Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
Vereinshandbuch Band 3 Kapitel 1 - Behindertenhilfe Offenbach
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
WIR BEGLEITEN LEBENSWEGE<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
DAS VEREINSHANDBUCH<br />
Die Rahmenkonzeption<br />
der Dienste und Einrichtungen<br />
des Vereins<br />
BAND 3
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S<br />
3 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
<strong>Vereinshandbuch</strong><br />
<strong>Band</strong> 3 Seite<br />
Vorwort 11<br />
1. Wir begleiten Lebenswege: 13<br />
Herausforderungen in den Handlungsfeldern beruflich sozialer Arbeit<br />
1.1 Grundlegende Handlungsprobleme und Handlungslogik beruflicher 13<br />
sozialer Arbeit<br />
1.1.1 Einleitung 13<br />
1.1.2 Berufliche soziale Arbeit und zugrundeliegende gesellschaftliche 15<br />
Problembereiche<br />
1.1.3 Rollenförmig-spezifische und diffus-familiale soziale Beziehungen 16<br />
1.1.4 Das Arbeitsbündnis: Berufliche soziale Arbeit als besonderer 24<br />
Beziehungstypus und als widersprüchliche Einheit einer<br />
Beziehungspraxis<br />
1.1.5 Fallverstehen und Hilfen im Fallverstehen 36<br />
1.2. Zum Begriff der Professionalisierung 38<br />
1.2.1 Das Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit 38<br />
1.2.2 Typische Spannungspole und Vereinseitigungsgefahren beruflicher 40<br />
sozialer Arbeit<br />
1.3. Die Einbettung von Arbeitsbündnissen 44<br />
1.3.1 Das klientenbezogene Arbeitsbündnis und seine mögliche Einbettung 44<br />
in ein Arbeitsbündnis mit Eltern oder gesetzlichen Betreuern<br />
1.3.2 Das klientenbezogene Arbeitsbündnis und seine mögliche Einbettung 47<br />
in ein Arbeitsbündnis mit einer Klientengruppe<br />
1.3.3 Arbeitsbündnis und Kooperation der Fachkräfte beruflicher sozialer 47<br />
Arbeit untereinander<br />
1.4. Eine phasenbezogene Betrachtungsweise von Arbeitsbündnissen 49<br />
1.5. Das Arbeitsbündnis und seine soziale Rahmung 50<br />
1.5.1 Grundbestimmungen von Rahmen und Rahmenarbeit 50<br />
1.5.2 Elemente und Funktionen des Rahmens 50<br />
1.5.3 Diagnostisches Arbeitsbündnis und Einrichtung von Arbeitsbündnissen 52<br />
1.5.4 Prozess und Funktionen individueller Hilfeplanung 54
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.6 Aspekte der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen, ihrer 57<br />
sozialen Rahmung und ihrer Bedeutung für das Arbeitsbündnis<br />
1.7 Das Arbeitsbündnis und die Autonomie der Lebenspraxis 61<br />
1.7.1 Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis 61<br />
1.7.2 Autonomieentwicklung, lebenszyklische Entwicklungsaufgaben und 69<br />
kritische Lebensereignisse<br />
1.7.3 Die Dimensionen des Kohärenzgefühls im salutogenetischen Ansatz 73<br />
als Bedingungen der Möglichkeit autonomer Lebenspraxis<br />
1.7.4 Zur Bedeutung erzählter Lebensgeschichte für die Lebenspraxis und 75<br />
für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.7.5 Sozialer Wandel, Enttraditionalisierung und Auswirkungen auf die 77<br />
Lebenspraxis<br />
1.8 Resümee: Das Arbeitsbündnis als zentrales berufsübergreifendes 78<br />
Wesensmerkmal beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie<br />
1.9 Die Evaluation beruflicher sozialer Arbeit im Focus des Arbeitsbünd- 80<br />
nisses als Möglichkeit einer Qualitätsbeurteilung nach internen Kriterien<br />
beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.10 Zur Problematik der Bewertung von Ergebnissen im Bereich 84<br />
beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.10.1 Die Ermittlung von Zufriedenheitsurteilen der Klienten 84<br />
1.10.2 Vorher-nachher-Vergleich 84<br />
1.10.3 Die indirekte Bewertung der Ergebnisqualität beruflicher sozialer 86<br />
Arbeit über die Bewertung der Qualität ihrer Abläufe und Strukturen<br />
im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
1.11 Aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen und 86<br />
Entwicklungstendenzen beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.11.1 Veränderungen und Tendenzen in Leistungsverwaltung und 86<br />
Sozialrecht<br />
1.11.2 Grenzen der Ausweitung des psychosozialen Hilfesystems und seine 88<br />
immanenten Ambivalenzen<br />
1.11.3 Selektive Professionalisierung und Laisierung 88<br />
1.11.4 Das zunehmende öffentliche Interesse am ehrenamtlichen und 89<br />
bürgerschaftlichen Engagement und die Notwendigkeit einer Standortbestimmung<br />
beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.11.5 Das Verhältnis von Pflege und Eingliederungshilfe/Pädagogik 91<br />
1.11.6 Inklusion als Leitkategorie beruflicher sozialer Arbeit 98<br />
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Anhang <strong>Kapitel</strong> 1<br />
1. Das Stadien- und Krisenmodell des Lebenslaufes nach Erikson<br />
1. Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach Havighurst<br />
3. Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach ihrem zeitlichen Umfang nach Oerter<br />
4. Die Stadien des Familienzyklus und Familienentwicklungsaufgaben<br />
nach Carter/McGoldrick<br />
5. Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess nach Schneewind<br />
6. Aufgabenbereiche in der frühen Entwicklung nach Waters & Sroufe<br />
7. Arbeitshilfe Esofab<br />
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2. Grundlegende Themen, Fragestellungen und<br />
Regelungsbereiche in den Arbeitsbereichen der Dienste<br />
und Einrichtungen des Vereins<br />
2.1. Die Arbeitsbereiche für Kinder und Jugendliche<br />
2.1.1 Die Entwicklung und Entfaltung von Autonomie in der biographischen<br />
Entwicklung<br />
2.1.2 Die eingeschränkte Autonomieentfaltung der Kinder und Jugendlichen<br />
mit Behinderung und das Prinzip der Stellvertretung<br />
2.1.3 Lebensfelder und -bedingungen der Kinder und Jugendlichen mit<br />
Behinderung im Spannungsfeld von Autonomie und Stellvertretender<br />
Krisenbewältigung<br />
2.1.4 Begleitung, Unterstützung und Therapie von Kindern mit Behinderung<br />
als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit der Frühförder-<br />
und Frühberatungsstelle des Vereins und die spezifischen Heraus-<br />
forderungen im Arbeitsbündnis<br />
2.1.5 Gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit und<br />
ohne Behinderung als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit<br />
der Kindertagesstätten des Vereins und die spezifischen Heraus-<br />
forderungen im Arbeitsbündnis<br />
2.1.6 Begleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit<br />
Behinderung als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit der<br />
Schulsozialarbeit des Vereins und die spezifischen Herausforderungen<br />
im Arbeitsbündnis<br />
2.1.7 Begleitung und Unterstützung von Kinder und Jugendlichen mit<br />
Behinderung als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit des<br />
Ambulanten Dienstes des Vereins mit den Leistungsbereichen<br />
Familienunterstützung und Schulassistenz und die spezifischen<br />
Herausforderungen im Arbeitsbündnis<br />
2.2 Die Arbeitsbereiche für erwachsene Menschen mit geistiger oder<br />
mehrfacher Behinderung<br />
2.2.1 Die Entwicklung und Entfaltung von Autonomie in der biographischen Entwicklung<br />
2.2.2 Die eingeschränkte Autonomieentfaltung des erwachsenen Menschen<br />
mit Behinderung und das Prinzip der Stellvertretung<br />
2.2.3 Lebensfelder und -bedingungen erwachsener Menschen mit<br />
Behinderung im Spannungsfeld von Autonomie und Stellvertretender<br />
Krisenbewältigung<br />
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2.2.4 Begleitung und Unterstützung von erwachsenen Menschen mit<br />
Behinderung als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit in den<br />
Wohnverbünden des Vereins und die spezifischen Herausforderungen<br />
im Arbeitsbündnis<br />
2.2.5 Begleitung und Unterstützung von erwachsenen Menschen mit<br />
Behinderung als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit des<br />
Ambulanten Dienstes mit dem Leistungsbereich Familienunter-<br />
stützung und die spezifischen Herausforderungen im Arbeitsbündnis<br />
2.2.6 Interdisziplinarität und Multiprofessionalität als Voraussetzung einer<br />
angemessenen, ganzheitlichen und komplexen Begleitung von<br />
erwachsenen Menschen mit Behinderung<br />
2.3 Die Arbeitsbereiche für erwachsene Menschen mit körperlicher<br />
Behinderung<br />
2.3.1 Hinführung und Zielsetzung<br />
2.3.2 Verstehensweise von körperlicher Behinderung aus verschiedenen<br />
Perspektiven<br />
2.3.2.1 Die sozialrechtliche Definition im Überblick<br />
2.3.2.2 Körperliche Behinderung aus Sicht der ICF<br />
2.3.2.3 Das inhaltliche Grundkonzept der ICF<br />
2.3.3 Die Formen der Krankheiten/Gesundheitsstörungen im Kontext<br />
einer Körperbehinderung aus medizinischer Sicht<br />
2.3.4 Einschränkungen der Aktivitäten und der Partipation<br />
2.3.4.1 Direkte/unmittelbare Aktivitätseinschränkungen<br />
2.3.4.2 Partizipationseinschränkungen durch erschwerte Selbstfindung in<br />
sozialer Interaktion<br />
2.3.4.3 Fortgang der Überlegungen und Klärungen<br />
2.3.5 Selbsthilfeorganisationen der Betroffenen<br />
„Nichts über uns ohne uns“<br />
2.3.6 Die aktuellen politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen und<br />
ihre konkrete Relevanz für das System der Hilfen<br />
2.3.7 Das bisher entwickelte Hilfesystem für erwachsene Menschen mit<br />
körperlicher Behinderung und seine Auswirkung auf die Neuorien-<br />
tierung für das berufliche/professionelle Handeln<br />
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2.3.8. Begleitung und Unterstützung von erwachsenen Menschen mit<br />
körperlicher Behinderung als berufliches Handeln im Feld<br />
sozialer Arbeit des Ambulanten Dienstes in den Leistungs-<br />
bereichen Assistenz und Pflege sowie Betreutes Wohnen<br />
2.3.8.1 Zum gegenwärtigen Stand des Unterstützungsangebotes des<br />
Vereins für erwachsene Menschen mit einer körperlichen<br />
Behinderung<br />
- ein Überblick<br />
2.3.8.2 Regelungsbereiche und –aufgaben hinsichtlich der aktuellen<br />
Angebote<br />
des Vereins<br />
2.3.8.3 Perspektiven zukünftiger Angebotsmodule<br />
2.3.9 Literaturangaben<br />
2.4. Die Arbeitsbereiche für Menschen mit Autismus<br />
2.4.1 Die eingeschränkte Autonomieentwicklung der Menschen mit<br />
Autismus und das Prinzip der Stellvertretung<br />
2.4.2 Lebensfelder und -bedingungen der Menschen mit Autismus im<br />
Spannungsfeld von Autonomie und Stellvertretender Krisenbewältigung<br />
2.4.3 Begleitung und Therapie von erwachsenen Menschen mit<br />
Behinderung<br />
als berufliches Handeln im Feld sozialer Arbeit des Autismus<br />
Therapieinstitutes und die spezifischen Herausforderungen im<br />
Arbeitsbündnis<br />
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3. Geschichte, Entwicklungsstand, Rahmenbedingungen und<br />
Perspektiven der Dienste und Einrichtungen des Vereins<br />
3.1 Frühförderung und Kindertagesstätten<br />
3.1.1 Allgemeine historische Entwicklung, aktuelle Situation und Herausforderungen<br />
sowie Perspektiven im Bereich Frühförderung/Kindertagesstätten<br />
3.1.1.1 Historische Entwicklung der Vorschulerziehung in Kindertagesstätten<br />
3.1.1.2 Exkurs: Die Geschichte der Integration, insbesondere im Elementarbereich<br />
3.1.2 Geschichte und Entwicklungsstand von Frühförderung und<br />
Kindertagesstätten des Vereins<br />
3.1.2.1 Kindertagesstätte Tabaluga<br />
3.1.2.2 Kindertagesstätte Martin-Luther-Park<br />
3.1.2.3 Ambulanter Sprachheildienst<br />
3.1.2.4 Frühförder- und Frühberatungsstelle – Die Geschichte<br />
3.2 Schulsozialarbeit<br />
3.3 Autismus-Therapieinstitut<br />
3.3.1 Geschichte und Entwicklungsstand des Autismus-Therapieinstituts<br />
3.4 Ambulanter Dienst<br />
3.5 Wohnen (Koordinationsstelle, Wohneinrichtungen, Betreutes Wohnen)<br />
3.5.1 Allgemeine historische Entwicklungen, aktuelle Situation und Herausforderungen<br />
sowie Perspektiven im Arbeitsfeld Wohnen für erwachsene<br />
Menschen mit Behinderung<br />
3.5.2 Geschichte und Entwicklungsstand des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> im<br />
Arbeitsfeld „Wohnen“<br />
3.6 Sozialen Wandel als Chance nutzen: Das Bewährte weiterentwickeln,<br />
Neues integrieren<br />
- Perspektiven, Strategien und Anforderungen an die Weiterentwicklung<br />
der Angebote des Vereins im Jahr 2010<br />
Anhang <strong>Band</strong> 3<br />
1. Thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis<br />
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11 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
Vorwort<br />
Die Rahmenkonzeptionen der Betriebseinheiten des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> bilden einen<br />
fachlichen Brückenschlag zwischen den Leitlinien des Vereins und den Konzeptionen der<br />
einzelnen Dienste und Einrichtungen. Ihr Schwergewicht liegt auf einer fachlichen Fundierung<br />
der Konzeptionen und der praktischen nutzerbezogenen sozialen Arbeit.<br />
Demgegenüber formulieren <strong>Band</strong> 1 und <strong>Band</strong> 2 des <strong>Vereinshandbuch</strong>es auf der Grundlage<br />
von Leitlinien und Satzung übergreifende Wertentscheidungen, Rahmenbedingungen und<br />
Regelungen für die Zweckbetriebe des Vereins als soziale Organisationen, innerhalb und<br />
vermittels deren die Leistungen für die Nutzer erbracht werden.<br />
Die Rahmenkonzeptionen tragen auch der Tatsache Rechnung, dass die Entwicklung innovativer<br />
Maßnahmen und Projekte sowie die Entwicklung und Fortschreibung von Einzelkonzeptionen<br />
zunehmend nur noch in wechselseitiger Koordination und Vernetzung nach innen und<br />
außen sinnvoll gedacht und praktisch realisiert werden kann. Die Rahmen-konzeptionen liefern<br />
hierfür einen orientierenden und das gemeinsame Selbstverständnis konkretisierenden<br />
Rahmen.<br />
Den Rahmenkonzeptionen kommen im einzelnen folgende Funktionen zu:<br />
• Sie konkretisieren die Leitlinien im Sinne eines wertemäßigen, sozialpolitischen und fachlichen<br />
Selbstverständnisses der Betriebseinheiten und übernehmen damit eine geistige Integrationsfunktion.<br />
• Die Rahmenkonzeptionen stellen als Konkretisierungen der handlungsleitenden Prinzipien<br />
der Leitlinien in den je besonderen Praxisfeldern eine Grundlage für die Formulierung von<br />
Qualitätsstandards und Erfolgskriterien dar. Sie besitzen eine qualitätssichernde Funktion.<br />
• Sie konkretisieren die Leitlinien des Vereins im Hinblick auf die typischen und grundlegenden<br />
Handlungserfordernisse in den Praxisfeldern der Betriebseinheiten und berücksichtigen<br />
dabei die historisch-aktuellen Tendenzen und Gegebenheiten. Den Rahmenkonzeptionen<br />
kommt damit eine richtungsweisende und rahmengebende Orientierungsfunktion<br />
für die weiteren Entwicklungen und Planungen zu.<br />
• Die Rahmenkonzeptionen bieten den Mitarbeiter/innen Interpretations- und Entscheidungshilfen<br />
an und können zur Selbstkontrolle der Arbeit beitragen. Insbesondere<br />
diese Funktion setzt Information und Aneignung durch die Mitarbeiter/innen sowie deren<br />
Einbeziehung bei Entwurfsdiskussion sowie ggf. Fortschreibung der Rahmenkonzeptionen<br />
voraus.<br />
• Die Rahmenkonzeptionen stellen ein wichtiges Instrument der Selbstdarstellung dar und<br />
dienen zugleich der fachlichen Information der Öffentlichkeit.
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• Die Rahmenkonzeptionen versuchen als Instrumente der Organisationsentwicklung<br />
diese fachlich zu fundieren und zu unterstützen und sind zugleich als Elemente dieses<br />
Prozesses weiterzuentwickeln und fortzuschreiben.<br />
Der Teil 1 der Rahmenkonzeption wurde i. S. e. übergreifenden gemeinsamen fachlichen<br />
Fundierung in der Gesamtbetriebsleitung erarbeitet, diskutiert und für die Betriebseinheiten<br />
einheitlich formuliert. Er wurde in verschiedenen Veranstaltungen, z.T. einrichtungs- und<br />
dienstübergreifend den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorgestellt, mit ihnen gemeinsam<br />
diskutiert, fachlich-kritische Rückmeldungen und Anmerkungen fanden Berücksichtigung.<br />
Die beiden besonderen Teile 2 und 3 der Rahmenkonzeption beziehen sich aus schwerpunktmäßig<br />
fachlicher Perspektive auf die besonderen Gegebenheiten der jeweiligen Betriebseinheit<br />
und wurden innerhalb der jeweiligen Betriebseinheit erarbeitet und formuliert.<br />
Im Teil 2 geht es jeweils in einem ersten Abschnitt um grundlegende gemeinsame Themen,<br />
Fragestellungen und Regelungsbereiche der jeweiligen Dienste und Einrichtungen. Zum anderen<br />
geht es jeweils im Teil 3 um Geschichte, Entwicklungsstand, Rahmenbedingungen und<br />
Perspektiven der Dienste und Einrichtungen der jeweiligen Betriebseinheit.<br />
Der Teil 2.1 ist als offene „Bausteinreihe“ angelegt. Hier können in einem offenen Prozess<br />
Beiträge aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den entsprechenden thematisch gegliederten<br />
Bausteinreihen aufgenommen werden. Dies setzt dann jeweils eine Prüfung und Freigabe<br />
durch die Betriebsleitung voraus.<br />
Der Teil 1 der Rahmenkonzeption wurde von der GBL am 18.11.2005 in Kraft gesetzt. Die<br />
einzelnen <strong>Kapitel</strong> der Teile 2 und 3 treten jeweils nach Fertigstellung und Einfügung in das<br />
<strong>Vereinshandbuch</strong> in Kraft.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1. Wir begleiten Lebenswege: Herausforderungen in den<br />
Handlungsfeldern beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.1 Grundlegende Handlungsprobleme und Handlungslogik beruflicher sozialer<br />
Arbeit<br />
1.1.1 Einleitung<br />
In den Leitlinien des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> werden als Grundlage aller beruflichen sozialen<br />
Arbeit sowohl Fachkompetenz als auch die personale Begegnung und Beziehungsgestaltung<br />
herausgestellt.<br />
Berufliches Handeln in der sozialen Arbeit vollzieht sich aus dieser Sichtweise notwendig in<br />
einem Spannungsverhältnis von entstehender personaler Nähe und geforderter beruflicher<br />
Distanz.<br />
Die in den verschiedenen Feldern beruflicher sozialer Arbeit tätigen Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter stehen zugleich in einem Spannungsverhältnis zwischen der Vertretung der Interessen<br />
der Nutzerinnen und Nutzer einerseits und Erwartungen, Wertorientierungen und Interessen<br />
der Gesellschaft andererseits (vgl. <strong>Vereinshandbuch</strong> Bd. 1, Leitlinien).<br />
Diese zentralen Merkmale und Herausforderungen beruflicher sozialer Arbeit werden in älteren,<br />
vor allem funktionalistisch orientierten Ansätzen sowie im neueren system-theoretischen<br />
und im neueren strukturtheoretischen Ansatz einer soziologischen Professionalisierungstheorie<br />
in unterschiedlicher Deutlichkeit herausgestellt. (1)<br />
Sie können in Orientierung am strukturtheoretischen Ansatz, d.h. einer strukturtheoretischen<br />
Professionalisierungstheorie, als grundlegende Bestimmungen nicht nur bestimmter akademischer<br />
Berufe, sondern grundsätzlich aller Formen beruflicher sozialer Arbeit im Focus von<br />
Therapie (Therapie, Erziehung, Sozialisation, Pflege, institutionalisierte Hilfe) angesehen<br />
werden (Oevermann 1997).<br />
______________________________<br />
(1) Vgl. hierzu auch die thematisch gegliederte Literaturliste zum Allgemeinen Teil der Rahmenkonzeptionen der Betriebseinheiten<br />
I und II.<br />
13 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Aus diesem Grund wird in einem ersten Schritt gerade der Ansatz einer strukturtheoretischen<br />
Professionalisierungstheorie herangezogen, um vor allem auf der Mikroebene sozialer Beziehungen<br />
die Besonderheiten beruflicher sozialer Arbeit noch genauer und differenzierter zu<br />
bestimmen und um dabei auch deren Rückbezüge zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang<br />
sowie zu naturwüchsigen familialen Sozialisationsprozessen deutlich werden zu lassen.<br />
(2)<br />
Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet die Frage nach einer angemessenen Vorstellung<br />
der Lebenspraxis und ihrer Autonomie, die zu respektieren, zu fördern und zu unterstützen<br />
ja die zentrale Aufgabe beruflicher sozialer Arbeit darstellt. Hierzu wird ein der strukturtheoretischen<br />
Professionalisierungstheorie korrespondierendes strukturtheoretisches Modell<br />
der Autonomie der Lebenspraxis herangezogen. (3)<br />
Schließlich geht es im Lichte einer strukturtheoretisch-professionalisierungstheoretische orientierten<br />
Sichtweise um die Besonderheiten beruflicher sozialer Arbeit unter den Gesichtspunkten<br />
von phasenbezogener Betrachtungsweise, sozialer Rahmung und Hilfeplanung, LeiterInnen-MitarbeiterInnen-Beziehungen<br />
sowie Evaluation.<br />
Abschließend werden die aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen<br />
beruflicher sozialer Arbeit im Sinne einer selbstreflexiven Fachlichkeit näher<br />
in den Blick genommen.<br />
______________________________<br />
(2) Der spezifische Ansatz einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie ist von U. Oevermann in die sozialwissenschaftliche<br />
Diskussion eingeführt und weiterentwickelt worden. Die hier vorgenommene Darstellung dieses komplexen<br />
Ansatzes fasst in enger Anlehnung an den Text der explizit professionalisierungstheoretischen Schriften von 1978, 1997,<br />
2000a, 2001 und 2002 zentrale Aussagen und Zusammenhänge in thesenhafter Form zusammen, um ihn i. R. v. fachlichen<br />
und konzeptionellen Diskussionsprozessen verfügbar zu machen. Diese thesenhaften Zusammenfassungen sind<br />
im Text jeweils durch schwarz ausgefüllte Spiegelstriche kenntlich gemacht. Weiterführungen, Modifikationen und Explikationen<br />
strukturtheoretischer Oevermannscher Argumente werden dagegen mit nicht schwarz ausgefüllten Spiegelstrichen<br />
gekennzeichnet. Auf die Angabe jeweiliger Belegstellen aus den angeführten professionalisierungs-theoretischen<br />
Schriften wird aus Gründen der Darstellung und Lesbarkeit verzichtet. Eingearbeitete Bezüge zu anderen Oevermannschen<br />
Schriften sowie Zitate oder der Verweis auf andere Autoren erfolgen dagegen mit entsprechender Quellenangabe.<br />
(3) Die thesenhafte Darstellung des von U. Oevermann vorgeschlagenen strukturtheoretischen Modells der Autonomie<br />
der Lebenspraxis erfolgt in gleicher Weise wie die des professionalisierungstheoretischen Ansatzes. Bezug sind<br />
hierbei U. Oevermann 1995, 1997 c, 2001 a.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
1.1.2 Berufliche soziale Arbeit und zugrundeliegende gesellschaftliche Problembereiche<br />
• Die besondere Handlungslogik beruflicher sozialer Arbeit kann aus der besonderen<br />
Art dreier zentraler gesellschaftlicher Problembereiche erklärt werden, die ihr zugrunde<br />
liegen und die sie in ihren verschiedenen Praxisfeldern zu bearbeiten hat. Diese<br />
drei zentralen gesellschaftlichen Problembereiche, die zugleich individuelle wie gesellschaft-liche<br />
Dauerprobleme darstellen, sind der Bereich der Therapiebeschaffung,<br />
der Bereich der Konsensbeschaffung sowie der Bereich der Wahrheitsbeschaffung.<br />
• Im Bereich der Therapiebeschaffung geht es um Therapie in einem umfassenden Sinne:<br />
Es handelt sich um die Bereitstellung therapeutischer und prophylaktischtherapeutischer,<br />
d.h. sozialisatorisch-erzieherischer Leistungen zur Wiederherstellung<br />
bzw. Herstellung einer körperlichen und psychosozialen Integrität (Gesundheit in einem<br />
umfassenden Sinne) oder auch zur Sicherung und Unterstützung eingeschränkter<br />
Integrität (z.B. im Bereich von Pflege und Betreuung). Dies geschieht in Orientierung<br />
an einem jeweils geltenden Entwurf von menschlicher Würde.<br />
• Im Bereich der Konsensbeschaffung geht es um die Aufrechterhaltung und Gewährleistung<br />
einer kollektiven Praxis von Recht und Gerechtigkeit bei immer möglichen<br />
Verletzungen und Geltungskrisen der normativen Ordnung. Dies geschieht in Orientierung<br />
an einem jeweils geltenden Entwurf von Gerechtigkeit.<br />
• Im Bereich der Wahrheitsbeschaffung geht es um die kritische Prüfung von Wahrheitsbehauptungen.<br />
In entwickelten Gesellschaften geschieht dies durch die universitären<br />
Wissenschaften in Orientierung an einer prozesshaft-regulativen Idee<br />
von Wahrheit, d.h. unter Verzicht auf substanzialistische Vorstellungen von Wahrheit.<br />
• In entwickelten Gesellschaften erfolgt eine Ausdifferenzierung und Spezialisierung<br />
bestimmter Berufe und Berufsbereiche zur Bearbeitung dieser drei Problembereiche,<br />
wobei die verschiedenen beruflichen Praxisformen sich schwerpunktmäßig auf einen<br />
Bereich beziehen, die anderen Problembereiche aber in unterschiedlichem Mischungsverhältnis<br />
und Gewichtung mitzubearbeiten sind.<br />
Im folgenden werden i. S. e. gegenstandsbezogenen Eingrenzung und Präzisierung unter beruflicher<br />
sozialer Arbeit im engeren Sinne alle Tätigkeiten im Focus von Therapie verstanden,<br />
d.h. alle therapeutischen und im weiteren Sinne prophylaktisch-therapeutischen Tätigkeiten,<br />
die es mit Erziehung, Sozialisation, Pflege und institutionalisierten Hilfen zu tun haben.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Zentrale, zugleich individuelle<br />
und gesellschaftliche Problembereiche:<br />
Therapiebeschaffung<br />
Konsensbeschaffung<br />
Wahrheitsbeschaffung<br />
Abb.1: Historische Ausdifferenzierung beruflicher Praxisfelder<br />
Historische Ausdifferenzierung<br />
beruflicher Praxisfelder:<br />
Berufliche Tätigkeiten aus den<br />
Bereichen Therapie, Erziehung,<br />
Sozialisation, Pflege und institutionalisierter<br />
Hilfe<br />
(berufliche soziale Arbeit im<br />
engeren Sinne)<br />
Berufliche Tätigkeiten aus dem<br />
Bereich rechtspflegerischen<br />
Handelns<br />
Berufliche Tätigkeiten aus dem<br />
Bereich universitärwissenschaftlichen<br />
Handelns<br />
1.1.3 Rollenförmig-spezifische und diffus-familiale soziale Beziehungen<br />
Die Gleichzeitigkeit rollenförmig-spezifischer und diffus-familialer Beziehungskomponenten<br />
• Ein zentrales Strukturmerkmal beruflicher sozialer Tätigkeit ist die Gleichzeitigkeit<br />
diffuser, quasi-familialer Beziehungskomponenten und rollenförmig-spezifischer Beziehungskomponenten,<br />
die in einem klientenbezogenen Arbeitsbündnis als einem eigenen<br />
Typus sozialer Beziehungen angemessen zu handhaben und zu gestalten sind.<br />
Dieses Strukturmerkmal kommt in dem für berufliches soziales Handeln typischen<br />
Spannungsverhältnis von besonderer personaler Nähe (diffuse Beziehungskomponente)<br />
und beruflich geforderter Distanz (rollenförmig-spezifische Beziehungskomponente)<br />
zum Ausdruck.<br />
• Ein genaueres Verständnis beruflicher sozialer Arbeit i. S. e. Gleichzeitigkeit diffuser<br />
und spezifischer Beziehungskomponenten setzt eine genauere Charakterisierung und<br />
Abgrenzung von rollenförmig-spezifischen gegenüber diffus-familialen Beziehungen<br />
voraus.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Rollenförmig-spezifische soziale Beziehungen<br />
• Rollenförmige Beziehungen sind durch aufeinander bezogene Rollendefinitionen gekennzeichnet.<br />
In diesen Rollendefinitionen sind institutionalisierte Verhaltens-erwartungen<br />
festgelegt und damit auch die Themen, die in dieser Beziehung möglich<br />
oder gerade nicht möglich sind. Dabei erfordert Rollenhandeln ein jeweiliges „role-<br />
taking“ (Rollenübernahme) und ein „role-making“ (Ausgestaltung der Rolle).<br />
• In rollenförmigen Beziehungen beziehen sich die Menschen nicht „diffus“ als ganze Menschen<br />
aufeinander, sondern als soziale Rollenträger, d.h. eben nur hinsichtlich spezifischer<br />
Rollendefinitionen. Es herrscht die „Bedingung der Austauschbarkeit des Personals“:<br />
Rollenförmig–spezifische Sozialbeziehungen behalten ihre strukturelle Identität<br />
auch dann, wenn das konkrete Personal wechselt. Damit unterscheiden sie<br />
sich deutlich von diffus-familialen Sozialbeziehungen (Gattenbeziehung und Eltern-Kind<br />
Beziehung), deren jeweils besondere und an besondere konkrete Personen gebundene Praxis<br />
beendet ist, wenn eine der sie bildenden Personen nicht mehr vorhanden ist<br />
(Bedingung der Nicht-Austauschbarkeit des Personals.)<br />
• Dennoch scheint durch die Rolle auch der ganze Mensch hindurch, der sie ja übernehmen<br />
und ausgestalten muss. Hierdurch erhalten Rollenbeziehungen eine mehr oder weniger<br />
ausgeprägte personale Einfärbung, entsprechend sind im Rollenhandeln auch soziale und<br />
personale Identität auszubalancieren und zur Darstellung zu bringen (vgl. Krappmann<br />
1971).<br />
• Im primären familialen Sozialisationssystem eignen sich die Subjekte die elementaren<br />
Strukturen der Sozialität an, hier erfahren sie ihre soziale Geburt. Hier erwerben sie diejenigen<br />
Grundqualifikationen und Grundprägungen sozialer Handlungs- und Beziehungsfähigkeit,<br />
die als Grundlage erwachsenen Rollenhandelns und einer autonomen eigenverantwortlichen<br />
Existenz immer vorhanden sind und erhalten bleiben.<br />
• In diesem Zusammenhang liegt letztlich die Universalität von sogenannten Übertragungsprozessen<br />
begründet, d.h. die Art und Weise, in der sich diese soziale Geburt des<br />
Subjektes im primären Sozialisationssystem vollzog, formt und motiviert seine späteren<br />
Beziehungen als sozialer Rollenträger (transfamiliäre Übertragung) sowie seine späteren<br />
rollenfreien familialen Beziehungen (familiäre Übertragungen) unbewusst mit und gibt<br />
ihnen eine bestimmte affektive Tönung (Vgl. Oevermann 1993, Stierlin 1976, Wolf<br />
2000).<br />
• Übertragungsprozesse sind damit als grundlegende soziale Tatsache in sozialen Beziehungen<br />
in zweifacher Hinsicht zu unterscheiden: Zum einen in einem nichtpathologischen<br />
Sinne als grundsätzlich nicht unangemessenes und überall vorkommendes<br />
psychisches und psychosoziales Geschehen i. S. e. Verbindung (vgl. Wolf 2000). Zum<br />
anderen in einem pathologischen Sinne als Reproduktion und Übertragung kindheitsbestimmter<br />
psychischer und psychosozialer Strukturen in einem hierfür unangemessenen aktuellen<br />
Kontext.<br />
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• Pathologische Übertragungsprozesse in rollenförmig-spezifischen Beziehungen: Befindet<br />
sich ein Subjekt als Rollenträger in einem konfliktträchtigen Beziehungsfeld und kann die<br />
Konflikte jedoch nicht mit den vorgesehenen Mitteln des Rollenhandelns rational bearbeiten<br />
und bewältigen, so greift es gewissermaßen hilfsweise auf Haltungen und Konstellationen<br />
aus dem primären Sozialisationssystem zurück. Hierbei fällt es gewissermaßen „aus<br />
der Rolle“ und überträgt diese Emotionen, Haltungen und Konstellationen aus dem primären<br />
Sozialisationssystem (mit seinen diffus-familialen Beziehungsstrukturen) in einem<br />
unbewussten Prozess in letztlich unangemessener Weise auf den aktuellen konfliktträchtigen<br />
Kontext (vgl. Oevermann 1993).<br />
Legende:<br />
Ganzer Mensch scheint<br />
Ganzer Mensch, rollenfrei durch Rolle hindurch:<br />
Er trägt Rolle, gestaltet<br />
sie aus und stellt sich<br />
als besonderer innerhalb<br />
einer Rolle dar (Verbindung)<br />
Soziale Rolle Soziale Beziehung<br />
Ganzer Mensch als Soziale Rahmung/<br />
sozialer Rollenträger sozialer Kontext<br />
Abb. 2: Rollenförmig-spezifische Beziehungen<br />
Zentrales Element der sozialen<br />
Rahmung: Die Bedingung der Austauschbarkeit<br />
des Personals<br />
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Diffus-familiale soziale Beziehungen<br />
• Als diffus-familiale soziale Beziehungen gelten zum einen die Gattenbeziehung, zum<br />
anderen die Eltern-Kind-Beziehung. Die Gattenbeziehung sowie die beiden Eltern-<br />
Kind-Beziehungen bilden zugleich die triadische Grundstruktur primärer familialer<br />
Sozialisation.<br />
• In diffus-familialen Beziehungen beziehen sich die Partner als ganze Menschen aufeinander<br />
und nicht lediglich hinsichtlich spezifischer Rollendefinitionen, wie in rollenförmig-spezifischen<br />
Beziehungen. Es gilt die Bedingung der „Nicht-Austausch-barkeit<br />
des Personals“, d.h. ihre je besondere Praxis ist an die Existenz einer je besonderen<br />
konkreten Person gebunden.<br />
• Die Nicht-Austauschbarkeit des Personals lässt sich mit einer strukturtheoretischen<br />
Sozialisationstheorie in vier typische Strukturmerkmale zerlegen (vgl. hierzu auch<br />
Allert 1998 sowie Oevermann 1976, 1976a, 1979)<br />
1. Für diffuse Beziehungen ist eine Körperbasis grundlegend, d.h. sie werden<br />
wesentlich durch die Beteiligung der Körper bestimmt.<br />
2. Sie werden als unkündbare Beziehungen eingegangen. Eine Trennung ist immer<br />
ein Scheitern, die Voreinstellung einer zeitlichen Begrenzung eine Täuschung<br />
oder Instrumentalisierung.<br />
3. Es gelten besondere Formen der Vertrauensbildung. Vertrauen gilt in diffusen<br />
Beziehungen als bedingungslos und wird durch bedingungslosen Vollzug hergestellt.<br />
Vertrauensbildung durch formalisierte abstrakte Kriterien wie in Vertragsbeziehungen<br />
wäre schon eine Pervertierung dieser Beziehung.<br />
4. Diffuse Sozialbeziehungen zeichnen sich durch eine umfassende und bedingungslose<br />
gefühlsmäßige Bindung aus.<br />
Abb. 3: Diffus-familiale soziale Beziehung,<br />
rollenfrei zwischen ganzen Menschen<br />
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Zentrales Element der sozialen<br />
Rahmung: Die Bedingung der<br />
Nicht-Austauschbarkeit des Personals
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• Bei allen Gemeinsamkeiten gegenüber spezifischen Sozialbeziehungen unterscheidet sich<br />
die Gattenbeziehung von der Eltern-Kind-Beziehung in einem wesentlichen Merkmal: Die<br />
Mutter-Kind-Beziehung und die Vater-Kind-Beziehung sind als inzestuöse sexuell tabu,<br />
während für die Gattenbeziehung umgekehrt die Sexualität konstitutiv ist.<br />
• Gattenbeziehungen und Eltern-Kind-Beziehungen bilden eine widersprüchliche Einheit:<br />
In allen drei Dyaden gilt die Bedingung der „Nicht-Austauschbarkeit“, also ein Ausschließlichkeitsanspruch<br />
auf den jeweiligen Partner. Die Doppelmitgliedschaft in einer<br />
weiteren Beziehung dieses Typs kann im Grunde nicht zugelassen werden und anders<br />
könnten es auch nicht Beziehungen zwischen ganzen Menschen sein.<br />
• Für die entfaltete familiale Triade ergibt sich daraus zwingend, „dass in ihr jedes Strukturelement,<br />
also jede beteiligte Person (a) den Ausschließlichkeitsanspruch auf einen<br />
Partner einer Dyade mit einem Dritten teilen muss, in sich eine Widersprüchlich-keit, (b)<br />
diese Teilung mit einem Dritten sich bei zwei verschiedenen Personen gefallen lassen<br />
muss und (c) sich selbst reziprok ebenfalls zwischen zwei Personen teilen muss. Daraus<br />
resultiert als normaler Dauerzustand die Eifersucht,... (Oevermann 1997, S. 113). (4 )<br />
• Kommunikation in der Familie ist wesentlich der Umgang mit dem eingeschlossenen<br />
ausgeschlossenen Dritten, d.h. mit dyadischen Vereinseitigungen der Triade, ihren jeweiligen<br />
Transformationen und damit mit der jeweils wechselnden Position des eingeschlossenen<br />
ausgeschlossenen Dritten. Hierin besteht die Grundlage des Erwerbs von Sozialkompetenz<br />
für späteres Rollenhandeln, indem erste Erfahrungen mit der Spannung von<br />
Gemeinsamkeit und Unterschied, von allgemeiner und besonderer Perspektive der Selbst-<br />
und Weltwahrnehmung gemacht werden<br />
• In der Besonderheit und Widersprüchlichkeit dieser sich entfaltenden triadischen Grundstruktur<br />
liegt die zentrale soziale Bedingung für die Dynamik von Entwicklungs- und Bildungsprozessen<br />
des Kindes und von Transformationsprozessen der Struktur insgesamt.<br />
______________________________<br />
(4) Zur genaueren strukturtheoretischen Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Dyaden vgl.<br />
Oevermann 2001, 2.<strong>Kapitel</strong>: Die Strukturlogik und –dynamik der ödipalen Triade und die Generationen-<br />
Differenz<br />
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V M<br />
V Vater M Mutter K Kind<br />
Abb. 4: Triadische Grundstruktur familialer sozialisatorischer Interaktion<br />
• Der gesamte Bildungsprozess des einzelnen Menschen, seine soziale Geburt als autonom<br />
handlungsfähigem, mit sich selbst identischen Subjekt, kann als Abfolge von zentralen<br />
Ablösekrisen im Rahmen der sich entfaltenden triadischen Grundstruktur dargestellt werden:<br />
„Die mit der Geburt erfolgende Ablösung aus der primären organischen Symbiose<br />
aus dem Mutterleib; die Ablösung aus der Mutter-Kind-Symbiose; die Ablösung aus der<br />
manifesten ödipalen Triade; die Ablösung aus der Herkunftsfamilie in der Bewältigung<br />
der Adoleszenzkrise“ (Oevermann 1997, S.114).<br />
• In dem Maße, in dem diese Ablösekrisen erfolgreich durchlaufen werden, können sich<br />
Autonomie und Identität entfalten in den Polen von Bindung und Ablösung. In der Ablösekrise<br />
spitzen sich typische Entwicklungskonflikte zu; die Art ihrer Bewältigung entscheidet,<br />
ob sie entwicklungsförderlich wirken oder auf einer bestimmten Entwicklungsstufe<br />
festhalten oder gar zurückwerfen.<br />
• Innerhalb der triadischen Grundstruktur diffus-familialer Beziehungen erwerben die Kinder<br />
die basalen Strukturen von Sozialität und damit auch besondere Übertragungsdispositionen<br />
(König, K. 1998). Die Gattenbeziehung sowie die Beziehung der Eltern zu<br />
ihren Kindern sind zugleich der Ort von möglichen nicht-pathologischen wie pathologischen<br />
Übertragungen früherer Haltungen und Konstellationen der Eltern aus ihrer jeweils<br />
eigenen familialen Sozialisation in den aktuellen familialen Kontext (Richter 1963,<br />
1970).<br />
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K<br />
Phänomenal-deskriptive Fassung<br />
familialer Grenzen und Grenzregulationen<br />
(adaptiert nach Cierpka,<br />
1995):<br />
• Individuelle Selbstgrenzen der<br />
beteiligten Personen<br />
• Generationsgrenze Eltern-Kind<br />
mit Inzesttabu<br />
• Jeweilige Dyadengrenzen<br />
• Familie-Umwelt-Grenze (insbesondere<br />
auch zur väterlichen<br />
und mütterlichen Herkunftsfamilie)
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• Innerhalb einer zunächst extremen Abhängigkeitssituation des Kindes von seinen Eltern<br />
müssen diese in dialogischen Prozessen durch angemessenes stellvertretendes Deuten,<br />
Entscheiden und Handeln die sich auf der Basis von angeborenen Startbedingungen entfaltende<br />
kindliche Autonomie fördern, unterstützen und schützen, ohne dabei selbst sekundär<br />
deautonomisierend zu wirken. (Vgl. Oevermann 1976, 1995) Indem Eltern durch<br />
angemessenes stellvertretendes Deuten, Entscheiden und Handeln den immer möglichen<br />
Einschränkungen der leiblichen und psychosozialen Integrität ihres Kindes entgegenwirken,<br />
sind sie zugleich prophylaktisch-therapeutisch, d.h. vorbeugend-therapeutisch wirksam.<br />
Diese Stellvertretungsleistungen verlaufen insbesondere in der frühen Kindheit natürlich<br />
nicht „expertenhaft“, sondern auf einer intuitiven Basis (vgl. hierzu auch Papousek<br />
1996, 1999).<br />
• Naturwüchsige familiale Sozialisation innerhalb diffus-familialer Sozialbeziehungen kann<br />
somit auch als ein naturwüchsiger Prozess der Entfaltung von Autonomie verstanden<br />
werden, in dem zugleich Leistungen der Versorgung, Pflege, Wissens- und Normvermitt-<br />
lung sowie von prophylaktischer Therapie erbracht werden.<br />
• Die Betrachtung der Strukturbesonderheiten diffus-familialer Sozialbeziehungen sowie<br />
der sozialen Geburt des autonomen Subjekts in der triadischen Grundstruktur familialer<br />
Sozialisationsprozesse sind entscheidende Bezugspunkte für ein Verständnis beruflicher<br />
sozialer Arbeit:<br />
1. Berufliche soziale Arbeit enthält auf der konkreten personalisierten<br />
Beziehungsebene zwischen Fachkraft und Nutzer/Klient innerhalb spezifischrollenförmiger<br />
Beziehungskomponenten auch diffus-familiale Beziehungskomponenten,<br />
die für die verschiedenen Praxisfelder herausgearbeitet werden können.<br />
Man könnte auch sagen, bei beruflicher sozialer Arbeit handelt es sich um die<br />
rollenförmig-spezifische Veralltäglichung (spezifische Komponente) des aus der<br />
Sicht von Rollenhandeln Außeralltäglichen (diffuse Komponente).<br />
2. Berufliche soziale Arbeit im Focus von Therapie kann sich in ihren praktischen therapeutischen<br />
oder prophylaktisch-therapeutischen Interventionen normativ an diesem<br />
genetischen Modell von Autonomie orientieren, die es zu achten gilt.<br />
3. Berufliche soziale Arbeit im Focus von Therapie kann sich durch die Inszenierung/<br />
Reinszenierung familialer Autonominierungsprozesse unter besonderen fachlichberuflichen<br />
Rahmenbedingungen/ sozialen Rahmungen auch handlungspraktisch an<br />
naturwüchsigen familialen Sozialisationsprozesse in ihrer triadischen Grundstruktur<br />
orientieren.<br />
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1.1.4 Das Arbeitsbündnis: Berufliche soziale Arbeit als besonderer<br />
Beziehungstypus und widersprüchliche Einheit einer Beziehungspraxis<br />
Autonomisierung durch stellvertretende Krisenbewältigung<br />
• Das Paradox beruflicher sozialer Arbeit besteht darin, dass sie durch einen zumindest<br />
partiellen Eingriff in die Autonomie ihres Klienten/Nutzers über Akte stellvertretenden<br />
Deutens, Entscheidens und ggf. auch Handelns dessen Autonomie wiederherstellen,<br />
sicher oder unterstützen und fördern soll, ohne durch diese Eingriffe die Klienten/Nutzer<br />
zusätzlich sekundär zu deautonomisieren (und hierin ist sie ja strukturähnlich<br />
den naturwüchsigen familialen Sozialisationsprozessen).<br />
• Diese Autonomiesierung ist nur möglich, wenn es der Fachkraft innerhalb des Arbeitsbündnisses<br />
gelingt, die autonomen Entwicklungs- und Selbstheilungskräfte des<br />
Klienten zu wecken und zu mobilisieren und erfolgreich und bindend in den Prozess<br />
der stellvertretenden Krisenbewältigung einzubeziehen i. S. e. Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
• Berufliche soziale Arbeit kann hierbei als klientenbezogene stellvertretende Krisenbewältigung<br />
charakterisiert werden. Sie setzt ein, wenn die primäre Lebenspraxis in ihrer<br />
Krisenkonstellation zur selbständigen Krisenbewältigung überfordert ist, entweder,<br />
weil sie in ihrer Autonomie beschädigt oder entwicklungsbedingt noch eingeschränkt<br />
ist oder „weil inzwischen die methodisierte Wissensentwicklung solche Fortschritte<br />
gemacht hat, dass das Beharren auf einer selbständigen, naturwüchsigen Krisenbewältigung<br />
nicht mehr ein genuiner Ausweis von Autonomie, sondern ein irrational-trotziges<br />
Verweigern von Lebenschancen wäre“ (Oevermann 2002, 27).<br />
• Der Klient fragt als Ausdruck seiner eigenen Autonomie selbst um Hilfe nach oder<br />
Dritte (z.B. Eltern, Vormund, gesetzliche Betreuer) fragen stellvertretend für ihn um<br />
Hilfe nach, da er aufgrund seiner Entwicklung (z.B. Kinder) oder einer Schädigung<br />
hierzu nicht eigenverantwortlich und selbständig in der Lage ist.<br />
• In Wahrnehmung dieser Stellvertretungsfunktion kommt beruflicher sozialer Arbeit<br />
gegenüber Alltagshandeln eine gesteigerte Begründungsverpflichtung sowie ein ggf.<br />
auch verschärfter Entscheidungszwang zu ( zum Bewährungsproblem von autonomer<br />
