffende Wahrnehmungseinstellung<br />

und Haltung gegenüber seinem Klienten und unterscheidet sich damit<br />

deutlich von einer Jobmentalität gegenüber Beruf und Klientel.<br />

• Der Habitus als berufsspezifische Wahrnehmungseinstellung und Haltung betrifft also<br />

sowohl ihren Träger, d.h. die Fachkraft, als ganze Person, ist aber auch auf den Klienten<br />

als ganze Person bezogen. (diffuse Beziehungskomponente).Er hat auch die Bedeutung<br />

einer besonderen Abkürzungsstrategie des Fallverstehen im beruflichen Handeln, um unter<br />

praktischem Handlungsdruck möglichst schnell zu einer fachlich-fallbezogenen Orientierung<br />

und Strukturierung des beruflichen Handelns zu gelangen. Man könnte auch sagen,<br />

es gibt so etwas wie einen typischen „beruflichen Blick“ des Arztes, des Therapeuten,<br />

des Rechtsanwaltes, des Pädagogen, des Pflegers usw., mit dem diese möglichst<br />

schnell zu einer Orientierung ihres beruflichen Handelns zu kommen versuchen.<br />

• Angeeignet wird der Habitus in voll professionalisierten Berufen vor allem in kollegialen<br />

Lehrer-Schüler-Beziehungen, in denen der Schüler nicht infantilisiert, sondern i. S. e.<br />

„als-ob-Prinzips“ immer schon als Kollege angesprochen wird.<br />

39 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005

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