50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Unser Dorf hat Zukunft - Bund ...
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„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> <strong>1961</strong>–<strong>2011</strong>
Inhalt<br />
Vorworte<br />
Ilse Aigner, <strong>Bund</strong>esministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 4<br />
Karl Zwermann, Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. 5<br />
1. <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden – <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> als Teil der ländlichen Entwicklung 8<br />
<strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> und <strong>Dorf</strong>erneuerung haben gemeinsame Vorfahren 10<br />
2. <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
<strong>Dorf</strong>verschönerung vor <strong>1961</strong> 14<br />
<strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> in der ehemaligen DDR 15<br />
2.1 Die Grüne Charta von der Mainau<br />
Vom germanischen Landschaftsraum zu bäuerlicher Kulturlandschaft<br />
Idee und Zielsetzung der Grünen Charta von der Mainau 16<br />
2.2 <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden<br />
Wie sah das Leben auf dem Land damals aus? 18<br />
Planung und Ästhetik – das erste Jahrzehnt 21<br />
2.3 Die Rahmenbedingungen ändern sich<br />
Der Wettbewerb der <strong>Jahre</strong> 1975 bis 1984 in Niedersachsen 24<br />
Dörfer in Baden-Württemberg 28<br />
Wir in Klein Meckelsen – Zweimaliges Golddorf lüftet das Geheimnis seines Erfolges 30<br />
Wir in Lieberhausen – Eine große Erfolgsgeschichte für ein kleines <strong>Dorf</strong> 32<br />
2.4 Der Wettbewerb erhält Zuwachs<br />
Landeswettbewerb in Sachsen 34<br />
Landeswettbewerb in Sachsen-Anhalt 36<br />
Wir in Rieth 38<br />
Wir in Bertsdorf-Hörnitz 39<br />
2.5 Träger, Initiatoren, Berater<br />
Der Bürgerwettbewerb – Chance für Bayerns Dörfer 40<br />
Die Schule der <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung Thierhaupten 44<br />
Das Zentrum für Ländliche Entwicklung Nordrhein-Westfalen 46<br />
2.6 Die Bewertungskommissionen<br />
Organisation und Aufgaben 48<br />
1976: Vortrag zum Abschluss des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs in Bayern <strong>50</strong><br />
2.7 <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Anpassung an neue Herausforderungen 52<br />
Erfolgreich gemeinsam Handeln – eine Arbeitshilfe zur Selbstbewertung<br />
dörflicher Aktivitäten 55<br />
Wir in Gersbach – <strong>Dorf</strong>entwicklung für die <strong>Zukunft</strong> 58<br />
Wir in Latrop – Vom Waldarbeiterdorf zum Ferienort 60<br />
2.8 Der Blick nach Europa<br />
Entente Florale Europe 62<br />
Der Europäische <strong>Dorf</strong>erneuerungspreis 64<br />
3. <strong>Zukunft</strong> des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
Wie verändert sich der ländliche Raum? 68<br />
Vom schöner finden zum besser sein 72<br />
Wir in Banzkow – Strukturen für die <strong>Zukunft</strong> schaffen 74<br />
Wir in Brokeloh – Eine <strong>Zukunft</strong> für unser <strong>Dorf</strong> 76<br />
4. Anhang<br />
Die Grüne Charta von der Mainau 80<br />
Ausschreibung des 1. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs 1960/<strong>1961</strong> 82<br />
Ausschreibung des 24. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs <strong>2011</strong>/2013 84<br />
Teilnehmerzahlen <strong>1961</strong> bis 2010 90<br />
Weitere Informationen zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb und den Landeswettbewerben 90
Vorwort<br />
Sehr geehrte Leserinnen<br />
und Leser,<br />
der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> feiert in diesem Jahr sein<br />
<strong>50</strong>jähriges Bestehen und ist ein fester Bestandteil<br />
ländlicher Entwicklung. Seit <strong>1961</strong> engagieren sich<br />
die Bürgerinnen und Bürger mit großer Begeisterung<br />
für die Verschönerung ihrer Heimat. Begonnen<br />
unter dem Titel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden“ in der <strong>Bund</strong>esrepublik und in der ehemaligen<br />
Deutschen Demokratischen Republik bekannt<br />
als „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach<br />
mit“ <strong>hat</strong> sich der Wettbewerb unter dem aktuellen<br />
Motto „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ zu einem Wettstreit<br />
um die besten Ideen für attraktive Dörfer als<br />
Wohn-, Erholungs- und Arbeitsstätte gewandelt.<br />
<strong>2011</strong> ist das europäische Jahr der Freiwilligkeit.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> stellt ein imposantes Beispiel<br />
dar, was freiwilliges Bürgerengagement bewegen<br />
kann. Mit über 104.000 teilnehmenden Dörfern im<br />
Laufe der letzten fünf Jahrzehnte in ganz Deutschland<br />
schreibt der Wettbewerb eine Erfolgsgeschichte<br />
und ist einer der größten Bürgerbewegungen<br />
in Europa. Er <strong>hat</strong> mit dazu beigetragen, die Dörfer<br />
lebendig und lebenswert zu erhalten sowie den<br />
Herausforderungen der ländlichen Räume zu<br />
begegnen.<br />
Auch in <strong>Zukunft</strong> können unsere Dörfer nur mit<br />
dem Engagement seiner Bewohner gestaltet<br />
werden. Deshalb soll der <strong>Bund</strong>eswettbewerb die<br />
Menschen motivieren, ihre <strong>Zukunft</strong>sperspektiven<br />
zu bestimmen und aktiv an der Verbesserung der<br />
Lebensqualität auf dem Lande mitzuwirken. Gefragt<br />
sind Ideen, wie das Antlitz des eigenen <strong>Dorf</strong>es<br />
verbessert werden kann. Wirtschaft, Infrastruktur<br />
und Baugestaltung stehen ebenso im Mittelpunkt,<br />
wie die Grüngestaltung und das soziale wie kulturelle<br />
Umfeld. Denn für das Leben auf dem Lande<br />
ist die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Kindergärten<br />
und Schulen sowie das Angebot für Kultur<br />
und Freizeit von ebenso großer Bedeutung, wie<br />
eine schöne <strong>Dorf</strong>mitte und attraktive Landschaften.<br />
Ausgehend von einer Rückschau auf die erfolgreiche<br />
Geschichte sollen mit dieser Broschüre neue<br />
Impulse für die <strong>Zukunft</strong> des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
gesetzt werden. Gemeinsam mit den Ländern und<br />
mitwirkenden Verbänden werden wir den <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
fortführen und an die Herausforderungen<br />
der nächsten Jahrzehnte anpassen.<br />
Den vielen unermüdlichen freiwilligen Helfern,<br />
Verantwortlichen und Akteuren, die am <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
mitgewirkt haben und sich auch in<br />
<strong>Zukunft</strong> einbringen, gilt mein besonderer Dank.<br />
Ihre<br />
Ilse Aigner<br />
<strong>Bund</strong>esministerin für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz<br />
4
Vorwort<br />
Sehr geehrte Leserinnen<br />
und Leser,<br />
es waren schon zwei Sternstunden im Leben der<br />
jungen <strong>Bund</strong>esrepublik Deutschland, die im <strong>Jahre</strong><br />
<strong>1961</strong> von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V. ausgingen und die bleibende Verdienste<br />
für die Entwicklung unseres Gemeinwesens bis heute<br />
erbringen.<br />
Graf Lennart Bernadotte <strong>hat</strong> als Präsident der Deutschen<br />
Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. die ‚Grüne<br />
Charta von der Mainau‘ als erstes ‚Umwelt-Credo‘<br />
aus den Mainauer Rundgesprächen konzipiert und<br />
mit dem <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden“ gestartet.<br />
In einer Zeit der raschen wirtschaftlichen und<br />
gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land<br />
sind wir den beherzten Frauen und Männern von<br />
damals besonders dankbar für ihre weitsichtigen<br />
Ideen und deren Verwirklichung. Das Wunderbare<br />
am Wettbewerb ist die Begeisterung der ehrenamtlich<br />
wirkenden Menschen in den Dörfern. Die<br />
dörfliche Gemeinschaft beflügelt den Wettbewerb<br />
in all den <strong>Jahre</strong>n und sie entwickelt eine erstaunliche<br />
Dynamik. Stolz und dankbar sein kann man<br />
auf das Geschaffene für Heimat und Umwelt durch<br />
die enge Zusammenarbeit von Vereinen und Verwaltung.<br />
Als Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V. im <strong>50</strong>. Jahr des Wettbewerbs blicke ich<br />
in Dankbarkeit zurück auf die vielen Millionen engagierten<br />
Menschen in unserem Land, die sich um<br />
ihr <strong>Dorf</strong> verdient gemacht haben. Aber auch den<br />
5<br />
vielen Menschen, die in den <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n den Wettbewerb<br />
als Jurymitglieder ehrenamtlich begleitet und<br />
fachlich bewertet haben, möchte ich von ganzem<br />
Herzen meinen besonderen Dank aussprechen.<br />
Dieses <strong>50</strong>jährige Wettbewerbsjubiläum führt uns<br />
die <strong>Zukunft</strong> unserer Dörfer vor Augen. Das großartige<br />
Erbe auch in unsere Zeit erfolgreich weiter zu<br />
tragen, ist Aufgabe und Herausforderung zugleich.<br />
Wecken wir die Begeisterung für das ehrenamtliche<br />
Engagement in den Herzen und Köpfen<br />
unserer Menschen, dann wird „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> eine<br />
gute <strong>Zukunft</strong>“ haben. Wir, die Deutsche Gartenbau-<br />
Gesellschaft 1822 e.V. wollen helfen, den Samen<br />
dafür auszubringen.<br />
Ihr<br />
Karl Zwermann<br />
Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V.
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden –<br />
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden –<br />
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Von Anfang an war der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> bedeutender Teil der ländlichen Entwicklung.<br />
Das Wettbewerbsgeschehen vor Ort wurde und wird inhaltlich von den Bürgerinnen und<br />
Bürgern, von den <strong>Dorf</strong>gemeinschaften und örtlichen Vereinen in eigener Verantwortung<br />
und in Selbsthilfe gestaltet. Das <strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung, Landwirtschaft und<br />
Verbraucherschutz (BMELV) sowie die zuständigen Ministerien der Länder schreiben den<br />
Wettbewerb aus, stellen die Finanzierung sicher und begleiten ihn organisatorisch.<br />
Mit dem Wettbewerb ist ein Instrument gegeben, das nicht immer konfliktfrei, förmliche<br />
Förder- und Strukturprogramme für Dörfer und Regionen durch aktive Bürgerbeteiligung<br />
ergänzen und eine breite Basis für die Akzeptanz der ländlichen Entwicklung<br />
herstellen kann.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
als Teil der ländlichen<br />
Entwicklung<br />
Die ländlichen Räume stehen vor besonderen<br />
Herausforderungen: Der fortschreitende Strukturwandel<br />
in der Landwirtschaft und der ländlichen<br />
Wirtschaft, die demografischen Veränderungen<br />
und der gesellschaftliche Wertewandel werden die<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung in den nächsten <strong>Jahre</strong>n prägen.<br />
Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Angebot<br />
an Arbeitsplätzen, die Wertschöpfung in den<br />
Regionen, die Siedlungsentwicklung sowie die<br />
Sicherung der Daseinsvorsorge und den Ausbau der<br />
Infrastruktur.<br />
Begleitet wird dieser Wandel durch ein verändertes<br />
soziales Umfeld: In vielen Regionen wird die <strong>Dorf</strong>bevölkerung<br />
weniger, älter und bunter; bäuerliche<br />
Familienstrukturen mit mehreren Generationen auf<br />
dem Hof finden sich immer seltener. Überalterung<br />
und Abwanderung treffen insbesondere die Dörfer<br />
in strukturschwachen peripheren Regionen. Gerade<br />
hier werden viele Ideen und innovative Vorschläge<br />
benötigt.<br />
Die Bürger und Bürgerinnen<br />
sind Akteure und Motoren der<br />
Veränderung<br />
Die <strong>Dorf</strong>entwicklung lebt vom Engagement der<br />
Menschen, von Ideen und Tatkraft. Hier setzt der<br />
Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ an. Die<br />
Kultur des Miteinanders ist in den Dörfern, die am<br />
<strong>Bund</strong>eswettbewerb teilnehmen, besonders ausgeprägt<br />
und bildet oftmals den Kern des dörflichen<br />
Lebens. Dabei sind die Akteure selbst Motor der<br />
Veränderung. Dort, wo sich die Bewohner engagieren,<br />
ihre <strong>Zukunft</strong> selbst in die Hand nehmen und<br />
über die Entwicklung ihres <strong>Dorf</strong>es mitentscheiden,<br />
fühlen sich die Menschen wohl. Dabei ist die Vielfalt<br />
der Regionen eine Chance, unterschiedliche<br />
Konzepte im Wettbewerb zu propagieren.<br />
Viele Verantwortliche in den Verwaltungen und<br />
ehrenamtlich Tätige in den Vereinen und Chören,<br />
in den Freiwilligen Feuerwehren oder in anderen<br />
regionalen Projekten engagieren sich für den<br />
Wettbewerb. Eine besondere Herausforderung<br />
stellt dabei die abnehmende Bindungswirkung der<br />
Vereine und insbesondere die Frage, wie können<br />
junge Menschen begeistert werden, dar. So stösst<br />
gerade dieser Wettbewerb auch bürgerschaftli-<br />
8
ches Engagement an, indem Beispiele engagierter<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung noch besser bekannt gemacht<br />
werden, um Nachahmer in der Region und darüber<br />
hinaus zu finden.<br />
Die Verlagerung der Wettbewerbsschwerpunkte<br />
mit der Neuausrichtung des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s in<br />
den 90er <strong>Jahre</strong>n unter dem Motto „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong><br />
<strong>Zukunft</strong>“ ist dem Wandel in der ländlichen Entwicklung<br />
Rechnung getragen worden. So wurde in<br />
den Bewertungbereichen besonderes Augenmerk<br />
auf Konzepte für die dörfliche Entwicklung, auf<br />
wirtschaftliche Initiativen sowie die sozialen und<br />
kulturellen Aktivitäten im <strong>Dorf</strong> gelegt.<br />
9<br />
Gold<br />
Silber<br />
NW seit <strong>1961</strong><br />
22.225 Teilnehmer<br />
Bronze<br />
Plakette<br />
56 48 27<br />
Gold<br />
Silber<br />
Gold<br />
Bronze<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Plakette<br />
RP seit <strong>1961</strong><br />
16.874 Teilnehmer<br />
Plakette<br />
Gold<br />
SH seit <strong>1961</strong><br />
3.831 Teilnehmer<br />
Gold<br />
7 15 10 4 6 3 2<br />
Gold<br />
Silber<br />
23 29 11<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Bronze<br />
Plakette<br />
Plakette<br />
Gold<br />
Gold<br />
Gold<br />
NI seit <strong>1961</strong><br />
10.171 Teilnehmer<br />
ST seit <strong>1961</strong><br />
2.042 Teilnehmer<br />
17 25 16<br />
Silber<br />
Bronze<br />
35 28 11<br />
Gold<br />
Plakette<br />
Silber<br />
Bronze<br />
HE seit <strong>1961</strong><br />
7.682 Teilnehmer<br />
36 44 31<br />
SL seit <strong>1961</strong><br />
2.628 Teilnehmer BW seit <strong>1961</strong><br />
15 14 10<br />
7.746 Teilnehmer<br />
Plakette<br />
2 7 11 2<br />
Silber<br />
Bronze<br />
6 5 7 2<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Gold<br />
Plakette<br />
Plakette<br />
TH seit 1991<br />
1.945 Teilnehmer<br />
70 48 20<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Silber<br />
BY seit <strong>1961</strong><br />
26.138 Teilnehmer<br />
MV seit 1991<br />
868 Teilnehmer<br />
Plakette<br />
Bronze<br />
Gold<br />
Plakette<br />
BE seit 1991<br />
1 Teilnehmer<br />
1<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Plakette<br />
Gold<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Plakette Gold<br />
Silber<br />
Bronze<br />
Plakette<br />
5 6 5 2<br />
BB seit 1991<br />
1.131 Teilnehmer<br />
SN seit 1991<br />
1.499 Teilnehmer<br />
1<br />
7 7 2<br />
Teilnehmer<br />
und Medaillen (<strong>1961</strong>–2010)<br />
Für den 24. <strong>Bund</strong>esentscheid, der für 2013 ausgelobt<br />
worden ist, sind die Wertungsbereiche:<br />
ó Leitbild und Entwicklungskonzepte,<br />
ó Wirtschaftliche Entwicklung und Initiative,<br />
ó Soziale und kulturelle Aktivitäten,<br />
ó Baugestaltung und -entwicklung,<br />
ó Grüngestaltung und -entwicklung,<br />
ó Das <strong>Dorf</strong> in der Landschaft<br />
vorgegeben. Damit erlangt die konzeptionelle Komponente,<br />
d. h. die Vorstellungen der <strong>Dorf</strong>bewohner<br />
für eine nachhaltige <strong>Zukunft</strong>sgestaltung und deren<br />
Realisierung, ein größeres Gewicht.<br />
Bewertet wird auch der Gesamteindruck, den die<br />
Jury bei ihren Bereisungen unter Berücksichtigung<br />
der individuellen wirtschaftlichen, ökologischen<br />
und sozialen Ausgangsbedingungen erhält.
Für die Besetzung der Jury, die für 2013 berufen<br />
wird, ist ein höherer Anteil von Frauen und<br />
Jugendlichen wünschenswert. Allerdings <strong>hat</strong> sich<br />
das BMELV gemeinsam mit den Ländern und<br />
Verbänden entschieden, das Kriterium für die<br />
teilnahmeberechtigten Dörfer nicht zu erhöhen:<br />
Im 24. <strong>Bund</strong>eswettbewerb sind, wie bisher räumlich<br />
geschlossene Gemeinden oder Gemeindeteile<br />
mit überwiegend dörflichem Charakter mit bis zu<br />
3.000 Einwohnern teilnahmeberechtigt.<br />
Chancen und Stärken der Dörfer<br />
herausstellen<br />
Der Wettbewerb ist eine Erfolgsgeschichte und<br />
das Ziel sollte auch künftig sein, die Akteure zu<br />
motivieren, weit über eine Verschönerung des<br />
Ortsbildes hinaus Perspektiven für ihr <strong>Dorf</strong> zu entwickeln<br />
und umzusetzen. Gleichwohl stellt sich die<br />
Frage, ob der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> in seiner heutigen<br />
Ausprägung noch zeitgemäß ist. Zu hinterfragen<br />
ist, inwieweit sich die Wettbewerbsschwerpunkte<br />
weiter verlagern und ob die Bewertungskriterien<br />
richtig gewichtet sind? Gibt es genügend Unterstützung<br />
durch die Verbände und Verwaltungen<br />
für die Akteure vor Ort? Sind zusätzliche Anreize<br />
für die Teilnahme am <strong>Bund</strong>eswettbewerb sinnvoll?<br />
Ist die Zusammensetzung der Jury und die Art der<br />
Bereisung der teilnehmenden Dörfer zu ändern?<br />
Diese und andere Fragestellungen sollen durch<br />
eine Evaluierung beantwortet werden, verbunden<br />
mit entsprechenden Schlussfolgerungen für die<br />
Weiterentwicklung des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s.<br />
Auch in <strong>Zukunft</strong> soll der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> eine gemeinsame<br />
Plattform für bürgerschaftlich motiviertes<br />
Engagement sein, nicht zuletzt um die Anerkennung<br />
der freiwilligen Leistungen zu würdigen.<br />
Nur wenn es gelingt, die Chancen bzw. Stärken für<br />
das <strong>Dorf</strong> im Dialog auszuloten und die Umsetzung<br />
der Ideen in die eigenen Hände zu nehmen, wird<br />
die <strong>Dorf</strong>entwicklung vorankommen. Dabei stehen<br />
die Wirtschaftspotentiale, die Infrastruktur und<br />
das soziale Umfeld im Mittelpunkt. Denn die Erreichbarkeit<br />
von Arbeitsplätzen, Kindergärten und<br />
Schulen sowie das Angebot für Kultur und Freizeit<br />
ist bereits heute wichtig für die Lebensqualität auf<br />
dem Lande.<br />
Dörfliche Vielfalt ist Grundlage<br />
für Lebensqualität und Heimatempfinden<br />
Das <strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz wird auch künftig<br />
gemeinsam mit den Ländern und Verbänden den<br />
Wettbewerb durchführen und an die sich verändernden<br />
Rahmenbedingungen anpassen. Damit<br />
leistet er einen Beitrag, freiwilliges Engagement zu<br />
stimulieren, d. h. zugleich Anreiz und Ermutigung<br />
für alle <strong>Dorf</strong>bewohner, die schon aktiv sind oder es<br />
noch werden wollen, ihre Erfahrungen, Kreativität,<br />
Innovationskraft und Zeit für ihre Heimat einzubringen.<br />
Das stärkt das soziale Miteinander und<br />
bringt zusätzliche Lebensqualität in den ländlichen<br />
Räumen. Wichtig ist, dass die <strong>Dorf</strong>bewohner gern<br />
in ihrer Heimatgemeinde leben, um sie attraktiver<br />
zu gestalten. Attraktiv ist die Region, wenn das<br />
gesellschaftliche Leben pulsiert und die Menschen<br />
sich einbringen können. Je reichhaltiger dieses<br />
Leben und je mehr die Menschen darin verankert<br />
sind, umso wohler fühlen sie sich auf dem Lande.<br />
Dr. Ulrich Neubauer,<br />
Referatsleiter „Entwicklung ländlicher Räume“, <strong>Bund</strong>esministerium<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und<br />
Verbraucherschutz, Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin<br />
Monique Kluge,<br />
Referat „Entwicklung ländlicher Räume“, <strong>Bund</strong>esministerium<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,<br />
Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin<br />
<strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> und<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung haben<br />
gemeinsame Vorfahren<br />
Gott sei Dank „leisten“ wir uns in Zeiten von<br />
ökonomisch dominierten <strong>Zukunft</strong>sgutachten und<br />
Ländlicher Raum-Diskussionen noch Initiativen,<br />
wo es um „soziale Geborgenheit und Vertrautheit,<br />
Heimatgefühl, um Gemeinsinn oder Schönheit<br />
von Natur und Landschaften“ geht. Weltvergessene<br />
Idealisten oder Traumtänzer mit Rückgriff auf<br />
fürstliches Mäzenatentum à la Pückler-Muskau<br />
oder Franz von Anhalt-Dessau? Nein, die Rede ist<br />
vom <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“,<br />
dessen Entstehung tatsächlich einer noblen Gesinnung<br />
und Haltung zu verdanken ist. Es ging, wie<br />
den Schöpfern der Landesverschönerung Mitte des<br />
19ten Jahrhunderts um Schönheit, um Harmonie<br />
von Funktion und Form. Diese grundrichtige Idee<br />
wurde im Zuge des Wettbewerbs vielfach missverstanden,<br />
weshalb auch der „Blumenschmuckwettbewerb“<br />
diskreditiert und verächtlich gemacht<br />
worden ist.<br />
10
Die örtlichen Vereine entwicklen Ideen und Konzepte<br />
sowohl in der förmlichen <strong>Dorf</strong>erneuerung,<br />
wie auch für den <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>.<br />
Aber alle Kritik konnte dem populären Wettbewerb<br />
nichts anhaben, zu beliebt war er auf dem Lande,<br />
zu stark verankert bei den örtlichen Obst- und<br />
Gartenbauvereinen. Gerade diese wichtigen Träger<br />
ländlicher Kultur <strong>hat</strong>ten allerdings schwer zu<br />
schlucken, als mit der „amtlichen“ <strong>Dorf</strong>erneuerung<br />
ein übermächtiger Konkurrent mit viel Geld und<br />
Professionalität am Horizont auftauchte. Neid und<br />
Konkurrenzgefühle waren die Folge, die beiden<br />
Seiten schwer zusetzten, neu angefacht Anfang der<br />
90er <strong>Jahre</strong> nach der deutschen Wiedervereinigung.<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung und <strong>Dorf</strong>verschönerung<br />
– ein Widerspruch?<br />
Der Kritik über „Blumenschmuckorgien“ und zu<br />
wenig strategische Ausrichtung und professionelles<br />
Niveau einerseits stand der Vorwurf gegenüber, die<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung habe mit ihrem vielen Geld und<br />
mehr staatlichen als privaten Initiativen und Planungen<br />
allzu leichtes Spiel. Dieser Vorwurf wurde<br />
noch verschärft durch die Ergebnisse des Wettbewerbs,<br />
bei dem immer mehr staatlich geförderte<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungen die Medaillenplätze abräumten.<br />
Vom Ausschluss der <strong>Dorf</strong>erneuerungs-Dörfer war<br />
plötzlich die Rede, von unterschiedlichen Kontingenten<br />
und Klassen, die man schaffen sollte etc.,<br />
bis die Vernunft siegte und sich beide Seiten auf<br />
Einladung der Präsidentin der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V., Gräfin Sonja Bernadotte<br />
auf Schloss Mainau trafen.<br />
Heute ist das Geschichte. Es kam wie es kommen<br />
musste: Der Wettbewerb wurde fortgeschrieben<br />
und umbenannt, behielt aber seine Identität stiftenden<br />
Grundmerkmale bürgerschaftlichen und<br />
viel auf Vereinsarbeit abgestützten Engagements.<br />
11<br />
Die <strong>Dorf</strong>erneuerung nahm eine positive Haltung<br />
zum Wettbewerb ein und betrachtete ihn fortan<br />
als willkommene Ergänzung, ja noch besser, als<br />
motivatorische Vorstufe für den ganzheitlichen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungsprozess.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> ist aktive<br />
Bürgerbeteiligung<br />
Vor diesem Hintergrund, insbesondere vor der<br />
anstehenden Aufgabenteilung zwischen Staat,<br />
Kommunen, Wirtschaft und Bürgern kann der<br />
Wettbewerb wichtige, ja zentrale Beiträge im Sinne<br />
einer Bewegung von unten nach oben auf breitester<br />
Basis leisten:<br />
1. Förderung von zukunftsfähigen, gemeinsam<br />
getragenen Leitbildern,<br />
2. Förderung der Gemeinschaften und des sozialen<br />
Kitts gerade in Dörfern mit Segregationserscheinungen,<br />
3. Stärkung von Engagement, Einbindung sowie<br />
Nutzung des Potentials der älteren Generation<br />
für die ländliche Gesellschaft,<br />
4. Förderung nachhaltigen Denkens und Handelns<br />
sowie vor allem eigenbestimmter Selbstverantwortung,<br />
5. Förderung vielfältiger lokaler und regionaler<br />
Initiativen, wie z. B. auf dem Gebiet erneuerbarer<br />
Energien,<br />
6. Förderung von interkommunalen und regionalen<br />
Zusammenschlüssen,<br />
7. Förderung von nachhaltigem, d. h. flächensparendem<br />
Flächenmanagement, wozu eine behutsame<br />
Innenentwicklung und die Umnutzung von<br />
Gebäuden anstelle des zu schnellen Konsums<br />
unbebauter Flächen gehören.<br />
Viele dieser Maßnahmen können ohne viel Geld,<br />
ohne große staatliche Schützenhilfe erfolgen.<br />
Wichtig sind Freiwilligkeit und Gemeinschaft im<br />
Denken und Handeln. Im Sinne der uralten ländlichen<br />
Weisheit „Schuster bleib bei deinem Leisten“<br />
sollten beide Verwandte, der Wettbewerb und die<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung, sich ihrer jeweiligen Stärken voll<br />
bewusst sein und noch mehr als bisher zusammenfinden,<br />
um dem ländlichen Raum durch lokale<br />
Initiativen Stärke und Vitalität zu geben und damit<br />
<strong>Zukunft</strong> zu eröffnen.<br />
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel,<br />
TU München, Lehrstuhl für Bodenordnung und Landentwicklung,<br />
Arcisstraße 21, 80333 München
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
12
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
Lange Tradition <strong>hat</strong>te die <strong>Dorf</strong>verschönerung bevor der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll<br />
schöner werden“ ins Leben gerufen wurde. Musterdörfer und Wettbewerbe für Städte<br />
und Dörfer gab es in allen Teilen Deutschlands.<br />
<strong>Dorf</strong>verschönerung vor <strong>1961</strong><br />
Bereits in den <strong>Jahre</strong>n vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
wurde der Versuch unternommen, Musterdörfer<br />
zu finden. Diese Aktion war durch die Nationalsozialistische-Ideologie<br />
bestimmt. So fand ab 1937 in<br />
München-Oberbayern der Wettbewerb „Schönheit in<br />
Stadt und Land“ statt.<br />
Verlar (Kreis Paderborn) in den 30er <strong>Jahre</strong>n: Die<br />
Lippstädter Straße war noch unbefestigt, die<br />
hygienischen und sozialen Bedingungen im <strong>Dorf</strong><br />
waren schwierig.<br />
Er zielte auf vier Kernbereiche:<br />
1. Landschaft und eine möglichst gute Integration<br />
des Ortes in die Umgebung.<br />
2. Sauberkeit, besonders in allen öffentlichen und<br />
privaten Gebäuden und Anlagen.<br />
3. Gemeinschaftsanlagen, wie Friedhöfe, Gaststätten<br />
und vor allem lokale Ortsgruppenhäuser mussten<br />
mit besonderer Sorgfalt errichtet und gepflegt<br />
werden.<br />
4. „Pflege des Erbgutes“ im Sinne der vorherrschenden<br />
Nationalsozialistischen Ideologie, aber auch<br />
Erhaltung der regional typischen figurativen<br />
Elemente, besonders Häuserfassaden, Plastiken<br />
oder Laden schilder.<br />
In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg<br />
<strong>hat</strong>ten einige Kreisverwaltungen die Probleme der<br />
Dörfer und ländlichen Regionen erkannt. Dem<br />
Drang der Menschen, in der Nachkriegszeit Missstände<br />
zu beseitigen und dem Harmoniebedürfnis<br />
zu entsprechen, wurde mit neuen Wettbewerben<br />
entsprochen.<br />
ó In Schleswig-Holstein startete der Kreis Herzogtum<br />
Lauenburg 1952 mit dem Wettbewerb<br />
„Schönheit des <strong>Dorf</strong>es“, 1957 folgte der Kreis<br />
Schleswig-Flensburg mit dem Wettbewerb „Das<br />
schöne <strong>Dorf</strong>“ und 1959 der Kreis Eckernförde.<br />
ó In Hessen führte der Lahn-Dill Kreis erstmals<br />
1955 den Kreiswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden“ durch. Das Land Hessen veranstaltete<br />
ab 1958 Landeswettbewerbe.<br />
ó Auch in Bayern wurden bereits <strong>1961</strong> in mehreren<br />
Kreisen Anwesens- und Ortsverschönerungswettbewerbe<br />
veranstaltet.<br />
Sebastian Strube,<br />
Gartenstraße 3, 80809 München<br />
Lutz Wetzlar,<br />
Tulpenstiege 3, 48341 Altenberge<br />
14
<strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> in<br />
der ehemaligen DDR<br />
„Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach<br />
mit!“ war das offizielle Signet des Bürgerengagement<br />
in der DDR. Staatlich gelenkt und in den<br />
Volkswirtschaftsplan integriert war dieses Engagement<br />
ein Instrument zur Inanspruchnahme der<br />
Bürger und Bürgerinnen und wurde in Form eines<br />
sozialistischen Wettbewerbs geführt, mit dem Ziel<br />
der Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität.<br />
Die Bürger wurden so angehalten, in ihrer Freizeit<br />
und an Wochenenden unentgeltliche Arbeitsleistungen<br />
(Subbotnik) vor allem bei der Verschönerung<br />
des Wohnumfelds zu erbringen.<br />
Die Organisation des sozialistischen<br />
Wettbewerbs<br />
Trägerin dieser Initiative war die Nationale Front<br />
(NF), der Zusammenschluss aller politischen Parteien<br />
und Massenorganisationen der DDR. Die NF<br />
kannte keine persönliche Mitgliedschaft, verfügte<br />
aber über ein sehr differenziertes Organisationsnetz.<br />
Auf jeder dieser Ebenen nahmen Bürger und<br />
Bürgerinnen, zumeist ehrenamtlich Funktionen<br />
wahr. Dem Nationalrat oblag es, eine langfristige<br />
Planung für die Mach-mit-Bewegung zu erarbeiten,<br />
die mittelfristig von den Untergliederungen aufgeschlüsselt<br />
wurde und an der Basis kurzfristig und<br />
konkret umzusetzen war.<br />
Aufgabenfelder der Mach-mit-Initiative<br />
ó Bei allen Veröffentlichungen zum Bürgerengagement<br />
standen Leistungen für die Lösung<br />
der Wohnungsfrage als soziales Problem im<br />
Vordergrund. Es ging immer um freiwillige<br />
Arbeitseinsätze in der Freizeit bei allen Machmit-Projekten.<br />
ó Junge Menschen, die einen eigenen Hausstand<br />
gründen wollten, konnten die Wartezeit auf<br />
eine Wohnung durch den Ausbau einer Altbauwohnung<br />
abkürzen. Dies wurde als Beitrag zur<br />
Mach-mit-Initiative gewertet.<br />
ó Die Gestaltung und Pflege der Wohnumwelt<br />
gehörte ebenfalls zum Mach-mit-Bereich. Hierbei<br />
ging es u. a. um Höfe und Vorgärten, um Spielplätze<br />
und Freiflächen, um Parks und Denkmalanlagen<br />
bis zur Erneuerung und Gestaltung von<br />
Straßen und Plätzen.<br />
15<br />
ó Die Sammlung von Sekundärrohstoffen galt als<br />
volkswirtschaftlich höchst wichtige Mach-mit-<br />
Initiative. Die rohstoffarme DDR war auf Schrott,<br />
Altpapier, Alttextilien und Gläser dringend<br />
angewiesen.<br />
Mit diesen Beispielen sind die wichtigsten Aufgabenfelder<br />
umrissen. Nach örtlichen Gegebenheiten<br />
konnten auch andere Projekte einbezogen werden,<br />
so das Anlegen und die Pflege eines Fischteichs,<br />
Regulierung eines kleinen Wasserlaufs, Bau eines<br />
Gemeinschaftshauses für einen Verein.<br />
Engagement und politische Wertung<br />