Lebenspraxis als Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung<br />
sowie zum Krisenbegriff vgl. weiter unten 7.1: Ein strukturtheoretisches Modell der<br />
Autonomie der Lebenspraxis).<br />
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Die Beziehungsebene<br />
• Auf der Beziehungsebene stellt sich berufliche soziale Arbeit als widersprüchliche Einheit<br />
diffuser und spezifischer Beziehungskomponenten dar (besondere personale Nähe bei<br />
fachlich geforderte Distanz). Das Arbeitsbündnis ist die fachliche Bezeichnung für diese<br />
besondere und besonders zu gestaltende Beziehungspraxis, d.h. für einen besonderen Beziehungstypus<br />
neben dem Typus rollenförmig-spezifischer und dem Typus diffus-familialer<br />
Beziehungen.<br />
• Bezüglich der Gleichzeitigkeit von Spezifität und Diffusität ist das Arbeitsbündnis symmetrisch.<br />
Bezüglich des Autonomieproblems, d.h. hinsichtlich des Hilfe- Unterstützungs-<br />
oder Erziehungsbedarfs ist das Arbeitsbündnis asymmetrisch, denn diese Asymmetrie ist<br />
ja gerade die Grundlage für das Zustandekommen des Arbeitsbündnisses.<br />
• Aufgrund des Autonomieproblems/ der Problemlage des Klienten/ Nutzers, d.h. aufgrund<br />
einer bestimmten Krisenkonstellation kommt es zu einer Vereinbarung, die die Erbringung<br />
der Hilfeleistung sowie beiderseitige Bedingungen und Voraussetzungen der Leistungserbringung<br />
regelt. Die hiermit eingerichtete soziale Beziehung ist grundsätzlich<br />
kündbar und die beteiligten Personen sind grundsätzlich austauschbar (rollenförmigspezifische<br />
Beziehungskomponente).<br />
• Alleine aufgrund des Handlungsproblems Hilfe- bzw. Unterstützungsbedürftigkeit des<br />
Klienten/ Nutzers kommt es zu einer strukturell erzwungenen praktischen Realisierung<br />
diffus-familialer Beziehungskomponenten, die situationsbedingt die Übertragung kindheitsbestimmter<br />
Haltungen und Konstellationen sowohl des Klienten/Nutzers als auch der<br />
Fachkraft fördern:<br />
• Der Klient/Nutzer wird aus seiner je besonderen Problemlage und Hilfebedürftigkeit heraus<br />
strukturell gezwungen, sich der Fachkraft in besonderer Weise anzuvertrauen, dabei<br />
nicht nur psychische, sondern ggf. auch körperliche Nähe zuzulassen oder auch zu suchen,<br />
ohne dass er die kompetente Verwirklichung des beruflichen Handelns der Fachkraft<br />
wirklich vollständig kontrollieren könnte (diffus-familiale Beziehungs-komonenet:<br />
besondere Formen der Vertrauensbildung). Diese besondere Situation im Innenraum einer<br />
spezifischen Rollenbeziehung ähnelt strukturell frühen Eltern-Kind-Beziehungen und<br />
fördert deshalb situationsbedingt die Aktualisierung und Übertragung kindheitsbestimmter<br />
Haltungen und Konstellationen des Klienten.<br />
• Die Fachkraft ihrerseits muss sich auf den Klienten als ganzen Menschen beziehen, will<br />
sie ihn nicht, schon im Ansatz inhuman, auf eine Problemlage, eine Krankheit, ein Verhaltensproblem,<br />
eine Behinderung, eine Entwicklungsstörung, einen Hilfebedarf usw. reduzieren.<br />
Hierfür muss sie sich von der Situation des Klienten anrühren lassen und sich in<br />
diesen einfühlen, sie muss, ähnlich der Gattenbeziehung oder der Beziehung der Eltern zu<br />
ihren Kindern, den anderen als ganze Person wahrnehmen, mitdenken und mitberücksichtigen<br />
(Vgl. Allert 1998, S. 227 ff). Damit wird in je unterschiedlichem Ausmaß strukturell<br />
gewissermaßen eine innerliche Verwirklichung diffus-familialer Beziehungselemente<br />
auch auf Seiten der Fachkräfte erzwungen.<br />
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• Eine Steigerung erfährt diese innerliche Verwirklichung diffus-familialer Beziehungskomponenten<br />
noch im bewussten innerlichen Zulassen und Wahrnehmen der unbewussten<br />
Übertragungen und Beziehungsangebote des Klienten, wodurch die Fachkraft innerlich<br />
und innerhalb einer rollenförmigen Beziehung an einer diffus-familialen Beziehung teil<br />
hat.<br />
• Die Fachkraft ihrerseits gelangt aufgrund des Autonomieproblems des Klienten/Nutzers in<br />
eine Position besonderer Verantwortlichkeit, Autorität, Macht und ggf. auch Ohnmacht.<br />
Diese spezifische Situation, strukturell ähnlich frühen Eltern-Kind-Beziehungen, fördert<br />
auch auf Seiten der Fachkraft situationsbedingt die Aktualisierung und Übertagung kindheitsbestimmter<br />
Haltungen und Konstellationen<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Das Wissen um solche unbewussten Übertragungstendenzen sowie die Reflexion und der angemessene<br />
Umgang mit den eigenen Übertragungen und Übertragungstendenzen sowie denen<br />
der Klienten/Nutzer stellt ein wichtiges Element der Fachlichkeit beruflicher sozialer Arbeit<br />
dar.<br />
Ausbildung, Supervision und Selbstreflexion können der Bewusstmachung und dem Verständnis<br />
von Übertragungen, Übertragungstendenzen und typischen Beziehungsangeboten der<br />
Fachkräfte selbst i. S. e. Selbstaufklärung der Fachkräfte dienen (vgl. Völpert 1997).<br />
Das innerliche Zulassen und Wahrnehmen der unbewussten Übertragungen und typischen<br />
Beziehungsangebote des Klienten/Nutzers gegenüber der Fachkraft kann zu einem besseren<br />
Verständnis der Klienten/Nutzer sowie möglicher Konflikte und konflikthafter Verstrickungen<br />
im Berufsfeld führen. Qualifizierter Supervision, die die Übertagungen und Beziehungsangebote<br />
der Klienten zu berücksichtigen und zu verstehen sucht, kommt in diesem Zusammenhang<br />
eine besondere Bedeutung zu. (Vgl. z.B. Baumann 1987, Völpert 1985).<br />
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Klient<br />
K Klient<br />
K<br />
F Fachkraft<br />
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Gründungsvoraussetzung eines Arbeitsbündnisses<br />
• Ein Klient hat einen Hilfebedarf und ist aufgrund eingeschränkter<br />
Autonomie oder fortgeschrittenen Wissens (z.B.<br />
im Bereich der Medizin) nicht in der Lage, die Krisenkonstellation<br />
selbständig angemessen zu bewältigen.<br />
• Er fragt als Ausdruck seiner eigenen Autonomie selbst um<br />
Hilfe nach und muss sich dabei „öffnen“, ein Stück aus der<br />
Rolle heraustreten<br />
• oder Dritte fragen stellvertretend für ihn um Hilfe nach (z.B.<br />
Eltern, Vormund, gesetzlicher Betreuer, in Notfällen Hilfeleistung<br />
durch Dritte als Verpflichtung), da er aufgrund seiner<br />
Entwicklung (z.B. Kinder oder z.T. auch Menschen mit<br />
Behinderung) und/ oder einer Schädigung hierzu nicht ei-<br />
Abb.6: Gründungsvoraussetzung eines Arbeitsbündnisses<br />
Symmetrisch bez. der Gleichzeitigkeit<br />
diffuser und spezifischer Beziehungskomponenten<br />
K F<br />
Asymmetrisch bez. der Autonomie<br />
Abb.7: Das Arbeitsbündnis als besonderer Beziehungstypus<br />
Spezifische Beziehungskomponente<br />
Diffuse Beziehungskomponente
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Die Wissensebene<br />
• Auf der Wissensebene stellt sich berufliche soziale Arbeit als widersprüchliche Einheit<br />
von fachlich-wissensmäßiger und/oder fachlich-wissenschaftlicher Kompetenz im<br />
engeren Sinne (Erklären) und hermeneutischer Kompetenz des Fallverstehens (Verstehen)<br />
andererseits dar. Beim Erklären geht es um die Anwendung von Wissensbeständen,<br />
die allgemeine Gültigkeit besitzen, um die Problemlage eines Klienten/Nutzers<br />
anzugehen. Beim Fallverstehen geht es jedoch nicht um das Einordnen<br />
des Falles, einer Problemlage unter allgemeine Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten,<br />
sondern um das Verständnis des einzelnen „Falles“ in seiner Eigenart und geschichtlichen<br />
Gewordenheit, in seinen besonderen Möglichkeiten und Einschränkungen<br />
und d.h. auch in seiner je besonderen Zukunftsoffenheit.<br />
• Die widersprüchliche Einheit von Erklären und Fallverstehen lässt sich am Modell<br />
ärztlich-therapeutischer Praxis beispielhaft verdeutlichen: Für eine therapeutische<br />
Praxis muss neben dem Erklären, d.h. der Einordnung von Symptomen unter theoretische<br />
Modelle, das Fallverstehen einer konkreten Lebenspraxis in ihrer lebensgeschichtlichen<br />
Einbettung und Gewordenheit hinzutreten, in der die Krankheit selbst<br />
dann eine motivierte Stellung und Funktion einnimmt. „In dieser Auffassung ist die<br />
Krankheit nicht nur negativer Fremdkörper oder Störung, sondern darüber hinaus<br />
auch motivierter Bestandteil des konkreten Lebens in seiner Totalität. Krankheit erscheint<br />
so in ihrer einzig angemessenen Konzeptualisierung: nicht einfach platt als<br />
das klassifikatorische Gegenteil von Gesundheit, sondern als das Maximum an Gesundheit,<br />
das ein konkretes Leben in seiner Traumatisierungsgeschichte und in seinem<br />
Überlebenskampf unter seinen je konkreten Lebensbedingungen zu erreichen in der<br />
Lage war.<br />
Korrelativ dazu ist Gesundheit nicht einfach als normativ als eine standardisierte Konfiguration<br />
von Messdaten oder Kriterien zu fassen. Die Diagnose besteht also nicht<br />
einfach in einem Prozess der normativen Abgleichung von Messwerten, sondern ist<br />
vor allem eine Rekonstruktion einer Fallstruktur, so dass Symptomatik, Krankheit und<br />
Möglichkeiten der Gesundheit gewissermaßen „in einem Atemzuge“ in Begriffen dieser<br />
rekonstruierten Fallstruktur zu explizieren sind“ (Oevermann 1997, 127).<br />
(Zum analogen Problem einer normativen bzw. nicht-normativen Bewertung von Ergebnissen/<br />
Unterstützungsprozessen vgl. weiter unten <strong>Kapitel</strong> 10: Zur Problematik<br />
der Bewertung von Ergebnissen im Bereich beruflicher sozialer Arbeit).<br />
• Dieser widersprüchlichen Einheit von Erklären und Verstehen liegt als objektives<br />
Handlungsproblems zugrunde, dass es im Bereich beruflicher sozialer Arbeit um die<br />
Anwendung fachlichen und fachlich-wissenschaftliche Wissens im Kontext einer Lebenspraxis,<br />
d.h. eines je besonderen biopsychosozialen Lebenszusammenhanges geht<br />
und nicht etwa um die Anwendung fachlichen und wissenschaftlichen Wissens auf<br />
ausschließlich instrumentell-technische Probleme wie z.B. im Handwerk oder den Ingenieurberufen.<br />
Hierin liegt auch der Grund für die grundsätzliche Nicht-Standardisierbarkeit<br />
beruflicher sozialer Arbeit (vgl. hierzu detailliert Oevermann 2002).<br />
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Nicht-Standardisierbarkeit beruflicher sozialer Arbeit bei individueller Hilfeplanung<br />
und Hilfeerbringung<br />
• Die Nicht-Standardisierbarkeit beruflicher sozialer Arbeit, die ja grundsätzlich in der je<br />
unterschiedlichen Geschichte, Eigenlogik und Zukunftsoffenheit eines Falles begründet<br />
ist, lässt sich bezüglich der individuellen Hilfeplanung, d.h. der Diagnostik/ Hilfebedarfsermittlung<br />
und der fachlich begründeten Angebotsauswahl/ Indikation sowie bezüglich der<br />
konkret-personalen Hilfeerbringung jeweils gesondert bestimmen:<br />
1. Diagnostik/ Hilfebedarfsermittlung: Eine individuell angemessene Auswahl von<br />
Angeboten/ Heil- und Hilfsmitteln setzt eine individuell angemessene Diagnostik/ Hilfebedarfsermittlung<br />
in der widersprüchlichen Einheit von Erklären und Fall-Verstehen<br />
voraus. Das Fallverstehen einer je besonderen Lebenspraxis in ihrer historischen<br />
Gewordenheit, ihrem So-Sein und ihren je besonderen Möglichkeiten<br />
und Einschränkungen (je besondere Zukunftsoffenheit) ist grundsätzlich nicht<br />
standardisierbar. Das rekonstruktive Verstehen einer je konkreten Fallstruktur „ist eine<br />
in sich nicht standardisierbare methodische Operation, die der jeweiligen Konkretion<br />
einer Fallstrukturgesetzlichkeit rekonstruktionslogisch zu folgen hat“ (Oevermann<br />
2002, 31).<br />
2. Fachlich begründete Angebotsauswahl/ Indikation: Die aus dem festgestellten<br />
Hilfebedarf/ der Diagnostik abgeleitete Problemlösung, d.h. die besondere Angebotsauswahl/<br />
Indikation sowie deren weitere Konkretisierung und Umsetzung in spezifische<br />
fachliche Handlungskonzepte erfolgt zwar nach fachlichen und organisatorischen<br />
Routinen, muss aber dennoch individualisierend fallangemessen sein und ist insofern<br />
nicht standardisierbar (mechanisierbar und automatisierbar). Eine rein mechanische<br />
Ableitung von Hilfe- und Unterstützungsangeboten aus der Hilfebedarfsermittlung/<br />
Diagnostik würde von vornherein einen Akt destruierender Fremdbestimmung bedeuten.<br />
3. Die Praxis des Arbeitsbündnisses: Die konkret-personale Beziehungspraxis eines<br />
Arbeitsbündnisses mit einem Klienten als ganzer Person, in der es um die sokratische<br />
Weckung der Eigenkräfte des Klienten i. S. e. Hilfe zur Selbsthilfe geht, ist ihrerseits<br />
nicht standardisierbar. Dies gilt sowohl für ein diagnostisches Arbeitsbündnis (vgl.<br />
weiter unten <strong>Kapitel</strong> 5.3: Diagnostisches Arbeitsbündnis und Einrichtung von Arbeitsbündnissen)<br />
wie auch für das i.e.S. hilfeerbringungsbezogene Arbeitsbündnis.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Doppelmitgliedschaft in Berufsverband und Organisation<br />
• In dem Maße, in dem sich in den einzelnen Bereichen beruflicher sozialer Arbeit kollektive<br />
Berufsorganisationen mit eigenen sozialen Strukturen, fachlichen Standards<br />
und berufsethischen Orientierungen entwickeln bzw. bereits etabliert haben, erwirbt die<br />
einzelne soziale Fachkraft, sofern sie innerhalb einer Organisation tätig ist, eine besondere<br />
Doppelmitgliedschaft: Sie ist zum einen Mitglied in einem beruflichen Kollektiv mit eigenen<br />
Strukturen, eigener Kultur und eigenen berufsethischen Orientierungen, sie ist zum<br />
anderen aber auch Mitglied in einer sozialen Organisation mit ebenfalls eigenen Strukturen,<br />
eigener Kultur und eigenen Orientierungen. Hieraus können sich sowohl konflikthafte<br />
als auch konstruktive Konstellationen ergeben.<br />
Ebene des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft<br />
• Im konflikthaften Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft vertritt die Fachkraft<br />
beruflicher soziale Arbeit anwaltlich die Interessen des Individuums gegenüber der Gesellschaft.<br />
Sie unterstützt die Betroffenen bei der Formulierung und Realisierung individueller<br />
Hilfebedarfe und Bedürfnisse.<br />
• Die Fachkraft beruflicher sozialer Arbeit ist zugleich Repräsentant einer verbindlichen<br />
Definition von Normen und legitimierter Ansprüche der Kollektivität gegenüber dem<br />
einzelnen. Sie hat sich bei der Formulierung und Realisierung von individuellen<br />
Hilfebedarfen und Bedürfnissen an der gültigen Definition und normativen Absicherung<br />
bestimmter Personenkreise mit bestimmten Leistungsansprüchen zu orientieren.<br />
Privatwirtschaftliche oder Arbeitnehmerinteressen der Fachkräfte und Interessen<br />
der Klienten/Nutzer<br />
• Die anwaltliche Vertretung der Interessen der Klienten/Nutzer steht in einem potentiell<br />
konflikthaften, regulierungs- und schutzbedürftigen Verhältnis gegenüber der Vertretung<br />
der ökonomischen Interessen der Fachkräfte selbst. Auf der Ebene von Berufsverbänden<br />
und gewerkschaftlicher Interessenwahrnehmung ist oftmals eine fehlende Trennschärfe<br />
und Vermischung beider Interessenbereiche festzustellen.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 30
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Das Arbeitsbündnis: Berufliche soziale Arbeit als widersprüchliche Einheit<br />
einer Beziehungspraxis<br />
Autonomisierung durch stellvertretende Krisenbewältigung<br />
• Durch Einriffe in die Autonomie durch stellvertretendes Deuten, Entscheiden und ggf.<br />
Handeln soll Autonomie hergestellt/ wiederhergestellt/ unterstützt werden, ohne sie sekundär<br />
zu deautonomisieren.<br />
• Diese Autonomiesierung ist nur möglich, wenn es gelingt, die autonomen Entwicklungs-<br />
und Selbstheilungskräfte des Klienten zu wecken und zu mobilisieren und erfolgreich<br />
und bindend in den Prozess der stellvertretenden Krisenbewältigung einzubeziehen<br />
i.S.e. Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
• Berufliche soziale Arbeit kann als klientenbezogene stellvertretende Krisenbewältigung<br />
charakterisiert werden. Sie setzt ein, wenn die primäre Lebenspraxis eines Nutzers/ Klienten<br />
aufgrund einer Autonomieeinschränkung zur selbständigen Krisenbewältigung<br />
überfordert ist.<br />
Beziehungsebene<br />
• Gleichzeitigkeit rollenförmig-spezifischer und diffus-familialer Beziehungskomponenten,<br />
• Symmetrie bezüglich der Gleichzeitigkeit von Diffusion und Spezifizität,<br />
• Asymmetrie bezüglich des Autonomieproblems/Hilfebedarfs<br />
• Durch Handlungsproblem/Autonomieproblem/ Krisenkonstellation verursachter Zwang<br />
zur Verwirklichung diffuser Beziehungsanteile aktiviert und fördert Übertragungen.<br />
Wissensebene<br />
• Gleichzeitigkeit von Erklären (Anwendung von allgemeingültigen Wissensbeständen<br />
auf einen Fall) und Fallverstehen(Verstehen des Falles in seiner Besonderheit, seinem<br />
besonderen Gewordensein und seiner besonderen Zukunftsoffenheit).<br />
• Zugrundeliegendes Handlungsproblem: Die Anwendung von Wissensbeständen im Zusammenhang<br />
der Lebenspraxis eines Menschen und nicht im Zusammenhang ausschließlich<br />
technischer Probleme wie bei Handwerk oder Ingenieurberufen.<br />
Nicht-Standardisierbarkeit<br />
• Ist grundsätzlich in der je besonderen Geschichte, Eigenlogik und Zukunftsoffenheit eines<br />
Falles begründet<br />
• Die Nicht-Standardisierbarkeit ergibt sich im einzelnen auf den Ebenen von Diagnostik/<br />
Hilfebedarfsermittlung, fachlich begründeter Angebotsauswahl/ Indikation und Praxis<br />
des Arbeitsbündnisses.<br />
Doppelmitgliedschaft in Berufsverband und Organisation<br />
Ebene des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft:<br />
Fachkraft ist Anwalt des Klienten/Nutzers gegenüber der Gesellschaft und zugleich Repräsentant<br />
der Gesellschaft gegenüber dem Klienten/Nutzer.<br />
Ökonomische Interessen der Fachkräfte gegenüber Interessen der Klienten/Nutzer<br />
31 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Exkurs: Die Fortschritte der modernen Neurowissenschaften, neuronale und<br />
sprachliche Prädizierung und weitere Ausdifferenzierung der<br />
Dimensionen des Unbewussten<br />
Die Fortschritte der modernen Neurowissenschaften erfordern zum einen eine Neuorientierung<br />
von Grundvorstellungen über Erkenntnisprozesse und entsprechend von Erkenntnistheorie<br />
und führen zugleich zu einer Neuakzentuierung des Unbewussten und<br />
einer weiteren Ausdifferenzierung seiner Dimensionen. (5)<br />
Dies wird nicht ohne Folgen für Theorie und Praxis der verschiedenen Felder beruflicher sozialer<br />
bleiben, da sich zeigt, dass im Krisenbewältigungsprozess ein größerer Anteil, als bisher<br />
angenommen, der neuronalen, unbewusst verlaufenden Prädizierung, d.h. Bedeutungsbildung<br />
zuzurechnen ist.<br />
Als Exkurs sollen zur Verdeutlichung dieser Situation thesenartig Stellungnahmen von<br />
G. Roth, U. Oevermann sowie H. J. Wagner hierzu aufgeführt werden:<br />
• „Auf der Folie von Resultaten der modernen Neurowissenschaften müssen wir – einerseits<br />
dies bestätigend, andererseits darüber hinausgehend – von einer komplexen neuronalen<br />
Prädizierung reden. Denn:‚ Der Übergang von der physikalischen und chemischen Umwelt<br />
zu den Wahrnehmungszuständen des Gehirns stellt einen radikalen Bruch dar. Die<br />
Komplexität der Umwelt wird „vernichtet“ durch ihre Zerlegung in Erregungszu-stände<br />
von Sinnesrezeptoren. Aus diesen muss das Gehirn wiederum durch eine Vielzahl von<br />
Mechanismen die Komplexität der Umwelt, soweit sie für das Überleben relevant ist, erschließen.<br />
Dabei werden durch Kombination auf den vielen Stufen der Sinnessysteme jeweils<br />
neue Informationen, neue Bedeutungen erzeugt’ (Roth, 1997, 115).<br />
Und weiter, auf die Farbwahrnehmung bezogen: ‚ Sehen wir uns als Beispiel für eine<br />
derartige Informationserzeugung durch Kombination das Farbensehen an. Wir können<br />
mehr als eine Million Farbabstufungen (das heißt Unterschiede hinsichtlich Farbton, Sättigung<br />
und Helligkeit) unterscheiden (von Camphausen, 1981). Grundlage dieser erstaunlichen<br />
visuellen Fähigkeit ist das Vorhandensein von mindestens zwei Typen von Zapfen,<br />
die unterschiedlich auf Wellenlängen des Lichtes reagieren, also unterschiedliche spektrale<br />
Empfindlichkeiten aufweisen. Bei uns Menschen und den anderen Säugetieren gibt<br />
es entsprechend der gut bestätigten Young-Helmholtz-Theorie drei Typen von Zapfen.<br />
(...) Unser Farbempfinden kommt entsprechend der Young-Helmholtz-Theorie des triochromatischen<br />
Farbensehens durch Kombination der Aktivitäten dieser drei Farbrezeptoren<br />
zustande. ( ...) Wir sehen also, dass die Information über eine bestimmte Farbe also<br />
keineswegs in den Zapfen der Netzhaut entsteht, sondern durch Kombination der Erregung<br />
von Sinnes- und Nervenzellen und Zellverbänden in einem Prozess, der von Photorezeptoren<br />
bis zu den assoziativen visuellen Arealen der Großhirnrinde reicht. Farbwahrnehmung<br />
ist also das Ergebnis eines komplizierten informationserzeugenden Vorganges’<br />
(Roth, 1997, 115 ff., 121).“ (Wagner, 2001, 181 f.).<br />
(5) Vgl. hierzu im einzelnen: Roth, G. (1997): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie<br />
und ihre philosophischen Konsequenzen. Frankfurt am Main. Kandel, E.P. / Schwartz, J.H. / Jessell,<br />
Th. M. (Hg.) (1996): Neurowissenschaften. Eine Einführung. Heidelberg. Rock, I. (1985): Wahrnehmung. Vom<br />
visuellen Reiz zum Sehen und Erkennen. Heidelberg.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• „Es ist im Erkenntnisprozess ‚von einem neurophysiologisch naturgesetzlich gesteuerten<br />
Prozess der Vor-Prädizierung auszugehen, der eine Funktion der Wahrnehmungsorganisation<br />
ist, die ihrerseits von der vorausgehenden Erfahrung aufgrund der von ihr<br />
bewirkten Verschaltungen abhängig ist, und nicht allein eine Funktion vorprogrammierter<br />
angeborener neuronaler Schemata’ (Oevermann, 2000, 54).<br />
Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse haben zur Folge, dass wir erkenntnistheoretisch<br />
von einer veränderten Grundsituation ausgehen müssen, worin der erkennende<br />
Geist zum einen als weitgehend unbewusst Informationen verarbeitendes neuronales System<br />
thematisch wird und andererseits als sprachlich konstituiertes epistemisches Bewusstsein<br />
und in dieser Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil einer handlungs-fähigen<br />
autonomen Lebenspraxis’ (Oevermann, 2000, 4 f). (Wagner, 2001, 182 f.)“.<br />
• „Diese Situation erfordert eine Umstellung der alten Erkenntnistheorie. Erkenntnis beginnt<br />
immer schon mit der neuronalen, unbewussten Prädizierung, bevor die bewusste<br />
sprachlich vermittelte Prädizierung einsetzt. Ja, mit der neuronalen Prädizierung geht<br />
schon eine relative oder partielle Lösung der Krise einher. In einer neuen, neurowissenschaftlich<br />
aufgeklärten Erkenntnistheorie wäre demnach der erkennende Geist der alten<br />
Erkenntnistheorie wie folgt zu konzeptualisieren. Er ‚erschließt sich die über die Wahrnehmungsorganisation<br />
auf ihn einwirkende erfahrbare Welt zunächst ähnlich wie<br />
die subhumanen Gattungen, nur differenzierter und komplexer, über die unbewusst verlaufende<br />
neuronale Prädizierung und erst dann in einem bewussten begrifflichen Erkenntnisakt<br />
über eine sprachlich angeleitete Prädizierung. Entsprechend wird die von unmittelbar<br />
gegebenen Sinneseindrücken erzeugte Unbestimmtheitskrise durch neuro-naler Bearbeitung<br />
schon immer relativ gelöst, bevor sie als krisenhafte Überraschung zum Inhalt eines<br />
manifesten Krisenbewusstseins wird, in dem ihrerseits diese Krise durch begriffliche<br />
Arbeit gelöst wird’ (Oevermann 2000, 27)“ (Wagner 2001, 184 f.).<br />
• „Die Resultate der Neurowissenschaften bezüglich der neuronalen Prädizierungen erfordern<br />
eine Ausweitung der Sphäre des Unbewussten des Subjekts. Denn das Unbewusste<br />
spielt im psychischen Leben und im Erkenntnisprozess des Subjekts eine weitaus größere<br />
Rolle als bisher angenommen. Das dynamische Unbewusste im Sinne Freuds entpuppt<br />
sich lediglich als Teil eines umfassender anzusetzenden Unbewussten. Dabei ist es nicht<br />
nötig, die verschiedenen Dimensionen des Unbewussten einander zu konfrontieren; sie<br />
sind vielmehr als aneinander anschlussfähig zu denken. ’Die neurowissenschaftliche Forschung<br />
der Gegenwart hat die Bedeutung des Unbewussten auf eine ungeahnte Weise<br />
wieder in den Mittelpunkt gerückt und uns klargemacht, dass die kompliziertesten Prozesse<br />
in unserem psychischen Leben dem Bewusstsein ver-schlossen sind und unbewusst ablaufen’<br />
(Oevermann, 2000, 51 f.) (Wagner, 2001 184 f.)“.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• „Wir können gegenwärtig fünf verschiedene Dimensionen des Unbewussten des Subjekts<br />
unterscheiden (Oevermann 2000, 52 ff. Oevermann führt vier Aspekte des Unbewussten<br />
des Subjekts an. Er kritisiert sowohl die Konzeption des phylogenetischen Unbewussten<br />
bei Freud als auch die Archetypenlehre Jungs. Es ist hier jedoch mit dem phylogenetischen<br />
Unbewussten eine fünfte Dimension genannt.):<br />
1. Das Freudsche Unbewusste, das aus Prozessen der Verdrängung und Nachverdrängung<br />
resultiert und mit einem Widerstand von Seiten des abwehrenden Ich<br />
behaftet dynamisch vom Bewusstsein ferngehalten wird.<br />
2. Das phylogenetische Unbewusste (unter anderem Freuds phylogenetische Erinnerungsspuren;<br />
Jungs Archetypen), das freilich gegenüber den anderen hier genannten<br />
Dimensionen des Unbewussten am umstrittensten ist.<br />
3. Das Unbewusste, das auf frühe ontogenetische Erfahrungen zurück geht. Es ist<br />
dies ein Unbewusstes, ‚das allein daraus resultiert, dass es auf frühe Erlebnisse und<br />
Erfahrungen zurückgeht, die aufgrund eines zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinreichend<br />
entwickelten Bewusstseins bzw. einer noch nicht hinreichenden Sinninterpretationskapazität<br />
nicht erinnert werden können, aber dennoch archiviert sind<br />
und von daher Einfluss auf die Gegenwärtigkeit der Krisenbewältigung ausüben<br />
können’.<br />
4. Das Unbewusste, das die Neurowissenschaften auf der Grundlage neuronaler Informationsverarbeitung<br />
nachgewiesen haben. Es handelt sich um das Unbewusste<br />
der ‚neuronalen Vorgänge, die ständig unserem Fühlen, Wahrnehmen, Bewegen,<br />
Denken und Erinnern zugrunde liegen’.<br />
5. Das Unbewusste des impliziten „schweigenden“ Wissens (tacit knowledge), wie<br />
man es für die operative Kenntnis von sprachlichen regeln, von Regeln des logischen<br />
Schließens und anderen epistemischen Universalien annehmen muss.’<br />
Am ehesten ist von einer Überlappung und nicht von einer Trennung dieser verschiedenen<br />
Dimensionen des Unbewussten des Subjekts auszugehen“ (Wagner, 2001, 185 f.).<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 34
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher Sozialer Arbeit<br />
In Orientierung an Wagner kann die grundsätzliche Bedeutung der neueren neurowissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit wie folgt umrissen werden:<br />
• Es zeigt sich, dass im Krisenbewältigungsprozess ein größerer Anteil als bisher angenommen<br />
den neuronalen unbewusst verlaufenden Prädizierungen zuzurechnen ist. Dies<br />
bedeutet, dass in dieser Sphäre den Selbstheilungskräften des Klienten eine besondere Bedeutung<br />
zukommt. Insbesondere ist dem Entwurf erster Bilder des Klienten erhöhte Aufmerksamkeit<br />
zu schenken. Der Professionelle muss dem Klienten helfen, die in diesen latent<br />
enthaltenen Potentiale zur Krisenlösung zu entbinden. Zugleich sollten die Erkenntnisse<br />
über diese Phase des Krisenbewältigungsprozesses den Professionelle sensibel für<br />
den hohen Anteil des Unbewussten im Prozess der Krisenlösung machen.<br />
• Die sprachlichen Prädizierungen schließen immer erst an die neuronalen Prädizierungen<br />
im Krisenbewältigungsprozess an. Auch dies muss der Professionelle bedenken. Nicht im<br />
Medium der Sprache allein, sondern nur auf der Grundlage von neuronalen und sprachlichen<br />
Prädizierungen lassen sich Krisen lösen. Eine konstitutive Berücksichtigung dieser<br />
Tatsache dürfte Einstellungsänderungen nach sich ziehen“ (Wagner, 2001, 205).<br />
35 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.1.5 Fallverstehen und Hilfen im Fallverstehen<br />
Dem Fallverstehen als dem rekonstruktiven Nachvollzug einer konkreten Lebenspraxis in<br />
ihrer lebensgeschichtlichen Gewordenheit, ihrer Eigenlogik und ihrer je besonderen Zukunftsoffenheit<br />
(Möglichkeiten und Einschränkungen) kommt i.R. beruflicher sozialer Arbeit<br />
eine hervorgehobene Bedeutung zu.<br />
Fallverstehen verweist auf die Lebenspraxis eines einzelnen Menschen, eines Paares, einer<br />
Familie als Prozess der Krisenbewältigung und d.h. als widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang<br />
und Begründungsverpflichtung, die auch als Bewährungsdynamik von Lebenspraxis<br />
bezeichnet werden kann (vgl. hierzu weiter unter: Ein strukturtheoretisches Modell<br />
der Autonomie der Lebenspraxis).<br />
In dieser Sicht entwickelt sich, zeigt sich und bewährt sich die Autonomie einer Lebenspraxis<br />
in der Bewältigung von Krisen, d.h. in der je besonderen Abfolge von Entscheidungen und<br />
Begründungen. Hierauf bezogen stellt die Sequenzanalyse das geeignete praktische Verfahren<br />
der Rekonstruktion von Krisen und ihrer Bewältigung dar (vgl. Oevermann 2000 e).<br />
„ In dem Maße, in dem Autonomie eines Individuums, eines Paares, einer Familie sich in der<br />
Bewältigung von Krisen zeigt, ist die sequenzanalytische Rekonstruktion solcher Prozesse das<br />
geeignete verfahren zur Analyse von Individualität einer konkreten Lebenspraxis. Wichtig ist,<br />
dass unter einer Abfolge von Sequenzen nicht ein einfaches nebeneinander von Entscheidungen<br />
gemeint ist. Sequenzen und ihre Abfolgen entfalten sich als sinnstrukturierte Prozesse,<br />
die ein Muster erzeugen, reproduzieren oder transformieren, indem Möglichkeiten wahrgenommen,<br />
gegeneinander abgewogen, verworfen bzw. gewählt werden. Struktur und Prozess<br />
‚fallen in eins’ (Oevermann 2000 e, 71). Sequenzanalysen beziehen sich somit auf Ausschnitte<br />
aus Abfolgen lebenspraktischer Entscheidungsprozesse“ (Welter-Enderlin / Hildenbrand<br />
2004, 35).<br />
Gegenüber der von unmittelbarem praktischen Handlungsdruck entlasteten Praxis wissenschaftlicher<br />
Fallrekonstruktionen steht das Fallverstehen in der beruflichen sozialen Arbeit<br />
aber unter einem mehr oder minder stark ausgeprägten praktischen Handlungsdruck i.V.m.<br />
dem Hilfebedarf/ der Krisenkonstellation eines konkreten Klienten ( Fallverstehen „off-line“<br />
gegenüber Fallverstehen „on-line“, vgl. Wolf 1995). Es ist deshalb wesentlich angewiesen<br />
auf abkürzende Verfahren des Fallverstehens und die Schulung eines intuitiv gestaltrichtigen<br />
Erschließens von Fallstrukturen (vgl. Oevermann 2000 e).<br />
Orte der Schulung und Entwicklung von Fallverstehen sind zunächst die klientenbezogene<br />
berufliche Aus- und Weiterbildung, die Supervision, kollegiale Intervision und fachliche<br />
Selbstreflexion.<br />
Fallverstehen „off-line“, d.h. i.R. v. wissenschaftlichem Handeln, besteht in expliziten, methodisch<br />
kontrollierten und sequenzanalytisch verfahrenden Fallrekonstruktionen, die sowohl<br />
auf die Problemlage des Klienten, den Interventionsverlauf als auch die fachlichen und organisatorischen<br />
Routinen und Rahmenbedingungen fokussieren können ( vgl. z.B. Oevermann<br />
2000e, 2002a).<br />
Die Einführung und Einübung in solche wissenschaftlich expliziten, ausführlichen und sequenzanalytisch<br />
verfahrenden Fallrekonstruktionen im Kontext einer Methodologie der Objektiven<br />
Hermeneutik kann als Element fallbezogener Aus- und Weiterbildung die<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Ausbildung einer Fallverstehenskompetenz unter praktischem Handlungsdruck ( „on-line“)<br />
aber unterstützen oder bei der Klärung schwieriger Fallkonstellationen hilfreich sein (vgl.<br />
hierzu z.B. Ley 2000, Oevermann 2002a, 2000e).<br />
Die Genogrammanalyse stellt eine weitere Hilfe im Fallverstehen dar, und zwar sowohl in<br />
Prozessen der Ausbildung und Selbstevaluation (vgl. Welter-Enderlin/Hildenbrand 2004) als<br />
auch im Bereich beruflicher sozialer Arbeit (vgl. Cierpka 1996, v. Schlippe / Schweitzer 1999<br />
und Welter-Enderlin/Hildenbrand 2004) und der Forschung (vgl. Hildenbrand 2005 und<br />
Allert 1998).<br />
Das Genogramm wird der sequenzanalytischen Perspektive gerecht, indem es ein graphisches<br />
Hilfsmittel darstellt, um zentrale objektive lebens- und familiengeschichtliche Daten über<br />
mehrere Generationen hinweg zu rekonstruieren „und so zu einer Fallstrukturhypothese zu<br />
gelangen, die beschreibt, wie die jeweilige Familie in der Dialektik von Autonomie und Heteronomie<br />
immer wieder Entscheidungen als geordnete und zukunftsoffene hervorbringt“<br />
(Hildenbrand 2005, 32).<br />
Eine andere Hilfe im Fallverstehen als Ergänzung zur diachronischen Genogrammanalyse<br />
stellt die synchronische ökosoziale Kontextanalyse, die „ECO-MAP“ dar. „Eine sehr brauchbare<br />
diagnostische Methode zur Erfassung und graphischen Vergegenwärtigung des sozialen<br />
Kontextes einer Person ist die Öko-soziale Karte (Eco-Map) (Cournoyer 1996). Die Eco-Map<br />
ist ein Diagramm, das die umgebende soziale Welt einer Person repräsentiert.<br />
Sie erlaubt einen Überblick über den Kontext einer Person, einer Familie oder eines Haushaltes<br />
(kann auch auf andere soziale Institutionen bzw. Systeme übertragen werden)“ (Pauls,<br />
2004. 231).<br />
Unter vor allem interventionspraktischen und risikoabwägenden Aspekten ist schließlich auf<br />
die Vier-Felder-Matrix der Koordinaten psychosozialer Diagnostik- und Intervention hinzuweisen<br />
(vgl. Pauls, 2004, 214 ff).<br />
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Stand 01.08.2012<br />
1.2. Zum Begriff der Professionalisierung<br />
1.2.1 Das Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Professionalisierung versus Spezialisierung und Expertisierung<br />
• Unabhängig von der konkreten historischen Erscheinungsform der verschiedenen Berufe<br />
und Berufsfelder liegt im Bereich beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie eine<br />
grundsätzliche Professionalisierungsbedürftigkeit i. S. e. angemessenen Handhabung des<br />
Arbeitsbündnisses mit einem Klienten und damit der Gleichzeitigkeit diffuser und spezifischer<br />
Beziehungskomponenten vor.<br />
• Im Bezugsrahmen einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie liegt entsprechend<br />
bei Berufen, die tradiertes Berufswissen oder wissenschaftliches Wissen auf ausschließlich<br />
technische Probleme anwenden, wie im Handwerk oder den Ingenieur-<br />
wissenschaften, kein Professionalisierungserfordernis vor. In allen diesen Berufen und Berufsbereichen<br />
handelt es sich entsprechend um Prozesse der Verberuflichung, der Spezialisierung<br />
und Expertisierung sowie der Qualifizierung, nicht aber um Professiona-<br />
lisierungsprozesse.<br />
• Ein Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit kann sich auf grundsätzlich<br />
zwei Ebenen ergeben:<br />
• Auf der Ebene des Arbeitsbündnisses als einer konkret-personalen Beziehungspraxis<br />
in der Gleichzeitigkeit diffus-spezifischer Beziehungskomponenten, die es fallverstehend<br />
und autonomisierend zu gestalten gilt. Ein Professionalisierungs-erfordernis auf<br />
der Ebene des Arbeitsbündnisses gilt grundsätzlich für alle Bereiche beruflicher sozialer<br />
Arbeit im Focus von Therapie.<br />
• Auf der Wissensebene als Notwendigkeit einer über die fachliche Ausbildung hinausgehenden<br />
wissenschaftlichen Ausbildung aufgrund einer ausgesprochenen wissenschaftlichen<br />
Begründungsnotwendigkeit. beruflichen Handelns. Dies ist zwingend<br />
nicht für alle Bereiche beruflicher sozialer Arbeit, notwendig z.B. aber für die moderne<br />
Medizin.<br />
Wissenschaftliches Handeln folgt dabei selbst der Logik eines Arbeitsbündnisses:<br />
Der Wissenschaftler, als ganze Person betroffen und engagiert, prüft, freigestellt von<br />
praktischem Handlungsdruck, stellvertretend für die Gesellschaft als ganzer die Geltung<br />
von Wahrheitsbehauptungen. Durch wissenschaftlichen Fortschritt kann er damit<br />
die Steuerungsfähigkeit/ Autonomie der Gesellschaft als ganzer erheblich erweitern<br />
und unterstützen.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Kunstlehre und professioneller Habitus<br />
Die Konzeptualisierung und Organisierung von Professionalisierungsprozessen auf der Ebene<br />
des Arbeitsbündnisses kann sich an den Prozessen beruflicher Sozialisation in voll durchprofessionalisierten<br />
Bereichen (z.B. Mediziner und Rechtsanwalt) orientieren.<br />
• Nach einer theoretischen Ausbildungsphase eignet sich das künftige Professionsmitglied<br />
in einer anwendungsbezogenen, d.h. fallorientierten praktischen Phase der beruflichen<br />
Sozialisation eine Kunstlehre als berufsspezifische Anwendungslehre fachlicher Wissensbestände<br />
an. Diese Kunstlehre umfasst neben typischen Verfahrens- und Vorgehensweisen,<br />
d.h. typischen fachlichen Routinen, auch den Erwerb eines berufsspezifischen Habitus.<br />
• Dieser Habitus beruht sowohl auf systematischem als auch auf intuitivem Wissen, er beinhaltet<br />
eine berufsspezifische, die ganze Person des Professionellen betreffende Wahrnehmungseinstellung<br />
und Haltung gegenüber seinem Klienten und unterscheidet sich damit<br />
deutlich von einer Jobmentalität gegenüber Beruf und Klientel.<br />
• Der Habitus als berufsspezifische Wahrnehmungseinstellung und Haltung betrifft also<br />
sowohl ihren Träger, d.h. die Fachkraft, als ganze Person, ist aber auch auf den Klienten<br />
als ganze Person bezogen. (diffuse Beziehungskomponente).Er hat auch die Bedeutung<br />
einer besonderen Abkürzungsstrategie des Fallverstehen im beruflichen Handeln, um unter<br />
praktischem Handlungsdruck möglichst schnell zu einer fachlich-fallbezogenen Orientierung<br />
und Strukturierung des beruflichen Handelns zu gelangen. Man könnte auch sagen,<br />
es gibt so etwas wie einen typischen „beruflichen Blick“ des Arztes, des Therapeuten,<br />
des Rechtsanwaltes, des Pädagogen, des Pflegers usw., mit dem diese möglichst<br />
schnell zu einer Orientierung ihres beruflichen Handelns zu kommen versuchen.<br />
• Angeeignet wird der Habitus in voll professionalisierten Berufen vor allem in kollegialen<br />
Lehrer-Schüler-Beziehungen, in denen der Schüler nicht infantilisiert, sondern i. S. e.<br />
„als-ob-Prinzips“ immer schon als Kollege angesprochen wird.<br />
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Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Es ergibt sich ein Professionalisierungserfordernis auf grundsätzlich zwei Ebenen:<br />
• Beziehungsebene/Arbeitsbündnis: Kompetenzerwerb hinsichtlich der praktischen nutzerbezogenen Handhabung<br />
eines Arbeitsbündnisses, gilt grundsätzlich für alle Bereiche beruflicher sozialer Arbeit<br />
• Kompetenzerwerb erfolgt vor allem in fallbezogener praktischer Ausbildungsphase (beruflicher Sozialisationsprozess)<br />
als Aneignung einer berufsspezifischen Kunstlehre und eines berufsspezifischen Habitus .<br />
• Kompetenzerwerb erfolgt dabei in kollegialen nicht-infantilisierenden Lehrer-Schüler-Beziehungen nach dem „alsob-Prinzip“,<br />
• Wissensebene: Wissenschaftliche Ausbildung als zweite Ebene der Professionalisierung, ist zwingend notwendig<br />
nur für bestimmte Bereiche beruflicher sozialer Arbeit,<br />
• Erwerb von Fachwissen ,gilt für grundsätzlich alle berufliche Arbeit, stellt aber Qualifizierungs-, nicht Professionalisierungserfordernis<br />
dar,<br />
• Begründung Wissenschaftlicher Ausbildung als eigener Ebene der Professionalisierung:: Wissenschaftliches Handeln<br />
folgt selbst der Logik eines Arbeitsbündnisses: Der Wissenschaftler ,als ganze Person betroffen und engagiert,<br />
prüft, freigestellt von praktischem Handlungsdruck, stellvertretend für die Gesellschaft als ganzer die Geltung<br />
von Wahrheitsaussagen. Durch wissenschaftlichen Fortschritt kann er damit die<br />
Selbststeuerungsfähigkeit/Autonomie der Gesellschaft als ganzer erheblich erweitern und unterstützen.<br />
Abb.9: Professionalisierungserfordernis beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.2.2 Typische Spannungspole und Vereinseitigungsgefahren<br />
beruflicher sozialer Arbeit<br />
• Berufliche soziale Arbeit steht als widersprüchliche Einheit einer besonderen beruflichen<br />
Praxisform auf verschiedenen Ebenen in einem jeweils spannungsvollen Verhältnis zwischen<br />
unterschiedlichen Polen (vgl. Abb. 8 und 11). Es lassen sich deshalb auf diesen unterschiedlichen<br />
Ebenen typische Vereinseitigungsgefahren und Problemkonstellationen<br />
beruflicher sozialer Arbeit abbilden.<br />
• Ebene des Arbeitsbündnisses:<br />
• Die Vereinseitigung der Beziehung zum Pol Spezifizität/Rollenbeziehung bedeutet auf<br />
der Beziehungsebene das Vermeiden personaler Begegnung, der Klient /Nutzer wird<br />
zum Objekt von Techniken, auf der Wissensebene erfolgt entsprechend eine techno-<br />
logische Wissensanwendung, nicht aber Fallverstehen.<br />
• Die Vereinseitigung zum Pol Diffusion/familiale Beziehungen bedeutet eine<br />
Familialisierung und Intimisierung der Beziehung mit einem Verlust an beruflicher<br />
Distanz und Handlungsfähigkeit. Auf der Wissensebene kann die einseitige Präferenz<br />
von Einfühlung und Verstehen zu einer Vernachlässigung der Hilfsmöglichkeiten moderner<br />
Wissenschaft und Technik führen.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 40
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
K F<br />
Abb. 9: Technologisierung des Arbeitsbündnisses<br />
K F<br />
Abb. 10: Intimisierung des Arbeitsbündnisses<br />
• Auf der Ebene des konflikthaften Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft<br />
kann es zu einer Vereinseitigung der Interessenvertretung entweder des Einzelnen gegenüber<br />
der Gesellschaft oder der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen kommen.<br />
• Auf der Ebene der persönlichen, vor allem ökonomischen Interessen der Fachkräfte gegenüber<br />
den Interessen der Klienten/Nutzer kann es ebenfalls zu polaren Vereinseitigungen<br />
kommen.<br />
• Auf der Ebene von Zugehörigkeit zu einem Berufskollektiv und Zugehörigkeit zu einer<br />
sozialen Organisation eines Anstellungsträgers kann es ebenfalls zu polaren Vereinseitigungen<br />
kommen.<br />
41 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
Technologisierung<br />
Die Fachkraft bezieht sich nicht als ganze Person auf<br />
den Klienten/ Nutzer, sie lässt sich von ihr innerlich<br />
nicht „berühren“. Verletzung der sozialen Rahmung<br />
eines Arbeitsbündnisses.<br />
F = Fachkraft K = Klient<br />
Intimisierung<br />
Die Fachkraft bleibt nicht in ihrer Rolle, sie nimmt<br />
teilweise oder ganz diffus-familiale Beziehungen zum<br />
Klienten auf und verliert hierdurch fachliche Distanz<br />
und fachlich-autonome Handlungsfähigkeit. Verletzung<br />
der sozialen Rahmung eines Arbeitsbündnisses.
