Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 AH 5: Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess nach Schneewind Adaptiert nach Schneewind 1998, 164-165. In: Oerter/ Montada 1998 Metaentwicklungsaufgaben im Familienlebenszyklus Familien bzw. familienähnliche Lebensformen sind Prototypen von Personensystemen, innerhalb derer mehr oder minder enge persönliche Beziehungen bestehen. Zum einen stellen diese Personensysteme den Kontext für das Verhalten, Erleben und die Entwicklung des einzelnen dar; zum anderen wirkt aber auch der einzelne durch seine Lebensäußerungen auf die Art der Beziehungsgestaltung dieses Personensystems zurück (vgl. White & Woolett, 1992; Schneewind, 1992). Gelebte Beziehungen äußern sich im gemeinschaftlichen Lebensvollzug, welcher im Alltag unzählige Herausforderungen der Lebensbewältigung mit sich bringt. Diese Herausforderungen werden gewöhnlich als Familienentwicklungsaufgaben bezeichnet, die an spezifische Situationen und Phasen im Familienlebenszyklus gekoppelt sind und – wenn alles gut geht – sich von der Partnerfindung über Elternschaft, Ablösung der Jugendlichen bzw. von den Jugendlichen, Partnerverlust etc. bis zum Aussterben des Partnersystems erstrecken. Abweichungen und Verzweigungen von diesem normativen Konzept des Familienlebenszyklus (z.B. durch frühzeitigen Tod, Trennung oder Scheidung) haben eine Fülle neuer Beziehungskonstellationen zur Folge (z.B. alleinerziehende Eltern, Stieffamilien), für die sich ebenfalls entsprechende Familienentwicklungsaufgaben formulieren lassen. Wie auch immer die korrekten Familienformen und zugehörigen Entwicklungsaufgaben aussehen: Dadurch, dass sich Familien diesen Aufgaben stellen, sie durch gemeinsames Handeln zu bewältigen versuchen und zugleich im Handlungsvollzug bestehende Kompetenzen konsolidieren bzw. sich neu aneignen, entsteht eine besondere Beziehungsqualität zwischen den Mitgliedern des Personensystems „Familie“. Diese kann man als Verbundenheit bezeichnen. Verbundenheit ist eine Variable, die sowohl individuelles Verhalten und Erleben als auch die Beziehungsqualität von Familiensystemen beschreibt. Nun findet innerhalb und außerhalb von Familien auch individuelle Entwicklung statt. Sie orientiert sich an individuellen Entwicklungsaufgaben, äußert sich in individuellem Handeln und führt zur Ausbildung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die sich im Lebensgang einer Person entfaltenden Handlungs-spielräume und Kompetenzmuster lassen sich unter dem Begriff Autonomie zusammenfassen. Autonomie ist somit zunächst ein personenbezogenes Konzept, das erst dann eine Systembeschreibung beinhaltet, wenn es mit der Gewährung individueller Entwicklungsmöglichkeiten im Kontext des Beziehungssystems „Familie“ in Verbindung gebracht wird. Wird Autonomie als systembeschreibender Begriff verwendet, so lässt sich genauer von zugestandener Autonomie sprechen. Die im Kontext von Verbundenheit und zugestandener Autonomie ablaufenden familiären und individuellen Entwicklungsprozesse stellen zum einem sich wechselseitig beeinflussende Größen dar (vgl. Abb. 3.9). Zum anderen sind Verbundenheit und zugestandene Autonomie zwei zentrale Metaentwicklungsaufgaben, welche die im Familienlebenszyklus alters- und situationsspezifisch auftretenden Familienentwicklungsaufgaben überlagern. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 Kapitel 1, Anhang 6

Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Fam ilien- Entwicklungs- Aufgaben G em einsam es Handeln Fam ilien- Kom petenz Verbundenheit G egenseitigkeit Individuelle Entwicklungs- Aufgaben Individuelles Handeln Individuelle Kom petenz Zugestandene Autonom ie Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess Nicht immer führen jedoch familiär-gemeinschaftliches und individuelles Handeln zu einer problemlosen wechselseitigen Ergänzung. Im Wechselspiel von Individualität und Gemeinschaftlichkeit können sich vielmehr auch mehr oder minder schwerwiegende Konflikte ergeben. Die Folge ist, dass die im bisherigen Beziehungs-prozess des Familiensystems eingepegelte relative Balance von Verbundenheit und zugestandener Autonomie auf eine harte Probe gestellt wird und gegebenenfalls ein neues Austarieren dieser beiden Familiensystem-variablen erforderlich macht. Wynne (1985, p. 131f.) bezeichnet den hierfür erforderlichen Prozess als Gegenseitigkeit und meint, Gegenseitigkeit beginnt „mit dem Erkennen von Schwierigkeiten, die nicht im Rahmen des bisherigen Beziehungsmuster gelöst werden können, sondern vielmehr eine Umarbeitung derselben und manchmal einen Übergang zu neuen Mustern bedingen... Dies verlangt eine offene Bestandsaufnahme der vorhandenen Beziehungsqualität und der Umstände, die diese beeinflussen, z.B. Krankheit, Wachstum, Älterwerden der Familienmitglieder, Veränderungen im familiären Lebenszyklus, Engagement in anderen Systemen (Beruf, erweiterte Familie, Freunde usw.)“ Gegenseitigkeit gewinnt damit – neben Verbundenheit und zugestandener Autonomie – den Status einer dritten zentralen Metaentwicklungsaufgabe im Familienentwicklungsprozess. Neue Gegenseitigkeit kann sich abrupt oder als Konsequenz eines mehr oder minder langfristigen Aushandelns neuer Prioritäten im Sinne einer veränderten Balance von Verbundenheit und zugestandener Autonomie einstellen. Auch die Beendigung des bisherigen Beziehungssystems (z.B. bei einer Scheidung) führt zu einem neuen Arrangement von Gegenseitigkeit, was sich – wenn auch nicht selten mit erheblichen Schwierigkeiten – auf lange Dauer in geringer Verbundenheit und größerer zugestandener Autonomie äußert. Im Hinblick auf die in Abschnitt 3 dargestellte These, wonach in unserem Kulturbereich gesellschaftlicher Wandel zu einer Optionserweiterung der menschlichen Lebensgestaltung geführt hat, die sich auch im partnerschaftlichen und familiären Bereich äußert, gewinnt das Aushandeln von Gegenseitigkeit im Sinne eines Austarierens von Verbundenheit und zugestandener Autonomie für die Entwicklung familiärer Beziehungs-systeme besondere Bedeutung. Hierzu stehen der familienentwicklungspsychologischen Forschung und Anwendungspraxis zwei strategisch unterschiedliche Zugangsweisen offen: zum einen ein nicht-interventiver Ansatz, in dem durch eine längsschnittliche Begleitung von Familiensystemen die Veränderungen in der Balance von Verbundenheit und zugestandener Autonomie für die Persönlichkeitsentwicklung der einzelnen Familien-mitglieder erkennbar gemacht werden; zum anderen ein interventiver Ansatz bei dem es darum geht, auf dem Wege wissenschaftlich kontrollierter Prävention, Beratung und Therapie die Familie als Ganzes, einzelne Subsysteme oder auch einzelne Familienmitglieder in ihrem Bemühen um neue Formen von Gegenseitigkeit zu unterstützen. Für beide strategische Zugangsweisen kann das in Abschnitt 2 dargestellte Familiensystemmodell mit entwicklungsbezogenen Stressoren und Ressourcen ein theoretischer Orientierungsrahmen sein, der für die Forschung wie für die Anwendungspraxis gleichermaßen hilfreich ist. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 Kapitel 1, Anhang 5