Die Mach-mit-Initiative bot den Bürgern und<br />
Bürgerinnen in der DDR nicht die Möglichkeit des<br />
spontanen Reagierens. Partei und Staat erwarteten<br />
zwar Engagement, das aber sollte in vorgegebenen<br />
Bahnen ablaufen. Damit blieb für Proteste<br />
gegen staatliche Politik kein Raum, allenfalls die<br />
Befriedigung dringender Bürgerbedürfnisse konnte<br />
eingefordert werden.<br />
Allerdings musste der Bürger damit rechnen, dass<br />
er selbst in Anspruch genommen wurde, dass er<br />
Freizeit und Arbeitskraft zu investieren <strong>hat</strong>te. Mancher<br />
Bürger war zum Engagement bereit, weil anders<br />
Ärgernisse nicht zu beheben waren. Er konnte<br />
auch nicht verhindern, dass seine Bereitschaft als<br />
Beweis für politische und weltanschauliche Übereinstimmung<br />
mit der Führung gewertet wurde. Es<br />
gehörte zum Charakter dieser Bürgerinitiativen,<br />
dass für erbrachtes Engagement Auszeichnungen,<br />
Ehrentitel und Prämien vergeben wurden. Damit<br />
reihte sich auch die Mach-mit-Initiative in das<br />
Gesamtsystem gesellschaftlicher Organisiertheiten<br />
ein: Arbeitskollektiv, Massenorganisation, Hausgemeinschaft<br />
oder Kleingärtnerverband.<br />
Uwe Briese,<br />
Kleiststraße 55, 16552 Schildow
Die Grüne Charta von der Mainau<br />
Die Initiative zu einer „Grünen Charta“ ging von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V. (DGG) mit ihrem Präsidenten, Graf Lennart Bernadotte, aus. Die „Grüne Charta<br />
von der Mainau“ war Aufbruch in eine neue Zeit nach dem Krieg mit der Hoffnung auf ein<br />
besseres Leben auf dem Land. Sie war aber auch ein Instrument der Integration, mit der<br />
eine Brücke von der ideologischen Verklärung von Landschaft und <strong>Dorf</strong> als Volksraum zu<br />
sachlich-funktionaler Kulturlandschaft bäuerlicher Prägung der modernen Zeit gebaut<br />
werden konnte.<br />
Vom germanischen Landschaftsraum<br />
zu bäuerlicher<br />
Kulturlandschaft<br />
Idee und Zielsetzung der Grünen<br />
Charta von der Mainau<br />
Zum 5. Mainauer Rundgespräch <strong>hat</strong>ten Graf<br />
Lennart Bernadotte und die DGG am 20. April<br />
<strong>1961</strong> auf die Insel Mainau eingeladen, um über die<br />
<strong>Zukunft</strong> des ländlichen Raumes zu diskutieren. Die<br />
herausgehobene Stellung von Graf Bernadotte und<br />
seine Fähigkeit, die unterschiedlichsten Menschen<br />
zusammenzubringen, ließen dieses Mal neben Parlamentariern,<br />
Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftler<br />
selbst den <strong>Bund</strong>espräsidenten anreisen.<br />
Heinrich Lübke übernahm die Aufgabe die „Grüne<br />
Charta von der Mainau“ offiziell vorzustellen. Diese<br />
Charta galt den Anwesenden als wichtigste programmatische<br />
Grundlage für die Neuordnung des ländlichen<br />
Raumes. Damit war sie auch Grundlage für den<br />
Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“. In der<br />
Charta waren die wesentlichen Grundideen zusammengefasst,<br />
die den Wettbewerb in den 1960er und<br />
70er <strong>Jahre</strong>n bestimmten. Zudem war sie einer der<br />
wichtigsten Meilensteine bei der Entwicklung von<br />
einem stark ideologisierten und völkisch begründeten<br />
Landschaft- und Heimatschutz hin zu einem<br />
modernen, am Menschen orientierten Naturschutz<br />
auf ökologisch-wissenschaftlicher Basis.<br />
Die Charta war von einer Kommission unter Vorsitz<br />
von Graf Lennart Bernadotte erarbeitet worden.<br />
Hier fanden sich die wichtigsten Landschaftsgestalter<br />
fast aller Lehrstühle zusammen, die sich in<br />
Westdeutschland der 19<strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong> mit dem Thema<br />
Landschaftsschutz beschäftigten. Führende Köpfe<br />
waren die Professoren Werner Lendholt, Hermann<br />
Mattern, Gustav Allinger, Alwin Seifert und auch<br />
Heinrich Wiepking. Sie alle wirkten in der Zeit<br />
zwischen 1933 und 1945 in führenden Positionen<br />
in nationalsozialistischen Landschaftspflege- und<br />
Naturschutzprojekten z. B. Wartegau/Polen, Reichsautobahn,<br />
Generalplan Ost mit.<br />
Vom Generalplan Ost zur<br />
Raumordnung<br />
Dass die Grüne Charta trotz dieser historischen<br />
Belastung zu einem zentralen Dokument des modernen<br />
Umweltschutzgedankens werden und somit<br />
auch grundlegend für den <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> konnte,<br />
<strong>hat</strong>te vor allem zwei Gründe:<br />
ó zum ersten die Abwendung vom volksräumlichen<br />
Denken und<br />
ó zum zweiten der pragmatische und problembezogene<br />
Zugang zu Fragen der Umweltzerstörung<br />
und der Neuordnung des ländlichen<br />
Raumes.<br />
So begriff etwa Heinrich Wiepking den ländlichen<br />
Raum vor allen Dingen als Volksraum. Im Rahmen<br />
seiner Tätigkeit für den Generalplan Ost, also die<br />
geplante deutsche Besiedelung des annektierten<br />
und entvölkerten Russlands schrieb er 1941, dass<br />
„Landschaftsräume […] eine deutsch-germanischer<br />
Wesensart entsprechende Gesamtgestaltung erhalten“<br />
müssten.<br />
Die „deutsch-germanische Wesensart“ zum Leitgedanken<br />
einer Raumordnung der <strong>Bund</strong>esrepublik<br />
zu machen, war allerdings nicht möglich. Stattdessen<br />
löste man sich in den 19<strong>50</strong>er <strong>Jahre</strong>n aus<br />
16
dem völkischen Kontext und begann, verstärkt von<br />
einer „bäuerlichen Volkskultur“ zu sprechen, die<br />
der Träger der ländlichen Entwicklung sein sollte.<br />
Eine neue Generation von Landschaftsgestaltern,<br />
wie etwa Gerhard Olschowy, 1964 bis 1978 Direktor<br />
des <strong>Bund</strong>esamtes für Naturschutz und Mitglied<br />
der <strong>Bund</strong>esbewertungskommission, verstand es,<br />
den Begriff „innovativ“ zu nutzen. Die Bedeutung<br />
der „bäuerlichen Volkskultur“ leitete sich für Olschowy,<br />
der bei Wiepking in Berlin studiert <strong>hat</strong>te,<br />
nicht aus ihrem nationalen oder gar völkischen<br />
Charakter ab, sondern aus dem ressourcenschonenden<br />
Umgang der bäuerlichen Landwirtschaft mit<br />
ihrer Umwelt. Die Kulturlandschaft und das darin<br />
beheimatete <strong>Dorf</strong> zeichneten sich dadurch aus,<br />
dass sich in ihr Umwelt und menschliche Bedürfnisse<br />
nach Wohn- und Wirtschaftsraum in einem<br />
harmonischen Verhältnis befanden.<br />
Beteiligung der lokalen Bevölkerung<br />
Dies war der Grund, aus dem es in den Augen<br />
Olschowys und anderer galt, den bäuerlichen<br />
Kulturraum zu schützen und zu bewahren. Deshalb<br />
wurde im ersten <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> <strong>1961</strong> auch großer<br />
Wert auf die Bewahrung bäuerlicher Hofstellen<br />
und bäuerlicher Kulturlandschaft gelegt. Zudem<br />
ist hier von Anfang an ein zweiter wesentlicher<br />
Moment des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>es verankert: die Beteiligung<br />
der lokalen Bevölkerung. Indem gerade die<br />
traditionellen Praktiken bäuerlichen Wirtschaftens<br />
betont wurden, waren es die ortsansässigen Bauern,<br />
die über die Erfahrung verfügten, ihre Dörfer<br />
zu bewirtschaften und zu gestalten. Gerade im<br />
ersten <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> verfügte dieser bewahrende<br />
Moment über eine noch deutlich stärkere Ausprägung,<br />
als der Anspruch zu modernisieren.<br />
17<br />
Schutz der Natur um der Menschen<br />
Willen<br />
Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass der ländliche<br />
Raum auch einen Wirtschafts- und Wohnraum<br />
darstellt, der sich entwickelt und verändert.<br />
Von Anfang an war der Wettbewerb auch darauf<br />
ausgelegt, Entwicklungen zu ermöglichen, dabei<br />
aber negative Folgen zu vermeiden. Auch für die<br />
Grüne Charta ist das Bemühen um einen Ausgleich<br />
zwischen Forderungen nach einer Weiterentwicklung<br />
des ländlichen Raumes und dem Schutz der<br />
Umwelt sowie der natürlichen Ressourcen grundlegend.<br />
Sie will eben nicht den Schutz der Natur nur<br />
um ihrer selbst Willen, sondern um den Bewohnern<br />
der Dörfer die Grundlage für eine nachhaltige<br />
und gesunde Entwicklung zu bewahren.<br />
Im Laufe der 1960er <strong>Jahre</strong> verlor die Idee, die<br />
bäuerliche Landwirtschaft zum Träger einer<br />
nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raumes<br />
zu machen, aufgrund demografischer und volkswirtschaftlicher<br />
Entwicklungen immer weiter an<br />
Bedeutung. Die bäuerliche Landwirtschaft war in<br />
den meisten Dörfern nicht mehr präsent genug,<br />
um hier Träger der gesellschaftlichen Entwicklung<br />
zu sein. So wandte sich auch der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
zunehmend modernen Planungsmethoden zu, wie<br />
sie ebenfalls in der Charta eingefordert wurden.<br />
Grüne Charta und <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
So weit wäre es allerdings ohne Graf Lennart Bernadotte<br />
wahrscheinlich nicht gekommen. Er war<br />
es, der die vielen Persönlichkeiten, die am Wettbewerb<br />
und an der Charta arbeiteten, zusammenbrachte.<br />
Er verstand es, den damaligen <strong>Bund</strong>espräsidenten<br />
Heinrich Lübke davon zu überzeugen,<br />
die Schirmherrschaft über den ersten Wettbewerb<br />
zu übernehmen. Es war das glückliche Zusammenwirken<br />
der Persönlichkeit von Graf Lennart Bernadotte,<br />
der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822<br />
e.V. als tragende Institution und nicht zuletzt der<br />
genius loci der Insel Mainau die es ermöglichten,<br />
dass aus einer Idee ein Wettbewerb wurde, der den<br />
ländlichen Raum der <strong>Bund</strong>esrepublik nachhaltig<br />
bis heute prägt.<br />
Sebastian Strube,<br />
Gartenstraße 3, 80809 München<br />
Graf Lennart Bernadotte, Präsident der Deutschen<br />
Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden<br />
Die Situation auf dem Land und in den Dörfern in den 19<strong>50</strong>er und 1960er <strong>Jahre</strong>n war<br />
geprägt von einem hohen Anteil Landwirtschaft und regionaler Selbstversorgung einschließlich<br />
ländlichem Handwerk und kleinen Lebensmittelgeschäften, mangelhaftem<br />
Straßennetz und beschränkter Mobilität. Viele Dörfer waren autark und selbständige<br />
kommunale Einheiten, Schulen und Kirchen gehörten selbstverständlich dazu.<br />
Die ersten <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>e jener Zeit öffneten neue Wege zu modernen attraktiveren<br />
Dörfern, zu mehr Lebensqualität und gleichwertigen Lebensverhältnissen.<br />
Wie sah das Leben auf dem<br />
Land damals aus?<br />
Um die Zielsetzungen des Wettbewerbs und die<br />
Beweggründe für dessen Einführung zu verstehen,<br />
muss man sich die damalige Situation vor Augen<br />
führen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges haben<br />
sich direkt oder indirekt noch immer ausgewirkt,<br />
etwa im Hinblick auf den Renovierungsstau bei<br />
Gebäuden oder die dramatischen Einschnitte in<br />
den Familien. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar,<br />
dass der Wettbewerb die Umgebung<br />
der Menschen verschönern wollte. Sie sollten sich<br />
an ihrer Heimat erfreuen, um sich noch stärker mit<br />
ihr identifizieren zu können. Zugleich war es eine<br />
Zeit des Umbruchs, die auch von der großpolitischen<br />
Lage beeinflusst wurde. Der Bau der Berliner<br />
Mauer verursachte zu Beginn der 60er <strong>Jahre</strong> Angst<br />
und Stagnation. Dieser folgte aber bald der Aufschwung,<br />
angeschoben durch die Unterstützung<br />
der USA.<br />
Die Dörfer Baden-Württembergs waren in erster<br />
Linie von der Landwirtschaft geprägt. Sie war in<br />
der Regel noch die wichtigste Einnahmequelle und<br />
beeinflusste sowohl die Infrastruktur als auch die<br />
Bausubstanz der Dörfer. Einrichtungen wie das<br />
Milchhäusle (die Milchannahmestelle) oder der<br />
Farrenstall (Gebäude zur gemeindeeigenen Vatertierhaltung)<br />
stellten wichtige Bestandteile der<br />
örtlichen Infrastruktur dar. Voraussetzung für die<br />
Großfamilie bei der Hausschlachtung<br />
landwirtschaftliche Produktion waren Scheunen<br />
und Ställe, die das Ortsbild geprägt haben und<br />
heute in der Regel anderweitig genutzt werden.<br />
Die Mechanisierungswelle rollte gerade voll an.<br />
Getreide wurde zwar zum Teil bereits mit dem<br />
Mähdrescher oder dem Bindemäher geerntet,<br />
Schlepper setzten bis dato jedoch nur die größeren<br />
Betriebe ein. In den kleinstrukturierten Familienbetrieben<br />
wurden meist Ochsen oder Pferde für die<br />
Transport- und Feldarbeiten genutzt. Man benötigte<br />
sozusagen jede Hand, einschließlich die der<br />
18
Frauen, älterer Menschen und ab einem gewissen<br />
Alter auch der Kinder. „Urlaub“ war geradezu ein<br />
Fremdwort. Dies spiegelt sich unter anderem in der<br />
Zahl der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft<br />
wider. Diese lag in Baden-Württemberg im<br />
Jahr <strong>1961</strong> bei ca. 16 %. Heute dagegen sind zwischen<br />
1 und 2 % aller Erwerbstätigen in der<br />
Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Der Handwerksbetrieb,<br />
meist mit Nebenerwerbslandwirtschaft,<br />
wie etwa der Schreiner, der Schuhmacher<br />
oder der Flaschner gehörten selbstverständlich<br />
zum <strong>Dorf</strong>bild.<br />
Landflucht<br />
Der industrielle Aufschwung <strong>hat</strong>te aber auch die<br />
Abwanderung junger Menschen in nichtlandwirtschaftliche<br />
Berufe und in gewissem Umfang eine<br />
damit verbundene Landflucht zur Folge. Wurden<br />
junge Frauen in der Vergangenheit zu Hause in der<br />
Landwirtschaft benötigt, so war es mehr und mehr<br />
üblich, eine Ausbildung beispielsweise als Sekretärin,<br />
Verkäuferin oder Friseurin zu absolvieren.<br />
Andere betätigten sich als angelernte Arbeitskräfte<br />
in Fabriken.<br />
Getreideernte in Handarbeit<br />
19<br />
Die Grundversorgung war den damaligen Gegebenheiten<br />
angepasst. Auch kleine Gemeinden mit nur<br />
wenigen Hundert Einwohnern <strong>hat</strong>ten einen oder<br />
mehrere „Tante-Emma-Läden“ und zumindest ein<br />
bis zwei Gastwirtschaften. Das Angebot wurde ergänzt<br />
durch fahrende Händler, den Einkauf in der<br />
nächst gelegenen Stadt oder auf dem Jahrmarkt.<br />
Die Raiffeisengenossenschaft mit angeschlossener<br />
Bank und der Landhandel zählten ebenso dazu. Darüber<br />
hinaus <strong>hat</strong>te die Selbstversorgung mit Obst<br />
und Gemüse aus eigenem Anbau oder mit Produkten<br />
aus der Landwirtschaft große Bedeutung. Mit<br />
der Hausschlachtung war der Fleisch- und Wurstbedarf<br />
größtenteils gedeckt. Brot wurde in der<br />
Regel im Gemeinschaftsbackhaus selbst gebacken.<br />
Auf den Tisch kam, was die Saison bot. Und für<br />
den Winter wurde mit traditionellen Konservierungstechniken<br />
wie das Einmachen von Kraut oder<br />
Bohnen mit Salz, das Räuchern von Wurst und<br />
Fleisch oder durch Einwecken vorgesorgt. Mancherorts<br />
gab es bereits Gemeinschafts-Gefrieranlagen.<br />
Mit der medizinischen Versorgung war es dagegen<br />
meist schlecht bestellt. Ärzte und Apotheken ließen<br />
sich nur in der Stadt oder in größeren Gemeinden<br />
nieder.
Große Familien unter einem Dach<br />
Ein großes Plus der damaligen Zeit war das selbstverständliche<br />
Miteinander der Generationen. Natürlich<br />
barg das Zusammenleben von Großeltern,<br />
Eltern und Kindern auch Konfliktstoff. Andererseits<br />
war aber das „Betreute Wohnen“ älterer Familienmitglieder<br />
gesichert. Sie arbeiteten im Haus und<br />
auf dem Hof nach ihren Kräften mit, bekamen jedoch<br />
bei Bedarf die Hilfestellung, die sie brauchten.<br />
Auch Kinder <strong>hat</strong>ten immer einen Ansprechpartner.<br />
Durch den Geburtenüberschuss <strong>hat</strong>te die Alterspyramide<br />
noch die Form eines Tannenbaumes.<br />
In vielen Häusern lebten die unverheirateten<br />
Geschwister des Bauern mit, die wichtige Arbeitskräfte<br />
darstellten.<br />
Da die meisten Familien unter einem sogenannten<br />
Hausnamen bekannt waren, <strong>hat</strong>ten Nachnamen<br />
in der <strong>Dorf</strong>gemeinschaft nur nachrangige Bedeutung.<br />
So konnte etwa die Urenkelin aus dem Haus<br />
des schon lange verstorbenen Bäckers immer noch<br />
„Becka Klara“ heißen. Die Geschicke des <strong>Dorf</strong>es<br />
wurden von den Honoratioren (Schultheiß bzw.<br />
Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer) sowie dem<br />
Gemeinderat gelenkt. Die Stellung des Einzelnen<br />
im <strong>Dorf</strong>gefüge war unter anderem vom Besitz der<br />
Familie sowie von deren Bedeutung abhängig.<br />
Auch das Sozialgefüge befand sich im Umbruch,<br />
insbesondere durch den Zuzug von Flüchtlingen<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Die Kinder gingen auf die Volksschule z. T. in jahrgangsübergreifende<br />
Klassen. Nur wenigen war der<br />
Besuch des Gymnasiums vorbehalten. Allerdings<br />
konnte aber jeder schon eine Ausbildung machen.<br />
Die Frauen bekamen die Kinder mit Anfang 20.<br />
Die meisten <strong>Dorf</strong>bewohner waren in die örtlichen<br />
Vereine eingebunden. Große <strong>Dorf</strong>feste waren die<br />
Höhepunkte im Jahr.<br />
Aufwärts mit neuen Straßen,<br />
Kanälen und Wasserleitungen<br />
Langsam setzte sich die Verbesserung der Infrastruktur<br />
mit einer Abwasserbeseitigung über das<br />
Kanalnetz und eine zentrale Wasserversorgung<br />
durch. Der <strong>Dorf</strong>bach wurde vielfach kanalisiert, um<br />
als Vorfluter für ungereinigte Abwässer zu dienen.<br />
Man heizte mit Holz und Kohle. Der Ölofen wurde<br />
erst in den 1960er <strong>Jahre</strong>n eingeführt.<br />
Nach dem Motorroller brachte das Auto in den<br />
1960ern eine zunehmende Mobilität. Die Dampflok<br />
und später die elektrische Eisenbahn brachten die<br />
Arbeiter zu den Fabriken.<br />
Die Gebäude waren noch schlecht isoliert und<br />
wurden mit Vorfenstern im Winter abgedichtet. Es<br />
wurde renoviert, gebaut und aufgestockt. Die landwirtschaftlichen<br />
Betriebe siedelten aus. Flurbereinigungen<br />
machten nun eine großflächige Landwirtschaft<br />
möglich.<br />
In diese Aufbruchstimmung passte der Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“. Er lenkte den<br />
Blick nicht nur auf das Überleben, sondern auf die<br />
Schönheit und Kultur des <strong>Dorf</strong>es.<br />
Angelika Appel,<br />
Regierungspräsidium Karlsruhe, Schlossplatz 1-3,<br />
76131 Karlsruhe und<br />
Ingrid Bisinger,<br />
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz<br />
Baden-Württemberg, Kernerplatz 10,<br />
70182 Stuttgart<br />
Kinder durften überall dabei sein, sie störten<br />
selbst die schweren Erntearbeiten nicht.<br />
20
Planung und Ästhetik – das<br />
erste Jahrzehnt<br />
Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
ist seit seinem Beginn vor fünfzig <strong>Jahre</strong>n zu einer<br />
massenwirksamen Veranstaltung im ländlichen<br />
Raum geworden. Ihm haftete gelegentlich das<br />
Image einer rückwärtsgewandten ästhetisierenden<br />
Blumenschau an. Doch schon in der Frühzeit<br />
bemühten sich die Initiatoren um professionelle<br />
Strukturen, indem sie sowohl die Zielkonzeption<br />
als auch den Kreis der beteiligten Organisationsinstanzen<br />
ausweiteten. Insofern war der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
höchstens zu Beginn jener spießige „Blumenkastenwettbewerb“,<br />
als den ihn ein Teil der<br />
städtischen Öffentlichkeit wahrnehmen mochte.<br />
So fing es an – schöne Dörfer als<br />
touristische Attraktion<br />
Der im zweijährigen Turnus stattfindende <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
mobilisierte im ersten Jahrzehnt<br />
mit stark steigender Tendenz regelmäßig mehrere<br />
Millionen Menschen in tausenden westdeutschen<br />
Dörfern. Die rapide Aufwärtsentwicklung innerhalb<br />
nur eines Jahrzehnts war zunächst vor allem den<br />
touristisch geprägten Regionen fernab der Großstädte<br />
zu verdanken. So waren anfänglich nicht<br />
nur die Beteiligungsquoten in Bayern, Hessen und<br />
Rheinland-Pfalz überproportional hoch, sondern<br />
auch die Erfolge. Zahlreiche Preise gingen in diese<br />
Regionen, was nicht zuletzt mit der Unterstützung<br />
durch die jeweiligen Landesregierungen zusammenhing.<br />
In den übrigen <strong>Bund</strong>esländern stieg die<br />
Zahl der teilnehmenden Dörfer spürbar in den<br />
siebziger <strong>Jahre</strong>n.<br />
Jahr Teilnehmende Dörfer bundesweit<br />
<strong>1961</strong> 1.970<br />
1965 3.447<br />
1969 3.932<br />
1973 4.222<br />
Erstmals entstand in Hessen 1958 ein Landeswettbewerb.<br />
Möglicherweise versuchte man bereits in<br />
dieser frühen Phase, die zunehmende Bautätigkeit<br />
und den damit verbundenen Flächenverbrauch<br />
zu kanalisieren bzw. abzufedern. Immerhin war<br />
das sogenannte Wirtschaftswunder von einem<br />
wachsenden Wohnungsbau im privaten und sozialen<br />
Sektor geprägt, was auch auf den Dörfern zu<br />
spüren war.<br />
21<br />
Straßenbild aus Helsa, (Landkreis Kassel), 1968<br />
Bürgerbeteiligung und Planung<br />
Um das Image des „Blumenkastenwettbewerbs“<br />
zu überwinden, bemühten sich die Verantwortlichen<br />
von Beginn an darum, moderne Gestaltungsprinzipien<br />
einzuführen. Die sachgerechte<br />
Bepflanzung von Gärten und öffentlichen Anlagen<br />
sollte zwar weiterhin ihren Platz behalten, doch<br />
verschoben sich die Ausschreibungs- und Bewertungskriterien<br />
zusehends. So traten im Laufe der<br />
sechziger <strong>Jahre</strong> zu den rein ästhetischen Faktoren<br />
auch gesellschaftspolitische und raumplanerische<br />
Zielvorstellungen hinzu. Identität, Gemeinschaftsbildung,<br />
Erhöhung der Lebensqualität auf dem<br />
Lande – all diese Ziele verband man fortan mit<br />
dem Wettbewerb. DGG-Präsidiumsmitglied, Hans-<br />
Ulrich Schmidt, vertrat 1962 in der Zeitschrift Der<br />
Landkreis gar die Meinung, „[...] dass Ordnung und<br />
Hilfsbereitschaft in der Familie und in der <strong>Dorf</strong>gemeinde<br />
auch ein Beitrag zum Frieden der Welt<br />
sein kann“.
Parallel zur Zielausweitung beteiligten sich immer<br />
mehr Experten aus Verbänden und Verwaltung<br />
in den Jurys auf <strong>Bund</strong>es- und Länderebene. Akademisch<br />
ausgebildete Architekten, Raum- und<br />
Landschaftsplaner gewannen zusehends an Terrain<br />
und sorgten dafür, dass der Bewertungsfaktor „Planung“<br />
in Form von Flächennutzungs- und Bauleitplänen<br />
immer stärkeres Gewicht erhielt.<br />
Neuordnung des Landraumes<br />
Dadurch diente der Wettbewerb der systematischen<br />
Neuordnung des Lebensraumes mithilfe<br />
weitreichender Planungsinstrumente. So schreckten<br />
die Initiatoren auch vor einer missionarischen<br />
Haltung nicht zurück, um „Fehlentwicklungen“ in<br />
den Dörfern zu vermeiden.<br />
Mit diesem starken Vertrauen in die Planbarkeit<br />
gesellschaftlicher Prozesse bewegten sich die Beteiligten<br />
am <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> in einem allgemeinen<br />
Trend: In der <strong>Bund</strong>esrepublik gewannen Planungsexperten<br />
in den sechziger <strong>Jahre</strong>n zunehmend an<br />
Gewicht, beispielsweise in der Politikberatung,<br />
aber auch hinsichtlich volkswirtschaftlicher Steuerungsfragen.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> eröffnete ein<br />
neues Betätigungsfeld für Experten, die mit ihrem<br />
theoretischen Wissen die Handlungspraxis der<br />
Menschen auf dem Lande und deren ästhetische<br />
Leitvorstellungen zu beeinflussen suchten.<br />
Landschaftsplanung als Teilziel der<br />
Grünen Charta von der Mainau<br />
DGG-Präsident Graf Lennart Bernadotte selbst <strong>hat</strong>te<br />
Planungselementen schon <strong>1961</strong> in der „Grünen<br />
Charta von der Mainau“ grundsätzlich einen hohen<br />
Stellenwert eingeräumt und die Aufstellung von<br />
z. B. Landschaftsplänen gefordert. Die Organisatoren<br />
des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s sahen Planung als wichtigstes<br />
Instrument, um die Natur vor Übergriffen<br />
des Menschen zu schützen. Hiermit meinten sie<br />
in erster Linie die Gefahren der Zersiedelung und<br />
damit verbundene „Bausünden“.<br />
Erste Schritte zur Erhaltung der<br />
natürlichen Lebensgrundlagen<br />
Anfang der 1970er <strong>Jahre</strong> geriet der Natur- und<br />
Landschaftsschutz, wie er auch von der DGG<br />
verstanden wurde, in eine gewisse Konkurrenzsituation<br />
zur Umweltbewegung. Allerdings machte<br />
sich dies bei den Teilnehmerzahlen des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
zunächst nicht negativ bemerkbar. Die neuen<br />
Bürgerbewegungen gingen mit ihren Forderungen<br />
über die bloße Erhaltung des Lebensraumes<br />
bzw. einzelner Tier- und Pflanzenarten hinaus und<br />
stellten – nach der 1968er Bewegung entsprechend<br />
politisiert – den westlichen Lebensstil generell in<br />
Frage. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen<br />
war jedoch keineswegs erst ein Thema der<br />
späteren Ökologiebewegung der siebziger <strong>Jahre</strong>.<br />
Im Unterschied zu dieser waren die Natur- und<br />
Landschaftsschutzbemühungen der Sechziger jedoch<br />
institutionell angebunden und setzten damit<br />
eine ältere, aus dem 19. Jahrhundert herrührende<br />
Tradition der bürgerschaftlichen Kooperation mit<br />
staatlichen Organen fort.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> wird<br />
zum Instrument der „rationalen<br />
Modernisierung“<br />
Auch im Rahmen des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s ging es<br />
darum, das öffentliche Engagement gezielt zu wecken<br />
und in geordnete, d. h. von Planern begleitete<br />
bzw. vorgegebene Bahnen zu lenken. Planung war<br />
für die DGG selbst dann noch ein zentraler Wert,<br />
als andere Institutionen in den siebziger <strong>Jahre</strong>n<br />
begannen, deren Potential eher kritisch unter dem<br />
Aspekt einer zentralistischen Entmündigung zu<br />
betrachten. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass<br />
der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> zur Durchsetzung des Planungsgedankens<br />
und damit zur rationalen Modernisierung<br />
im ländlichen Raum beigetragen <strong>hat</strong>.<br />
Dr. Rainer Pöppinghege,<br />
Priv. Doz. Uni Paderborn, Otto-Weddigen-Straße 9,<br />
48145 Münster<br />
22
Bereits in den Anfangsjahren des Wettbewerbs verfasste die <strong>Bund</strong>esbewertungskommission kurz<br />
gefasste Protokolle, in denen die besonderen Merkmale der Dörfer und deren Leistungen beschrieben<br />
wurden. Nierswalde ist ein typisches Beispiel für die beginnende Planungsorientierung als substanzieller<br />
Beitrag zur Neuorientierung des ländlichen Raumes.<br />
Aus: Deutsche Gartenbaugesellschaft – <strong>Bund</strong>eswettbewerb 1965<br />
23
Die Rahmenbedingungen ändern sich<br />
In den 1970er und 1980er <strong>Jahre</strong>n <strong>hat</strong>ten die Dörfer und Gemeinden in den ländlichen<br />
Regionen mit großen Umwälzungen zu kämpfen. Diese sind Folge struktureller Veränderungen<br />
in der Landwirtschaft – größere Betriebe, Mechanisierung, weniger Beschäftigte<br />
– und bedeutender gesetzlicher Vorhaben in nahezu allen <strong>Bund</strong>esländern: Denkmalpflege-<br />
und Naturschutzgesetze beeinflussen die Entwicklung. Abfallkreislaufwirtschaft<br />
mit Einführung des Recyclings verlangen regionale Konzentrationen, Gesetzgebung zum<br />
Boden- und Wasserschutz und auch Reformen in den Kommunen mit Zusammenlegungen<br />
zu Großgemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften verändern das Bild der Dörfer.<br />
Das alles bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen. Wie reagieren<br />
die Beteiligten?<br />
Der Wettbewerb der<br />
<strong>Jahre</strong> 1975 bis 1984 in<br />
Niedersachsen<br />
Chancen für historische Dörfer<br />
Der Wettbewerb <strong>hat</strong>te in den langen <strong>Jahre</strong>n seit<br />
seiner Einführung 1959 bis hinein in das Jahr 1984<br />
gezeigt, dass Dörfer mit ursprünglicher Siedlungsstruktur<br />
und Bausubstanz die größten Chancen<br />
zu hoher Auszeichnung <strong>hat</strong>ten. Zahlreiche Dörfer<br />
Niedersachsens wurden im Zweiten Weltkrieg<br />
schwer beschädigt und mussten schnell wieder<br />
aufgebaut werden. Andere Gemeinden haben<br />
durch die Aufnahme von Flüchtlingen, Umsiedlern<br />
und Zuwanderern eine vielfache Ausdehnung der<br />
ursprünglichen Ortsubstanz erfahren. Die wirtschaftlich-technische<br />
Entwicklung brachte zudem<br />
Baukörper und Anlagen ins <strong>Dorf</strong>, für die es dort<br />
bislang keine Beispiele gab.<br />
Ländlicher Strukturwandel schafft<br />
neue Vorbilder<br />
Diese Entwicklungen waren im <strong>Dorf</strong> auch notwendig,<br />
um der Landwirtschaft Produktivitätssteigerungen<br />
zu ermöglichen, den Einwohnern neue Arbeitsplätze<br />
zu bieten und damit der Abwanderung<br />
entgegenzuwirken. Eine gesunde ökonomische<br />
Basis war schon seinerzeit die Grundlage für die<br />
Erhaltung und Weiterentwicklung des <strong>Dorf</strong>es. Aber<br />
bei der Angliederung von Neubaugebieten, der<br />
Ansiedlung von Gewerbebetrieben und der Einordnung<br />
neuer Großbauten der technisierten Landwirtschaft<br />
entstanden in den Dörfern erhebliche<br />
gestalterische Probleme.<br />
Viele Dörfer trugen an der Last dieser Entwicklung,<br />
die mit einem Verlust an Originalität und Siedlungsqualität<br />
verbunden war. Sie standen vor der<br />
Frage: Was nun? Wie soll es weitergehen?<br />
Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
<strong>hat</strong>te 1975 in Niedersachsen <strong>50</strong>0 Gemeinden oder<br />
Ortsteile erfasst. Und schon damals zeigte sich, dass<br />
immer mehr Bürger in den ländlichen Gemeinden<br />
ihre eigenen Gestaltungsvorstellungen mit den<br />
Zielen des Wettbewerbs gleichsetzten.<br />
Neubaugebiete und städtische<br />
Bauformen drängen aufs Land<br />
Die neuen Anforderungen an unsere Gemeinden<br />
und unseren Lebensraum führten dazu, dass dem<br />
Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
neue Ziele und Inhalte zuwachsen mussten.<br />
Bis 1975 <strong>hat</strong>te eine stürmische Entwicklung und<br />
starke Ausweisung neuer Wohngebiete die Lage<br />
in den ländlichen Gemeinden beeinflusst.<br />
In die Dörfern drängten sich Siedlungsstrukturen,<br />
Bauformen und Grünordnungsvorstellungen, die<br />
24
auf städtische Räume zugeschnitten waren und<br />
dem ländlichen Raum wenig entsprachen.<br />
Der technische Fortschritt beeinflusste auch die<br />
landwirtschaftlichen Produktionsverfahren, so dass<br />
sich auch die ausgewogenen Bauformen der alten<br />
landwirtschaftlichen Gebäude wandelten.<br />
Das Bestreben der ländlichen Gemeinden, an der<br />
allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung teilzunehmen,<br />
führte zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben,<br />
zur Ausweitung des Fremdenverkehrs und zur<br />
Aufstellung von Bebauungsplänen.<br />
25<br />
Das Bewusstsein für eigenständige<br />
Gestaltqualität wächst<br />
Die Erfahrungen haben seinerzeit auch die Grenzen<br />
aufgezeigt. Mit neuen Zielsetzungen wurde<br />
versucht, den Naturhaushalt auszugleichen und<br />
einen Lebensraum zu sichern, wie er der Natur des<br />
Menschen angemessen ist. Schließlich ging es darum,<br />
sich auf die Lebensgestaltung in der Familie<br />
und in einer überschaubaren <strong>Dorf</strong>gemeinschaft zu<br />
besinnen.<br />
Schrift, Präsentation und Wortwahl der Broschüre von 1975 zeigen deutlich, worauf es ankam: Das <strong>Dorf</strong><br />
soll schöner werden.