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Zum Modell pädagogischer Permissivität<br />
In einer neueren Arbeit hat A. Wernet auf der Grundlage einer strukturtheoretischprofessionalisierungstheoretischen<br />
Argumentation kritisch in Frage gestellt, inwieweit die<br />
Logik pädagogischen Handelns tatsächlich durch die Vermittlung widersprüchlicher, diffusspezifischer<br />
Beziehungskomponenten zu charakterisieren sei. (6)<br />
An die Stelle der Vermittlung und Ausbalancierung widersprüchlicher Beziehungskomponenten<br />
im beruflichen Handeln des Lehrers setzt er das Modell pädagogischer Permissivität,<br />
dessen Kern als beständige Distanzierungsleistung und Aufrechterhaltung einer unpersönlich-universalistischen<br />
Leistungsorientierung durch den Lehrer gekennzeichnet werden<br />
kann und sich gerade durch affektive Enthaltsamkeit und die Abwesenheit diffuser Beziehungskomponenten<br />
auszeichnet. Zentrale Hintergrundannahme ist hierbei die Hypothese, dass<br />
eine basale sozialiatorische Aufgabe von Schule in der Vermittlung einer unpersönlichuniversalistischen<br />
Leistungsorientierung bestehe.<br />
Ohne hier im einzelnen auf die interessanten Argumente und empirischen Befunde von<br />
Wernet eingehen zu können, sei darauf verwiesen, dass Wernets Modell der pädagogischen<br />
Permissivität durchaus im hier vorgestellten allgemeinen professionalisierdungstheoretischen<br />
Modell als Kern einer erfolgreichen Vermeidung einer Vereinseitigung zur diffusen oder<br />
spezifischen Seite der Beziehung verstanden werden kann.<br />
Um die Richtung der Argumentation anzudeuten: Erfolgreiche Realisierung pädagogischer<br />
Permissivität als das angemessene „in der Rolle halten“ der Lehrer-Schüler-Beziehung durch<br />
den Lehrer selbst setzt gerade ein inneres Wahrnehmen und Berücksichtigen des Schülers als<br />
ganze Person durch den Lehrer voraus, was wiederum an eine innere Beteiligung des Lehrers<br />
als ganze Person gebunden ist. Wie anders könnte er verhindern, Störungen und Angriffe des<br />
Schülers persönlich zu nehmen, in die Rolle eines Therapeuten zu verfallen oder autoritär und<br />
technokratisch auf Permissivität, auf ein Ab- und Zugeben innerhalb der erwarteten Schülerrolle<br />
zu verzichten.<br />
Diese gegenüber alltäglichem Rollenhandeln außeralltägliche Leistung, die auch eine beständige<br />
stellvertretende Vereindeutigungsleistung von Handlungssituationen gegenüber dem<br />
Schüler, ähnlich der primären familialen Sozialisation darstellt, macht ja auf Dauer gestellt<br />
die hohe berufliche Belastung pädagogischen Handelns mit aus. Und dies auch angesichts von<br />
schulischen Strukturen, die in nicht zwingendem Ausmaß Disziplinprobleme als notorische<br />
Dauerprobleme überhaupt erst produzieren und welche in dieser Form nicht zwingend auf<br />
den Auftrag der Vermittlung einer unpersönlich-universalistischen Leistungs-orientierung,<br />
mangelnde pädagogische Handlungskompetenz des Lehrers oder ein allgemein verändertes<br />
Schülerverhalten zurückgeführt werden können.<br />
____________________________________<br />
(6) Vgl. hierzu Wernet 2003 sowie die Kontroverse zwischen Wernet und Twardella In: Pädagogische Korrespondenz<br />
Heft 33, 2004/05 und Kaube: Wenn der Schüler aus der Rolle fällt In: Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung<br />
vom 08.05.2005.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Technologisierung<br />
Beziehungsebene: Keine personale<br />
Begegnung, Klient wird<br />
Objekt von Techniken, Jobmentalität<br />
Wissensebene: Technolo-<br />
gische Wissensanwendung,<br />
kein Fallverstehen<br />
Berufskollektiv/<br />
Profession<br />
Interessen der Klienten/<br />
Nutzer<br />
Abb.11: Spannungspole und mögliche Vereinseitigungstendenzen beruflicher sozialer Arbeit<br />
43 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
Vertretung der<br />
Interessen des<br />
Individuums<br />
Vertretung der<br />
Interessen der<br />
Gesellschaft<br />
Ökonomische Interessen<br />
der Berufsangehörigen<br />
Intimisierung:<br />
Beziehungsebene:<br />
Familialisierung der Beziehungspraxis,<br />
Verlust von Distanz und<br />
Handlungsmöglichkeiten,<br />
Wissensebene: Vernachläs-<br />
sigung der Hilfsmöglichkeiten<br />
von Technik und Wissenschaft<br />
Organisation
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.3 Die Einbettung von Arbeitsbündnissen<br />
1.3.1 Das klientenbezogene Arbeitsbündnis und seine mögliche Einbettung<br />
in ein Arbeitsbündnis mit Eltern oder gesetzlichen Betreuern<br />
In Konstellationen, in denen der Nutzer/ Klient nicht in der Lage ist, selbständig und eigenverantwortlich<br />
ein Arbeitsbündnis aufgrund eines spezifischen Hilfebedarfs zu begründen, ist<br />
das Arbeitsbündnis mit ihm in ein Arbeitsbündnis mit einem legitimierten Vertreter des Klienten/<br />
Nutzers eingebunden Die Bereiche von Pädagogik und Kinder-therapie und der Bereiche<br />
der Arbeit mit Menschen mit geistiger und/ oder seelischer Behinderung fallen unter diese<br />
Bestimmung.<br />
Hierdurch entsteht eine triadische Beziehungsstruktur zwischen der Fachkraft, dem Klienten<br />
und seinen legitimierten Vertretern, strukturähnlich der familialen Sozialisation. Im einbettenden<br />
Arbeitsbündnis zwischen Fachkraft und Eltern/ gesetzlichen Betreuern fungieren diese<br />
vom Grundsatz her nicht als Klienten, sondern i.S.v. Hilfe-, Erziehungs- oder Unterstützungspartnern<br />
mit der Gleichzeitigkeit diffus-spezifischer Beziehungskomponenten.<br />
In unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Umfang müssen die Eltern/ gesetzlichen Betreuer<br />
strukturell erzwungen Verantwortung und Autorität partiell an die Fachkraft delegieren<br />
und ihr dabei notwendig einen gewissen Vertrauensvorschuss entgegenbringen, da sie Kompetenz<br />
und Zuverlässigkeit der Fachkraft formal nicht zureichend kontrollieren können. In<br />
dieser strukturell erzwungenen partiellen Delegation von Verantwortung und Autorität liegt<br />
zugleich die strukturelle Wurzel für die latente Konkurrenz zwischen Fachkraft und Eltern<br />
(Vgl. Oevermann 1997, 171 ff).<br />
Will die Fachkraft diese Konstellation nicht von vornherein verleugnen und das Arbeitsbündnis<br />
gefährden, so hat sie die Eltern in der Schwierigkeit der partiellen Delegation von<br />
Verantwortung und Autorität anzuerkennen und anzunehmen und die wechselseitige Vertrauensherstellung<br />
und -sicherung als wichtigen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit einzubeziehen.<br />
Entsprechend können Eltern von den Fachkräften innerhalb ihrer spezifischen Berufsrolle<br />
erwarten, dass sie nicht nur über eine besondere fachliche Kompetenz im engeren<br />
Sinne, sondern auch über Einfühlung und Erfahrungen verfügen, wie es Eltern typischerweise<br />
in bestimmten Lebens- und Krisensituationen mit ihrem Kind geht. In diesen besonderen<br />
Formen der Vertrauensbildung und – sicherung kommt die diffuse Beziehungskomponente in<br />
der Beziehung Fachkraft – Eltern zum Ausdruck (vgl. Oevermann 1997, 171 ff).<br />
Die Behinderung oder Krankheit eines Kindes macht dessen Eltern nicht automatisch zu erziehungsinkompetenten<br />
Eltern wie auch die Inanspruchnahme ärztlicher oder heilpädagogisch-therapeutischer<br />
Leistungen für die Kinder keine grundsätzliche Infragestellung der elterlichen<br />
Erziehungskompetenz darstellt. Ebenso wenig bedeutet die Delegation von Erziehungs-,<br />
Bildungs- Betreuungs- und Förderaufgaben in entwickelten arbeitsteiligten Gesellschaften<br />
ein elterliches Autonomiedefizit, welches per se eine Klientenrolle der Eltern begründen<br />
könnte.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 44
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Die Autonomie der Eltern/ gesetzlichen Betreuern kommt ja gerade darin zum Ausdruck, dass<br />
sie sich eigenverantwortlich und selbständig stellvertretend für ihr Kind um eine angemessene<br />
Hilfeleistung oder Unterstützung bemühen.<br />
Eine Überlagerung von Unterstützungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Fachkraft und<br />
Eltern mit einer Klientenrolle der Eltern erfolgt allerdings dann, wenn die Eltern aufgrund<br />
einer eigenen Autonomieeinschränkung ihre autonomiefördernden Stellvertretungsaufgaben<br />
für ihr Kind nicht angemessen wahrnehmen können. Umgekehrt können natürlich auch Fachkräfte<br />
mit ihren autonomiefördernden Stellvertretungsaufgaben für ihre Klienten überfordert<br />
sein, was dann ein Professionalisierungsdefizit darstellt.<br />
Mit einer Überlagerung der Erziehungs- und Unterstützungspartnerschaft durch Elemente<br />
einer Klientenrolle der Eltern ist regelmäßig dann zu rechnen, wenn ihr Kind bzw. die Krisenkonstellation<br />
ihres Kindes sie selbst in eine eigene Krisenkonstellation gebracht hat,<br />
die sie selbständig und eigenverantwortlich nicht mehr angemessen bewältigen können oder<br />
zumindest eine große Gefahr zu einer solchen Entwicklung besteht.<br />
Der fallverstehenden Diagnostik sowohl der einzelnen Familienmitglieder als auch der Familie<br />
als ganzer kommt in diesen Situationen eine entscheidende Bedeutung zu. Das Arbeitsbündnis<br />
zwischen Fachkraft und Eltern muss sich in solchen Konstellationen differenzieren,<br />
z.B. intern als Erweiterung zu einem Mehrpersonensetting auch mit speziellen Angeboten für<br />
die Eltern. Oder aber es müssen weitere Hilfe- und Unterstützungsangebote außerhalb vermittelt<br />
oder initiiert werden (vgl. hierzu beispielhaft aus dem Bereich früher Hilfen: Barth 1998,<br />
Brisch 2000, v. Hofacker 1998, Papousek 1998, Pedrina 2001).<br />
Aber selbst bei Psychotherapien der Eltern ist in einem erziehungspartnerschaftlichen Sinne<br />
an die Kinder mitzudenken und sind die möglichen Auswirkungen auf die Eltern-Kind-<br />
Interaktion mitzubedenken. Partnerschaft und gemeinsame Verantwortung wird auch gerade<br />
am Grenzfall deutlich.<br />
Der angemessene Umgang mit der Triade Fachkraft-Klient-Eltern bedeutet in einer professionalisierten<br />
Praxis auch, ihre jeweilige Funktion und Dynamik in Abhängigkeit von Alter<br />
und Problemkonstellation des Kindes und der Eltern zu verstehen und angemessen zu gestalten.<br />
Dabei stellt diese triadische Beziehungsstruktur, ähnlich der primären familialen Sozialisation,<br />
eine widersprüchliche Einheit mit spezifischen Ausschließungstendenzen und Grenzziehungsproblematiken<br />
dar. So kann es z.B. zu einer unbewussten Übernahme der Elternrolle<br />
durch die Fachkraft i. S. e. Eltern-Ersatzes kommen (vgl. z.B. Völpert 1985, Bauriedl 1994).<br />
Ebenso ist es möglich, dass sich die Eltern von sich aus oder von außen gedrängt, in eine Therapeutenrolle<br />
gegenüber ihrem Kind begeben. Schließlich können auch Kinder i. S. e. überwachenden<br />
und sanktionierenden Elternrolle von den Erwachsenen erlebt werden<br />
(Parentifizierung)( vgl. z.B. Stierlin 1984).<br />
Auf der Ebene von Paarbildungen kann es entsprechend zu einer Allianz von Fachkraft und<br />
Eltern gegen das Kind kommen, in der dessen Behinderung, Auffälligkeit oder Eigensinnigkeit<br />
ungeschehen gemacht werden soll (vgl. Milani Comparetti 1985). Ebenso sind<br />
Paarbildungen zwischen Eltern und Kindern gegen die Fachkraft wie Paarbildungsangebote<br />
der Fachkraft gegenüber den Kindern und gegen die Eltern denkbar, welche die Kinder jeweils<br />
in Loyalitätskonflikte bringen können. Oft sind viele dieser Vereinseitigungen und Verstrickungen<br />
zunächst unvermeidbar. Halten sie aber auf Dauer an und verfestigen sich, so<br />
ergeben sich Blockierungen von Entwicklung und Autonomie.<br />
45 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Werden sie hingegen erkannt und verstanden, so ergeben sich hieraus neue Möglichkeiten von<br />
Veränderung und Entwicklung und Emanzipation.<br />
K = Kind<br />
E = Eltern<br />
F = Fachkraft<br />
spezifisch<br />
F<br />
diffus<br />
K<br />
spezifisch<br />
diffus<br />
diffus<br />
Anerkenntnis und Annahme der Eltern in der Schwierigkeit<br />
der Delegation von Verantwortung und Autorität<br />
an die Fachkraft, Maßnahmen der Vertrauenssicherung<br />
Delegation von Verantwortung und Autorität an die<br />
Fachkraft, notwendiger Vertrauensvorschuss gegenüber<br />
der Fachkraft<br />
Abb. 12: Einbettung des Arbeitsbündnisses in ein Arbeitsbündnis mit den Eltern<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 46<br />
E<br />
l
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.3.2 Das klientenbezogene Arbeitsbündnis und seine mögliche Einbettung<br />
in ein Arbeitsbündnis mit einer Klientengruppe<br />
• Die Tatsache, daß sich berufliche soziale Arbeit oft im Rahmen einer Betreuungs-,<br />
Lern-, Arbeits-, Therapie- oder Wohngruppe vollzieht, erhöht die Komplexität und<br />
Schwierigkeit ihrer Aufgaben.<br />
• Das Arbeitsbündnis mit jedem einzelnen Klienten wäre in einer professionalisierten Praxis<br />
nochmals eingebettet in ein Arbeitsbündnis mit der Gruppe als einer besonderen<br />
vergemeinschafteten Praxisform. Hier verwirklichen sich situations- und handlungsproblembedingt<br />
in unterschiedlicher Ausprägung diffus-familiale Beziehungskomponenten<br />
der Gruppenmitglieder in ihren Beziehungen untereinander sowie in ihren Beziehungen<br />
zur sozialen Fachkraft/ den sozialen Fachkräften. In der Einbindung in eine<br />
Gruppe ist für das einzelne Gruppenmitglied aber zugleich die Möglichkeit gegeben, sich<br />
in Abgrenzung zur Fachkraft als sozialem Rollenträger in einer Klientenrolle zu erfahren<br />
und abzugrenzen.<br />
• Dies bedeutet für die berufliche Praxis, zum einen die Gruppe als selbständige Praxisform<br />
mit einer eigenen inneren Strukturiertheit, Dynamik und sozialisatorischen Möglichkeit<br />
wahrzunehmen und handlungspraktisch einzubeziehen und zum anderen aber<br />
auch die Stellung jedes einzelnen in der Gruppe für die fachliche Arbeit zu berücksichtigen.<br />
• Dies bedeutet also, die relative Autonomie und innere Differenziertheit der Gruppe für die<br />
fachlichen Aufgaben selbst nutzbar zu machen. Dies kann in Bereichen von Betreuung,<br />
Erziehung, Bildung und Unterstützung z.B. durch die Ausgestaltung einer besonderen<br />
„Hilfe- und Unterstützungskultur“ erfolgen, in der die Älteren, Erfahreneren oder Leistungsfähigeren<br />
Funktionen der Hilfe und Unterstützung gegenüber den weniger<br />
Leistungsfähigen übernehmen und indem eine wechselseitige Unterstützung unter Gleichen<br />
bei der Bewältigung praktischer Probleme eingeübt wird (vgl. Oevermann 1997,<br />
S.176).<br />
1.3.3 Arbeitsbündnis und Kooperation der Fachkräfte beruflicher sozialer<br />
Arbeit untereinander<br />
Die Einzelpraxis beruflicher sozialer Arbeit vollzieht sich in der Regel in verschiedenen Formen<br />
der Kooperation mit anderen Fachkräften beruflicher sozialer Arbeit. Hierbei könnte<br />
typisierend auf der einen Seite von eher additiven Formen der Kooperation gesprochen werden,<br />
auf der anderen Seite von integrierten und integrativen Formen der Kooperation.<br />
Multidisziplinarität wäre dementsprechend die eher additive Kooperation mehrerer Disziplinen<br />
beruflicher sozialer Arbeit, während Interdisziplinarität eine in sich integrierte und bezüglich<br />
des Nutzers/ Klienten integrative verfahrend Kooperation der Fachkräfte bezeichnen<br />
würde (Vgl. z.B. Pretis 2001).<br />
47 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
In dem Maße, in dem die Einzelpraxis, d.h. das einzelne Arbeitsbündnis, eingebunden ist in<br />
eine integrierte und integrative arbeitende Gesamtpraxis von Fachkräften, gewinnt das einzelne<br />
Arbeitsbündnis seine Bedeutung und seinen Stellenwert erst als Teil dieser Gesamtpraxis.<br />
In der Beziehung zum Klienten/ Nutzer bedeutet dies praktisch, dass das einzelne Arbeitsbündnis<br />
Fachkraft-Klient/ Klientengruppe eingebunden ist in ein Arbeitsbündnis mit einem<br />
Kollektiv von Fachkräften als eigenständiger Praxisform.<br />
Möglichkeiten und Formen einer kooperativen Praxis beruflicher sozialer Arbeit als eigenständiger<br />
Gesamtpraxis hängen zentral vom Professionalisierungsgrad der beteiligten Disziplinen<br />
sowie von der Existenz notwendiger organisationeller Voraussetzungen ab.<br />
Zum Professionalisierungsgrad: Mit unterschiedlichem Professionalisierungsgrad vor allem<br />
hinsichtlich der Ebene wissenschaftlicher Ausbildung sind unterschiedliche Kompetenzzuweisungen/unterschiedliche<br />
Expertise und damit verbunden unterschiedlicher sozialer Status<br />
und auch unterschiedliches Einkommen gegeben. Aus dem hieraus objektiv vorgegebenen<br />
System sozialer Ungleichheit können spezifische Konfliktlagen und Störungsquellen der Kooperation<br />
erwachsen. Dies gilt um so mehr, als die unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher<br />
Ausbildung geringer professionalisierten Bereiche beruflicher sozialer Arbeit oft in stärkerem<br />
Maße in die konkret-praktische Arbeit mit Klienten eingebunden sind und dort die<br />
Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten eines Arbeitsbündnis handhaben müssen.<br />
Sonderprobleme stellen darüber hinaus die Besetzung von Arbeitsbereichen mit nicht oder<br />
fachfremd ausgebildeten Mitarbeitern sowie die Besetzung gleicher Arbeitsbereiche mit unterschiedlich<br />
professionalisierten Mitarbeitern dar.<br />
Kollektive Praxis von<br />
Fachkräften/ Interdisziplinarität<br />
Einzelne<br />
Fachkraft<br />
Eltern/<br />
Gesetzliche<br />
Betreuer<br />
Abb. 13: Konstellationen von Arbeitsbündnissen<br />
Kollektive Praxis von<br />
Klienten<br />
Einzelner<br />
Klient<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 48
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.4 Eine phasenbezogene Betrachtungsweise von Arbeitsbündnissen<br />
Arbeitsbündnisse können unter dem Gesichtspunkt ihrer Entwicklung und Gestaltung auch<br />
einer phasenbezogenen Betrachtung unterzogen werden. Auch wenn von arbeitsfeldspezifisch<br />
oft erhebliche Unterschieden in der Ausgestaltung der einzelnen Phasen ausgegangen werden<br />
muss, kann grob typisierend zwischen den Phasen der Einrichtung, der Entfaltung und der<br />
Beendigung von Arbeitsbündnissen unterschieden werden. Bezogen auf die Hilfe- bzw.<br />
Unterstützungsmaßnahme insgesamt, d.h. den Interventionsverlauf, kommt diesen Phasen<br />
eine jeweils besondere Bedeutung zu, die in der Rahmenarbeit angemessen zu berücksichtigen<br />
und zu gestalten ist (vgl. Allert 1994).<br />
Eine besondere Bedeutung kommt der Phase der Einrichtung von Arbeitsbündnissen zu, da<br />
sie den Charakter einer folgenreichen Weichenstellung für den weiteren Interventionsverlauf<br />
besitzt. Hier geht es nach einer mehr oder weniger ausdifferenzierten und spezialisierten Phase<br />
der Diagnostik um die fachlich begründete Angebotsauswahl und die fallspezifische Übersetzung<br />
der Angebotsauswahl in konkrete Arbeits- und Hilfekonzepte. Zugleich ist diese Phase<br />
auf der Beziehungsebene entscheidend für den Beziehungsaufbau und die Herstellung und<br />
Sicherung einer notwendigen Vertrauensbasis.<br />
Die Phase der Entfaltung von Arbeitsbündnissen kann als Phase der Bewährung charakterisiert<br />
werden. Zentrale Fragestellungen sind hier, ob und inwieweit die individuelle Hilfeplanung<br />
nach den Regeln der jeweiligen Fachlichkeit und Konzeption fallangemessen und<br />
im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ verwirklicht werden kann, ob es dabei zu einer prozessbezogenen<br />
Evaluation der Hilfeerbringung und ggf. Anpassung des individuellen Hilfeplanes<br />
kommt oder ob als Gegenpol hierzu eine unangemessenen Anpassung des Klienten an die<br />
Routinen der Hilfeerbringung erfolgt.<br />
Auch entscheidet sich hier, ob den Anforderungen und Ansprüchen interdisziplinärer Kooperation<br />
der Fachkräfte einerseits und einbettender Arbeitsbündnisse mit Eltern und gesetzlichen<br />
Vertretern andererseits angemessen Rechnung getragen werden kann.<br />
Schließlich stellt sich die Frage der fallangemessenen Beendigung des Hilfe- und Unterstützungsprozesses<br />
nicht nur antizipierend schon bei der individuellen Hilfeplanung<br />
in der Einrichtungsphase sondern i.d.R. pointiert und entscheidungsrelevant in der Phase<br />
der Entfaltung, aus der heraus die Beendigungsphase fachlich begründet einzuleiten ist.<br />
Zentrale Thematiken in der Beendigungsphase sind die angemessene Auflösung des Arbeitsbündnisses,<br />
die innerfachliche sowie die mit dem Klienten bzw. seiner Stellvertretung durchgeführte<br />
Reflexion und Bilanzierung des Prozesses sowie Aktivitäten zur Gestaltung des<br />
Überganges und ggf. Weiterleitung.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
1.5 Das Arbeitsbündnis und seine soziale Rahmung<br />
1.5.1 Grundbestimmungen von Rahmen und Rahmenarbeit<br />
Das Arbeitsbündnis bezeichnet in Abgrenzung zu rollenförmig-spezifischen und diffusfamilialen<br />
Beziehungen einen besonderen Beziehungstypus mit der Gleichzeitigkeit diffusfamilialer<br />
und rollenförmig-spezifischer Beziehungskomponenten in einer konkreten personalisierten<br />
beruflichen Praxis.<br />
Die Einrichtung, Entfaltung und Beendigung von Arbeitsbündnissen verweist auf die Herstellung,<br />
Sicherung und ggf. Veränderung eines Rahmens als des spezifischen sozialen Kontextes,<br />
innerhalb dessen sich dieser Beziehungstypus entfalten kann (Becker 1996, Deserno<br />
2000, Goffman 1974, Müller 2000, aus systemischer Sicht v. Schlippe/ Schweitzer 1999,<br />
Welter-Enderlin/Hildenbrand 2004).<br />
Das Arbeitsbündnis gründet dabei sowohl auf vorgegebenen Rahmenbedingungen als auch<br />
auf konkreten Vereinbarungen zwischen Klient und Fachkraft/ Fachkräften, die insgesamt als<br />
Rahmen bezeichnet werden können.<br />
Allgemein regelt der Rahmen das Zustandekommen, die Aufrechterhaltung und die Beendigung<br />
eines Arbeitsbündnisses als einer konkreten personalisierten beruflichen Beziehungspraxis<br />
(Müller 2000). Die Herstellung, Sicherung, ggf. Modifikation und Aufhebung der<br />
Rahmenbedingungen eines Arbeitsbündnisses soll hier als Rahmenarbeit bezeichnet werden.<br />
Rahmenarbeit in diesem Sinne stellt deshalb auch als ein wichtiges Element der Kunstlehren<br />
beruflicher sozialer Arbeit in ihren jeweiligen Praxisfeldern dar. Dabei ist die Rahmenarbeit<br />
als Herstellung und Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen des Arbeitsbündnisses immer<br />
essenzieller Teil dieser besonderen Beziehungspraxis selbst und geht ihr nicht etwa einfach<br />
voraus.<br />
1.5.2 Elemente und Funktionen des Rahmens<br />
Wichtige Elemente des Rahmens im engeren Sinne sind u.a.:<br />
• Rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere Anspruchsgrundlagen und Leistungsverpflichtungen<br />
• Hilfepläne, Förder- und Behandlungspläne unterschiedlicher Reichweite und Konkretion<br />
• Verfahren der Hilfeplanung und Evaluation/ Kontrolle<br />
• Konzeptionen, Einrichtungsverträge, dienst- und einrichtungsspezifische Strukturen und<br />
Vorgehensweisen<br />
• Fachliche Standards, Verfahren, Vorgehensweisen<br />
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Wichtige Elemente des Rahmens im weiteren Sinne sind u.a.:<br />
• Fachlichkeit und Persönlichkeit der Fachkraft<br />
• Sozialräumliche Bedingungen, psychosoziale Versorgungsstrukturen einer Region<br />
• Allgemeinpolitische und sozialpolitische Rahmenbedingungen<br />
• Finanzielle Rahmenbedingungen<br />
Dem Rahmen kommen verschiedene Funktionen zu, die wiederum unterschiedlichen Ebenen<br />
zuzuordnen sind (Becker 1996, Müller 2000)<br />
Die kontraktuelle Ebene<br />
Auf einer kontraktuellen Ebene reguliert der Rahmen das Arbeitsbündnis unter der Perspektive<br />
einer rollenförmig-spezifischen Beziehung und hat vor allem auf folgende Fragen eine<br />
Antwort zu geben:<br />
• Welche Hilfe- bzw. Unterstützungsleistung soll erbracht werden?<br />
• Wer soll die Hilfeleistung erbringen?<br />
• In welcher Frequenz und an welchem Ort soll die Hilfeleistung erbracht werden?<br />
• Für welchen Zeitraum ist die Hilfeleistung vorgesehen?<br />
• Wie, wann und warum und unter wessen Beteiligung kann die Hilfeleistung verlängert,<br />
modifiziert oder beendet werden?<br />
• Wie wird die Hilfeleistung finanziert?<br />
• Welche Vereinbarungen bestehen für den Umgang mit Krisen und Konflikten?<br />
Die fachliche Ebene<br />
Auf einer fachlichen Ebene reguliert der Rahmen das Arbeitsbündnis unter fachlichen Gesichtspunkten<br />
und berücksichtigt den Klienten dabei als ganze Person mit seinen besonderen<br />
Einschränkungen aber auch Ressourcen und Möglichkeiten.<br />
Hierbei geht es vor allem um die Frage, ob und wie die konkreten Rahmenbedingungen des<br />
Arbeitsbündnisses auf die individuellen Belange eines Klienten abgestimmt werden können.<br />
Mit der fachlichen Bezugnahme auf den Klienten als ganze Person in einer lebenspraktischen<br />
Krisensituation wird über die fachliche Ebene auch auf Seiten der Fachkraft (und nicht alleine<br />
auf Seiten des Klienten durch seinen Hilfebedarf) eine nicht-rollenförmige, sondern vielmehr<br />
diffus-familiale Beziehungskomponente in die Beziehungspraxis eingeführt.<br />
Die sozialisatorisch und resozialisatorisch-therapeutische Ebene<br />
Auf einer sozialisatorischen und resozialisatorisch-therapeutischen Ebene hat der Rahmen die<br />
Funktion der bewussten fachlichen Herstellung eines eigenen Schutz- und Entwicklungsraumes,<br />
innerhalb dessen notwendig diffus-familiale Beziehungskomponente zur Entfaltung<br />
gelangen.<br />
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Der Rahmen etabliert in Abgrenzung nach außen gegenüber anderen Beziehungen einen sozialen<br />
Ort, der durch Merkmale der Besonderheit und Sicherheit, der Zuverlässigkeit,<br />
der Kontinuität und Berechenbarkeit gekennzeichnet ist und besitzt hierdurch besondere<br />
sozialisatorische Qualitäten i. S. e tragenden, haltenden, schützenden und versorgenden „mütterlichen<br />
Funktion“ (Becker 1996, Müller 2000,Lazar 2000, Welter-Enderlin/<br />
Hildenbrand 2004).<br />
Nach innen reguliert der Rahmen dagegen die Beziehung zwischen Fachkraft und Klient, er<br />
ist gemeinsamer Bezugspunkt ihrer Beziehungspraxis. Als solcher schützt er vor Vereinseitigungen<br />
der Hilfebeziehung in Richtung Intimisierung oder Technologisierung und in dieser<br />
triangulierenden Funktion kommen ihm sozialisatorische Qualitäten i. S. e. „väterlichen<br />
Funktion“ zu (Becker 1996, Bürgin 1998, Schon 1995, Schon 2000, Welter-Enderlin, 2004).<br />
Rahmen<br />
außen<br />
K F<br />
innen<br />
Abb. 14: Die soziale Rahmung von Arbeitsbündnissen<br />
F = Fachkraft<br />
K = Klient<br />
1.5.3 Diagnostisches Arbeitsbündnis und Einrichtung von Arbeitsbündnissen<br />
In sehr unterschiedlichen, z.T. wenig differenzierten, z.T. aber auch hochspezialisierten und<br />
komplexen Erscheinungsformen basieren Arbeitsbündnisse auf einer vorgängigen Phase der<br />
Hilfebedarfsermittlung/ Diagnostik und Angebotsauswahl/ Indikation, d.h. auf einer Phase<br />
der Hilfeplanung.<br />
Dieser Prozess der Hilfeplanung folgt selbst schon der Logik eines Arbeitsbündnisses und<br />
soll hier als diagnostisches Arbeitsbündnis bezeichnet werden. Gerade in der Praxisform des<br />
diagnostischen Arbeitsbündnisses wird die Autonomieproblematik des Klienten zum zentralen<br />
Thema, hier muss er sich erstmals öffnen, der Fachkraft notwendig einen gewissen Vertrauensvorschuss<br />
entgegenbringen und seinen Hilfebedarf artikulieren.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Das diagnostische Arbeitsbündnis bedarf hierzu ebenso wie das auf die tatsächliche Hilfeerbringung<br />
bezogene Arbeitsbündnis eines besonderen Rahmens und einer besonderen Rahmenarbeit<br />
auf Seiten der Fachkraft. Auf der fachlichen Ebene kommt der Fachkraft dabei die<br />
letzte Verantwortung für die Herstellung, Gestaltung und Beendigung des Arbeits-bündnisses<br />
zu (Oevermann 1997, S.121 f). Mit der Qualität der Rahmenarbeit, insbesondere bei der Einrichtung<br />
von Arbeitsbündnissen, (sowohl diagnostischen als auch hilfeerbringungsbezogenen)<br />
entscheidet sich oftmals schon sehr früh, ob und inwieweit dem Hilfeanliegen des<br />
Klienten angemessen entsprochen werden kann (Allert/ Bieback-Diel, Oberle, Seyfarth 1994,<br />
S.216 ff).<br />
Auf der Beziehungsebene geht es ja folgenreich um die Herstellung einer vertrauensvollen<br />
Beziehung zwischen Fachkraft und Klient als Grundlage der Hilfeerbringung. Auf der Wissensebene<br />
geht es ja folgenreiche um ein angemessenes Verständnis der Problemlage des<br />
Klienten sowie seine besonderen Ressourcen und Möglichkeiten.<br />
Auch aus neuerer bindungstheoretischer Sicht wird deutlich, wie bedeutungsvoll eine fallorientierte<br />
und individualisierende Handhabung der Rahmenbedingungen gerade in der Phase<br />
der Einrichtung von Arbeitsbündnissen ist. Die Bindungsforschung hat eindrücklich nachweisen<br />
können, wie die Qualität von Bindungsmustern und damit von Beziehungen Grundlage<br />
und Voraussetzung für gelingende Entwicklungs- und Lernprozesse ist. Die Sicherheit der<br />
Bindung einerseits und die Lust am Lernen sowie das Lernvermögen andererseits stehen in<br />
engster Wechselwirkung zueinander (zum Überblick: Brisch 1999, Brisch/ Grossmann/<br />
Grossmann/ Köhler 2002, Dornes 2000, Strauß 2000, Suess/ Pfeifer 1999, Suess/ Scheuerer-<br />
Englisch/ Pfeifer 2002).<br />
Die Einrichtung eines Arbeitsbündnisses stellt für den Klienten eine aufgrund einer lebenspraktischen<br />
Krise eingetretene Handlungssituation dar, die verunsichert und ängstigend sein<br />
kann. Aus bindungstheoretischer Sicht ist sie damit eine typische Auslösesituation für typische<br />
Bindungsmuster und damit Beziehungsangebote des Klienten, die in Krisen-situationen<br />
aktiviert werden und die Beziehungsgestaltung und Möglichkeiten von Entwicklungs- und<br />
Lernprozessen im Arbeitsbündnis nachhaltig beeinflussen.<br />
In solchen Situationen kann es für die Fachkraft/ die Fachkräfte hilfreich sein,<br />
• die von der Bindungstheorie beschriebenen typischen Bindungs- und Beziehungsmuster<br />
zu kennen, die in solchen Belastungssituationen beim Klienten typischerweise aktiviert<br />
werden können<br />
• dabei die besonderen Bindungs- und Beziehungsmuster des jeweiligen Klienten zu erkennen<br />
und zu verstehen<br />
• und individualisierend fallverstehend im Prozess der Hilfeplanung und Hilfeerbringung zu<br />
berücksichtigen (Bisch 1999).<br />
53 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.5.4 Prozess und Funktionen individueller Hilfeplanung<br />
Übergeordnete Funktionen individueller Hilfeplanung<br />
Der Prozess der Hilfeplanung erfolgt aus professionalisierungstheoretischer Sicht grundsätzlich<br />
innerhalb der Rahmung und der Eigenlogik eines oder mehrerer Arbeitsbündnisse.<br />
In komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen wird der Prozess<br />
der Hilfeplanung in unterschiedlichen Formen ausdifferenziert und personell und institutionell-organisatorisch<br />
in vielfältiger und oft unübersichtlicher Weise spezialisiert.<br />
Dies führt zu den bekannten Problemen der Desintegration und Diskontinuität des Leistungsgeschehens<br />
und unter der Perspektive des Arbeitsbündnisses zu einer möglichen „Inflation“<br />
diagnostischer Arbeitsbündnisse mit entsprechenden Belastungen und Überlastungen sowohl<br />
der Klienten als auch der Fachkräfte (Ewers/ Schaeffer 2000. 7 ff).<br />
In Orientierung an der neueren Diskussion zum Case Management und Unterstützungsmanagement<br />
lassen sich in komplexen Sozial- und Gesundheitssystemen dem Prozess der<br />
individuellen Hilfeplanung drei übergeordnete Funktionen zuordnen (Ewers/ Schaeffer 2000,<br />
Raiff/ Shore 1997, Wendt 2001):<br />
• Eine anwaltschaftliche Funktion der Vertretung der Interessen des Klienten (Advocacy-<br />
Funktion),<br />
• eine Vermittler- oder Makler-Funktion i. S. e. Information und Beratung hinsichtlich der<br />
verschiedenen möglichen Unterstützungs- und Hilfeangebote (Broker-Funktion) und<br />
• eine Funktion der Zugangssteuerung zu den verschiedenen Dienstleistungsbereichen (Gate-Keeper-Funktion)<br />
(Ewers 2000).<br />
Diese Funktionen können insgesamt oder auch einzeln an verschiedenen Stellen angesiedelt<br />
sein. Je nachdem, ob diese Funktionen durch<br />
• neutrale Instanzen (z.B. Koordinations- oder Beratungsstellen),<br />
• durch die Leistungserbringer selbst (Einrichtung, Dienst, Einzelpraxis) oder<br />
• durch die Kosten- bzw. Leistungsträger (z.B. Sozialämter, Jugendämter, Krankenkassen)<br />
wahrgenommen werden, werden die anwaltschaftliche Vertretung des Klienten, seine Beratung-<br />
und Vermittlung und die Kontrolle seines Zuganges zu bestimmten Leistungs-bereichen<br />
eine andere Akzentuierung erfahren.<br />
Weiterhin kann danach unterschieden werden, ob und ggf. in welcher Form die Stelle, die in<br />
letzter Instanz die Funktion der Zugangssteuerung übernimmt,<br />
a) an der Umsetzung/ Implementierung des Hilfeplanes beteiligt ist und<br />
b) an der weiteren Begleitung, Evaluation und Kontrolle der Leistungserbringung<br />
beteiligt ist.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Zuweisungsdiagnostik und Angebotskonkretisierung im Prozess der individuellen Hilfeplanung<br />
In komplexen und arbeitsteilig ausdifferenzierten Gesundheits- und Sozial- und Bildungssystemen<br />
kommt der Hilfebedarfsermittlung/ Diagnostik die Funktion einer Zuweisungs- oder<br />
Begründungsdiagnostik zu. Als solche hat sie die Aufgabe, aus einer basalen, alle relevanten<br />
Bereiche umfassenden Diagnostik, eine fachlich begründete Auswahl von Hilfe- und Unterstützungsangeboten<br />
abzuleiten. Der individuelle Hilfeplan besteht dann in dieser fachlich begründeten<br />
Angebotsauswahl mit mehr oder weniger konkreten und differenzierten Zielvorgaben<br />
für die tatsächliche Leistungserbringung.<br />
Mit dieser fachlich begründeten Angebots- oder Programmauswahl wird zugleich die Funktion<br />
der Zugangssteuerung (gate-keeper-Funktion) der individuellen Hilfeplanung realisiert.<br />
Kostenträger behalten es sich deshalb allermeist vor, letztinstanzlich durch eigene fachliche<br />
Begutachtung die fachliche Begründetheit der Angebotsauswahl zu prüfen oder prüfen zu<br />
können (z.B. das Sozialamt durch das Gesundheitsamt oder spezielle Stabsstellen oder die<br />
Krankenkassen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen).<br />
Beispiele für solche fachlich begründeten Angebotsauswahlen auf der Grundlage einer Zuweisungsdiagnostik<br />
sind:<br />
• die medizinische Indikation für ein bestimmtes Heilmittel<br />
• die Indikation für eine Komplexleistungsmaßnahme im Bereich interdisziplinärer<br />
Frühförderstellen und Sozialpädiatrischer Zentren<br />
• die Feststellung eines behinderungsbedingten Mehraufwandes als Grundlage für eine<br />
Integrationsmaßnahme im Bereich der Kindertagesstätten<br />
• die Feststellung der Schulreife/ Schulfähigkeit<br />
• die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfes als Grundlage für eine<br />
Sonderbeschulung<br />
• die Ermittlung von Hilfebedarfsgruppen im Wohnheimbereich<br />
• die Eingruppierung in Pflegestufen<br />
Diese Angebots- oder „Programmauswahlen“ bedürfen dann im Prozess der individuellen<br />
Hilfeplanung in den Einrichtungen, Diensten und ggf. Einzelpraxen einer auf den einzelnen<br />
Klienten bezogenen, d.h. fallspezifischen Konkretisierung und Übersetzung (Oevermann<br />
1993 a, 2000d, 2002). Diese Konkretisierung und Umsetzung der Angebotsauswahl in konkrete<br />
fachliche Handlungsansätze und Konzepte erfolgt in den Einrichtungen und Diensten auf<br />
der Grundlage der je besonderen fachlichen und organisatorischen Routinen sowie der je<br />
besonderen konzeptionellen und ggf. gesetzlichen Vorgaben und hat besitzt auch eine je besondere<br />
bereichsspezifische Form. Bereichsspezifisch kann diese Konkretisierung und Umsetzung<br />
auch auf Basis einer expliziten fachlichen Förderdiagnostik erfolgen, die ihrerseits<br />
auf der basalen Zuweisungsdiagnostik aufruht und diese differenziert, fortführt und zugleich<br />
überprüft.<br />
Die Funktion der prozessbezogenen Evaluation der Leistungserbringung<br />
55 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Diese prozessbezogene Funktion sichert die Rückkoppelung des tatsächlichen Prozesses der<br />
Leistungserbringung mit der individuellen Hilfeplanung und dem Hilfeplan.<br />
Die prozessbezogene Evaluation der Leistungserbringung ist notwenig i. S. e. fachlich fundierten<br />
und reflektierten Leistungserbringung. Sie kann durch bestimmte Formen bürokratischer<br />
Formalisierung und bestimmte Auflagen aber auch eher behindert als unterstützt<br />
werden und dient dann oft vorrangig einer Bedarfs- und Kostensteuerung durch Leistungserbringer<br />
und/ oder Kostenträger oder schlicht als formalisierter Leistungsnachweis.<br />
Gerade im Prozess der Hilfeplanung kommt die grundsätzlich widersprüchliche und paradoxale<br />
Struktur beruflicher sozialer Arbeit zum Ausdruck: Zum einen vollzieht sich die Hilfeplanung<br />
selbst in einem Arbeitsbündnis mit der Gleichzeitigkeit diffuser und spezifischer Beziehungskomponenten.<br />
Zum anderen hat die Fachkraft bei der Hilfeplanung anwaltschaft-lich<br />
sowohl die Interessen des Klienten gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen, wie sie auch<br />
die Interessen der Gesellschaft gegenüber dem Klienten z.B. durch die Planung effizienten<br />
Mitteleinsatzes zu berücksichtigen hat. Schließlich besteht bei der Hilfeplanung auch noch ein<br />
spannungsvolles Verhältnis zwischen den ökonomischen Eigeninteressen der Fachkräfte, Praxen,<br />
Einrichtungen und Dienste einerseits (z.B. Stichwort Verweildauer) und den Interessen<br />
der Klienten und Kostenträger andererseits.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.6 Aspekte der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen, ihrer sozialen<br />
Rahmung und ihrer Bedeutung für das Arbeitsbündnis<br />
Leistungsgemeinschaft und Personengemeinschaft und soziale Rahmung<br />
Dienste und Einrichtungen im Bereich beruflicher sozialer Arbeit sind soziale Organisationen<br />
mit einer mehr oder weniger ausgeprägten arbeitsteiligen und hierarchischen Struktur zur Erbringung<br />
sozialer Dienstleistungen für bestimmte Klienten/ Nutzern. Sie können insofern als<br />
Leistungsgemeinschaften gekennzeichnet werden. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgemeinschaft<br />
beziehen sich die Organisationsmitglieder als Rollenträger aufeinander unter der<br />
Bedingung der Austauschbarkeit des Personals.<br />
Die Organisationsmitglieder sind als Rollenträger innerhalb ihrer Rolle zugleich ganze Personen<br />
mit bestimmten besonderen Wünschen, Bedürfnissen, Vorlieben, Erwartungen, Schwierigkeiten,<br />
Eigenheiten etc. . Unter diesem Gesichtpunkt bildet die soziale Organisation zugleich<br />
eine Personengemeinschaft, in welcher die Rollenbeziehungen auch eine je besondere<br />
personale und gruppenspezifische Ausgestaltung und Einfärbung erhalten (zum Spannungsfeld<br />
von Leistungsgemeinschaft und Personengemeinschaft vgl. Lotmar/ Tondeur 1996). (7)<br />
Die LeiterInnen-MitarbeiterInnen-Beziehungen sind bezüglich der Dimensionen von<br />
Einflußnahmemöglichkeiten, Macht und Verantwortung asymmetrisch. Dies befördert strukturell<br />
die Tendenz einer gefühlsmäßigen Einfärbung der Rollenbeziehungen sowohl auf Seiten<br />
der Mitarbeiter/innen wie der Leitung nach den jeweiligen Mustern früherer familialer<br />
Beziehungserfahrungen.<br />
Will Leitungshandeln der Gleichzeitigkeit von Leistungs- und Personengemeinschaft gerecht<br />
werden, dann hat es sich auf die Mitarbeiter/innen immer als Rollenträger und zugleich als<br />
ganzer Personen innerhalb einer Rolle zu beziehen. Leitungshandeln setzt sich aus dieser<br />
Sicht deshalb immer aus aufgabenorientierten und beziehungsorientierten Interventionen zusammen<br />
(vgl. Weigand 1994).<br />
(7) Eine Besonderheit in den Feldern beruflicher sozialer Arbeit kann zudem darin bestehen, dass sich die MitarbeiterInnen<br />
der Einrichtungen und Dienste gleichzeitig als Mitglieder der Organisation und als Mitglieder einer<br />
mehr oder weniger organisierten kollektiven beruflichen Praxis, d.h. z.B. als therapeutische oder pädagogische<br />
KollegInnen aufeinander beziehen. Dieser gleichzeitige kollegiale Bezug ist auch von erheblicher Bedeutung für<br />
die LeiterInnen-MitarbeiterInnen-Beziehungen (vgl. Oevermann 1993).<br />
Eine weitere Besonderheit im Bereich beruflicher sozialer Arbeit ist eine oftmals festzustellende Entkoppelung<br />
von sozialem Status und fachlicher Qualifikation, anders als z.B. im Bereich der Industrieproduktion. Zwar gilt,<br />
dass mit fallendem sozialen Status die formale Verantwortung abnimmt, nicht aber die im Arbeitsbündnis praktisch<br />
abgeforderte Problemlösungskompetenz in der stellvertretenden Bewältigung von Krisenkostellationen<br />
(vgl. Oevermann 2000a, 63 f).<br />
Die Rahmenarbeit der Leitung i. S. d. Einrichtung, Aufrechterhaltung und ggf. Beendigung<br />
der Rahmenbedingungen für die Arbeit des einzelnen Mitarbeiters und der sozialen Organisa-<br />
57 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
tion insgesamt hat Strukturähnlichkeiten mit der Rahmung und Rahmenarbeit in der primären<br />
familialen Sozialisation:<br />
Nach außen sichern der Rahmen und die Rahmenarbeit der Leitung die Existenz und Entwicklung<br />
eines Arbeitsplatzes für einen einzelnen Mitarbeiter oder Bestand und Entwicklung<br />
der Organisation insgesamt. Hierdurch kommt Leitungshandeln eine sichernde, sorgende und<br />
vorsorgende „mütterliche“ Funktion zu.<br />
Nach innen sichern der Rahmen und die Rahmenarbeit der Leitung die Regulierung der Mitarbeiter/innenbeziehungen<br />
untereinander sowie die Grundsätze der Beziehungsgestaltung mit<br />
Dienstleistungsempfängern und anderen Dritten, und insofern kommt Leitungshandeln eine<br />
ordnende und triangulierende „väterliche“ Funktion zu.<br />
Bezogen auf den Bereich beruflicher sozialer Arbeit, innerhalb dessen der Dienstleistungsempfänger<br />
oder „Kunde“ ja Klient/ Nutzer innerhalb der konkret-personalisierten Praxis eines<br />
Arbeitsbündnisses ist, lässt sich dies noch deutlicher akzentuieren:<br />
Nach außen ist der Leiter Sicherer der allgemeinen Rahmenbedingungen für die Möglichkeit<br />
einer angemessene fallspezifische Rahmung von Arbeitsbündnissen durch die Fachkräfte<br />
selbst und nach innen ist er zugleich Hüter und Wächter einer fallangemessenen Rahmenarbeit<br />
der einzelnen Fachkräfte.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Mitarbeiterin/ Mitarbeiter spezifische soziale<br />
Beziehung<br />
Leitung Beteiligung und<br />
Darstellung der ganzen<br />
Person innerhalb<br />
einer Rollenbeziehung,<br />
Abb. 15: Aspekte der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen<br />
59 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005<br />
Symmetrisch bezüglich der Spezifizität der Beziehung<br />
Asymmetrisch bezüglich Einflußnahmemöglichkeiten, Macht<br />
und Verantwortung i.V.m. der jeweiligen Rolle
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Mögliche Vereinseitigungen der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen<br />
Bezüglich der Leiter/innen-Mitarbeiter/innen-Beziehungen sind typisierend Vereinseitigungen<br />
in Richtung Intimisierung und Technologisierung sowohl auf Seiten der Mitarbeiterin/ des<br />
Mitarbeiters wie auf Seiten der Leitung darstellbar.<br />
L<br />
L<br />
L<br />
Auf Seiten der Mitarbeiterin/ des Mitarbeiters<br />
• Der Mitarbeiter fällt aus der Rolle, er kann Herausforderungen und<br />
Konflikte nicht angemessen i.R.v. Rollenhandeln handhaben und<br />
lösen und greift statt dessen „ersatzweise“ auf Haltungen und Konstellationen<br />
aus dem familialen Sozialisationssystem zurück, was zu<br />
einer unangemessenen Übertragung primärer familialer Reaktionsweisen<br />
führt (Intimisierung/ Familialisierung).<br />
• Der Mitarbeiter zieht sich in Rolle zurück, lässt sich nichts zu<br />
Schulden kommen, macht aber „Dienst nach Vorschrift“, ist als<br />
Person nicht erreichbar, z.B. „innere Kündigung“<br />
(Technologisierung)<br />
Auf Seiten der Leitung<br />
• Die Leitung fällt aus der Rolle, sie kann Herausforderungen und<br />
Konflikte nicht angemessen innerhalb der Leitungsrolle handhaben<br />
und lösen und greift statt dessen ersatzweise auf Haltungen und<br />
Konstellationen aus dem familialen Sozialisationssystem zurück,<br />
was zu einer unangemessenen Übertragung primärer familialer<br />
Reaktionsweisen führt (Intimisierung/ Familialisierung).<br />
• Die Leitung stellt innerhalb ihrer Leitungsrolle keine Verbindung<br />
zum Mitarbeiter als ganzer Person her, d.h. sie kann oder will sich<br />
nicht in die Situation des Mitarbeiters als ganze Person innerhalb<br />
seiner Mitarbeiterrolle hineinversetzen (Technologisierung)<br />
• oder sie bezieht sich in einer nur äußerlichen Weise auf den Mitarbeiter<br />
als ganze Person innerhalb einer Mitarbeiterrolle. D.h., die<br />
Leitung bezieht sich auf den Mitarbeiter als ganze Person, aber ohne<br />
eigene innere Anteilnahme und Beteiligung als ganze Person<br />
(manipulative Formen der Mitarbeiterführung- und<br />
–entwicklung, Psycho-Technologie ).<br />
Abb. 16: Vereinseitigungen der LeiterInnen-MitarbeiterInnen-Beziehungen<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.7 Das Arbeitsbündnis und die Autonomie der Lebenspraxis<br />
1.7.1 Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis<br />
Der Ansatz einer strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie verweist auf ein strukturtheoretisches<br />
Modell von Lebenspraxis und ihrer Autonomie (Oevermann 1995, 1997c,<br />
2001a, 2001b).<br />
Autonomie und Bewährungsdynamik menschlichen Lebens als widersprüchliche Einheit<br />
von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung<br />
• Die stellvertretende Übernahme von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung<br />
in der Praxis beruflicher sozialer Arbeit wie in der primären familialen Sozialisation verweist<br />
