Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Anhang zur Rahmenkonzeption<br />
<strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 1-7<br />
AH 1: Das Stadien- und Krisenmodell des Lebenslaufes nach Erikson<br />
Adaptiert nach Montada 1998, 64-65, In: Oerter/ Montada 1998<br />
Eriksons Theorie der Persönlichkeitsentwicklung<br />
Erikson ( 1973) baut auf Freuds Entwicklungsmodell auf. Er steht in der organismischen Tradition.<br />
Er unterschied acht Hauptstadien während des Lebenslaufes, die er alle als spezifische<br />
Konflikte oder Krisen charakterisierte. Wenn es nicht gelingt, die stadientypischen Krisen zu<br />
bewältigen, endet das in bleibenden Persönlichkeitsstörungen. Erikson postuliert diese Stadien<br />
als universell, was jedoch empirisch nicht belegt ist. Er sieht die folgenden Themen dieser<br />
krisenhaften Konflikte als zentral an:<br />
(1) Vertrauen vs. Misstrauen (1. Lj.). Es geht hier um die Entwicklung eines günstigen Verhältnisses von Vertrauen<br />
und Misstrauen. Vertrauen in die Verlässlichkeit und Zuneigung der Pflegepersonen nimmt Ängste. Wird<br />
das Vertrauen bestätigt, entwickelt sich Selbstvertrauen und Sicherheit. Erikson beschreibt, was in der Bindungstheorie<br />
„sichere Bindung an die Mutter“ genannt wird (Ainsworth et al., 1978; Grossmann & Grossmann, 1991).<br />
Ein gewisses Maß an Misstrauen ist nützlich, um nicht vertrauenswürdigen Personen angemessen zu begegnen<br />
und Gefahren zu erkennen. Misstrauen im Sinne von Vorsicht ist gemeint, nicht im Sinne von generalisierten<br />
Zweifeln in die Vertrauenswürdigkeit anderer, die eine soziale Isolation zur Folge hätten.<br />
(2) Autonomie vs. Scham und Zweifel (3. Lj.). Erikson beschreibt mehrere Themen, die die Entwicklung des<br />
Selbst in Auseinandersetzung mit Autoritäten und Regeln betreffen. Das erste ist der Konflikt zwischen Autonomie<br />
(Selbstständigkeitsstreben) und Abhängigkeit. Autonomiestreben wird durch Vertrauen erleichtert, durch<br />
angemessene Unterstützung und Gewährenlassen gefördert, durch autoritäre Gehorsamsforderung gestört. Autonomie<br />
bedeutet Verfolgung der eigenen Ziele. Das kann in Konflikt geraten mit vorgegebenen Regeln. Die<br />
Sauberkeitserziehung ist ein prototypisches Beispiel. Die Entsprechung zu Freuds analer Phase ist offenkundig.<br />
Scham entsteht, wenn die Regeln des Anstandes nicht eingehalten werden können. Scham entsteht auch, wenn<br />
die eigenen Vorhaben misslingen. Zweifel tauchen auf, ob die Vorhaben gelingen, ob die Regeln eingehalten<br />
werden können, ob die Vorhaben gestattet werden können. Erikson sieht in dieser Phase die grundlegende Problemstellung,<br />
ob wir die Regeln beherrschen, mit denen wir die Welt und das Leben einfacher machen können,<br />
oder ob die Regeln uns beherrschen.<br />
(3) Initiative vs. Schuldgefühle (4. und 5. Lj.). Die Kinder haben bereits ein Ich-Bewusstsein. Es geht in diesem<br />
Stadium um die Frage, welches Ich sie sein wollen. Typischerweise sind die Eltern erste Ideale, und sie werden<br />
idealisiert wahrgenommen als mächtig, wissend schön. Die Identifikation mit den Eltern ist ein Charakteristikum<br />
dieser Phase, insofern mit Freuds phallischer oder Ödipus-Phase verwandt. Die Bildung des Gewissens durch die<br />
Identifikation mit den Eltern, die Identifikation mit geschlechtstypischen Präferenzen, die Übernahme von Einstellung<br />
sind die Entwicklungsthemen. Aber es gibt weitere bewunderte und manchmal gefürchtete Helden des<br />
realen Lebens und in der Welt der Phantasien, an denen man sich orientiert und die man in den Spielen darstellt.<br />
Erikson beschreibt dieses Stadium aber auch als Phase des Machens, der Initiativen, der Erkundung der Welt, der<br />
kreativen Phantasie, der unersättlichen Wissbegier, der Bildung sozialer Kontakte außerhalb der Familie, der<br />
Eroberung sozialer Positionen in Gemeinschaften. Die Gefahren dieses Stadiums liegen in zwei Bereichen: der<br />
Herausbildung eines ängstlichen, rigiden, heteronomen Gewissens und eines unrealistischen Ich-Ideals. Beides<br />
kann mit Initiativen zu Erlebnissen und angemessenen Erfahrungen des Ich in der Welt interferieren.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 1