Zur Erfüllung dieser Zielvorstellungen brachte der<br />
ländliche Raum gute Voraussetzungen mit, die<br />
durch die Raumordnungspolitik des Landes Niedersachsen<br />
und durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen<br />
unterstützt wurden. Entwickelte ländliche<br />
Räume sollten bessere Chancen für mehr Lebensqualität<br />
und verstärkte Anziehungskraft erhalten.<br />
Die Ausgestaltung vieler Dörfer war stilbewusster,<br />
landschaftsgemäßer und funktionsgerechter geworden.<br />
Bürgerschaftliche Aktivitäten<br />
erhalten mehr Aufmerksamkeit<br />
Schon 1975 lebte der Wettbewerb durch Aktivität<br />
und Gemeinsinn der Bevölkerung in den ländlichen<br />
Gemeinden. Erstmalig enthielt auch die Ausschreibung<br />
in Niedersachsen Grundsätze für die<br />
Durchführung von Kreis- und Bezirksentscheiden.<br />
Durch solidarischen Einsatz sollte das Bewusstsein<br />
für die eigene Verantwortung bei der Gestaltung<br />
des <strong>Dorf</strong>es als auch die Erfahrung über das dort<br />
Machbare entwickelt werden.<br />
1975 sahen die Bewertungskriterien ihre Schwerpunkte<br />
darin, ländliche Gemeinden, Gemeindeteile<br />
und Ortsteile mit dörflichem Charakter<br />
anzuregen, ihren unmittelbaren Lebensraum und<br />
das Zusammenleben ihrer Bevölkerung auf der<br />
Grundlage bürgerschaftlicher Aktivitäten bewusst<br />
zu entwickeln und zu pflegen. Die stilgemäße<br />
Gestaltung des Ortes im baulichen Bereich, die<br />
gemeinschaftlich getragenen Einrichtungen und<br />
das Gemeinschaftsleben wurden als Bewertungskriterium<br />
mit der Hälfte der zu erreichenden Punkte<br />
ausgestattet. Die Ortsentwicklung, die Gestaltung<br />
des öffentlichen und privaten Grüns, die funktionale<br />
Ausstattung des Ortes mit Einrichtungen der<br />
Grundversorgung, die Einbindung in überregionale<br />
Planungen sowie Aufgabenstellung des Wettbewerbs<br />
unter Berücksichtigung besonderer Probleme<br />
im Ort ergänzten die Bewertungskriterien.<br />
Handel und Gewerbe im <strong>Dorf</strong><br />
gewinnen an Bedeutung<br />
Der Wettbewerb war geprägt von Bestrebungen, in<br />
Dörfern modernen Wohnkomfort unter Einhaltung<br />
angepasster Bauformen und Gestaltungselemente<br />
zu unterstützen. Die Empfehlung von Baugestaltungssatzungen<br />
und Bebauungsplänen wurde immer<br />
wieder betont. Auch bei geringer Gewichtung<br />
in den Bewertungskriterien galt gleiches auch im<br />
Grünbereich. Grünordnungspläne und die Auswahl<br />
standortgerechter Gehölze fanden Eingang<br />
in Berichte zum Wettbewerb. Insbesondere die<br />
Bedeutung der Einbindung in die Landschaft wurde<br />
betont. Auch 1975 war es Ziel, Handel, Gewerbe<br />
und Wirtschaftsbetriebe im <strong>Dorf</strong> zu halten. Wie<br />
noch heute wurde auch seinerzeit auf angepasste<br />
Stilelemente in der Außenwerbung geachtet.<br />
Der Siedlungsentwicklung in den Dörfern sollte<br />
so eine Richtung gegeben werden, deren Ausrichtung<br />
sich an den Ansprüchen günstiger, moderner<br />
Wohnformen orientierte, gleichwohl aber die<br />
ländlich geprägten Bauformen und Stilelemente<br />
berücksichtigte und half, eine zunehmende städtische<br />
Überformung zu vermeiden. Gute Beispiele,<br />
gerade aus dem privaten Bereich sollten aufgezeigt<br />
werden.<br />
Schulen und <strong>Dorf</strong>häuser stärken das<br />
Leben auf dem <strong>Dorf</strong><br />
Es wurde erkannt, dass zahlreiche Einrichtungen<br />
wie z. B. Schulen, kulturelle und soziale Aufgabenbereiche<br />
in die größeren Orte verlagert wurden<br />
und damit Anlauf- und Identifikationspunkte in<br />
den Dörfern verloren gingen. <strong>Dorf</strong>gemeinschaftshäuser<br />
wurden bereits 1975 als wichtige Einrichtungen<br />
angesehen, die örtliche Aktivitäten erhalten<br />
und entwickeln. Diese Ansätze trugen den Wettbewerb<br />
bis Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong>.<br />
ABC der <strong>Dorf</strong>gestaltung<br />
Mit den vier Bänden „ABC der <strong>Dorf</strong>gestaltung“ wurden<br />
Anfang der 1980er <strong>Jahre</strong> landschaftstypische<br />
Leitbilder gesetzt. Diese Orientierungshilfe für die<br />
Bürger <strong>hat</strong>te eine besondere Bedeutung zu einem<br />
Zeitpunkt, wo durch das neue niedersächsische<br />
Raumordnungsverfahren den Gemeinden weitgehende<br />
Entscheidungen über ihre Entwicklungen<br />
zurückgegeben wurden. Die Einordnung von Bau-<br />
und Gewerbegebieten in die Dörfer musste wirtschaftlichen<br />
und umweltrelevanten Überlegungen<br />
gerecht werden sowie gestalterisch-ästhetischen<br />
Anforderungen genügen. Die Entwicklung der vergangenen<br />
<strong>Jahre</strong> <strong>hat</strong>te allzu deutlich gezeigt, dass<br />
die ungenügende Berücksichtigung historischer<br />
Gegebenheiten zur Zerstörung vieler ansprechender<br />
Siedlungsbilder geführt <strong>hat</strong>te.<br />
26
Auch die moderne Broschüre lässt Inhalt und Zielsetzung sofort erkennen: individuelle Entwicklung –<br />
kein <strong>Dorf</strong> ist wie das andere!<br />
Individuelle Entwicklung, nicht<br />
Nachahmung ist das Ziel<br />
Das „ABC der <strong>Dorf</strong>gestaltung“ sollte dazu dienen,<br />
aus einzelnen Gestaltungsmerkmalen ein Konzept<br />
für ein verbessertes <strong>Dorf</strong>bild zusammenzusetzen,<br />
so wie aus einzelnen Buchstaben ein Wort, aus<br />
Wörtern ein Satz und damit ein Sinn entsteht.<br />
Dieses Konzept sollte im vertrauensvollen Gespräch<br />
zwischen Bevölkerung und Fachleuten entstehen.<br />
<strong>Unser</strong>e Dörfer mit ihrem übersehbaren Raum und<br />
dem noch engen Kontakt der Menschen untereinander<br />
bieten die Chance zur gemeinsamen Zielfindung.<br />
Wünschenswert wäre, wenn möglichst<br />
viele Dörfer zu eigener Identität zurückfinden<br />
und dabei durch eine Förderung im Rahmen der<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung unterstützt werden könnten.<br />
Aber auch für diejenigen Dörfer, die durch historische<br />
Strukturen und landschaftliche Vorzüge<br />
27<br />
ausgezeichnet waren, sollte das „ABC der <strong>Dorf</strong>gestaltung“<br />
eine Hilfe sein. In einer Zeit verwirrender<br />
Vielfalt von Möglichkeiten sollten sie bestärkt<br />
werden in dem Grundsatz, durch Einfachheit<br />
und durch Begrenzung in der Wahl ihrer Mittel die<br />
übernommenen Stilelemente ihrer Heimat nicht<br />
zu zerstören. Das „ABC der <strong>Dorf</strong>gestaltung“ mit<br />
seinen Bildern wollte letztlich verständlich machen,<br />
warum einzelne Gestaltungselemente in das eine<br />
<strong>Dorf</strong> hineinpassen, in das andere jedoch nicht. Das<br />
Herausstellen einzelner Gestaltungsmerkmale im<br />
Rahmen des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s hätte leicht zur Nachahmung<br />
geführt, die nicht sinnvoll gewesen wäre.<br />
Ralf Gebken,<br />
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft,<br />
Verbraucherschutz und Landesentwicklung,<br />
Calenberger Straße 2, 30169 Hannover
Dörfer in Baden-<br />
Württemberg<br />
Vom äußeren Erscheinungsbild zu<br />
nachhaltiger Verbesserung der<br />
Lebensqualität<br />
Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ wurde<br />
im Neckar-Odenwald-Kreis und davor in den<br />
Landkreisen Buchen und Mosbach seit <strong>1961</strong><br />
durchgeführt. Zielsetzung, Inhalt und Bewertung<br />
im Besonderen haben in den 1970er und 1980er<br />
<strong>Jahre</strong>n des zurückliegenden Jahrhunderts grundlegende<br />
Veränderungen erfahren. Dabei stellten<br />
der Strukturwandel in der Landwirtschaft, die<br />
Veränderungen in der Denkmalpflege, der Ökologie,<br />
dem Boden-und Grundwasserschutz sowie die<br />
aktuelle Abfallkreislaufwirtschaft neue Herausforderungen<br />
dar. Diese Herausforderungen betrafen<br />
alle Lebensbereiche, waren von tiefgreifender<br />
Natur und prägten nachhaltig und unumkehrbar<br />
den Wettbewerb. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen<br />
erwies sich das <strong>Dorf</strong>entwicklungsprogramm<br />
als wirkungsvolles Instrument.<br />
Abkehr vom ländlichen Idyll<br />
Für den Wettbewerb bedeutete der Strukturwandel<br />
in der Landwirtschaft die endgültige Abkehr vom<br />
ländlichen Idyll. Ein Großteil der Menschen in den<br />
Dörfern arbeitete nicht mehr in der Landwirtschaft<br />
und das Erscheinungsbild der Dörfer wandelte sich<br />
grundlegend. Zum traditionellen Handwerk kamen<br />
Gewerbe, Dienstleistung und auch Industrie hinzu.<br />
Neben und oft auch anstelle der traditionellen<br />
Wirtschaftsgärten entstanden Grünflächen für Freizeitnutzung.<br />
Die Bedürfnisse der Menschen wurden<br />
zum Maßstab in der Bewertung.<br />
Gleichzeitig haben Sanierung und Erhaltung ortsbildprägender<br />
privater und öffentlicher Gebäude<br />
unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten stetig<br />
an Bedeutung gewonnen. Wohnqualität und innerörtliche<br />
Entwicklung rückten anstelle von Neubauflächen<br />
auf der grünen Wiese in den Mittelpunkt.<br />
Auch boten sich Möglichkeiten durch Eigeninitiative<br />
und Gemeinschaftsbewusstsein das unmittelbare<br />
Lebensumfeld mitzugestalten. Eine Mitwirkung der<br />
Bevölkerung war in der ursprünglichen Zielsetzung<br />
des Wettbewerbs ausdrücklich erwünscht, aber weniger<br />
im Sinne einer aus heutiger Sicht kreativen<br />
Art der aktiven Mitgestaltung. Vielmehr lag der<br />
Hollerbach (Stadt Buchen): Hollunderstraße Richtung Oberneudorf vor dem Ausbau 1992<br />
28
Fokus darauf, sich mit dem <strong>Dorf</strong> in eine übergeordnete<br />
und bereits vorgegebene Planung einzufügen.<br />
Der Schutz der Umwelt und ein gestiegenes ökologisches<br />
Bewusstsein angestoßen durch Veränderungen<br />
im Boden- und Grundwasserschutz sowie der<br />
Abfallwirtschaft etablierten sich als fester Bestandteil<br />
des Wettbewerbs und brachten die wachsende<br />
Lebensqualität auf dem Land zum Ausdruck.<br />
Zeitgemäße Begriffe wie „Biotop“ und „Bachpatenschaft“<br />
sowie „Nachhaltigkeit“ und „Naturhaushalt“<br />
fanden Eingang in die Bewertung. Sowohl<br />
Natur und Landschaft als auch deren Wertschätzung<br />
erfuhren eine umfassendere, neue Definition.<br />
Auch war die Natur im <strong>Dorf</strong> auf dem Weg vom<br />
pflegeleichten Einheitsgrün zur standortgerechten<br />
bunten Vielfalt.<br />
Anpassung der Erfordernisse an die<br />
neue Zeit<br />
Zum Ende der 1970er <strong>Jahre</strong> präsentierte sich der<br />
Wettbewerb, damals noch mit dem Titel „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> soll schöner werden“, in seinem zentralen<br />
Anliegen als Schönheitskonkurrenz und wurde<br />
folglich als <strong>Dorf</strong>verschönerungswettbewerb wahrgenommen<br />
und verstanden. Durch die großen Ver-<br />
29<br />
änderungen und die damit einhergehenden neuen<br />
Herausforderungen waren Zielsetzung, Inhalt und<br />
Durchführung des Wettbewerbs in Frage gestellt:<br />
er konnte mit der sich ändernden Lebenswirklichkeit<br />
nicht mehr Schritt halten.Ursprünglich lagen<br />
die Schwerpunkte der Bewertung auf dem äußeren<br />
Erscheinungsbild, auf Sauberkeit, Ordnung und<br />
Blumenschmuck. Heute ist die Bewertung näher<br />
bei den Menschen; sie orientiert sich an deren<br />
Bedürfnissen und Stärken. Eigeninitiative und dörfliches<br />
Gemeinschaftsbewusstsein bildeten die Basis<br />
für die <strong>Zukunft</strong> der Dörfer und ihre regionale Unverwechselbarkeit.<br />
Im Unterschied zu den 1970er<br />
und 1980er <strong>Jahre</strong>n kann eine <strong>Dorf</strong>gemeinschaft<br />
im <strong>Jahre</strong> <strong>2011</strong> der Bewertungskommission genau<br />
darlegen, wie sie ihr Lebensumfeld und <strong>Zukunft</strong>sperspektive<br />
nach ihren ureigenen Bedürfnissen<br />
gemeinsam gestaltet <strong>hat</strong>.<br />
Hollerbach erhielt im 19. Wettbewerb 1996 – 1998<br />
eine Landesgoldmedaille.<br />
Elisabeth Scheuermann,<br />
Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis, Renzstraße 10,<br />
74821 Mosbach<br />
Hollerbach (Stadt Buchen): Hollunderstraße Richtung Oberneudorf nach dem Ausbau 1992
Wir in Klein Meckelsen<br />
Zweimaliges „Golddorf“<br />
lüftet das Geheimnis seines<br />
Erfolges<br />
Der Erfolg des niedersächsischen, zweimaligen<br />
Golddorfes Klein Meckelsen im <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong> alten Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden – <strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ <strong>hat</strong> nichts Geheimnisvolles. Es ist<br />
schlicht das Ergebnis lebenskluger Menschen, die<br />
bereits vor <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n das „<strong>Dorf</strong>“ als Lebensraum für<br />
sich akzeptiert und mit Blick in die <strong>Zukunft</strong> sich<br />
regelmäßig den sich ändernden Rahmenbedingungen<br />
angepasst haben.<br />
Gute Infrastrukturen sichern die<br />
<strong>Zukunft</strong> im <strong>Dorf</strong><br />
Die 1970er, 1980er und 1990er <strong>Jahre</strong> waren eine<br />
Zeit großer Veränderungen. Rat und Einwohner<br />
wollten das <strong>Dorf</strong> nicht ausbluten und zur reinen<br />
Schlafstadt verkommen lassen. Unter Infrastruktur<br />
verstehen die Bauern und Bürger Klein Meckelsens<br />
die <strong>Zukunft</strong> ihrer Kinder im <strong>Dorf</strong> zu sichern, ihr<br />
Wohnumfeld lebenswert zu gestalten und zu erhalten.<br />
Dazu gehören Kindergarten und Schule, <strong>Dorf</strong>jugend,<br />
Freiwillige Feuerwehr, Trachten gruppe,<br />
Turn- und Sportverein, Oldtimer-Frünn, Männer-<br />
Gesang-Verein und viele andere. Sie gestalten und<br />
prägen seit Jahrzehnten aktiv den Lebensmittelpunkt<br />
unseres <strong>Dorf</strong>es.<br />
Beratung „von außen“ ist<br />
unerlässlich<br />
Klein Meckelsen war eines der ersten Dörfer im<br />
Landkreis Bremervörde, das sich am Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“ auf Kreis-, Landes-<br />
und <strong>Bund</strong>esebene beteiligt <strong>hat</strong>. Als Berater zogen<br />
die damaligen Baudezernenten über die Dörfer<br />
und motivierten mit „Zuckerbrot und Peitsche“<br />
unsere <strong>Dorf</strong>bürgermeister, zuletzt auch Ilse Ropers<br />
in Klein Meckelsen, sich mit Leidenschaft für die<br />
Teilnahme am <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> zu engagieren.<br />
Und das gelang – nachhaltig! Dabei ging es nie<br />
um Geld. Es ging und geht um den Gemeinsinn,<br />
um das „Wir“, um den ehrenamtlichen Fleiß nach<br />
Feierabend. Um die <strong>Dorf</strong>jugend, die bei allen<br />
wichtigen Aufrufen für Hand- und Spanndienste<br />
bereitsteht.<br />
Individueller Nutzen durch gemeinsame<br />
Verantwortung für das Ganze<br />
Klein Meckelsen bietet jedem, der sich einbringt<br />
eine quicklebendige <strong>Dorf</strong>gemeinschaft, umgeben<br />
von ansehnlichem alten Baumbestand inmitten<br />
einer stillen, schönen Landschaft unweit von<br />
Hamburg. Zu unserem lebendigen <strong>Dorf</strong> zählt z. B.<br />
die „Viererbande“, ein Damenquartett, dass sich<br />
für keine Arbeit zu schade ist. Egal, ob es um die<br />
Pflege des Kriegerdenkmals, das Unkraut jäten auf<br />
öffentlichen Flächen oder um die Organisation<br />
eines Dessert-Bufetts bei „Staatsbesuchen“ geht.<br />
Da ist die Rentner-Gang, die regelmäßig mit Hacke<br />
und Spaten ausrückt, um bei Anlage und Gestaltung<br />
des Friedhofes Gras einzusäen, Beete anzulegen,<br />
Wege zu planieren sowie Bäume, Stauden und<br />
Sträucher zu setzen. Da gab es den „Einsiedler“ am<br />
Rande des <strong>Dorf</strong>es in einer Holzbaracke, der bereits<br />
Windenergie für den Eigenbedarf förderte, als<br />
noch niemand an regenerative Energien dachte.<br />
Und da gab es „Tante-Anni“ mit ihrem Laden, die<br />
der Krieg nach Klein Meckelsen verschlagen <strong>hat</strong>.<br />
Sie bot ein ausgeklügeltes Sortiment von Waren,<br />
das beim Großeinkauf im Supermarkt vergessen<br />
worden war. „Tante Anni“ konnte damit leben,<br />
aber nichts verdienen. Das „Kalthaus“ natürlich<br />
ehrenamtlich betreut, darf getrost als Institution<br />
bezeichnet werden. Es wurde genutzt, als es noch<br />
keine Kühlschränke, wohl aber erntende Frauen und<br />
jagende Männer gab.<br />
Klein Meckelsen ist bis heute Teil der Landschaft<br />
geblieben.<br />
30
Wo junge Familien zu Hause sind, sind die Kinder<br />
„<strong>Zukunft</strong>skapital“<br />
DSL und <strong>Dorf</strong>schnack –<br />
wir brauchen beides!<br />
In Klein Meckelsen <strong>hat</strong> die „Buschtrommel“ zugunsten<br />
eines <strong>Dorf</strong>zettels ausgedient. Er wird von<br />
Haus zu Haus gereicht. Der Schnack von Tür zu<br />
Tür ist programmiert. Die Gemeindeverwaltung,<br />
die Vereine und Verbände nutzen den Zettel noch<br />
heute zur Nachrichten- und Informationsübermittlung<br />
– trotz DSL – mit Rücksicht auf die Alten und<br />
die Technikmuffel.<br />
Das Golddorf Klein Meckelsen <strong>hat</strong> übrigens geschafft,<br />
wovon die Nachbargemeinden noch träumen:<br />
DSL – die schnelle Datenleitung im <strong>Dorf</strong>. In<br />
Klein Meckelsen leben nicht nur die aktiven Landwirte,<br />
die die ersten Boxenlaufställe im Landkreis<br />
bauten, sondern auch eine ganze Reihe von Handwerkern,<br />
mittelständischen Unternehmern und Freiberuflern,<br />
die auf den schnellen Datenaustausch in<br />
einer globalisierten Welt angewiesen sind.<br />
Nicht jeder im <strong>Dorf</strong> ist mit Jedem und Allem<br />
einverstanden, aber es gab und gibt immer den<br />
größeren und aktiveren Teil der Einwohner, der<br />
sich einzeln und gemeinsam für das übergeordnete<br />
Ziel, wie zum Beispiel die zentrale Wasserversorgung<br />
oder die Abwasserbeseitigung einsetzt<br />
und arbeitet. Differenzen zwischen Einheimischen<br />
und Zugezogenen haben beide Seiten gelöst. Die<br />
einheimische Land- und die zugezogene Stadtbevölkerung<br />
identifiziert sich gleichermaßen mit ihrem<br />
„Lütt Meckels“. Gegensätze sind nicht zu erkennen.<br />
31<br />
<strong>Unser</strong> soziales Kapital<br />
Die <strong>Zukunft</strong> des <strong>Dorf</strong>es sind die Kinder. Ihr Spielkreis<br />
wurde zum Kindergarten mit ausgebildeten<br />
Erzieherinnen. Der Bestand der Grundschule<br />
wird gehegt und gepflegt. Wenn die Rektorin zu<br />
Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten bittet,<br />
stehen die Väter auf der Matte. Nahtlos wachsen<br />
die Kinder in den Turn- und Sportverein, in die<br />
Trachtengruppe, in die Freiwillige Feuerwehr, in<br />
die <strong>Dorf</strong>jugend – in die dörfliche Geborgenheit bis<br />
ins Erwachsenenalter hinein.<br />
Die in Kürze ausscheidende Bürgermeisterin Frau<br />
Ilse Ropers erklärt „ihr“ schönes <strong>Dorf</strong>: „Wenn die<br />
<strong>Dorf</strong>gemeinschaft stimmt, wenn sie lebendig ist,<br />
wenn miteinander geredet und nicht (nur) gestritten<br />
wird, dann wird auch miteinander gearbeitet.<br />
Das Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit ist ein<br />
innerlich intaktes Gemeinwesen, dass sich nach<br />
außen von seiner schönsten und blumigsten Seite<br />
zeigt.“<br />
Monica Lohmeyer-Wulf<br />
Marschhorst 3,<br />
27419 Klein Meckelsen<br />
Großer Wandel in „Lütt Meckels“<br />
1965 Das <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> 600 Einwohner<br />
1965 Einweihung einer Mittelpunktschule<br />
für Kinder aus fünf benachbarten<br />
Dörfern<br />
1970 Einführung einer zentralen<br />
Wasserversorgung<br />
1973 Selbsthilfe: Das <strong>Dorf</strong> installiert<br />
die Straßenbeleuchtung<br />
1973 Klein Meckelsen wird an die<br />
zentrale Abfallentsorgung des<br />
Kreises Rotenburg angeschlossen<br />
1992–1994 Ausweisung neuer Baugebiete mit<br />
23 Bauplätzen<br />
1992–1994 Anschluss des ganzen <strong>Dorf</strong>es an die<br />
zentrale Kläranlage der Samtgemeinde<br />
Sittensen<br />
1997 „Lütt Meckels“ erhält eine Erdgasversorgung,<br />
auch im Außenbereich.<br />
2002 Neues Baugebiet mit 27 Bauplätzen<br />
2009 Die <strong>Dorf</strong>gemeinschaft macht Druck:<br />
das <strong>Dorf</strong> wird an das DSL-Datennetz<br />
angeschlossen.<br />
<strong>2011</strong> Das <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> jetzt 965 Einwohner
Wir in Lieberhausen<br />
Eine große Erfolgsgeschichte<br />
für ein kleines <strong>Dorf</strong><br />
Geprägt durch eine starke <strong>Dorf</strong>gemeinschaft mit<br />
330 Einwohnern im Oberbergischen Land und<br />
vielen aktiven Vereinen, allen voran unser Heimatverein,<br />
ist in unserem <strong>Dorf</strong> immer etwas los und<br />
es vergeht kein Monat, in dem nicht irgendetwas<br />
geplant oder unternommen wird.<br />
Aber wie in vielen Dörfern war das auch bei uns<br />
nicht immer so:<br />
In den 1960er bis 1980er <strong>Jahre</strong>n waren es unsere<br />
Eltern, die sich im Heimatverein aktiv und auch an<br />
den Wettbewerben „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
mit großen Erfolgen beteiligten. Durch den<br />
zwangsläufigen Generationswechsel – die Älteren<br />
waren schon zu alt und die Jüngeren <strong>hat</strong>ten noch<br />
nicht wirklich Interesse – beschränkten sich alle<br />
Aktivitäten auf ein Mindestmaß: Seniorenfahrten<br />
und etliche Aktivitäten für Kinder, aber das war es<br />
dann auch schon fast.<br />
Ein eigenes Kraftwerk für unser<br />
<strong>Dorf</strong><br />
Erst Ende der 1990er kam wieder Bewegung in das<br />
<strong>Dorf</strong>: Abwasserkanäle wurden gebaut und es kam<br />
die Frage, Gas oder gibt es eine Alternative? Das<br />
<strong>Dorf</strong> entschied sich für die Alternative und der<br />
Zungenbrecher „Holzhackschnitzelheizwerk“ wurde<br />
zum festen Bestandteil unseres <strong>Dorf</strong>es.<br />
Nach einjähriger intensiver Planung durch den<br />
Heimatverein wurde dieses Projekt im Zuge des<br />
Kanalbaus realisiert. Die Bürger gründeten eine Genossenschaft,<br />
verlegten ein eigenes Nahwärmenetz<br />
im <strong>Dorf</strong> und beziehen nunmehr seit 2001 Wärme<br />
und Brauchwasser durch das eigene Heizwerk.<br />
Ein Mammutprojekt für das <strong>Dorf</strong> – in unzähligen<br />
ehrenamtlichen Stunden wurde das Heizwerk<br />
als Pilotprojekt in NRW gebaut. Mit den ersten<br />
Ober bergischen Holztagen 2004 mit rund 10.000<br />
Besuchern an zwei Tagen (eine logistische Meisterleistung<br />
des <strong>Dorf</strong>es und der Vereine) wurde uns<br />
erst richtig bewusst, was man gemeinsam so alles<br />
schaffen kann.<br />
Seitdem organisieren wir nun schon zum sechsten<br />
Mal unseren Weihnachtsmarkt immer wieder mit<br />
großem Erfolg.<br />
Die <strong>Dorf</strong>gemeinschaft erfindet<br />
sich neu<br />
Das hört sich alles sicher toll an, aber ganz so war<br />
das nicht:<br />
Die Jüngeren waren zwar nachgerückt, aber durch<br />
ihre vielen Aufgaben in den Vorständen war der<br />
Akku leer und die Aktivitäten ließen nach.<br />
Bewegung entstand erst wieder, als unser Bürgermeister<br />
von Gummersbach uns bat, doch wieder<br />
an dem nun umbenannten und mit neuen Inhalten<br />
versehenen Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
teilzunehmen. Erst lehnten wir ab, wagten dann<br />
aber doch den Schritt, ohne uns der Tragweite<br />
dieses Entschlusses bewusst zu sein. Ohne große<br />
Vorbereitung gingen wir in den Kreiswettbewerb,<br />
direkt mit durchschlagendem Erfolg – Gold!<br />
Damit <strong>hat</strong>ten wir nicht gerechnet – und was, das<br />
geht noch weiter? Nächstes Jahr auf Landesebene?<br />
Was <strong>hat</strong>ten wir uns da nur aufgehalst? Aber wir<br />
begriffen auch, dass unser <strong>Dorf</strong> lebt und großes<br />
Potential in ihm steckt: die tot geglaubte Gemeinschaft<br />
schlief nur, sie musste nur wach geküsst werden!<br />
Die Einladung des NRW Zentrums für Ländliche<br />
Entwicklung (ZeLE) zu einer <strong>Dorf</strong>werkstatt kam<br />
uns da gerade recht. Wir lernten und entwickelten<br />
langfristige Strategien für die <strong>Zukunft</strong>, damit wir<br />
nie wieder in so ein Loch fallen und die Arbeiten<br />
nicht nur an wenigen hängen bleiben.<br />
<strong>Dorf</strong>werkstatt ist Hilfe zur Selbsthilfe<br />
Seit dem <strong>hat</strong> sich viel getan im <strong>Dorf</strong>, es wurden<br />
Projektgruppen gegründet, in denen fleißig Ziele<br />
und Wünsche umgesetzt werden. Auch konnten<br />
neue hochmotivierte Dörfler für den Vorstand gewonnen<br />
werden, so dass sich die Arbeiten nun auf<br />
viele Schultern verteilen.<br />
Der Landeswettbewerb kam und auch dort holten<br />
wir Gold! Nach der ersten Euphorie holte man uns<br />
schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, nachdem<br />
wir den Leitfaden zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
gelesen <strong>hat</strong>ten. Da standen Sachen drin über die<br />
wir uns noch nie Gedanken gemacht <strong>hat</strong>ten und<br />
auf vieles <strong>hat</strong>ten wir gar keine Antworten. Aber das<br />
war uns egal, denn uns war klar geworden – alles<br />
was wir hier machen, tun wir für uns und nicht für<br />
einen Wettbewerb! Und vor allen Dingen mit viel<br />
Spaß und ohne Druck oder Zwang. Es zeigte sich,<br />
dass man mit der richtigen Motivation und viel<br />
32
Das eigene Holzhackschnitzelkraftwerk versorgt große Teile unseres <strong>Dorf</strong>es dauerhaft, preiswert und<br />
unabhängig mit Wärme.<br />
Spaß Berge versetzen kann. Die Silberplakette im<br />
<strong>Bund</strong>eswettbewerb war dann das Sahnehäubchen<br />
obendrauf und die Bestätigung dafür, dass wir auf<br />
dem richtigen Weg sind.<br />
Mit Energie und Schwung kommt man<br />
ans Ziel!<br />
Als Fazit kann man anderen Dörfern nur den Rat<br />
geben, an sich zu glauben und den Mut zu haben,<br />
sich an dem Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
zu beteiligen. Mit dem richtigen Team an seiner<br />
Seite und einem offenen Ohr für die Wünsche und<br />
Sorgen der <strong>Dorf</strong>bewohner lassen sich durch die<br />
Teilnahme ungeahnte Kräfte freisetzen. Und man<br />
wird sehen, wie viel Spaß das ganze machen kann!<br />
Auch eine Teilnahme an Seminaren des Zentrums<br />
für Ländliche Entwicklung kann für „schlafende“<br />
Dörfer nur von Vorteil sein und einen richtigen<br />
Motivationsschub auslösen.<br />
33<br />
Wir sind noch lange nicht am Ziel, haben noch<br />
längst nicht alles erreicht und noch einige „Baustellen“<br />
offen, aber wir bleiben am Ball, denn<br />
mit Energie und Schwung kommt man ans Ziel!<br />
Auf diesem Wege bedanken wir uns bei dem ganzen<br />
Organisationsteam und den Bewertungskommissionen<br />
und gratulieren herzlich zum <strong>50</strong>jährigen<br />
Bestehen!<br />
Wir freuen uns auf die nächsten Wettbewerbe und<br />
grüßen Sie herzlichst aus dem <strong>Bund</strong>essilberdorf<br />
Lieberhausen.<br />
Christina Reinhold,<br />
Heimatverein Lieberhausen, Kirchplatz 2,<br />
51647 Gummersbach
Der Wettbewerb erhält Zuwachs<br />
Der politische Umsturz im Osten brachte die Deutsche Einheit. Mecklenburg Vorpommern,<br />
Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen versprechen einen „Sc<strong>hat</strong>z“<br />
an interessanten, in ihren baulichen Strukturen weitgehend erhaltenen Dörfern, alten<br />
Traditionen und Perspektiven – eine Bereicherung für einen neuen, größeren <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>.<br />
Wie kommen wir in Ost und West zusammen? Sind Eigenverantwortung und<br />
Selbsthilfe immer noch gefragt?<br />
Landeswettbewerb in<br />
Sachsen<br />
Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde am 14. Oktober<br />
1990 der Freistaat Sachsen als eines der fünf<br />
neuen <strong>Bund</strong>esländer gegründet. Große politische<br />
und gesellschaftliche Umgestaltungsprozesse nahmen<br />
ihren Anfang. Die Neuordnung von Eigentums-<br />
und Rechtsfragen, Sicherung von Arbeitsplätzen<br />
und viele Fragen des täglichen Lebens<br />
waren für die Dörfer von vorrangiger Bedeutung.<br />
Freiwillige Leistung wieder gefragt<br />
Trotz vieler Schwierigkeiten wurde bereits in den<br />
<strong>Jahre</strong>n 1990/91 mit der Vorbereitung zur Teilnahme<br />
am <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden“ begonnen – ein Motto, das dem Wunsch<br />
und Anliegen der meisten <strong>Dorf</strong>bewohner entsprach.<br />
Zunächst wollte die Mehrheit nicht „schon<br />
wieder“ einen Wettbewerb, denn den sozialistischen<br />
Wettbewerb „Schöner unsere Städte und<br />
Gemeinden – Mach mit“ mit streng formalistischer<br />
Abrechnung geleisteter freiwilliger Arbeitsstunden,<br />
gesammelter Altstoffe und zusätzlich erbrachter<br />
landwirtschaftlicher Produktion <strong>hat</strong>te man gerade<br />
hinter sich gelassen. Es gab aber auch Dörfer, die<br />
durch kluges Taktieren der engagierten Bürgermeister<br />
die Möglichkeiten dieses Wettbewerbes<br />
nutzten, um den Zusammenhalt der <strong>Dorf</strong>gemeinschaft<br />
sowie gegenseitige Hilfe bei der Erhaltung<br />
der privaten Grundstücke und der Pflege von<br />
Traditionen zu fördern. Das waren für Dörfer, wie<br />
Schwarzkollm und Obercunnersdorf in der Oberlau-<br />
Die jüngste Feuerwehr Deutschlands in<br />
Langenreichenbach<br />
sitz, Hohburg im damaligen Kreis Wurzen, Grüngräbchen<br />
im Kreis Kamenz, Mildenau im Erzgebirge<br />
und andere gute Ausgangsbedingungen.<br />
Erster Landeswettbewerb<br />
Bereits im <strong>Jahre</strong> 1991 wurde ein erster “Landeswettbewerb“<br />
vorläufig ohne Wertung unter großem<br />
Interesse der Öffentlichkeit durchgeführt. In den<br />
<strong>Jahre</strong>n 1992/93 fand dann der erste Sächsische<br />
Landeswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
von der Sächsischen Staatsregierung ausgelobt,<br />
statt. An dem Wettbewerb beteiligten sich<br />
bereits 236 Dörfer. Über Kreis- und Bezirkswett-<br />
bewerbe wurden die Teilnehmer für den Landeswettbewerb<br />
ermittelt.<br />
34
Kennzeichnend für die neun am Endausscheid<br />
beteiligten Dörfer waren das hohe Maß an bürgerschaftlicher<br />
Eigeninitiative und die starke Ausprägung<br />
des Selbsthilfegedankens. Planungskonzepte<br />
mit langfristiger Wirkung wurden auf den Weg<br />
gebracht. Es gab aber noch große Unterschiede<br />
zu den Dörfern im alten <strong>Bund</strong>esgebiet. Trotzdem<br />
wurde im <strong>Bund</strong>eswettbewerb 1993 das <strong>Dorf</strong> Grüngräbchen,<br />
Landkreis Kamenz, das erste Golddorf<br />
Sachsens im <strong>Bund</strong>eswettbewerb. Ausschlaggebend<br />
waren die aktive <strong>Dorf</strong>gemeinschaft und ein bekannter<br />
Rhododendron-Betrieb, seit 200 <strong>Jahre</strong>n in<br />
Familienbesitz, mit aktivem Einfluss auf Gartenkultur<br />
und Landschaftsbild.<br />
Hohe Auszeichnungen<br />
In den folgenden <strong>Jahre</strong>n bestimmten <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
und Flurneuordnung die Entwicklung der<br />
Dörfer. Im <strong>Bund</strong>eswettbewerb wurden einheitliche<br />
Maßstäbe zur Bewertung angewandt. Die Goldmedaillen<br />
für Hinterhermsdorf 2001 in der Sächsischen<br />
Schweiz und Bertsdorf-Hörnitz im Zittauer<br />
Gebirge 2004 entsprachen bereits diesem hohen<br />
Anspruch für die Gestaltung der <strong>Zukunft</strong> der Dörfer.<br />
Hinterhermsdorf wurde 2002 und Bertsdorf-<br />
Hörnitz 2004 für die hervorragenden Ergebnisse<br />
in der <strong>Dorf</strong>entwicklung mit dem Europäischen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungspreis ausgezeichnet. Auch erhielt<br />
Bertsdorf-Hörnitz im <strong>Jahre</strong> 2005 im europäischen<br />
Wettbewerb „Entente Florale“ eine Goldmedaille.<br />
Besondere Anerkennung fanden die denkmalgerechte<br />
Sanierung der historischen Umgebindehäuser<br />
und der behutsame Umgang mit der Umwelt.<br />
35<br />
Mit der Goldmedaille im <strong>Bund</strong>eswettbewerb 2010<br />
für Kirchbach im Erzgebirge wurde ein <strong>Dorf</strong><br />
ausgezeichnet, das sich voll auf die Erhaltung der<br />
vorhandenen <strong>Dorf</strong>struktur, Sanierung und Umnutzung<br />
der wertvollen Bausubstanz der Vierseithöfe<br />