auf strukturelle Grundbestimmungen, die für jede Lebenspraxis, sei es die Lebenspraxis<br />
eines einzelnen Individuums, die einer Familie, einer sozialen Gemeinschaft oder<br />
einer ganzen Gesellschaft gelten: Angesichts knapper materieller und psychosozialer Ressourcen<br />
und einer Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Zeit ist jede Lebenspraxis<br />
beständig und dauerhaft unter einen lebenspraktischen Entscheidungszwang gestellt.<br />
• Nicht-Entscheidung kann diesen Entscheidungszwang nicht grundsätzlich unterlaufen, da<br />
sich damit gleichsam automatisch bestimmte Konsequenzen und damit die Selektion von<br />
Handlungsmöglichkeiten einstellen. In den handlungspraktischen Routinen des Alltags<br />
verbirgt sich dieser Entscheidungszwang praktisch meist unbemerkt, dramatisch zum<br />
Ausdruck kommt er dagegen in lebenspraktischen Krisensituationen, in denen als Bestandteil<br />
der Krisensituation gerade nicht auf Entscheidungsregeln zurückgegriffen werden<br />
kann.(8)<br />
• Die Autonomie einer Lebenspraxis erweist, bewährt und entwickelt sich nun gerade darin,<br />
dass sie in einer praktischen Krisensituation, in der ja bestimmte Entscheidungsregeln<br />
nicht mehr greifen, dennoch eine Entscheidung trifft und dabei den Anspruch auf<br />
Begründbarkeit, auch wenn er zeitgleich gerade nicht einlösbar ist, grundsätzlich nicht<br />
aufgibt. Diese widersprüchliche Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung,<br />
im Bereich z.B. ärztlichen professionalisierten Handelns noch deutlich gesteigert,<br />
macht die Bewährungsdynamik einer jeden Lebenspraxis aus.<br />
______________________________<br />
(8) „In diesem Modell ist natürlich auch eine Entscheidung durch Zufall ausgeschlossen. Sie wäre in zentralen<br />
Fragen der Lebensführung nicht nur explizit irrational im Sinne der Verleugnung der Autonomie als Lebensaufgabe,<br />
sondern auch die Sittlichkeit der Sozialität zerstörend. Würde man z.B. einem Ehepartner nachträglich<br />
eröffnen, man habe über die Heiratsentscheidung letztlich gewürfelt, so würde man der gemeinsamen Lebenspraxis<br />
damit ihren bindenden Grund entziehen und zugleich den Partner entwürdigen. Dieser könnte dann über<br />
ein daraus folgendes Scheidungsbegehren, sollte er darüber noch im Zweifel sein, seinerseits nicht würfeln,<br />
wenn er nicht die Verletzung seiner Würde und der Sittlichkeit der Sozialität als solche reproduzieren will. Einfacher<br />
formuliert: Der in seiner Würde verletzte Partner kann nicht zurückwürfeln, sondern nur zurück-schlagen“<br />
(Oevermann 1995, S.39.)<br />
61 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
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• Individuelle Lebenspraxen entwickeln sich in einem je individuierenden Bildungsprozeß<br />
und bilden eine Identität aus. In der Phase der Kindheit und Jugend sind sie<br />
zunächst auf eine angemessene, ihr Autonomiepotential unterstützende und fördernde<br />
Begleitung und Stellvertretung durch Eltern und andere Dritte angewiesen. Sie bereiten<br />
sich dabei in mehr oder weniger gelingender Weise innerhalb bestimmter Schutz-<br />
und Erprobungsräume/ Moratorien auf den Ernst der eigenverantwortlichen Übernahme<br />
von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung eines Erwachsenenlebens<br />
vor.<br />
• Auf der Basis der von Geburt an gegebenen spezifischen Autonomiepotentiale und ihrer<br />
krisenhaften Entfaltung in den Polen von Bindung und Ablösung bildet, bewährt<br />
und entwickelt sich die Autonomie der Lebenspraxis in der eigenverantwortlichen<br />
Übernahme von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung in eine grundsätzlich<br />
offene Zukunft hinein. In der damit gegebenen widersprüchlichen Einheit von<br />
Wahlmöglichkeit und Verantwortung, im „Zur-Autonomie-Verurteilt-Sein“ liegt das<br />
Spezifikum und die Herausforderung menschlicher Autonomie.<br />
• Aus dem Vorgegebenen, den vorgegebenen Möglichkeiten, wird durch Auswahl und<br />
Entscheidung das Aufgegebene (vgl. Welter-Enderlin 1999). Der Doppelsinn des<br />
Hauptwortes Aufgabe wird deutlich, es kann verstanden werden als ein Aufgeben, ein<br />
nicht Wählen von bestimmten Optionen und zugleich als eine sich mit diesem Aufgeben<br />
von Optionen ergebenden Option, die dann lebenspraktisch eine gewählte Aufgabe<br />
wird.<br />
• Für Grundbegriffe wie Autonomie, Individuierung, Bewährung und Authentizität gilt,<br />
dass sie notwendig einen zugleich deskriptiv-analytischen als auch einen normativen<br />
Charakter besitzen. „Deskriptiv-analytisch bezeichnen solche Begriffe je ein universales<br />
Strukturproblem, vor das jede Lebenspraxis in ihrem Bildungsprozess gestellt ist<br />
und das sie, ob sie will oder nicht, zu bewältigen hat. Normativ hingegen bezeichnen<br />
diese Begriffe zugleich den Grad des Gelingens in dieser Problem-bewältigung“, der<br />
grundsätzlich nur im Hinblick auf ein contrafaktisch geltendes, idealisiertes Gelingen<br />
darstellbar ist (Oevermann 2002a, 25-26).<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung bedeutet in dieser Sichtweise die Ermöglichung<br />
eines Höchstmaßes von Wahlmöglichkeiten und Verantwortung für die Gesamtheit<br />
der eigenen Belange, ohne dabei die besondere Verantwortung der Stellvertretung durch die<br />
Fachkräfte zu vernachlässigen. Selbstbestimmung i.S.v. Autonomisierung bedeutet aber auch,<br />
im Rahmen eines jeweils neu zu bestimmenden Schutzraumes Bewährung als durchaus riskante<br />
Entscheidung in eine offene Zukunft zu ermöglichen und zuzulassen.<br />
„Zu einem lebendig gelebten Leben, auch für Menschen mit Behinderungen, gehört nicht nur<br />
Sicherheit, sondern auch Risiko! Weiter bestehende Aufsichts- und Fürsorgepflicht dürfen<br />
kein Vorwand dafür sein, Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Selbstbestimmung vorzuenthalten“<br />
(Bundesarbeitsgemeinschaften und Fachverbände des Deutschen Caritasverbandes<br />
2001, 15).<br />
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Stand 01.08.2012<br />
„Je schwerer die Behinderung ist, desto mehr wird allerdings die Ergänzung der persönlichen<br />
Assistenz durch stellvertretendes Entscheiden und „fremdverantwortliches“ Handeln erforderlich<br />
sein. Dennoch muss in jeder Situation geprüft werden, wie viel Selbstbestimmungspotential<br />
vorhanden ist und wie weit es entwickelt werden kann. Die Umsetzung von<br />
Selbstbestimmung insbesondere von Menschen mit schweren Behinderungen setzt bei allen<br />
eine hohe Sensibilität und die Fähigkeit zu nonverbaler und basaler Kommunikation voraus.<br />
Selbstbestimmung und Assistenz fordern eine Form von Verantwortung, die nicht als pädagogisch<br />
verbrämte Teilnahmslosigkeit missverstanden werden darf.<br />
Ist ein Mensch (noch) nicht in der Lage, zwischen Alternativen zu wählen, wird man ihn verunsichern<br />
und überfordern, wenn man ihn auffordert, selbst zu entscheiden. Das heißt, für die<br />
Verwirklichung von Selbstbestimmung müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Es<br />
wird deutlich, dass man Wahrnehmung von Selbstbestimmung erst erwarten kann, wenn<br />
die individuellen Voraussetzungen erworben worden sind. Diese müssen gemeinsam erarbeitet<br />
und entwickelt werden, sie sind ein Ergebnis von Erziehung und Bildung (Bundesarbeitsgemeinschaften<br />
und Fachverbände des Deutschen Caritasverbandes 2001, 8). (9)<br />
Endlichkeitsbewusstsein, Bewährungsproblem und Bewährungsmythos<br />
• Das der Bewährungsdynamik zugrundeliegende eigentliche Bewährungsproblem menschlicher<br />
Lebenspraxis resultiert zwingend aus dem grundsätzlich gegebenen Endlichkeitsbewusstsein<br />
menschlichen Lebens, d.h. im Hinblick auf den Tod aber auch im Hinblick auf<br />
die grundsätzliche Irreversibilität von alltäglichen Entscheidungen. Aus dem Endlichkeitsbewusstsein<br />
ergeben sich Zeitknappheit, grundsätzlich offene Zukunft und Riskanz der<br />
„diesseitigen“ Lebensführung als Bewährungsproblem in jeder Entscheidungskrise. (10)<br />
_____________________________<br />
(9) Zum Autonomieproblem in Betreuungsinstitutionen und im Alter sowie zu den fachlichen Modellen von<br />
Regression, erlernter Hilflosigkeit und gelernter Abhängigkeit vgl. Zank/ Baltes 1999, In: Oerter/ v.Hagen/ Röper/<br />
Noam.<br />
(10) „Stellt man sich den biographischen Verlauf in dieser Weise als eine Kette von Entscheidungskrisen vor,<br />
dann wird sofort deutlich, dass mit den bewusst wahrgenommenen Entscheidungen in eine offene Zukunft natürlich<br />
nicht nur diese Zukunft gewonnen oder erobert worden ist, sondern zugleich im Sinne der unerbittlichen<br />
Logik des „point of no return“, der Endgültigkeit von Festlegungen und der Unwiederbringlichkeit von verworfenen<br />
Möglichkeiten, Weichen gestellt und potentielle Verluste in Kauf genommen worden sind. Ihnen gegenüber<br />
steht die Konturierung der im Vollzug sich bildenden Fallstrukturgesetzlichkeit als Zeichenkonfiguration,<br />
Charakteristik oder Charakter“ (Oevermann 1995, 40).<br />
In der Logik des „point of no return“ ist der Tod „gewissermaßen die Endgültigkeit in der Verkettung von Endgültigkeiten.<br />
Spätestens in der gedanklichen Vorwegnahme des eigenen sicheren Todes muss jedem Subjekt die<br />
unerbittliche Logik des „point of no return“ und die darin liegende Dialektik von Wahlfreiheit und Verantwortung,<br />
„das „Zur Autonomie-Verurteilt-Sein“ zu Bewusstsein kommen. Dass die daraus resultierende Zeitknappheit<br />
und Riskanz der diesseitigen Lebensführung dann analog für jede Entscheidungskrise gilt, ist daraufhin nur<br />
ein kleiner Reflexionsschritt“ (Oevermann 1995, 40-41).<br />
63 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• Die Bewährungsdynamik von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung ist<br />
grundsätzlich nicht stillstellbar, d.h. ein für alle mal zu bewältigen. Das Bewährungsproblem<br />
stellt sich immer wieder von neuem, da zur Routine gewordene Krisenlösungen<br />
angesichts der sich im Lebensvollzug ergebenden neuen Handlungsprobleme<br />
immer wieder der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetzt sind und zu neuen<br />
Entscheidungskrisen führen.<br />
• Der Mensch kann, „je radikaler ihm die Paradoxie der Bewährungsproblematik zu<br />
Bewusstsein kommt, diese praktisch lebbar nur aushalten, wenn ihm positive Kriterien<br />
der Bewältigung und praktisch wirksame Anzeichen davon zur Verfügung stehen,<br />
wenn er sich rückblickend und vorblickend auf einen „record“ bzw. eine Agenda von<br />
Bewährungen verbindlich berufen kann. Die nicht stillstellbare Bewährungsdynamik<br />
erfordert also eine Bewährungsmythos, der grundsätzlich über Herkunft und Zukunft<br />
sowie die aktuelle Identität der eigenen Lebenspraxis verbindlich so Auskunft geben<br />
kann, dass darin die Unverwechselbarkeit der eigenen Lebenspraxis verbürgt ist. Der<br />
(Bewährungs-) Mythos muss also die berühmten drei Fragen – Wer bin ich (sind wir)?<br />
Woher komme ich (kommen wir)? Wohin gehe ich (gehen wir)? – verbindlich und unverwechselbar<br />
für eine konkrete Lebenspraxis beantworten.<br />
Darin besteht seine universelle Funktion. ... Für magische Kulturen sind die verschiedenen<br />
Typen konkreter Herkunftserzählungen bekannt. Dogmatisch ausgestaltete Religionen<br />
gründen zwingend auf systematisierte Schöpfungs- und Erlösungsmythen,<br />
und a-religiöse, säkularisierte Kulturen stellen an die Stelle solcher Mythen“ Ethiken,<br />
die auf eine diesseitige Autonomie bezogen sind, wie z.B. Leistungsethiken. ... „ Mit<br />
den Antworten des Bewährungsmythos ist die Bewährungsdynamik zwar nicht stillgestellt,<br />
aber der Umgang mit ihr praktisch lebbar gemacht worden“ (Oevermann 1995,<br />
64-65).<br />
• Damit der Mythos die Kraft einer glaubwürdigen Beruhigung des Lebens angesichts<br />
der Bewährungsdynamik besitzt, bedarf der Mythos einer suggestiven Einsichtigkeit<br />
und Überzeugungskraft. Diese suggestive Evidenz, die aus der Sache heraus ja primär<br />
nicht argumentativ und begründend sein kann, sondern eben „Glaubenssache“ ist, ist<br />
an ein kollektives Verbürgt-Sein, an überzeugungssichernde Vergemeinschaftungsformen<br />
gebunden. Dies gilt sowohl für religiöse Bewährungsmythen als auch für säkularisierte<br />
Bewährungsmythen wie etwa Leistungsethiken, die auf die Autonomie des<br />
einzelnen bezogen sind und die Hingabe an eine Sache oder Aufgabe erfordern. (11)<br />
______________________________<br />
(11) „Von einer Person, die mutig der offenen Zukunft zugewandt Krisenkonstellationen auf sich nimmt, ihnen<br />
nicht ausweicht und sie zu meistern sucht, kann man sagen, dass sie in Selbstvertrauen, also in Vertrauen auf ihr<br />
eigenes Problemlösungscharisma, ihr Leben vollzieht. Wenn sie über dieses Selbstvertrauen in religiöser Glaubenshaltung<br />
verfügt, kann man eben so gut sagen, dass sie von Gottvertrauen beseelt ist. ... Gemeinsam liegt<br />
ihnen zu Grunde, was sich soziologisch als die grundlegendste aller Habitusformationen bezeichnen lässt: ein<br />
struktureller Optimismus nach der Formel “Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“, dem der strukturelle Pessimismus<br />
„Im Zweifelsfalle wird es schief gehen“ als allgemeinste Formel der Verhinderung von neuen Erfahrungen<br />
und der Vermeidung von Chancen für Neues entgegenstünde. Die allgemeinste Bedingung für die Aneignung<br />
einer solchen, einen strukturellen Optimismus der Lebensführung ausmachenden Habitusformation ist in der mit<br />
einer erfolgreichen Geburt abgeschlossenen Embryogenese und Schwangerschaft zu sehen. Denn dem Organismus,<br />
der diese Häufung von zu bewältigenden Krisen, wovon der Geburtsvorgang selbst gewissermaßen einen<br />
Höhepunkt darstellt, bewältigt hat, ist damit die Formel des strukturellen Optimismus ins Körpergedächtnis<br />
eingeschrieben worden. Es ist dies gewissermaßen die Formel der ursprünglichen Positivität des Lebens selbst“<br />
(Oevermann 2001a, 295).<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• Mit dem Zusammenhang von Endlichkeitsbewusstsein, Krise und Bewährungsdynamik<br />
und einer so verstandenen Sinnfrage ist in einem strukturtheoretischen Sinne, d. h. unabhängig<br />
von den konkreten historischen Erscheinungsformen, die universelle Struktur von<br />
Religiosität gegeben, die gerade auch mit der Auflösung religiöser Deutungsmuster nicht<br />
unterlaufen werden kann. (12)<br />
• Die Krise der modernen Arbeitsgesellschaft mit ihrer strukturellen Arbeitslosigkeit stellt<br />
sich im Kontext des Bewährungsproblems vor allem als eine Krise der Leistungsethik als<br />
einem säkularisierten Bewährungsmythos dar: Ein stetig zunehmender Teil der erwerbsfähigen<br />
Bevölkerung der modernen säkularisierten Gesellschaften muss sich ohne die<br />
Möglichkeit einkommenssichernder Erwerbsarbeit selbst verwirklichen. Damit benötigt<br />
dieser Anteil der Bevölkerung einen anderen Bewährungsmythos als den einer Leistungsethik,<br />
in der die Vorstellung von Arbeit als Normalform von Selbstverwirklichung zentral<br />
ist. Gleichwohl bleibt diese Leistungsethik für die immer höher zu qualifizierende verbleibende<br />
notwendige Arbeitskräfte weiterhin unverzichtbar.<br />
• Es erscheint offensichtlich zu sein, „dass mit einer bloßen Negation der Leistungsethik,<br />
also einer bloßen Verweigerungshaltung, ein Bewährungsmythos für diejenigen, die am<br />
arbeitsvermittelten Leistungssystem nicht mehr partizipieren, nicht gewährleistet ist, auch<br />
nicht mit einer wie auch immer gearteten Feier des hedonistischen Lebensgenusses. Vielmehr<br />
muss dieser neue Bewährungsmythos an das Prinzip der Selbstverwirklichung anschließen<br />
und es über die Gestalt der Leistungsethik hinaus verallgemeinern“<br />
(Oevermann 2001c, 37).<br />
• Bei den damit notwendig werdenden gesellschaftlichen Entwicklungs- und Transformationsprozessen,<br />
bei denen es zentral immer zugleich um die Frage der Entkoppelung von<br />
Sozialsicherheit und Erwerbsstatus geht, konvergieren Fragestellungen, Probleme, Erfahrungen<br />
und Herausforderungen aus dem Bereich arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger mit<br />
denen von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung: Gleichermaßen stellt sich nicht nur<br />
die Frage nach sozialer Sicherheit und Teilhabe, sondern vor allem auch die Frage nach<br />
einem Bewährungsmythos, einem positivierten Entwurf von Selbstverwirklichung, der an<br />
die Stelle von Beschämung, Selbstzweifel und permanent lauernden Stigmatisierungs- und<br />
Ausgrenzungsprozessen treten kann.<br />
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Inhaltliche Dimensionen des Bewährungsproblems<br />
• Das Bewährungsproblem des eigenen Lebens stellt sich inhaltlich für jeden bezüglich<br />
dreier eigenlogischer Dimensionen von Bewährung, die auch als Bewährungskarrieren<br />
bezeichnet werden können:<br />
1. Berufs- und Erwerbstätigkeit: Die Selbstverwirklichung in Berufs- und<br />
Erwerbstätigkeit ist für die Bewältigung des Bewährungsproblems des<br />
eigenen Lebens entscheidend. Ihr entspricht eine Karriere der Berufs-<br />
und Erwerbstätigkeit. (Mit der Krise der Arbeitsgesellschaft hat sich das<br />
Bewährungsproblem in dieser Dimension nicht etwa aufgelöst, sondern<br />
hat sich im Gegenteil noch weiter zugespitzt.)<br />
2. Sexuelle Reproduktion und partnerschaftliche private Lebensform: Die<br />
eigene Stellungnahme zur familialen Bewährungskarriere, d.h. die Frage<br />
der Selbstverwirklichung in i. R. v. partnerschaftlicher privater Lebensform<br />
und Kindererziehung, unabhängig von je besonderen historischen<br />
Erscheinungsformen von privater Partnerschaftlichkeit und Kindererziehung,<br />
ist nach wie vor entscheidend für die Bewältigung des Bewährungsproblems.<br />
3. Übergeordnete abstrakte Vergemeinschaftungsformen wie Gemeinde,<br />
Nationalstaat, Schicksalsgemeinschaft der Gattung, öffentliche Institutionen:<br />
Die Bewährungsfrage stellt sich für jeden grundsätzlich und<br />
unhintergehbar auch bezüglich seiner Funktion in den übergeord-neter<br />
Vergemeinschaftungsformen und in diesem Sinne als Frage einer staatsbürgerlichen<br />
Bewährungskarriere (vgl. Oevermann 2001, 112).<br />
Der bekannte Satz, dass jeder in seinem Leben ein Häuschen bauen, eine Familie gründen und<br />
ein Bäumchen pflanzen bzw. ein Buch schreiben müsse, bezieht sich sehr prägnant auf diese<br />
drei inhaltlichen Dimensionen des Bewährungsproblems und die damit verbundenen Bewährungskarrieren.<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Unter dem Aspekt des Bewährungsproblems muss sich berufliche soziale Arbeit als stellvertretende<br />
Krisenbewältigung immer auch mit der zukünftigen oder aktuellen Selbstverwirklichung<br />
ihrer Klienten/ Nutzer in den Bereichen Berufs- und Erwerbstätigkeit, Partnerschaft<br />
und Familie sowie übergeordneten Vergemeinschaftungsformen auseinander-setzen, sie hat<br />
hierzu implizit oder explizit inhaltlich Stellung zu beziehen und praktische Schritte der Vorbereitung,<br />
Begleitung und Unterstützung zu unternehmen.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Pädagogik hat z.B. immer mit der Vorbereitung auf und Ermutigung zu Selbstverwirklichung<br />
in den Dimensionen von Berufs- und Erwerbstätigkeit, Familie sowie Gemeinwesen zu tun.<br />
Pädagogik hat sich dabei m Bereich der Arbeit mit erwachsenen Menschen mit Behinderung<br />
aber auch mit der Frage der konkreten Ermöglichung und Unterstützung einer Berufs- und<br />
Erwerbskarriere oder bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung mit der<br />
Frage der Möglichkeiten und Einschränkungen einer familialen Bewährungskarriere auseinander<br />
zusetzen und begründet praktisch Stellung zu beziehen.<br />
Berufliche soziale Arbeit als „Begleiterin von Lebenswegen“ ist in Wahrnehmung ihrer Aufgaben<br />
immer wieder dazu aufgefordert, sich über die impliziten und expliziten Vorstellungen<br />
von Selbstverwirklichung und Bewährung und ihrer normativen Implikate, die sie ihren Klienten<br />
entgegenbringt, Rechenschaft abzulegen (vgl. z.B. Brisch, K.H./ Kächele, H. 1999). Mit<br />
anderen Worten: Sie hat immer wieder die Entwicklungsaufgaben, die sie ihren Klienten und<br />
deren Angehörigen sowohl zutraut als auch zumutet, reflexiv in den Blick zu nehmen und mit<br />
Klienten und Angehörigen zu besprechen und zu bestimmen.<br />
Überzeugungen, Glauben und Schuldverstrickung als Momente der Bewährungsdynamik<br />
und ihre Entstehung in den frühen Phasen der Bildung des Subjektes<br />
• Überzeugungen geben dem Subjekt Halt und Orientierung bei der Krisenlösung, sie sind<br />
tiefsitzende Habitusformationen, deren allgemeinste Form im strukturellen Optimismus,<br />
„Im Zweifelsfalle wird es gut gehen“ zum Ausdruck kommt (vgl. Oevermann 2001 a,<br />
295). „Überzeugungen sind Grundlagen im Krisenbewältigungsprozess, die von dem in<br />
die Krise geratenen Wissen nicht betroffen sind. „Die Krise des Wissens, die zu einer<br />
neuen Erfahrung führen muss, lässt sich nun ihrerseits nicht bewältigen ohne die Grundlagen<br />
von Überzeugungen, die von der Krise als solcher unberührt bleiben. Wenn nämlich<br />
alle eine Lebenspraxis habitualisirenden Überzeugungen gewissermaßen auf einmal in eine<br />
Krise gerieten, dann läge nicht mehr nur die Situation des berechtigten Zweifels an einem<br />
bislang bewährten Wissen vor, sondern dann wäre die tödliche Situation der Verzweiflung<br />
eingetreten“ (Oevermann, Überlegungen zur Integration und Synthesis der begrifflichen<br />
und methodischen Instrumentarien der Forschungen im Sonderforschungsbereich/FK<br />
435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“, unveröffentlichtes Manuskript,<br />
Frankfurt am Main, 2000)“ (Wagner 2001, 194 f.).<br />
• Die Überzeugungen bilden sich grundlegend in den frühen und frühesten Mutter-Kind-<br />
Beziehungen, d.h. im Zusammenhang mit dem symbiotischem Formenkreis und den Vorgängen<br />
bei Schwangerschaft und Geburt und differenzieren sich dann im weiteren Verlauf<br />
des Lebens aus. Eine gelingende Symbiose und ein gelingender Geburtsvorgang führen<br />
dabei zur Entwicklung von Urvertrauen und Selbstvertrauen. (Vgl. Wagner, 2001, 195).<br />
• Das Kind erreicht das Ziel der Sozialisation, seine Autonomie, nur, wenn es sich aus der<br />
Symbiose löst. „Das Kind muss sich gleichsam, um Autonomie zu erlangen, aus der<br />
schützenden Symbiose heraustransformieren.“ Deshalb muss der Bildungsprozess an dem<br />
anderen, gegenüberliegenden Pol die Symbiosen und Schutzräume immer wieder durch<br />
Ablösung in Richtung eigener Unabhängigkeit und Autonomie aufbrechen und hinter sich<br />
lassen. Das sich bildende Leben muss dabei notwendig die ursprünglich schützenden Instanzen<br />
als hinderliche Fesseln durchschneiden, sich von den geliebten Instanzen, die sich<br />
für es aufgeopfert haben, als lästigen „Hemmschuhen“ trennen.<br />
67 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
• Diese paradoxale Dynamik kommt erst im ödipalen Drei-Generationen-Zusammenhang<br />
deutlich zum Ausdruck: Damit Nachkommen in dieser paradoxalen Dynamik aufwachsen<br />
können, also auf dem Boden einer symbiotischen Verschmelzung wachsen und durch Ablösung<br />
daraus ihre Autonomie erwerben können, müssen ihre Eltern selbst Kinder mit einem<br />
solchen Entwicklungsprozess gewesen sein, die sich an dessen Ende erfolgreich von<br />
ihren Eltern, den Großeltern der dritten Generation, abgelöst haben und auf dem Boden<br />
dieser Ablösung eine autonome Gattenbeziehung mit der von ihr abhängigen<br />
sozialisatorischen Leistung gründen konnten’ (Oevermann, Vorläufiges Resümee über:<br />
Gemeinsamkeiten und Differenzen von religiöser, ästhetischer, Natur- und Leiberfahrung,<br />
unveröffentlichtes Manuskript, Frankfurt am Main, 12 f.)<br />
• In diesen Zusammenhängen wird deutlich, dass der objektiven Hermeneutik als vollständiges<br />
Sozialisationsmodell das realdialektische Strukturmodell der ödipalen Heptade gilt.<br />
Dieses Modell umfasst sieben Positionen (4 Großeltern, 2 Eltern, 1 Ego)<br />
und drei ödipale Triaden (Wagner, 2001, 198 f.)“.<br />
• Mit der Ablösung aus der Symbiose verstrickt sich das sich bildende Subjekt jedoch objektiv<br />
in Schuld. Der Ablöseprozess ist mit Schuldverstrickung verbunden. Denn:‚<br />
dass man sich aus der Symbiose und den Schutzräumen ablöst, bedeutet aus einer nachträglichen<br />
Perspektive immer auch einen Akt der Undankbarkeit und der Herbeiführung<br />
einer Trennung, eines Verlustes. .... Die Ablösung gelingt gerade dann am besten, wenn<br />
die vorausgehende Symbiose besonders gelungen war. Wenn sie problematisch war, haben<br />
die Kinder mit der Ablösung große Probleme, und Probleme der Ablösung liegen so<br />
gut wie allen späteren Störungen zugrunde. Damit hängt zusammen, dass man Beziehungen<br />
und Bezugspersonen, wenn die Zeit es erfordert, um so eher und besser aufgeben<br />
kann, je erfüllter sie zuvor waren. Mit dieser „Wegbewegung in Undankbarkeit“ macht<br />
sich das sich bildende Subjekt objektiv schuldig.<br />
• Diese objektive Schuld muss in ihrer Unausweichlichkeit nachträglich als von einem<br />
selbst verursachte subjektiv übernommen werden. Damit ist dynamisch die Quelle des<br />
nicht stillstellbaren Strebens nach Versöhnung eröffnet. In der Ablösung fügen sich also<br />
Schuldverstrickung und Autonomisierung sich wechselseitig bedingend zusammen.<br />
• Die Schuldverstrickung ist nicht etwa die Folge einer moralisch zuschreibbaren Fehlleitung<br />
der Sozialisation, sondern die unvermeidbare Folge des „Weggehens“ als einer notwendigen<br />
Bewegung in der Sozialisation. Sie entspricht im übrigen jenem allgemeinen<br />
Mechanismus der Schuldverstricktheit, die sich aus einer subjektiven Verantwortlichkeit<br />
nicht zuschreibbaren objektiven Schuld ergibt, die man nachträglich als Folge der Ergebnisse<br />
dieser objektiven Verschuldung subjektiv dennoch übernehmen muss, wie er uns<br />
schon im jüdischen Schöpfungsmythos und im griechischen Ödipus-Mythos in je anderer<br />
Konstellierung begegnet... .<br />
• Das zweite Moment von Ablösung verweist auf die Notwendigkeit, in das Ungewisse einer<br />
offenen Zukunft gehen zu müssen. Sie zieht das Problem nach sich, dass man dazu eine<br />
berechtigte Hoffnung haben können muss. Aber mehr als eine Hoffnung kann die Zukunftserwartung<br />
bezeichnenderweise nicht sein. ... .<br />
• Die Folgen bzw. Implikationen beider Momente von Ablösung: Schuldverstrickung und<br />
die Notwendigkeit einer begründeten Hoffnung, fügen sich zusammen zur Notwendigkeit<br />
eines Glaubens an eine übergeordnete Instanz, die man als Macht des Geistes bezeichnen<br />
könnte, so dass die Loyalität zu ihr, wie immer sie auch konkret inhaltlich ausgelegt werden<br />
mag, zugleich eine Hoffnung auf Versöhnung und Bewährung hergibt.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
• Dieser Glaube ist das polare Pendant zur Überzeugung und für die Krisenbewältigung<br />
ebenso unverzichtbar wie die Überzeugung’ (Oevermann, Überlegungen zur Integration<br />
und Synthesis der begrifflichen und methodischen Instrumentarien der Forschungen im<br />
Sonder-forschungsbereich/FK 435 Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, unveröffentlichtes<br />
Manuskript, Frankfurt am Main 2000, 75 ff.) (Wagner, 2001, 199)“.<br />
• „Der Glaube bezieht sich im Unterschied zur Überzeugung auf eine übergeordnete Macht<br />
und erfordert Hingabe. Auch sind die Auswirkungen von Glaube und Überzeugungen auf<br />
das Subjekt verschieden.’ Überzeugungen, die sich im Leben bewährt haben, bestärken<br />
das Vertrauen in die Möglichkeit, Krisen erfolgreich bewältigen zu können. Sie führen zu<br />
Souveränität, Selbstvertrauen und Gelassenheit. Glaube an das Angenommen-Sein durch<br />
eine übergeordnete Macht, die Hingabe verlangt, vervollkommnet sich in Übereinstimmung<br />
mit sich selbst, innerem Frieden und dem Zurücktreten eigener Bedürfnisse hinter<br />
die Ver-pflichtung, für andere dazusein und für das Wohl des Ganzen.’ (Oevermann, Vorläufiges<br />
Resümee über: Gemeinsamkeiten und Differenzen von religiöser, ästhetischer<br />
Natur- und Leiberfahrung, unveröffentlichtes Manuskript, Frankfurt am Main 1998, 3 f.)“<br />
(Wagner 2001, 196).<br />
1.7.2 Autonomieentwicklung, lebenszyklische Entwicklungsaufgaben und kritische<br />
Lebensereignisse<br />
Die vier großen Ablösekrisen in der sozialen Geburt des autonomen Subjektes<br />
• Die soziale Geburt des Subjektes als einem autonom handlungsfähigen, mit sich identischen<br />
Subjekt, kann als Abfolge von zentralen Ablösekrisen i. R. d. sich entfaltenden<br />
triadischen Grundstruktur familialer Sozialisation dargestellt werden. Diesen vier großen<br />
Ablösungs-krisen gehen jeweils entwicklungsstandspezifische Symbiosen oder Schonräume<br />
voraus. Es können unterschieden werden:<br />
1. Die biologische Geburt als die Krise der Ablösung aus der ursprünglichen Symbiose<br />
in der Schwangerschaft<br />
2. die Ablösung von der primären Mutter-Kind-Symbiose, die schon mehr ist als nur eine<br />
biologische und den Eintritt in die phallische Phase mit der nachfolgenden ödipalen<br />
Vergemeinschaftungsform und damit in die spätere ödipale Krise mit sich bringt<br />
3. die Ablösung von der Vergemeinschaftung in der ödipalen Triade nach der ödipalen<br />
Krise mit dem Eintritt in die Latenzphase und die damit verbundene Vergemein-<br />
schaftung der „peer-group“<br />
4. die Ablösung aus der Herkunftsfamilie in der Adoleszenzkrise mit dem nachfolgenden<br />
endgültigen Eintritt in das Erwachsenenalter.<br />
Diese vier Krisen sind naturgemäß in der Folge ihrer Nennung und ihrer ontogenetischen Sequenz<br />
zunehmend beeinflusst von und sensitiv gegenüber der historisch konkreten gesellschaftlichen<br />
Lage“ (Oevermann 2001b, 107). (13)<br />
______________________________<br />
(13) „Die Adoleszenzkrise unterscheidet sich von allen vier Ablösungskrisen zwischen den verschiedenen Kulturen<br />
und gesellschaftlichen Entwicklungsstufen am meisten. Sie beendet die Phase des Übergangs von der<br />
Kindheit zum Erwachsen-Sein. In archaischen Gesellschaften mit zyklisch-stationärem Charakter, also noch<br />
ohne eigentliche geschichtliche Entwicklung, kann dieser Übergang punktuell sich an einem Tag mit einem<br />
einzigen kurzen Initiationsritus vollziehen. In diesen Gesellschaften gibt es praktische keine Adoleszenz mit<br />
einem ihr eigenen Moratorium der Vorbereitung auf das Erwachsenen-Leben. Je entwickelter und rationalisierter<br />
eine Kultur, desto länger das Moratorium der Jugend nach der Geschlechtsreife mit seinen eigenen Phasen der<br />
Ausbildung, Berufsvorbereitung und Ableistung von Bürgerdiensten (Oevermann 2001b, 108).<br />
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Stand 01.08.2012<br />
In dem Maße, in dem diese vier großen Ablösekrisen in der sozialen Geburt des Subjektes<br />
erfolgreich bewältigt werden, entfalten sich Autonomie und Identität in den Polen von Bindung<br />
und Ablösung. In dem Maße, indem die Bewältigung dieser Krisen erschwert, behindert<br />
oder verunmöglicht wird, werden auch die Entfaltung von Autonomie und Identität erschwert,<br />
behindert oder verunmöglicht.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis<br />
• Die einzelne Lebenspraxis steht in einer Bewährungsdynamik als widersprüchlicher Einheit von<br />
Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung.<br />
• Autonomie beweist, bewährt und entwickelt sich in lebenspraktischen Krisensituationen, in denen<br />
gerade nicht auf Entscheidungsregeln zurückgegriffen werden kann, aber dennoch entschieden werden<br />
muss, ohne dabei auf den Anspruch auf zumindest nachträgliche Begründbarkeit zu verzichten.<br />
• Autonomie als Besonderheit menschlicher Praxis besteht also in der widersprüchlichen Einheit von<br />
Wahlmöglichkeit und Verantwortungszumutung, in einem zur „Autonomie-Verurteilt-Sein“.<br />
• Die Voraussetzungen für eine autonome Lebensführung werden auf der Grundlage angeborener Autonomiepotentiale<br />
als soziale Geburt des Subjektes in den triadischen Strukturen der primären familialen<br />
Sozialisation erworben<br />
• Mit der letzten der vier großen Ablösekrisen, der Adoleszenzkrise, vollzieht sich die Ablösung aus<br />
der Herkunftsfamilie und mit dem nachfolgenden endgültigen Eintritt in das Erwachsenenalte die<br />
Chance und Zumutung der eigenverantwortlichen Übernahme von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung.<br />
• Das der Bewährungsdynamik zugrunde liegende Bewährungsproblem resultiert letztlich aus dem<br />
grundsätzlich gegebenen Endlichkeitsbewusstsein menschlichen Lebens, d.h. angesichts der Antizipation<br />
des Todes aber auch der grundsätzlichen Irreversibilität alltäglicher Entscheidungen.<br />
• Die Bewährungsdynamik ist nicht stillstellbar, jede Krisenlösung kann als Routine ihrerseits wieder<br />
scheitern und zu einer neuen Krise führen. Bewährungsproblem und Nichtstillstellbarkeit der Bewährungsdynamik<br />
sind lebenspraktisch nur aushaltbar auf der Grundlage eines identitätsverbürgenden<br />
Bewährungsmythos, der auf die berühmte dreifache Frage eine verbindliche Antwort zu geben vermag:<br />
Wer bin ich (sind wir)?, woher komme ich (kommen wir)? und wohin gehe ich (gehen wir)?<br />
• Überzeugungen als tiefgreifende Haltungen dem Leben gegenüber, z.B. als Haltung „Im Zweifelsfalle<br />
wird es gut gehen“ sowie Glaubenshaltungen als Glauben an die Macht einer übergeordneten Instanz,<br />
unabhängig von ihrer konkret inhaltlichen Bestimmung, bezeichnen zentrale Momente und<br />
Grundlagen von Krisenbewältigung.<br />
• Überzeugungen bilden sich aus der Positivität des dialogisch-symbiotischen Wachstums, Glauben<br />
bzw. Glaubenshaltungen bilden sich aus Ablöseprozessen aus Symbiose und Schutz- und Schonräumen.<br />
• Das „Weggehen in Undankbarkeit“ ist eine Notwendigkeit in Ablöseprozessen, mit der das sich bildende<br />
Subjekt objektiv schuldig macht und diese Schuld muss in ihrer Unausweichlichkeit nachträglich<br />
als selbst verursachte subjektiv übernommen werden (Vgl. jüdisch-christlicher Schöpfungsmythos<br />
und griechischer Ödipus-Mythos).<br />
• Schuldverstrickung und die Notwendigkeit einer begründeten Hoffnung auf Versöhnung und Bewährung<br />
sind notwendige Momente von Ablösung.<br />
• Implikation von Schuldverstrickung und Notwendigkeit einer begründeten Hoffnung auf Bewährung<br />
und Versöhnung ist die Notwendigkeit eines Glaubens an eine übergeordnete Instanz, so dass die Loyalität<br />
zu ihr, wie auch immer sie inhaltlich bestimmt wird, eine Hoffnung auf Versöhnung und Bewährung<br />
ermöglicht.<br />
• Das Bewährungsproblem stellt sich inhaltlich bezüglich dreier Dimensionen von Bewährung bzw.<br />
Bewährungskarrieren:<br />
1. Die Frage der Selbstverwirklichung im Bereich von Berufs- und Erwerbstätigkeit<br />
2. Die Frage der Selbstverwirklichung im Bereich privater partnerschaftlicher Lebensformen<br />
und sexueller Reproduktion/ Kinderaufzucht<br />
3. Die Frage der Selbstverwirklichung in übergeordneten Vergemeinschaftungsformen von<br />
Gemeinde, Nationalstaat, Schicksalsgemeinschaft der Gattung oder im Dienste öffentlicher<br />
Institutionen<br />
Abb. 17: Ein strukturtheoretisches Modell der Autonomie der Lebenspraxis<br />
71 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
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Stand 01.08.2012<br />
Typische Entwicklungsaufgaben und kritische Lebensereignisse im Lebenszyklus<br />
von Einzelnem und Familie<br />
Im Lebenszyklus einer personalen oder familialen Lebenspraxis stellen sich über die vier großen<br />
Ablösekrisen der sozialen Geburt des Subjektes hinaus eine Vielzahl von phasentypischen<br />
Entwicklungsaufgaben. Diese Entwicklungsaufgaben ergebne sich aus einem Zusammenspiel<br />
von individueller, auch körperlicher Entwicklung, soziokulturellen Normen sowie<br />
eigenen Normbildungen und Zielsetzungen der jeweiligen Lebenspraxis (vgl. Montada<br />
1998, 66, Oerter,/ Noam, 1999, 60). Entsprechend kann zwischen Entwicklungsaufgaben eines<br />
einzelnen und sogenannten Familienentwicklungsaufgaben unterschieden werden<br />
(vgl. Cierpka 1996, Schneewind 1998, Rollett/ Werneck 2002).<br />
(Nicht-normative) kritische Lebensereignisse stellen demgegenüber unerwartete Belastungen<br />
und Krisen der Lebenspraxis dar, die sich z.B. durch Krankheit, Behinderung, Partnerverlust<br />
Verlust des Arbeitsplatzes, Migration, Krieg usw. ergeben und oftmals traumatischen Charakter<br />
besitzen (vgl. Oerter/ Noam 199, 61).<br />
Im Rahmen von Entwicklungspsychologie und psychologisch-pädagogischer klinischer Praxis<br />
wurden verschiedene Systematisierungen von Entwicklungsaufgaben versucht, in<br />
die natürlich in unterschiedlicher Form und Gewichtung soziokulturelle Normvorstellungen<br />
eingegangen sind. Beispielhaft hierfür können aufgeführt werden:<br />
• Das Stadien- und Krisenmodell des Lebenslaufes nach Erikson (vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption<br />
(<strong>Kapitel</strong> 1, AH 1)<br />
• die Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach Havighurst (vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption<br />
(<strong>Kapitel</strong> 1, AH 2)<br />
• die Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach ihrem zeitlichen Umfang nach Oerter<br />
(vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption <strong>Kapitel</strong> 1, AH 3)<br />
• die Stadien des Familienlebenszyklus und Familienentwicklungsaufgaben nach Carter/<br />
McGoldrick (vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption <strong>Kapitel</strong> 1, AH 4)<br />
• sowie die Systematisierung von Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess<br />
nach Schneewind (vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption <strong>Kapitel</strong> 1, AH 5).<br />
• sowie die Aufgabenbereiche in der frühen Entwicklung nach Waters & Sroufe<br />
(vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption <strong>Kapitel</strong> 1, AH 6)<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Berufliche soziale Arbeit hat es in der stellvertretenden und zugleich Autonomie fördernden<br />
Krisenbewältigung mit der Begleitung von Lebenswegen von Klienten und deren Angehörigen<br />
zu tun. Sie ist dabei einerseits auf angemessenes Fallverstehen, andererseits aber auch<br />
feldspezifisch auf praktisch-normative Stellungnahmen zum Bewährungsproblem ihrer Klienten<br />
in den Sphären von Arbeit, Intimität und Familien und Gemeinschaft verwiesen.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Die Beschäftigung mit Systematisierungen lebenszyklischen Entwicklungsaufgaben (sowie<br />
die Berücksichtigung kritischer Lebensereignisse) kann für die Praxis beruflicher sozialer<br />
Arbeit eine hilfreiche Strukturierungshilfe bieten, um bei Fallverstehen und normativpraktischer<br />
Stellungnahme möglichst schnell Schwerpunkte und Konflikte im individuellen<br />
oder familialen Entwicklungsgeschehen zu identifizieren. Die Kenntnis von und Auseinandersetzung<br />
mit lebenszyklischen Entwicklungsaufgaben ist zudem zentrale Voraussetzung<br />
von Entwicklungsberatung und Prävention in den verschiedenen Bereichen beruflicher sozialer<br />
Arbeit.<br />
Exkurs: Unterschiedliche Krisentypen und Erfahrungsmodi im strukturtheoretischen<br />
Ansatz<br />
Im strukturtheoretischen Zusammenhang können drei Krisentypen und vier korrespondierende<br />
Erfahrungstypen unterschieden werden, wobei der erste Krisentypus den kritischen<br />
Lebensereignissen der Entwicklungspsychologie und der zweite Typus den normativen<br />
Entwicklungsaufgaben der Entwicklungspsychologie und Stressforschung nahe kommt:<br />
1. „Die Krise durch Überraschungen, die negativ oder positiv als „brute facts“<br />
über einen hereinbrechen, als Schmerz oder Glück, als Scheitern oder Erfüllung.<br />
Diesem elementaren Krisentyp, den wir mit den subhumanen Gattungen am ehesten<br />
teilen, und der dem animalischen Stress nahe kommt, ordne ich die Konstitution von<br />
Natur und Leiberfahrung zu und bezeichne ihn als Traumatisierungskrise.<br />
2. Die Entscheidungskrise, die wir schon, auch mit Beispielen kennen gelernt haben.<br />
Ihr entspricht der Typ der religiösen Erfahrung, denn in Entscheidungskrisen muss<br />
die Lebenspraxis sich bewähren“ (Oevermann, 2001 a, 312 f.)<br />
3. „Der Krisentypus der Muße. Dieser ist selbsterzeugt. Ihm zuzuordnen ist der Modus<br />
der ästhetischen Erfahrung und der methodisierten Erkenntnis, Wesentlich ist für diesen<br />
Erfahrungsmodus die Erfahrung von Unbekanntem und Unerwartetem“ (Wagner,<br />
2001, 204).<br />
1.7.3 Die Dimensionen des Kohärenzgefühls im salutogenetischen Ansatz<br />
als Bedingungen der Möglichkeit autonomer Lebenspraxis<br />
Von seinen theoretischen Grundannahmen zur Lebenspraxis sowie vom Krankheits – und<br />
Gesundheitsbegriff her ist der von Antonovsky entwickelte salutogenetische Ansatz anschlussfähig<br />
an das strukturtheoretische Modell der Lebenspraxis und seine sozialiationstheoretischen<br />
und professionalisierungstheoretischen Implikationen. (14)<br />
Antonovsky stellt die zentrale Frage, warum Menschen trotz gleichermaßen wirksamer schädlicher<br />
Einflüsse gesund bleiben. „Antonovsky baut seine Überlegungen auf Erkenntnisse der<br />
Stressforschung u.a. von Lazarus (1981) auf (siehe dazu auch Franke 2001). Im Mittel-punkt<br />
der Überlegungen steht die Frage nach den Kompetenzen des Einzelnen, auf innere und äußere<br />
Anforderungen zu reagieren. Auch im Denkansatz der Salutogenese werden belastende<br />
Situationen und Schwierigkeiten zur Kenntnis genommen; diese erzeugen sog. Spannungszustände.<br />
Wichtig ist nun, wie die Spannung gelöst wird. Antonovsky unterstellt in seiner<br />
Hypothese des Kontinuums von Gesundheit und Krankheit, dass derjenige wieder eher das<br />
Pendel in Richtung Gesundheit bewegen kann, der auf einen Stressor erfolgreiche Reaktionsmechanismen<br />
zur Verfügung hat“ (Mathe, 2003, 124).<br />
_____________________________________<br />
(14) Vgl. hierzu insbesondere: Antonovsky 1979, 1991, 1997 sowie zusammenfassend BZgA<br />
1999, 2001, Lorenz 2004, Mathe 2003.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Dabei spielen zum einen die sog. generalisierten Widerstandsressourcen und zum anderen<br />
das sog. Kohärenzgefühl (SOC / sense of coherence) eine entscheidende Rolle, das für das<br />
Wirksamwerden, die Aktivierung dieser Widerstandsressourcen verantwortlich ist.<br />
Zu den generalisierten Widerstandsressourcen zählen als innere und äußere Ressourcen z.B.:<br />
• Ich-Stärke (Selbstvertrauen, optimistische Grundhaltung)<br />
• Kognitive Faktoren (Intelligenz, Bildung)<br />
• Fähigkeiten zur Problemlösung (aktive Handlungsressourcen)<br />
• Konstitution (Immunsystem) (Vgl. Mathe 2003, 124).<br />
„Die Widerstandsressourcen stehen in enger Verknüpfung mit einer Überzeugung des Einzelnen,<br />
dass das Leben insgesamt sinnvoll, überschaubar oder nachvollziehbar und damit belastende<br />
Ereignisse auch eine bewältigbare Hürde darstellen; dies kommt in einer „inneren<br />
Grundhaltung“ zum Ausdruck, die Antonovsky als Kohärenzgefühl (SOC /sense of<br />
coherence) bezeichnet.<br />
Dieses Kohärenzgefühl fördert salutogene Wirkungen und beinhaltet Elemente aus drei Ebenen<br />
eines „Überbaus“ salutogenetischer Grundbedingungen:<br />
• Die Sinnebene (Bedeutsamkeit)<br />
Die Umstände des Lebens fördern Motivation, Einsatz, Kreativität; eigene Aktivitäten<br />
besitzen einen positiven Bedeutungsgehalt und soziale Akzeptanz.<br />
• Die Verstehensebene (Verstehbarkeit)<br />
Die Lebensereignisse sind verständlich und soziale Interaktionen erweisen sich als berechenbar<br />
und vertrauenswürdig. Der Kontext wird auf dem Boden ausreichender Informationen<br />
erfasst.<br />
• Bewältigungsebene (Handhabbarkeit)<br />
Die Schwierigkeiten des Lebens werden als überwindbar erkannt, die eigenen Handlungsmechanismen<br />
vermitteln ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, positive Erfahrungen<br />
werden gemacht. Flexible Antwortmöglichkeiten stehen zur Verfügung“ (Mathe, 2004,<br />
126).<br />
Mit dieser Denkweise steht der Weg offen, den Klienten als aktiven Partner im Handeln in<br />
den verschiedenen Feldern beruflicher sozialer Arbeit zu begreifen. „Die negative Defizitorientierung<br />
wandelt sich zu einer positiven präventiven oder gesundheitsförderlichen Ressourcenaktivierung;<br />
die Biographie des Menschen, seine Lebenskonzepte werden berücksichtigt.<br />
Wir entdecken und fördern damit auch Kräfte der „Selbstheilung“ eines Menschen“ (Mathe,<br />
2004, 126).<br />
Die drei Ebenen des Kohärenzgefühls können vor dem Hintergrund des strukturtheoretischen<br />
Modells der autonomen Lebenspraxis interpretiert werden als Bedingungen der Möglichkeit<br />
gelingender Krisenbewältigung und damit zugleich als Ansatzpunkte für die Praxis beruflicher<br />
sozialer Arbeit.<br />
Die Verstehbarkeit der Lebensumstände und die Verfügbarkeit von Informationen stellen<br />
wichtige Momente im Krisenbewältigungsprozess dar und unterstützen die mutige Entscheidung<br />
in eine offene und unsichere Zukunft einer Entscheidungskrise oder die<br />
Bewältigung einer Traumatisierungskrise. Die Handhabbarkeit im Sinne von Graden tatsächlicher<br />
Selbstwirksamkeit kann ebenfalls als ein zentrales Moment von Entscheidungs-<br />
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Stand 01.08.2012<br />
und Traumatisierungskrisen verstanden werden, das Krisenbewältigungsprozesse unterstützt<br />
oder auch behindert und einschränkt. Bedeutsamkeit verweist auf die Angewiesenheit und<br />
Rückgebundenheit auf einen Bewährungsmythos und entsprechende Glaubenhaltungen im<br />
Prozess der Krisenbewältigung, seien diese nun religiöser oder säkularisierter Art wie z.B. bei<br />
Leistungsethiken. Bedeutsamkeit gründet letztlich in der Begründungsverpflichtung von Lebenspraxis<br />
für ihre Krisenbewältigungen.<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Hilfen und Unterstützungen auf den Ebenen von Verstehbarkeit (z.B. gute Information),<br />