<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

AH 5: Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess<br />

nach Schneewind<br />

Adaptiert nach Schneewind 1998, 164-165. In: Oerter/ Montada 1998<br />

Metaentwicklungsaufgaben im Familienlebenszyklus<br />

Familien bzw. familienähnliche Lebensformen sind Prototypen von Personensystemen, innerhalb derer mehr<br />

oder minder enge persönliche Beziehungen bestehen. Zum einen stellen diese Personensysteme den Kontext für<br />

das Verhalten, Erleben und die Entwicklung des einzelnen dar; zum anderen wirkt aber auch der einzelne durch<br />

seine Lebensäußerungen auf die Art der Beziehungsgestaltung dieses Personensystems zurück (vgl. White &<br />

Woolett, 1992; Schneewind, 1992).<br />

Gelebte Beziehungen äußern sich im gemeinschaftlichen Lebensvollzug, welcher im Alltag unzählige Herausforderungen<br />

der Lebensbewältigung mit sich bringt. Diese Herausforderungen werden gewöhnlich als Familienentwicklungsaufgaben<br />

bezeichnet, die an spezifische Situationen und Phasen im Familienlebenszyklus gekoppelt<br />

sind und – wenn alles gut geht – sich von der Partnerfindung über Elternschaft, Ablösung der Jugendlichen bzw.<br />

von den Jugendlichen, Partnerverlust etc. bis zum Aussterben des Partnersystems erstrecken. Abweichungen und<br />

Verzweigungen von diesem normativen Konzept des Familienlebenszyklus (z.B. durch frühzeitigen Tod, Trennung<br />

oder Scheidung) haben eine Fülle neuer Beziehungskonstellationen zur Folge (z.B. alleinerziehende Eltern,<br />

Stieffamilien), für die sich ebenfalls entsprechende Familienentwicklungsaufgaben formulieren lassen.<br />

Wie auch immer die korrekten Familienformen und zugehörigen Entwicklungsaufgaben aussehen: Dadurch, dass<br />

sich Familien diesen Aufgaben stellen, sie durch gemeinsames Handeln zu bewältigen versuchen und zugleich<br />

im Handlungsvollzug bestehende Kompetenzen konsolidieren bzw. sich neu aneignen, entsteht eine besondere<br />

Beziehungsqualität zwischen den Mitgliedern des Personensystems „Familie“. Diese kann man als Verbundenheit<br />

bezeichnen. Verbundenheit ist eine Variable, die sowohl individuelles Verhalten und Erleben als auch die<br />

Beziehungsqualität von Familiensystemen beschreibt.<br />

Nun findet innerhalb und außerhalb von Familien auch individuelle Entwicklung statt. Sie orientiert sich an individuellen<br />

Entwicklungsaufgaben, äußert sich in individuellem Handeln und führt zur Ausbildung individueller<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die sich im Lebensgang einer Person entfaltenden Handlungs-spielräume und<br />

Kompetenzmuster lassen sich unter dem Begriff Autonomie zusammenfassen. Autonomie ist somit zunächst ein<br />

personenbezogenes Konzept, das erst dann eine Systembeschreibung beinhaltet, wenn es mit der Gewährung<br />

individueller Entwicklungsmöglichkeiten im Kontext des Beziehungssystems „Familie“ in Verbindung gebracht<br />

wird. Wird Autonomie als systembeschreibender Begriff verwendet, so lässt sich genauer von zugestandener<br />

Autonomie sprechen.<br />

Die im Kontext von Verbundenheit und zugestandener Autonomie ablaufenden familiären und individuellen<br />

Entwicklungsprozesse stellen zum einem sich wechselseitig beeinflussende Größen dar (vgl. Abb. 3.9). Zum<br />

anderen sind Verbundenheit und zugestandene Autonomie zwei zentrale Metaentwicklungsaufgaben, welche<br />

die im Familienlebenszyklus alters- und situationsspezifisch auftretenden Familienentwicklungsaufgaben überlagern.<br />

© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 6

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