konzentriert <strong>hat</strong>. In vielen Fällen wohnen mehrere<br />
Generationen unter einem Dach und vereinen<br />
Wohnen und Arbeiten auf einem Hof. Die Bewahrung<br />
der Natur, Förderung von Streuobstbewirtschaftung<br />
und Naturerziehung machen das <strong>Dorf</strong><br />
lebenswert für alle Generationen, was sich in konstanten<br />
Bevölkerungszahlen widerspiegelt.<br />
Eigenverantwortung <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Der Landeswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
wird aber in Sachsen nicht nur von den „Gold-<br />
dörfern“ bestimmt. Es gibt viele Dörfer die mit<br />
hohem Bürgerengagement ihre <strong>Zukunft</strong> in die<br />
eigenen Hände nehmen und sich immer wieder im<br />
Wettbewerb messen. So <strong>hat</strong> z. B. Langenreichenbach<br />
(Landkreis Nordsachsen) ein mehrfach mit<br />
Sonderpreisen ausgezeichnetes reiches Vereinsleben.<br />
Die jüngste Feuerwehr Deutschlands ist nur<br />
ein Beispiel dafür. Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong><br />
<strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ setzt große Antriebskräfte für diese<br />
Entwicklung frei.<br />
Klaus Hiltmann,<br />
Mitglied der <strong>Bund</strong>esbewertungskommission,<br />
Kotzschweg 10, 01326 Dresden<br />
Typische Umgebindehäuser<br />
– historische<br />
Weberhäuser in<br />
Bertsdorf-Hörnitz
Landeswettbewerb<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Für die Bevölkerung in Deutschland war die Zeit<br />
ab 1989 eine Zeit des Umbruchs und voll von<br />
Veränderungen. Besonders rasant und dramatisch<br />
änderten sich die Rahmenbedingungen für die<br />
Menschen in der DDR. Aus den 14 Flächen-Bezirken<br />
entstanden wieder die fünf <strong>Bund</strong>esländer, wie<br />
sie bereits bis zum Jahr 1952 existierten. Aus den<br />
Bezirken Magdeburg und Halle entstand wieder<br />
Sachsen-Anhalt. Eine neue Gesellschaftsordnung,<br />
eine neue Wirtschaftsordnung, eine neue Währung,<br />
eine in jeder Beziehung veränderte Lebens-<br />
und Arbeitswirklichkeit ließen kaum die Chance,<br />
die eigene Biografie ohne Brüche fortzusetzen.<br />
Hatte man in einer solchen Zeit des Umbruchs<br />
keine anderen Sorgen, als sich einem Wettbewerb<br />
zuzuwenden, in dem Dörfer um die Ehre streiten?<br />
Engagement das sich lohnt<br />
Doch, die <strong>hat</strong>te man! Aber insbesondere in unruhigen<br />
Zeiten braucht man einen Haltepunkt, einen<br />
Anker. In ländlichen Regionen gab häufig die<br />
<strong>Dorf</strong>gemeinschaft diesen Halt. Und in den Dörfern<br />
wurde der Einzelne mit seinen individuellen<br />
Kenntnissen und Fähigkeiten gebraucht. Hier gab<br />
es die Möglichkeit, gemeinsam mit Anderen in<br />
der <strong>Dorf</strong>gemeinschaft die Geschicke des eigenen<br />
Ortes selbst mitzugestalten. Hier lohnte sich Engagement<br />
und die Ergebnisse des Einsatzes waren<br />
sofort vor Ort spürbar. Und es konnte eine Brücke<br />
von der alten in die neue Zeit geschlagen werden,<br />
denn auch in der DDR gab es einen vergleichbaren<br />
Wettbewerb „Schöner unsere Städte und Gemeinden<br />
– Mach mit“.<br />
Es überrascht daher auch nicht, dass den schwierigen<br />
Verhältnissen zum Trotz die ersten Dörfer<br />
sich sofort für eine Teilnahme am Wettbewerb<br />
entschieden haben. Die Bereitschaft zu lernen,<br />
das Bestreben sich auszutauschen und einfach zu<br />
schauen, wo man steht, motivierten zur Teilnahme.<br />
In den Anfangsjahren standen infrastrukturelle<br />
und bauliche Veränderungen bei der <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
im Vordergrund. In diesen Bereichen <strong>hat</strong>te<br />
man in unserem <strong>Bund</strong>esland erheblichen Nach-<br />
Einbringen der Erntekrone durch den Trachtenund<br />
Brauchtumsverein Ummendorf e.V.<br />
holbedarf. Weniger groß waren die Unterschiede<br />
zu den westlichen <strong>Bund</strong>esländern in anderen,<br />
weniger „augenfälligen“ aber dennoch bedeutenden<br />
Wettbewerbsbereichen: ein „Wir-Gefühl“,<br />
Engagement der <strong>Dorf</strong>bewohner, die Bereitschaft,<br />
gemeinschaftliche Perspektiven zu entwickeln,<br />
das soziale Miteinander, die Stärkung der dörflichen<br />
Identität, das waren die Bereiche, in denen<br />
die Dörfer unseres Landes von Anfang an mithalten<br />
konnten.<br />
36
Neue Ideen helfen weiter<br />
Daher ließen auch erste Erfolge nicht lange auf<br />
sich warten. Bereits 1993 wurde Wickerode auf<br />
<strong>Bund</strong>esebene mit Silber ausgezeichnet und 1998<br />
gab es Gold für Steckby. Das 2001 mit Gold ausgezeichnete<br />
Ummendorf wurde 2004 Wettbewerbssieger<br />
auf europäischer Ebene. Und die positiven<br />
Beispiele bestärkten nicht nur die Teilnehmer,<br />
sondern ermutigten weitere Dörfer.<br />
37<br />
Was sind die Gründe? Funktionierende <strong>Dorf</strong>gemeinschaften<br />
zeigen mit ihrer Innovationskraft<br />
immer wieder, wie man sich den Herausforderungen<br />
der Zeit erfolgreich stellt. Positive Beispiele<br />
regen zum Nachmachen an, Erkenntnisse werden<br />
ebenso verbreitet wie Methodenkompetenz. Der<br />
Wettbewerb <strong>hat</strong> sich zu einer Ideenbörse mit herausragenden<br />
Umsetzungsbeispielen entwickelt. Er<br />
regt zum Nachdenken und auch zum Umdenken<br />
an, ein wichtiger Kontrapunkt zu unreflektierter<br />
Zentralisierung.<br />
Hierbei mitzumachen ist für viele Dörfer Ehre<br />
und Chance zugleich. Dabei verschwimmen die<br />
ehemaligen Grenzen. Der Wettbewerb vereint alle<br />
Dörfer in Deutschland, im Norden wie im Süden,<br />
im Westen wie im Osten.<br />
Ein Urteil der Wettbewerbsjury ist auch für<br />
Gewinner immer ein „Gutachten“ einer neutralen<br />
Stelle. Es betrifft alle Aspekte der ländlichen<br />
Entwicklung, die man vor Ort selbst beeinflussen<br />
kann. Es bietet die Chance zu sehen, wie man von<br />
Außen wahrgenommen wird, es schützt vor einem<br />
„betriebsblinden“ weiter so. Auch diesen Aspekt<br />
haben die Dörfer nicht nur in Sachsen-Anhalt<br />
gesehen.<br />
Brücke zwischen Ost und West<br />
Bei allen Problemen die wir in Sachsen-Anhalt insbesondere<br />
im Zusammenhang mit der demografischen<br />
Entwicklung haben, sind Dörfer gewachsen,<br />
in denen sich Menschen wohlfühlen, wo Menschen<br />
leben wollen und in denen sie bereit sind, sich zu<br />
engagieren und einzubringen.<br />
In diesen Orten braucht man auch nicht von Haltefaktoren<br />
gegen die Abwanderung zu sprechen,<br />
hier gibt es sie. In diesen Orten braucht man nicht<br />
über ehrenamtliches Engagement zu sprechen,<br />
hier ist das selbstverständlich. Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
<strong>hat</strong> hieran seinen Anteil.<br />
Die „größte Bürgerinitiative Deutschlands“ <strong>hat</strong><br />
Zuwachs bekommen. Und in kaum einem anderen<br />
Bereich ist deutlicher geworden, dass uns mehr<br />
verbindet, als trennt. Daher <strong>hat</strong> der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
nicht nur territorial zugelegt, er ist qualitativ<br />
gewachsen.<br />
Johannes A. Wesselmann,<br />
Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt<br />
des Landes Sachsen-Anhalt, Olvenstedter Straße 4,<br />
39108 Magdeburg
Wir in Rieth<br />
Im Süden des Freistaates Thüringen direkt an der<br />
Landesgrenze zu Bayern gelegen, gehörte Rieth vor<br />
der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zur<br />
äußersten Sperrzone der DDR-Grenze. Erst heute<br />
können die Bewohner den Restriktionen dieser Zeit<br />
eine gute Seite abgewinnen – die Region und das<br />
<strong>Dorf</strong> blieben in den Jahrzehnten der Abschottung<br />
verschont von zweifelhaften sozialistischen Errungenschaften.<br />
Die soziale und kulturelle Entwicklung<br />
wurde in dieser Zeit so systematisch unterbunden,<br />
wie Gewerbe und Handwerk. Umso intensiver<br />
entfaltet sich die Region seit der Wende. Engagierte<br />
Bürger gingen 1989 neue Wege und gestalteten<br />
Rieth sowie die Kulturlandschaft in der Umgebung<br />
nachhaltig, traditionsbewusst und zukunftsorientiert<br />
im Einklang mit wirtschaftlichen und sozialen<br />
Interessen.<br />
Das <strong>Dorf</strong> beteiligte sich erfolgreich am Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“:<br />
ó 2005 Kreiswettbewerb – Sieger<br />
ó 2006 Landeswettbewerb Thüringen – Zweiter<br />
Platz<br />
ó 2007 <strong>Bund</strong>eswettbewerb – Goldmedaille<br />
Höhepunkt und krönender Abschluss war die Nominierung<br />
und Teilnahme am Europawettbewerb<br />
„Entente Florale Europe“ 2008 mit der Erreichung<br />
einer Silbermedaille für Deutschland.<br />
Mit Ideen, Traditionsbewusstsein, Achtsamkeit,<br />
Humor und Selbstbewusstsein stemmen die <strong>Dorf</strong>bewohner<br />
gemeinsam große Projekte so erfolgreich,<br />
wie ihr tägliches Miteinander in einer Gemeinschaft<br />
mit Modellcharakter für gelingendes Zusammenleben<br />
der verschiedenen Generationen.<br />
Das derzeitige Erscheinungsbild ist Ergebnis vieler<br />
Einzelmaßnahmen, die sich in Planung und Umsetzung<br />
auf breite Bürgerbeteiligung berufen<br />
konnten. Maßgeblich waren dabei die Vereine und<br />
viele ehrenamtlich tätigen Bürger und Bürgerinnen<br />
gefordert. Förderprogramme wie das Thüringer<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungsprogramm, LEADER und Förderung<br />
ländlicher Raum wurden in die Planung und<br />
Finanzierung einbezogen.<br />
Erfolgreich haben <strong>Dorf</strong>erneuerung und <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong><br />
gewirkt: Rieth <strong>hat</strong> neue Lebensqualität<br />
gewonnen.<br />
Die im Rahmen des Wettbewerbs umgesetzten<br />
Projekte sind Bestandteile des täglichen Lebens<br />
geworden, machen stolz auf das Erreichte und<br />
Mut, auch zukünftig große Vorhaben erfolgreich<br />
umzusetzen. Rieth lebt das Prinzip, Altbewährtes<br />
zu erhalten und Möglichkeiten der Entwicklung<br />
zum Nutzen von Mensch und Natur zu erkennen<br />
und zu gestalten. Priorität haben dabei der schonende<br />
Umgang mit den natürlichen Ressourcen<br />
und deren nachhaltige Nutzung. Die Wettbewerbsbeteiligung<br />
<strong>hat</strong> dazu beigetragen, dass kommende<br />
Generationen das intakte <strong>Dorf</strong>leben bewahren<br />
und – die veränderlichen gesellschaftspolitischen<br />
Rahmenbedingungen im Blick – ihr <strong>Dorf</strong> verantwortlich<br />
gestalten.<br />
Eckehard Schmidt,<br />
Schustergasse 45, 98663 Rieth<br />
38
Wir in Bertsdorf-Hörnitz<br />
Im Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechische<br />
Republik am Fuße des kleinsten Mittelgebirges<br />
Deutschland – dem Zittauer Gebirge – liegt unsere<br />
Gemeinde Bertsdorf-Hörnitz mit heute 2.700 Einwohnern<br />
und lebendigem Vereinsleben.<br />
Durch den Zusammenschluss der Ortsteile Bertsdorf<br />
und Hörnitz vor nunmehr 10 <strong>Jahre</strong>n wurde<br />
unsere Gemeinde gegründet. Jeder Ortsteil brachte<br />
seinen eigenen Charme in die kommunale „Ehe“.<br />
Mächtige Linden und hoch aufstrebende Pappeln<br />
beleben das Ortsbild und prägen den Begriff „Ort<br />
der großen Bäume“.<br />
Durch das Engagement der Einwohner bei der Pflege<br />
und Erhalt der regional typischen Oberlausitzer<br />
Umgebindehäuser, des charakteristischen Ortsbil-<br />
Die typischen Umgebindehäuser sind Werkstatt (unten) und Wohnhaus (oben) der ehemals zahlreich in<br />
dieser Region lebenden Weberfamilien.<br />
39<br />
des, der lebendigen Brauchtümer und des gesellschaftlichen<br />
Zusammenlebens erhielten wir 2003<br />
die Auszeichnung zum schönsten <strong>Dorf</strong> Sachsens.<br />
Ein Jahr später folgte eine weitere Goldmedaille<br />
beim <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden – <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“. Weiterhin wurde<br />
unserer Gemeinde 2004 der Europäische <strong>Dorf</strong>erneuerungspreis<br />
für ganzheitliche, nachhaltige und<br />
mottogerechte <strong>Dorf</strong>entwicklung von herausragender<br />
Qualität verliehen. Der Höhepunkt aller vorausgegangenen<br />
Ehrungen aber war die Nominierung<br />
für den europäischen Wettbewerb „Entente Florale<br />
2005“ und die dort erreichte Goldmedaille.<br />
Der bürgerschaftliche Einsatz der vergangenen<br />
<strong>Jahre</strong> <strong>hat</strong> für uns und unsere Gemeinde bis heute<br />
positiven Einfluss genommen. Wer lebt nicht gern<br />
in einem Erholungsgebiet, das neben Wanderungen,<br />
Natur pur, Badefreizeit, Kultur, Geschichte viel<br />
entdeckenswertes vorzuweisen <strong>hat</strong>.<br />
Dr. Christian Linke,<br />
ehem. Bürgermeister, Neustadt 47, 02763 Zittau
Träger, Initiatoren, Berater<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> ist eine bürgerschaftliche Aktion. Erfolge in den Dörfern, die<br />
Chancen von Mitwirkung und eigener Verantwortung werden am besten von Mund zu<br />
Mund getragen, über Vereine und Verbände sowie der Aktiven im <strong>Dorf</strong>. Nicht ohne Grund<br />
erhält gerade die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. als Dachverband vieler<br />
hunderter Vereine für Gartenbau und Landespflege in den 1960er <strong>Jahre</strong>n den Auftrag<br />
des <strong>Bund</strong>esministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die<br />
Organisation und Abwicklung des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs zu übernehmen.<br />
Die Gartenbauverbände in den Ländern oder die Heimatvereine bieten ihre Fachberater<br />
in den Dörfern an, unterstützt von Fachberatern der Kreisverwaltungen und Landratsämter,<br />
Ämtern für Landwirtschaft oder Landwirtschaftkammern. Heute bei komplexer<br />
werdenden Aufgaben bieten Schulen für <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung, Zentren und Akademien<br />
für ländliche Räume neue fachliche Orientierung und Hilfe, die über die reine<br />
Wettbewerbsteilnahme weit hinausgeht.<br />
Der Bürgerwettbewerb –<br />
Chance für Bayerns Dörfer<br />
Seit dem Beginn im <strong>Jahre</strong> <strong>1961</strong><br />
haben sich in Bayern bisher<br />
26.138 Dörfer am Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong> – <strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> soll schöner werden“ beteiligt<br />
und 68 Goldauszeichnungen<br />
auf <strong>Bund</strong>esebene errungen.<br />
Nur in Bayern lautet der Wettbewerbstitel: „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong> – <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“.<br />
Gleichwohl richtet sich dabei der bayerische<br />
Zusatztitel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“ an<br />
den tragenden Wurzeln des Wettbewerbs aus und<br />
steht für die in Bayern wichtigen Grundsätze des<br />
<strong>Dorf</strong>lebens: landschaftseingebunden, grüngestaltet,<br />
geschichtsbezogen, stilgemäß, lebenswert und in<br />
der Gemeinschaft lebendig – also unverwechselbar.<br />
Der bayerische Wettbewerbsgedanke<br />
Staat und Ehrenamt „Hand in Hand“<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> ist ein staatlicher Wettbewerb,<br />
der von ehrenamtlich tätigen Menschen und bürgernaher<br />
staatlicher Beratung getragen wird.<br />
Nicht Materielles sondern Ideelles bewegt.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> lebt nicht von staatlichen<br />
Zuschüssen, sondern von dem Motto: „Nicht von<br />
anderen fordern, sondern selbst da anpacken, wo<br />
es Not tut“.<br />
Freiwilligkeit und Eigeninitiative<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> schafft Anreize für die Bürger,<br />
den gemeinsamen Lebensraum in eigener Verantwortung<br />
aktiv zu gestalten. Er motiviert somit<br />
die Menschen, selbst Hand anzulegen und bietet<br />
hierfür Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
„Wir-Gefühl“ und positive Beispiele<br />
Er würdigt gemeinschaftliches Handeln und stellt<br />
das Erreichte als nachahmenswert heraus.<br />
40
Sallach (Stadt Geiselhörig): Vielfalt und Lebendigkeit der Dörfer wird in den Gärten, in den Grünstrukturen<br />
und landschaftypischen Häusern und Baumaterialien der Dörfer am deutlichsten sichtbar.<br />
Eigene Stärken und Perspektiven<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> schärft das Bewusstsein für<br />
Werte im eigenen <strong>Dorf</strong> und eröffnet Chancen für<br />
eine zukunftsorientierte Entwicklung der Lebensqualität.<br />
Organisation des bayerischen Landeswettbewerbs<br />
In Bayern ist der Landeswettbewerb dreistufig aufgebaut:<br />
Landkreis-, Regierungsbezirks- und Landesentscheid.<br />
Auslobende Stelle ist das Staatsministerium für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wobei die<br />
Zuständigkeit hier beim Referat „Weinbau und<br />
Gartenbau“ liegt.<br />
Auf Landkreisebene wird der Wettbewerb von den<br />
Landratsämtern ausgelobt. Die Kreisfachberatung<br />
für Gartenkultur und Landespflege – eine Abtei-<br />
41<br />
lung innerhalb der Landratsämter – motiviert die<br />
Orte zur Teilnahme.<br />
Sie beruft und leitet die Kreisjury. Diese besteht<br />
aus Vertretern der Landwirtschaft, der Bürgermeister,<br />
des Kreisverbandes für Gartenbau und Landespflege,<br />
der Grünordnung und Landespflege, der<br />
Kreisheimatpflege, der Jugendringe, des Bauwesens<br />
sowie des amtlichen Naturschutzes.<br />
Der Bezirksjury stehen die Leiter der vier Gartenbauzentren<br />
in Bayern vor. Die Juroren entstammen<br />
folgenden Bereichen: Amt für Ländliche Entwicklung,<br />
Bayerischer Gemeindetag, Bezirksverband für<br />
Gartenbau und Landespflege, Bayerische Architektenkammer,<br />
der Bezirksheimatpflege und der<br />
Landwirtschaft.<br />
Auf Landesebene obliegt die Jury-Leitung dem<br />
Referat Weinbau und Gartenbau, die Jurorenbesetzung<br />
gleicht der Bezirksebene.
Altnußberg (Gemeinde Geiersthal): Der bayerische Wettbewerb wird vor allem vom Engagement der<br />
örtlichen Vereine, besonders der Obst- und Gartenbauvereine getragen.<br />
Schwerpunkte und Beratungshilfen<br />
Wichtig für die Bewertung auf allen drei Ebenen<br />
ist die Ausgangslage eines <strong>Dorf</strong>es. So soll hiervon<br />
ausgehend eine gesunde, lebenswerte und erlebnisreiche<br />
Heimat geschaffen werden, aber auch<br />
ein für Tourismus, Landwirtschaft und Gewerbe<br />
interessanter Standort. Die Baugebietsgestaltung<br />
soll auf landschaftstypische Baumaterialien zurückgreifen.<br />
Ausdrücklich heißt es: „Nach alten Vorbildern<br />
Neues schaffen oder Altes, Bewährtes erhalten<br />
und einer bedarfsgerechten Nutzung zuführen“.<br />
Schließlich wird viel Wert gelegt auf die Förderung<br />
einer lebendigen, starken und aktiven <strong>Dorf</strong>gemeinschaft<br />
mit gemeinsamer Freizeitgestaltung, Achtung<br />
vor dem Nächsten und Hilfsbereitschaft.<br />
42
Die Jury achtet auch darauf, inwieweit die Entscheidungen<br />
im <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> durch die Bürger<br />
getroffen, langfristig bedacht und aus eigener<br />
Erfahrung abgewogen werden. Der Wettbewerb soll<br />
die <strong>Dorf</strong>bewohner zu Eigenleistungen motivieren<br />
und auch noch nach der <strong>Dorf</strong>erneuerungsphase bei<br />
der Umsetzung von Planungsideen und Anstößen<br />
helfen. Die höchsten Punkte verteilt die Jury für die<br />
Bau- und Grüngestaltung des <strong>Dorf</strong>es. Diesen beiden<br />
Kriterien folgen direkt die Schwerpunkte „bürgerliche<br />
Aktivitäten und Selbsthilfeleistungen“ sowie<br />
die „Entwicklung des <strong>Dorf</strong>es“. Wichtig ist auch das<br />
Einfügen des <strong>Dorf</strong>es in seine Landschaft.<br />
Mit einer angemessenen Anerkennungskultur und<br />
einem Querschnitts orientierten Sachstandsbericht<br />
der Jurymitglieder werden die erbrachten Leistungen<br />
gewürdigt. Somit erfährt auch das ehrenamtliche<br />
Handeln und Tun eine hohe Wertschätzung.<br />
Trägerschaft des Wettbewerbs<br />
Ein wesentlicher Träger des Wettbewerbsgedankens<br />
ist der Bayerische Landesverband für Gartenbau<br />
und Landespflege Bayern e.V. als Dachverband der<br />
Obst- und Gartenbauvereine.<br />
Unter dem Motto „Gartenbauvereine helfen Mensch<br />
und Natur“ finden sich rund 542.000 Mitglieder in<br />
über 3.300 Vereinen als Ansprechpartner vor Ort.<br />
Gemäß ihrem Ziel “Ganz Bayern ein blühender Garten“<br />
beweisen die Obst- und Gartenbauvereine ihre<br />
Leistungsfähigkeit vor Ort; ohne deren ehrenamtliches<br />
Engagement würde der Wettbewerb in Bayern<br />
nicht gelingen.<br />
Die Kreisfachberatung für Gartenkultur und Landespflege<br />
berät als kommunale Stelle der Landratsämter.<br />
Sie hält Vorträge, führt Ortsbegehungen<br />
durch, berät, empfiehlt und betreut die Umsetzung<br />
der Maßnahmen vor Ort.<br />
43<br />
Auf Regierungsbezirksebene stehen die Fachkräfte<br />
der „Grünordnung im ländlichen Raum“ den Teilnehmerdörfern<br />
unterstützend zur Seite. Deren<br />
Beratung für Fachfragen, Moderation, Information<br />
und Motivation ist an den vier Gartenbauzentren<br />
angesiedelt.<br />
Zusammen mit den <strong>Dorf</strong>erneuerungsschulen initiieren<br />
sie Fortbildungsveranstaltungen, bündeln<br />
und koordinieren die Aufgaben der Landratsämter<br />
und der Multiplikatoren vor Ort.<br />
Das Bindeglied zwischen allen Ebenen bildet die<br />
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau<br />
in Veitshöchheim. Hier befindet sich die Geschäftsstelle<br />
des Wettbewerbs für die Bezirks- und<br />
Landesebene. Sie erstellt Printmedien und unterstützt<br />
in organisatorischen Belangen.<br />
Die Federführung aller Aktivitäten im Bereich der<br />
„<strong>Dorf</strong>entwicklung“ obliegt dem Bayerischen Staatsministerium<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und<br />
Forsten.<br />
Fazit<br />
In Bayern lebt der Wettbewerb als „Wettbewerb der<br />
Menschen“, nicht als ein Instrument der Planungen<br />
und Konzepte.<br />
Wir danken deshalb allen, die diese größte<br />
Bürgerinitiative für den ländlichen Raum aktiv mit<br />
Leben füllen und sie zu einem Wettbewerb der<br />
Menschen machen, der aus Eigenverantwortung<br />
und daraus entstehenden Selbsthilfemaßnahmen<br />
getragen wird.<br />
Stephan Schmöger,<br />
Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten<br />
Landshut, Gartenbauzentrum Bayern Süd-Ost,<br />
Am Lurzenhof 3, 84036 Landshut-Schönbrunn
Die Schule der <strong>Dorf</strong>und<br />
Landentwicklung<br />
Thierhaupten<br />
Gründungsidee<br />
Bereits in den 1980er <strong>Jahre</strong>n vollzog sich in den<br />
ländlichen Räumen ein umfassender Strukturwandel<br />
verbunden mit schleichendem Wertewandel.<br />
Um ländliche Gemeinden und Dörfer in allen <strong>Zukunft</strong>sfragen<br />
zu unterstützen, wurde das Bayerische<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungsprogramm als Strukturprogramm<br />
aufgelegt. Neu an diesem Programm war der Anspruch,<br />
im Dialog mit den „Betroffenen“ zu planen<br />
und Ideen umzusetzen. Die konsequente Umsetzung<br />
dieses Anspruches mündete in die Gründung<br />
der Schulen der <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung (SDL)<br />
in Bayern. Mit der Konzeption der ersten Seminare<br />
betraten die Verantwortlichen weitgehend Neuland.<br />
Der Erfolg gab ihnen Recht.<br />
Von der Schule zum Forum für den<br />
ländlichen Raum<br />
Für Seminarteilnehmer, Moderatoren, Planer und<br />
Vertreter der Gemeindeverwaltungen waren die<br />
ersten praktischen Erfahrungen sehr motivierend<br />
und bewirkten eine greifbare Aufbruchstimmung.<br />
Komplexe Fragestellung der <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
werden gleichberechtigt diskutiert und Lösungsansätze<br />
entwickelt.<br />
In der Folge haben die Schulen bestehende Seminarmethoden<br />
weiterentwickelt sowie zusätzliche Angebote<br />
konzipiert. Die SDL Thierhaupten versteht<br />
sich heute als Forum der Mitwirkung, der Kreativität<br />
und des Wissensmanagements für Fragen der<br />
Entwicklung des ländlichen Raumes in Oberbayern<br />
und Schwaben.<br />
Angebote der SDL Thierhaupten –<br />
Kommunalentwicklung mit <strong>Zukunft</strong><br />
Egal, ob es um die <strong>Dorf</strong>erneuerung geht oder ob<br />
die Teilnahme an einem Wettbewerb ansteht, es<br />
gibt viele Anlässe für Gemeinden, ein Seminar an<br />
der SDL Thierhaupten zu buchen. In den zweitägigen<br />
Workshops und Klausurtagungen werden<br />
Schlüsselpersonen motiviert, sich an Planungs- und<br />
Entwicklungsprozessen aktiv zu beteiligen.<br />
Die Schule der <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung führt<br />
Kommunalpolitiker und Bürger an die künftigen<br />
Fragestellungen und Aufgaben heran. Ausgefeilte<br />
Arbeitsmethoden und knappe Impulsvorträge<br />
helfen bei der Analyse der komplexen Wirkungszusammenhänge.<br />
Sie schaffen Bewusstsein für die<br />
künftigen Herausforderungen und schulen den<br />
Blick für Entwicklungstendenzen. Dabei geht es<br />
stets um das Finden gemeinsamer Ziele als solide<br />
Handlungsbasis für kommunale Aktivitäten. Nicht<br />
jedes Problem kann künftig auf kommunaler Ebene<br />
gelöst werden. Die SDL Thierhaupten initiiert und<br />
unterstützt auch interkommunale Entwicklungsprozesse<br />
durch individuelle Workshops.<br />
Für jedes gemeindebezogene Seminar werden maßgeschneiderte<br />
und individuelle Seminarkonzepte<br />
ausgearbeitet. Das Rahmenprogramm der SDL beschreibt<br />
verschiedene Typen von Klausurtagungen.<br />
Dennoch <strong>hat</strong> jede Gemeinde, jedes <strong>Dorf</strong> eigene<br />
Schwerpunkte und Themen, die ausschließlich individuelle<br />
Lösungen zulassen.<br />
44
Kloster Thierhaupten<br />
Fachseminare<br />
Neben gemeindebezogenen Klausurtagungen<br />
veranstaltet die SDL Thierhaupten auch praxisbezogene<br />
Fachseminare und Fachexkursionen. In<br />
diesen Veranstaltungen werden Themen vertieft<br />
sowie Informationen und praktische Anregungen<br />
gegeben. Die Spannweite der Themen reicht von<br />
<strong>Dorf</strong>geschichte und Öffentlichkeitsarbeit bis hin<br />
zu Standortmarketing, Nahversorgung, Generationen,<br />
Fundraising/Sponsoring und die Gestaltung<br />
der kommunalen Energiewende. Ein weiterer<br />
Angebotsschwerpunkt der SDL Thierhaupten<br />
sind Veranstaltungen zur sozialen und baulichen<br />
Innenentwicklung. Neben fachlichen Informationen<br />
unterstützt die SDL Kommunalpolitiker im<br />
begleitenden Prozess- und Changemanagement<br />
durch Veranstaltungen zu Arbeits- , Beteiligungs-<br />
und Steuerungstechniken. Im Sinne des Gender<br />
Mainstreaming unterstützt die SDL politisch und<br />
ehrenamtlich engagierte Frauen.<br />
45<br />
Informationsplattform ländlicher<br />
Raum und Landentwicklung<br />
Mit dem Internetportal www.sdl-inform.de <strong>hat</strong> die<br />
SDL Thierhaupten ein weiteres Angebot für Interessierte.<br />
Das Herzstück von SDL-INFORM sind die<br />
Präsentationen besonders gelungener Beispiele<br />
nachhaltiger Entwicklungen in ländlichen Gemeinden<br />
und Regionen aus ganz Bayern. Einzelne Projekte<br />
werden detailliert beschrieben, die wichtigsten<br />
Meilensteine herausgearbeitet.<br />
Im Resümee erfolgt deren zusammenfassende<br />
Bewertung. Zudem kann der Nutzer bei der Suche<br />
nach relevanten Praxisbeispielen aus den Kernthemen<br />
Innenentwicklung, Wirtschaft, Generationen,<br />
Nahversorgung, Landwirtschaft, Klimawandel/<br />
Energie, Infrastruktur und interkommunale Zusammenarbeit<br />
auswählen. Gekoppelt mit dem Seminarangebot<br />
der bayerischen Schulen der <strong>Dorf</strong>- und<br />
Landentwicklung bietet das Portal Wissenstransfer,<br />
Service und Beratung.<br />
Ausblick<br />
Nach 19 <strong>Jahre</strong>n Seminarbetrieb sind die Veranstaltungen<br />
der Schule der <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung<br />
Thierhaupten gefragter denn je. In unserer schnelllebigen<br />
Zeit gilt es, vielen Entwicklungstendenzen<br />
gegenzusteuern bzw. anzupassen, um ländliche<br />
Strukturen und Qualitäten zu erhalten, aber auch<br />
um die künftigen Chancen zu erkennen. Das Land<br />
<strong>hat</strong> Potential, denn stabile soziale Netzwerke,<br />
Bodenständigkeit, das Leben und Arbeiten in kleinen,<br />
übersichtlichen Wirtschaftskreisläufen sind<br />
Modelle der <strong>Zukunft</strong>, die es zu stärken und weiterzuentwickeln<br />
gilt. Dazu brauchen die Gemeinden<br />
und Bürger Unterstützung und Beratung. Die SDL<br />
möchte den ländlichen Raum mit seinen Menschen<br />
stärken und zu einem neuen Selbstbewusstsein<br />
führen.<br />
Gerlinde Augustin,<br />
Geschäftsführerin SDL Thierhaupten, Klosterberg 8,<br />
88672 Thierhaupten
Das Zentrum für ländliche<br />
Entwicklung Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Nordrhein-Westfalen verfügt über eine Vielzahl<br />
aktiver Dörfer. Dies zeigt die große Beteiligung<br />
am <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> seit vielen <strong>Jahre</strong>n. Landwirtschaftlicher<br />
Strukturwandel und vielfältige Veränderungsprozesse<br />
erforderten neue Ideen, um die<br />
Lebensqualität in den Dörfern attraktiv zu erhalten.<br />
Die wachsende Bereitschaft der Menschen, sich<br />
für ihr ländliches Lebensumfeld zu engagieren,<br />
verlangte nach neuen Ansätzen und Formen der<br />
Unterstützung.<br />
Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2001 das<br />
Zentrum für ländliche Entwicklung (ZeLE) gegründet.<br />
Das ZeLE ist angesiedelt im Ministerium für<br />
Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und<br />
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
Diese Einbindung und der zentrale Standort in<br />
Düsseldorf haben sich sehr bewährt.<br />
Das ZeLE gibt seit 10 <strong>Jahre</strong>n den Engagierten und<br />
Interessierten in den ländlichen Regionen des<br />
Landes neue Möglichkeiten zur qualifizierten Information,<br />
zum Austausch und zur Diskussion. Alle<br />
Veranstaltungen finden grundsätzlich dezentral in<br />
den Gemeinden und Dörfern statt. Aktuelle Fragen<br />
des ländlichen Raums, der <strong>Dorf</strong>- und Regionalentwicklung<br />
stehen im Mittelpunkt. Das ZeLE versteht<br />
sich im Hinblick auf seine Ziele und Angebote als<br />
eine Akademie für den ländlichen Raum.<br />
Die Veranstaltungen des ZeLE<br />
Das Themenspektrum des ZeLE umfasst alle Bereiche<br />
der ländlichen Entwicklung, zum Beispiel zur<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung, Regionalentwicklung, Nutzung<br />
nachhaltiger Energien (Holz, Biogas u. a.), landwirtschaftsnahe<br />
Themen (z. B. Diversifizierung,<br />
Umnutzung).<br />
Die Schwerpunkte entwickeln sich ständig weiter.<br />
Aktuelle Herausforderungen durch demografische<br />
Entwicklungen werden aufgegriffen. Seminare zur<br />
Nahversorgung oder zum Breitbandausbau werden<br />
ebenso gut besucht, wie Angebote zur Innenentwicklung<br />
oder Umnutzung. Seit langem werden<br />
auch Fachseminare zum <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> sowie<br />
<strong>Dorf</strong>exkursionen durchgeführt. Bei allen Angebo-<br />
ten des ZeLE stehen nicht nur die fundierten Informationen<br />
von Experten im Fokus, einen ebenso<br />
breiten Raum nehmen Diskussion und Erfahrungsaustausch<br />
ein.<br />
Die Regionalentwicklung ist ein Kernthema für das<br />
ZeLE. Eine wichtige Zielgruppe stellen die 12 Leader-Regionen<br />
im Land dar. Leader-Foren im Frühjahr<br />
und im Herbst halten aktuelle Informationen<br />
für die Engagierten bereit und sollen gleichzeitig<br />
den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen<br />
den Regionen stärken. Das ZeLE fördert damit aktiv<br />
die Vernetzung der Leader- und ILEK-Regionen.<br />
Seit 2008 bietet das ZeLE spezielle „<strong>Dorf</strong>werkstätten“<br />
an. Hier haben Gruppen aus Dörfern die<br />
Aufgabe, an zwei Tagen ein erstes Leitbild zu<br />
erstellen und einen individuellen Aktionsplan in<br />
die Dörfer mitzunehmen. Diese an das Vorbild der<br />
bayerischen Schulen für <strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung<br />