Handhabbarkeit (z.B. Ermutigung zu Selbsthilfegruppen, Verständnis und Akzeptanz von<br />
eigenständigen Klientenaktivitäten) sowie Bedeutsamkeit (z.B. Interesse für Lebensgeschichte<br />
und aktuelle Situation von Klienten) stellen wichtige Beiträge beruflicher sozialer<br />
Arbeit zur Stärkung und Unterstützung der Selbstheilungskräfte von Klienten dar.<br />
Der zur Verfügung Stellung von Raum und Zeit im Rahmen beruflicher sozialer Arbeit zur<br />
Ermöglichung des Erzählens von eigener Lebensgeschichte durch die Klienten selbst, kommt<br />
hierbei eine besondere Bedeutung zu.<br />
1.7.4 Zur Bedeutung erzählter Lebensgeschichte für die Lebenspraxis und<br />
für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
In Anlehnung an die Ergebnisse der Erzählforschung (Schapp 1976, Stierle 1979) kann davon<br />
ausgegangen werden, „dass Sinnzusammenhänge des menschlichen Lebens in Geschichten<br />
organisiert sind und dass sie eine doppelte Struktur enthalten: Sie bewahren, indem sie Erlebtes<br />
in einen sinnhaften Zusammenhang bringen, und sie schaffen Neues, indem sie die Tendenz<br />
haben, über das Bewahrende hinauszuweisen“ (Welter-Enderlin/Hildenbrand 2004, 43).<br />
Die erzählte Erfahrung kann dem Menschen damit ein Gefühl von Kontinuität in der Zeit und<br />
damit von Identität, Kohärenz und Bedeutung verleihen. Dies gilt entsprechend nicht nur für<br />
die Lebenspraxis eines einzelnen Menschen, sondern auch für die eines Paares, einer Familie<br />
oder einer anderen vergemeinschafteten kollektiven Lebenspraxis.<br />
In dem Maße, in dem Vergangenes erzählt werden kann, nimmt die Chance zu, es als Vergangenes<br />
zu verstehen und zu integrieren und für die Zukunft neue Handlungsmög-lichkeiten<br />
zu erkennen. Das Unerkannte, Nichtverstandene und Nicht- integrierte in der Geschichte beinhaltet<br />
dagegen die Tendenz der Wiederholung in der Zukunft, die zu keiner Weiterentwicklung<br />
von Handlungsmöglichkeiten führt.<br />
Geheimnisse, Verschwiegenes, Nichterzähltes können aber auch ein sinnvoller Schutz sein,<br />
weil das Erzählen und Verstehen aktuell eine Überforderung wäre, welche die Lebenspraxis<br />
in ihrer Handlungsfähigkeit zusätzlich gefährden würde (vgl. z.B. Welter-Enderlin 1999, 91<br />
f., Cierpka 1996, 240 ff.).<br />
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Erzählen hat aber nicht nur eine individuierende, bedeutungsstiftende Funktion und eine zukunftsbezogene<br />
Funktion der Eröffnung und des Entwurfes zukünftiger Handlungsmöglichkeiten.<br />
„Erzählen besitzt auch eine resozialisierende Funktion. Es verleiht dem Individuellen<br />
Bedeutung in der Gemeinschaft, es bringt es in die Gemeinschaft zurück. Damit<br />
kann die erzählte Erfahrung zugleich Nähe und Beziehung stiften.“ (Hildenbrand, zitiert nach<br />
einem Tonbandprotokoll eines Vortrages von Welter-Enderlin auf den 47. Lindauer Psychotherapiewochen<br />
1997).<br />
Grundsätzliche Bedeutung für die Praxis beruflicher sozialer Arbeit<br />
Erzählte Erfahrung kann Klienten unterstützen, Bedeutung, Kontinuität und Identität zu sichern,<br />
Optionen für die Zukunft zu finden, schwierige und auch schmerzliche Erfahrungen zu<br />
verarbeiten und soziale Nähe und Beziehung herzustellen.<br />
Damit erhält das aufmerksame und interessierte Zuhören und das interessierte, aber auch behutsame<br />
und achtsame Fragen seine eigene Begründung, Bedeutung und Würde als wichtiger<br />
fachlicher Routine in den Feldern beruflicher sozialer Arbeit.<br />
Erzählte Erfahrung kann dabei auch auf die Ebenen des Kohärenzgefühls, d.h. auf zentrale<br />
Momente in Krisenbewältigungsprozessen bezogen werden:<br />
• Sie kann Erfahrungen konsistent und zusammenhängend machen als Basis von<br />
Verstehbarkeit.<br />
• Sie kann durch die Klärung neuer Handlungsmöglichkeiten die Handhabbarkeit unterstützen<br />
und<br />
• sie kann durch ihre individuierende und bedeutungsstiftende Funktion Bedeutsamkeit<br />
sichern und fortschreiben.<br />
In jedem Feld beruflicher sozialer Arbeit wäre dementsprechend besonders zu prüfen, welche<br />
Bedeutung hier erzählter Erfahrung zukommen kann, wie viel Raum und Zeit erzählter Erfahrung<br />
tatsächlich eingeräumt wird, in welchen Formen und settings dies erfolgt und welche<br />
möglichen Entwicklungsbedarfe fachlicher Routinen sich hieraus ggf. ergeben können.<br />
Zur Verdeutlichung seine mögliche Arbeitsfelder aufgeführt:<br />
• Die Arbeit mit Migranten,<br />
• die Arbeit mit Kindern,<br />
• die Arbeit mit behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern,<br />
• die Arbeit mit deren Eltern und Geschwistern,<br />
• die Arbeit mit Menschen mit Behinderung im Bereich Wohnen und ambulante Dienste.<br />
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1.7.5 Sozialer Wandel, Enttraditionalisierung und Auswirkungen<br />
auf die Lebenspraxis<br />
• In einer funktional differenzierten Gesellschaft mit ihrer Rationalisierung und Entzauberung<br />
religiöser Deutungsmuster können Religion und Kirche keinen “Gesamtsinn“<br />
und keine Lebensordnung mehr repräsentieren, die verbindlich und unproblematisch<br />
für alle Geltung besitzen könnte.<br />
• Es wird zunehmend mehr die Aufgabe jedes Einzelnen, in der Reflexion auf seine Biographie<br />
Deutungsmuster für das eigene Leben zu finden, die unterschiedliche Erfahrungen,<br />
Krisen und Brüche zu integrieren vermögen. (Beck/Beck-Gernsheim 1994,<br />
Oevermann 1995). Es gibt nicht mehr ein verbindliches Konzept eines „guten gottgefälligen<br />
Lebens“ nach klar definierbaren Kriterien „christlicher Lebensführung“ i. S.<br />
e. Bewährungs- und Erlösungsmythos, das wie selbstverständlich Sicherheit, Trost<br />
und Erlösung garantieren könnte.<br />
• Sozialer Wandel und die Rationalisierung und Entzauberung traditionaler Deutungsmuster<br />
haben traditionale Lebensformen und traditionale Sinnstiftungen zerstört und<br />
dem Einzelnen größere Freiheiten und Handlungsspielräume eröffnet. Zugleich muten<br />
diese Prozesse dem einzelnen aber auch eine erhöhte individuelle Verantwortlichkeit<br />
für seine Belange sowie eine erhöhte individuelle Sinnstiftungs-notwendigkeit zu.<br />
Dies gilt sowohl für die individuelle Lebenspraxis wie auch für die kollektive Lebenspraxis<br />
privater partnerschaftliche Lebensformen, von denen die Erscheinungsform der<br />
traditionellen Familie nur noch eine unter vielen ist.<br />
• Mit der Enttraditionalisierung des gesellschaftlichen Lebens sind auch die Entlastungen<br />
in der Bewältigung des Bewährungsproblems entfallen, „die früher mit einer<br />
stabilen familialen Herkunft mehr oder weniger automatisch gegeben waren, indem<br />
durch sie die Wege ins Berufs- und Familienleben doch mehr oder weniger vorgeprägt<br />
waren. Immer mehr ist heute der Einzelne in seiner Lebensplanung vergleichsweise<br />
früh auf sich selbst gestellt, während auf der anderen Seite die funktionalen Verknüpfungen<br />
von Ausbildung und Berufschance immer lockerer geworden sind, gleichzeitig<br />
aber auch bei aller Durchlässigkeit des gegliederten Bildungssystems die verpassten<br />
Chancen immer weniger sich institutionell kompensieren lassen angesichts des enormen<br />
Zeitdrucks, der auf den Karrieren lastet“ (Oevermann 2001b, 112).<br />
Dieser Auflösung von Lebensformen und Deutungsmustern ist bezüglich der verschiedenen<br />
Bereichen und Phasen des sozialen Lebens kein zureichender positiver Entwurf einer entsprechenden<br />
neuen Kultur gefolgt, die durch sozialen Wandel induzierten Folgeprobleme<br />
werden den einzelnen Individuen und Familien vielmehr weitgehend individualisierend angelastet.<br />
Entsprechend mangelt es an einer neuen und einbettenden Kultur des Umganges mit Kindheit,<br />
d.h. einer Kultur des Aufwachsens und Erziehens und des bewusst gestalteten Verhältnisses<br />
von Kinderwelten und Erwachsenenwelten (Krappmann 1996). Ebenso mangelt es auch an<br />
einer Kultur des Umganges mit Krankheit und Behinderung sowie vor allem an einer Kultur<br />
des Umganges mit Alter, Sterben und Tod.<br />
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Das christliche Menschenbild kann angesichts der mit dem Bewährungsproblem gegebenen<br />
typischen menschlichen Ängste Beruhigung und Trost spenden: Der einzelne Mensch erhält<br />
als Geschöpf und Ebenbild Gottes eine deutliche Bestätigung und Erhöhung seines Selbstwertes<br />
und wird so vor der Angst vor Beschämung geschützt. Indem Gott auch ein gnädiger<br />
und verzeihender Gott ist, kann er zugleich Schutz vor Schuld- bzw. Über-Ich-Angst gewähren.<br />
Mit der Überwindung des Todes und dem Erlösungsversprechen in einem Jenseits wird<br />
schließlich Schutz vor Trennungsangst und Angst vor dem Tod als letzter Trennung möglich.<br />
Mit der Auflösung traditionaler christlicher Deutungsmuster und Vergemeinschaftungsformen<br />
geht auch ihre Kraft einer glaubwürdigen Beruhigung des Lebens, ihre mögliche Schutzfunktion<br />
vor den menschlichen Grundängsten verloren. Die Rede vom Klienten als Kunden<br />
könnte vor diesem Hintergrund, wenn sie nicht von vorne herein zynisch ist, sowohl Ausdruck<br />
der Verleugnung dieser Grundängste sein als auch gleichzeitig Ausdruck des Versuches,<br />
diesen wenigstens in der Rolle eines Kunden zu begegnen, die Nichtausge-liefertheit<br />
und Wirkmächtigkeit verheißt.<br />
Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis<br />
• Sozialer Wandel bewirkt die Auflösung traditionaler Lebensformen und traditionaler Deutungs- und<br />
Sinnstiftungsmuster.<br />
• Hierdurch erfolgt eine Autonomisierung der Lebenspraxis und die Ermöglichung neuer Freiheitsräume.<br />
• Zugleich resultiert eine gesteigerte Belastung des einzelnen mit neuen individuellen Entscheidungs-<br />
und Sinnstiftungsnotwendigkeiten, da traditionale Entlastungen in der Bewältigung des Bewährungsproblems<br />
durch „vorgezeichnete“ Lebenswege und Bewährungskarrieren entfallen.<br />
• Die gesellschaftlich bedingten Folgeprobleme sozialen Wandels werden der einzelnen Lebenspraxis<br />
individualisierend angelastet.<br />
• Dabei mangelt es in unterschiedlichem Ausmaß an positiven Entwürfen neuer Kulturen des bewusst<br />
und kollektiv gestalteten Umganges mit Erziehung, Krankheit, Behinderung, Alter, Sterben und Tod.<br />
Abb. 18: Sozialer Wandel und Auswirkungen auf die Lebenspraxis<br />
1.8 Resümee: Das Arbeitsbündnis als zentrales berufsübergreifendes Wesensmerkmal<br />
beruflicher sozialer Arbeit im Focus von Therapie<br />
Berufliche soziale Arbeit in den Bereichen Erziehung, Sozialisation, Therapie, Pflege und<br />
institutionellen Hilfen hat es wesentlich mit der Begegnung ganzer Menschen innerhalb einer<br />
rollenförmigen beruflichen Hilfebeziehung zu tun. Im Kontext einer strukturtheoretischen<br />
Professionalisierungstheorie lässt sich dieses zentrale Merkmal beruflicher sozialer Arbeit<br />
näher als Arbeitsbündnis charakterisieren.<br />
Das Arbeitsbündnis stellt dabei eine eigenlogische Praxisform, einen eigenständigen Beziehungstypus<br />
dar, der durch die Gleichzeitigkeit diffus-familialer und rollenförmig-spezifischer<br />
Beziehungskomponenten gekennzeichnet ist.<br />
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Innerhalb dieser Praxisform geht es einerseits um eine stellvertretende Bewältigung lebenspraktischer<br />
Krisen eines Klienten durch eine Fachkraft oder Fachkräfte, da der Klient aufgrund<br />
einer Einschränkung seiner Autonomie oder aufgrund fortgeschrittener spezialisierter<br />
Wissensbestände (wie z.B. im Bereich der Medizin) zu einer selbständigen Krisenbewältigung<br />
nicht oder nicht angemessen in der Lage ist (vgl. Oevermann 2002, 22 ff).<br />
Andererseits geht es im Arbeitsbündnis aber auch darum, fallangemessen und grundsätzlich<br />
nicht-standardisierbar an den je besonderen Möglichkeiten und Ressourcen des Klienten anzuknüpfen<br />
und seine autonomen Entwicklungs- und Selbstheilungskräfte zu respektieren und<br />
bindend in das Arbeitsbündnis i. S. e. Hilfe zur Selbsthilfe einzubeziehen, damit die Hilfestellung<br />
nicht zu einer weiteren Deautonomisierung führt (vgl. Oevermann 2002, 25 ff). Dieser<br />
Zusammenhang stellt ja das grundlegende Paradoxon beruflicher sozialer Arbeit als stellvertretender<br />
Bewältigung lebenspraktischer Krisen dar.<br />
Voraussetzung für eine angemessene autonomiefördernde Handhabung des Arbeitsbündnisses<br />
ist eine möglichst umfassende und differenzierte Erfassung der Problemlage des Klienten als<br />
ganzer Person, d.h. als einer biopsychosozialen Einheit mit einer je eigenen Geschichte und je<br />
besonderen Möglichkeiten und Ressourcen.<br />
Das Arbeitsbündnis bedarf zu seiner Einrichtung, Aufrechterhaltung und Gestaltung eines<br />
Rahmens, einer sozialen Rahmung, die sich gleichzeitig auf mindestens drei Ebenen bezieht:<br />
1. Die kontraktuelle Ebene (Vereinbarungen und Absprachen)<br />
2. Die fachliche Ebene (fachliche Überlegungen und Standards)<br />
3. Die sozialisatorische und resozialisatorisch- therapeutischeEbene (Herstellung<br />
eines Schutz- und Entwicklungsraumes strukturähnlich der primären<br />
familialen Sozialisation und deshalb mit entsprechenden sozialisatorischen<br />
und symbolischen Qualitäten)<br />
Eine solchermaßen professionalisierungstheoretisch geleitete Sichtweise sozialer<br />
Dienstleistungen stellt konsequent den einzelnen Klienten als ganzen Menschen mit seinem je<br />
individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf sowie die Besonderheiten, Dynamiken und<br />
Paradoxien von Hilfebeziehungen in den Mittelpunkt der Bestimmung dessen, was im Kern<br />
die besondere Qualität beruflicher sozialer Arbeit ausmacht.<br />
Diese Sichtweise grenzt sich einerseits deutlich von sogenannten „Kundenmodellen“ ab, die<br />
die Besonderheiten beruflicher sozialer Arbeit von vorne herein begrifflich unterlaufen und<br />
angesichts immer knapper werdender Ressourcen im Sozial- , Gesundheits- und Bildungsbereich<br />
einen zynischen Beigeschmack erhalten. Sie grenzt sich andererseits von eher<br />
organisationslastigen Konzeptualisierungen der Qualität sozialer Dienstleistungen ab, die an<br />
der Struktur- und Prozessqualität sozialer Dienstleistungen ansetzen, ohne einen zureichenden<br />
Begriff beruflicher sozialer Arbeit auch auf der Mikroebene entwickelt zu haben (vgl. Schädler,<br />
1999, 16).<br />
„Von einem professionalisierungstheoretischen Standpunkt aus sind solche Konzepte, die<br />
nicht aus der Profession selbst kommen, sondern ihr aufgezwungen werden, wie das mit der<br />
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ISO-Norm 9000 ff. geschehen ist, sehr schädlich, weil sie den Kern der Selbstkontrolle einer<br />
Profession, ihre Autonomie, beschädigen. Die Kontrollen darüber, was als gute und was als<br />
schlechte Arbeit zu gelten hat, muss durch die Profession selbst erfolgen“ (Becker 2002, 4).<br />
1.9 Die Evaluation beruflicher sozialer Arbeit im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
als Möglichkeit einer Qualitätsbeurteilung nach internen<br />
Kriterien beruflicher sozialer Arbeit<br />
Mit dem Konzept des Arbeitsbündnisses und dem damit verbundenem Konzept der stellvertretenden<br />
Bewältigung lebenspraktischer Krisen wird es möglich, das konkrete Handeln der<br />
Fachkräfte wie auch die arbeitsfeldspezifischen fachlichen Handlungs-routinen und Rahmenbedingungen<br />
sowie ganze Angebotstypen im Focus des Arbeitsbündnisses zu evaluieren,<br />
d.h. zu bewerten. Damit wird es zugleich möglich, zu qualitätsbezogenen Aussagen gegenüber<br />
diesen verschiedenen Gegenstandsbereichen zu gelangen, die nicht externe, etwa<br />
betriebswirtschaftliche, sondern interne, aus der Praxis beruflicher sozialer Arbeit gewonnene<br />
Kriterien zur Bewertung heranziehen. Die fachliche Qualität von Interventionen, Routinen,<br />
Angeboten und Rahmenbedingungen wird im Focus des Arbeitsbündnisses bewertbar.<br />
Gleich ob es sich um die Evaluation eines einzelnen Interventionsverlaufes oder um die Evaluation<br />
fachlicher und einrichtungs- und dienstspezifischer Handlungsroutinen und Rahmenbedingungen<br />
handelt, setzt eine Evaluation im Focus des Arbeitsbündnisses immer<br />
eine gründliche Bestimmung der Handlungsproblematik und d.h. der lebenspraktischen Krisensituation<br />
voraus, für die die konkrete Intervention oder aber ein ganzes Angebot oder Projekt<br />
oder die zur Anwendung kommenden Routinen und Rahmenbedingungen eine Lösung<br />
bzw. Unterstützung bieten sollen.<br />
Eine Evaluation einzelfallbezogener Interventionsverläufe oder fach- und feldspezifischer<br />
Routinen und Rahmenbedingungen im Focus des Arbeitsbündnisses erfordert in einem ersten<br />
Schritt also eine gründliche Analyse der zentralen, den Hilfebedarf begründenden Handlungsproblematik<br />
des Einzelfalles oder eines Falltypus oder mehrerer Falltypen.<br />
In einem zweiten Schritt kann dann untersucht werden, ob und inwieweit der Fachkraft/ den<br />
Fachkräften die angemessene Handhabung von acht zentralen fachlichen Handlungsproblematiken<br />
gelungen ist und/ oder die fachlichen Routinen und Rahmenbedingungen eine<br />
solche ermöglichen.<br />
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1. Übergeordnete fachliche Handlungsproblematik der fallangemessenen sozialen<br />
Rahmung<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der<br />
Rahmung als Schaffung, Aufrechterhaltung, Gestaltung und Beendigung eines besonderen<br />
Schutz- und Entwicklungsraumes auf einer kontraktuellen, fachlichen sowie sozialisatorisch-<br />
symbolischen Ebene angemessen berücksichtigt wurden und/ oder strukturell berücksichtigt<br />
werden konnten.<br />
2. Fachliche Handlungsproblematik einer ganzheitlichen Problem- bzw. Krisenerfassung<br />
in der widersprüchlichen Einheit von Erklären und Verstehen unter praktischem<br />
Handlungsdruck<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit der Fachkraft/den Fachkräften eine ganzheitliche,<br />
sowohl prozessbegründende als auch prozessbegleitende und beendende Problemerfassung/<br />
Diagnostik in der widersprüchlichen Einheit von Erklären und Einordnen des Falles einerseits<br />
und Verstehen des Einzellfalles in seiner Besonderheit und Gewordenheit andererseits gelungen<br />
ist, und/ oder die Routinen und Rahmenbedingungen eine solche ermöglichen, und<br />
dies unter dem gleichzeitigen praktischen Handlungsdruck einer angemessenen Beziehungsgestaltung.<br />
3. Fachliche Handlungsproblematik der Ermittlung des geeigneten Leistungsangebotes/<br />
der Indikation<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit es gelungen ist und/ oder strukturell möglich ist,<br />
bei der Ermittlung des geeigneten Leistungsangebotes/ der Indikation die besondere<br />
Problemlage des Klienten/ Nutzers zu berücksichtigen.<br />
4. Fachliche Handlungsproblematik einer fallangemessenen Konkretisierung und Umsetzung<br />
der Angebotsauswahl in fallspezifische fachliche Hilfe- und Arbeitskonzepte<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit es gelungen ist und / oder strukturell möglich ist,<br />
fachliche Handlungskonzepte fallangemessen in fallspezifische Hilfe- und Arbeitskonzepte zu<br />
übersetzen.<br />
5. Fachliche Handlungsproblematik einer bindenden Einbeziehung der autonomen<br />
Entwicklungs- und Selbstheilungskräfte des Klienten<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit es gelungen ist oder strukturell möglich ist, die<br />
autonomen Entwicklungs- und Selbstheilungskräfte des Klienten/ Nutzers zu erkennen, zu<br />
respektieren und für Klient und Fachkraft bindend in die konkret-praktische Hilfebeziehung<br />
einzubeziehen i. S. e. Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
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6. Fachliche Handlungsproblematik der Ausbalancierung widersprüchlicher Beziehungselemente<br />
auch als Dauerleistung<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit es gelungen ist und/ oder strukturell (als Dauerleistung)<br />
möglich ist, die besondere Eigenart und Dynamik von Hilfebeziehungen als<br />
Spannungsfeld widersprüchlicher Momente aufrechtzuerhalten und auszubalancieren und<br />
damit Vereinseitigungen insbesondere in der Dimension Technologisierung versus<br />
Intimisierung der Hilfeerbringung zu vermeiden und ggf. ein vertrauensvolles Verhältnis<br />
zu Eltern und gesetzlichen Betreuern herzustellen und zu sichern.<br />
7. Fachliche Handlungsproblematik einer angemessenen Berücksichtigung und Nutzung<br />
der Klientengruppe als eigenständiger Praxisform<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit es im Falle der Einbindung des klientenbezogenen<br />
Arbeitsbündnisses in ein Arbeitsbündnis mit einer Klientengruppe zu einer bewussten fachlichen<br />
Wahrnehmung und Einbeziehung der Gruppe als eigenständiger Praxisform gekommen<br />
ist oder strukturell kommen kann.<br />
8. Fachliche Handlungsproblematik der Kooperation mehrerer Fachkräfte<br />
Es kann gefragt werden, ob und inwieweit im Falle der Kooperation mehrerer Fachkräfte, ggf.<br />
auch unterschiedlicher Profession und Zuständigkeit, diese Kooperation einer fallorientierten<br />
ganzheitlichen Vorgehensweise Rechnung trägt und/ oder strukturell Rechnung tragen kann<br />
oder kehrseitig hierzu auf Austausch, Gesamtschau und Absprache verzichtet und zu einer<br />
Fragmentierung des Klienten in unterschiedliche fachliche Sichtweisen und Hilfebereiche<br />
beiträgt.<br />
Die so umrissenen acht Handlungsproblematiken stellen einen Kernbereich allgemeiner und<br />
berufsübergreifender Strukturprobleme dar, mit denen jede Form klientenbezogener stellvertretende<br />
Krisenbewältigung sich notwendig auseinandersetzen muss. Als rekonstru-ierbare<br />
Strukturproblematiken besitzen sie einen deskriptiv-analytischen Charakter.<br />
Diese Strukturproblematiken können aber auch i.S.v. Evaluationskriterien zur Bewertung der<br />
Qualität von Interventionen sowie von Routinen und Rahmenbedingungen herangezogen werden:<br />
Der Grad ihrer praktischen Bewältigung bzw. strukturellen möglichen Bewältigbarkeit<br />
ist zugleich ein Maßstab für die Qualität der sozialen Arbeit und insofern kommt diesen Strukturproblematiken<br />
gleichzeitig ein normativer Charakter zu.<br />
Im Rahmen von Supervision und Selbstevaluation der Fachkräfte können die aufgeführten<br />
Strukturproblematiken als wichtige erkenntnisleitende und hypothesenbildende Strukturierungshilfen<br />
bei der einzelfallbezogenen Reflexion von Interventionen herangezogen werden<br />
und damit einem abkürzenden, unter praktischem Handlungsdruck stehenden intuitivem Fallverstehen<br />
dienen. (15)<br />
Mit dem Arbeitsinstrument ESOFAB (Evaluation beruflicher sozialer Arbeit im Focus des<br />
Arbeitsbündnisses) ist zudem eine Möglichkeit gegeben, die fachlichen und organisatorischen<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Routinen in den verschiedenen Feldern beruflicher sozialer Arbeit einer systematischen Bewertung<br />
im Lichte der Anforderungen und Herausforderungen des Arbeitsbündnísses zu unterziehen<br />
(vgl. Anhang zur Rahmenkonzeption, Allgemeiner Teil, AH 6).<br />
Vorhandene Qualitätssicherungs- und –entwicklungsinstrumente können zudem daraufhin<br />
befragt werden, inwieweit sie sich auf die Handhabung bzw. Handhabbarkeit der zentralen<br />
Handlungsproblematiken stellvertretender Krisenbewältigung beziehen und hierüber Angemessenheitsurteile<br />
gestatten. Soweit dieser Zusammenhang gegeben ist, können diese Instrumente<br />
oder Teile von ihnen zu einer Evaluation beruflicher sozialer Arbeit im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
begründet herangezogen werden.<br />
______________________________<br />
(15) Ergänzend zum in den entsprechenden Grundausbildungen und in der beruflichen Praxis erworbenen intuitiven<br />
Fallverstehen besteht die Möglichkeit expliziter, methodisch kontrollierter und sequenzanalytisch verfahrender<br />
Fallrekonstruktionen, die sowohl auf die Problemlage des Klienten, den Interventionsverlauf als auch die<br />
fachlichen Routinen und institutionellen Rahmenbedingungen fokussieren können (vgl. Oevermann 2000 e,<br />
2002). Der Einführung und Einübung in solche sequenzanalytisch verfahrenden expliziten Fallrekonstruktionen<br />
im Kontext der Methodologie der Objektiven Hermeneutik kommt im Rahmen von fallbezogener Aus- und Weiterbildung<br />
eine zunehmende Bedeutung zu( vgl. Ley, 2000, Oevermann 2002).<br />
1.10 Zur Problematik der Bewertung von Ergebnissen im Bereich beruflicher<br />
sozialer Arbeit<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Die hier vorgestellte Möglichkeit einer Qualitätsbeurteilung mit Hilfe von Angemessenheitsurteilen<br />
bezüglich der Handhabung/ Handhabbarkeit zentraler Strukturproblematiken<br />
bezieht sich auf Interventionsverläufe, Routinen und Rahmenbedingungen, d.h. auf Prozesse<br />
und Strukturen. Wie verhält es sich aber mit der Bewertung der Ergebnisse beruflicher sozialer<br />
Arbeit, die ja als Produkt einer gemeinsamen Anstrengung von Klient und Fachkraft angesehen<br />
werden müssen? Die Ergebnisse bestehen ja in Entwicklungs-, Bildungs- Heilungs-<br />
Begleitungs- und Unterstützungsprozessen beim Klienten, die zu einer Lösung oder Entschärfung<br />
seiner Krise/ Problematik führen sollen.<br />
1.10.1 Die Ermittlung von Zufriedenheitsurteilen der Klienten<br />
Die oftmals vorgenommene Bewertung der Ergebnisse beruflicher sozialer Arbeit anhand von<br />
Zufriedenheitsurteilen der Klienten erscheint ein wenig hilfreicher Weg. „Das Problem ist,<br />
dass der Klient sein Produkt selbst mitproduziert und deshalb mit seiner Zufriedenheit auch<br />
ein Urteil über sich selbst fällt, nicht nur über den Anbieter einer Hilfe. Dies birgt zwei Gefahren:<br />
Der Klient neigt dazu, das, was er mitproduziert hat, auf jeden Fall auch gut zu finden,<br />
weil er ja daran mitgearbeitet hat. Die andere Gefahr ist, dass er, wenn er dennoch unzufrieden<br />
mit dem Verlauf und dem Ergebnis ist, seine eigene Beteiligung am Misserfolg für irrelevant<br />
erklärt und die Schuld nur bei dem Anbieter bzw. Helfer sucht. Die Qualitäts-beurteilung<br />
steht also ständig in der Gefahr nach zwei Seiten zu driften. Es wird etwas schön-geredet oder<br />
schlecht gemacht. Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass das nichts macht,<br />
weil es doch nur um den Verkauf des Produktes geht, und wenn der Klient eben eine schlechte<br />
Meinung über das Produkt hat, dann ist es auch ein schlechtes Produkt, einfach deshalb,<br />
weil es nicht gekauft wird. Damit steckt man aber in anderen Schwierigkeiten, die für die<br />
nachfrageorientierte Qualitätsbeurteilung gelten: In der Regel bezahlen die Klienten nichts für<br />
die Dienste, die ihnen die soziale Arbeit bietet, entweder, weil sie nicht können, oder weil<br />
eine Gemeinschaft von Staatsbürgern beschlossen hat, dass für bestimmte Dienstleistungen<br />
kein Nutzerentgelt verlangt wird. Was den Klienten also ein Produkt wert ist, weiß man nicht<br />
genau“ (Becker, 2002, 2).<br />
Die Zufriedenheitsbeurteilung durch die Klienten ist insgesamt also ein sehr unsicherer Weg,<br />
Qualität und Erfolg einer Intervention zu bestimmen. Sie könnte eher als ein Maßstab für die<br />
Akzeptanz einer Intervention herangezogen werden. Die Bewertung von Leistungen aus Sicht<br />
der Klienten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter kann gleichwohl ein wichtiges Element der<br />
Prozessreflexion und Prozesssteuerung darstellen, indem sie die Autonomie des Klienten fordert,<br />
sichert und entwickeln hilft und damit zugleich zur Vertrauenssicherung im Arbeitsbündnis<br />
beiträgt.<br />
1.10.2 Vorher-nachher-Vergleich<br />
Für die Bewertung von Erfolg und Qualität einer Intervention besteht des weiteren die Möglichkeit<br />
eines Vorher-nachher-Vergleiches bezüglich des Umganges mit einem Problem und/<br />
oder bezüglich der Auflösung bzw. Entschärfung einer Problemsituation als solcher.<br />
Relativ unproblematisch erscheint auf den ersten Blick dieser Vergleich noch in den Bereichen<br />
ärztlichen Handelns, die primär auf somatische eingrenzbare Problemsituationen abzielen.<br />
Beim Vorher-nachher-Vergleich z.B. im Bereich pädagogischen, medizinischtherapeutischen<br />
und psychotherapeutischen Handelns ist allerdings auf den zwiespältigen<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Charakter normativer Vorstellungen und Entwicklungsmodelle hinzuweisen, die schon notwendig<br />
in die Problemerfassung/ Diagnostik und Indikation Eingang finden, zur Formulierung<br />
von individuellem Hilfeplan und entsprechenden Zielen beitragen und dann auch bei der<br />
Ergebnisbeurteilung herangezogen werden(vgl. z.B. Brisch/ Kächele 1999).<br />
Die Erhebung und Auswertung solcher Daten mit Bezug auf normative Vorstellungen z.B. in<br />
Form von Entwicklungsbeurteilungen oder standardisierten Tests ist insofern bedeutungsvoll,<br />
als z.B. im Bereich der Pädagogik, Entwicklungsrehabilitation und Psychotherapie damit die<br />
gesellschaftlichen Erwartungen an die Klienten und damit ihre Chancen und Risiken in der<br />
Gesellschaft deutlich werden und damit auch die Maßnahmeergebnisse im Lichte dieser gesellschaftlichen<br />
Erwartungen bewertbar werden.<br />
Zwiespältig und alleine nicht ausreichend ist eine solche normorientierte Beurteilung der Ergebnisqualität<br />
aber, weil man bei Problemerfassung wie auch Ergebnisbewertung nicht alleine<br />
äußere Normierungen als Maßstab heranziehen kann, sondern Problemlage wie mögliche<br />
Entwicklungsfortschritte immer auch i. R. d. besonderen Möglichkeiten, Einschränkungen<br />
und der besonderen Geschichte des einzelnen Falles verstanden und be-wertet werden müssen.<br />
In diesem fallbezogenen Verständnis kann dann ein bezogen auf gesellschaftliche Erwartungen<br />
„geringer“ Entwicklungsfortschritt im inneren Kontext eines Falles ein durchaus „großer“,<br />
bedeutsamer und folgenreicher Entwicklungsschritt sein. Umge-kehrt kann aber auch<br />
ein „großer“ Fortschritt in bezug auf gesellschaftliche Normalitäts-vorstellungen im inneren<br />
Kontext eines Falles, d.h. in bezug auf die Autonomie und Authentizität einer Lebenspraxis,<br />
als Entwicklungsgefährdung z.B. durch Überforderung und erzwungene Anpassung an übermächtige<br />
Anforderungen zu bewerten sein (vgl. z.B. Winni-cott 1984, Noam 2001 34-37).<br />
Man sieht es einem Klienten oder einem Klientensystem nicht sofort an, ob ein bestimmter<br />
Entwicklungsschritt das Ergebnis einer primären Anpassung an und Unterwerfung unter äußere<br />
Erwartungen und Bedingungen ist, oder das Ergebnis eines autonom motivierten und authentischen<br />
Erprobens, Variierens, Innehaltens, Wiederholens und Auswählens, in dem das<br />
letztlich als Anpassung Erzwungene doch zugleich auch Aspekte des Eigenen enthält.<br />
Ergänzend zu einem normorientierten Vorher-nachher-Vergleich wäre also auf einen Vorhernachher-Vergleich<br />
wertzulegen, der sich dafür interessiert, ob und in welcher Art und Weise<br />
sich Veränderungen hinsichtlich des Ausdrucks und Wirksamwerdens der autonomen und<br />
authentischen Entwicklungskräfte des Klienten ergeben haben (vgl. v. Lüpke 2000). „Identität<br />
ist von vorne herein möglich, ihre Entwicklung verläuft quer zu den geläufigen Entwicklungsstufen:<br />
nicht die Frage. „Ob“ etwas geleistet wird, stellt sich hier, sondern die Frage „wie“.<br />
An die Stelle des mehr oder weniger mühsamen und verzichtsreichen Lernens tritt das Spiel,<br />
das Ausprobieren. Das Spiel mit den unterschiedlichen Möglichkeiten von Bewegung etwa<br />
lässt die Varianten herausfinden, die als spezifisch eigene empfunden werden und damit Identität<br />
wahrnehmbar machen “ (v. Lüpke, 2000, 87). Damit werden normorientierte Bewertungen<br />
von Entwicklungsergebnissen als niedrig, hoch, primitive, differenziert, einfach<br />
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oder entwickelt relativiert und die Fragen nach Autonomie, Authentizität und Identität der<br />
Lebenspraxis gerade angesichts der jeweils besonderen Möglichkeiten und Einschränkungen<br />
treten als Bewertungskriterien für die Ergebnisqualität hinzu. Dieser Modus eines nichtnormativen<br />
Vorher-nachher-Vergleiches ist notwendig an die Operation individuellen Fallverstehens<br />
gebunden.<br />
1.10.3 Die indirekte Bewertung der Ergebnisqualität beruflicher sozialer<br />
Arbeit über die Bewertung der Qualität ihrer Abläufen und Strukturen<br />
im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
Man kann aber auch versuchen, über einen indirekten Weg, d.h. über die Bewertung der Abläufe<br />
und Strukturen, die im Rahmen beruflicher sozialer Arbeit wirksam werden, zu einer<br />
Bewertung von Ergebnisse zu gelangen: In dem Maße, in dem diese Abläufe und Strukturen<br />
zur angemessenen Handhabung der oben umrissenen basalen Strukturproblematiken beitragen,<br />
in dem Maße ist auch von einer Qualität der Ergebnisses auszugehen: Die angemessene<br />
Handhabung dieser Strukturproblematiken bedeutet ja angemessene, Autonomie<br />
respektierende und fördernde stellvertretende Krisenbewältigung, sie signalisiert innerhalb<br />
eines geschützten Rahmens „Stimmigkeit“ im Dialog zwischen Klienten und Fachkraft als<br />
Grundlage von Entwicklung und Begleitung. (Zum Konzept der Stimmigkeit vgl. v. Lüpke,<br />
2002). „Damit verschiebt sich auch die Zuschreibung von pathologisch. Der Dialog mit einem<br />
Menschen im Koma (siehe Ziegner 1998), das Spiel mit einem Kind, ein Gespräch zwischen<br />
Erwachsenen, der Austausch mit einem Menschen im Zustand geistiger Verwirrung können<br />
unter diesen Aspekten auf einer Stufe stehen. Die Stimmigkeit innerhalb der Gesamtsituation<br />
ist entscheidend,... ( v. Lüpke 2002, 316 f).<br />
Überprüfung und Bewertung der Ergebnisse beruflicher sozialer Arbeit im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
kann in dieser Sichtweise also auch bedeuten, in einer nachträglichen Reflexion<br />
auf den Interventionsverlauf zu prüfen, ob und inwieweit die basalen Strukturproblematiken<br />
beruflicher sozialer Arbeit angemessen gehandhabt wurden bzw. strukturell angemessen zu<br />
handhaben waren.<br />
1.11 Aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen und<br />
Entwicklungstendenzen beruflicher sozialer Arbeit<br />
1.11.1 Veränderungen und Tendenzen in Leistungsverwaltung<br />
und Sozialrecht<br />
Im Rahmen von Verwaltungsreform und New Public Management ist es zu einer zunehmenden<br />
Übernahme betriebswirtschaftlicher Modellvorstellungen in die Binnenstruktur der Leistungsverwaltungen<br />
gekommen (vgl. Naschhold/ Bogumil 1998). Dies führt zu einer folgenreichen<br />
Infragestellung des klassischen Bürokratiemodells und des traditionellen Selbstverständnisses<br />
der Leistungsverwaltung (vgl. Schütte 2001).<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Parallel hierzu ist im deutschen Sozialrecht ein Übergang von einem Regulierungs- und Fürsorgemodell<br />
zu einem Konsum-Modell festzustellen. „Der Übergang vom Regulierungs- oder<br />
Fürsorgemodell zum Konsum-Modell bringt es mit sich, dass sich der Staat auch mit seinen<br />
rechtlichen Mitteln aus der unmittelbaren Steuerung des Leistungsgeschehens zurück-zieht.<br />
Er überlässt die Feinsteuerung weitgehend der Selbstkoordinierung von Leistungs-anbietern<br />
und Nachfragern im Rahmen des Privatrechts und zieht sich auf die Kontrolle von „Ausreißern“<br />
im Ordnungsrecht zurück. Das erhöht die Flexibilität vor Ort, lässt allerdings die Genauigkeit<br />
des Leistungsanspruches eher schwinden“ (Schütte 2001, 72).<br />
Kommunale Sozialpolitik und Gesundheitsversorgung sind, in der öffentlichen Debatte meist<br />
noch nicht in der vollen Tragweite bemerkt, Vorreiter der Umgestaltung des Systems sozialer<br />
Sicherung: „ Teilweise erteilt der Gesetzgeber die Aufträge oder ermöglicht die Aktionsräume,<br />
indem er Verteilungskonflikte und Gestaltungsaufgaben nach unten weitergibt. Aufträge<br />
an die Trägerverbände, Normdelegation an die Verwaltungen und Vorgaben für Vertragskonstruktionen<br />
ersetzen zunehmend die direkte gesetzliche Definition der Leistungsansprüche.<br />
Ausgründungen von ehemals staatlichen Verwaltungsabteilungen fördern die Bildung<br />
sektoraler Dienstleistungsmärkte mit neuen Betriebsformen, neuen Konkurrenzen und<br />
neuen Angeboten. Wenn der Dienstleistungsempfänger persönlich dazu in der Lage ist, mutiert<br />
er zum Kunden, wenn nicht, ist sein Leistungsanspruch gefährdet.<br />
Noch haben die Akteure ihre neuen Rollen nicht recht gefunden. Vor allem der Bundesgesetzgeber<br />
schwankt je nach Sachbereich zwischen widerstreitenden Konzepten: Grundsicherung<br />
vs. Statussicherung; Bedarfsdeckung vs. Budgetierung; bürokratische Reglementierung<br />
vs. verbandliche Selbststeuerung; Verrechtlichung vs. Kontraktbeziehungen.<br />
Im „Neuen Sozialstaat“ werden flexible Teilmärkte die meisten Unterstützungs- und Förderbedarfe<br />
der meisten Bürger gut bedienen. Doch die Gewährleistungsfunktion des Staates als<br />
Normgeber und Ausführer wird brüchig, je mehr sich die soziale Politiken auf Finanzierungs-,<br />
Koordinierungs- und Überwachungsaufgaben zurückziehen. Agile und flexible Kunden und<br />
Dienstleister werden von diesem Rückbau des Staates profitieren. Doch wird damit eine neue<br />
Debatte nötig sein: wie der traditionelle und egalitäre Sozialstaat mit der von ihm selbst zugelassenen<br />
neuen Ungleichheit umzugehen gedenkt“ (Schütte 2001, 72).<br />
Angesichts dieser umrissenen Entwicklungen und Tendenzen auf einer gesellschaftlichen<br />
Meso- und Makroebene wird deutlich, in welchem Ausmaß die Wandlungen des Klienten und<br />
Nutzers zum Kunden im fachlichen und öffentlichen Diskurs auch den stetig zunehmenden<br />
Verteilungs-, Steuerungs- und Legitimationsproblemen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu<br />
verdanken sind. Gerade deshalb ist es bedeutsam, aus strukturtheoretisch-professionalisierungstheoretischer<br />
Perspektive die Besonderheiten beruflicher sozialer Arbeit, d.h. vertrauensvoller<br />
beruflicher Hilfe- und Unterstützungsbeziehungen auf der Mikro-Ebene sozialer<br />
Beziehungen genauer ins Blickfeld zu nehmen, um dadurch einer Verbetriebswirtschaftlichung,<br />
fachlichen-inhaltlichen Verarmung und Entautonomisierung beruflicher sozialer<br />
Arbeit entgegenzuwirken.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
1.11.2 Grenzen der Ausweitung des Psychosozialen Hilfesystems und seine<br />
immanenten Ambivalenzen<br />
Das psychosoziale System hat sich vor allem in den 60er, 70er und 80er Jahren zu seiner gegenwärtigen<br />
Gestalt entwickelt. Ein umfassender Entwicklungsschub hat zu einer massiven<br />
Vermehrung von Einrichtungen und Diensten und entsprechend von fachlichen Helferinnen<br />
und Helfern geführt. Eine weitere Ausweitung des Hilfesystems stößt auf deutliche ökonomische-<br />
politische Grenzen. Mit dem Auf- und Ausbau des psychosozialen Hilfesystems haben<br />
sich aber zugleich in verschiedenen Bereichen eine Reihe widersprüchlicher Entwicklungstendenzen<br />
ergeben:<br />
1. „Eine wachsende Selbsthilfebewegung hat ihren kritischen Ausgangspunkt in dem<br />
nichteingelösten Versprechen der allumfassenden Wirksamkeit professioneller Lösungsangebote.<br />
Selbsthilfegruppen haben ihren Ausgangspunkt oft in Enttäuschungen,<br />
die NutzerInnen professioneller Dienstleistungen erleben und sie zeigen<br />
häufig, dass sie für sich selbst die besseren Lösungen in Selbstorganisation entwickeln<br />
können.<br />
2. Professionelle Lösungen fördern häufig eine passive KonsumentInnenhaltung durch<br />
fertig geschnürte Hilfepakete und erzeugen damit ein System der „fürsorglichen Belagerung“.<br />
Die Folge ist eine „Enteignung“ von Problemlösungskompetenzen auf der<br />
Seite der Abnehmer dieser Fertigpakete.<br />
3. Das professionelle System teilt mit allen komplexen institutionellen Geflechten ein<br />
hohes Maß an Eigenbezüglichkeit: Das Kompetenzgerangel der verschiedenen Anbieter,<br />
die Zuständigkeitskämpfe der Professionen und Träger verbraucht sehr viel mehr<br />
Ressourcen, als die Orientierung an den alltäglichen Problemlagen der potentiellen<br />
oder aktuellen Nutzer/innen.<br />
4. Unter Vorzeichen knapper werdender öffentlicher Ressourcen ist das in der Prosperitätsphase<br />
häufig praktizierte Prinzip der Qualitätsverbesserung durch Ausweitung des<br />
Hilfesystems an seine Grenzen gestoßen. Die Beantwortung der Qualitätsfrage bleibt<br />
nicht mehr in der Souveränität der professionellen Anbieter selbst und ihrer wissenschaftlichen<br />
Unterstützersysteme, sondern wird an externe Kriterien gebunden, die<br />
meist betriebswirtschaftlich ausgelegt sind“ (Keupp 2002, 33-34).<br />
1.11.3 Selektive Professionalisierung und Laiisierung<br />
In einzelnen Bereichen beruflicher sozialer Arbeit ist eine selektive Professionalisierung spezifischer<br />
Führungs- und Ausbildungseliten festzustellen wie z.B. die Etablierung von Pflegepädagogik,<br />
Pflegemanagement und Pflegewissenschaft auf Fachhochschulebene oder die<br />
Etablierung einer universitären Lehrlogopädenausbildung. Gleichzeitig verschlechtern sich<br />
aber die ökonomischen Rahmenbedingungen für die überwiegende Mehrheit der hier beruflich<br />
Tätigen, so dass sie Gefahr laufen, zwischen den erhöhten Ansprüchen der Ausbildungs-<br />
und Führungseliten und den Nutzererwartungen einerseits und gleichzeitig forciertem Organisationsstress<br />
andererseits zerrieben zu werden (vgl. Hohm 2001). Hierdurch entsteht ein deutlicher<br />
Verlust an Glaubwürdigkeit der allgemeinen Qualitätssicherungs-programmatik. „Hinzu<br />
kommt, dass die durch die Pflegeversicherung politisch intendierte selektive Laiisierung<br />
der Pflege deutlich macht, dass die Kompetenzkluft zwischen der beruflichen Pflege und der<br />
Laienpflege nicht so groß sein kann, wenn Familienmitglieder<br />
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oder ihre Angehörigen die Grundpflege bzw. allgemeine Pflege ohne größere Ausbildung<br />
bewältigen können.“ (Hohm 2001, 8).<br />
1.11.4 Das zunehmende öffentliche Interesse am ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen<br />
Engagement und die Notwendigkeit einer Standortbestimmung<br />
beruflicher sozialer Arbeit<br />
Bezüglich des ehrenamtlichen und bürgerschaftlichen Engagements als möglicher Ergänzung<br />
und/ oder möglichem Substitut beruflicher sozialer Arbeit lässt sich eine spezifische Entwicklungstendenz<br />
feststellen. In den ausgehenden 60er und den 70er Jahren war das Interesse am<br />
ehrenamtlichen Engagement mehr „von unten“ gewachsen. „Ehrenamtliches und bürgerschaftliches<br />
Engagement wurden dabei nicht als ein separater Sektor des Versorgungssystems<br />
betrachtet, sondern als integraler Bestandteil eines psychosozialen Netzwerkes, in dem Laienhelfer,<br />
engagierte Bürger und psychosoziale Experten gemeinsam an der Veränderung der<br />
Institutionen arbeiteten (psychosozial 25.Jg. 2002, 5)“.<br />
Demgegenüber erfährt die Freiwilligenkultur in der Bundesrepublik, aber auch in anderen<br />
entwickelten Industriegesellschaften, seit einiger Zeit eine wachsende Beachtung von „oben“.<br />
„Politiker aller Parteien und Fachleute beugen sich in bemühter Aufmerksamkeit über den<br />
Freiwilligensektor unserer Gesellschaft. In dieser Haltung bündeln sich Sorge, Interesse und<br />
auch Begehrlichkeiten. Die Sorge entsteht, wenn traditionsreiche Organisationen vermelden,<br />
dass bei ihnen das Freiwilligenengagement abbröckelt, und aus solchen Indikatoren wird dann<br />
nicht selten der Schluss gezogen, dass Menschen sich zunehmend nur noch um ihre eigenen<br />
Angelegenheiten kümmern wollen und nicht mehr bereit seien, sich für Menschen in Not oder<br />
die Gemeinschaft zu engagieren. ...<br />
Das Interesse am Engagement von Freiwilligen entsteht aus der Vermutung, dass sich der<br />
gesellschaftliche Strukturwandel, der sich im Gefolge von Individualisierungs- und Globalisierungsprozessen<br />
vollzieht, nicht in klassischen Politikformen des „fürsorglichen“<br />
oder „obrigkeitlichen Staates“ bewältigen lässt, sondern mehr Eigeninitiative und<br />
Mitwirkungsformen der Bürgerinnen und Bürger erfordert. Die Fragen, die in Wissenschaft<br />
und Politik daraus resultieren, beziehen sich darauf, wie sich Menschen in Selbsthilfe und<br />
Selbsthilfeorganisation an zukunftsfähigen Lösungen für die gesellschaftlichen Folgen wachsender<br />
Flexibilisierung und Mobilität beteiligen.<br />
Und die Begehrlichkeiten entstehen aus den fiskalischen Engpässen von Politik, Verwaltungen<br />
und auch Verbänden, die nach Möglichkeiten suchen, dass Menschen Anforderungen der<br />
Daseinsbewältigung und –versorgung mehr in Eigenregie übernehmen, um darüber Spareffekte<br />
bei öffentlichen Ausgaben zu erzielen. Es ist die Hoffnung auf ein bürgerschaftliches „Notstromaggregat“.<br />
Viele öffentliche Aussagen kommen aus dieser Motivlage heraus“ (Keupp<br />
2002, 33-34).<br />
Das Interesse am Freiwilligensektor ist also deutlich gewachsen und es besteht die Notwendigkeit<br />
einer Standortbestimmung beruflicher sozialer Arbeit in ihren je besonderen Arbeitsbereichen<br />
in diesem Feld sehr unterschiedlicher und widersprüchlicher Erwartungen.<br />
Bezüglich des Verhältnisses zu Selbstorganisation und Selbsthilfegruppen hat der Verein <strong>Behindertenhilfe</strong><br />
eine klare Positionsbestimmung in seinen Leitlinien vorgenommen:<br />
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„Die Ermöglichung und Unterstützung von Selbstvertretung und Selbstorganisation sowie<br />
von Partizipation bei Entscheidungsprozessen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Autonomie<br />
und Handlungsfähigkeit der Fachkräfte und Einrichtungen stellt eine wichtige Handlungsorientierung<br />
dar. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Elternvertretungen<br />
und Selbsthilfegruppen zu (Leitlinien des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong>).<br />
