Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach

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Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Bezüglich der Denkschrift der Bundesrepublik Deutschland wird die Behauptung kritisiert, dass die Implementierung der BRK weder Gesetzesreformen noch besondere Kosten, mit Ausnahme der Errichtung des nationalen Monitoring, erfordere (vgl. Degener, T., S. 269). Außerdem wird in der Denkschrift der fälschliche Eindruck vermittelt, als ob die Bundesrepublik Deutschlang schon sehr weit auf dem Wege zu inklusiven Strukturen insbesondere zum inklusiven Schulsystem vorangeschritten sei. Der Blick auf die politischen und sozialen Realitäten zeigt, das die Bundesregierung sich in diesem Punkt (absichtlich?) irrt (vgl. Degener, T., S. 282). Beide Kritikpunkte (Übersetzung und Denkschrift) deuten darauf hin, wie kontrovers und schwierig sich die notwendigen Implementierungs- und Entwicklungsprozesse zu inklusiven gesellschaftlichen Strukturen zur Verwirklichung der Bürger- und Menschenrechte für Menschen mit Behinderung im politischen Raum gestalten werden. Wichtige Gelingensbedingungen im Prozess zu inklusiven Strukturen Der Weg zu inklusiven Strukturen in der Gesellschaft ist der Weg der Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung sowie anderer von Exklusion bedrohter Menschen z.B. Kinder, Familien, Senioren, Arme. Der rechtliche Rahmen muss von der Politik auf der Grundlage der BRK geschaffen werden (siehe dazu auch der erwähnte Transformationsprozess des deutschen Rechtes). Die Funktion des Staates muss sich strukturell in Richtung Ermöglicher und Schützer des Rahmens mit den verbindlichen Spielregeln entwickeln. Diese Funktionen sind wesentlich für das Gelingen für die Entwicklung inklusiver Strukturen, weil die Beschaffung, zur Verfügungstellung und Sicherung der notwendigen und geforderten Finanzressourcen eine wesentliche Voraussetzung ist. Rechte ohne konkrete Realisierungsmöglichkeiten sind stumpf und werden zu Recht von den Betroffenen als große Missachtung empfunden. Als Kostensparmodell eignet sich der beschriebene Prozess in keiner Weise. Selbstbestimmung Kostenvorbehalten und Billiglösungen nicht einlösbar. Das Vorenthalten notwendiger Ressourcen führte dazu, dass von staatlicher Seite erste Appelle an das besondere Engagement und den guten Willen der professionellen Akteure zu hören sind. Diese Appelle können das Fehlen der Ressourcen nicht „kompensieren“; sie sind als wirklichkeitsfremd und zynisch zu bezeichnen. (vgl. Speck, O., S. 90) Eine viel beachtete Stellungnahme der Soltauer Initiative für Sozialpolitik und Ethik mit dem Titel „Moralisch Aufwärts im Abschwung?“ gibt diesen Vorbehalten eine konkrete Stimme. Die Stellungnahme bezieht sich auf die Frage, in welchen Bereichen die Absichten der BRK auf gegenläufige Tendenzen in Gesellschaft und Politik treffen und woran ihre Umsetzung prinzipiell scheitern könnte (vgl. Soltauer Initiative, Deckblatt). Im hier diskutierten Zusammenhang stellt die Soltauer Initiative heraus, dass der Zielkonflikt zwischen einer am Wettbewerb orientierten Ökonomie neoliberaler Prägung und die ethischem Forderungen der Konvention überhaupt noch nicht angemessen thematisiert ist. Notwendig ist eine Korrektur der bisherigen marktradikalen Vorgehensweise. Zum zweiten ist als Konsequenz des so genannten Umbaues des Sozialstaats die drastische Mittelkürzung zur Sanierung der Staatshaushalte nicht geeignet, die notwendigen Entwicklungsprozesse voranzubringen. Die „Marktförmigkeit des Sozialen“ ist kein Motor für eine Entwicklung im Sinne der BRK. Der Rückzug der Anbieter beruflich-sozialer Arbeit auf die reine Position eines Dienstleisters ist ein bedauernswerter Rückzug. © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 102