angelehnten Veranstaltungen erfahren eine<br />
besonders große Nachfrage.<br />
Nach über 1<strong>50</strong> Veranstaltungen haben seit 2001<br />
über 11.<strong>50</strong>0 Teilnehmer die Angebote des ZeLE<br />
wahrgenommen. Es handelt sich dabei um über<br />
6.000 Personen, von denen viele mehrmals teilgenommen<br />
haben.<br />
Zur Verbesserung der Arbeit des ZeLE wurden die<br />
Teilnehmer befragt. Die Ergebnisse waren überwiegend<br />
sehr positiv, viele Anregungen und Themenvorschläge<br />
wurden eingebracht. Aus den Befragungen<br />
ist auch bekannt, dass bei den interessanten<br />
Themenstellungen durchaus weite Anfahrtswege<br />
in Kauf genommen werden. So fahren 60 % der<br />
Teilnehmenden über <strong>50</strong> Kilometer zum Ort der<br />
Veranstaltung an, viele sogar über 100 Kilometer.<br />
Wettbewerbe und Zusammenarbeit<br />
Um die Möglichkeiten der Umnutzung nicht mehr<br />
benötigter landwirtschaftlicher Gebäude weiter bekannt<br />
zu machen, wurden in den <strong>Jahre</strong>n 2003 und<br />
2008 Wettbewerbe „Gute Ideen für alte Gemäuer“<br />
durchgeführt, die bei den Inhabern der Objekte<br />
auf ein großes Interesse stießen.<br />
Der Austausch mit Partnern bringt für das ZeLE<br />
wichtige Impulse. Das ZeLE arbeitet mit den anderen<br />
deutschen Akademien Ländlicher Raum in<br />
der Arbeitsgemeinschaft „Arge Ländlicher Raum“<br />
zusammen. Seit 2008 richten die Akademien gemeinsam<br />
Veranstaltungen zu aktuellen Themen im<br />
46
<strong>Dorf</strong>werkstätten sind moderierte Prozesse, bei denen Stärken und Schwächen analysiert, Ziele und Projekte<br />
zur Umsetzung entwickelt werden.<br />
Rahmen des „<strong>Zukunft</strong>sforums Ländliche Entwicklung“<br />
bei der Internationalen Grünen Woche in<br />
Berlin aus.<br />
In dem Netzwerk „Europäisches Bildungsforum<br />
ländliche Entwicklung - EBFLE“ arbeitet das ZeLE<br />
auf internationaler Ebene mit Bildungseinrichtungen<br />
für <strong>Dorf</strong>- und Regionalentwicklung aus mehreren<br />
europäischen Staaten und deutschen Ländern<br />
zusammen.<br />
Der Beirat des ZeLE<br />
Zur Unterstützung der Arbeit des ZeLE ist ein<br />
Beirat von insgesamt 20 Personen einberufen.<br />
Dort sind die im ländlichen Raum relevanten<br />
gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Der Beirat<br />
wirkt regelmäßig beratend an der Arbeit und der<br />
Aufgabenplanung mit und bringt aktuelle Themen<br />
direkt ein.<br />
47<br />
Zum Schluss<br />
Das Zentrum für ländliche Entwicklung will alle,<br />
die sich für ihre Dörfer und Regionen engagieren,<br />
bei der Umsetzung ihrer Ideen und Projekte unterstützen.<br />
Es werden viele Personen angesprochen,<br />
die bisher von fachlichen Angeboten zur Regional-<br />
und <strong>Dorf</strong>entwicklung nicht erreicht wurden. Bei<br />
den Veranstaltungen steht nicht nur die Information<br />
im Mittelpunkt, sondern die Möglichkeiten<br />
zu neuen Kontakten und Diskussionen sind von<br />
besonderer Bedeutung. Vor dem Hintergrund<br />
weiterer Veränderungen in ihrem direkten Umfeld<br />
werden die Menschen gestärkt, ihre <strong>Zukunft</strong> mit in<br />
die eigene Hand zu nehmen.<br />
Dr. Michael Schaloske,<br />
Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft,<br />
Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen, Schwannstraße 3, 40476 Düsseldorf
Die Bewertungskommissionen<br />
Die Bewertungskommissionen sind das „Gesicht“ der Auslober und Träger des Wettbe-<br />
werbsgedankens. Den Stufen des Wettbewerbs entsprechend gibt es Kommissionen für<br />
Landkreise, Regierungsbezirke, Länder und für den <strong>Bund</strong>eswettbewerb. Sie sind unabhängig<br />
voneinander und autonom in ihrer Entscheidung.<br />
Mit Anpassung der Kriterien an sich ändernde Rahmenbedingungen verändern sich<br />
auch die Schwerpunkte der Bewertung und die Blickrichtung der Kommissionen. Wenn<br />
zu Beginn des Wettbewerbs vor allem die Zustandsbewertung der Dörfer im Vordergrund<br />
stand, ist es heute zunehmend eine Prozessbewertung die auch zukünftige Entwicklungsperspektiven<br />
und Änderungen im Blick <strong>hat</strong>.<br />
Organisation und Aufgaben<br />
Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ <strong>hat</strong><br />
sich in den letzten <strong>50</strong> <strong>Jahre</strong>n zu einem der wichtigsten<br />
Instrumente zur Förderung der dörflichen<br />
Entwicklung herausgebildet. Die Erfolgsgeschichte<br />
des Wettbewerbs wurde nicht zuletzt durch die<br />
engagierte Arbeit der Bewertungskommissionen<br />
und die stetige Anpassung der Bewertungskriterien<br />
erreicht. Die Aufgaben der Kommissionen gehen<br />
dabei weit über die reine Bewertung der Teilnehmerdörfer<br />
hinaus. Mit Ortsbegehungen, Beratungsbriefen<br />
und Abschlussberichten liefern die Kommissionen<br />
nützliche Hinweise für die Akteure auf<br />
Kreis-, Landes- und <strong>Bund</strong>esebene. Die Bewertungskommissionen<br />
sind das „Gesicht“ der Auslober<br />
und Träger des Wettbewerbs. Gleichzeitig haben<br />
sie auch eine wichtige Beratungsfunktion für die<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklungsprozesse.<br />
Das dreistufige Verfahren<br />
des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
Der besondere Reiz für viele Dörfer an dem Wettbewerb<br />
teilzunehmen, ist sein dreistufiges Verfahren.<br />
In 13 <strong>Bund</strong>esländern wird der Wettbewerb auf<br />
Kreis-, Länder- und final auf <strong>Bund</strong>esebene durchgeführt.<br />
Auf der Ebene der Kreise sowie der Landesebene<br />
führen Kommissionen jeweils ein Jahr vor<br />
den Begehungen durch die Bewertungskommission<br />
des <strong>Bund</strong>es eigene Kreis- und Landesentscheide<br />
durch. Je Landkreis bzw. Land variiert die Beteiligung<br />
der Dörfer.<br />
Teilnahmeberechtigt sind räumlich geschlossene<br />
Gemeinden oder Ortschaften mit überwiegend<br />
dörflichem Charakter und mit weniger als 3.000<br />
Einwohnern. Die Teilnahme am <strong>Bund</strong>esentscheid<br />
setzt den Erfolg in einem vorangegangenen<br />
Landeswettbewerb voraus. Die Bewertungen der<br />
Kommissionen erfolgen durch die berufenen Kommissionsmitglieder.<br />
Diese beurteilen unabhängig<br />
und ihr Ergebnis ist endgültig. Der Rechtsweg ist<br />
ausgeschlossen.<br />
Begrüßung der <strong>Bund</strong>esbewertungskommission im<br />
<strong>Dorf</strong> und erste Erläuterungen<br />
48
Die Mitglieder der Kommissionen<br />
Die Berufung der Mitglieder in die Bewertungskommissionen<br />
erfolgt je nach Wettbewerbsebene<br />
und <strong>Bund</strong>esland unterschiedlich. Auf Land kreisebene<br />
werden die Mitglieder der Kommissionen<br />
von den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten<br />
bestimmt. Für die Landeswettbewerbe berufen die<br />
zuständigen Ministerien in 13 <strong>Bund</strong>esländern die<br />
Kommissionsmitglieder jeweils für die Dauer einer<br />
Wettbewerbsperiode. Die Landeskommissionen<br />
setzen sich aus Vertretern der am Wettbewerb<br />
beteiligten Verwaltungen, Verbände und Vereine<br />
zusammen. Die Mitglieder der <strong>Bund</strong>esbewertungskommission<br />
werden durch das <strong>Bund</strong>esministerium<br />
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
(BMELV) berufen.<br />
Bis 1998 <strong>hat</strong>te die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft<br />
1822 e.V. den Vorsitz in der Kommission. Seit dem<br />
<strong>Bund</strong>esentscheid 2001 liegt der Vorsitz in der <strong>Bund</strong>esbewertungskommission<br />
bei dem Bürgermeister<br />
der Gemeinde Weyarn, Michael Pelzer, sowie dem<br />
Landrat des Landkreises Waldeck-Frankenberg,<br />
Dr. Reinhard Kubat, das BMELV stellt den stellvertretenden<br />
Vorsitzenden. Diese Änderung in der Organisationsstruktur<br />
spiegelt den Paradigmenwechsel<br />
innerhalb des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s mit stärkerer<br />
Ausrichtung auf „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ wider.<br />
Angesichts der weitreichenden fachlichen und<br />
politischen Anforderungen des Wettbewerbs ist zu<br />
beobachten, dass die Ansprüche an die Kommissionen<br />
in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind.<br />
Die Kommissionen bündeln durch ihre Mitglieder<br />
Kompetenzen aus den Bereichen Kommunalpolitik<br />
und Verwaltung, sowie aus den Themenfeldern<br />
ländliche Strukturentwicklung, Architektur,<br />
Naturschutz und Landschaftspflege, Denkmal- und<br />
Heimatpflege, Landwirtschaft und ehrenamtliches<br />
Engagement der örtlichen Gartenbau- und Heimatvereine.<br />
Wandel der Bewertungskriterien<br />
Das Erfolgsrezept des Wettbewerbs „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong><br />
<strong>Zukunft</strong>“ ist die über fünf Jahrzehnte erhaltene Fähigkeit<br />
zum Wandel und zur Anpassung der Kriterien<br />
an neue gesellschaftspolitische Entwicklungen<br />
und strukturelle Herausforderungen.<br />
Stand in den 1960er <strong>Jahre</strong>n unter dem Motto „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> soll schöner werden“ die Zustands- und<br />
Verschönerungsbewertung der Dörfer und Anwesen<br />
im Vordergrund, so richtet sich seit den 1980er<br />
<strong>Jahre</strong>n der Blick vermehrt auf die Baugestaltung<br />
49<br />
Überblick und Detailinformation – beides zusammen<br />
ermöglicht eine sachgerechte Bewertung<br />
und Ökologie eines <strong>Dorf</strong>es. Aspekte der nachhaltigen<br />
Entwicklung der Dörfer und ihrer Umgebung<br />
fanden mit der Lokalen Agenda 21 verstärkt Einzug<br />
in den Wettbewerb. Durch Änderungen der Bewertungskriterien<br />
werden zunehmend grundsätzliche<br />
Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität<br />
von breitem Bürgerengagement getragen und das<br />
Gemeinschaftsleben im Ort erfährt eine stärkere<br />
Gewichtung.<br />
Bereits 1993 im Jahr des 30. Jubiläums des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs<br />
wurde der Titel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
verwendet. Diesen Zusatz <strong>hat</strong> der bisherige<br />
Wettbewerbstitel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
im Jahr 1998 erhalten. Mit der Ausschreibung des<br />
22. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs 2007 verkürzte sich der<br />
Titel auf „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“. Heute finden<br />
die individuellen Ausgangsbedingungen und<br />
kulturellen Besonderheiten der Dörfer größere<br />
Berücksichtigung. Im Mittelpunkt stehen die<br />
Anforderungen der Lokalen Agenda 21 und einer<br />
zukunftssichernden Infrastruktur, die dem Bedarf<br />
des jeweiligen <strong>Dorf</strong>es angepasst ist. Nachhaltige<br />
Entwicklungen und bürgerschaftliches Engagement<br />
sind wichtige Elemente des Wettbewerbs.<br />
Heute wird das Motto „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
konsequent umgesetzt.<br />
Sören Bronsert,<br />
Geschäftsführer <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong><br />
<strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“, <strong>Bund</strong>esanstalt für Landwirtschaft und<br />
Ernährung, Deichmanns Aue 29, 53179 Bonn
1976: Vortrag zum Abschluss des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs in<br />
Bayern<br />
„Sehr geehrter Herr Staatsminister Dr. Eisenmann,<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
das Bayerische Staatsministerium für Ernährung<br />
Landwirtschaft und Forsten <strong>hat</strong> heute nach Veitshöchheim<br />
geladen, um die Medaillen in Empfang<br />
zu nehmen, die uns anlässlich des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“ auf Landesebene<br />
zuerkannt wurden. Ich bin natürlich voller<br />
Glück und Freude, dass ich mit meinem <strong>Dorf</strong> eine<br />
bayrische Goldmedaille heimbringen darf.<br />
Gestatten Sie mir in wenigen Worten die Auswirkung<br />
eines solchen Wettbewerbes im privaten und<br />
kommunalen Bereich zu schildern. Durch die erstmalige<br />
Teilnahme an so einem Wettbewerb wird<br />
ein Ziel gesetzt, das es zu erreichen gilt, nämlich<br />
irgendwann auch in die <strong>Bund</strong>esentscheidung zu<br />
gelangen. Das gibt Auftrieb sofern es gelingt, die<br />
Mitbürger zu begeistern, nicht nur dazu, die Häuser<br />
mit Blumen zu schmücken, sondern auch, dass<br />
Ortsentwicklung zu einer Aufgabe für jeden einzelnen<br />
wird und ist. Durch mehrmalige Teilnahme<br />
rückt die Verantwortung dafür in das Bewusstsein<br />
der Menschen und man spürt es und hört es, wie<br />
die Leute mit offenen Ohren und abschätzenden<br />
Blicken feststellen, wie diese oder jene Dinge in<br />
anderen Dörfern gemacht werden.<br />
Man spürt es, wie viele Leute vom Blumenschmuck<br />
über den gepflegten Garten oder das selbst gemalte<br />
Haus miteinander wetteifern, dass dadurch der<br />
Sinn für das Schöne geweckt und geschult wird.<br />
Man spürt es, wie viele im <strong>Dorf</strong>, im Gemeinwesen<br />
durch die Dauerberieselung Gespür dafür bekommen,<br />
was bei der Gebäuderenovierung vertretbar<br />
ist und was nicht.<br />
Man spürt es, wie die Leute dadurch Gefallen finden<br />
an einem schönen Schindelschirm, an der Freilegung<br />
von Fachwerk, an einer Baumgruppe oder<br />
aber auch an einem alten Bauernhaus, wo der<br />
Besitzer sich entschlossen <strong>hat</strong>, die alten Sprossenfenster<br />
nicht durch flächige Fenster zu ersetzen.<br />
Man spürt es, wie die Leute begeistert sind, wenn<br />
aus all dieser Gemeinschaftsarbeit hier und<br />
dort gar noch ein kleines Heimatmuseum entsteht<br />
und die Senioren sich dort durch Leihgaben oder<br />
Spenden selbst verewigen, oder wie stolz alle sind,<br />
wenn die Pfarrkirche am Tag der Ortbesichtigung<br />
im neuen Glanz erstrahlt.<br />
Man spürt es, wie das Vorbild erzieherisch auf die<br />
Jugend wirkt. Wie sie begeistert mitmacht<br />
und in unbewusster Weise den Sinn fürs Schöne,<br />
das Gepflegte in sich aufnimmt.<br />
Man spürt es, wie solche Aktivität Nachbargemeinden<br />
ansteckt.<br />
Man spürt es, wie nicht zuletzt auch auf dem<br />
gemeindlichen Friedhof die Grabstelleninhaber<br />
miteinander wetteifern, um ein gepflegtes Grab,<br />
um ein schön bepflanztes Grab zu haben, ja dass<br />
der Grabstein nicht nur gefällt, sondern auch in<br />
die Umgebung passt.<br />
1965: Bewertungskommission in Bleichstetten<br />
<strong>50</strong>
Man spürt es, aber auch, dass einer, der nicht mitmacht<br />
doch oft ein schlechtes Gewissen <strong>hat</strong> oder<br />
sich zum Außenseiter stempelt.<br />
Ist es dann eines Tages so weit, dass man sich<br />
profiliert <strong>hat</strong>, und ziemlich weit oben in der Reihe<br />
der Wettbewerber angelangt ist, zieht man Besuchergruppen<br />
an, der Fremdenverkehr gewinnt an<br />
Bedeutung.<br />
Man spürt es, wie anerkennende Worte von <strong>Dorf</strong>besuchern<br />
bei den Ortsansässigen wie Balsam in den<br />
Ohren wirken und man ist glücklich in so einen<br />
<strong>Dorf</strong> zu wohnen, wo jeder Wegziehende es bedauert<br />
und jeder Hinzuziehende glücklich ist irgendwo<br />
zu sein, wo man jemand ist, wo man als „Zugereister“<br />
sofort in die Gemeinschaft aufgenommen ist.<br />
Wo Gottes schöne Welt echt durch das menschliche<br />
Zutun zu einem kleinen Paradies wird, wo<br />
man bedauert, wenn einer aus der Gemeinschaft<br />
ausschert und nicht mitwirkt. Ja man stellt fest,<br />
dass der früher oft etwas geringschätzende ja sogar<br />
bemitleidende Ausdruck einer in der nächsten<br />
Stadt wohnenden Bevölkerung „Ach so Ihr wohnt<br />
ja auf den Land oder in dem Nest“ sich auf einmal<br />
ins Bewundernswerte, ja ins Beneidens- und Nachahmenswerte<br />
verwandelt.<br />
Ich glaube, Herr Minister, meine Damen und Herren,<br />
ihnen mit diesen paar Sätzen einen kleinen<br />
Einblick in das <strong>Dorf</strong>geschehen zu Wettbewerbszeiten<br />
vermittelt zu haben und wenn ich aus eigener<br />
Erfahrung noch feststelle, dass derjenige, der aus<br />
51<br />
diesem Anlass sein Haus mit Blumen schmückt und<br />
dies dann immer tut, so <strong>hat</strong> der Wettbewerb das<br />
Beste gebracht.<br />
Gestatten Sie mir, sehr geehrter Herr Minister, im<br />
Auftrag aller Gemeinden, die heute geladen waren,<br />
ein abschließendes Wort des Dankes zusagen:<br />
Ein Wort des Dankes an Sie, Herr Minister für die<br />
Überreichung der Medaillen und Ihre Laudatio<br />
und dass Sie und Ihr Ministerium diesem <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
auf bayerischer Ebene entsprechendes<br />
Gewicht geben.<br />
Als wohl südlichster Vertreter bei der heutigen Feier<br />
erlaube ich mir, lieber Herr Minister, Ihnen als<br />
Ihr Gast, zugleich im Namen meiner Delegation,<br />
ein Gastgeschenk zu überreichen. Es ist ein bayerischer<br />
Löwe, der symbolisch Sie daran erinnern<br />
soll, woher wir kommen. Wir kommen aus der<br />
Gemeinde, in der Bayern zwischen Österreich und<br />
Württemberg liegt, und wo Bayern nur 2000 Meter.<br />
breit ist. Wo die Farben weiß und blau, wenn auch<br />
am Schwanze des Freistaates, dogmatische Bedeutung<br />
haben, wie das Mascherl am Schwanz dieses<br />
Stoff-Löwen. Und es ist eine kleine Schallplatte<br />
der Musikanten aus unserm kleinen <strong>Dorf</strong>, aus der<br />
aber alles zu entnehmen ist, was dort an Charme,<br />
an kulturellem Gut, an Idealismus, an Liebe und<br />
Humor zu Hause ist.“<br />
Theo Bihler,<br />
Pfänderstraße 10,<br />
88138 Hergensweiler
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Besondere Herausforderungen sind auf die Dörfer im letzten Jahrzehnt zugekommen<br />
und sie werden die Dörfer auch weiter beschäftigen: Der Strukturwandel bleibt nicht auf<br />
die Landwirtschaft beschränkt, Handwerk und Gewerbe unterliegen ebenso dem Zwang<br />
zur Konzentration und Anpassung an größere Märkte. Die Lebensmittelnahversorgung<br />
wird schwieriger, Ärzte für die Dörfer sind kaum noch zu gewinnen. Schulen und Kindergärten<br />
fusionieren. Selbst vor den Kirchengemeinden machen der Strukturwandel und<br />
Zusammenlegungen nicht halt, wenn Pfarrer fehlen.<br />
Wie sieht vor diesem Hintergrund moderne, zielführende Beratung aus? Wie meistern<br />
Dörfer diese Situation?<br />
Anpassung an neue<br />
Herausforderungen<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> ist die „Tür“ zu den Bürgern<br />
und Bürgerinnen. Seit der <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
erstmals <strong>1961</strong> mit dem Ziel der <strong>Dorf</strong>verschönerung<br />
und Infrastrukturverbesserung ausgerichtet wurde,<br />
haben sich die Rahmenbedingungen im ländlichen<br />
Raum und seinen Dörfern und Gemeinden in<br />
nahezu allen Lebensbereichen (Leben, Wohnen,<br />
Arbeiten, öffentliche und private Versorgung etc.)<br />
erheblich verändert. Die Herausforderungen sind<br />
immer vielfältiger geworden. Sie sind verursacht<br />
durch den Strukturwandel in Landwirtschaft,<br />
Handwerk, Gewerbe und Wirtschaft sowie die<br />
Globalisierung der Weltmärkte. Folgen des demografischen<br />
Wandels zeigen sich im Geburtenrückgang,<br />
in zunehmender Alterung und Abwanderung<br />
verbunden mit gesellschaftlichem Wertewandel.<br />
Auch der Klimawandel und der Bedarf an erneuerbaren<br />
Energien sind neue Aufgaben, denen es sich<br />
zu stellen gilt. Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> <strong>hat</strong> in fünf<br />
Jahrzehnten immer wieder bewiesen, dass er als Instrument<br />
der <strong>Dorf</strong>entwicklung flexibel genug war,<br />
sich den neuen Herausforderungen und gewandelten<br />
Bedingungen im ländlichen Raum zu stellen.<br />
Die Erweiterung der Bewertungskriterien sowie<br />
die Titelverkürzung auf „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
verdeutlichen dies. Seit den 2000er <strong>Jahre</strong>n stehen<br />
somit grundsätzliche Maßnahmen zur Verbesserung<br />
der Lebensqualität im Fokus des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s.<br />
Die individuellen Ausgangsbedingungen der<br />
Dörfer finden hierbei ebenso wie die kulturellen<br />
Traditionen besondere Berücksichtigung. Im Sinne<br />
der Lokalen Agenda 21 steht eine Infrastruktur im<br />
Vordergrund, die an den Bedürfnissen und den<br />
Erhalt des jeweiligen <strong>Dorf</strong>es angepasst sind.<br />
Fachliche Begleitung und Hilfe<br />
Anders als in anderen westdeutschen <strong>Bund</strong>esländern<br />
ist die demografische Situation im Saarland<br />
seit 1995 nicht allein durch Alterung, sondern<br />
bereits durch Schrumpfung geprägt. Das Saarland<br />
verliert derzeit pro Jahr über 6.000 Einwohner. Notwendige<br />
Anpassungen an den Schrumpfungsprozess,<br />
wie der Rückzug aus der Fläche, der Umbau<br />
und Rückbau der öffentlichen Infrastruktur, etwa<br />
der Abbau der Zahl der Schulen, Aktivierung der<br />
bürgerlichen Selbstinitiative etc. sind unpopulär<br />
und schwer zu vermitteln.<br />
Das erforderliche Umdenken braucht Zeit und<br />
professionelle Begleitung. Seit 1999 bietet die<br />
Agentur ländlicher Raum und das Referat Regionalentwicklung<br />
im ländlichen Raum im Ministerium<br />
für Wirtschaft und Wissenschaft des Saarlandes<br />
52
Beratungshilfe und Unter-stützung für Dörfer und<br />
Gemeinden an.<br />
Unter dem Motto „Es lebe das <strong>Dorf</strong>“ werden Bürgermeister,<br />
Gemeindeverwaltungen, Ortsvorsteher,<br />
Vereine und Bürger bei Fragen der baulichen, ökonomischen,<br />
ökologischen und gesellschaftlichen<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung unterstützt, z. B. durch:<br />
ó <strong>Dorf</strong>beratung und <strong>Dorf</strong>begleitung beim Weg<br />
durch den demografischen Wandel,<br />
ó <strong>Dorf</strong>begehungen, die der Ermittlung der spezifischen<br />
Stärken und Schwächen des Ortes dienen,<br />
ó <strong>Dorf</strong>gespräche, bei denen konkrete Bedürfnisse,<br />
aber auch Missstände benannt und ein Planen<br />
„über die Köpfe hinweg“ vermieden werden soll,<br />
ó Beratungen zu Fördermöglichkeiten,<br />
ó Betreuung von Arbeitsgruppen, die im Rahmen<br />
der <strong>Dorf</strong>gespräche entstehen,<br />
ó Konzeption, Organisation und Umsetzung von<br />
Fortbildungsveranstaltungen und Seminaren zur<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung und dem Leben im ländlichen<br />
Raum für Kommunalverwaltungen, Mandatsträger<br />
in den Kommunen, Vereine und sonstige<br />
Interessierte.<br />
Programm MELaniE<br />
Ergänzend <strong>hat</strong> das Saarland in den vergangenen<br />
<strong>Jahre</strong>n verstärkt aus dem Programm MELaniE<br />
(Modellvorhaben zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs<br />
durch innerörtliche Entwicklung)<br />
über zwanzig Modellprojekte gefördert.<br />
Insbesondere sollen mit MELaniE Projekte gefördert<br />
werden, die beispielhaft für andere Dörfer, Gemeinden<br />
und Organisationen zeigen, wie den Herausforderungen<br />
des demografischen Wandels kreativ<br />
begegnet werden kann.<br />
Modellprojekt „Wir lassen die<br />
Kirche im <strong>Dorf</strong>“<br />
Aus finanziellen Gründen bot die evangelische<br />
Kirchengemeinde Wolfersweiler das Kirchengebäude<br />
in Steinberg-Deckenhardt zum Verkauf an.<br />
Der örtliche Musikverein konnte mit Unterstützung<br />
des Landes das Gebäude erwerben und umbauen,<br />
Verein und Gemeinde haben gemeinsam ein Nutzungskonzept<br />
erarbeitet. Das ehemalige Kirchengebäude<br />
wird heute multifunktional als <strong>Dorf</strong>gemeinschaftshaus,<br />
Vereinshaus des Musikvereins,<br />
zur Feier von Gottesdiensten und für Feierlichkeiten<br />
von Ortsvereinen und der örtlichen Bevölkerung<br />
genutzt.<br />
53<br />
Umnutzung eines Kirchengebäudes in Steinberg-<br />
Deckenhardt<br />
Modellprojekt „Netzwerk Freisen“<br />
In kleineren Gemeinden wird es künftig immer<br />
schwieriger werden, öffentlich oder ehrenamtlich<br />
organisierte Angebote in den Bereichen Freizeit,<br />
Kultur und Soziales anbieten zu können. Vor diesem<br />
Hintergrund <strong>hat</strong> die saarländische Gemeinde<br />
Freisen versucht, sich den vielschichtigen Herausforderungen<br />
in einer Allianz aus Gemeindeverwaltung<br />
und engagierten Bürgern zu stellen und neue<br />
Entwicklungsimpulse für eine nachhaltige und<br />
zukunftorientierte Gemeindeentwicklung zu setzen.<br />
Im Verlauf des Projektes konnten bedeutende<br />
Maßnahmen umgesetzt werden, insbesondere der<br />
Generationentreff und die Bürgerenergiegenossenschaft,<br />
der gemeinschaftliche Internetauftritt der<br />
Freisener Vereine, die Durchführung einer Vereinsbörse<br />
und der Freisener Ac<strong>hat</strong>wanderweg.<br />
Modellprojekt „Platz da!“<br />
In den nächsten <strong>Jahre</strong>n werden in den saarländischen<br />
Kommunen als Folge des demografischen<br />
Wandels zahlreiche Wohngebäude leer stehen. Ein<br />
Teil dieser Häuser wird künftig nicht mehr zu vermarkten<br />
sein, weil teilweise schlechte Bausubstanz<br />
dagegen spricht oder die Nachfrage nach Wohngebäuden<br />
bei schrumpfenden Einwohnerzahlen deutlich<br />
abnehmen dürfte. Die möglichen Folgen betreffen<br />
Eigentümer und Kommune gleichermaßen:<br />
sinkende Immobilienpreise, Beeinträchtigung des
Kommunales Abrissprogramm in Illingen<br />
Ortsbildes, abnehmende Wohnqualität. Die saarländische<br />
Gemeinde Illingen <strong>hat</strong> in Zusammenarbeit<br />
mit dem Land mehrere Modellprojekte zum Thema<br />
„Leerstehende Wohngebäude“ umgesetzt. „Platz<br />
da!“ war das erste kommunale Abrissprogramm für<br />
leerstehende Wohngebäude im Saarland. Neben<br />
dem Beitrag zur Eindämmung des Landschaftsverbrauches<br />
durch innerörtliche Entwicklung war das<br />
Ziel vor allem die Steigerung der Wohnqualität für<br />
die umliegenden Anwohner sowie die Verbesserung<br />
des Ortsbildes.<br />
Modellprojekt „PINK – Projekt<br />
zur Integration Jugendlicher auf<br />
kommunaler Ebene“<br />
Kinder sind die <strong>Zukunft</strong> unserer Dörfer. Besonders<br />
vor dem Hintergrund des demografischen Wandels<br />
und dem damit einhergehenden Bevölkerungsrückgang<br />
ist es für jede Gemeinde wichtig, die Belange<br />
der Kinder und Jugendlichen zu kennen und zu<br />
berücksichtigen. Die saarländische Gemeinde Weiskirchen<br />
<strong>hat</strong>te sich zusammen mit der erweiterten<br />
Realschule Weiskirchen zum Ziel gesetzt, Jugendliche<br />
für die eigene Gemeinde zu sensibilisieren<br />
und Verständnis und Interesse für das <strong>Dorf</strong>leben zu<br />
entwickeln. Zwei <strong>Jahre</strong> haben sich 60 Schüler im<br />
Wahlpflichtfach Pädagogik mit den Freizeitmöglichkeiten<br />
für Kinder und Jugendliche in der Gemeinde<br />
beschäftigt: alle Ortsvorsteher befragt, über<br />
<strong>50</strong> Vereinsvorsitzende über die Jugendarbeit ihrer<br />
Vereine interviewt, eine groß angelegte Befragung<br />
der Kinder und Jugendlichen im Alter von sechs bis<br />
17 <strong>Jahre</strong>n durchgeführt und die Ergebnisse, Ideen<br />
und Vorschläge an die Verantwortlichen herangetragen.<br />
Modellprojekt „Tatort <strong>Dorf</strong>mitte“<br />
Zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements<br />
wurden im Rahmen der Wettbewerbe Tatort <strong>Dorf</strong>mitte<br />
2008 und Tatort <strong>Dorf</strong>mitte 2009 rund 200<br />
Bürgerprojekte in fast der Hälfte aller saarländischen<br />
Dörfer umgesetzt.<br />
Alle Ergebnisse der über zwanzig Modellprojekte<br />
wurden in Form einzelner Broschüren dokumentiert<br />
und den saarländischen Kommunen kostenlos<br />
zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurden die<br />
Folgen des demografischen Wandels in einem Film<br />
behandelt. Er zeigt die graue <strong>Zukunft</strong> des Saarlandes<br />
im Jahr 2030: Die Bevölkerung ist überaltert,<br />
Schulen und Kindergärten stehen leer, Ortskerne<br />
sind verödet. Mit Hilfe des Films konnte insbesondere<br />
den kommunalen Verwaltungen und Mandatsträgern<br />
sowie der dörflichen Bevölkerung die<br />
drohenden Konsequenzen verdeutlicht und damit<br />
ein Beitrag zum Nachdenken, Umdenken und Handeln<br />
geleistet werden.<br />
Thomas Unold,<br />
Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft des Saarlandes,<br />
Franz-Josef-Röder-Straße 17, 66119 Saarbrücken<br />
54
Erfolgreich gemeinsam<br />
Handeln – eine Arbeitshilfe<br />
zur Selbstbewertung<br />
dörflicher Aktivitäten<br />
Die Bewertungsmatrix des Wettbewerbes „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ ist vor dem Hintergrund der aktuellen<br />
kommunalen Problemlagen anspruchsvoll<br />
und komplex. So wurden beispielsweise in Hessen<br />
die fünf Hauptkriterien einer ganzheitlichen<br />
Ortsentwicklung mit 12 Unter- und 53 Teilkriterien<br />
hinterlegt. Dieses verunsichert zuweilen Ortsbeiräte<br />
und Bewohner. Wenn die Vielschichtigkeit<br />
kommunaler Entwicklung schon für Experten, Politik<br />
und Verwaltung eine Herausforderung ist, wie<br />
können dann die Bewohner als Laien die <strong>Zukunft</strong><br />
ihres Lebensmittelpunktes eigenverantwortlich<br />
mitgestalten?<br />
Vor diesem Hintergrund entstand 2006 die Idee,<br />
eine Arbeitshilfe anzubieten. Diese sollte das Bürgerengagement<br />
methodisch und fachlich unterstützen<br />
sowie die Zusammenarbeit zwischen der<br />
Kommune und den Ortsteilen stärken. Im Ergebnis<br />
versteht sie sich als „Türöffner“ für die innerörtliche<br />
Diskussion. Gleichzeitig kann sie als „Prozessbegleiter“<br />
bei der gemeinsamen Entwicklung<br />
langfristiger und tragfähiger Lösungen eingesetzt<br />
werden.<br />
55<br />
Hessisches Ministerium für Wirtschaft,<br />
Verkehr und Landesentwicklung<br />
Anleitung<br />
zur Selbstbewertung<br />
dörfl icher Aktivitäten<br />
Erfolgreiches<br />
und gemeinsames<br />
Handeln<br />
Eine Arbeitshilfe<br />
Erarbeitet aus der<br />
Praxis und für die Praxis<br />
1<br />
Die Stärken-Schwächen-Analyse<br />
Die Arbeitshilfe „Selbstbewertung dörflicher Aktivitäten“<br />
beinhaltet im Kern einen Test mit einem<br />
Erhebungs- und Auswertungsbogen. Die Einführung<br />
ist in Form einer (Spiel-)Anleitung geschrieben.<br />
Herausgeber ist das Hessische Ministerium für<br />
Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung.<br />
Die Methode der Selbstevaluierung eröffnet den<br />
Beteiligten die Möglichkeit, ihre gegenwärtigen<br />
Aktivitäten selbst zu bewerten. Sie unterstützt die<br />
Bewohner, Antworten zu finden auf die Fragen:<br />
ó Wie ist die gegenwärtige Situation?<br />
ó Wo wollen wir hin?<br />
ó Welche Zwischenziele wurden bisher erreicht?<br />
Die Ergebnisse sollen die Bewohner motivieren,<br />
in ausgewählten Schwerpunkten weiter zu arbeiten.<br />
Diese richten sich beispielsweise darauf, die<br />
innerörtliche Kommunikation zu verbessern oder<br />
Alternativen zur gegenwärtigen Energieversorgung<br />
aufzubauen.<br />
Inhalt, Ziel und Anwendung<br />
Die Selbstbewertung erfolgt unter Einbindung<br />
möglichst vieler Bewohnerinnen und Bewohner.<br />
Hierzu sollten alle innerörtlichen Gruppen, Vereine,<br />
der Kirchenvorstand etc. angesprochen werden.<br />
Im Rahmen einer Bürgerversammlung oder in<br />
Gruppen wird der Test durchgeführt. Die Methode<br />
ist so konzipiert, dass sie ohne externe Hilfe eingesetzt<br />
werden kann.<br />
Eine Situationsbewertung und Zielformulierung<br />
nehmen die Beteiligten gemeinsam vor. Die Mehrheitsmeinung<br />
bildet das Ergebnis. Der Test umfasst<br />
elf thematische Handlungsfelder (HF) von A bis K.<br />
Sie wurden als Erfolgsfaktoren für die dörfliche<br />
Entwicklung herausgestellt. Diese sind:<br />
A Soziales Gefüge und Identifikation<br />
B Kulturelle Vielfalt<br />
C Kommunikation und Mitwirkung<br />
D Motivation<br />
E Örtliche Organisation<br />
F Kommunales Engagement und überörtliche<br />
Vernetzung<br />
G Wirtschaftlich – soziale Initiativen<br />
H Bauliche Entwicklung des Ortes<br />
I Innerörtliche Grün- und Freiflächenentwicklung<br />
J Landschaftsentwicklung und Landschaftsschutz<br />
K Demografische und energetische Entwicklung.