Diese Positionierung wird auch gestützt durch die Befunde der Publik Health-Forschung, die<br />
in Orientierung an einer salutogenetischen Perspektive den Blick auf Bewältigungs- und Widerstandsressourcen<br />
gerichtet und dabei vor allem die Relevanz netzwerkbezogener Ressourcen<br />
herausgearbeitet haben. „Soziale Unterstützung im eigenen sozialen Beziehungs-gefüge<br />
ist von großer Bedeutung bei der Bewältigung von Krisen, Krankheiten und Behin-derungen<br />
sowie bei der Formulierung und Realisierung selbstbestimmter Lebensentwürfe. Gerade die<br />
Kräfte, die durch die Vernetzung von gleich Betroffenen entstehen können, sind von besonderer<br />
Qualität. Weil das so ist, wird die Stiftung und Unterstützung selbst-organisierter Betroffenengruppen<br />
zunehmend zu einem zentralen Aufgabenfeld profes-sioneller Praxis“ (Keupp<br />
2002, 37).<br />
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1.11.5 Das Verhältnis von Pflege und Eingliederungshilfe/Pädagogik<br />
Einleitung:<br />
Die Ausführung dieses für die berufliche soziale Arbeit in den Diensten und Einrichtungen im<br />
Verein <strong>Behindertenhilfe</strong> zukunftsträchtigen <strong>Kapitel</strong>s wurde wegen seiner Bedeutung immer<br />
wieder verschoben, um den neuesten fachlichen Sachstand und vor allem auch eine grundlegende,<br />
sozialgesetzliche Klärung im Verhältnis dieser beiden getrennt nebeneinander existierenden<br />
Leistungssysteme abzuwarten und dann angemessen, evt. sogar abschließend beschreiben<br />
und berücksichtigen zu können.<br />
Diesem Vorhaben wird - nach Auffassung des Autors - jedoch auch in absehbarer Zeit nicht<br />
entsprochen werden können. Aus diesem Grund erfolgt hier eine Ist-Beschreibung des augenblicklichen<br />
Sachstandes, die zwar Aussichten eröffnet, aber über deren gesetzgeberische Umsetzung<br />
vor Ablauf der nächsten Legislaturperiode vor 2013 kaum etwas Sicherndes zu sagen<br />
sein wird.<br />
Bereits durch das Juli 2008 in Kraft getretene Pflegeweiterentwicklungsgesetz ist es zu Verbesserungen<br />
der Leistungen für einen erweiterten Kreis der Leistungsberechtigten im SGB XI<br />
gekommen. Dennoch hat diese Teil-Reform am grundsätzlichen Verhältnis von Eingliederungshilfe<br />
nach dem SGB XII und der Pflege(-versicherung) gemäß SGB XI nichts geändert.<br />
Der bereits im Herbst 2006 von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt gemäß Koalitionsbeschluss<br />
eingesetzte Beirat aus Verbänden und Wissenschaftlern zur Überprüfung des<br />
Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Zusammenhang mit einem neuen Begutachtungsverfahren hat<br />
in der Tat relevante Ergebnisse hervorgebracht, die aus unserer Sicht entscheidende Frage<br />
jedoch nach dem zukünftigen Verhältnis beider Leistungsarten und die für unsere Arbeit mit<br />
Menschen mit Behinderung relevante Frage der leistungsrechtlichen Abgrenzung nicht beantwortet<br />
bzw. nicht beantworten können. So steht auch jetzt schon in Frage, ob mit der avisierten<br />
Reform ein Manko aus der Einführung der Pflegeversicherung behoben werden kann,<br />
nämlich, dass alle wesentlich behinderten Menschen auch die Pflegeleistungen erhalten, die<br />
sie benötigen (s. u.a. § 43a SGB XI).<br />
Ein neues, erweitertes Verständnis von Pflegebedürftigkeit<br />
Die fachwissenschaftliche Begründung und Fundierung eines neuen Verständnisses von Pflegebedürftigkeit<br />
und seine Umsetzung in einem veränderten Sozialleistungsrecht wird allgemein<br />
als notwendig angesehen und damit in der Folge auch ein neues bundesweit einheitliches<br />
und reliables Begutachtungsinstrument zur Feststellung des Pflegebedarfs. Der gegenwärtige<br />
Begriff der Pflegebedürftigkeit steht in der Kritik, weil er sich auf lebensbereichbezogene<br />
Verrichtungen konzentriert und allgemeine soziale und kommunikative Aspekte der<br />
Betreuung, Beaufsichtigung, Anleitung, aber auch der Kommunikation und sozialen Teilhabe<br />
nicht ausreichend berücksichtigt. Der spezielle Bedarf für Menschen „mit eingeschränkter<br />
Alltagskompetenz“ war auch bereits Regelungsgegenstand und Anlass zur gesetzlichen Leistungsausweitung<br />
im Rahmen des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes vom Juli 2008.<br />
Die vom Beirat vorgestellte ganzheitliche wie auch nachhaltige Weiterentwicklung des Begriffs<br />
der Pflegebedürftigkeit greift dabei die aktuellen pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
ebenso auf wie auch die gesellschaftlichen bzw. gesellschaftspolitischen Veränderungen und<br />
Entwicklungen. Von ganz besonderer Art und Herausforderung stellt sich diese Aufgabe als<br />
Problematik in leistungsrechtlicher Hinsicht dar.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Eine fachwissenschaftlich gesicherte Beschreibung von Pflegebedürftigkeit geht heute vom<br />
Vorliegen eines zentralen Definitionsmerkmales aus: Der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit<br />
und der damit in Folge einhergehenden Abhängigkeit von personeller Hilfe.<br />
Pflegebedürftig ist ein Mensch demnach, wenn er „infolge fehlender personaler Ressourcen,<br />
mit denen körperliche oder psychische Schädigungen, die Beeinträchtigung körperlicher oder<br />
kognitiver/psychischer Funktionen, gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen<br />
kompensiert oder bewältigt werden könnten, dauerhaft oder vorübergehend zu selbständigen<br />
Aktivitäten im Lebensalltag, selbstständiger Krankheitsbewältigung oder selbstständiger Gestaltung<br />
von Lebensbereichen und sozialer Teilhabe nicht in der Lage und daher auf personelle<br />
Hilfe angewiesen ist.“ 1<br />
Mit dieser Neudefinition erfolgt eine Abkehr von einem einerseits vormals stark medizinisch<br />
geprägten und andererseits sehr verrichtungsbezogenen Verständnis von Pflegebedürftigkeit.<br />
Es kommen verstärkt auch nichtsomatisch bedingte Einschränkungen der Selbstständigkeit in<br />
den Blick. Pflegebedürftigkeit bezieht sich demnach auf Lebenslagen, die spezifische Lebenswelten<br />
und Kontextfaktoren ebenso in den Fokus nimmt wie die Prüfung der gegebenen<br />
Teilhabe(-möglichkeiten) am Leben in der Gesellschaft.<br />
Dieses neue Verständnis von Pflegebedürftigkeit ist auch kennzeichnend für die Lebenslagen<br />
von Menschen mit Behinderung, die Übereinstimmung und damit auch der Überschneidungsbereich<br />
der Lebenslagen behinderter und pflegebedürftiger Menschen wird möglicherweise<br />
größer und verschärft damit die Abgrenzungsfrage, v.a. in leistungsrechtlicher Hinsicht. Zusätzlich<br />
kompliziert wird dies durch den Umstand, dass in einer Reihe von Lebenslagen Pflegebedürftigkeit<br />
Teil von Behinderung ist. Gleichwohl kann Behinderung auch ohne Merkmale<br />
der Pflegebedürftigkeit bestehen.<br />
Inwieweit die Leistungstatbestände des SGB XI und SGB XII künftig diese fachwissenschaftliche<br />
Herangehensweise auch leistungsrechtlich umsetzen bzw. umzusetzen bereit sind, bleibt<br />
eine offene Frage der politischen Realisierbarkeit.<br />
Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil mit einem neuen Verständnis von Pflegebedürftigkeit<br />
sich die bestehenden Finanzierungsfragen in der Pflegeversicherung ebenso verschärfen werden<br />
wie die Frage der leistungsrechtlichen Abgrenzung zwischen der Pflegeversicherung und<br />
der Sozialhilfe.<br />
Schnittstellenproblematik: Pflege und Eingliederungshilfe<br />
Die aus der fachlichen Weiterentwicklung zum einen, die aus den leistungsrechtlichen Abgrenzungs-<br />
und Zuständigkeitsregularien zum anderen hervorgehenden Fragen lösen neben<br />
der bestimmenden Frage nach den neuen finanziellen Ungewissheiten und wahrscheinlichen<br />
Mehrbelastungen und Kostenverschiebungen auch Fragen nach inhaltlichen Folgen und Konsequenzen<br />
für die bestehenden Sozialleistungssysteme auf. Die sozialgesetzgeberische Bearbeitung<br />
der Schnittstelle zwischen Pflege und Behinderung resp. der Eingliederungshilfe gehört<br />
hierbei zur zentralen Aufgabenstellung.<br />
1 (Diskussionspapier DV zur Abgrenzung der Begriffe und Leistungen in einem neuen Verständnis von Pflege-<br />
bedürftigkeit, Okt. 2008, S.5)<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
In der anstehenden politischen Umsetzung der vom Beirat vorgestellten Ergebnisse zur Weiterentwicklung<br />
eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs müssen die Stellung und Bedeutung<br />
der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung gewahrt werden.<br />
Von Pflegebedürftigkeit sind nicht nur alte Menschen betroffen, sondern auch Kinder, junge<br />
Menschen und auch ein großer Teil der Menschen mit Behinderung. Insofern müssen sich<br />
Reformvorhaben einbetten in ein sozialpolitisches Gesamtkonzept, das Leistungen für pflegebedürftige,<br />
behinderte und alte Menschen aufeinander beziehen lässt, Versorgungslücken<br />
schließt und Übergänge zwischen den Leistungsbereichen ermöglicht bzw. erleichtert. Dass<br />
hierbei gleichsam als Geburtsfehler der Pflegeversicherung als Teilversicherungsleistung mit<br />
auf den Weg geben wurde, im Fall der Pflegebedürftigkeit die Abhängigkeit von der Sozialhilfe<br />
möglichst zu vermeiden bzw. zu reduzieren, verschärft die beschriebene Problematik<br />
angesichts der Begehrlichkeiten der unterschiedlichen Leistungsträger.<br />
Während nach bisherigem Verständnis die Pflegeversicherungsleistung Aufwendungen für<br />
ambulante und stationäre Hilfen erstatten soll, die bei Eintritt eines bestimmten Lebensrisikos<br />
mit pflegebedingten Beeinträchtigungen bei Verrichtungen des alltäglichen Lebens entstehen,<br />
verfolgt die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung einen weitergehenden, auf die<br />
soziale Teilhabe bezogenen Ansatz.<br />
Die gemäß SGB XII definierte Aufgabe der Eingliederungshilfe besteht darin, eine drohende<br />
Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern<br />
und die Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehören<br />
die Ermöglichung oder Erleichterung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, der Ausübung<br />
eines angemessenen Berufes oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit sowie das<br />
Unabhängigmachen von Pflege (!). Ein wesentlich behinderter Mensch soll also dazu befähigt<br />
werden, möglichst in gleicher Weise wie Menschen ohne Behinderung den Anforderungen<br />
des Lebens genügen zu können. Dies geht demnach über die Unterstützung bei Verrichtungen<br />
des täglichen Lebens hinaus, insofern kommt der Eingliederungshilfe der Charakter einer umfassenden<br />
Hilfeart zu. Die Pflege kann ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Erfüllung der<br />
Aufgaben der Eingliederungshilfe sein.<br />
Dieses Verständnis von Behinderung wird von der ICF-Definition („Internationale Klassifikation<br />
der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“) der Weltgesundheitsorganisation<br />
bestätigt. Dieses bio-psycho-soziale Modell der ICF sieht Behinderung als Konstrukt, das sich<br />
auf transaktionale Prozesse zwischen Person und Umwelt bezieht. Mit Behinderung wird dort<br />
eine spezifische Lebenslagenproblematik verstanden, hervorgerufen durch eine Funktionsbeeinträchtigung<br />
in einer spezifischen Lebenssituation.<br />
Das dialektische Verhältnis von Pflege und Pädagogik<br />
Zunehmend wird von Vertretern der (über-)örtlichen Sozialhilfeträger z.B. bei Fragen der<br />
angemessenen Begutachtung und Berücksichtigung pflegebedingter Aufwendungen im Rahmen<br />
der Leistung Eingliederungshilfe in Frage gestellt, ob Pädagogik noch eine eigene Legitimation<br />
in Bezug auf die Menschen mit Behinderung hat, die in hohem Maße vom<br />
Gepflegtwerden durch andere abhängig sind.<br />
Deshalb sollen (im Anschluss an Theo Klauß) nachfolgend einige grundlegende Aussagen<br />
zum Verhältnis von Pflege und Pädagogik gemacht werden.<br />
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Wenn nachfolgend von Pflege die Rede ist, dann ist nicht der Begriff der Krankenpflege<br />
(=Behandlungspflege) damit gemeint. Alle Menschen haben, wenn sie erkranken, einen erhöhten<br />
und besonders qualifizierten Pflegebedarf. Krankenpflege begründet also immer einen<br />
eigenen, besonderen Unterstützungsbedarf, der über einen allgemeinmenschlichen Pflegebedarf<br />
hinausgeht.<br />
Pflege soll hier verstanden werden als allgemeine menschliche Notwendigkeit und Aufgabe,<br />
die Menschen umfassend und lebenslang brauchen. Sie steht eng mit körperlichem und psychischem<br />
Wohlbefinden beim Kontakt/Leben in einer Umwelt in Verbindung und sichert/<br />
befriedigt individuelle Bedürfnisse in elementaren Lebensbereichen und –fragen. Pflege wird<br />
somit verstanden als „Befriedigung organismischer Bedürfnisse mit dem Ziel der Beruhigung,<br />
Sicherheit und damit der Offenheit für Erfahrung, Be- und Erziehung und Lernen.“ Dies kann<br />
sowohl durch unmittelbare pflegerische Interaktion wie auch durch das Bereitstellen und Sichern<br />
äußerer, der Pflege des körperlichen Wohlbefindens dienlichen Voraussetzungen geschehen.<br />
Wer jedoch in diesem so verstandenen Sinne nicht mehr für sich selbst sorgen kann, muss<br />
diese sehr individuelle Selbstpflege auf andere Menschen übertragen. Um ihre Lebensqualität<br />
und ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern, sind diese Menschen dann in einem mehr oder<br />
weniger umfassenden Maße von der Hilfeleistung Dritter abhängig. Menschen mit schwersten<br />
Behinderungen benötigen hierzu qualifizierte Hilfskräfte, die diese Aufgaben teilweise oder<br />
umfassend für sie übernehmen.<br />
Menschen brauchen neben Pflege aber auch Bildung. Sie ist der Prozess, mit der sich der<br />
Mensch die Welt aneignet, ein Bild von ihr macht. Bildung ermöglicht somit individuelle<br />
Entwicklung, menschliche Individualität und Autonomie durch Aneignung der Kultur. Dieser<br />
Vermittlung stellt sich Pädagogik. Hier geht es um Erziehung und Bildung des Menschen.<br />
Pflege und Pädagogik berücksichtigen also unterschiedliche Grundbedingungen des Menschseins:<br />
das Vorhandensein körperlicher Bedürfnisse und die Notwendigkeit der Aneignung von<br />
Kultur. Eine auf die Würde des Menschen verfasste Gesellschaft muss Pflege und Bildung<br />
gleichermaßen gewährleisten. Sie sind demnach als unabdingbar aufeinanderbezogene,<br />
gleichberechtigte und gleich gewichtete Voraussetzungen menschlicher Existenz anzuerkennen.<br />
Pflege und Pädagogik stehen in einem komplexen, dialektischen Verhältnis zueinander.<br />
Pflege kann sich als Voraussetzung von Pädagogik, als möglicher Rahmen, in den pädagogische<br />
Angebote eingebettet werden, jedoch auch als Aspekt und Bestandteil der Pädagogik, als<br />
spezifischer Bildungsprozess darstellen. Pflege kann ihrerseits aber auch bereits basale Bildungsprozesse<br />
voraussetzen oder diese initiieren und der Ergänzung durch eigenständige Bildungsangebote<br />
bedürfen. In der Pflege selbst finden Bildungsprozesse statt. Eine Pflege, die<br />
keine Bildung ermöglicht und beinhaltet, enthält dem Menschen Wesentliches vor. So sind<br />
Bedürfnisse nicht einfach da, sondern bedürfen der (Aus-)Bildung. Hierbei stellt die kulturelle<br />
Vielfalt einer Gesellschaft die Möglichkeit dar, in jeder Lebensphase und -situation etwas<br />
Neues/Anderes zu entdecken, zu nutzen, neu- oder wieder anzueignen. Bildung bedeutet<br />
demnach immer auch Vielfalt, Reichtum von Formen und Variabilität, Wahlmöglichkeiten,<br />
ständig neue Realisierung von Individualität. Insofern Pflege vor diesem Hintergrund basale<br />
Bildungsprozesse mit dem Anbieten und Vermitteln der in der Kultur vorhandenen Möglichkeiten<br />
der Bedürfnisbefriedigung vermittelt und mit initiiert, wird sie auch zum pädagogischen<br />
Prozess. Bildung im Bereich der Pflege geht jedoch noch über die Bildung von Vorlieben<br />
und Geschmack hinaus und bezieht auch die Bildung von Fertigkeiten mit ein, mit denen<br />
die selbstständige Aneignung des kulturellen Erbes gelingen kann.<br />
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Ausbildung lebenspraktischer Verselbstständigung als Teil eines kombinierten Pflege-<br />
Bildungs-Prozesses fördert somit auch die individuelle Autonomie.<br />
Bildung bleibt, ohne Orientierung an anderen Menschen, ohne das Sich-auf-diese-einlassen,<br />
ohne Beziehung also, eingeschränkt auf das, was man alleine finden kann - der Reichtum der<br />
Welt erschließt sich nur sehr mühsam und beschränkt. Grundsätzlich brauchen Menschen die<br />
Chance, in der Pflege die Bedeutung anderer Menschen für sich zu erfahren und Schlüsse<br />
daraus zu ziehen.<br />
Auch wenn Pflege das ganze Leben umfasst, sind neben der Pflege weitere Bildungsangebote<br />
notwendig, damit nicht der Fokus allein auf den organisch bedingten Bedürfnissen verbleibt.<br />
Pädagogik hat deshalb einen über die Pflege hinausgehenden Auftrag. Nur Pflege allein reicht<br />
nicht aus, um ein Leben lebenswert und reichhaltig zu machen. Menschen mit schwersten<br />
Behinderungen benötigen aus diesem Grund neben einer qualifizierten medizinisch wie auch<br />
pädagogisch verstandenen Pflege zusätzlich mehr pädagogische Angebote als alle anderen. In<br />
einem arbeitsteiligen Kooperationsverhältnis mit der Pflege kommt der Pädagogik in der Beschäftigung<br />
mit den pflegerelevanten basalen Bildungsprozessen die Aufgabe zu, Auskunft zu<br />
geben über das Wie der Bildung von Bedürfnissen, Vorlieben und Geschmack, Beziehungen<br />
und Einstellungen sowie aufzuzeigen, wie basale Bildungsprozesse unterstützt und ermöglicht<br />
werden können, wenn sie durch innere (schädigungsbedingte) oder äußere (Umwelt) Faktoren<br />
beeinträchtigt sind.<br />
Aspekte der gegebenen leistungsrechtlichen Abgrenzungsproblematik<br />
Wie oben aufgezeigt wurde, entsteht durch die Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />
und die damit verbundene Vergrößerung der Überschneidung der Leistungsbereiche von Pflegeversicherung<br />
und Eingliederungshilfe eine Verschärfung der Abgrenzungsfrage. Ein v.a.<br />
von Behindertenverbänden gefordertes einheitliches Leistungsrecht ist politisch derzeit nicht<br />
in Sicht und/oder politisch nicht erreichbar. Dennoch wird es gerade im Hinblick auf die gesetzgeberische<br />
Umsetzung der intendierten Reform zwingend sein, eine Schärfung der sozialleistungsrechtlichen<br />
Verantwortung und damit der sachlichen Zuständigkeiten vorzunehmen.<br />
Aus den vorangegangenen Ausführungen, v.a. zum Verhältnis von Pflege und Pädagogik,<br />
wurde deutlich, dass eine fachwissenschaftlich exakte und erschöpfende Beschreibung der<br />
Unterschiede in den Lebenslagen von Menschen mit Pflegebedürftigkeit und von Menschen<br />
mit Behinderung so ohne weiteres nicht (mehr) möglich ist. Von der zielführenden Beschreibung<br />
her wird Pflege künftig (auch nur noch) teilhabeorientiert gedacht werden. Für die bestehende<br />
Praxis kommt erschwerend hinzu, dass beide Leistungsbereiche von den Standards<br />
unterschiedlicher Professionen bestimmt werden, pflegerische und medizinische hier, überwiegend<br />
pädagogisch-therapeutische dort.<br />
Die Bestimmung der Bedarfslagen und damit der Leistungsvoraussetzungen erfolgen in der<br />
Pflege einerseits und der Eingliederungshilfe andererseits unterschiedlich. In der Sozialhilfe/Eingliederungshilfe<br />
gilt das Prinzip der individuellen Bedarfsdeckung, unter der besonderen<br />
Berücksichtigung des Einzelfalls sowie der vorhandenen eigenen Ressourcen und (finanziellen)<br />
Kräfte. Die Angemessenheit/Verhältnismäßigkeit der Wünsche des Leistungsberechtigten<br />
ist von Bedeutung für die Ausgestaltung des Hilfeprozesses.<br />
Im avisierten neuen Begutachtungsverfahren wird dagegen in der Pflegeversicherung die<br />
Pflegebedürftigkeit in einem modularen Aufbau auf einzelne Lebensbereiche bezogen. Die<br />
Module ergeben in der Gesamtschau nach eine abschließende Beschreibung der Pflegebedürftigkeit<br />
nach pflegewissenschaftlichen Kriterien: Auf 8 Modulen ruhen die Bedarfsgrade, die<br />
Grundlage der neuen leistungsrechtlichen Umsetzung sein sollen/werden. Mit Leistungen<br />
hinterlegt, ist eine Einteilung in 5 Bedarfsgrade vorgesehen.<br />
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Die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen sich bisher auf einen Gesamtbedarf. Eine<br />
modulare Struktur der Leistungen bezogen auf einzelne Lebensbereiche existiert in der Eingliederungshilfe<br />
bis dato noch nicht. Ob durch eine angemessene Modularisierung der Leistungen<br />
in beiden Systemen und die darauf folgende Zuordnung zu den einzelnen Leistungssystemen<br />
die Frage der Abgrenzung sich künftig klären könnte, bleibt derzeit noch unbeantwortet.<br />
Offen ist grundsätzlich, ob der Bundesgesetzgeber in der Frage der Abgrenzung/Zuständigkeit<br />
anspruchsvollen fachwissenschaftlichen oder rein leistungsrechtlich definierten Grenzziehungen<br />
folgen wird/will. Eine solche Zuordnungsentscheidung betrifft zur Zeit z.B. die unterschiedliche<br />
Handhabung der Behandlungspflege in den stationären Feldern der Pflegeversicherung<br />
einerseits und der Eingliederungshilfe andererseits. Auf jeden Fall muss das Verhältnis<br />
von Pflegeleistungen und Leistungen der Eingliederungshilfe neu bestimmt werden. Augenblicklich<br />
hat (noch) Bestand, dass das für die Sozialhilfe geltende Prinzip des Nachranges<br />
gegenüber der Pflege aufgehoben ist (§13 Abs. 3 SGB XI).<br />
Da das neue Verständnis von Pflegebedürftigkeit die Lebenslage eines Menschen unabhängig<br />
von der gewählten oder benötigten Versorgungsform her betrachtet – ähnliches ist in den Reformvorschlägen<br />
zur Eingliederungshilfe erkennbar, ambulante und stationäre Formen der<br />
Hilfebedarfserfassung und Hilfegestaltung nach identischen Kriterien zu gestalten –, kann es<br />
eine Regelung wie § 43a SGBXI künftig nicht mehr geben, wo Menschen mit Behinderung<br />
der volle Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen nur deshalb verwehrt wird, weil sie in<br />
einer stationären Einrichtung der <strong>Behindertenhilfe</strong> leben. Gemäß § 43a SGB XI umfassen die<br />
Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, sofern sie in einer vollstationären<br />
Einrichtung der Eingliederungshilfe gemäß § 71 Abs. 4 SGB XI untergebracht sind,<br />
auch die Pflegeleistungen in der Einrichtung.<br />
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Häuslichkeit. Um die Durchlässigkeit und<br />
Gleichheit der Systeme sicherzustellen, müssen Leistungen z.B. der Behandlungspflege/häuslichen<br />
Krankenpflege überall erbracht werden können unabhängig vom Wohn- oder<br />
Aufenthaltsort, so auch in Einrichtungen der stationären <strong>Behindertenhilfe</strong>. Zwar ist es hier<br />
durch das GKV-Wettbewerbsverstärkungsgesetz zum 01.04.2007 im Wortlaut des SGB V §<br />
37 in Verbindung mit den Häusliche Krankenpflegerichtlinien vom Juni 2008 zu einer Aufweichung<br />
der bisherigen starren Formulierungen der „Häuslichkeit“ gekommen, da häusliche<br />
Krankenpflege künftig an jedem „sonst geeignetem Ort“ erbracht werden kann. Dennoch<br />
zeigt die Praxis, dass sich die Krankenkassen mit der dort enthaltenen rechtsunbestimmten<br />
Formulierung „betreute Wohnformen“ schwer tun und argumentieren, dass, wenn der Gesetzgeber<br />
eine weitergehende Ausdehnung des Anwendungsbereiches der häuslichen Krankenpflege<br />
über die betreuten Wohnformen hinaus auch auf Heime beabsichtigt hätte, er dies auch<br />
ausdrücklich hätte formulieren können oder wollen.<br />
Schnittstellenproblematiken zwischen Leistungen gem. SGB XI und Leistungen der GKV im<br />
Rahmen des SGB V können und sollen hier nicht ausgeführt bzw. weiter vertieft werden. Dies<br />
betrifft auch die den ambulanten Bereich tangierende Schnittstelle zwischen Leistungen als<br />
Hilfe zur Pflege gem. SGB XII und Pflegversicherungsleistungen gem. SGB XI. Der zugrunde<br />
liegende Begriff von Pflegebedürftigkeit weist hier Unterschiede auf, entsprechend unterschiedlich<br />
ist der gewährte zielgruppenbezogene Leistungsumfang.<br />
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Weitere fachlich-inhaltliche Aspekte der Abgrenzungsproblematik vor dem Hintergrund<br />
der Überlegungen zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe<br />
Durch einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff kann sich - wie aufgezeigt - sowohl die<br />
Schnittstelle zwischen Pflegeversicherungsleistungen einerseits und Eingliederungshilfe andererseits<br />
vergrößern als auch die Frage notwendiger schärferer Abgrenzung vergrößern. Zu<br />
prüfen bleibt, ob es nicht sinnvoll sein kann, um ein (weiteres) Auseinanderlaufen der Systeme<br />
zu vermeiden, die Gültigkeit des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs identisch sowohl auf<br />
das SGB XI wie auch das SGB XII zu beziehen.<br />
Weiterhin ist zu prüfen, inwieweit das im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />
vorgesehene neue Begutachtungsassessment mit den avisierten Reformvorschlägen in der<br />
Eingliederungs-/Sozialhilfe kompatibel (bzw. identisch?) sein kann/wird. Dies bezieht sich<br />
sowohl auf die Formen der Bedarfsermittlung wie auch auf die Personenzentrierung der individuellen<br />
Hilfeplanung und den damit einhergehenden Paradigmenwechsel, die Leistungsgewährung<br />
am Teilhabebedarf des Menschen mit Behinderung zu orientieren und nicht mehr<br />
auf Leistungsform, Leistungsort und Leistungsanbieter abzustellen (s. Konzept der 85. Arbeits-<br />
und Sozialministerkonferenz Nov. 2008).<br />
Diese weit reichenden fachlich-inhaltlichen Folgen gilt es jedenfalls vor der politischen Umsetzung<br />
ausreichend abzuklären.<br />
Aus Sicht des Autors ist es deshalb z.B. von besonderer Brisanz, dass im neuen<br />
Begutachtungsassessment des SGB XI künftig auf 5 leistungsrechtlich relevante Bedarfsstufen/-grade<br />
rekurriert werden soll und die Pflegeversicherung sich künftig vor allem vor dem<br />
aus dem ambulanten Bereich kommenden Vorwurf der „Minutenpflege“ schützen will, wohingegen<br />
im Vorhaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers in Hessen mit der personenzentrierten<br />
Hilfeplanung die Zukunft in „zeitbasierten Vergütungen“ gesehen wird, weil angeblich<br />
dies der Vorstellung passgenauer Hilfen entspreche und damit genau die Abkehr von Bedarfsgruppen<br />
vollzogen werden soll ....<br />
Ein letzter, nicht weniger bedeutender Aspekt soll hier noch Erwähnung finden: Die in den<br />
unterschiedlichen Leistungssystemen derzeit arbeitenden Professionen und ihre spezifischen<br />
Standards. Zum einen muss mit der Ablösung von der rein medizinisch-somatischen Sichtweise<br />
im Pflegesektor und der Berücksichtigung der sozialen Teilhabe eine Veränderung im<br />
beruflichen Fokus auf die betroffenen Menschen als Klienten einhergehen. Zum andern stellen<br />
sich gleichsam von der anderen Seite dieselben Fragen in Diensten und Einrichtungen der<br />
Behinderten-/Eingliederungshilfe. Nicht zuletzt durch den demografischen Faktor stehen Mitarbeiter<br />
in den Diensten und Einrichtungen der <strong>Behindertenhilfe</strong> zunehmend vor der Aufgabe,<br />
neben pflegerischen auch behandlungspflegerische Leistungen in ihren Arbeitstalltag integrieren<br />
zu müssen. Die Durchführung behandlungspflegerischer Maßnahmen kann sich hierbei<br />
nur nach anerkannten fachlichen Standards richten, wie sie in der Pflege entwickelt worden<br />
sind.<br />
Diese auf beiden Seiten unter dem neuen Paradigma der leistungserbringungsrechtlich relevanten<br />
Forderung nach Teilhabe, Aktivierung, Prävention und Förderung der Selbständigkeit<br />
zu beobachtende Konvergenz der Systeme wird nachhaltige Auswirkungen auch auf Selbstverständnis,<br />
Habitus und Qualifikation der auf beiden Seiten jeweils beteiligten Professionen<br />
haben müssen und neue Kooperationsformen sowohl in inter- wie auch multidisziplinärer<br />
Sicht evozieren.<br />
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1.11.6 Der Inklusionsbegriff und die Behindertenrechtskonvention als<br />
sozialethische Bezugspunkte und rechtliche Rahmenbedingungen im<br />
aktuellen gesellschaftlichen Diskussions- und Entwicklungsprozess<br />
sowie im Kontext beruflicher sozialer Arbeit<br />
Zum Abschluss der Rahmenkonzeption ist im Unterkapitel „Aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen<br />
und Entwicklungstendenzen beruflicher sozialer Arbeit“ das Thema Inklusion<br />
zu behandeln.<br />
Die Auseinandersetzung um dieses Thema hat in den letzten Jahren, insbesondere im politischen<br />
Raum „Fahrt aufgenommen“ und ist dabei, im Bereich der professionellen Arbeit besondere<br />
Relevanz zu erhalten. Es geht im Folgenden darum, diese Entwicklung inhaltlich zu<br />
skizzieren, wesentliche Gelingensbedingungen zu benennen, Widersprüche und Spannungen<br />
aufzuzeigen sowie Perspektiven für die Entwicklung des Vereins und seines professionellen<br />
Auftrages zu verdeutlichen.<br />
Die bisher behandelten Wandelphänomene (Kap. 1.11.1 – 1.11.5) werden in diesem gesellschaftlichen<br />
Entwicklungsprozess teilweise direkt oder indirekt wirksam.<br />
Das Verständnis von Inklusion im aktuellen politischen und<br />
professionellen Diskussions- und Arbeitszusammenhang<br />
Inklusion bedeutet zunächst in direkter Übersetzung des Begriffes:<br />
inclusion (engl.) -> Einschluss – Einbeziehung<br />
Die Ableitung vom mittellateinischen:<br />
Verb includere bedeutet -> einbeziehen<br />
Der Begriff Inklusion ist mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA und in anderen Ländern<br />
aufgekommen und wird seit den 1970iger Jahren im englischen Sprachraum verwendet (vgl.<br />
Hinz, A., S. 171).<br />
In Deutschland wurde der Begriff erst sehr spät - etwa seit dem Jahr 2000 - aufgegriffen. Die<br />
Diskussion hat bei uns einen deutlichen Schwerpunkt im Bereich der Bildung, der inklusiven<br />
Pädagogik, dem inklusiven Schulsystem.<br />
Auf den Punkt gebracht bedeutet das Konzept der Inklusion in der aktuellen Diskussion im<br />
Wesentlichen:<br />
• Inklusion zielt auf die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe<br />
aller Menschen.<br />
• Ein Leben mit Behinderung ist möglich innerhalb der sozialen<br />
Regelstrukturen des Gemeinwesens. Die speziellen Hilfen sind -<br />
soweit notwendig - in diesen Regelstrukturen vorhanden und<br />
gesichert, auch im Sinne des Abbaues und der Verhinderung von<br />
Barrieren (vgl. Frühauf, T., S. 101).<br />
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• Die vorhandene Vielfalt des sozialen Lebens und der menschlichen<br />
Existenz wird positiv als Bereicherung begriffen.<br />
Die Unterschiedlichkeit und Individualität aller Menschen wird<br />
anerkannt. Behinderung – oder reflektierter gesagt – die<br />
Beeinträchtigung eines Menschen wird als Merkmal unter vielen<br />
begriffen (vgl. Katzenbach, D.,).<br />
Behinderung wird primär als soziales Phänomen verstanden.<br />
• Kategorisierung mit oftmals trennender oder gar<br />
diskriminierender Wirkung z.B. Deutsche – nicht Deutsche,<br />
behindert – nicht behindert werden vermieden.<br />
• Der Anspruch auf inklusive Lebensbedingungen in allen<br />
relevanten Bereichen des sozialen Lebens ist als Menschenrecht<br />
begründet.<br />
Das Deutsche Institut für Menschenrechte (Berlin) unterscheidet das Konzept der Inklusion<br />
vom Verständnis der Integration in folgender Weise:<br />
„Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die im Namen der `Inklusion` vorgetragenen Ansprüche<br />
auf eine Öffnung gesellschaftlicher Bereiche für die effektive Teilhabe von Menschen mit<br />
Behinderungen über das hinausgehen, was traditionell mit `Integration` gemeint ist: Es geht<br />
nicht nur darum, innerhalb bestehender Strukturen Raum zu schaffen auch für Behinderte,<br />
sondern gesellschaftliche Strukturen so zu gestalten und zu verändern, dass sie der realen<br />
Vielfalt menschlicher Lebenslagen – gerade auch von Menschen mit Behinderungen – von<br />
vorneherein besser gerecht werden“ (vgl. Aichele, V., S. 12).<br />
Das bisher vorgestellte Verständnis von Inklusion ist als politische und ethische Leitvorstellung<br />
auf der Wert- und Normenebene zu verorten. Katzenbach spricht in diesem Sinne von<br />
der Inklusion als „humanitärer Vision“. Viele andere Akteure sprechen von der Inklusion als<br />
Vision für das zukünftige, gesellschaftliche soziale Zusammenleben.<br />
Diese Vision ist wertvoll und folgenreich.<br />
Die Formulierung des Themas für dieses Unterkapitel verdeutlicht ebenfalls die Verortung der<br />
Inklusion als gesellschaftlich politische Ziel- und Wertvorstellung. Zugleich wird mit dieser<br />
Formulierung deutlich, dass Inklusion im Kontext der Logik beruflicher sozialer Arbeite so<br />
eher ein sozialethisches Bezugskonzept für diese darstellt und weniger eine analytische Begrifflichkeit<br />
in einem ausgewiesenen (sozial)wissenschaftlichen Theoriezusammenhang<br />
(vgl. Stein, A., S. 81 sowie Stinkes, U., S. 175 f).(2006).<br />
Solche sozialethischen Bezugskonzepte gehen zum einen in mehr expliziter oder mehr impliziter<br />
Form in die konkreten Unterstützungsprozesse im Arbeitsbündnis sowie in die (Weiter)Entwicklung<br />
von Unterstützungsangeboten ein. Zum anderen kommt beruflicher sozialer<br />
Arbeit im Spannungsfeld von Individuum / Klient und Gesellschaft ja eine anwaltschaftliche<br />
und Solidarität stiftende Funktion zu (vgl. Vereinhandbuch Bd. 3, S 40 f. und Schmid Noerr,<br />
G.).<br />
Strukturlogisch vertritt sie die Interessen ihrer Klienten gegenüber der Gesellschaft und engagiert<br />
sich damit auch als Solidaritätsstifter. Dies kann berufliche soziale Arbeit aber nur in<br />
Begriffen der geltenden Anerkennungsordnung leisten und vertritt damit diese Anerkennungsordnung<br />
zugleich auch gegenüber ihren Klienten. In der Vermittlung dieses Spannungsfeldes<br />
stellen der sozialethisch akzentuierte Inklusionsbegriff sowie die BRK (auf die<br />
im folgenden genauer eingegangen wird) wichtige normativ-ethische wie rechtliche Rahmenbedingungen<br />
und Bezugspunkte dar.<br />
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Allerdings sind Visionen und ethische Prinzipien nicht mit Aussagen über die tatsächliche<br />
gesellschaftliche Wirklichkeit zu verwechseln. Vielmehr ist Demokratie als unvollendeter<br />
Prozess zu verstehen, der es allen Akteuren abverlangt, kontinuierlich am Widerstreit um<br />
Ressourcen und Anerkennung zu arbeiten (vgl. Prengel, A., S. 7).<br />
Durch die Ratifizierung der UN-BRK von 2006 durch die Bundesrepublik Deutschland ist<br />
diese Vision als Menschenrecht begründet und in einem Völkerrechtsvertrag inhaltlich verbindlich<br />
ausdifferenziert worden. Durch diese Tatsachen erfährt das Thema Inklusion eine<br />
unmittelbare politische und soziale Relevanz und Aktualität.<br />
Inhaltlich betrachtet stellt die BRK einen universellen Völkerrechtsvertrag dar, der den anerkannten<br />
Katalog der Menschenrechte aus der internationalen Menschenrechtscharta auf die<br />
Situation behinderter Menschen zuschneidet. Es werden somit keine Sonderrechte geschaffen.<br />
In einer Aufteilung der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen<br />
werden die Artikel der BRK acht Themenfeldern zugeordnet. Diese Aufteilung gibt<br />
einen guten, orientierenden Überblick über den inhaltlichen Umfang der BRK.<br />
Aus: Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen S. 13<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 100
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
T. Klauß macht den Vorschlag, die Struktur der BRK folgendermaßen zu interpretieren:<br />
„Um die Menschenwürde für Menschen mit Behinderungen zu sichern, um ihre unbehinderte<br />
Teilhabe an den für sie relevanten Bereichen der Kultur und Gesellschaft zu gewährleisten<br />
(Art. 1 BRK), hält die UN-Konvention inklusive Strukturen für erforderlich. Inklusion ist in<br />
der Konvention kein eigenständiges Ziel, sondern vor allem ein Mittel, um „die volle und<br />
wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Art. 3, c<br />
BRK), ihre Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung (Art. 5 BRK), ihre Würde und ihr<br />
Selbstbestimmungsrecht zu gewährleisten (Klauß, T., S. 342).“<br />
Es gilt festzuhalten, dass hier Inklusion in erster Linie als Mittel zur Erreichung der dargestellten<br />
Ziele für Menschen mit Behinderung im Kontext der Menschenrechte verstanden<br />
wird.<br />
Die BRK als Bundesgesetz und seine inhaltlichen Aussagen/Forderungen als Teil des deutschen<br />
innerstaatlichen Rechtes<br />
Die BRK ist ohne Vorbehalt vollständig am 23.03.2009 in Deutschland in Kraft getreten; sie<br />
ist seit diesem Tag Teil des deutschen innerstaatlichen Rechtes geworden.<br />
Sie hat den Rang eines einfachen Bundesgesetzes mit der Besonderheit, dass es den allgemeinen<br />
Gesetzen, wie z.B. SGB IX, XI und XII vorgeht, soweit es Menschenrechtsnormen enthält,<br />
die allgemeine Regeln des Völkerrechtes sind (vgl. Lachwitz, S., Trenk-Hinterberger, P.<br />
S45).<br />
Die Einbindung der BRK in die Deutsche Rechtsordnung führt zwangsläufig zu einer Fülle<br />
von Fragestellungen. Zu nennen sind hier beispielhaft:<br />
- Zeitpunkt der Wirksamkeit der geregelten Menschenrechte<br />
(etwa mit erfolgter Ratifizierung?)<br />
- Werden gesetzliche Regelungen die unvereinbar mit der BRK sind verdrängt?<br />
- Durch wen erfolgt die Aufhebung bzw. Veränderung? Durch den Gesetzgeber<br />
oder durch Gerichte?<br />
(vgl. Lachwitz, S., Trenk-Hinterberger, P., S45)<br />
Erste rechtswissenschaftliche Untersuchungen zeigen deutlich, dass die Deutsche Rechtsordnung<br />
vor großen Herausforderungen steht und die aufgeworfenen Fragen einer vertieften Untersuchung<br />
bedürfen. (vgl. Lachwitz, S.,Trenk-Hinterberger, P., S. 45)<br />
Es geht also um einen aufwendigen, rechtlichen Transformationsprozess dem die Deutsche<br />
Rechtsordnung durch das Inkrafttreten der BRK ausgesetzt ist.<br />
Die BRK besteht aus zwei Völkerrechtsverträgen, dem Übereinkommen mit 50 Artikeln und<br />
dem Fakultativprotokoll mit 18 Artikeln. Das Fakultativprotokoll enthält u.a. ein Individualbeschwerdeverfahren.<br />
Beide Teile sind vollständig durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden.<br />
Im Prozess der Ratifizierung jedoch gab es erhebliche Kritik. Zum einen geht es um die offizielle<br />
Übersetzung der BRK sowie um die Denkschrift der Bundesregierung, die in das Ratifizierungsgesetz<br />
eingebracht wurde.<br />
Bezüglich der Übersetzung wird moniert, dass zentrale Begriffe wie Inklusion mit dem Wort<br />
Integration übersetzt wurden. Diese Übersetzung entspricht nicht dem Paradigmenwechsel,<br />
der durch die BRK intendiert ist und wird in der internationalen Kommunikation zu Irritationen<br />
führen (vgl. Degener, T., S. 269). Eine Schattenübersetzung (vgl. Netzwerk Artikel 3)<br />
versucht diese tendenzielle „Verfälschung“ zu korrigieren.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Bezüglich der Denkschrift der Bundesrepublik Deutschland wird die Behauptung kritisiert,<br />
dass die Implementierung der BRK weder Gesetzesreformen noch besondere Kosten, mit<br />
Ausnahme der Errichtung des nationalen Monitoring, erfordere (vgl. Degener, T., S. 269).<br />
Außerdem wird in der Denkschrift der fälschliche Eindruck vermittelt, als ob die Bundesrepublik<br />
Deutschlang schon sehr weit auf dem Wege zu inklusiven Strukturen insbesondere<br />
zum inklusiven Schulsystem vorangeschritten sei.<br />
Der Blick auf die politischen und sozialen Realitäten zeigt, das die Bundesregierung sich in<br />
diesem Punkt (absichtlich?) irrt (vgl. Degener, T., S. 282).<br />
Beide Kritikpunkte (Übersetzung und Denkschrift) deuten darauf hin, wie kontrovers und<br />
schwierig sich die notwendigen Implementierungs- und Entwicklungsprozesse zu inklusiven<br />
gesellschaftlichen Strukturen zur Verwirklichung der Bürger- und Menschenrechte für Menschen<br />
mit Behinderung im politischen Raum gestalten werden.<br />
Wichtige Gelingensbedingungen im Prozess zu inklusiven Strukturen<br />
Der Weg zu inklusiven Strukturen in der Gesellschaft ist der Weg der Stärkung der Rechte<br />
von Menschen mit Behinderung sowie anderer von Exklusion bedrohter Menschen z.B. Kinder,<br />
Familien, Senioren, Arme.<br />
Der rechtliche Rahmen muss von der Politik auf der Grundlage der BRK geschaffen werden<br />
(siehe dazu auch der erwähnte Transformationsprozess des deutschen Rechtes).<br />
Die Funktion des Staates muss sich strukturell in Richtung Ermöglicher und Schützer des<br />
Rahmens mit den verbindlichen Spielregeln entwickeln.<br />
Diese Funktionen sind wesentlich für das Gelingen für die Entwicklung inklusiver Strukturen,<br />
weil die Beschaffung, zur Verfügungstellung und Sicherung der notwendigen und geforderten<br />
Finanzressourcen eine wesentliche Voraussetzung ist.<br />
Rechte ohne konkrete Realisierungsmöglichkeiten sind stumpf und werden zu Recht von den<br />
Betroffenen als große Missachtung empfunden.<br />
Als Kostensparmodell eignet sich der beschriebene Prozess in keiner Weise. Selbstbestimmung<br />
Kostenvorbehalten und Billiglösungen nicht einlösbar.<br />
Das Vorenthalten notwendiger Ressourcen führte dazu, dass von staatlicher Seite erste Appelle<br />
an das besondere Engagement und den guten Willen der professionellen Akteure zu hören<br />
sind. Diese Appelle können das Fehlen der Ressourcen nicht „kompensieren“; sie sind als<br />
wirklichkeitsfremd und zynisch zu bezeichnen. (vgl. Speck, O., S. 90)<br />
Eine viel beachtete Stellungnahme der Soltauer Initiative für Sozialpolitik und Ethik mit dem<br />
Titel „Moralisch Aufwärts im Abschwung?“ gibt diesen Vorbehalten eine konkrete Stimme.<br />
Die Stellungnahme bezieht sich auf die Frage, in welchen Bereichen die Absichten der BRK<br />
auf gegenläufige Tendenzen in Gesellschaft und Politik treffen und woran ihre Umsetzung<br />
prinzipiell scheitern könnte (vgl. Soltauer Initiative, Deckblatt).<br />
Im hier diskutierten Zusammenhang stellt die Soltauer Initiative heraus, dass der Zielkonflikt<br />
zwischen einer am Wettbewerb orientierten Ökonomie neoliberaler Prägung und die ethischem<br />
Forderungen der Konvention überhaupt noch nicht angemessen thematisiert ist. Notwendig<br />
ist eine Korrektur der bisherigen marktradikalen Vorgehensweise.<br />
Zum zweiten ist als Konsequenz des so genannten Umbaues des Sozialstaats die drastische<br />
Mittelkürzung zur Sanierung der Staatshaushalte nicht geeignet, die notwendigen Entwicklungsprozesse<br />
voranzubringen. Die „Marktförmigkeit des Sozialen“ ist kein Motor für eine<br />
Entwicklung im Sinne der BRK.<br />
Der Rückzug der Anbieter beruflich-sozialer Arbeit auf die reine Position eines Dienstleisters<br />
ist ein bedauernswerter Rückzug.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Bedauernswert insoweit, als die Anbieter beruflich-sozialer Arbeit zugleich als anwaltliche<br />
Fürsprecher für Menschen mit (schwerer) Behinderung wichtig sind, den gesellschaftlich politischen<br />
Entwicklungsprozess voranzubringen.<br />
Auf die Dauer ist ein erlebter permanenter Widerspruch zwischen dem gesetzlichen Auftrag<br />
und der politisch gewollten Realität nicht ohne negative Wirkung auf die politische Kultur<br />
und die beruflich-soziale Arbeit.<br />
Es stellt sich letztlich die für die demokratische Grundordnung wesentliche Frage nach der<br />
Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns in der Wahrnehmung seiner Bürger.<br />
Die Verlagerung der Steuerung und Gestaltung des sozialen Miteinanders auf die Ebene der<br />
Kommune, auf die überschaubaren und erlebbaren Institutionen vor Ort, an das konkrete Gemeinwesen<br />
stärkt die Gestaltungsmöglichkeit des Einzelnen und von engagierten Gruppen.<br />
Ohne ausdrücklichen Bezug auf Ehrenamtlichkeit und Sozialraumorientierung ist die Entwicklung<br />
zu inklusiven Systemen und deren Wirksamkeit nicht denkbar.<br />
Eine Kultur des Miteinanders entwickelt sich nicht von selbst, selbst bei vorhandenen Ressourcen.<br />
Die verborgenen Ideologien der Abwertung in unserer Gesellschaft (vgl. Soltauer<br />
Initiative, S. 9 f) und die von einzelnen Menschen und Menschengruppen immer wieder erlebten<br />
Unrechtserfahrungen gesellschaftlicher Ausgrenzungen müssen Zug um Zug überwunden<br />
werden.<br />
An dieser Stelle ist der Einfluss beruflich-sozialer Arbeit auf die politische Kultur in den<br />
Blick zu nehmen. „Pädagogische Institutionen haben beschränkte gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten,<br />
so können sie ökonomisches Elend nicht beseitigen. Die Möglichkeit, eine<br />
eigene „Sphäre der Gerechtigkeit“ zu schaffen aber liegt in ihrer Verantwortung. Das gesellschaftlich<br />
wertvolle Gut, das Schulen und andere pädagogische Einrichtungen aus eigener<br />
Machtbefugnis und eigenen Ressourcen zu verteilen haben heißt, „intersubjektive Anerkennung“<br />
jeder einzelnen Person in ihrer je einmaligen Lebenslage.“ (vgl. Prengel, A. S. 61)<br />
Eine Kultur der Anerkennung ist notwendig, wenn das in der Präambel der BRK geforderte<br />
verstärke Zugehörigkeitsgefühl (enhanced sence of belonging/Abs. m u. n) für Menschen mit<br />
Behinderung verwirklicht werden soll.<br />
Das von A. Honneth formulierte Anerkennungsparadigma (vgl. Honneth, A., 2003) könnte<br />
mit seinen Modifikationen, die im Hinblick auf die Situation von Menschen mit Behinderung<br />
notwendig sind (vgl. Schmid Noerr, G.), für die Herausbildung dieser Kultur erkenntnis- und<br />
handlungsleitend werden.<br />
Dieses Anerkennungsparadigma legt begründeter Maßen dar, dass ein menschenwürdiger<br />
Umgang mit Behinderung die ungeschmälerte Anerkennung auf drei Ebenen, auf<br />
erfordert (vgl. Schmid Noerr, G., S. 82).<br />
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der Ebene der emotionalen Zuwendung (Liebe),<br />
der Ebene der kognitiven Achtung (Recht) und<br />
der Ebene der sozialen Wertschätzung (Solidarität)<br />
Durch dieses Modell wird auf die verschiedenen Dimensionen von Anerkennung aufmerksam<br />
gemacht und zugleich ein Interpretations- und Diagnoserahmen geliefert.