Vereinshandbuch Band 3 Stand 01.08.2012 Bedauernswert insoweit, als die Anbieter beruflich-sozialer Arbeit zugleich als anwaltliche Fürsprecher für Menschen mit (schwerer) Behinderung wichtig sind, den gesellschaftlich politischen Entwicklungsprozess voranzubringen. Auf die Dauer ist ein erlebter permanenter Widerspruch zwischen dem gesetzlichen Auftrag und der politisch gewollten Realität nicht ohne negative Wirkung auf die politische Kultur und die beruflich-soziale Arbeit. Es stellt sich letztlich die für die demokratische Grundordnung wesentliche Frage nach der Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns in der Wahrnehmung seiner Bürger. Die Verlagerung der Steuerung und Gestaltung des sozialen Miteinanders auf die Ebene der Kommune, auf die überschaubaren und erlebbaren Institutionen vor Ort, an das konkrete Gemeinwesen stärkt die Gestaltungsmöglichkeit des Einzelnen und von engagierten Gruppen. Ohne ausdrücklichen Bezug auf Ehrenamtlichkeit und Sozialraumorientierung ist die Entwicklung zu inklusiven Systemen und deren Wirksamkeit nicht denkbar. Eine Kultur des Miteinanders entwickelt sich nicht von selbst, selbst bei vorhandenen Ressourcen. Die verborgenen Ideologien der Abwertung in unserer Gesellschaft (vgl. Soltauer Initiative, S. 9 f) und die von einzelnen Menschen und Menschengruppen immer wieder erlebten Unrechtserfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzungen müssen Zug um Zug überwunden werden. An dieser Stelle ist der Einfluss beruflich-sozialer Arbeit auf die politische Kultur in den Blick zu nehmen. „Pädagogische Institutionen haben beschränkte gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten, so können sie ökonomisches Elend nicht beseitigen. Die Möglichkeit, eine eigene „Sphäre der Gerechtigkeit“ zu schaffen aber liegt in ihrer Verantwortung. Das gesellschaftlich wertvolle Gut, das Schulen und andere pädagogische Einrichtungen aus eigener Machtbefugnis und eigenen Ressourcen zu verteilen haben heißt, „intersubjektive Anerkennung“ jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage.“ (vgl. Prengel, A. S. 61) Eine Kultur der Anerkennung ist notwendig, wenn das in der Präambel der BRK geforderte verstärke Zugehörigkeitsgefühl (enhanced sence of belonging/Abs. m u. n) für Menschen mit Behinderung verwirklicht werden soll. Das von A. Honneth formulierte Anerkennungsparadigma (vgl. Honneth, A., 2003) könnte mit seinen Modifikationen, die im Hinblick auf die Situation von Menschen mit Behinderung notwendig sind (vgl. Schmid Noerr, G.), für die Herausbildung dieser Kultur erkenntnis- und handlungsleitend werden. Dieses Anerkennungsparadigma legt begründeter Maßen dar, dass ein menschenwürdiger Umgang mit Behinderung die ungeschmälerte Anerkennung auf drei Ebenen, auf erfordert (vgl. Schmid Noerr, G., S. 82). 103 © Behindertenhilfe in Stadt und Kreis Offenbach e.V., Offenbach 2005 der Ebene der emotionalen Zuwendung (Liebe), der Ebene der kognitiven Achtung (Recht) und der Ebene der sozialen Wertschätzung (Solidarität) Durch dieses Modell wird auf die verschiedenen Dimensionen von Anerkennung aufmerksam gemacht und zugleich ein Interpretations- und Diagnoserahmen geliefert.

<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />

Stand 01.08.2012<br />

Bedauernswert insoweit, als die Anbieter beruflich-sozialer Arbeit zugleich als anwaltliche<br />

Fürsprecher für Menschen mit (schwerer) Behinderung wichtig sind, den gesellschaftlich politischen<br />

Entwicklungsprozess voranzubringen.<br />

Auf die Dauer ist ein erlebter permanenter Widerspruch zwischen dem gesetzlichen Auftrag<br />

und der politisch gewollten Realität nicht ohne negative Wirkung auf die politische Kultur<br />

und die beruflich-soziale Arbeit.<br />

Es stellt sich letztlich die für die demokratische Grundordnung wesentliche Frage nach der<br />

Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns in der Wahrnehmung seiner Bürger.<br />

Die Verlagerung der Steuerung und Gestaltung des sozialen Miteinanders auf die Ebene der<br />

Kommune, auf die überschaubaren und erlebbaren Institutionen vor Ort, an das konkrete Gemeinwesen<br />

stärkt die Gestaltungsmöglichkeit des Einzelnen und von engagierten Gruppen.<br />

Ohne ausdrücklichen Bezug auf Ehrenamtlichkeit und Sozialraumorientierung ist die Entwicklung<br />

zu inklusiven Systemen und deren Wirksamkeit nicht denkbar.<br />

Eine Kultur des Miteinanders entwickelt sich nicht von selbst, selbst bei vorhandenen Ressourcen.<br />

Die verborgenen Ideologien der Abwertung in unserer Gesellschaft (vgl. Soltauer<br />

Initiative, S. 9 f) und die von einzelnen Menschen und Menschengruppen immer wieder erlebten<br />

Unrechtserfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzungen müssen Zug um Zug überwunden<br />

werden.<br />

An dieser Stelle ist der Einfluss beruflich-sozialer Arbeit auf die politische Kultur in den<br />

Blick zu nehmen. „Pädagogische Institutionen haben beschränkte gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten,<br />

so können sie ökonomisches Elend nicht beseitigen. Die Möglichkeit, eine<br />

eigene „Sphäre der Gerechtigkeit“ zu schaffen aber liegt in ihrer Verantwortung. Das gesellschaftlich<br />

wertvolle Gut, das Schulen und andere pädagogische Einrichtungen aus eigener<br />

Machtbefugnis und eigenen Ressourcen zu verteilen haben heißt, „intersubjektive Anerkennung“<br />

jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage.“ (vgl. Prengel, A. S. 61)<br />

Eine Kultur der Anerkennung ist notwendig, wenn das in der Präambel der BRK geforderte<br />

verstärke Zugehörigkeitsgefühl (enhanced sence of belonging/Abs. m u. n) für Menschen mit<br />

Behinderung verwirklicht werden soll.<br />

Das von A. Honneth formulierte Anerkennungsparadigma (vgl. Honneth, A., 2003) könnte<br />

mit seinen Modifikationen, die im Hinblick auf die Situation von Menschen mit Behinderung<br />

notwendig sind (vgl. Schmid Noerr, G.), für die Herausbildung dieser Kultur erkenntnis- und<br />

handlungsleitend werden.<br />

Dieses Anerkennungsparadigma legt begründeter Maßen dar, dass ein menschenwürdiger<br />

Umgang mit Behinderung die ungeschmälerte Anerkennung auf drei Ebenen, auf<br />

erfordert (vgl. Schmid Noerr, G., S. 82).<br />

103 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />

der Ebene der emotionalen Zuwendung (Liebe),<br />

der Ebene der kognitiven Achtung (Recht) und<br />

der Ebene der sozialen Wertschätzung (Solidarität)<br />

Durch dieses Modell wird auf die verschiedenen Dimensionen von Anerkennung aufmerksam<br />

gemacht und zugleich ein Interpretations- und Diagnoserahmen geliefert.

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