Beispiel<br />
für einen Indikator im Handlungsfeld A<br />
A. Soziales Gefüge und Identifikation<br />
Diese Themen definieren einerseits dörfliche Lebensqualität.<br />
Andererseits weisen sie auf wichtige<br />
Voraussetzungen für das gemeinsame Engagement<br />
hin. Die Selbsteinschätzung und Selbstbewertung<br />
erfolgt über die Fragen „Wo stehen wir?“ und „Wo<br />
wollen wir hin?“. Beispielhaft sind hierzu einige<br />
konkrete Fragen aufgenommen.<br />
Da jedes Handlungsfeld jeweils über fünf Indikatoren<br />
definiert wird, stehen insgesamt 55 Ausschnitte<br />
dörflichen Lebens zur Diskussion. Die jeweilige<br />
Bewertung erfolgt in fünf Skalen von 0% bis 100%.<br />
Problemlos lassen sich die Ergebnisse mehrerer<br />
parallel auswertenden Gruppen zusammenführen.<br />
Beispiel<br />
für das Ergebnis eines Handlungsfeldes<br />
100 %<br />
75 %<br />
<strong>50</strong> %<br />
25 %<br />
0 %<br />
1. Es gibt ein lebendiges und generationsübergreifendes örtliches Miteinander.<br />
Wie ist die Situation? Wo wollen wir hin? Beispielfragen:<br />
Gibt es generations- und geschlechterübergreifende Initiativen und Angebote von Vereinen,<br />
Kirchen etc? Wie werden diese angenommen? Welche Bewohner werden nicht erreicht?<br />
0 %<br />
25 %<br />
1<br />
<strong>50</strong> % 70 % 100 %<br />
1 2 3 4 5<br />
25 %<br />
Die Auswertung ist EDV-unterstützt. Über Netz- und<br />
Säulendiagramme sind die Ergebnisse für alle gut<br />
lesbar. Sie liefern den Beteiligten Hinweise, in welchem<br />
Handlungsfeld (und Indikator) ihr Ort stark<br />
ist und in welchem weniger.<br />
Was für Gründe hierfür verantwortlich sind und<br />
welche Folgerungen daraus gezogen werden können,<br />
dass sollte in anschließenden Diskussionen<br />
erarbeitet werden. In diesem Austausch und in der<br />
Verständigung über Handlungsansätze liegt der<br />
eigentliche Gewinn der Evaluierungsmethode. In<br />
zeitlichen Abständen eingesetzt, z. B. von zwei bis<br />
drei <strong>Jahre</strong>n, lassen sich Veränderungen feststellen.<br />
Für die Durchführung des Tests sind ca. drei bis<br />
vier Stunden zu veranschlagen.<br />
Beispiel<br />
für das Gesamtergebnis<br />
Demografische und<br />
energetische Entwicklung<br />
Landschaftsentwicklung und<br />
Landschaftsschutz<br />
Innerörtliche Grün- und<br />
Freiflächenentwicklung<br />
Bauliche Entwicklung<br />
des Ortes<br />
Wirtschaftlich-soziale<br />
Initiativen<br />
Soziales Gefüge und<br />
Identifikation<br />
Kulturelle Vielfalt<br />
Kommunikation<br />
und Mitwirkung<br />
Motivation<br />
Örtliche Organisation<br />
Kommunales Engagement und<br />
überörtliche Vernetzung<br />
56
Erfahrungen am Beispiel<br />
Cölbe-Schönstadt<br />
Die Methode wurde bisher schwerpunktmäßig in<br />
Orten eingesetzt, die sich am Hessischen Wettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ beteiligten oder<br />
eine Aufnahme als <strong>Dorf</strong>erneuerungsschwerpunkt<br />
anstrebten. Zumeist wurde auf eine externe (neutrale)<br />
Moderation zurückgegriffen. Die Erfahrungen<br />
zeigen, dass über das Stärken-Schwächen-Profil ein<br />
ortspezifisches Handlungskonzept erstellt werden<br />
kann. Dieses wurde im weiteren Prozess um konkrete<br />
Ziele und Projekte zu ausgewählten Schwerpunkten<br />
ergänzt. Für die Umsetzungen konnten<br />
weitere Bewohnerinnen und Bewohner aber auch<br />
die jeweiligen Kommunen gewonnen werden.<br />
In Cölbe-Schönstadt wurden fünf Handlungsfelder<br />
als ortsrelevant definiert. Diese wurden mit Zielen<br />
und konkreten Ansätzen hinterlegt. Beispielhaft sei<br />
das Handlungsfeld „<strong>Zukunft</strong>sthemen aufgreifen“<br />
benannt. Es wurde 2008 mit folgenden drei Schwerpunkten<br />
hinterlegt:<br />
1. Ortsmitte zum lebendigen Ortsmittelpunkt ausbauen<br />
und wirtschaftliche Initiativen ergreifen;<br />
2. Einsatz erneuerbarer Energien verstärken;<br />
3. Informations- und Kommunikationstechniken<br />
verbessern.<br />
Im Zuge der Weiterbearbeitung entstanden vier<br />
Arbeitsgruppen: „Wirtschaftliche Entwicklung“;<br />
„Soziales, Kultur und Sport“; „Umwelt und Ökologie“;<br />
„Schönstadt feiert“. Aus ihnen entwickeln sich seitdem<br />
eine Vielzahl von Projekten unter Einbindung<br />
weiterer Bewohner.<br />
Dem Selbstverständnis entsprechend unterscheiden<br />
sich die Vorhaben hinsichtlich ihrer Themen, ihrer<br />
Komplexität und Umsetzungsdauer. So wurden<br />
nachfolgende Projekte 2008/2009 in Schönstadt<br />
57<br />
realisiert: eine (Neu-)Bürgerbroschüre „Leben in<br />
Schönstadt“, Bewirtungsaktionen für Wanderer,<br />
Anlage des (historischen) Prämienwanderweges,<br />
Baumpatenschaften, Pflanzaktionen, ein Gebäudenutzungskataster,<br />
Internetportal mit Bewohnerschulungen,<br />
Neuausrichtung der <strong>Dorf</strong>kirmes, ein<br />
Energie(beratungs-)Tag, Broschüre mit „Empfehlungen<br />
zur Grüngestaltung und Nutzung alternativer<br />
Energien im <strong>Dorf</strong>“ sowie ein Energieatlas auch mit<br />
Kartierung solartauglicher Dachflächen, Durchführung<br />
einer Bewohnerbefragung zur Nahversorgungssituation<br />
in der Ortsmitte etc. Insbesondere<br />
die zuletzt genannten Aktionen leiteten eine Reihe<br />
von Folgemaßnahmen in den weiteren <strong>Jahre</strong>n ein.<br />
Mit dem Ziel „Bioenergiedorf“ zu werden, konnte<br />
nach knapp dreijähriger Vorbereitung im ersten<br />
Anlauf am 07.04.<strong>2011</strong> die Genossenschaft „Nahwärme<br />
Schönstadt eGiG“ unter großer Beteiligung,<br />
gegründet werden.<br />
Hinweise<br />
Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr<br />
und Landesentwicklung (Hg.), 2010: Anleitung<br />
zur Selbstbewertung dörflicher Aktivitäten. Eine<br />
Arbeitshilfe – Erarbeitet aus der Praxis und für die<br />
Praxis. Kassel. Dezember 2010. 2. neu bearbeitete<br />
und erweiterte Auflage.<br />
Die Broschüre mit CD und weitere Informationen<br />
erhalten Sie beim Regierungspräsidium Kassel, Roswitha<br />
Rüschendorf (Telefon: 0561-106-3125; E-Mail:<br />
roswitha.rueschendorf@rpks.hessen.de) und unter<br />
www.rp-kassel.de.<br />
Roswitha Rüschendorf,<br />
Regierungspräsidium Kassel,<br />
Steinweg 6, 34117 Kassel
Wir in Gersbach<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklung für die<br />
<strong>Zukunft</strong><br />
Die Herausforderungen des ländlichen Raumes<br />
sind vielfältig. Die Bestrebung zur Rationalisierung<br />
der Verwaltung, der Versorgung und anderer<br />
Dienstleistungen entzieht den Dörfern die Infrastrukturen,<br />
den Pfarrer, den Arzt, den Lehrer, den<br />
Krämer. Der Rückgang der Landwirtschaft <strong>hat</strong> eine<br />
mangelnde Landschaftspflege, einen Rückgang<br />
klassischer Erwerbstätigkeit und Landflucht zur<br />
Folge. Die Anforderungen bezüglich Naturschutz,<br />
Klimaschutz, artgerechter Tierhaltung verteuern<br />
das Leben auf dem Lande. Die Verlockungen des<br />
Ferntourismus lassen die Übernachtungszahlen<br />
dahin schrumpfen. Das politische Gewicht der<br />
Landbevölkerung ist gering im Verhältnis zum politischen<br />
Einfluss aus den Ballungsräumen.<br />
Das Schwarzwalddorf Gersbach mit ca. 700 Einwohnern<br />
auf etwa 900 m Höhe, 16 km entfernt vom<br />
Kernort Schopfheim unten im Wiesental behauptet<br />
sich seit Jahrzehnten. Die Gemeinde umfasst ein zu<br />
pflegendes Gebiet von 2.400 ha in der gebirgigen<br />
Landschaft des Naturparks Südschwarzwald. Es ist<br />
ein noch weitgehend landwirtschaftlich geprägtes<br />
<strong>Dorf</strong> und staatlich anerkannter Erholungsort.<br />
Ein im Jahr 1999 erstellter Landwirtschaftsbericht<br />
war Grundlage für die Gründung des „Arbeitskreises<br />
Landwirtschaft und Tourismus“. Dieser Arbeitskreis<br />
erarbeitete die Konzeption „Weidepark Gersbach“.<br />
Diese Konzeption enthielt über 30 einzelne<br />
Projekte zur Stärkung der Gersbacher Infrastruktur.<br />
Die Förderung des Tourismus beinhaltet die Erschließung<br />
der ausgesprochen schönen Landschaft<br />
mit Wander- und Themenwegen. Es wird ein „sanfter“<br />
Tourismus angestrebt. Durch Messeauftritte<br />
wird die Gastronomie (7 Betriebe) beworben.<br />
Die Teilnahme am Wettbewerb<br />
weckte ungeahnte Kräfte im <strong>Dorf</strong><br />
Auf Grundlage der gemeinsam erarbeiteten<br />
Konzepte und der realisierten Projekte fasste der<br />
Ortschaftsrat nach einer Bürgerversammlung den<br />
Beschluss, am Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner<br />
werden – <strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ im Jahr 2002<br />
teilzunehmen. Das <strong>Dorf</strong> versprach sich hierdurch<br />
eine gewisse Publizität, ein für den Tourismus<br />
günstigeres Erscheinungsbild und die Stärkung<br />
Traditionen im <strong>Dorf</strong> der <strong>Zukunft</strong>: Treffpunkt ist<br />
die Linde in der Ortsmitte<br />
des „Wir-Gefühls“. Gemäß den Zielsetzungen des<br />
Wettbewerbs wurden fünf Arbeitsgruppen, entsprechend<br />
den Hauptkriterien des Wettbewerbs,<br />
gegründet. Dies <strong>hat</strong>te den Vorteil, dass die Arbeitsgruppen<br />
systematisch und methodisch die Wettbewerbskriterien<br />
aufbereiten konnten.<br />
Von Goldmedaille zu Goldmedaille wuchs das<br />
Engagement der Bevölkerung: Erfolg beflügelt!<br />
Günstig war, dass Gersbach eine sehr gut funktionierende<br />
Sozialstruktur <strong>hat</strong>te – vielleicht <strong>hat</strong> sich<br />
insbesondere das Vereinsleben so lebendig entwickelt,<br />
weil die nächsten Kulturzentren so weit entfernt<br />
sind. Die Landfrauen <strong>hat</strong>ten einen wesentlichen<br />
Anteil an den Erfolgen unseres <strong>Dorf</strong>es in den<br />
nationalen Wettbewerben und im europäischen<br />
Wettbewerb „Entente Florale“.<br />
Diskussionen – lästig oder notwendig?<br />
Es gab umfassende Diskussionen und auch unbequeme<br />
Fragen: „Sind die Geranien am Rathaus<br />
wirklich wichtiger als das unkontrollierte Vordringen<br />
des wuchernden indische Springkrauts und des<br />
Himalaya Knöterichs auf Weiden, Wiesen und im<br />
Wald? Ist der Anstrich des Kirchturms wichtiger<br />
oder die Vermeidung von Treibhausgasen?“ Der<br />
Meinungsaustausch führte zu der Einsicht: nicht allein<br />
die Häuser und Straßen sind das <strong>Dorf</strong>, sondern<br />
die gesamte Gemarkung: der Wald, die Bäche und<br />
das Grünland. Nicht allein die Ästhetik ist wichtig,<br />
sondern auch all die Eigenschaften, die sich durch<br />
Messung bestimmen lassen, die Artenvielfalt der<br />
58
hier lebenden Pflanzen, Vögel und Reptilien. Es<br />
entstand ein umfassendes Konzept.<br />
Konzept zur Ortsentwicklung<br />
Der Expertengruppe des <strong>Bund</strong>eswettbewerbs konnte<br />
2004 berichtet werden, dass<br />
ó der Gersbacher Plenterwald von der<br />
Europäischen Forstzertifizierung qualifiziert<br />
wurde und die gesamte Gemarkung in Schutzzonen<br />
aufgeteilt ist (Moore, Biotope, Wasserschutz<br />
gebiete, Vogelschutzwälder etc.),<br />
ó Landwirtschaft entsprechend anerkannter<br />
Standards betrieben und gut ein Drittel der<br />
hier produzierten Milch nunmehr vor Ort zu<br />
hochwertigem Käse veredelt wird,<br />
ó es ein hydrologisches Konzept gibt und die<br />
Funktionalität der Abwasserreinigungsanlage<br />
die Beste im Kreis ist,<br />
ó das Äquivalent der hier benötigten<br />
Elektrizität nachhaltig durch Wasserkraft<br />
erzeugt wird und unsere Solarzellen, Pellet- und<br />
Stückholzheizungen im Vergleich zu Erdöl ca.<br />
ein Drittel der CO 2 -Produktion einsparen<br />
und, und, und.<br />
Die fünf Arbeitsgruppen <strong>hat</strong>ten einen hervorragenden<br />
Job gemacht. 98 von 100 möglichen Punkten<br />
war die Bewertung. Gersbach war Primus. Die<br />
Freude über die Anerkennung war unbeschreiblich<br />
groß. Wem es möglich war, der ist im Januar 2005<br />
mit dem Nachtzug zur Preisverleihung nach Berlin<br />
gereist.<br />
59<br />
Entente Florale – Europagold<br />
Hier bei uns weiß man: Gehender Pflug blinkt –<br />
stehendes Wasser stinkt! So ist es verständlich, dass<br />
sich das <strong>Dorf</strong> auf Anfrage aus Berlin auch bereit<br />
fand, sich für Deutschland der internationalen Jury<br />
der Entente Florale Europe zu stellen.<br />
Das Pflichtenheft ist nicht identisch und zudem<br />
musste alles in Englisch vorgetragen werden. Die<br />
Üppigkeit des Blumenschmucks fehlte – das ist eine<br />
Frage des Geldes und der Sparsamkeit. In Gersbach<br />
ist Sparsamkeit eine Tugend! Trotzdem erhielt<br />
das <strong>Dorf</strong> diskussionslos eine Goldmedaille – die<br />
Goldmedaille der Champions League, wie es 2007<br />
anlässlich der Preisverleihung im nordenglischen<br />
Harrogate hieß. Die telefonisch übermittelte Kunde<br />
veranlasste die Daheimgebliebenen, die Kirchenglocken<br />
zu läuten und so wusste ein jeder: das <strong>Dorf</strong><br />
<strong>hat</strong> die fünfte Goldmedaille in Folge gewonnen.<br />
Anlass für ein spontanes <strong>Dorf</strong>fest!<br />
Summa summarum<br />
Das <strong>Dorf</strong> ist schöner geworden. Die Arbeitsgruppe<br />
„Grün“ pflegt die öffentlichen Anlagen nun schon<br />
in der zehnten Vegetationsperiode unentgeltlich.<br />
Es gibt wieder vermehrt Neubauten, viele Häuser<br />
wurden gemäß dem erarbeiteten Leitfaden isoliert<br />
und renoviert. Insbesondere der Tagestourismus ist<br />
erfreulich angestiegen.<br />
Die Menschen sind zuversichtlicher geworden: Wo<br />
ein Wille ist, ist auch ein Weg! Viel ist geschehen:<br />
Das Umweltbewusstsein ist hoch. Mehrere junge<br />
Familien sind ins <strong>Dorf</strong> gezogen. Eine privat gesponserte<br />
<strong>Dorf</strong>bücherei verleiht Klassiker und moderne<br />
Literatur. Der Kindergarten ist nun in die Schule<br />
integriert. Die Feuerwehr bekam ein neues Gebäude.<br />
Ein Arzt <strong>hat</strong> sich im <strong>Dorf</strong> niedergelassen. Es<br />
gibt einen Apothekendienst.<br />
Die Teilnahme am <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> <strong>hat</strong> mit dazu<br />
beigetragen, dass sich unser <strong>Dorf</strong> Gersbach weiterentwickelt<br />
<strong>hat</strong>. Die Kriterien des Wettbewerbs<br />
sind aktueller denn je, nicht nur in strukturarmen<br />
Gebieten. Die Bevölkerung war und ist gewillt,<br />
die <strong>Zukunft</strong> Gersbachs mitzugestalten. Die Herausforderungen<br />
hören nicht auf – ein <strong>Dorf</strong> ist eben<br />
nie „fertig“.<br />
Ralf Ühlin,<br />
Berghopf 33, 776<strong>50</strong> Schopfheim-Gersbach<br />
Ein Drittel der im Ort produzierten Milch wird zu<br />
hochwertigem Käse verarbeitet.
Wir in Latrop<br />
Vom Waldarbeiterdorf zum<br />
Ferienort<br />
Latrop, Ortsteil der Stadt Schmallenberg, liegt<br />
am Ende eines Tales ohne Durchgangsstraße im<br />
Rothaargebirge auf einer Höhe von 4<strong>50</strong> m. Latrop<br />
ist ein kleiner Ort mit 80 Einwohner, 60 Häusern,<br />
davon ein Hotel, zwei Gasthöfe, ein Café, drei<br />
Pensionen, 30 Ferienwohnungen und ca. 40 fest<br />
vermietete Zweitwohnungen. Ein Ferienort mit 200<br />
frei vermietbaren Gästebetten.<br />
In früheren <strong>Jahre</strong>n war Latrop ein reines Köhler-<br />
und Waldarbeiterdorf. Jedes Haus <strong>hat</strong>te eine<br />
kleine Landwirtschaft mit einer Miste vor der Tür.<br />
Ab 19<strong>50</strong> kamen dann die ersten Gäste aus dem<br />
nahen Ruhrgebiet zur Sommerfrische nach Latrop.<br />
Vorwiegend waren dies Zechenarbeiter und Mitarbeiter<br />
aus großen Firmen. Fast jedes Haus beherbergte<br />
Feriengäste. So wurden neue Einkommen<br />
generiert. Die Ansprüche der Gäste stiegen, nach<br />
und nach wurde renoviert, ausgebaut, frei werdende<br />
Stallungen und Räume zu Pensionszimmern<br />
und Ferienwohnungen umgebaut. Der Ort wurde<br />
attraktiver.<br />
1962 wurde in Latrop der erste Verkehrsverein<br />
gegründet. Seine Aufgaben waren, den Ort zu pflegen<br />
und attraktiver zu gestalten.<br />
Latrop war bis in die 1960er <strong>Jahre</strong> von Forstwirtschaft<br />
geprägt, ein reines Waldarbeiter- und<br />
Köhlerdorf.<br />
Verschönerung durch<br />
<strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>e<br />
Latrop und all die anderen benachbarten Orte<br />
wurden durch die Gemeinden unterstützt, Blumen-<br />
und erste <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>e zur Verschönerung<br />
durchgeführt. Auch Latrop nahm erfolgreich teil.<br />
Es dauerte ein paar <strong>Jahre</strong>, bis wir die Bedeutung<br />
und Chancen der Wettbewerbe richtig erkannten.<br />
Allerdings wurde uns mehrfach zu verstehen<br />
gegeben, dass Latrop nicht die besten Chancen auf<br />
einen der vorderen Plätze haben könne.<br />
Dies aber entfachte unseren Ehrgeiz: „Jetzt erst<br />
recht!“ Der Titel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
wurde erweitert durch „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“,<br />
das gab uns neue Perspektiven. Wir konnten auf<br />
die <strong>Zukunft</strong> setzen und die Entwicklung unseres<br />
<strong>Dorf</strong>es Latrop war programmiert: Die <strong>Zukunft</strong> lag<br />
im Tourismus.<br />
Als erster Ort in der Stadt Schmallenberg erstellt<br />
Latrop ein eigenes Tourismuskonzept, wonach sich<br />
der Ort auf Natur und Wandern festlegte und seine<br />
Kraft hierfür einsetzen wollte. Fortan gab es keinen<br />
übereifrigen Aktionismus mehr; alles war auf die<br />
Umsetzung unseres Konzeptes ausgerichtet. Nicht<br />
ohne Stolz können wir heute feststellen, dass hieraus<br />
auch die Schmallenberger Wanderwelt und der<br />
bekannte Rothaarsteig als Premium-Wanderweg<br />
hervorging. Folgerichtig erhielt Latrop im <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
2004 einen Sonderpreis für „ganzheitliche,<br />
nachhaltige und mottogerechte <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
von herausragender Qualität“.<br />
Neue Chancen im Wettbewerb<br />
Hätten wir diese Entwicklung des Ortes auch ohne<br />
den Wettbewerb erreicht?<br />
Hierzu können wir heute sagen: Ja! Aber dieser<br />
Wettbewerb forderte jeden Einzelnen. Durch den<br />
Druck der Wettbewerbstermine waren regelmäßig<br />
große Anstrengungen aller Latroper Bürger und<br />
Bürgerinnen erforderlich, alle Projekte in kurzer<br />
Zeit zu verwirklichen. Dazu setzten wir uns 1998<br />
ein hohes Ziel: „<strong>Bund</strong>esgold 2004“. Uns war schon<br />
immer klar, dass der schnellste Weg zum Ziel Eigenverantwortung<br />
und Selbsthilfe war. Und damit<br />
ging es los.<br />
Die nächsten <strong>Jahre</strong> waren geprägt durch Arbeitseinsätze.<br />
Nicht eine Maßnahme, die von Firmen<br />
ausgeführt wurde und keine Maßnahme, an denen<br />
sich nicht alle Latroper beteiligten und sei es nur<br />
durch Bekochen der Helfer zur wohlverdienten Mit-<br />
60
tagsrast. „Gnadenlos“ wurde ein Projekt nach dem<br />
anderen durchgezogen:<br />
ó Errichtung eines Sportheimes am Sportplatz<br />
ó Abriss des alten Wassertretbeckens und Neubau<br />
eines Fußerlebnisbeckens<br />
ó Erweiterung des Spielplatzes<br />
ó Anlage eines Wanderweges mit Hacke und<br />
Schüppe rund um Latrop<br />
ó Erneuerung aller Schutzhütten<br />
ó Planung neuer Auszeichnungen für die Wanderwege<br />
ó Pflanzung von ortstypischen Pflanzen und Gehölzen<br />
und einer Allee im Ortseingang<br />
ó Errichtung des neuen <strong>Dorf</strong>gartens und Renovierung<br />
der alten Mühle mit Wasserrad<br />
ó Einrichtung des Waldarbeitermuseums in der<br />
alten Mühle und Neugestaltung der Außenanlagen<br />
ó Neugestaltung des <strong>Dorf</strong>hauses, seiner Außenanlagen<br />
und des <strong>Dorf</strong>eingangs<br />
ó Neugestaltung des ortseigenen Friedhofes<br />
Bei allen Projekten mussten wir darauf bedacht<br />
sein, dass die Pflege und Erhaltung der geschaffenen<br />
Einrichtungen nur bei uns lag und liegt.<br />
Mit diesem Erbe wollen wir und auch die nächste<br />
Generation leben.<br />
Jeder Einzelne <strong>hat</strong> in diesen <strong>Jahre</strong>n geholfen, den<br />
Wohnwert von Latrop zu verbessern und mit zu<br />
gestalten. Dies erfüllt uns alle mit Stolz.<br />
Der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ schafft<br />
in Orten eine Wertschöpfung, die es ohne das<br />
enorme Engagement der Bewohner nicht gäbe.<br />
Soviel für einen einzelnen Ort zu tun ist, wäre<br />
schwerlich eine Stadt im Stande. Und wir können<br />
sagen: „Das haben wir selbst geschafft“. Die Pflege<br />
und Unterhaltung der Anlagen ist ebenfalls viel<br />
einfacher, weil wir selbst Eigentümer sind.<br />
Ein hohes Ziel: <strong>Bund</strong>esgolddorf<br />
Um unser Ziel „<strong>Bund</strong>esgolddorf 2004“ zu erreichen,<br />
war es erforderlich, nicht nur die Aufgaben<br />
unseres Konzeptes zu erfüllen und zu erledigen,<br />
sondern jeder Einzelne musste auch den festen<br />
Willen haben, dieses Ziel zu erreichen. Und der<br />
war da. Zusammenhalten, gemeinsam entwickeln,<br />
gemeinsam erschaffen, gemeinsam Probleme<br />
lösen, gemeinsam stolz sein – das alles bewirkt der<br />
Wettbewerb.<br />
Wer nun denkt, alles wäre ja einfach gewesen, der<br />
irrt. Unzählige Male nahmen wir am Stadtwettbe-<br />
61<br />
Der moderne <strong>Dorf</strong>garten entstand in Eigenleistung<br />
der Latroper und ist heute Mittelpunkt des attraktiven<br />
Ferienortes<br />
werb, zweimal am Landeswettbewerb und dreimal<br />
am Kreiswettbewerb teil, bevor wir zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
zugelassen wurden. Hier musste die<br />
Motivation greifen und passen. Immer das Ziel vor<br />
Augen: „<strong>Bund</strong>esgolddorf 2004“.<br />
Dann kam der Tag der Jurybegehung zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb.<br />
Alles musste auf die Minute klappen.<br />
Alles wurde mehrfach geübt und durchgesprochen.<br />
Jeder versuchte zwischen den Zeilen der Bemerkungen<br />
der Jury-Mitglieder etwas zu erkennen – keine<br />
Chance. Für uns gab es nur die Wahl zwischen<br />
Gold oder Silber. Es wurde Gold! Ein <strong>Dorf</strong> im Ausnahmezustand.<br />
Mit einer großen Feier wurde das<br />
Erreichte gebührend gefeiert.<br />
Fazit<br />
Die Teilnahme an diesen Wettbewerben bringt in<br />
mehreren Hinsichten größte Vorteile für den Ort.<br />
ó Der Zusammenhalt der Bürger wird gestärkt.<br />
ó Die Identifikation mit dem Ort wird gesteigert.<br />
ó Die Wertschöpfung wird durch den Einsatz der<br />
Bürger vervielfacht.<br />
ó Der Marktwert insbesondere in Hinsicht auf<br />
Tourismus wird gesteigert.<br />
Heute kann man ohne Einschränkungen feststellen,<br />
dass die Entwicklung des Ortes ohne diesen Wettbewerb<br />
nicht so vorangekommen wäre.<br />
Martin Hanses,<br />
Hotel Hanses-Bräutigam, Latrop 27,<br />
57392 Schmallenberg
Der Blick nach Europa<br />
Entente Florale Europe<br />
Jährlich seit 1975 wird zwischen größeren Städten,<br />
Gemeinden und Dörfern der internationale Wettbewerb<br />
Entente Florale Europe ausgetragen. 1975<br />
wurde er erstmalig für englische und französische<br />
Städte und Dörfer eingeführt. Um das hohe Engagement<br />
von Bürgern, Vereinen und Unternehmen<br />
für ihre Stadt zu würdigen, <strong>hat</strong> dieser Wettbewerb<br />
immer mehr Freunde in Europa gefunden.<br />
Seit 2006 sind regelmäßig zwölf Länder beteiligt.<br />
Seither haben sich über 590 Kommunen, jährlich<br />
zwei aus jedem Teilnehmerland dem Votum einer<br />
internationalen Fachjury gestellt.<br />
Entente Florale ist ein Bürgerwettbewerb der<br />
Dörfer, Gemeinden und Städte beteiligt. Viele der<br />
öffentlichen und privaten Wettbewerbsaktivitäten<br />
ergänzen das kommunale Engagement, deren<br />
Konzepte und Investitionen in städtisches Grün<br />
sinnvoll. Die Parallelen zum Wettbewerb „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ sind unverkennbar. Langfristige<br />
Maßnahmen sind auf die Verbesserung der Lebens-,<br />
Wohn- und Aufenthaltsqualität in Dörfern und<br />
Städten gerichtet.<br />
Mit der Teilnahme an diesem Wettbewerb investieren<br />
die Gemeinden in ihre <strong>Zukunft</strong>. Entente Florale<br />
ist ein Instrument zur Motivation und zur Mobilisierung.<br />
Der Beschluss des Rates einer Gemeinde<br />
zur Teilnahme am Wettbewerb aktiviert bis dahin<br />
oft unerkannte Potentiale: Bürger wollen sich<br />
beteiligen, mit entscheiden, aktiv mitwirken. Allein<br />
die Teilnahme am Wettbewerb löst private und<br />
gemeinschaftliche, auch öffentliche Aktionen von<br />
Vereinen oder Schulen aus, veranlasst Geschäftsleute<br />
und Unternehmen zu spontaner Mitwirkung<br />
oder gibt Anlass zu umfangreichen, auch systematischen<br />
Sponsoringaktionen.<br />
Die Ziele von Entente Florale im Einzelnen sind:<br />
ó Den Unternehmen, Verbänden, Vereinen, Schulen,<br />
Kindergärten wird die soziale, gesundheitliche<br />
und ökologische Bedeutung von „Grün“<br />
im Lebens-, Wohn- und Arbeitsumfeld vermittelt.<br />
Eigenverantwortung und Identifikation mit<br />
der Stadt bzw. dem <strong>Dorf</strong> wird gefördert.<br />
ó Parks, Spiel- und Sportflächen, Wasserflächen,<br />
Friedhöfe, Kleingartenanlagen oder private<br />
Gärten sollen gepflegt, sich laufend verändernden<br />
Anforderungen angepasst oder auch zur<br />
besseren Gestaltung von „Betonlandschaften“<br />