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
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„Es bietet sich an, die Anerkennungstheorie als begriffliches Gerüst zur Analyse der gesellschaftlichen<br />
Lage von Menschen mit Behinderung zu nutzen. Institutionelle Strukturen und<br />
konkrete Interaktionen wären in allen drei Dimensionen des Anerkennungsbegriffes daraufhin<br />
zu untersuchen, welche Chancen der Anerkennung sie eröffnen bzw. welche Formen der Missachtungen<br />
sie implizit oder explizit transportieren.“ (Katzenbach, D., S. 134)<br />
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Kontext von Behinderung die Begründungszusammenhänge<br />
hinsichtlich der Solidarität anders, als von Honneth ursprünglich vorgetragen, begründet<br />
werden muss (vgl. Schmid Noerr, G., S. 82 f).<br />
Bei Honneth wird die Solidarität nach dem Muster der Arbeitersolidarität noch gruppenspezifisch<br />
definiert und ist an Voraussetzungen (z.B. gemeinsames Interesse und Bewusstsein, gemeinsame<br />
Fähigkeiten, soziale Kampferfahrung) gebunden (vgl. Schmid Noerr, G.,S. 88) .<br />
Das modifizierte Verständnis von Solidarität im Kontext von Behinderung hat eine universelle<br />
Begründung.<br />
„Der neue Typus der Solidarität unterscheidet sich vom hergebrachten nicht zuletzt dadurch,<br />
dass er innerhalb und zusammen mit individualisierten Lebensformen verwirklicht wird. Dieses<br />
solidarische Handeln erfolgt freiwillig, vielseitig, zeitlich und räumlich begrenzt in sozialen<br />
Netzwerken aller Art“ (vgl. Schmid Noerr, G., S. 90).<br />
In dieser universellen Begründung und Kennzeichnung des neuen Typs von Solidarität leuchtet<br />
auf, warum der Bezug zu einer sich entwickelnden zivilen Bürgergesellschaft mit seinen<br />
sozialräumlichen Netzwerken für das Gelingen des „Zukunftsprojektes Inklusion“ wesentlich<br />
ist.<br />
Bei den sozialräumlichen Netzwerken wird häufig die direkte Nachbarschaft als wesentlicher<br />
sozialgestaltender Faktor genannt. Die soziale Wirklichkeit belehrt uns, dass dieser Nachbarschaftsbegriff<br />
erweitert werden muss in Richtung „Entlokalisierung“.<br />
Denn für viele Bürger ist die Verbindung, die gleiche Absichten und gleiche Orientierungen<br />
stiftet, bedeutsamer als die räumliche Nähe, zumal die Mobilität diese Entlokalisierung auch<br />
praktisch ermöglicht.<br />
Es ist klar geworden, dass für die BRK das Zusammentreffen und Zusammenspiel der rechtlichen,<br />
ethischen und politischen Implikationen typisch ist (vgl. Lindmeier, C., S. 4).<br />
Ein abschließender Hinweis in diesem Unterkapitel betrifft die Weiterentwicklung der Institutionen<br />
der sozialen Arbeit und deren professionelles Selbstverständnis.<br />
Zugleich werden in Wissenschaft und Praxis geeignete Modelle didaktischen/ methodischen<br />
Handelns zu entwickeln sein, um in den verschiedenen Praxisfeldern beruflicher-sozialer Arbeit<br />
Inklusion als politisch gesellschaftliche Wertorientierung zu realisieren.<br />
Wie dargelegt hat der Diskurs um die in der UN-BRK (re-)formulierten Menschenrechte für<br />
Menschen mit Behinderung und der Verwirklichung Fahrt aufgenommen.<br />
„Alle reden derzeit von Inklusion – dem Heilsversprechen unserer Zeit - … der Veränderungsdruck<br />
ist enorm.“ (Fornefeld, B., S. 400)<br />
Wie bei allen Heilsversprechen gilt es achtsam zu sein und - wie es Otto Speck treffend formuliert-<br />
jeder ist aufgerufen, es nach wie vor zu wagen, sich seines eigenen Verstandes zu<br />
bedienen (vgl. Speck. O., S. 84-91).<br />
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Es kann nicht um einen hektischen Aktionismus gehen, sondern darum, wahrzunehmen, dass<br />
Inklusion als Zukunftsprojekt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, die ein auf Dauer<br />
gestelltes abgestimmtes Zusammenwirken aller Akteure erforderlich macht. (vgl. auch Seifert,<br />
B. S. 398). Dieser Prozess braucht Elan und zugleich Augenmaß, Klugheit und Geduld.<br />
Einer dieser Akteure ist der Verein.<br />
Auf dem Feld beruflich-sozialer Arbeit hat er sich einen festen Platz erarbeitet.<br />
Im <strong>Kapitel</strong> 3.6 des VHB werden wir näher auf die Relevanz dieser gesellschaftlichen Entwicklung<br />
für den Verein im Besonderen eingehen.<br />
Literaturangaben:<br />
Aichele, V., Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihr Fakultativprotokoll. Ein Beitrag zur Ratifikationsdebatte.<br />
Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte, 2008<br />
Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, alle inklusive!, Die neue UN-<br />
Konvention … und ihre Handlungsaufträge. Ergebnisse der Kampagne alle inklusive, Berlin, Mai<br />
2009<br />
Degener, T., Die neue UN Behindertenrechtskonvention aus der Perspektive der Disability Studies, in:<br />
Behindertenpädagogik 3/2009, S. 263 - 283<br />
Fornefeld, B., Ausschluss von Menschen mit komplexer Behinderung – Inklusion oder einfach mehr<br />
Gerechtigkeit?! in: Behindertenpädagogik Heft 4/2010, S. 400 - 416<br />
Frühauf, T., Das Ende der lebenslänglichen sonderpädagogischen „Umklammerung“ in Reichweite,<br />
in: Teilhabe Heft 3/10, S. 100 – 101<br />
Hinz, A. Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische<br />
Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende?? in: Zeitschrift für Heilpädagogik Heft 5/2009 S. 171 -<br />
179<br />
Honneth, A., „Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte“, Frankfurt<br />
a.M., erweiterte Auflage 2003,<br />
Katzenbach, D., Anerkennung, Missachtung und geistige Behinderung, in: Ahrbeck, B., Rauh, B.,<br />
(Hrsg). Behinderung zwischen Autonomie und Angewiesenheit, Stuttgart, 2004, S. 127 -144<br />
Katzenbach, D., unveröffentlichtes Handout, Fachtag Inklusion Lebenshilfe Hessen, Frankfurt am<br />
Main, 1. Juli 2010, ohne Seitenangabe<br />
Klauß, T., Inklusive Bildung: Vom Recht aller, alles Wichtige über die Welt zu erfahren, in: Behindertenpädagogik<br />
Heft 4/210, S. 341-374<br />
Lachwitz, K., u. Trenk-Hinterberger, P., „Zum Einfluss der Behindertenkonventionen (BRK) der Vereinten<br />
Nationen auf die deutsche Rechtsordnung“, in: Rechtsdienste der Lebenshilfe, Nr. 2/10, S. 45 -<br />
52<br />
Lindmeier, C., Teilhabe und Inklusion, in: Teilhabe Heft 1/2009, S. 4-10<br />
Netzwerk Artikel 3 e.V. , Schattenübersetzung, Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit<br />
Behinderungen, Behindertenrechtskonvention - BRK, Berlin, 2009<br />
105 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Prengel, A., Inklusion in der Frühpädagogik, WiFF Expertisen Nr. 5, München 2010<br />
Schmid Noerr, G., Gleichheit in der Vielfalt: Zur Ethik von Anerkennungsverhältnissen im Blick auf<br />
den Umgang mit Benachteiligten, in: Kreutzer, M., und Ytterhus, B., Hg., „Dabeisein ist nicht alles“,<br />
München, 2008<br />
Soltauer Initiative für Sozialpolitik und Ethik, Moralisch Aufwärts im Abschwung? UN-Konvention<br />
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Kontext von Sozial- und Wirtschaftspolitik,<br />
Internetfassung vom 16.08.2010, http://www.soltauer-impulse.culturebase.org<br />
Speck, O., „Wage es nach wie vor, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, Ideologische Implikationen<br />
einer Schule für alle, in: Zeitschrift für Heilpädagogik, Heft 3 2011, S. 84-91<br />
Stein, A.: Die Bedeutung des Inklusionsgedankens – Dimensionen und Handlungsperspektiven.<br />
In: Hinz, A. / Körner, I. / Niehoff, U. (Hg.)(2010): Von der Integration zur Inklusion.<br />
Grundlagen – Perspektiven – Praxis. Marburg, 2010, S.81<br />
Stinkes, U.): Skizzen zum Auseinanderdriften von ökonomischer Entwicklung und sozialer<br />
Integration – mit solidarisch-kritischen Anfragen an eine (Inklusions)Pädagogik. In: Dederich,<br />
M. / Heinrich, G. / Mürner, Ch. / Rödler, P. (Hg.): Inklusion statt Integration? Heilpädagogik<br />
als Kulturtechnik, Giessen, 2006, S.175 f.<br />
Vereinhandbuch Bd. 3, <strong>Kapitel</strong> 1.2.2, Spannungspole und Vereinseitigungsgefahren beruflicher<br />
sozialer Arbeit.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Anhang zur Rahmenkonzeption<br />
<strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 1-7<br />
AH 1: Das Stadien- und Krisenmodell des Lebenslaufes nach Erikson<br />
Adaptiert nach Montada 1998, 64-65, In: Oerter/ Montada 1998<br />
Eriksons Theorie der Persönlichkeitsentwicklung<br />
Erikson ( 1973) baut auf Freuds Entwicklungsmodell auf. Er steht in der organismischen Tradition.<br />
Er unterschied acht Hauptstadien während des Lebenslaufes, die er alle als spezifische<br />
Konflikte oder Krisen charakterisierte. Wenn es nicht gelingt, die stadientypischen Krisen zu<br />
bewältigen, endet das in bleibenden Persönlichkeitsstörungen. Erikson postuliert diese Stadien<br />
als universell, was jedoch empirisch nicht belegt ist. Er sieht die folgenden Themen dieser<br />
krisenhaften Konflikte als zentral an:<br />
(1) Vertrauen vs. Misstrauen (1. Lj.). Es geht hier um die Entwicklung eines günstigen Verhältnisses von Vertrauen<br />
und Misstrauen. Vertrauen in die Verlässlichkeit und Zuneigung der Pflegepersonen nimmt Ängste. Wird<br />
das Vertrauen bestätigt, entwickelt sich Selbstvertrauen und Sicherheit. Erikson beschreibt, was in der Bindungstheorie<br />
„sichere Bindung an die Mutter“ genannt wird (Ainsworth et al., 1978; Grossmann & Grossmann, 1991).<br />
Ein gewisses Maß an Misstrauen ist nützlich, um nicht vertrauenswürdigen Personen angemessen zu begegnen<br />
und Gefahren zu erkennen. Misstrauen im Sinne von Vorsicht ist gemeint, nicht im Sinne von generalisierten<br />
Zweifeln in die Vertrauenswürdigkeit anderer, die eine soziale Isolation zur Folge hätten.<br />
(2) Autonomie vs. Scham und Zweifel (3. Lj.). Erikson beschreibt mehrere Themen, die die Entwicklung des<br />
Selbst in Auseinandersetzung mit Autoritäten und Regeln betreffen. Das erste ist der Konflikt zwischen Autonomie<br />
(Selbstständigkeitsstreben) und Abhängigkeit. Autonomiestreben wird durch Vertrauen erleichtert, durch<br />
angemessene Unterstützung und Gewährenlassen gefördert, durch autoritäre Gehorsamsforderung gestört. Autonomie<br />
bedeutet Verfolgung der eigenen Ziele. Das kann in Konflikt geraten mit vorgegebenen Regeln. Die<br />
Sauberkeitserziehung ist ein prototypisches Beispiel. Die Entsprechung zu Freuds analer Phase ist offenkundig.<br />
Scham entsteht, wenn die Regeln des Anstandes nicht eingehalten werden können. Scham entsteht auch, wenn<br />
die eigenen Vorhaben misslingen. Zweifel tauchen auf, ob die Vorhaben gelingen, ob die Regeln eingehalten<br />
werden können, ob die Vorhaben gestattet werden können. Erikson sieht in dieser Phase die grundlegende Problemstellung,<br />
ob wir die Regeln beherrschen, mit denen wir die Welt und das Leben einfacher machen können,<br />
oder ob die Regeln uns beherrschen.<br />
(3) Initiative vs. Schuldgefühle (4. und 5. Lj.). Die Kinder haben bereits ein Ich-Bewusstsein. Es geht in diesem<br />
Stadium um die Frage, welches Ich sie sein wollen. Typischerweise sind die Eltern erste Ideale, und sie werden<br />
idealisiert wahrgenommen als mächtig, wissend schön. Die Identifikation mit den Eltern ist ein Charakteristikum<br />
dieser Phase, insofern mit Freuds phallischer oder Ödipus-Phase verwandt. Die Bildung des Gewissens durch die<br />
Identifikation mit den Eltern, die Identifikation mit geschlechtstypischen Präferenzen, die Übernahme von Einstellung<br />
sind die Entwicklungsthemen. Aber es gibt weitere bewunderte und manchmal gefürchtete Helden des<br />
realen Lebens und in der Welt der Phantasien, an denen man sich orientiert und die man in den Spielen darstellt.<br />
Erikson beschreibt dieses Stadium aber auch als Phase des Machens, der Initiativen, der Erkundung der Welt, der<br />
kreativen Phantasie, der unersättlichen Wissbegier, der Bildung sozialer Kontakte außerhalb der Familie, der<br />
Eroberung sozialer Positionen in Gemeinschaften. Die Gefahren dieses Stadiums liegen in zwei Bereichen: der<br />
Herausbildung eines ängstlichen, rigiden, heteronomen Gewissens und eines unrealistischen Ich-Ideals. Beides<br />
kann mit Initiativen zu Erlebnissen und angemessenen Erfahrungen des Ich in der Welt interferieren.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 1
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
(4) Wertsinn vs. Minderwertigkeit ( mittlere Kindheit). Dieses Stadium ist durch die Schule beherrscht, durch die<br />
systematische Einführung in das Wissens der Kultur und Zivilisation, durch<br />
Lernanforderungen und Leistungsbewertung. Entsprechend ist das zentral Entwicklungsthema Sachinteresse und<br />
Leistungsvertrauen oder Misserfolgsängstlichkeit und Minderwertigkeitsgefühle. Erikson ist in der Zeichnung<br />
dieser Phase an Freud orientiert, der bezogen auf libidinöse von einer ruhigen Latenzperiode sprach. Die Entwicklungsdynamik<br />
in bezug auf außerschulisches Lernen und soziales Lernen ist bei Erikson unterbelichtet.<br />
(5) Identität vs. Rollendiffusion ( Adoleszenz). Sehr bekannt geworden ist Eriksons Beschreibung der Krise der<br />
Adoleszenz, in der es um die Findung der Identität geht. Der Jugendliche hat Facetten eines Selbstkonzeptes<br />
aufzubauen in Hinblick auf sein Geschlecht, seine Familienherkunft, auf eine Religion, moralische Werte, Bildungs-<br />
und Berufsaspirationen und entsprechende eigene Fähigkeiten, politische Haltungen usw. Er muss diese<br />
verschiedenen Facetten in ein konsistentes persönliches Selbstbild integrieren, das seine persönliche Identität<br />
ausmacht. Versagt der jugendliche Mensch bei dieser Aufgabe, resultiert das in einer Rollendiffusion, die durch<br />
Unverträglichkeiten und Unausgewogenheiten zwischen Haltungen und Werten, zwischen Aspirationen und<br />
Möglichkeiten, durch Instabilität von Zielen, gelegentlich zu ideologischer Einseitigkeit, häufiger zu oberflächlichen<br />
und unstabilen Engagements und nicht selten zu abweichendem Verhalten wie Drogenmissbrauch und<br />
Delinquenz führt.<br />
(6) Intimität vs. Isolation ( Beginn des Erwachsenenalters). Intimität mit anderen setzt eine gut integrierte Identität<br />
voraus. Intimität meint nicht nur sexuelle Beziehungen, sondern den Aufbau von Solidarität in einer Wir-<br />
Gruppe und gleichzeitig die Abwehr von Einflüssen und Menschen, die für das eigene Wesen gefährlich sein<br />
können. Intime Beziehung stabilisieren die Identität. Isolation ist die Folge des Misslingens. Kritisch ist anzumerken,<br />
dass Erikson keine klare Abgrenzung der Intimität dieser Lebensphase zu den Freundschaftsbeziehungen<br />
in der späten Kindheit und Adoleszenz leistet.<br />
(7) Generativität vs. Stagnation ( mittleres Erwachsenenalter). Generativität ist das Entwicklungsziel dieser<br />
Phase: die Förderung der Entwicklung der nächsten Generation, der eigenen Kinder und/oder anderer junger<br />
Menschen; darüber hinaus berufliches, soziales, politisches Engagement. Fehlt dieses, sind Stagnation, Selbstabsorption<br />
und/oder Langeweile zu erwarten.<br />
(8) Ich-Integrität vs. Verzweiflung ( späteres Erwachsenenalter). Im Alter reflektiert der Mensch sein Leben,<br />
seine Biographie in ihren Bezügen zu anderen, zur Gemeinschaft, zur historischen Zeit. Gleichzeitig ist die Begrenztheit<br />
des Lebens zu akzeptieren. Zufriedenheit mit dem Leben ermöglicht Integrität. In den letzten Jahren<br />
hat Erikson auch auf die Chancen sinnstiftenden und produktiven Engagement im Alter hingewiesen<br />
(Erikson, Erikson & Kivnick, 1986). Wird Integrität nicht erreicht, droht Verzweiflung im Sinne von Trauer um<br />
das, was man mit dem eigenen Leben getan hat, drohen Furcht vor dem Tod und Vorwürfe gegen sich selbst.<br />
Erikson beschreibt wichtige Entwicklungsaufgaben. Es gibt sicher mehr. Er beschreibt sie nicht mit klar definierten<br />
Konzepten, die in empirischer Forschung leicht operationalisierbar wären. Wie häufig die Krisen vorkommen,<br />
wie häufig es gute Lösungen gibt, wie häufig die Krisen nicht bewältigt werden, von wem und in welchem<br />
Kontext sie besser oder schlechter bewältigt werden, das ist nicht empirisch fundiert. Wenn Eriksons Modell<br />
dennoch weithin bekannt geworden ist, dann wohl doch, weil die beschriebenen Entwicklungsaufgaben intuitiv<br />
überzeugen und weil es ein Beispiel für eine Entwicklungskonzeption der gesamten Lebensspanne ist.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 1
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
AH 2: Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach Havighurst<br />
Adaptiert nach Oerter 1998, 124. In: Oerter/ Montada 1998<br />
Entwicklungsperiode Entwicklungsaufgaben<br />
Frühe Kindheit 1. Anhänglichkeit (social attachment)<br />
(0-2 Jahre) 2. Objektpermanenz<br />
3. Sensumotorische Intelligenz und schlichte Kausalität<br />
4. Motorische Funktionen<br />
Kindheit 1. Selbstkontrolle<br />
(2-4 Jahre) 2. Sprachentwicklung<br />
3. Phantasie und Spiel<br />
4. Verfeinerung motorischer Funktionen<br />
Schulübergang und frühes Schulalter 1. Geschlechtsrollenidentifikation<br />
(5-7 Jahre) 2. Einfache moralische Unterscheidungen treffen<br />
3. Konkrete Operationen<br />
4. Spiel in Gruppen<br />
Mittleres Schulalter 1. Soziale Kooperation<br />
(6-12 Jahre) 2. Selbstbewusstsein (fleißig, tüchtig)<br />
3. Erwerb der Kulturtechniken (Lesen, Schreiben etc.)<br />
4. Spielen und arbeiten im Team<br />
Adoleszenz 1. Körperliche Reifung<br />
(13-17 Jahre) 2. Formale Operationen<br />
3. Gemeinschaft mit Gleichaltrigen<br />
4. Heterosexuelle Beziehungen<br />
Jugend 1. Autonomie von den Eltern<br />
(18-22 Jahre) 2. Identität in der Geschlechtsrolle<br />
3. Internalisiertes moralisches Bewusstsein<br />
4. Berufswahl<br />
Frühes Erwachsenenalter 1. Heirat<br />
(23- 30 Jahre) 2. Geburt von Kindern<br />
3. Arbeit/Beruf<br />
4. Lebensstil finden<br />
Mittleres Erwachsenenalter 1. Heim/Haushalt führen<br />
(31-50 Jahre) 2. Kinder aufziehen<br />
3. Berufliche Karriere<br />
Spätes Erwachsenenalter 1. Energien auf neue Rollen lenken<br />
(51 und älter) 2. Akzeptieren des eigenen Lebens<br />
3. Eine Haltung zum Sterben entwickeln<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 2
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
AH 3: Systematisierung von Entwicklungsaufgaben nach ihrem zeitlichen Umfang<br />
nach Oerter<br />
Adaptiert nach Oerter 1998, 125. In: Oerter/ Montada 1998<br />
Themen<br />
(Beispiele)<br />
Zeitdimension<br />
Erwachsenwerden bzw. -sein Aufgaben über den gesamten Lebenslauf<br />
Lebensbewältigung allgemein<br />
Integrität und Moralität<br />
körperliche und seelische Gesundheit<br />
Havighursts (1956) Entwicklungsaufgaben für unterschiedliche<br />
Altersabschnitte, Eriksons (1950) Lebenskonflikte,<br />
Stroufes (1979) Entwicklungsthemen, Einzelbeispiele:<br />
Kindergartenbesuch, Schulbesuch, Ehe<br />
breite Aufgabenbereiche innerhalb einer Altersperiode<br />
Vorbereitung auf die Geburt eines Kindes Meilensteine im Lebenslauf (antizipiert)<br />
Vom Kind antizipierter und erwarteter Schuleintritt<br />
(erwarteter) Schulabschluss<br />
Vorbereitung auf den Eintritt ins Berufsleben<br />
Antizipierte Heirat<br />
Vorbereitung auf "empty nest"<br />
Antizipierter Ruhestand<br />
Erwartung des Todes<br />
Unabhängigkeit von den Eltern gewinnen kürzere, klar umrissene Episoden<br />
Erstes Rendezvous<br />
Teilnahme an einem Tanzkurs<br />
Vorbereitung auf eine Abschlussprüfung<br />
Schwangerschaft<br />
Der tägliche Kampf mit einer feindseligen Umwelt;<br />
Planung und Bewältigung des Tagesablaufs im höheren<br />
Alter; Vorbereitung auf die Bewältigung von besonderen<br />
Ereignissen (Operation, längere Abwesenheit des<br />
Ehepartners, Urlaubsvorbereitung)<br />
Bewältigung von Aufgaben innerhalb sehr kurzer Zeitabschnitte,<br />
die zum regulären Lebenslauf unserer Kultur<br />
gehören<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 3
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
AH 4: Die Stadien des Familienlebenszyklus und Familienentwicklungsaufgaben<br />
nach Carter/ McGoldrick<br />
Adaptiert nach Schneewind 1998, 137. In: Oerter/ Montada<br />
Stadien im Familienlebenszyklus Für Weiterentwicklung erforderliche Veränderungen<br />
im Familienstatus<br />
(Wandel zweiter Ordnung)<br />
1. Verlassen des Elternhauses: alleinstehende junge<br />
Erwachsene<br />
a. Selbstdifferenzierung in Beziehung zur Herkunftsfamilie<br />
b. Entwicklung intimer Beziehungen zu Gleichaltrigen<br />
c. Eingehen eines Arbeitsverhältnisses und finanzielle<br />
Unabhängigkeit<br />
2. Die Verbindung von Familien durch Heirat a. Bildung des Ehesystems<br />
b. Neuorientierung der Beziehungen mit den erweiterten<br />
Familien und Freunden, um den Partner einzubeziehen<br />
3. Familien mit jungen Kindern a. Anpassung des Ehesystems, um Raum für ein Kind<br />
bzw. Kinder zu machen<br />
b. Koordinieren von Aufgaben der Kindererziehung,<br />
des Umgangs mit Geld und der Haushaltsführung<br />
4. Familien mit Jugendlichen a. Veränderungen der Eltern-Kind-Beziehungen, um<br />
Jugendlichen zu ermöglichen, sich innerhalb und außerhalb<br />
des Familiensystems zu bewegen<br />
b. Neue Fokussierung auf die ehelichen und beruflichen<br />
Themen der mittleren Lebensspanne<br />
c. Hinwendung auf die gemeinsame Pflege und Sorge<br />
für die ältere Generation<br />
5. Entlassen der Kinder und nachelterliche Phase a. Neuaushandeln des Ehesystems als Zweierbeziehung<br />
b. Entwicklung von Beziehungen mit Erwachsenenqualität<br />
zwischen Kindern und Eltern<br />
c. Neuorientierung der Beziehungen, um Schwiegersöhne/<br />
-töchter und Enkelkinder einzubeziehen<br />
d. Auseinandersetzung mit Behinderungen und Tod<br />
von Eltern (Großeltern)<br />
6. Familien im letzten Lebensabschnitt a. Aufrechterhalten des Funktionierens als Person und<br />
Paar angesichts körperlichen Verfalls. Erkundung neuer<br />
familiärer und sozialer Rollenoptionen<br />
b. Unterstützung einer zentraleren Rolle der mittleren<br />
Generation<br />
c. Im System Raum schaffen für die Weisheit und Erfahrung<br />
der Alten; Unterstützung der älteren Generation,<br />
ohne sich zu stark für sie zu engagieren<br />
d. Auseinandersetzung mit dem Tod des Partners, dem<br />
Tod von Geschwistern und anderen Gleichaltrigen<br />
sowie Vorbereitung auf den eigenen Tod.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 5
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
AH 5: Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess<br />
nach Schneewind<br />
Adaptiert nach Schneewind 1998, 164-165. In: Oerter/ Montada 1998<br />
Metaentwicklungsaufgaben im Familienlebenszyklus<br />
Familien bzw. familienähnliche Lebensformen sind Prototypen von Personensystemen, innerhalb derer mehr<br />
oder minder enge persönliche Beziehungen bestehen. Zum einen stellen diese Personensysteme den Kontext für<br />
das Verhalten, Erleben und die Entwicklung des einzelnen dar; zum anderen wirkt aber auch der einzelne durch<br />
seine Lebensäußerungen auf die Art der Beziehungsgestaltung dieses Personensystems zurück (vgl. White &<br />
Woolett, 1992; Schneewind, 1992).<br />
Gelebte Beziehungen äußern sich im gemeinschaftlichen Lebensvollzug, welcher im Alltag unzählige Herausforderungen<br />
der Lebensbewältigung mit sich bringt. Diese Herausforderungen werden gewöhnlich als Familienentwicklungsaufgaben<br />
bezeichnet, die an spezifische Situationen und Phasen im Familienlebenszyklus gekoppelt<br />
sind und – wenn alles gut geht – sich von der Partnerfindung über Elternschaft, Ablösung der Jugendlichen bzw.<br />
von den Jugendlichen, Partnerverlust etc. bis zum Aussterben des Partnersystems erstrecken. Abweichungen und<br />
Verzweigungen von diesem normativen Konzept des Familienlebenszyklus (z.B. durch frühzeitigen Tod, Trennung<br />
oder Scheidung) haben eine Fülle neuer Beziehungskonstellationen zur Folge (z.B. alleinerziehende Eltern,<br />
Stieffamilien), für die sich ebenfalls entsprechende Familienentwicklungsaufgaben formulieren lassen.<br />
Wie auch immer die korrekten Familienformen und zugehörigen Entwicklungsaufgaben aussehen: Dadurch, dass<br />
sich Familien diesen Aufgaben stellen, sie durch gemeinsames Handeln zu bewältigen versuchen und zugleich<br />
im Handlungsvollzug bestehende Kompetenzen konsolidieren bzw. sich neu aneignen, entsteht eine besondere<br />
Beziehungsqualität zwischen den Mitgliedern des Personensystems „Familie“. Diese kann man als Verbundenheit<br />
bezeichnen. Verbundenheit ist eine Variable, die sowohl individuelles Verhalten und Erleben als auch die<br />
Beziehungsqualität von Familiensystemen beschreibt.<br />
Nun findet innerhalb und außerhalb von Familien auch individuelle Entwicklung statt. Sie orientiert sich an individuellen<br />
Entwicklungsaufgaben, äußert sich in individuellem Handeln und führt zur Ausbildung individueller<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die sich im Lebensgang einer Person entfaltenden Handlungs-spielräume und<br />
Kompetenzmuster lassen sich unter dem Begriff Autonomie zusammenfassen. Autonomie ist somit zunächst ein<br />
personenbezogenes Konzept, das erst dann eine Systembeschreibung beinhaltet, wenn es mit der Gewährung<br />
individueller Entwicklungsmöglichkeiten im Kontext des Beziehungssystems „Familie“ in Verbindung gebracht<br />
wird. Wird Autonomie als systembeschreibender Begriff verwendet, so lässt sich genauer von zugestandener<br />
Autonomie sprechen.<br />
Die im Kontext von Verbundenheit und zugestandener Autonomie ablaufenden familiären und individuellen<br />
Entwicklungsprozesse stellen zum einem sich wechselseitig beeinflussende Größen dar (vgl. Abb. 3.9). Zum<br />
anderen sind Verbundenheit und zugestandene Autonomie zwei zentrale Metaentwicklungsaufgaben, welche<br />
die im Familienlebenszyklus alters- und situationsspezifisch auftretenden Familienentwicklungsaufgaben überlagern.<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Fam ilien-<br />
Entwicklungs-<br />
Aufgaben<br />
G em einsam es<br />
Handeln<br />
Fam ilien-<br />
Kom petenz<br />
Verbundenheit<br />
G egenseitigkeit<br />
Individuelle<br />
Entwicklungs-<br />
Aufgaben<br />
Individuelles<br />
Handeln<br />
Individuelle<br />
Kom petenz<br />
Zugestandene Autonom ie<br />
Metaentwicklungsaufgaben im Familienentwicklungsprozess<br />
Nicht immer führen jedoch familiär-gemeinschaftliches und individuelles Handeln zu einer problemlosen wechselseitigen<br />
Ergänzung. Im Wechselspiel von Individualität und Gemeinschaftlichkeit können sich vielmehr auch<br />
mehr oder minder schwerwiegende Konflikte ergeben. Die Folge ist, dass die im bisherigen Beziehungs-prozess<br />
des Familiensystems eingepegelte relative Balance von Verbundenheit und zugestandener Autonomie auf eine<br />
harte Probe gestellt wird und gegebenenfalls ein neues Austarieren dieser beiden Familiensystem-variablen erforderlich<br />
macht.<br />
Wynne (1985, p. 131f.) bezeichnet den hierfür erforderlichen Prozess als Gegenseitigkeit und meint, Gegenseitigkeit<br />
beginnt „mit dem Erkennen von Schwierigkeiten, die nicht im Rahmen des bisherigen Beziehungsmuster<br />
gelöst werden können, sondern vielmehr eine Umarbeitung derselben und manchmal einen Übergang zu<br />
neuen Mustern bedingen... Dies verlangt eine offene Bestandsaufnahme der vorhandenen Beziehungsqualität<br />
und der Umstände, die diese beeinflussen, z.B. Krankheit, Wachstum, Älterwerden der Familienmitglieder, Veränderungen<br />
im familiären Lebenszyklus, Engagement in anderen Systemen (Beruf, erweiterte Familie, Freunde<br />
usw.)“ Gegenseitigkeit gewinnt damit – neben Verbundenheit und zugestandener Autonomie – den Status einer<br />
dritten zentralen Metaentwicklungsaufgabe im Familienentwicklungsprozess.<br />
Neue Gegenseitigkeit kann sich abrupt oder als Konsequenz eines mehr oder minder langfristigen Aushandelns<br />
neuer Prioritäten im Sinne einer veränderten Balance von Verbundenheit und zugestandener Autonomie einstellen.<br />
Auch die Beendigung des bisherigen Beziehungssystems (z.B. bei einer Scheidung) führt zu einem neuen<br />
Arrangement von Gegenseitigkeit, was sich – wenn auch nicht selten mit erheblichen Schwierigkeiten – auf<br />
lange Dauer in geringer Verbundenheit und größerer zugestandener Autonomie äußert.<br />
Im Hinblick auf die in Abschnitt 3 dargestellte These, wonach in unserem Kulturbereich gesellschaftlicher Wandel<br />
zu einer Optionserweiterung der menschlichen Lebensgestaltung geführt hat, die sich auch im partnerschaftlichen<br />
und familiären Bereich äußert, gewinnt das Aushandeln von Gegenseitigkeit im Sinne eines Austarierens<br />
von Verbundenheit und zugestandener Autonomie für die Entwicklung familiärer Beziehungs-systeme<br />
besondere Bedeutung. Hierzu stehen der familienentwicklungspsychologischen Forschung und Anwendungspraxis<br />
zwei strategisch unterschiedliche Zugangsweisen offen: zum einen ein nicht-interventiver Ansatz, in dem<br />
durch eine längsschnittliche Begleitung von Familiensystemen die Veränderungen in der Balance von Verbundenheit<br />
und zugestandener Autonomie für die Persönlichkeitsentwicklung der einzelnen Familien-mitglieder<br />
erkennbar gemacht werden; zum anderen ein interventiver Ansatz bei dem es darum geht, auf dem Wege wissenschaftlich<br />
kontrollierter Prävention, Beratung und Therapie die Familie als Ganzes, einzelne Subsysteme oder<br />
auch einzelne Familienmitglieder in ihrem Bemühen um neue Formen von Gegenseitigkeit zu unterstützen. Für<br />
beide strategische Zugangsweisen kann das in Abschnitt 2 dargestellte Familiensystemmodell mit entwicklungsbezogenen<br />
Stressoren und Ressourcen ein theoretischer Orientierungsrahmen sein, der für die Forschung wie für<br />
die Anwendungspraxis gleichermaßen hilfreich ist.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 5
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
AH 6: Aufgabenbereiche in der frühen Entwicklung nach Waters & Sroufe<br />
Adaptiert nach Oerter 1998, 123, in: Oerter/Montada 1998<br />
Phase Alter Thema Aufgaben der Bezugspersonen<br />
(in Monaten) (Aufgabenbereiche)<br />
1 0 – 3 physiologische Regulationen behutsame Pflegeroutinen<br />
2 3 – 6 Handhabung von Spannungen sensitive kooperative Interaktion<br />
3 6 – 12 Aufbau einer effektiven Bindung Erreichbarkeit, Bereitschaft zu antworten<br />
(attachment)<br />
4 12 – 18 erfolgreiche Exploration sicherer Bezugspunkt<br />
5 18 – 30 Individuation (Autonomie) nachhaltige Unterstützung<br />
6 30 - 54 Handhabung von impulsiven Regungen, Geschlechtsrollenidentifikation,<br />
Beziehung zu Gleichaltrigen<br />
klare Rollen und Werte, flexible Selbstkontrolle<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 6
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Anhang 7 zur Rahmenkonzeption <strong>Kapitel</strong> 1<br />
ESOFAB<br />
Eine Arbeitshilfe zur professionalisierungstheoretisch geleiteten Evaluation beruflicher<br />
sozialer Arbeit im Focus des Arbeitsbündnisses<br />
TH. Conrad<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
I Einführung in die Arbeitshilfe ESOFAB 4<br />
1. Das Arbeitsbündnis – ein Begriff zur Kennzeichnung beruflicher 4<br />
sozialer Arbeit als besondere und eigenlogische Praxisform –<br />
2. Inhaltlich-konzeptionelle Grundgedanken des Arbeitsinstrumentes 5<br />
Methodisch – didaktische Grundgedanken und Einsatzmöglichkeiten<br />
der Arbeitshilfe<br />
3. Allgemeine Hinweise zur Bearbeitung des Matrizensatzes 11<br />
II. Der ESOFAB – Matrizensatz<br />
1. Gesamtschau 16<br />
1.1.1 Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“ 17<br />
1.1.2 Arbeitsblätter und Speicher 18<br />
1.1.3 Erläuterung zur Matrix 22<br />
1.2.1 Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“ 24<br />
1.2.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher 25<br />
1.2.3 Erläuterung zur Matrix 29<br />
2. Phasenbezogene Evaluation 30<br />
2.1. Einrichtung von Arbeitsbündnissen<br />
2.1.1 Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“ 31<br />
2.1.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher 32<br />
2.1.3 Arbeitsblatt zur weitergehenden Evaluation ausgewählter fachlicher und fachlichorganisatorischer<br />
Routinen 36<br />
2.2 Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen<br />
2.2.1 Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“ 37<br />
2.2.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher 38<br />
2.2.3 Arbeitsblatt zur weitergehenden Evaluation ausgewählter fachlicher und fachlichorganisatorischer<br />
Routinen 42<br />
Seite<br />
© Th. Conrad / <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 Inhaltsverzeichnis
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2.3 Beendigung von Arbeitsbündnissen<br />
2.3.1 Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“ und Arbeitsblätter 43<br />
2.3.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher 44<br />
2.3.3 Arbeitsblatt zur weitergehenden Evaluation ausgewählter fachlicher<br />
und fachlich-organisatorischer Routinen 48<br />
2.4 Erläuterung zu den phasenbezogenen Matrizen 49<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen 50<br />
3.1 Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation (einer Einrichtung/eines 51<br />
Dienstes) bei der Gestaltung (Planung, Durchführung und Reflexion) von Hilfe-<br />
und Unterstützungsprozessen<br />
3.2. Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher 52<br />
3.3 Arbeitsblatt zur weitergehenden Evaluation ausgewählter fachlich-organisatorischer<br />
Routinen und Strukturen 56<br />
3.4 Erläuterung zur Matrix 57<br />
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<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
I. Einführung in die Arbeitshilfe ESOFAB<br />
1. Das Arbeitsbündnis – ein Begriff zur Kennzeichnung beruflicher sozialer Arbeit<br />
als besondere und eigenlogische Praxisform –<br />
Berufliche soziale Arbeit in den Bereichen Erziehung, Sozialisation, Therapie, Pflege und<br />
institutionellen Hilfen hat es wesentlich mit der Begegnung ganzer Menschen innerhalb einer<br />
rollenförmigen beruflichen Hilfebeziehung zu tun. Dies kommt zum Ausdruck im Spannungsverhältnis<br />
zwischen oft sehr ausgeprägter personaler (physischer und psychischer) Nähe bei<br />
gleichzeitig beruflich geforderter respektvoller Distanz. Im Kontext einer strukturtheoretischen<br />
Professionalisierungstheorie lässt sich dieses zentrale Moment beruflicher sozialer<br />
Arbeit näher als Arbeitsbündnis bestimmen.<br />
Das Arbeitsbündnis stellt dabei eine eigenlogische Praxisform, einen eigenständigen Beziehungstypus<br />
dar, der durch die Gleichzeitigkeit diffus-familialer und rollenförmig.-spezifischer<br />
Beziehungskomponenten gekennzeichnet ist (vgl. Fachliche Rahmenkonzeption des Vereins<br />
<strong>Behindertenhilfe</strong> 2003).<br />
Dieser Beziehungstypus bedarf zu seiner Einrichtung, Aufrechterhaltung und Gestaltung eines<br />
Rahmens, einer sozialen Rahmung, die sich gleichzeitig auf mindestens drei Ebenen bezieht:<br />
1. Die kontraktuelle Ebene (Vereinbarungen und Absprachen)<br />
2. Die fachliche Ebene (fachliche und fachlich-organisatorische Routinen, Verfahren<br />
und Standards)<br />
3. Die Ebene der Herstellung eines Schutz - und Entwicklungsraumes, strukturähnlich<br />
der primären familialen Sozialisation und deshalb mit entsprechenden<br />
sozialisatorischen Qualitäten und symbolischen Qualitäten<br />
(Vgl. Fachliche Rahmenkonzeption des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> 2003, 44 f)<br />
Innerhalb dieser Praxisform geht es einerseits um eine stellvertretende Bewältigung lebenspraktischer<br />
Krisen eines Klienten durch eine Fachkraft oder Fachkräfte, da der Klient aufgrund<br />
einer Einschränkung seiner Autonomie oder aufgrund fortgeschrittener spezialisierter<br />
Wissensbestände (wie z.B. im Bereich der Medizin) zu einer selbständigen Krisenbewältigung<br />
nicht oder nicht angemessen in der Lage ist.<br />
Andererseits geht es im Arbeitsbündnis aber auch wesentlich darum, angemessen an den<br />
Möglichkeiten und Ressourcen des Klienten anzuknüpfen und sie in das Arbeitsbündnis i.S.e.<br />
Hilfe zur Selbsthilfe einzubeziehen, damit die Hilfestellung nicht zu einer weiteren<br />
Deautonomisierung des Klienten führt. Dieser Zusammenhang stellt das grundlegende Paradoxon<br />
beruflicher sozialer Arbeit dar.<br />
Eine solchermaßen professionalisierungstheoretisch geleitete Sichtweise sozialer Dienstleistungen<br />
stellt konsequent den einzelnen Klienten als ganzen Menschen mit seinem je individuellen<br />
Hilfe- und Unterstützungsbedarf sowie die Besonderheiten von Hilfebeziehungen in<br />
den Mittelpunkt der fachlichen und fachlich-organisatorischen<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 4
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Überlegungen. Diese Sichtweise grenzt sich deutlich von sogenannten Kundenmodellen einerseits<br />
und organisationslastigen Konzeptualisierungen der Qualität sozialer Dienstleistungen<br />
andererseits ab (Vgl. Schädler 1999, S.16).<br />
Die Eigenlogik beruflicher sozialer Arbeit bedarf aber einer genaueren Betrachtung und Untersuchung<br />
in ihren je besonderen Praxisfeldern (z.B. Frühförderung, Kindertagesstätten,<br />
Wohnen und Ambulante Hilfen), um zu einem differenzierten feldspezifischen Praxisverständnis<br />
und zu praxisrelevanten professionalisierungstheoretisch geleiteten Aussagen<br />
zu gelangen.<br />
2. Inhaltlich-konzeptionelle Grundgedanken des Arbeitsinstrumentes<br />
ESOFAB ist eine Arbeitshilfe für die berufliche Praxis, um arbeitsfeldspezifisch<br />
• eine Bestandsaufnahme und Reflexion der besonderen Herausforderungen beruflicher<br />
Hilfebeziehungen im Focus des Arbeitsbündnisses zu unterstützen und<br />
• eine Sichtung, Bewertung und ggf. Weiterentwicklung der zur Anwendung kommenden<br />
fachlichen und fachlich-organisatorischen Routinen und Verfahrens-weisen im<br />
Arbeitsbündnis zu befördern.<br />
Multipositionalität und Multiperspektivität im Arbeitsbündnis<br />
Ein inhaltlich-konzeptioneller Grundgedanke der Arbeitshilfe ist die arbeitsfeldspezifische<br />
Erfassung und Reflexion der Herausforderungen beruflicher Hilfebeziehungen in ihrer<br />
Multipositionalität und Multiperspektivität.<br />
Multipositionalität meint dabei die Untersuchung und Berücksichtigung der besonderen<br />
Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben, die typischerweise und überindividuell<br />
mit der Position des Klienten, der Eltern und der Fachkraft in den Strukturen von Arbeitsbündnissen<br />
verbunden sind. Position bezeichnet dabei allgemein eine besondere Stellung in<br />
einem strukturierten Beziehungsgefüge, hier im Arbeitsbündnis, die jeweils als Schnittstelle<br />
verschiedener Teilbeziehungen darstellbar ist.<br />
Multiperspektivität meint dagegen die Untersuchung und Berücksichtigung der Ebene typischer<br />
subjektiver Thematiken, Wünsche und Gefühle, wie sie aus der besonderen Position im<br />
Arbeitsbündnis i.S.e. positionalen Perspektive einerseits und typischen zentralen Unterstützungsbedarfen<br />
und Entwicklungsaufgaben von Klient, Eltern und Fachkraft andererseits nahegelegt<br />
sind (Zum Begriff der positionalen Perspektive vgl. Oevermann 2001, 87 ff)<br />
Die besondere Position und Perspektive der Eltern wird in der Arbeitshilfe systematisch einbezogen,<br />
da die Zusammenarbeit mit den Eltern/ gesetzlichen Betreuern im Bereich der Arbeit<br />
mit Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung immer von zentraler Bedeutung<br />
ist.<br />
5 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
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Stand 01.08.2012<br />
Dieser die Vielfalt von Positionen und Perspektiven im Arbeitsbündnis berücksichtigende<br />
Arbeitsansatz lässt sich auch durch folgende Fragestellungen veranschaulichen:<br />
• In welche typischen objektiven Handlungssituationen (Handlungsproblematiken) sind die<br />
jeweiligen Positionsinhaber (Klient, Eltern, Fachkraft) im Arbeitsbündnis gestellt?<br />
• Welche typischen Beziehungsaufgaben in Bezug auf die jeweils anderen Positionsinhaber<br />
stellen sich hierbei notwendig und überindividuell?<br />
• Wie könnte es einem Positionsinhaber mit einem typischen Unterstützungsbedarf und<br />
typischen Entwicklungsaufgaben subjektiv in einer solchen Handlungssituation typischerweise<br />
gehen? Oder anders: Welche subjektiven Themen, Vorstellungen, Wünsche<br />
und Gefühle könnten durch eine solche objektive Situation typischerweise nahegelegt<br />
werden?<br />
• Berücksichtigen und integrieren die Einzelinterventionen und die fachlichen und fachlichorganisatorischen<br />
Routinen in angemessener Weise diese verschiedenen Handlungsproblematiken<br />
und Beziehungsaufgaben im Arbeitsbündnis?<br />
Bezüglich der objektiven Handlungsproblematiken im Arbeitsbündnis kann eine weitere<br />
Differenzierung vorgenommen werden. Es lassen sich positionsspezifische objektive Handlungsproblematiken<br />
, die ein Arbeitsfeld insgesamt charakterisieren, von solchen unterscheiden,<br />
die innerhalb eines Arbeitsfeldes für die einzelnen Phasen des Arbeitsbündnisses charakteristisch<br />
sind. (Gleiches gilt dann auch für die überindividuellen Beziehungsaufgaben, die<br />
notwendig mit einer jeweiligen Position verbunden sind).<br />
Im Bereich der Wohnheime bedeutet die typische, das gesamte Arbeitsfeld charakterisierende<br />
objektive Handlungsproblematik des Klienten z.B., dass sich seine Wohnung und sein nahes<br />
Wohnumfeld als einem der zentralsten und intimsten Bereiche privater Lebensführung innerhalb<br />
einer nicht-privaten sozialen Organisation befinden, dies oft für die Dauer und Perspektive<br />
eines ganzen Erwachsenenlebens gegeben ist und der Bewohner darüber hinaus Wohnheim<br />
und ggf. auch Zimmer mit anderen Klienten/ Nutzern teilen muss.<br />
Kehrseitig bedeutet dies für die Fachkräfte, dass sie täglich, auch an Wochenenden und Feiertagen<br />
und dies ggf. für eine sehr lange Zeit, auch Alter und Krankheit begleitend, unmittelbar<br />
im Privatbereich ihres Klienten tätig sind und dabei Anforderungen und Bedürfnisse von<br />
Klient, Klientengruppe und sozialer Organisation zu berücksichtigen und<br />
zu integrieren haben.<br />
Kontrastierend hierzu stellen sich z.B. die Verhältnisse im Bereich der Kindertagesstätten dar.<br />
Hier besteht die typische, das Arbeitsfeld insgesamt charakterisierende objektive Handlungsproblematik<br />
des Erziehungsklienten darin, dass er für eine klar umrissene Zeitspanne von<br />
i.d.R. maximal drei Jahren die Kindertagesstätte als ersten Ort institutionalisierter außerfamilialer<br />
Erziehung, Bildung, Förderung und Betreuung besucht. Dabei muss er sich mit einer<br />
für ihn grundsätzlich berechenbaren täglichen räumlichen und personellen Trennung von<br />
Elternhaus und Familie auseinandersetzen, ohne dass es hierbei aber zu einer Überschneidung<br />
von privatem und nicht-privatem Raum wie im Wohnheimbereich kommt, er muss sich hier<br />
die Betreuung durch nicht-familiale Bezugspersonen gefallen lassen und dies alles in einem<br />
Gruppenzusammenhang mit anderen Kindern.<br />
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Stand 01.08.2012<br />
Für die Fachkräfte besteht im Bereich Kindertagesstätten kehrseitig hierzu die das Arbeitsfeld<br />
insgesamt kennzeichnende objektive Handlungsproblematik darin, dass sie innerhalb<br />
einer öffentlichen Erziehungs- , Bildungs- und Betreuungseinrichtung auf Dauer eine offene<br />
Gruppe von kleinen Erziehungsklienten zu betreuen haben, die sich potentiell jedes Jahr verändern<br />
kann und spätestens nach drei Jahren vollständig ausgewechselt ist. Dabei begegnen<br />
die Fachkräfte den Kindern und ihren Eltern nicht, wie beispielsweise auch oftmals im Bereich<br />
früher Hilfen, in einem privaten Bereich, sondern im Bereich „ihrer“ Einrichtung.<br />
In den Phasen der Einrichtung, der Entfaltung und Differenzierung sowie der Beendigung von<br />
Arbeitsbündnissen erhalten die das Arbeitsfeld insgesamt charakterisierenden objektiven<br />
Handlungsproblematiken nochmals eine phasenbezogene Ausprägung und Differenzierung.<br />
Mit den verschiedenen Positionen und positionalen Handlungsproblematiken im Arbeitsbündnis<br />
sind jeweils typische Beziehungsaufgaben verbunden, die sich im Hinblick auf die<br />
anderen Positionen ergeben und die sowohl in einem charakterisierenden Überblick über ein<br />
Arbeitsfeld als auch in ihrer phasenbezogenen Differenzierung und Ausprägung betrachtet<br />
werden können. Als erläuterndes Beispiel soll der Bereich der Kindertagesstätten im Überblick<br />
herangezogen werden.<br />
In der Position des kleinen Erziehungs- und Bildungsklienten ergeben sich hier für das Kind<br />
beispielsweise folgende typische Beziehungsaufgaben: In der Beziehung mit den Eltern muss<br />
das Kind weitere Ablöseschritte vollziehen und dabei seine Beziehung zugleich aufrechterhalten<br />
und transformieren. Hinsichtlich der Fachkräfte muss das Kind neue Beziehungen<br />
eingehen, entwickeln und erstmals auch beenden, es überträgt dabei zunächst in nichtpathologischer<br />
Weise seine familalen Beziehungserfahrungen und Beziehungsmuster auf die<br />
Fachkräfte und muss sukzessive lernen, die Fachkräfte in ihrer „Berufsrolle“ mit den anderen<br />
Kindern zu teilen. Hinsichtlich der Kindergruppe besteht die positionale Beziehungsaufgabe<br />
darin, Mitglied einer Gruppe zu werden, neue Beziehungen und Freundschaften einzugehen<br />
und dabei einer unter gleichen und dennoch besonders zu sein als Vorgriff auf späteres erwachsenes<br />
Rollenhandeln. Analog lassen sich die typischen Beziehungsaufgaben in den Positionen<br />
von Fachkraft und Eltern ausarbeiten und wie die Handlungsproblematiken auch einer<br />
phasenbezogenen Untersuchung unterziehen.<br />
Dieser Multipositionalität und Multiperspektivität berücksichtigende Arbeitsansatz entspricht<br />
der fachlichen Erfahrung und Erkenntnis, dass fachlich angemessene berufliche soziale Arbeit<br />
sowohl die Fähigkeit zur getrennten Wahrnehmung der unterschiedlichen Positionen und Perspektiven<br />
als auch zu ihrer angemessenen handlungspraktischen Einbeziehung durch die<br />
Fachkraft selbst erfordert (vgl. z.B. Baumann 1987, Baumann 1991, Wölpert 1985, Wölpert<br />
1997). Während die konkrete Arbeit im Arbeitsbündnis hierbei unter einem oftmals hohen<br />
praktischen Handlungsdruck steht, zielt die Arbeitshilfe ESOFAB auf eine Erfassung und<br />
Reflektion von Multipositionalität und Multiperspektivität in einer Situation praktischer<br />
Handlungsentlastetheit.<br />
7 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Exkurs: Abkürzende Verfahren von Perspektivenermittlung und Fallverstehen unter<br />
praktischem Handlungsdruck<br />
In der Interventionspraxis beruflicher sozialer Arbeit hat die getrennte Wahrnehmung und<br />
zugleich angemessene Berücksichtigung unterschiedlicher Positionen und Perspektiven unter<br />
praktischem Handlungsdruck zu erfolgen. Hier können z.B. auch eigene Gefühle der Fachkraft<br />
gegenüber Klient und Eltern daraufhin reflektiert werden, ob und inwieweit sie möglicherweise<br />
Auskunft über die besonderen Perspektiven und Positionen von Klient, Eltern oder<br />
Fachkraft selbst geben, inwieweit sie also im Sinne einer besonderen Reaktion und Antwort<br />