neu geschaffen werden.<br />
ó Die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen und<br />
deren typische Lebensräume in Stadt und Landschaft<br />
sind durch Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen<br />
nachhaltig zu sichern.<br />
ó Alle sinnvollen Maßnahmen zum Schutz und<br />
zur Entwicklung der belebten und unbelebten<br />
Umwelt wie angepasste Düngung, Reduzierung<br />
von Pflanzenschutzmitteln und Wasserverbrauch<br />
oder zum Schutz des Grundwassers sind<br />
weiterzuentwickeln und einzusetzen.<br />
ó Die Bedeutung eines attraktiven, historischen<br />
aber auch modern gestalteten Ortsbildes ist<br />
zu erkennen und mit geeigneten Programmen<br />
dauerhaft zu fördern und zu stärken.<br />
Wie die Bürger und Bürgerinnen mit entscheiden<br />
und aktiv mitwirken, belegen Beispiele aus Teilnehmerstädten<br />
und -dörfern aus den vergangenen<br />
<strong>Jahre</strong>n eindrucksvoll:<br />
In der Peter-Josef-Lenné Schule haben die Schüler<br />
mit fachlicher Hilfe von Planern und Unternehmern<br />
aus langweiligen Höfen attraktive „Naturerfahrungsorte“<br />
geschaffen. Entsiegelte Flächen,<br />
Schulgärten und „grüne Klassenzimmer“ sind die<br />
sichtbaren Ergebnisse.<br />
62
Cella Monte, ein kleines italienisches Bergdorf<br />
nahm 2006 am Wettbewerb Entente Florale<br />
Europe teil.<br />
Auf dem Weg zum Kindergarten in Rieth, Thüringen,<br />
ist ein Naturlehrpfad eingerichtet, der den<br />
Kindern, quasi im Vorbeigehen, Namen und Bedeutung<br />
heimischer Pflanzen und Gehölze erklärt.<br />
In Gersbach (Südschwarzwald) in Rehringhausen<br />
(Sauerland) und auch in Bertsdorf-Hörnitz, dem<br />
<strong>Dorf</strong> der großen Bäume in der Oberlausitz, finden<br />
jährlich Fachvorträge, Seminare und praktische<br />
Kurse zum Obstbaumschnitt und zur Biotoppflege<br />
statt.<br />
Unternehmen entwickeln oft ein sehr eigenes<br />
Gespür dafür, was zum Vorteil ihres Geschäftsstandortes<br />
ist und von den Kunden auch akzeptiert<br />
wird. So begegnet man auf dem Weg durch die<br />
Weimarer Innenstadt einer „Begrünung“ der besonderen<br />
Art. Überall verteilt stehen grüne Stühle,<br />
als Hingucker, als Ruhepol. Sie beleben ungewohnt<br />
und fantasievoll das Stadtbild. Zusammengerückt<br />
bieten sie die Möglichkeit, „im Grünen“ zu sitzen,<br />
zu plaudern, Musik zu lauschen. Beispiele dieser<br />
Art finden sich in jeder teilnehmenden Stadt und<br />
in jedem <strong>Dorf</strong>.<br />
63<br />
Preisverleihung 2009 in Cardiff (Wales) das<br />
schottische <strong>Dorf</strong> Forres erhielt eine Goldplakette.<br />
In den 12 Mitgliedsländern des internationalen<br />
Trägervereins Association Européenne pour le Fleurissement<br />
et le Paysage (AEFP) mit Sitz in Brüssel<br />
werden Wettbewerbe mit ähnlicher Zielsetzung<br />
durchgeführt. Über 20.000 Städte und Gemeinden<br />
beteiligen sich regelmäßig an den nationalen<br />
Vorentscheiden zu Entente Florale Europe. Jährlich<br />
stellen sich je eine Stadt und ein <strong>Dorf</strong> aus jedem<br />
Teilnehmerland als Sieger aus dem nationalen<br />
Wettbewerb dem Votum einer internationalen Jury.<br />
Die deutschen Teilnehmer am internationalen Contest<br />
sind die Sieger aus dem Wettbewerb „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ und aus dem Städtewettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong>e Stadt blüht auf“. Verliehen werden Gold-,<br />
Silber- und Bronzeplaketten in einer feierlichen<br />
Schlussveranstaltung an wechselnden Standorten<br />
in Europa.<br />
Dr. Lutz Wetzlar,<br />
Tulpenstiege 3, 48341 Altenberge
Der Europäische <strong>Dorf</strong>erneuerungspreis<br />
Der Wettbewerb um den Europäischen <strong>Dorf</strong>erneuerungspreis<br />
bildet einen weiteren Baustein in der<br />
<strong>Dorf</strong>- und Landentwicklung in Europa. Seit mehr<br />
als zwei Jahrzehnten <strong>hat</strong> er die Intention, herausragende<br />
und beispielhafte Aktivitäten und Initiativen<br />
„vor den Vorhang“ zu bitten und zu prämieren.<br />
Junger Wettbewerb mit Tradition<br />
Der Wettbewerb um den Europäischen <strong>Dorf</strong>neuerungspreis<br />
<strong>hat</strong> längst Tradition. Seit 1990 wird<br />
dieser im zweijährigen Rhythmus von der Europäischen<br />
Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung und<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung (ARGE) mit Sitz in Wien ausgeschrieben.<br />
In den <strong>Jahre</strong>n von 1990 bis 2010 nahmen<br />
276 Dörfer und ländliche Kommunen aus<br />
18 europäischen Ländern an dem europäischen<br />
Wettbewerb teil. In den vergangenen 11 Wettbewerben<br />
gingen fünfmal österreichische, dreimal<br />
deutsche und jeweils einmal Dörfer aus Luxemburg,<br />
den Niederlanden und Italien als Sieger<br />
hervor. Die Einladung zur Teilnahme am 12. Europäischen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungspreis 2012 ist aktuell<br />
verschickt worden. Unter dem Wettbewerbsmotto<br />
„Der <strong>Zukunft</strong> auf der Spur“ lädt die Europäische<br />
ARGE die Vertreter ihrer Mitgliedsstaaten, -länder<br />
und -regionen sowie weiterer interessierter Länder<br />
in Europa zur Teilnahme an einer neuen Aus-<br />
schreiberunde ein. Pro Land oder Region kann<br />
sich nur ein <strong>Dorf</strong>, eine (Verbands-)Gemeinde oder<br />
ein interkommunaler Verbund mit maximal<br />
20.000 Einwohnern bewerben. Das Vorschlagsrecht<br />
haben die zuständigen Behörden oder Nicht-Regierungs-Organisationen<br />
(NGOs). Die Teilnahme am<br />
Wettbewerb ist mit einer Gebühr verbunden.<br />
Leitbild des Wettbewerbs<br />
Jeder Wettbewerb benötigt für seine korrekte und<br />
nachvollziehbare Auslobung einen inhaltlichen<br />
sowie formalen Bewertungsrahmen. Die Europäische<br />
ARGE <strong>hat</strong> seit 1996 im Rahmen des 3. Euro-<br />
päischen <strong>Dorf</strong>erneuerungskongresses in Konstanz<br />
das “Leitbild für Landentwicklung und <strong>Dorf</strong>erneuerung<br />
in Europa” verabschiedet. Im Jahr 2009 wurde<br />
das Leitbild aktualisiert. Für den Wettbewerb bildet<br />
das Leitbild mit seinen Grundwerten der Solidarität<br />
und Subsidiarität ein wesentliches Fundament. Im<br />
Wettbewerb stehen die Anstrengungen des <strong>Dorf</strong>es<br />
im Mittelpunkt. Bewertet werden Maßnahmen, die<br />
auf eine dauerhafte, sichtbare ländliche Entwicklung<br />
zielen und in kooperative Aktionen und Pläne<br />
eingebunden sind. Zu diesen Anstrengungen gehören<br />
die Inhalte:<br />
ó Stärkung einer umweltgerechten Land- und<br />
Forstwirtschaft unter Berücksichtigung der<br />
Kulturlandschaft,<br />
ó verantwortungsvoller und umweltverträglicher<br />
Umgang mit den natürlichen Ressourcen und<br />
Nutzung erneuerbarer Rohstoffe,<br />
ó Aktivitäten im Sinne der Gewährleistung von<br />
Nahversorgung und standortverträglichen<br />
Erwerbsmöglichkeiten mit Blick auf regionale<br />
Wertschöpfungsketten,<br />
ó Siedlungsentwicklung gemäß ökonomischer,<br />
ökologischer, kulturräumlicher und gesellschaftlicher<br />
Erfordernisse,<br />
ó Revitalisierung von schützenswerter alter<br />
und Schaffung von qualitätsvoller neuer<br />
Bausubstanz,<br />
ó Schaffung zeitgemäßer sozialer Einrichtungen<br />
und soziokultureller Qualitäten,<br />
ó Stärkung der Identität und des Selbstbewusstseins<br />
der Bevölkerung,<br />
ó Förderung der Befähigung und der Motivation<br />
der <strong>Dorf</strong>bewohner zum gesellschaftlichen<br />
Engagement und<br />
ó Forcierung der Teilhabe aller Generationen,<br />
Nationalitäten und Minderheiten sowie beider<br />
Geschlechter am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />
und kulturellen Leben.<br />
Das Logo der Europäischen Arbeitsgemeinschaft<br />
Landentwicklung und <strong>Dorf</strong>erneuerung<br />
64
Verleihung des Europäischen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungspreises<br />
Der Wettbewerb geht mit der Zeit<br />
Eine Besonderheit des Wettbewerbs um den Europäischen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungspreis ist das jeweils<br />
wechselnde Motto. So wird den aktuellen Herausforderungen<br />
im ländlichen Raum Rechnung getragen<br />
und der Wettbewerb ein „offenes System“. Der<br />
Wettbewerb begann in den 1990er <strong>Jahre</strong>n unter<br />
dem Motto „Internationaler Erfahrungsaustausch“<br />
und setzte die Wiederentdeckung des <strong>Dorf</strong>es als<br />
Bestandteil der Kulturlandschaft in Europa in<br />
den Mittelpunkt. Ende der 1990er <strong>Jahre</strong> stand der<br />
ganzheitliche Ansatz im Sinne der Nachhaltigkeit<br />
in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Sozialverträglichkeit<br />
in Focus des Wettbewerbs.<br />
Das Thema erneuerbare Energiequellen und die<br />
Umsetzung von Strategien einer erfolgreichen<br />
Kreislaufwirtschaft werden verstärkt diskutiert. Der<br />
ganzheitliche, innovative Ansatz ist auch in den<br />
Mottos „Umfassende <strong>Dorf</strong>erneuerung“ (1996) und<br />
„Kreativ – innovativ – kooperativ“ (1998) wieder zu<br />
finden. Mit dem 21. Jahrhundert werden Lösungsansätze<br />
zu sozialen und ökonomischen Problemfeldern<br />
im ländlichen Raum in den Vordergrund<br />
gesetzt. Mit einer Besinnung auf die spezifischen<br />
Ausgangsbedingungen und die Einzigartigkeit als<br />
65<br />
Die Bewertungskommission bei der Arbeit<br />
Vielfalt der Dörfer in Europa setzt der Wettbewerb<br />
die Akzente. Nicht schablonenartige Lösungen<br />
sind gefragt, sondern ortsspezifische Ansätze.<br />
Die Mottos „ Ohne <strong>Zukunft</strong> keine Vergangenheit“<br />
(2000) und „Aufbruch zur Einzigartigkeit“ (2004)<br />
sind ein Beleg dafür. Die aktuelle Ausschreibung<br />
zum 12. Europäischen <strong>Dorf</strong>erneuerungspreis 2012<br />
läuft unter dem Motto „Der <strong>Zukunft</strong> auf der Spur“.<br />
In diesem Wettbewerb ist die Mitbestimmung und<br />
Teilhabe von <strong>Dorf</strong>bewohnern ein wichtiges Kriterium.<br />
Prämiert werden alle Maßnahmen, die sich<br />
in Bottom-up-Prozessen den aktuellen Herausforderungen<br />
stellen und somit eine zeitgemäße und<br />
zukunftsorientierte Entwicklung in den Dörfern in<br />
Gang gebracht haben. Das Ziel des Wettbewerbs<br />
ist und bleibt die Stärkung der <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />
ländlicher Räume sowie die Steigerung der Lebensqualität<br />
in den Dörfern.<br />
Sören Bronsert,<br />
Geschäftsführer <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
<strong>Bund</strong>esanstalt für Landwirtschaft und Ernährung<br />
Deichmanns Aue 29, 53179 Bonn<br />
Mehr Informationen:<br />
Theres Friewald-Hofbauer<br />
Europäische ARGE Landentwicklung und<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerung<br />
Telefon: +43/1/5338401<br />
E-Mail: friewald@landentwicklung.org“ friewald@<br />
landentwicklung.org<br />
www.landentwicklung.org
<strong>Zukunft</strong> des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
66
<strong>Zukunft</strong> des <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>s<br />
Die demografischen Veränderungen als europaweites Phänomen werden Städte und<br />
besonders ländliche Regionen auch zukünftig beeinflussen sowie erhebliche Auswirkung<br />
auf Infrastrukturen, Arbeitsplätze und auf private Investitionen in den Dörfern<br />
haben. Kann der Wettbewerb unter neuen, tief greifenden Veränderungen in die Substanz<br />
der ländlichen Regionen und der Lebensqualität der <strong>Dorf</strong>gemeinschaften weiter<br />
bestehen? Wie ist eine Anpassung möglich? Gibt es Beispiele aus Dörfern, die sich bereits<br />
heute auf Veränderungen von morgen einstellen?<br />
Wie verändert sich der<br />
ländliche Raum?<br />
Ländliche Räume sind aufgrund ihrer Heterogenität<br />
schwer zu fassen. Eine Beschreibung des<br />
Ländlichen enthält oft traditionelle Elemente, die<br />
einem Bild des ländlichen Raums entsprechen,<br />
das für viele Regionen nicht (mehr) zutreffend ist.<br />
Die Auswirkungen der Informationsgesellschaft<br />
mit ihren vernetzten Güter- und Informationsströmen<br />
und den zunehmend urbanisierten Lebensstilen<br />
und Konsummustern beeinflussen auch die<br />
ländlichen Räume immer stärker. Es <strong>hat</strong> sich eine<br />
Bandbreite ländlicher Räume entwickelt, die einerseits<br />
durch Merkmale wie Abgelegenheit, niedrige<br />
Bevölkerungsdichte, Überalterung, Abwanderungstendenzen<br />
oder geringe Durchschnittseinkommen<br />
gekennzeichnet ist. Andererseits gehören auch<br />
Aspekte wie Suburbanisierungsdruck, zentrennahe<br />
Lage, attraktive Wohnstandorte, Entstehung neuer<br />
Wirtschaftscluster und zukunftsfähige Fremdenverkehrsgebiete<br />
dazu. Häufig spielen sich die Prozesse<br />
von Wachstum und Schrumpfung im demografischen,<br />
wirtschaftlichen oder baulichen Sinne<br />
in direkter Nähe zueinander ab (vgl. dazu u. a.<br />
Gatzweiler / Milbert 2009).<br />
Herausforderungen für den ländlichen<br />
Raum<br />
Die Problemlagen in ländlichen Räumen haben<br />
vielfältige Ursachen. Einige sind Rahmenbedingungen,<br />
die sich bereits seit Jahrzehnten auswirken,<br />
andere Entwicklungen vollziehen sich zwar ebenfalls<br />
seit längerem, sind aber wie demografischer<br />
Wandel oder Klimawandel erst seit einigen <strong>Jahre</strong>n<br />
ins Bewusstsein der Tages- und leider auch der<br />
Kommunalpolitik gerückt (vgl. u. a. Magel 2005;<br />
ASG 2007). Kritiker sagen, dass man trotz früher<br />
Warnungen die Probleme schlichtweg verschlafen,<br />
zumindest aber verdrängt <strong>hat</strong>.<br />
Als wesentliche aktuelle Herausforderungen für<br />
die ländlichen Räume und die Daseinsvorsorge<br />
gelten folgende Entwicklungen:<br />
ó Strukturwandel in Landwirtschaft, Handwerk<br />
und Gewerbe,<br />
ó Verlust der Nahversorgung,<br />
ó demografischer Wandel mit seinen Komponenten<br />
Geburtenrückgang, Alterung, Migration und<br />
Abwanderung,<br />
ó gesellschaftlicher Wertewandel,<br />
ó sich verändernde finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />
der Kommunen,<br />
ó Klimawandel und Bedarf an erneuerbaren<br />
Energien.<br />
Von diesen Veränderungen sind nahezu alle<br />
Lebensbereiche betroffen: Arbeiten, Wohnen, die<br />
öffentliche und private Versorgung, der kulturelle<br />
68
Herausforderung Innenentwicklung in der <strong>Dorf</strong>mitte von Finsterau<br />
Bereich, das kirchliche und soziale Leben, das Vereinswesen<br />
etc. Lösungsansätze für die soziale und<br />
bauliche Vitalisierung und Innenentwicklung von<br />
Dörfern, für die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge,<br />
für die Verstärkung interkommunaler und<br />
von Stadt-Land-Kooperationen und für den Aufbau<br />
nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen werden benötigt.<br />
Arbeitsplatzentwicklung als zentrales<br />
Problem<br />
Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Agrarsektors<br />
ist in allen hochentwickelten Ländern<br />
in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.<br />
Die Arbeitsplätze im ländlichen Raum<br />
haben sich entweder in die Bereiche des Industrie-<br />
oder Dienstleistungssektors verschoben oder sie<br />
sind aufgrund des Strukturwandels weggefallen.<br />
Viele Gebiete erfahren unter anderem aufgrund<br />
mangelnder attraktiver Standortfaktoren und<br />
aufgrund des großen internationalen Konkurrenzdrucks<br />
einen weiteren Schrumpfungsprozess. In<br />
der Landwirtschaft wird sich der Trend zu weniger<br />
und flächenmäßig größeren Betrieben fortsetzen.<br />
Dennoch ist die Landwirtschaft u. a. als Eigentü-<br />
69<br />
mer und/oder Hauptnutzer der Flächen im ländlichen<br />
Raum ein bedeutsamer und nicht zu übergehender<br />
Akteur geblieben. Hinzu kommt, dass<br />
durch die zunehmende Bedeutung externer „gesellschaftlicher“<br />
Leistungen, die Aufgabenvielfalt und<br />
Bedeutung der Landbewirtschaftung derzeit wieder<br />
kontinuierlich wachsen und eine Renaissance<br />
erleben. Umwelterhaltung, Landschaftsgestaltung,<br />
Bereitstellung natürlicher Ressourcen für Stadt<br />
und Land, die Produktion qualitativ hochwertiger<br />
Nahrungsmittel, aber auch die Übernahme von<br />
Funktionen in der Versorgung mit Energie und<br />
nachwachsenden Rohstoffen sind Leistungen, die<br />
für die Entwicklung einer gesamten Region von<br />
Bedeutung sein können.<br />
Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in ländlichen<br />
Räumen sind regionale Lösungsansätze für<br />
die Versorgung mit qualifizierten Fachkräften und<br />
den entsprechenden Zugang zu neuen Kommunikationstechnologien<br />
(Breitband) dringend von<br />
Nöten (vgl. Grontmij <strong>2011</strong>). Es gibt Beispiele für<br />
Wachstumsregionen fernab von Metropolen, die<br />
wichtige Standorte vor allem vieler kleiner und<br />
mittelständischer, z. T. hoch innovativer Unternehmen<br />
sind (vgl. Köhler 2007).
Demografischer Wandel <strong>hat</strong><br />
umfassenden Einfluss<br />
Die traditionell hohe Geburtenraten aufweisenden<br />
ländlichen Räume erfahren eine Trendwende.<br />
Heute liegen wie fast überall in Europa die durchschnittlichen<br />
Geburtenzahlen in den ländlichen<br />
Räumen auf demselben niedrigen Niveau der<br />
Städte (2009 in Deutschland 1,35 Kinder pro Frau;<br />
Statisches <strong>Bund</strong>esamt <strong>2011</strong>). Gerade periphere<br />
ländliche Gebiete spüren die Folgen der demografischen<br />
Entwicklung viel stärker als Verdichtungsräume.<br />
Junge Familien werden weniger, die Bevölkerung<br />
besteht zunehmend aus älteren Menschen,<br />
die teilweise sogar zuwandern, um dort ihren<br />
Lebensabend zu verbringen.<br />
Während der gesellschaftliche Alterungsprozess<br />
ganz Deutschland betrifft, wirkt sich der Bevölkerungsrückgang<br />
in Verbindung mit Wanderungsprozessen<br />
räumlich sehr unterschiedlich aus. In<br />
ostdeutschen Regionen liegt bereits ein deutlicher<br />
Bevölkerungsrückgang vor. Für Regionen in der<br />
monofunktional<br />
strukturschwache Peripherie<br />
Land ohne<br />
Leute<br />
Schlafdorf<br />
Patchwork<br />
<strong>Dorf</strong><br />
Stadt & Land<br />
Hand<br />
in Hand<br />
prosperierender Ballungsraum<br />
multifunktional<br />
Szenarien für die Dörfer der <strong>Zukunft</strong> (vgl. Groß<br />
et al. <strong>2011</strong>)<br />
Nähe von Ballungsräumen werden die nächsten<br />
<strong>Jahre</strong> noch steigende Einwohnerzahlen prognostiziert<br />
(BBSR <strong>2011</strong>).<br />
Die Folgen des demografischen Wandels sind vielfältig<br />
und haben für die Kommunen und Regionen<br />
je nach räumlicher Lage unterschiedliche Auswirkungen<br />
und Intensität. Der demografische Wan-<br />
del ist eine Querschnittsherausforderung für alle<br />
Bereiche einer Kommune (vgl. Ritzinger 2010). Dies<br />
verdeutlichen auch die Szenarien für Dörfer der<br />
<strong>Zukunft</strong>, die im Rahmen des Forschungsprojekts<br />
„<strong>Dorf</strong>erneuerung 2020“ erstellt wurden (vgl. Abb.<br />
2; Groß et al. <strong>2011</strong>).<br />
Die Aufrechterhaltung des bestehenden Angebots<br />
sowie die vorhandenen Einrichtungen der Daseinsvorsorge<br />
wie beispielsweise Schulen, Arztpraxen,<br />
Krankenhäuser, ÖPNV, Nahversorgung sowie Freizeiteinrichtungen<br />
wird gerade in schrumpfenden<br />
Regionen langfristig nicht mehr möglich sein. Problemlösungen<br />
für die Aufrechterhaltung der kommunalen<br />
Infrastruktur, den Tragfähigkeitsverlust<br />
sozialer und kultureller Einrichtungen sowie für<br />
die Leerstände insbesondere im Ortskern sowie den<br />
Verfall der Bausubstanz sind nötig (Büchs / Magel<br />
2010). In wachsenden Regionen sind die Problemlagen<br />
häufig noch vollkommen anders geartet und<br />
lassen daher ein vorausschauendes Handeln als<br />
noch nicht notwendig erscheinen. Aufgrund des<br />
Zuwanderungsdrucks in diesen Regionen haben<br />
ländliche Räume unter anderem mit Auswirkungen<br />
der Suburbanisierung wie steigendem Flächen- und<br />
Wohnungsbedarf, Anpassung bzw. Überlastung der<br />
kommunalen Infrastruktur und Verlust der dörflichen<br />
Identität zu kämpfen.<br />
Qualität und Potentiale ländlicher<br />
Räume<br />
Es wird immer deutlicher, dass jeder Raum und<br />
jede Region eine an seinen geographischen, strukturellen,<br />
ökonomischen, ökologischen, demografischen<br />
oder kulturellen Besonderheiten, Problemen<br />
und Entwicklungspotentialen ausgerichtete<br />
spezifische Entwicklungsstrategie braucht. Grundlage<br />
dafür sind in vielen Planungen zunächst eine<br />
Stärken-Schwächen-Analyse, darauf aufbauend eine<br />
Vision oder ein Leitbild und daraus abgeleitet Ziele<br />
und Strategien, welche die Entwicklung der so<br />
genannten endogenen Potenziale fördern. Als ein<br />
entscheidender Standortvorteil ländlicher Räume<br />
kann – trotz auch hier zunehmender Anonymität<br />
– deren soziale Überschaubarkeit gelten. Sie<br />
gewährleistet eine direkte Kommunikation und<br />
Zusammenarbeit, bürgernahe Entwicklungsprozesse<br />
und eine raschere Umsetzung von Ideen.<br />
Der Rückhalt bei den lokalen Akteuren ist das<br />
zentrale Erfolgskriterium von <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
(vgl. Magel et al. 2010). Zur Aufrechterhaltung<br />
70
der Daseinsvorsorge wird sowohl bei der Strategieentwicklung,<br />
aber auch bei der Erbringung von<br />
Leistungen zunehmend auf die Entwicklung einer<br />
aktiven Bürgergesellschaft, auf die Unterstützung<br />
durch ehrenamtliches Engagement und die Einbindung<br />
von Wirtschaftsunternehmen gesetzt.<br />
Hier spielt auch der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong><br />
<strong>Zukunft</strong>“ eine wichtige Rolle. Richtig verstanden<br />
und umgesetzt, ist er sogar ein Prototyp der neuen<br />
Verantwortungsgemeinschaft von Staat, Kommunen,<br />
Wirtschaft und Bürgern. Die im Wettbewerb<br />
engagierten Vereine und Bürger werden nicht nur<br />
beteiligt, sondern sind auch Akteure, die konkrete<br />
Verantwortung und gestalterische Aufgaben auf<br />
dörflicher Ebene übernehmen. Diese Verantwortungsübernahme<br />
ist aktueller denn je.<br />
<strong>Dorf</strong>entwicklungsprogramme haben in der Vergangenheit<br />
ebenso wie der Wettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong><br />
<strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ einen großen Beitrag zur Entwicklung<br />
unserer ländlichen Räume geleistet. Die Auswertung<br />
guter Beispiele z. B. aus dem Bayerischen<br />
<strong>Dorf</strong>erneuerungsprogramm <strong>hat</strong> unlängst aufge-<br />
71<br />
Verbesserung der<br />
Agrarstruktur<br />
Erhaltung und<br />
Weiterentwicklung<br />
der Infrastuktur<br />
und der baulichen<br />
Substanz<br />
Ganzheitliche,<br />
?<br />
regionale<br />
Lösungsansätze,<br />
Bürgerbeteilung,<br />
Bewusstseinsbildung<br />
19<strong>50</strong>er/60er <strong>Jahre</strong> 1970er/80er <strong>Jahre</strong> 1990er <strong>Jahre</strong> 2020<br />
Entwicklungsphasen der <strong>Dorf</strong>erneuerung (vgl. Magel et al. 2010)<br />
Literatur<br />
Büchs, S. / Magel, H. (2010): Weniger - aber wie?<br />
Anmerkungen zur strategischen Entwicklung<br />
schrumpfender Dörfer. In: Flächenmanagement<br />
und Bodenordnung - Zeitschrift für Liegenschaftswesen,<br />
Planung und Vermessung, Heft 6,<br />
268-275.<br />
Groß, C. / Ritzinger, A. / Magel, H. (<strong>2011</strong>): Auf der<br />
Suche nach dem <strong>Dorf</strong> von morgen. In: DISP 185,<br />
Heft 2, 44-55.<br />
zeigt, welche Strategien und Methoden Erfolg<br />
versprechend sind, welche Themenbereiche bereits<br />
abgedeckt werden und welche noch stärker einbezogen<br />
werden sollten (vgl. Ritzinger et al. <strong>2011</strong>).<br />
<strong>Unser</strong>e ländlichen Räume stehen vor großen<br />
Herausforderungen. Förderprogramme müssen<br />
innovativ sein, sich weiterentwickeln, wie es das<br />
Bayerische <strong>Dorf</strong>erneuerungsprogramm stets getan<br />
<strong>hat</strong> (vgl. Entwicklungsphasen).<br />
Es gibt viele gute Ansätze und viele engagierte<br />
Menschen, aber auch Regierungen, denen ländliche<br />
Regionen am Herzen liegen. Die Lösungen<br />
vieler Probleme liegen in lokalen Ansätzen. Vor<br />
diesem Hintergrund sollten wir in unserer Arbeit<br />
wieder mehr an Friedrich Hebbel denken, der seherisch<br />
gesagt <strong>hat</strong>: „Das <strong>Dorf</strong> ist die kleine Welt, in<br />
der die große ihre Probe hält.“<br />
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel und Dipl.-Geogr. Anne<br />
Ritzinger, TU München, Lehrstuhl für Bodenordnung<br />
und Landendwicklung, Arcisstraße 21, 80333 München<br />
Magel, H. / Ritzinger, A. / Groß, C. (2010): <strong>Dorf</strong>erneuerung<br />
2020 – Neue Wege oder weiter wie<br />
bisher? In: Mitteilungen des DVW Bayern, Heft<br />
3, 373-387.<br />
Ritzinger, A. / Groß, C. / Magel, H. (<strong>2011</strong>): Von<br />
guten Beispielen lernen – Erfahrungswissen für<br />
die <strong>Dorf</strong>erneuerung der <strong>Zukunft</strong>. In: Flächenmanagement<br />
und Bodenordnung - Zeitschrift<br />
für Liegenschaftswesen, Planung und Vermessung,<br />
Heft 2, 74-81.