zu verstehen sind. Diese Reflexion eigener Gefühle kann in der Interventionspraxis dann einem<br />
abkürzenden Fallverstehen unter praktischem Handlungsdruck dienen, ist aber zur Kontrolle<br />
und damit als Qualitätsmerkmal notwendig an qualifizierte psychodynamisch und beziehungsdynamisch<br />
orientierte Supervision in Ausbildung und Berufspraxis gebunden (vgl.<br />
Baumann 1987, Wölpert 1997).<br />
Im Rahmen einer fachlichen Kunstlehre beruflicher sozialer Arbeit können entsprechend drei<br />
erkenntnisleitende Fragen herangezogen werden, die die Fachkräfte in ihrer Berufspraxis und<br />
die Eltern in ihrer kollektiven und individuellen Lebenspraxis hinsichtlich der Trennungsfähigkeit<br />
der Perspektiven unterstützen (vgl Baumann 1991):<br />
Für die Fachkraft:<br />
• Wie geht es mir mit dem anderen (meinem Klienten, seinen Eltern)?<br />
• Wie glaube ich, geht es dem anderen (meinem Klienten, seinen Eltern)?<br />
• Wie geht es mir mit mir selbst?<br />
Für das Elternpaar:<br />
• Wie geht es uns mit dem anderen (unserem Kind, ggf. seiner Fachkraft)?<br />
• Wie glauben wir, geht es dem anderen (unserem Kind, ggf. seiner Fachkraft)?<br />
• Wie geht es uns mit uns selbst?<br />
Für das einzelne Elternteil:<br />
• Wie geht es mir mit dem anderen (meinem Kind, meinem Gatten/ Partner)?<br />
• Wie glaube ich geht es dem anderen (meinem Kind, meinem Gatten/ Partner)?<br />
• Wie glaube ich geht es mir selbst?<br />
Die Erfassung phasentypischer Entwicklungsaufgaben<br />
Die Lebenspraxis des einzelnen Klienten sowie die Lebenspraxis der Eltern / Familie sind im<br />
individuellen Lebenszyklus bzw. Familienlebenszyklus vor phasentypische Entwicklungsaufgaben<br />
gestellt (vgl. Fachliche Rahmenkonzeption des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> 2003, 62). Im<br />
Berufsleben der einzelnen Fachkraft selbst stellen sich ebenfalls phasentypische berufliche<br />
Entwicklungsaufgaben.<br />
Berufliche soziale Arbeit ist als stellvertretende Bewältigung lebenspraktischer Krisen beständig<br />
mit der Bewältigung von individuellen wie auch Familienentwicklungsaufgaben konfrontiert<br />
und hat hierzu ob implizit oder explizit immer auch normativ praktisch Stellung zu<br />
beziehen. Darüber hinaus hat sie auch zu den eigenen phasentypischen beruflichen Entwicklungsaufgaben<br />
praktisch Stellung zu beziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 8
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Gegenüber dem außerberuflichen Handeln unterliegt berufliche soziale Arbeit dabei einer<br />
gesteigerten Begründungsverpflichtung hinsichtlich der Angemessenheit ihrer Interventionen<br />
und ihrer fachlichen und fachlich-organisatorischen Routinen und hierin liegt ein wesentlicher<br />
Grund für die Notwendigkeit einer differenzierteren und weitergehenderen Auseinandersetzung<br />
mit phasentypischen Entwicklungsaufgaben und ihnen korrespondierenden Entwicklungsmodellen.<br />
Aus diesen Gründen ist es ein inhaltlich-konzeptioneller Grundgedanke der Arbeitshilfe, in<br />
einer „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“ zu einer<br />
Überblick verschaffenden Sichtung und Zusammenfassung wesentlicher phasentypischer und<br />
immer auch normativer Entwicklungsaufgaben anzuregen, mit denen Klient, Eltern und<br />
Fachkraft arbeitsfeldspezifisch notwendig konfrontiert werden. Zur Unterstützung können<br />
beispielhaft die Entwicklungstaxonomien im Anhang der Fachlichen Rahmenkonzeption herangezogen<br />
werden.<br />
Eine differenziertere Betrachtung der phasentypischen in einer Gesellschaft gegebenen und<br />
immer auch normativen Entwicklungsaufgaben vor allem von Klient und Eltern ist aber nicht<br />
nur wichtig unter dem Gesichtspunkt der Begründung einzelinterventionsbezogener oder angebotsbezogener<br />
Ziele, Pläne und Konzeptionen. Sie erinnert auch daran, in welchem Ausmaß<br />
eine Gesellschaft und ihre Fachkräfte angesichts bestimmter Erschwernisse und Einschränkungen<br />
der Nutzer grundsätzlich in der Lage oder auch gewillt sind, Normalität und<br />
Normalisierung zu ermöglichen und zu unterstützen oder eben auch nicht.<br />
Interne Differenzierung der arbeitsfeldspezifischen Herausforderungen beruflicher sozialer<br />
Arbeit unter prozessbezogenen und personenbezogenen Gesichtspunkten<br />
Ein inhaltlich-konzeptioneller Grundgedanke der Arbeitshilfe ist die Differenzierung der Untersuchung<br />
und Reflexion der arbeitsfeldspezifischen Herausforderungen beruflicher Hilfebeziehungen<br />
unter prozess- und personengruppenbezogenen Gesichtspunkten.<br />
Das Arbeitsbündnis als eigenlogische Beziehungspraxis stellt ein prozesshaftes Geschehen<br />
dar, das in die Phasen der Einrichtung, der Entfaltung und Differenzierung sowie der Beendigung<br />
unterteilt werden kann. Bezogen auf die Hilfe- bzw. Unterstützungsmaßnahme insgesamt,<br />
kommt diesen Phasen eine jeweils besondere Bedeutung zu und die Herausforde-rungen<br />
beruflicher Hilfebeziehungen erfahren in ihrer Multipositionalität und Multiperspekti-vität<br />
eine phasentypische Ausprägung und Akzentuierung (vgl. Fachliche Rahmenkonzeption des<br />
Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> 2003, 42 f).<br />
Diesem Zusammenhang entsprechend unterscheidet die Arbeitshilfe zwischen einer vorklärenden<br />
und orientierenden Gesamtschau einerseits und einer phasenbezogenen Evaluation<br />
andererseits. Die phasenbezogene Evaluation kann dann jeweils für die Einrichtungsphase,<br />
die Phase der Entfaltung und Differenzierung sowie die Beendigungsphase getrennt durchgeführt<br />
werden.<br />
Als weiteren Grundgedanken sieht die Arbeitshilfe die Möglichkeit einer differenzierten Untersuchung<br />
der arbeitsfeldspezifischen Herausforderungen von Hilfebeziehungen für typische<br />
Untergruppen von Klienten, Eltern und Fachkräften vor, die dann selbst wiederum phasenbezogen<br />
erfolgen kann.<br />
9 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Im Rahmen einer arbeitsfeldspezifischen Gesamtschau ist dabei zunächst zu klären, für welche<br />
möglichen Untergruppen eine besondere Evaluation sinnvoll oder notwendig sein könnte.<br />
So könnte es im Bereich früher Hilfen z.B. sinnvoll sein, alleine aufgrund sehr unterschiedlicher<br />
lebenszyklischer Entwicklungsaufgaben eine Differenzierung der Betrachtung für Säuglinge<br />
und sehr kleine Kinder und ihre Eltern einerseits und Kinder und ihre Eltern im Kindergartenalter<br />
andererseits vorzunehmen. Im Bereich der Kindertagesstätten z.B. sinnvoll sein,<br />
zwischen deutschen und nicht-deutschen Kindern und ihren Eltern oder zwischen „Regelkindern“<br />
und „Integrationskindern“ und ihren Eltern zu unterscheiden. Und bezogen auf die<br />
Fachkräfte selbst könnte eine Unterscheidung hinsichtlich der Berufser-fahrung, also Berufsanfänger<br />
versus Fachkraft mit langjähriger Berufserfahrung z.B. in den Bereichen Wohnen<br />
und Ambulante Hilfe aber auch in anderen Bereichen von Interesse sein.<br />
Die Evaluation fachlicher und fachlich-organisatorischer Routinen und Verfahrensweisen<br />
Fachliche und fachlich-organisatorische Routinen stellen im Bereich beruflicher sozialer Arbeit<br />
Vorgehensweisen und Verfahren da, durch die ein besonderes fachliches und fachlichorganisatorisches<br />
Krisenbewältigungswissen in der Praxis des Arbeitsbündnisses zur Anwendung<br />
kommt. Dies geschieht unter der Bedingung der grundsätzlichen Nicht-<br />
Standardisierbarkeit von Humandienstleistungen, die ja immer den besonderen Bedingungen<br />
des Einzelfall gerecht werden müssen (vgl. Fachliche Rahmenkonzeption des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong><br />
2003, 28, Oevermann 2000 b, 22 ff).<br />
Dieser Zusammenhang lässt sich durch die folgenden beiden Sätze charakterisieren: „In einer<br />
bestimmten Situation x verfahren wir üblicherweise im Geiste eines mehr oder weniger expliziten<br />
Modelles y“ und: „Ausnahmen bestimmen die Regel“.<br />
Die Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit fachlichen Handelns, dass also auch tatsächlich<br />
immer im Sinne eines explizierbaren Modells verfahren wird, kann nicht durch Standarddisierung<br />
der Prozessabläufe wie z.B. in der industriellen Produktion, sichergestellt werden.<br />
Angesichts dieser Situation stellt die Supervision interventionsbezogen (und die Evaluation<br />
angebotsbezogen) das Komplement für die fehlende Standardisierbarkeit dar, ein Komplement,<br />
welches nicht nur auf die Kontrolle der Angemessenheit, sondern auch die Kontrolle<br />
der Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit der Interventionen abzielt. „ An die Stelle der Sicherung<br />
von Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit durch Standardisierung tritt in der professionalisierten<br />
Praxis die Supervision als typische Form der Kontrolle darüber, ob grundsätzlich<br />
nicht-standardisierbare Dienstleistungen dennoch gemäß eines theoretisch begründeten Modells<br />
von Richtigkeit fallspezifisch verfahren. Der Supervisionsverpflichtung entspricht dann<br />
auch eine Weiterbildungsverpflichtung“ (Oevermann 2000 b, 25).<br />
In den meisten Fällen beruflicher sozialer Arbeit sind die fachlichen und fachlichorganisatorischen<br />
Routinen aus den Erfahrungen der Fachpraxis gewonnen und abgeleitet<br />
(vgl. Becker 2002). Als je besonderes Krisenbewältigungswissen oder bei den fachlichorganisatorischen<br />
Routinen auch als in besondere fachlich-organisatorische Strukturen und<br />
Abläufe geronnenes Erfahrungswissen sind sie nicht oder nur in geringem Umfang aus einer<br />
eigenständigen Grundlagenforschung oder klinischen Forschung abgeleitet, wie dies z.B. für<br />
jene Bereiche gilt, in denen die Medizin oder die Psychologie Leitprofessionen sind.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 10
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Entsprechend sind in vielen Feldern beruflicher sozialer Arbeit die fachlichen und fachlichorganisatorischen<br />
Routinen oftmals eher implizit oder es mangelt ihnen häufig an einer hinreichenden<br />
Begründetheit.<br />
Angesichts dieser Situation kann eine arbeitsfeldspezifische Evaluation der fachlichen und<br />
fachlich-organisatorischen Routinen im Focus des Arbeitsbündnisses einen wichtigen Beitrag<br />
zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung (Innovationssicherung) beruflicher sozialer<br />
Arbeit darstellen. Die Arbeitshilfe ESOFAB zielt deshalb auf eine Sichtung, Beschreibung<br />
und Bewertung jener vorhandenen oder auch denkbaren Routinen, die auf die vorgängig herausgearbeiteten<br />
phasentypischen Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben von Klient,<br />
Eltern und Fachkräften selbst bezogen werden können.<br />
Dieses Vorgehen lässt sich durch folgende Fragestellungen veranschaulichen:<br />
• Wie gehen wir eigentlich typischerweise mit den herausgearbeiteten phasentypischen<br />
Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben von Klient, Eltern und Fachkräften<br />
selbst um? Oder anders formuliert: Was tun wir eigentlich, um Klient, Eltern und uns<br />
selbst bei der Bewältigung der jeweiligen Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis zu unterstützen?<br />
• Welche Begründungen haben wir für unser jeweiliges Vorgehen?<br />
• Sind unsere Routinen angemessen im Hinblick auf die Handhabung des<br />
Arbeitsbündnisses ?<br />
• Sind unsere Routinen zuverlässig im Hinblick auf ihre Einhaltung (Vorhersehbarkeit und<br />
Verlässlichkeit)?<br />
• Wie können oder müssen wir es anders machen?<br />
• Welche Voraussetzungen auf der Struktur- und Prozessebene sind hierfür notwendig?<br />
3. Methodisch-didaktisches Grundgedanken und Einsatzmöglichkeiten der Arbeitshilfe<br />
Methodisch-didaktisch versucht die Arbeitshilfe an dem fallhaltigen Erfahrungswissen und<br />
dem Fachwissen der Fachkräfte anzuknüpfen und diese Erfahrungs- und Wissensbestände in<br />
einen professionalisierungstheoretisch geleiteten Reflexions- und Bearbeitungsprozess einzubinden.<br />
Als Verfahren liegt die Arbeitshilfe zwischen Supervision einerseits und methodisch<br />
expliziter und extensiver Fallrekonstruktion andererseits. Die Arbeitshilfe stellt einen Satz<br />
thematisch gegliederter Matrizen zur Verfügung, deren Hauptkonstruktionsprinzip die Erfassung<br />
von Multipositionalität und Multiperspektivität im Arbeitsbündnis darstellt:<br />
11 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Gesamtschau<br />
• Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“<br />
Thematischer Schwerpunkt: Vorklärung, ob und inwiefern die Voraussetzungen von Arbeitsbündnissen<br />
arbeitsfeldspezifisch gegeben sind, mit welchen phasentypischen normativen<br />
Entwicklungsaufgaben zu rechnen ist und für welche spezifischen Klienten-, Eltern-<br />
oder Fachkräftegruppen eine besondere Evaluation ggf. sinnvoll bzw. von praktischem Interesse<br />
sein könnte.<br />
• Matrix „ Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
Thematischer Schwerpunkt: Überblickshafte und orientierende Erfassung und Reflexion<br />
der ein Arbeitsfeld charakterisierenden Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben<br />
von Klient, Eltern und Fachkraft und typische Spannungspole ihrer Beziehungen untereinander.<br />
Phasenbezogene Evaluation<br />
• Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“<br />
• Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“<br />
• Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“<br />
Thematischer Schwerpunkt jeweils: Phasenspezifische Untersuchung und Reflexion der<br />
Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben, typischer Vereinseitigungstendenzen<br />
und typischer subjektiver Thematiken und Gefühle im Arbeitsbündnis sowie der hierauf<br />
beziehbaren fachlichen und fachlich-organisatorische Routinen.<br />
Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
• Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation an der Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Thematischer Schwerpunkt: Beteiligung und Zusammenspiel von einzelner Fachkraft,<br />
Teilteams, Gesamtteam und Leistung bei der Planung, Durchführung und Reflexion von<br />
Hilfe- und Unterstützungsprozessen.<br />
Methodisch stellen die einzelnen Matrizen systematisierte erkenntnisleitende Frageschemata<br />
dar, mit deren Hilfe typische Fälle oder Fallkonstellationen arbeitsfeldspezifisch unterbestimmten<br />
professionalisierungstheoretisch relevanten Gesichtspunkten herangezogen<br />
und gedankenexperimentell analysiert werden können. Dabei zielt die Analyse nicht auf<br />
den Einzelfall, sondern auf eine Typologie von Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben,<br />
Vereinseitigungstendenzen und subjektiven Thematiken und Gefühlen im Arbeitsbündnis,<br />
auf die dann die fachlichen und fachlich-organisatorischen Routinen bezogen werden<br />
können.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 12
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Analyse, Reflexion und Typenbildung müssen aber dennoch vom konkreten oder gedanklich<br />
konstruierten Einzelfall ausgehen, um an diesem dann auf dem Wege gedankenexperimenteller<br />
Kontrastierung i.S.v. „wie hätte es auch anders sein können?“ das Typische herausarbeiten<br />
zu können. Aus diesem Grunde können die Matrizen der Gesamtschau und der phasenbezogenen<br />
Evaluation auch als Strukturierungs- und Reflexionshilfe bei der Planung,<br />
Durchführung und Beendigung von Einzelinterventionen herangezogen werden.<br />
Aus methodisch-didaktischen Gründen empfiehlt sich eine Bearbeitung der Matrizen vor allem<br />
in einer Gruppe von Fachkräften i.S.e. professionalisierungstheoretisch geleiteten Gruppendiskussion.<br />
Hierdurch sind am ehesten Reichhaltigkeit der Erfahrung sowie Stimmigkeit<br />
und Schlüssigkeit ihrer professionalisierungstheoretisch geleiteten Reflexion sicherzustellen.<br />
Formal stellen die Matrizen ein Ordnungs- und Orientierungsschema dar, mit dessen Hilfe<br />
systematisch professionalisierungstheoretisch relevante Einzelfragen in einem jeweiligen<br />
thematischen Gesamtzusammenhang eines Arbeitsfeldes formuliert, verortet und bearbeitet<br />
werden können. Jedes Matrizenfeld repräsentiert dabei eine Einzelfrage im ausgewiesenen<br />
thematischen Gesamtzusammenhang der jeweiligen Matrix. Im Evaluationsprozess, d.h. bei<br />
der Bearbeitung der jeweiligen Fragestellungen, dienen die einzelnen Matrizenfelder zugleich<br />
als Raum zur stichwortartigen Eintragung entsprechender Ergebnisse und ihrer Darstellung im<br />
Gesamtzusammenhang.<br />
Den einzelnen Matrizen sind als Arbeitsblätter Vergrößerungen ihrer Einzelbereiche beigefügt.<br />
Hier können die im Bearbeitungsprozess notwendigen ausführlicheren Eintragungen<br />
vorgenommen werden. Das Arbeitsblatt „Speicher“ dient der Eintragung relevanter Ergebnisse<br />
und Überlegungen zur weiteren Konzeptionsentwicklung, Qualitätssicherung oder Qualitätsentwicklung.<br />
Ein weiteres Arbeitsblatt dient der weitergehenden Untersuchung und Bewertung ausgewählter<br />
Routinen aus den Matrizen zur phasenbezogenen und kooperationsbezogenen Evaluation.<br />
Hierbei können die acht zentralen fachlichen Handlungsproblematiken beruflicher<br />
sozialer Arbeit, wie sie in der Fachlichen Rahmenkonzeption herausgearbeitet wurden, als<br />
Evaluationskriterien für die Angemessenheit der in Frage stehenden fachlichen und fachlichorganisatorischen<br />
Routinen im Focus des Arbeitsbündnisses mit herangezogen werden (vgl.<br />
Fachliche Rahmenkonzeption des Vereins <strong>Behindertenhilfe</strong> 2003, 67 f). Auch kann hier die<br />
Zuverlässigkeit der Einhaltung der Routinen unter fachlich-inhaltlichen und organisatorischen<br />
Gesichtspunkten einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Schließlich können hier auch<br />
spezifische Entwicklungsbedarfe hinsichtlich der Verbesserung von Angemessenheit und Zuverlässigkeit<br />
auf der Struktur- und Prozessebene festgehalten werden. Jeder einzelnen Matrix<br />
ist abschließend eine eigene Erläuterung beigefügt.<br />
Die Arbeitshilfe enthält weiterhin exemplarisch bearbeitete Matrizen aus verschiedenen Praxisfeldern<br />
und kann bei entsprechender Evaluationsarbeit laufend ergänzt werden. Solche<br />
bereits bearbeiteten Matrizen können dann auch zugleich als Kontrastfolien herangezogen<br />
werden, vor deren Hintergrund die Besonderheiten anderer Arbeitsfelder besonders deutlich<br />
werden.<br />
13 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Für die Arbeitshilfe ESOFAB bieten sich folgende Einsatzmöglichkeiten an:<br />
• Arbeitsfeldspezifische Evaluation beruflicher sozialer Arbeit i.V.m. Konzeptionsentwicklung,<br />
Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung.<br />
• Arbeitsfeldspezifische Evaluation beruflicher sozialer Arbeit als didaktisches Mittel<br />
i.V.m. Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen.<br />
• Strukturierungs-, Orientierungs- und Reflexionshilfe bei der Planung, Durchführung und<br />
Beendigung von individuellen Hilfen.<br />
4. Allgemeine Hinweise zur Bearbeitung des Matrizensatzes<br />
Die Form des Matrizensatzes ist so allgemein gehalten, dass er zu einer professionalisierungstheoretisch<br />
geleiteten Evaluation der verschiedenen Arbeitsfelder beruflicher sozialer<br />
Arbeit eingesetzt werden kann.<br />
Bei der Evaluation eines bestimmten Arbeitsfeldes (spezifischer Dienst / spezifische Einrichtung)<br />
empfiehlt es sich, in einem ersten Arbeitsschritt auf DIN A3 Format vergrößerte Kopien<br />
des gesamten Blanko-Matrizensatzes und der Arbeitsblätter anzufertigen und unter dem<br />
4. Abschnitt der Arbeitshilfe „Ablage vergrößerter Matrizen und Arbeitsblätter“ abzulegen. In<br />
einem weiteren Schritt wäre bei der Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der<br />
Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“ eine feldspezifische Eintragung der Prozessbeteiligten<br />
in die vorgesehenen Spalten vorzunehmen.<br />
Arbeitsfeldspezifisch bearbeitete Arbeitsblätter und Matrizen können unter dem 5.Abschnitt<br />
der Arbeitshilfe „Ablage bearbeiteter Arbeitsblätter und Matrizen aus dem Bereich ............“<br />
abgelegt werden. Bereits bearbeitete Matrizen anderer Bereiche können, wie oben<br />
daraufhingewiesen, als Bearbeitungsbeispiele und zur Kontrastierung für das zu evaluierende<br />
Arbeitsfeld herangezogen werden und werden unter Abschnitt 6 der Arbeitshilfe abgelegt.<br />
Im Verlauf der bisherigen Erprobungen der Arbeitshilfe im Rahmen von Evaluationsgruppen<br />
hat es sich bewährt, einen Protokollanten zu bestimmen, der die zu bearbeitenden Matrizen<br />
über ein Notebook und einen Beamer für alle Gruppenmitglieder sichtbar an eine Wand projiziert.<br />
Diskussionsergebnisse werden dabei vom Protokollanten sofort in die jeweilige Matrix<br />
oder das Arbeitsblatt eingetragen, sodass eine unverzügliche und mit der Gruppe abgestimmte<br />
Ergebnissicherung stattfinden kann. Auch sind bei diesem Verfahren spätere Ergänzungen<br />
oder Modifikationen problemlos einzuarbeiten. Die bearbeiteten Matrizen / Arbeitsblätter<br />
können ausgedruckt und den Mitgliedern der Evaluationsgruppe zur eigenen Ergebnissicherung,<br />
aber auch zur Nachbereitung der Sitzung oder ggf. zur Vorbereitung der nächsten Sitzung<br />
übergeben werden.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 14
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Hinsichtlich der Reihenfolge der Bearbeitung der Matrizen empfiehlt es sich, mit einer wenigstens<br />
vorläufigen Bearbeitung der Gesamtschau-Matrizen zu beginnen. Ihre Bearbeitung<br />
dient einer Vorklärung und Sichtung wesentlicher feldspezifischer Voraussetzungen und Bedingungen<br />
von Arbeitsbündnissen. Ebenso dient sie im Hinblick auf die später vorzunehmende<br />
phasenbezogene Evaluation der Entscheidungsfindung, ob hierbei ggf. typische Untergruppen<br />
von Klienten, Eltern oder Fachkräften gebildet werden sollen oder nicht.<br />
Die Bearbeitung der Matrizen der phasenbezogenen Evaluation kann dann in Auswahl und<br />
ggf. Reihenfolge je nach bestehenden Notwendigkeiten und Interessen erfolgen.<br />
15 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. Der ESOFAB – Matrizensatz<br />
1. Gesamtschau<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 16
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB - Matritzensatz Evaluationsbereich:<br />
I. Gesamtschau<br />
I.1.1 Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“<br />
Personen-<br />
gruppe<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Zentrale<br />
Unterstützungs-<br />
bedarfe<br />
b) Übersicht<br />
phasen-<br />
typischer<br />
Entwicklungsaufgaben<br />
c) Mögliche<br />
Gruppen-<br />
bildungen bez.<br />
Entwicklungsaufg./<br />
Entwicklungs-<br />
erschwernissen<br />
KLIENT<br />
ELTERN / GESETZL. BETEUER<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 17<br />
FACHKRAFR / FACHKRÄFTE
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.1.2 Arbeitsblätter und Speicher<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 18
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB - Matritzensatz Evaluationsbereich:<br />
I.1. Gesamtschau<br />
I.1.2 Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“<br />
Personen-<br />
gruppe<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Zentrale<br />
Unterstützungs-<br />
bedarfe<br />
b) Übersicht<br />
phasen-<br />
typischer<br />
Entwicklungsaufgaben<br />
c) Mögliche<br />
Gruppen-<br />
bildungen bez.<br />
Entwicklungsaufg./<br />
Entwicklungs-<br />
erschwernissen<br />
KLIENT<br />
19 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB - Matritzensatz Evaluationsbereich:<br />
I.1 Gesamtschau<br />
I.1.2 Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“<br />
Personen-<br />
gruppe<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Zentrale<br />
Unterstützungs-<br />
bedarfe<br />
b) Übersicht<br />
phasen-<br />
typischer<br />
Entwicklungsaufgaben<br />
c) Mögliche<br />
Gruppen-<br />
bildungen bez.<br />
Entwicklungsaufg./<br />
Entwicklungs-<br />
erschwernissen<br />
(El) ELTERN / GESETZLICHE BETREUER<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 20
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB - Matritzensatz Evaluationsbereich:<br />
I.1 Gesamtschau<br />
I.1.2 Matrix „Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen des Arbeitsbündnisses“<br />
Personen-<br />
gruppe<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Zentrale<br />
Unterstützungs-<br />
bedarfe<br />
b) Übersicht<br />
phasen-<br />
typischer<br />
Entwicklungsaufgaben<br />
c) Mögliche<br />
Gruppen-<br />
bildungen bez.<br />
Entwicklungsaufg./<br />
Entwicklungs-<br />
erschwernissen<br />
(F) FACHKRAFT / FACHKRÄFTE<br />
21 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.1.3 Erläuterung zur Matrix “Gesamtschau der wesentlichen Voraussetzungen<br />
des Arbeitsbündnisses“<br />
Zeile a) : Zentrale Unterstützungsbedarfe<br />
Zur Verwirklichung ihrer aufgeführten Zielsetzungen erfordert die Arbeitshilfe zunächst i.S.e<br />
professionalisierungstheoretischen Vorklärung die Untersuchung der zentralen Unterstützungsbedarfe<br />
von Nutzer, Eltern und Fachkraft, wie sie sich typischerweise in einem spezifischen<br />
Arbeitsfeld ergeben.<br />
Die Untersuchung des zentralen Unterstützungsbedarfs des Nutzers meint dabei die Klärung<br />
der Frage, ob und in welchen Hinsichten eine Einschränkung der Autonomie des Nutzers vorliegt,<br />
die dann eine stellvertretende und autonomieunterstützende Bewältigung lebenspraktischer<br />
Krisen durch eine Fachkraft bzw. Fachkräfte notwendig macht. Es geht also mit anderen<br />
Worten um die Frage, ob es sich beim Nutzer der Angebote spezifischer Einrichtungen und<br />
Dienste im Verhältnis zur Fachkraft typischerweise um einen Klienten oder eher um einen<br />
Kunden handelt.<br />
Die Untersuchung des zentralen Unterstützungsbedarfs der Fachkraft meint kehrseitig hierzu<br />
die Untersuchung der Frage, ob und in welchen Hinsichten typischerweise ein Professionalisierungserfordernis<br />
auf der Ebene des Arbeitsbündnisses gegeben ist. Im Arbeitsbündnis wird<br />
ja die angemessene stellvertretende Bewältigung lebenspraktischer Krisen als berufliche Dauerleistung<br />
gefordert und hierin ist zugleich der zentrale Unterstützungsbedarf der Fachkräfte<br />
begründet, der Professionalisierung auch als Unterstützung und Handlungsentlastung der<br />
Fachkräfte selbst erfordert.<br />
Die Untersuchung des zentralen Unterstützungsbedarfes der Eltern/ gesetzlichen Betreuer<br />
bezieht sich auf die vor allem im Bereich der Arbeit mit Kindern und Menschen mit geistiger<br />
Behinderung wesentliche Frage, ob und in welchen Hinsichten es sich bei den Eltern typischerweise<br />
• um Auftraggeber und Kunden einer sozialen Dienstleistung für ihr Kind handelt oder<br />
• um Partner in einem eigenständigen Arbeitsbündnis mit der Fachkraft, in welches das<br />
Arbeitsbündnis mit dem Kind eingebunden ist.<br />
Dies schließt die Untersuchung der Frage mit ein, ob und in welchen Hinsichten typischerweise<br />
Einschränkungen der Autonomie der Eltern selbst gegeben sein können, die neben ihrer<br />
Rolle als Partner in einem kindbezogenen gemeinsamen Arbeitsbündnis besondere fachliche<br />
Unterstützungen und Vorgehensweisen im Sinne der Berücksichtigung einer „Klientenrolle“<br />
notwendig machen.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 22
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
Die Untersuchung der zentralen Unterstützungsbedarfe in einem spezifischen Arbeitsfeld<br />
dient im Evaluationsprozess damit wichtigen Vorklärungen:<br />
1. Liegt aufgrund des zentralen Unterstützungsbedarfes des Nutzers strukturell das<br />
Erfordernis der Einrichtung und Handhabung eines Arbeitsbündnisses überhaupt<br />
vor?<br />
2. Ergeben sich mögliche typische Gruppen von Klienten,<br />
Eltern und Fachkräften, für die eine jeweils besondere Evaluation im Focus des<br />
Arbeitsbündnisses sinnvoll sein könnte?<br />
3. Können arbeitsfeldspezifisch typische Situationen vorliegen, in denen die Eltern<br />
neben ihrer „Rolle“ als Partner in einem gemeinsamen Arbeitsbündnis mit den<br />
Fachkräften fachliche Unterstützung im Sinne einer eigenen „Klientenrolle“<br />
benötigen?<br />
4. Welche fachlichen und fachlich-organisatorische Routinen kommen in solchen Situationen<br />
zur Anwendung?<br />
Zeile b) : Übersicht phasentypischer Entwicklungsaufgaben<br />
Diese Zeile dient der Sichtung und Überblickshaften Darstellung phasentypischer Entwicklungsaufgaben<br />
von Klient, Eltern und Fachkraft, wie sie typischerweise in einem bestimmten<br />
Arbeitsfeld gegeben sind. Hier können auch Hinweise zu entsprechenden weiterführenden<br />
Taxonomien, Entwicklungstheorien und Entwicklungsmodellen vermerkt werden.<br />
Zeile c) : Mögliche Gruppenbildungen in Bezug auf Entwicklungsaufgaben und/<br />
oder typischen Entwicklungserschwernissen<br />
Diese Zeile dient der Eintragung möglicher Gruppenbildungen für die phasenbezogene Evaluation<br />
unter den Gesichtspunkten von phasentypischen Entwicklungsaufgaben und / oder<br />
typischen Erschwernissen der Entwicklung.<br />
23 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – Matrizensatz Evaluationsbereich: Gruppebildung:<br />
1. Gesamtschau<br />
1.2.1 Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
(Kl) KLIENT (El) ELTERN /GESETZL. BETREUER (F) FACHKRAFT/FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Überblick :<br />
Typische Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Beziehungs-<br />
komponenten<br />
diffus /<br />
spezifisch<br />
c) Typische<br />
Spannungspole<br />
in den<br />
Teilbeziehungen im<br />
Arbeitsbündnis<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
Bindung<br />
und<br />
Ablösung<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
Überanpassung<br />
und<br />
Unteranpassung<br />
(K) Klient<br />
Halten<br />
und<br />
Ablösung<br />
ermöglichen<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
Überanpassung<br />
und Unteranpassung<br />
(K) Klient<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
(El)Eltern<br />
gesetzl. Betreuer/<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
Überbetonung<br />
und<br />
Vernachlässigung<br />
der Gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 24
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.2.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher<br />
25 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – Matrizensatz Evaluationsbereich: Gruppebildung:<br />
1.2 Gesamtschau<br />
1.2.2 Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
(Kl) KLIENT<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Überblick :<br />
Typische Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Beziehungs-<br />
komponenten<br />
diffus /<br />
spezifisch<br />
c) Typische<br />
Spannungspole<br />
in den<br />
Teilbeziehungen im<br />
Arbeitsbündnis<br />
(El) Eltern / gesetzliche Betreuer<br />
Bindung<br />
und<br />
Ablösung<br />
(F) Fachkraft / Fachkräfte<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
Klienten-<br />
gruppe<br />
Überanpassung<br />
und<br />
Unteranpassung<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 26
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – Matrizensatz Evaluationsbereich: Gruppebildung:<br />
1.2 Gesamtschau<br />
1.2.2 Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
(El) ELTERN / GESETZL. BETREUER<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Überblick :<br />
Typische Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Beziehungs-<br />
komponenten<br />
diffus /<br />
spezifisch<br />
c) Typische<br />
Spannungspole<br />
in den<br />
Teilbeziehungen im<br />
Arbeitsbündnis<br />
(K) Klient<br />
Halten<br />
und<br />
Ablösung ermöglichen<br />
(F) Fachkraft / Fachkräfte<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
Klienten-<br />
gruppe<br />
Überanpassung<br />
und<br />
Unteranpassung<br />
27 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – Matrizensatz Evaluationsbereich: Gruppebildung:<br />
1.2 Gesamtschau<br />
1.2.2 Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
(F) FACHKRAFT / FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Überblick :<br />
Typische Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Beziehungs-<br />
komponenten<br />
diffus /<br />
spezifisch<br />
c) Typische<br />
Spannungspole<br />
in den<br />
Teilbeziehungen im<br />
Arbeitsbündnis<br />
(K) Klient<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
(El) Eltern /<br />
gesetzl. Betreuer<br />
Technologisierung<br />
und<br />
Intimisierung<br />
Klienten-<br />
gruppe<br />
Überbetonung<br />
und<br />
Vernachlässigung<br />
der Gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 28
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
1.2.3 Erläuterung zur Matrix „Gesamtschau im Arbeitsbündnis“<br />
Spalten<br />
Die Spaltenbildung der Matrix dient der Abbildung der jeweiligen Position von Klient, Eltern<br />
und Fachkraft im Arbeitsbündnis und der mit dieser Position verbundenen Perspektive auf die<br />
anderen Beteiligten unter möglicher Einbeziehung der Klientengruppe als besonderer Praxisform.<br />
Zeile a) : Überblick: Typische Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
Diese Zeile dient der überblickshaften Dokumentation typischer Handlungsproblematiken und<br />
Beziehungsaufgaben, die mit der jeweiligen Position im Arbeitsbündnis verbunden sind und<br />
für ein Arbeitsfeld insgesamt charakteristisch sind.<br />
Zeile b) : Beziehungskomponenten<br />
Diese Zeile dient der Kennzeichnung der jeweiligen diffusen und spezifischen Beziehungskomponenten<br />
im Arbeitsbündnis.<br />
Zeile c) : Spannungspole der Teilbeziehungen im Arbeitsbündnis<br />
In dieser Zeile sind die Spannungspole der Teilbeziehungen im Arbeitsbündnis in ihrer je besonderen<br />
positionalen Ausgestaltung eingetragen:<br />
• Klient – Eltern Bindung und Ablösung<br />
• Eltern – Klient Halten und Ablösung ermöglichen<br />
• Klient – Fachkraft Technologisierung und Intimisierung<br />
• Fachkraft – Klient Technologisierung und Intimisierung<br />
• Fachkraft – Eltern: Technologisierung und Intimisierung<br />
• Eltern – Fachkraft Technologisierung und Intimisierung<br />
• Klient – Gruppe Überanpassung und Unteranpassung<br />
• Fachkraft – Gruppe Überbetonung und Vernachlässigung als eigen Praxisform<br />
• Eltern – Gruppe Überanpassung und Unteranpassung<br />
Sie dienen eine Vororientierung für die phasenbezogene Evaluation, um dort typische Vereinseitigungstendenzen<br />
dieser Polaritäten näher in den Blick nehmen zu können, auf welche die<br />
fachlichen und fachlich-organisatorischen Routinen ja auch eine angemessene Antwort finden<br />
müssen.<br />
29 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2. Phasenbezogene Evaluation<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 30
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.1 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.1.1 Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“<br />
(Kl) KLIENT (El) ELTERN /GESETZL. BETREUER (F) FACHKRAFT/FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
31 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2.1.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 32
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.1 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.1.2 Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“<br />
(KL) KLIENT<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
33 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.1 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.1.2 Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“<br />
(EL) ELTERN / GESETZL: BETREUER<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 34
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.1 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.1.2 Matrix „Einrichtung von Arbeitsbündnissen“<br />
(F) FACHKRAFT / FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
35 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 36
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
2.1.3 „EVALUATION AUSGEWÄHLTER FACHLICHER UND FACHLICH-ORGANISATORISCHER ROUTINEN“<br />
Fachliche und<br />
fachlich-organisatorische<br />
Routinen<br />
Evaluationskriterium<br />
Angemessenheit im Arbeitsbündnis<br />
Entwicklungsbedarfe (Struktur- und Prozessebene)<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 37<br />
Zuverlässigkeit in der Einhaltung<br />
Entwicklungsbedarfe ( Struktur und Prozessebene)
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.2 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.2.1 Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“<br />
(Kl) KLIENT (El) ELTERN /GESETZL. BETREUER (F) FACHKRAFT/FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 38
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2.2.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 38
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.2 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.2.2 Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“<br />
(KL) KLIENT<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
39 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.2 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.2.2 Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“<br />
(EL) ELTERN / GESETZL: BETREUER<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 40
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.2 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.2.2 Matrix „Entfaltung und Differenzierung von Arbeitsbündnissen“<br />
(F) FACHKRAFT / FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
41 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
2.2.3 „EVALUATION AUSGEWÄHLTER FACHLICHER UND FACHLICH-ORGANISATORISCHER ROUTINEN“<br />
Evaluationskriterium<br />
Fachliche und<br />
fachlich-organisatorische<br />
Routinen<br />
Angemessenheit im Arbeitsbündnis<br />
Entwicklungsbedarfe (Struktur- und Prozessebene)<br />
Zuverlässigkeit in der Einhaltung<br />
Entwicklungsbedarfe ( Struktur und Prozessebene)<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 42
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.3 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.3.1 Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“<br />
(Kl) KLIENT (El) ELTERN /GESETZL. BETREUER (F) FACHKRAFT/FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Handlungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
43 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2.3.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 44
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.3 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.3.2 Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“<br />
(KL) KLIENT<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
45 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.3 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.3.2 Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“<br />
(EL) ELTERN / GESETZL: BETREUER<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(F) Fachkraft/<br />
Fachkräfte<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 46
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich: Gruppenbildung:<br />
2.3 Phasenbezogene Evaluation<br />
2.3.2 Matrix „Beendigung von Arbeitsbündnissen“<br />
(F) FACHKRAFT / FACHKRÄFTE<br />
Beziehung<br />
Evaluations-<br />
Aspekte<br />
a) Typische<br />
Handlungs-<br />
problematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
im Arbeitsbündnis<br />
b) Typische<br />
Vereinseitigungs-<br />
tendenzen und<br />
Entwicklungs-<br />
gefährdungen<br />
in den<br />
Teilbeziehungen<br />
c) Durch Hand-<br />
lungsproblematiken<br />
und<br />
Beziehungsaufgaben<br />
nahegelegte<br />
typische<br />
Vorstellungen,<br />
Themen ,Wünsche<br />
und Gefühle<br />
d ) Vorhandene<br />
oder denkbare<br />
fachliche und<br />
fachlich –<br />
organisatorische<br />
Routinen<br />
(K) Klient<br />
(El) Eltern/<br />
gesetzl. Betreuer<br />
(Gr) Klienten-<br />
gruppe<br />
47 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
2.3.3 „EVALUATION AUSGEWÄHLTER FACHLICHER UND FACHLICH-ORGANISATORISCHER ROUTINEN“<br />
Evaluationskriterium<br />
Fachliche und<br />
fachlich-organisatorische<br />
Routinen<br />
Angemessenheit im Arbeitsbündnis<br />
Entwicklungsbedarfe (Struktur- und Prozessebene)<br />
49 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7<br />
Zuverlässigkeit in der Einhaltung<br />
Entwicklungsbedarfe ( Struktur und Prozessebene)
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
2.4 Erläuterung zur den phasenbezogenen Matrizen<br />
Die Matrizen zur phasenbezogenen Evaluation sind formal in gleicher Weise aufgebaut.<br />
Zeile a) : Typische Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben im Arbeits<br />
bündnis<br />
Diese Zeile dient der Feststellung typischer überindividueller Handlungsproblematiken und<br />
Beziehungsaufgaben aus der jeweiligen positionalen Perspektive im Arbeitsbündnis, wie sie<br />
sich in der Einrichtungsphase, Durchführungsphase und Beendigungsphase ergeben.<br />
Zeile b) : Typische phasenspezifische Vereinseitigungstendenzen und Entwicklungs<br />
gefährdungen in den Teilbeziehungen im Arbeitsbündnis<br />
Diese Zeile dient der Erfassung typischer und phasenspezifischer Vereinseitigungstendenzen<br />
der Spannungspole in den Teilbeziehungen im Arbeitsbündnis, die als dauerhafte zu einer<br />
Gefährdung von Beziehung und Entwicklung führen können.<br />
Zeile c) : Durch Handlungsproblematik und Beziehungsaufgaben nahegelegte typi<br />
sche Vorstellungen, Themen, Wünsche und Gefühle<br />
Diese Zeile dient der Erfassung typischer Vorstellungen, Themen Wünsche und Gefühle, die<br />
mit einer bestimmten Position im Arbeitsbündnis im Hinblick auf die anderen Positionsinhaber<br />
nahegelegt sind.<br />
Zeile d) : Vorhandene oder denkbare fachliche und fachlich-organisatorische Rou<br />
tinen<br />
Diese Zeile dient einer Sichtung und Reflexion vorhandener oder denkbarer Routinen, die<br />
sich auf die Handhabung der positionsspezifischen Handlungsproblematiken und Beziehungsaufgaben,<br />
Vereinseitigungstendenzen und subjektiven Perspektiven beziehen.<br />
Es geht mit anderen Worten um die Frage, „was tun wir eigentlich oder was könnten wir eigentlich<br />
tun, um den Klienten, die Eltern und uns selbst in der jeweiligen Position und subjektiven<br />
Perspektive angemessen zu verstehen und zu unterstützen?“.<br />
Eine weitergehende Evaluation ausgewählter einzelner Routinen kann dann mit Hilfe des<br />
hierfür vorgesehenen Arbeitsblattes erfolgen.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 49
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 50
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
3.1 Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Prozeß-<br />
beteiligung<br />
von<br />
a)<br />
Prozeßbezug<br />
Einzelne<br />
Fachkraft<br />
b)<br />
ZB.<br />
Teilteam 1 /<br />
Teilgruppe1 von<br />
Fachkräften<br />
c)<br />
Z.B.<br />
Teilteam 2 /<br />
Teilgruppe 2 von<br />
Fachkräften<br />
d)<br />
e)<br />
Z.B.<br />
Gesamtteam<br />
Fachkräfte<br />
Leitung<br />
Planung<br />
KLIENT<br />
Durchführung<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle<br />
Planung<br />
KLIENTENGRUPPE<br />
Durchführung<br />
51 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle<br />
Planung<br />
ALLE KLIENTEN<br />
Durchführung<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
3.2 Arbeitsblätter zur Bearbeitung und Speicher<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 52
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
3.2 Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Prozeßbezug<br />
Prozeß-<br />
beteiligung<br />
von<br />
a)<br />
Einzelne<br />
Fachkraft<br />
b)<br />
ZB.<br />
Teilteam 1 /<br />
Teilgruppe1 von<br />
Fachkräften<br />
c)<br />
Z.B.<br />
Teilteam 2 /<br />
Teilgruppe 2 von<br />
Fachkräften<br />
d)<br />
e)<br />
Z.B.<br />
Gesamtteam<br />
Fachkräfte<br />
Leitung<br />
Planung<br />
KLIENT<br />
Durchführung<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle<br />
53 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
3.2 Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Prozeßbezug<br />
Prozeß-<br />
beteiligung<br />
von<br />
a)<br />
Einzelne<br />
Fachkraft<br />
b)<br />
ZB.<br />
Teilteam 1 /<br />
Teilgruppe1 von<br />
Fachkräften<br />
c)<br />
Z.B.<br />
Teilteam 2 /<br />
Teilgruppe 2 von<br />
Fachkräften<br />
d)<br />
e)<br />
Z.B.<br />
Gesamtteam<br />
Fachkräfte<br />
Leitung<br />
Planung<br />
KLIENTENGRUPPE<br />
Durchführung<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 54
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
ARBEITSBLATT<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
3. Evaluation der Kooperationsstrukturen<br />
3.2 Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der Gestaltung von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Prozeßbezug<br />
Prozeß-<br />
beteiligung<br />
von<br />
a)<br />
Einzelne<br />
Fachkraft<br />
b)<br />
ZB.<br />
Teilteam 1 /<br />
Teilgruppe1 von<br />
Fachkräften<br />
c)<br />
Z.B.<br />
Teilteam 2 /<br />
Teilgruppe 2 von<br />
Fachkräften<br />
d)<br />
e)<br />
Z.B.<br />
Gesamtteam<br />
Fachkräfte<br />
Leitung<br />
Planung<br />
ALLE KLIENTEN<br />
Durchführung<br />
Reflexion/<br />
Kontrolle<br />
55 © <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
II. ESOFAB – MATRIZENSATZ Evaluationsbereich:<br />
3.3 „EVALUATION AUSGEWÄHLTER FACHLICHER UND FACHLICH-ORGANISATORISCHER ROUTINEN“<br />
Evaluationskriterium<br />
Fachliche und<br />
fachlich-organisatorische<br />
Routinen<br />
Angemessenheit im Arbeitsbündnis<br />
Entwicklungsbedarfe (Struktur- und Prozessebene)<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 56<br />
Zuverlässigkeit in der Einhaltung<br />
Entwicklungsbedarfe ( Struktur und Prozessebene)
<strong>Vereinshandbuch</strong> <strong>Band</strong> 3<br />
Stand 01.08.2012<br />
3.4 Erläuterung zur Matrix „Beteiligung der Gesamtorganisation bei der Gestaltung<br />
von Hilfe- und Unterstützungsprozessen“<br />
Die Matrix zur phasenbezogenen Evaluation ging von der entfalteten Mikrostruktur des Arbeitsbündnisses<br />
aus und fragte aus dieser Perspektive nach gegebenen oder denkbaren fachlichen<br />
und fachlich-organisatorischen Routinen.<br />
Die Matrix zur Kooperationsstruktur geht dagegen von der Gesamtorganisation einer Einrichtung<br />
oder eines Dienstes aus und fragt systematisch, in welcher Weise die verschiedenen Teile<br />
des Gesamtorganisation an der Planung, Durchführung und Reflexion/ Kontrolle von Hilfe-<br />
und Unterstützungsprozessen beteiligt sind. Damit wird der Focus der Betrachtung und Reflexion<br />
auf die Organisation als ganze und ihre fachlich-organisatorischen Routinen gelenkt.<br />
Eine weitergehende Evaluation ausgewählter fachlich-organisatorischer Routinen kann dann<br />
wieder mit Hilfe eines gesonderten Arbeitsblattes vorgenommen werden.<br />
© <strong>Behindertenhilfe</strong> in Stadt und Kreis <strong>Offenbach</strong> e.V., <strong>Offenbach</strong> 2005 <strong>Kapitel</strong> 1, Anhang 7 57