Vom schöner finden zum<br />
besser sein<br />
Der Titel „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ ist neu. Der<br />
Wettbewerb ist alt. In den letzten drei <strong>Jahre</strong>n des<br />
<strong>Bund</strong>eswettbewerbs, 2001, 2004 und 2007, <strong>hat</strong> sich<br />
der Titel von „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden“<br />
über „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden – unser<br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ zu „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
entwickelt.<br />
Der ursprüngliche Titel war sicher der richtige Ansatz<br />
Anfang der 1960er <strong>Jahre</strong>. Er war auch von Graf<br />
Lenard Bernadotte theoretisch unterlegt.<br />
Stichpunkte: Aus der Überlebensstrategie nach dem<br />
Krieg durch Schönheitsstreben das Selbstbewusstsein<br />
der Dörfer zu erzeugen. Schon damals war<br />
die These richtig: Nur selbstbewusste Bewohner<br />
schaffen eine gute <strong>Zukunft</strong>. Und Selbstbewusstsein<br />
bekommt man nur, wenn man sich auch selbst<br />
mag. Das wird durch äußere Schönheit erleichtert.<br />
Schön war richtig – <strong>Zukunft</strong><br />
ist richtig<br />
Mit der Zeit <strong>hat</strong> sich allerdings der Wettbewerb<br />
sehr stark in Richtung Gartenschau entwickelt.<br />
Gerade die Gartenbauvereine waren häufig die<br />
Motoren der Teilnahme. Damit verengte sich der<br />
Blickwinkel. In der öffentlichen Diskussion wurde<br />
der Wettbewerb häufig als „Geranienwettbewerb“<br />
verspottet.<br />
So ungerecht das war, so sicher war aber, dass der<br />
ökonomische Entwicklungsteil einer Gemeinde in<br />
diesem Wettbewerb zu kurz kam. Er aber ist neben<br />
den baugestalterischen Aspekten (auch hier ist eine<br />
Entwicklung von der musealen Seite hin zu zeitgemäßen<br />
Bauformen, die an die Traditionen anknüpfen,<br />
zu entdecken) über soziale, d. h. zukunftsorientierte<br />
Aspekte zu beachten. Gerade der Punkt der<br />
Bürgerbeteiligung, also der partizipative Aspekt,<br />
der über eine ganzheitliche Bestandsaufnahme zu<br />
einem tragfähigen Leitbild führt, bringt die Vielfalt<br />
der Bewertungskriterien. Deshalb <strong>hat</strong> die Umbenennung<br />
des Wettbewerbs auch eine Neubewertung<br />
zur Folge.<br />
<strong>Dorf</strong>leitbilder geben Orientierung<br />
Auch wenn bei einem Wechsel des Namens,<br />
manche sich nicht wiederfinden, haben sich die<br />
vorhandenen Teilnehmer sehr konkret auf die neue<br />
Situation eingestellt. Grünordnung wird stärker<br />
unter ökologischen Gesichtspunkten gesehen. Das<br />
Gleichgewicht zwischen Arbeitsplatzbewahrung<br />
und -schaffung einerseits, Wohnumfeld anderseits<br />
und schließlich die dorftypische Baugestaltung<br />
sowie das soziale und kulturelle (identitätsstiftendes)<br />
Engagement wurde auch bei der Präsentation<br />
in den Vordergrund geschoben. Es entsteht zunehmend<br />
der Ansatz einer ganzheitlichen <strong>Dorf</strong>entwicklung.<br />
Was überraschend, aber auch nachdenkenswert<br />
war, war die Tatsache, dass die <strong>Dorf</strong>philosophien<br />
im Sinne einer gemeinsamen Wertehaltung bei<br />
einer Reihe von Dörfern sehr deutlich im Vordergrund<br />
standen. Über diese gemeinsame Wertehaltung<br />
war offensichtlich die Projektdurchführung<br />
konfliktfreier und erfolgreicher. Dörfer, die sich<br />
hier auszeichneten, haben regelmäßig eine intensive<br />
Leitbilddiskussion geführt, die ihrerseits wieder<br />
auf einer klaren und detaillierten Bestandsaufnahme<br />
beruhte.<br />
Partizipation, Eigenverant wortung<br />
und Selbsthilfe bei der <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
Dieser Ansatz war regelmäßig auch eine Teilhabe<br />
am Prozess der Willensbildung. Es handelt sich<br />
hier um den Versuch, über gemeinsame Werte<br />
(z. B.: lebendige Traditionen, lebendiges Christentum,<br />
soziale Netze, die alle auffangen, Willen zu<br />
Subsidiarität) soviel Eigenkraft zu mobilisieren,<br />
dass alle Lebensbereiche partizipativ gestaltet<br />
werden.<br />
Im Ergebnis setzt der neue Titel, wenn er auch für<br />
eine Abnahme der Teilnehmerzahlen gesorgt <strong>hat</strong>,<br />
neue Kräfte bei den teilnehmenden Gemeinden<br />
frei und kann ein Anreiz für viele in der <strong>Zukunft</strong><br />
sein.<br />
Klar wird auch immer mehr, dass eine Voraussetzung<br />
für die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit die Bereitschaft der<br />
Gewählten und der Wähler zu Selbsthilfe in eigener<br />
Verantwortung ist. Dies ermöglicht eine neue<br />
Demokratie fördernde Politikkultur. Sie ist wichtig,<br />
um Vertrauen in die Politik nachhaltig wachsen zu<br />
lassen.<br />
72
Landesbewertungskommission Baden-Württemberg 2009<br />
Entscheidend ist dabei, wie es gelingt, diesen<br />
Prozess so zu strukturieren, dass die Partizipation<br />
möglich wird und Konflikte zwischen Gewählten<br />
und Engagierten vermieden werden oder zumindest<br />
so früh gelöst werden, wie möglich.<br />
<strong>Zukunft</strong> des Wettbewerbs<br />
Es gibt viele Modelle, aber alle Modelle brauchen<br />
zur Implementierung Zeit. Damit stellt sich die<br />
Frage: Kann der Wettbewerb dazu beitragen, dass<br />
nachhaltig <strong>Zukunft</strong>sorientierung standfest bleibt?<br />
Antwort: Ja, aber:<br />
1. dazu gehört, dass der Wettbewerb als aktivierender<br />
Wettbewerb verstanden wird. Das heißt,<br />
die Wettbewerbsstufen von Kreis über Bezirk zur<br />
Landesebene sind sinnvoll, um einen nachhaltigen<br />
Wettbewerbsdruck in der Gemeinde aufrechtzuerhalten<br />
und über die sichtbaren Erfolge<br />
den Wunsch nach weiteren Erfolgen zu beleben.<br />
2. Es muss dazu kommen, dass die Nachschau<br />
(Evaluation) nach einiger Zeit erfolgt und die<br />
ursprüngliche Bewertung und ihre Grundlagen<br />
dadurch ggf. auch in Frage gestellt werden. Ein<br />
Nachjustieren je nach gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
wird so möglich.<br />
73<br />
3. Eine Nachschau sollte nach ca. fünf <strong>Jahre</strong>n feststellen,<br />
inwieweit der Prozess weiterläuft oder<br />
ob er nur ein Strohfeuer war oder ob man sich<br />
zwischenzeitlich auf den Lorbeeren des Goldes<br />
ausruht.<br />
4. Die Bewertung besteht aus positiven Aspekten<br />
und Empfehlungen. Die Empfehlungen sollten<br />
möglichst frühzeitig (drei Monate) nach Bereisung<br />
den Aktiven vor Ort oder in Bürgerversammlungen<br />
von Jurymitgliedern oder anderen<br />
vorgetragen werden.<br />
5. Gleichzeitig scheint es sinnvoll, ein Netzwerk<br />
zwischen den erfolgreichen Gemeinden aufzubauen<br />
(nicht nur innerhalb eines <strong>Bund</strong>eslandes,<br />
sondern länderübergreifend). Dazu braucht man<br />
eine kleine, aber schlagkräftige Organisation,<br />
die entweder bei einem Länderministerium oder<br />
einem der Ämter für Ländliche Entwicklung<br />
o. ä. oder aber auch bei einer NGO, wie z. B.<br />
Bertelsmann-Stiftung etc. angesiedelt sein kann.<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“<br />
kann so bei einer zu beobachtenden Flut von Projektwettbewerben<br />
zu einem Stabilisierungsfaktor<br />
unseres subsidiären demokratischen Gemeinwesens<br />
werden und auch den Weg zu einer solidarischen<br />
Bürgergesellschaft ebnen.<br />
Michael Pelzer,<br />
Bürgermeister, Ignaz-Günther-Straße 5, 83629 Weyarn
Wir in Banzkow<br />
Strukturen für die <strong>Zukunft</strong><br />
schaffen<br />
Banzkow, eine kleine Gemeinde südlich Schwerin,<br />
beging im <strong>Jahre</strong> 2000 seine 700-Jahrfeier. Es war<br />
früher ein typisches Straßendorf mit Büdnern,<br />
Hüfnern und Häuslern, mit Schmied, Zimmer-<br />
mann und Drechsler. Jahrhunderte lang sicherte<br />
die Land- und Forstwirtschaft die Existenz der<br />
Familien.<br />
Ende der 1980er <strong>Jahre</strong> gab es neben der Kirche<br />
und ehemaliger Windmühle mit Gaststätte eine<br />
Schule, Kinderkrippe und Kindergarten, ein altes<br />
Feuerwehrgebäude und einen Konsum. Zu Banzkow<br />
mit 900 Einwohnern gehört Mirow mit ca. 200<br />
Einwohnern. In der Nachbargemeinde Goldenstädt<br />
wohnten 420 Einwohner.<br />
Seit den 1990er <strong>Jahre</strong>n siedelte sich modernes<br />
Handwerk an, auch Gastronomie, Dienstleistungen<br />
sowie Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Die<br />
Einwohnerzahlen wuchsen, Banzkow und Mirow<br />
haben heute 2.160 Einwohner, die benachbarten<br />
Ortsteile Goldenstädt und Jamel 620.<br />
Das Tor nach Banzkow – Bürgerprojekt mit den<br />
Studenten der Hochschule Wismar<br />
Bürgerbeteiligung und Kreativität<br />
Das erste Mal nahm Banzkow beim fünften Landeswettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> soll schöner werden –<br />
<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ 2002 und 2004 auf Drängen<br />
des Landkreises teil. Die Banzkower machten<br />
sich und ihre Umgebung fein – nicht nur für sich,<br />
sondern auch für ihre Besucher und Gäste.<br />
Auch die nächsten Wettbewerbe wurden mit Akribie<br />
vorbereitet. 2007 startete die Gemeinde durch<br />
und holte nach dem Titel im Kreis auch Landes-<br />
und <strong>Bund</strong>esgold! Das klingt fast wie ein Märchen,<br />
ist aber wahr.<br />
Die gemeinsame Freude stärkte die Dörfer und ihre<br />
Bewohner. Wieder wurden neue Ideen geboren<br />
und umgesetzt. Und es wurde auch ein großes Vorhaben<br />
umgesetzt, das langfristig durch Studenten<br />
der Hochschule Wismar vorbereitet und ausführlich<br />
mit den Einwohnern diskutiert wurde: die<br />
Neugestaltung der <strong>Dorf</strong>eingänge. Das waren richtige<br />
Alleinstellungsmerkmale für die Gemeinde.<br />
Kommunale Verwaltung straffen<br />
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet...“ Und dieser<br />
Prüfung unterzogen sich auch die benachbarten<br />
Gemeinden Banzkow und Goldenstädt. Neue<br />
finanzielle Belastungen, Politikverdrossenheit, eine<br />
Kreis- und Gebietsreform und noch geringere freie<br />
Finanzspielräume waren schon vorprogrammiert.<br />
Mehr und mehr kristallisierte sich die Vorstellung<br />
heraus, dass nur eine Fusion der Gemeinden die<br />
Lösung sein könne.<br />
Nach intensiver Meinungsbildung innerhalb der<br />
Gemeindevertretung folgten Veröffentlichungen im<br />
Gemeindeblatt und Einwohnerversammlungen. Die<br />
Entscheidung brachte schließlich eine Bürgerbefragung,<br />
bei der sich 75 Prozent der abgegebenen<br />
Stimmen für eine Fusion aussprachen. 2007 konnte<br />
der Bürgermeister von Goldenstädt seiner auserwählten<br />
„Braut“ Banzkow einen „Heiratsantrag“<br />
machen.<br />
Zur Kommunalwahl im Juni 2009 wurde die Eingemeindung<br />
der ehemals selbständigen Gemeinde<br />
Goldenstädt in die Gemeinde Banzkow vollzogen,<br />
aber nicht mit murrigen und langen Gesichtern<br />
und dem Gefühl des Zwanges. Nein! Die Bürger<br />
empfanden die Fusion als etwas Gewolltes, das<br />
dankbar empfangen wurde. Und so wurde in den<br />
Orten der Gemeinde gefeiert.<br />
74
Polterabend und Hochzeit<br />
Wie es sich für eine zünftige Hochzeit gehört, gab<br />
es einen Polterabend im kleinsten Ortsteil der „alten“<br />
Gemeinde Goldenstädt, in Jamel am 12. Juni<br />
2009. Hochzeit gefeiert wurde in Mirow am<br />
14. Juni 2009 im kleinsten Ortsteil der „alten“<br />
Gemeinde Banzkow. Vorbereitet und ausgestaltet<br />
wurden die Feste von den Bürgern und Vereinen<br />
vor Ort. Einbezogen wurden auch die Pastoren<br />
der beiden Kirchgemeinden, zu denen die Dörfer,<br />
und die Verwaltung des Amtes Banzkow gehören.<br />
Die Leitende Verwaltungsbeamtin fungierte gemeinsam<br />
mit dem extra aus Bayern angereisten<br />
Vorsitzenden der Bewertungskommission des<br />
<strong>Bund</strong>eswettbewerbes „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“,<br />
dem Weyarner Bürgermeister Michael Pelzer, als<br />
Standesbeamte. Ihre Ehe besiegelten die beiden<br />
Gemeinden im Juni 2009 freiwillig. Auf diese Feststellung<br />
legen alle Beteiligten Wert.<br />
Nachteile <strong>hat</strong> die Fusion nach Meinung der Bürger<br />
und Bürgerinnen nicht gebracht, eher die Gemeinsamkeiten<br />
verstärkt. Die Bewohner haben die<br />
Wandlung zur größeren Gemeinde aktiv miterlebt<br />
und gestaltet und sie auch deshalb akzeptiert und<br />
unterstützt. Und auch aus Sicht der Wettbewerbe<br />
können sich die Neu-Banzkower durchaus mit den<br />
Alt-Banzkowern messen: 2010 gewannen Goldenstädt<br />
und Jamel eine Silbermedaille im Landeswettbewerb<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“. Zu der Zeit als<br />
der Kreiswettbewerb startete, waren sie noch die<br />
„alte“ Gemeinde Goldenstädt und als Kreissieger in<br />
den Landeswettbewerb gestartet.<br />
Neu-Banzkow lebt und <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Banzkow ist früher wie heute für ein vielseitiges<br />
kulturelles Leben bekannt. 17 Vereine sind die<br />
die Stützen der gemeindlichen kulturellen und<br />
sportlichen Aktivitäten. Das gesellschaftliche<br />
Leben in den Dörfern ist geblieben und <strong>hat</strong> sich<br />
weiterentwickelt. Alle haben ihren ersten großen<br />
gemeinsamen Erfolg mit der Silbermedaille bei Entente<br />
Florale 2010 errungen, dem internationalen<br />
Gemeindewettbewerb, der noch viele <strong>Jahre</strong> Spuren<br />
in der Gemeinde hinterlassen wird.<br />
Denn die Wettbewerbe sind kein Selbstzweck.<br />
Sie sind Ausdruck der weiteren Entwicklung der<br />
Dörfer. Banzkow lebt längst nicht mehr nur von<br />
der Landwirtschaft. Tourismusinformation, Naturlabyrinth,<br />
Naturlehrpfad, Fischtreppe, Kunstgalerie,<br />
Störtal-Museum und Rast- und Grillplätze zeugen<br />
davon, dass die <strong>Dorf</strong>bewohner auch gerne Gästen<br />
und Besuchern ihre Heimat vermitteln wollen.<br />
75<br />
Der jährliche Pflanzmarkt ist bei allen Banzkowern<br />
beliebt.<br />
Vier Dörfer sind sich grün<br />
Dieses Motto der vier Dörfer symbolisiert das „Sich<br />
mögen“ – bestätigt die Gemeindehochzeit vom<br />
Juni 2009, aber auch die wunderschöne Natur, die<br />
die Orte umschließt. Die Lewitz – eine ausgedehnte<br />
Wiesenlandschaft, mit abwechslungsreichem<br />
Mischwald, Karpfenteichen, dem Störkanal und<br />
anderen Kanälen und vor allem anheimelnden Dörfern<br />
mit freundlichen Menschen werben für einen<br />
sanften Natur- und Erlebnistourismus.<br />
Auch die demografische Entwicklung macht um<br />
Banzkow keinen Bogen. Neben altersgerechten<br />
Wohnungen gibt es eine Wohngemeinschaft für<br />
Schwerstpflegebedürftige und in Mirow ein Heim<br />
für geistig Schwerstbehinderte. Die jüngsten Banzkower<br />
werden in einer Kneipp-Kindertagesstätte<br />
mit neuem Krippenbereich betreut. Photovoltaik-<br />
und Biogasanlagen sprechen dafür, dass erneuerbare<br />
Energien ein aktuelles Thema auch in unseren<br />
Orten sind. Überall wird gebaut und gewerkelt.<br />
Und von jedem Treffen mit anderen Kommunen,<br />
von jeder Auswertung eines Wettbewerbes werden<br />
neue Ideen mit nach Hause gebracht. Die Impulse<br />
der Wettbewerbe motivieren und helfen, mit noch<br />
mehr Energie neue Ziele umzusetzen. Die Banzkower<br />
möchten die Erfahrungen und Erkenntnisse,<br />
die ihnen der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> gebracht <strong>hat</strong>, nicht<br />
mehr missen!<br />
Carmen Krooß,<br />
Amt Banzkow, Schulsteig 4, 19079 Banzkow
Wir in Brokeloh<br />
Eine <strong>Zukunft</strong> für unser <strong>Dorf</strong><br />
Ermutigt durch die erfolgreiche Teilnahme an der<br />
1987 durchgeführten <strong>Dorf</strong>erneuerung mit vielen<br />
öffentlichen und privaten Maßnahmen entschloss<br />
sich die <strong>Dorf</strong>gemeinschaft Brokeloh, heute Teil der<br />
Samtgemeinde Landesbergen an der Weser, seine<br />
ganz Kraft in die Teilnahme am Wettbewerb „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ zu legen.<br />
Der erste Erfolg stellte sich 1995 ein, als Brokeloh<br />
Kreissieger wurde. 2001 kam Brokeloh sogar im<br />
Landeswettbewerb unter die ersten Drei. Alles<br />
klappte bestens. Das <strong>Dorf</strong> war ein eingespieltes<br />
Team. Die Unterstützung der Gemeinde war vorbehaltlos<br />
sicher. Es schien fast unvermeidlich, dass<br />
diese Anstrengungen 2004 im <strong>Bund</strong>eswettbewerb<br />
mit einer Goldmedaille belohnt wurden.<br />
Ganz Brokeloh reist mit Bussen zur Preisverleihung<br />
nach Berlin und konnte sich auch im Rahmen der<br />
Grünen Woche präsentieren. Es war für alle ein<br />
großes Fest. 2006 vertrat Brokeloh mit Erfolg das<br />
Land im Rahmen des europäischen Wettbewerbs<br />
Entente Florale. Die gesamte Einwohnerschaft<br />
stellte ihr bescheidenes Heidedorf Brokeloh der<br />
internationalen Jury vor und wurde mit einer Silbermedaille<br />
ausgezeichnet.<br />
Auslöser für neue Aktivitäten<br />
Die Wandlung eines früher ausschließlich landwirtschaftlich<br />
geprägten <strong>Dorf</strong>es zu einem Ort,<br />
in dem sich heute die verschiedensten kleineren<br />
Wirtschaftsbetriebe entfalten und alle Familien<br />
ihre eigenen Vorstellungen vom Leben auf dem<br />
Land verwirklichen können. Alle <strong>Dorf</strong>bewohner<br />
tragen mit ihrem Anteil zum Erhalt einer lebendigen<br />
<strong>Dorf</strong>gemeinschaft bei. So ist ein hoher Grad an<br />
Identifizierung mit dem <strong>Dorf</strong> entstanden. Dies war<br />
der wichtigste Grund für die außerordentlichen<br />
Erfolge der kleinen <strong>Dorf</strong>gemeinschaft.<br />
Von rd. 390 Einwohnern finden heute mehr als<br />
70 im <strong>Dorf</strong> ihren Arbeitsplatz. Immer noch gibt<br />
es in Brokeloh sieben landwirtschaftliche Vollerwerbs-<br />
und drei Nebenerwerbsbetriebe. Während<br />
der letzten 25 <strong>Jahre</strong> ist dem Strukturwandel der<br />
Landwirtschaft durch Schaffung anderer Betriebe<br />
begegnet worden. In Vollstellen umgerechnet weist<br />
Brokeloh 55 Arbeitsplätze in 15 Betrieben auf, darunter<br />
immerhin noch 35 in der Landwirtschaft mit<br />
Direktvermarktung, einem Hotelbetrieb und Ferienwohnungen,<br />
Reitschule, Hundeschulen und eine<br />
Landschlachterei; alle mit Ausstrahlung weit über<br />
das <strong>Dorf</strong> hinaus. Das Rittergut ist ein touristischer<br />
Glanzpunkt und seit einigen <strong>Jahre</strong>n das Ziel von<br />
bis zu 6.000 Teilnehmern an dem mittelalterlichen<br />
Life-Rollenspiel Mythodea. Der Bickbeerenhof zieht<br />
mit seinem Sommercafé jedes Jahr in der Heidelbeersaison<br />
tausende Besucher an.<br />
Brokeloh ist ein junges <strong>Dorf</strong><br />
Brokeloh an der Weser zwischen Bremen und<br />
Hannover ist kein Schlafdorf mit städtischen Bewohnern<br />
und auch kein einsames <strong>Dorf</strong> in verlassener<br />
Gegend. Brokeloh ist ein junges, lebendiges und<br />
kinderfreundliches <strong>Dorf</strong>, in dem junge Leute bleiben<br />
und sich ansiedeln, weil sie hier eine <strong>Zukunft</strong>sperspektive<br />
haben. Der Anteil der über 65jährigen<br />
ist untypisch gering, der Anteil junger Menschen<br />
entsprechend hoch.<br />
Die <strong>Dorf</strong>gemeinschaft in Brokeloh ist charakterisiert<br />
durch ein reges Leben in den verschiedensten Vereinen<br />
für ganz unterschiedliche Interessen. Es gibt<br />
Angebote auf kulturellen, geschichtlichen, sportlichen<br />
Gebieten und im gesellschaftlichen sowie<br />
im geselligen Bereich. Daher leben in Brokeloh<br />
auch mehr Vereinsmitglieder als Einwohner. Ein<br />
formloser Dachverband aller Vereine und Organisationen<br />
Brokelohs organisiert gemeinsame Veranstaltungen<br />
und setzt sich mit externen Partnern<br />
Die kleine <strong>Dorf</strong>schule in Brokeloh ist Mittelpunkt<br />
für die ganz junge Generation<br />
76
Der alte Herrensitz – das „Rittergut“ ist prägend für das <strong>Dorf</strong>.<br />
auseinander. Die meisten Aktivitäten sind für alle<br />
<strong>Dorf</strong>bewohner offen wie z. B. die Kinderspielgruppen<br />
oder Sportgemeinschaften. Es gibt sogar einen<br />
sehr aktiven Kreis von Pensionären („Rentner-<br />
Band“), die Geselligkeit fördern und auch Hilfeleistungen<br />
für die Gemeinschaft erbringen, insbesondere<br />
beim Schmücken des <strong>Dorf</strong>es vor großen Festen<br />
oder bei der Pflege der letzten Heideflächen.<br />
Brokeloh ist auch ein schönes <strong>Dorf</strong><br />
Alle Einwohner wissen heute um ihr Privileg, in<br />
einer landschaftlich reizvollen Umgebung eingebettet<br />
zu sein und in einem <strong>Dorf</strong> auf einem<br />
Endmoränenrücken zwischen Steinhuder Meer und<br />
Weser zu leben. Bis zu dem Aufkommen moderner<br />
landwirtschaftlicher Methoden waren ertragsarme<br />
Torfmoore und Heideflächen charakteristisch<br />
für die Landschaft um Brokeloh. Restbestände<br />
der Heidekultur („Winkelmanns Heide“) werden<br />
sorgfältig gepflegt. Der auch heute noch bekannte<br />
und beliebte Heimatdichter Hermann Löns beschreibt<br />
Brokeloh vor 1900 als einen „versteckten<br />
Erdenflecken“. Mit der Kutsche von Rehburg kommend,<br />
blickte er auf die „schwarzen Strohdächer<br />
von Brokeloh, mit ihren Schützenscheiben, ihren<br />
Giebellöchern, aus denen der Herdrauch entströmte“.<br />
Er war zu Besuch auf dem alten Herrensitz<br />
77<br />
(„Rittergut“), der auch heute noch das <strong>Dorf</strong> prägt.<br />
Vieles <strong>hat</strong> sich seitdem verändert, aber Brokeloh<br />
ist ein „<strong>Dorf</strong> im Grünen“ geblieben, besc<strong>hat</strong>tet und<br />
geprägt von uralten Eichen. Auch wenn die Strohdächer<br />
verschwunden sind, die alten Bauern- und<br />
Häuslingshäuser sind mit neuem Leben erfüllt und<br />
werden sorgfältig gepflegt.<br />
Brokeloh <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Brokeloh <strong>hat</strong> trotz großer Umwälzungen in der<br />
Landwirtschaft und neuer Baumaterialien und<br />
Bauweisen sein Gesicht gewahrt und darin einen<br />
eigenständigen Wert erkannt. Seit der Teilnahme<br />
Brokelohs an den <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong>en ist das<br />
Interesse an der Pflege der historischen Gebäude<br />
und der Grünlandgestaltung gestärkt. Eines sollte<br />
besonders hervorgehoben werden: Die Brokeloher<br />
empfinden sich nicht als Bewohner eines Museumsdorfes<br />
und würden eine solche Entwicklung<br />
auch ablehnen. Wichtig ist den Brokelohern, dass<br />
das Prinzip der Nachhaltigkeit erkannt und auch<br />
gelebt wird.<br />
Dr. Klaus Palandt,<br />
Brokeloher Bergstraße 16, 31628 Landesbergen
Anhang<br />
79<br />
Die Grüne Charta von der Mainau<br />
Ausschreibung des 1. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs 1960/<strong>1961</strong><br />
Ausschreibung des 24. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs <strong>2011</strong>/2013<br />
Teilnehmerzahlen <strong>1961</strong> bis 2010<br />
Weitere Informationen zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb und<br />
den Landeswettbewerben
Die Grüne Charta von der Mainau<br />
80
Ausschreibung des 1. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs 1960/<strong>1961</strong><br />
82
Ausschreibung des 24. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs <strong>2011</strong>/2013<br />
Der <strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong> <strong>Zukunft</strong>“ wird durch eine Ausschreibung des <strong>Bund</strong>esministeriums für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingeleitet. Die Ausschreibungsrichtlinien sowie die dazugehörenden<br />
Leitfragen, an denen sich jedes <strong>Dorf</strong> orientieren kann, können sich mit jedem Wettbewerb ändern, um<br />
eine zeitgemäße Ausrichtung zu garantieren.<br />
Im folgenden sind beispielhaft die Ausschreibungsrichtlinien des 24. <strong>Bund</strong>eswettbewerbs dargestellt: Bekanntmachung<br />
des BMELV vom 7. Dezember 2010. Veröffentlicht im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl, Nr. 85/86<br />
vom 27. Dezember 2010) herausgegeben vom <strong>Bund</strong>esministerium des Innern (BMI) 61. Jahrgang, Nr. 85/86; ISSN<br />
0930-4729; Seite 1768-1773):<br />
1. Inhalte und Ziele –<br />
Wozu dieser Wettbewerb?<br />
Der vom <strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz (BMELV) ausgeschriebene<br />
<strong>Bund</strong>eswettbewerb „<strong>Unser</strong> <strong>Dorf</strong> <strong>hat</strong><br />
<strong>Zukunft</strong>“ soll die Menschen in den Dörfern motivieren,<br />
ihre <strong>Zukunft</strong>sperspektiven zu bestimmen und<br />
aktiv an der Verbesserung der Lebensqualität<br />
in den ländlichen Räumen mitzuwirken.<br />
Bei der Bewertung der <strong>Dorf</strong>entwicklung stehen die<br />
Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger für<br />
eine nachhaltige <strong>Zukunft</strong>sgestaltung und deren<br />
Realisierung unter Berücksichtigung der individuellen<br />
wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen<br />
Ausgangsbedingungen sowie der Umgang mit<br />
kulturellen Traditionen im Vordergrund.<br />
Besondere Anerkennung finden dabei die vielfältigen<br />
Aktivitäten der <strong>Dorf</strong>gemeinschaft im Sinne<br />
der nachfolgend beschriebenen Bereiche.<br />
Kraft und Erfolg haben Dörfer, deren Bürgerinnen und<br />
Bürger sich engagieren<br />
Der <strong><strong>Dorf</strong>wettbewerb</strong> soll dazu beitragen, das Verständnis<br />
der <strong>Dorf</strong>bevölkerung für ihre eigenen<br />
Einflussmöglichkeiten zu stärken und dadurch die<br />
bürgerschaftliche Mitwirkung zu intensivieren.<br />
So kann der Wettbewerb hervorragende Beispiele<br />
dafür aufzeigen, wie es motivierten und engagierten<br />
<strong>Dorf</strong>bewohnern gemeinsam gelingt, sich ein<br />
lebenswertes Umfeld zu schaffen.<br />
Gemeinschaftliche Perspektiven entwickeln –<br />
Eigenkräfte stärken<br />
Die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen<br />
und Unternehmer sowie alle in der Gemeinde<br />
Verantwortlichen sollen durch den Wettbewerb<br />
motiviert werden, die individuellen Ausgangsbedingungen<br />
– Stärken und Schwächen, Chancen<br />
und Risiken – ihres Ortes zu bestimmen. Darauf<br />
aufbauend sollen die Perspektiven für das <strong>Dorf</strong><br />
gemeinschaftlich entwickelt und die Eigenkräfte<br />
gestärkt werden.<br />
Die vorhandenen Kräfte und Instrumente bündeln<br />
Wichtiger Erfolgsfaktor für die dörfliche Entwicklung<br />
ist der Gemeinsinn. Das Initiieren und Umsetzen<br />
von isolierten Einzelprojekten reicht alleine<br />
nicht aus. Es ist entscheidend für den Erfolg,<br />
Synergieeffekte aus dem gemeinsamen Handeln zu<br />
nutzen. Große Bedeutung kommt dabei der Abstimmung<br />
zwischen den verschiedenen kommunalen<br />
und staatlichen Institutionen, Vereinen und<br />
anderen Gruppierungen im <strong>Dorf</strong> sowie der überörtlichen<br />
Zusammenarbeit zu.<br />
Auf die verschiedenen Generationen im <strong>Dorf</strong> eingehen<br />
Die Interessen und Bedürfnisse der Menschen vor<br />
Ort zu berücksichtigen heißt, sich mit den <strong>Zukunft</strong>schancen<br />
der Kinder, Jugendlichen und insbesondere<br />
der Frauen auseinanderzusetzen. In einer<br />
alternden Gesellschaft gilt es aber auch, dass Engagement<br />
der älteren Bürgerinnen und Bürger in<br />
die <strong>Dorf</strong>entwicklung einzubeziehen und auf die<br />
veränderten Anforderungen in deren Lebensumfeld<br />
einzugehen.<br />
Die dörfliche Identität stärken<br />
Das soziale Miteinander zwischen den Generationen,<br />
Bevölkerungsgruppen, Alt- und Neubürgern,<br />
die Kommunikationskultur sowie eine entsprechende<br />
„soziale Infrastruktur“ lassen im <strong>Dorf</strong> Identität,<br />
soziale Geborgenheit und Vertrautheit – ein<br />
Heimatgefühl – entstehen. Sie sind wichtiger Teil<br />
der „weichen Standortfaktoren“, die zunehmend an<br />
Bedeutung gewinnen. Willkommen sind auch<br />
Initiativen, um Kinder und Jugendliche zu fördern,<br />
Familien zu entlasten, das „Wir-Gefühl“ mit<br />
neuen Ansätzen und Projekten zu stärken oder den<br />
Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern aus anderen<br />
Kulturkreisen voranzubringen.<br />
84
Natur und Umwelt - pflegen und erhalten<br />
Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und<br />
Landschaft gilt es zu erhalten. Erholungsräume<br />
und Naturerlebnisse in unmittelbarer Nähe zu<br />
haben, sind zentrale Vorzüge ländlichen Lebens.<br />
Auch bedrohte Pflanzen- und Tierarten und ihre<br />
Lebensräume zu schützen, erhöht die Lebensqualität<br />
im <strong>Dorf</strong> und kann Ausgangsbasis für wirtschaftliches<br />
Handeln sein. Aktivitäten im Bereich des<br />
Klimaschutzes, umweltfreundliche Verfahren der<br />
Landnutzung und Initiativen im Sinne der Agenda<br />
21 können ebenfalls zur nachhaltigen <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
beitragen. Dabei gilt es, die natürlichen<br />
Ressourcen sinnvoll und nachhaltig zu nutzen.<br />
2. Teilnahmebedingungen –<br />
Wer darf mitmachen?<br />
Teilnahmeberechtigt sind räumlich geschlossene<br />
Gemeinden oder Gemeindeteile mit überwiegend<br />
dörflichem Charakter mit bis zu 3.000 Einwohnern.<br />
Für Gemeinden oder Gemeindeteile, die eine Goldplakette<br />
beim <strong>Bund</strong>esentscheid 2010 erhalten<br />
haben, ist die Teilnahme an den beiden darauf<br />
folgenden <strong>Bund</strong>esentscheiden nicht möglich.<br />
Voraussetzung für die Meldung zum <strong>Bund</strong>esentscheid<br />
ist die erfolgreiche Teilnahme am vorangegangenen<br />
Landesentscheid entsprechend dem<br />
nachstehenden Schlüssel:<br />
Jedes Land kann bei der Beteiligung<br />
ó von bis zu 100 Teilnehmern: einen Landessieger,<br />
ó von 101 bis 300 Teilnehmern: zwei Landessieger,<br />
ó von 301 bis <strong>50</strong>0 Teilnehmern: drei Landessieger,<br />
ó von <strong>50</strong>1 bis 700 Teilnehmern: vier Landessieger,<br />
ó von 701 bis 900 Teilnehmern: fünf Landessieger,<br />
ó von 901 bis 1.100 Teilnehmern: sechs Landessieger,<br />
ó von 1.101 bis 1.300 Teilnehmern: sieben Landessieger,<br />
ó von über 1.300 Teilnehmern: acht Landessieger<br />
und<br />
ó je zusätzliche 200 Teilnehmer: einen weiteren<br />
Landessieger<br />
melden.<br />
Meldefrist:<br />
Die in den Ländern mit der Durchführung des Landeswettbewerbes<br />
beauftragten Stellen melden die<br />
nach der Ausschreibung in Frage kommenden Landessieger<br />
spätestens bis zum 31. Dezember 2012<br />
an das<br />
85<br />
<strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
Referat 416 „Entwicklung ländlicher Räume“<br />
Dienstsitz Berlin<br />
Wilhelmstraße 54<br />
10117 Berlin.<br />
3. Bewertungsrahmen –<br />
Was ist gefordert?<br />
Die Leistungen der Dörfer werden vor dem Hintergrund<br />
ihrer jeweiligen Ausgangslage und den<br />
individuellen Möglichkeiten der Einflussnahme<br />
bewertet. Es soll deutlich werden, welche Ziele sich<br />
die Bevölkerung für ihr <strong>Dorf</strong> gesetzt <strong>hat</strong> und was<br />
getan wurde, diese Ziele zu erreichen. Besonderer<br />
Wert wird dabei auf Maßnahmen und Aktivitäten<br />
der letzten <strong>Jahre</strong> gelegt.<br />
Leitbild und Entwicklungskonzepte: Was haben wir<br />
erreicht – Was wollen wir?<br />
Die Entwicklung des <strong>Dorf</strong>es in der Region wird<br />
beeinflusst durch neue Herausforderungen und<br />
wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Ausgehend<br />
von einer realistischen Einschätzung der Ausgangssituation<br />
sollen die <strong>Dorf</strong>bewohner den notwendigen<br />
Anpassungsprozess aktiv mitgestalten.<br />
Von Bürgern und Kommunen gemeinsam entwickelte<br />
Leitbilder und Entwicklungsstrategien –<br />
Ideen, Konzepte und Planungen – für die <strong>Zukunft</strong><br />
des <strong>Dorf</strong>es sollen dazu beitragen, den unverwechselbaren<br />
<strong>Dorf</strong>- und Landschaftscharakter zu erhalten,<br />
die wirtschaftlichen Potenziale zu nutzen und<br />
die Lebensqualität im <strong>Dorf</strong> im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie<br />
der <strong>Bund</strong>esregierung zu verbessern.<br />
Die Einbindung der dörflichen Planungen in integrierte<br />
Entwicklungskonzepte spielt hier eine<br />
große Rolle. Besondere Bedeutung kommt der Zusammenarbeit<br />
zwischen den Dörfern der Region<br />
und zwischen den Planungsebenen zu.<br />
Wirtschaftliche Entwicklung und Initiative: Was haben<br />
wir erreicht – Was wollen wir?<br />
Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ist<br />
die Grundlage für prosperierende Dörfer. Daher<br />
gilt es, Initiativen der Bürgerinnen und Bürger, der<br />
<strong>Dorf</strong>gemeinschaft, der örtlichen Unternehmen<br />
sowie der Gemeinde zur Nutzung von Erwerbspotenzialen<br />
anzuregen. Hier sind insbesondere solche<br />
Aktivitäten im <strong>Dorf</strong> von Bedeutung, mit denen unternehmerische<br />
Eigeninitiativen unterstützt<br />
werden. Dazu gehören auch Maßnahmen zur nachhaltigen<br />
Energieversorgung.
Soziale und kulturelle Aktivitäten: Was haben wir<br />
erreicht – Was wollen wir?<br />
Die aktive Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger<br />
bei der Gesamtentwicklung des <strong>Dorf</strong>es stärkt<br />
das soziale und kulturelle Zusammenleben und<br />
verbessert die Lebensqualität im <strong>Dorf</strong>. So können<br />
Angebote und Einrichtungen im sozialen, kulturellen,<br />
ökologischen und sportlichen Bereich das<br />
Gemeinschaftsleben und die Integration von Einzelpersonen<br />
oder Gruppen aller Altersstufen<br />
fördern. Beispielhaft stehen hierfür das Vereinsleben,<br />
soziale und kirchliche Einrichtungen, Selbsthilfeleistungen,<br />
Gemeinschaftsaktionen, interkulturelle<br />
Aktivitäten sowie Initiativen, die den<br />
Zusammenhalt der <strong>Dorf</strong>gemeinschaft unterstützen<br />
und für jede Alters- und Bevölkerungsgruppe eine<br />
Perspektive für das Leben im <strong>Dorf</strong> erhalten.<br />
Baugestaltung und -entwicklung: Was haben wir<br />
erreicht – Was wollen wir?<br />
Baugestaltung und -entwicklung sowie raumsparendes<br />
Flächenmanagement sind wesentliche<br />
Elemente einer zukunftsorientierten <strong>Dorf</strong>entwicklung.<br />
Die Lebens- und Wohnqualität eines <strong>Dorf</strong>es<br />
sowie sein Charakter werden maßgeblich durch die<br />
Erhaltung, Pflege und Entwicklung der ortsbildprägenden<br />
Bausubstanz mitbestimmt. Dabei gilt es,<br />
die bauliche Innenentwicklung zu bevorzugen,<br />
neue Gebäude dem historischen Orts- und Landschaftscharakter<br />
anzupassen und Baugebiete in<br />
Abstimmung mit den Nachbarkommunen zu planen.<br />
Unter Beachtung der regional- und ortstypischen<br />
Bauformen und -materialien sollten traditionelle<br />
und moderne Elemente sinnvoll verzahnt<br />
werden. Die Gestaltung der privaten und öffentlichen<br />
Frei- und Verkehrsflächen prägt nachhaltig<br />
das Bild des <strong>Dorf</strong>es.<br />
Eine nachhaltige Raum- und Siedlungsentwicklung<br />
verlangt unter anderem den sparsamen und effizienten<br />
Umgang mit vorhandenen Flächen und den<br />
Einsatz umweltfreundlicher Materialien und<br />
Techniken. So trägt die Umnutzung ehemals landwirtschaftlich<br />
genutzter Gebäude zum Schutz der<br />
Ressourcen, zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme<br />
und zu einer zukunftsfähigen Entwicklung<br />
der ländlichen Räume bei.<br />
Grüngestaltung und -entwicklung: Was haben wir<br />
erreicht – Was wollen wir?<br />
Das Grün im <strong>Dorf</strong> und die dörfliche Gartenkultur<br />
prägen wesentlich die regionaltypischen Ortsbilder<br />
sowie die Wohn- und Lebensqualität im <strong>Dorf</strong>. Die<br />
Vernetzung mit der umgebenden Landschaft<br />
und die Förderung vielfältiger naturnaher Lebensräume<br />
haben Einfluss auf den Naturhaushalt. Da-<br />
bei sollte die regional- und dorftypische Tier- und<br />
Pflanzenwelt erhalten und entwickelt werden.<br />
Wesentliche Bedeutung für die Stärkung der<br />
Belange von Natur und Umwelt kommt dabei der<br />
Information und Motivierung der Bürger, der Initiierung<br />
von Eigenverantwortung und der Anregung<br />
zur aktiven Mitwirkung zu.<br />
Das <strong>Dorf</strong> in der Landschaft: Was haben wir erreicht –<br />
Was wollen wir?<br />
Die Gestaltung einer vielfältigen Kulturlandschaft<br />
unter Berücksichtigung einer umweltfreundlichen<br />
Landnutzung trägt zur Sicherung des Naturhaushalts<br />
bei. Deshalb sind die Einbindung des<br />
<strong>Dorf</strong>es in die Landschaft, die Gestaltung des Ortsrandes<br />
sowie die Erhaltung, Pflege und Entwicklung<br />
charakteristischer Landschaftsbestandteile<br />
und historische Kulturlandschaftselemente zu<br />
beachten. Die Vielfalt an naturnahen Landschaftsbestandteilen<br />
wie Hecken, Feldgehölzen, Teichen,<br />
Feuchtbiotopen sichert Lebensräume für Pflanzen<br />
und Tiere und kommt dem <strong>Dorf</strong> zugute. Vor dem<br />
Hintergrund des Klimawandels sind, dem Bodenschutz,<br />
dem Arten- und Biotopschutz sowie dem<br />
Erhalt der Moorstandorte besondere Aufmerksamkeit<br />
zu widmen.<br />
Gesamturteil<br />
Diese sechs Fachbewertungsbereiche werden gewichtet<br />
und vor dem Hintergrund der Ausgangslage<br />
und Einflussmöglichkeiten des <strong>Dorf</strong>es auf seine<br />
künftige Entwicklung beurteilt. In allen Bereichen<br />
sollen dabei die eigenständigen Leistungen der<br />
Bewohner bei der Entwicklung ihres <strong>Dorf</strong>es im<br />
Vordergrund stehen. Die Bewertungskommission<br />
berücksichtigt dabei die in der Anlage genannten<br />
Leitfragen.<br />
Um zu prüfen, ob die dargestellten Einzelmaßnahmen<br />
zu einem geschlossenen Gesamtbild zusammengeführt<br />
wurden, werden die Dörfer zusätzlich<br />
hinsichtlich der unter Nummer 1 genannten<br />
Querschnittskriterien (Inhalt und Ziele des Wettbewerbs)<br />
beurteilt.<br />
86
4. Organisation und<br />
Bewertungsverfahren – Wie<br />
läuft der Wettbewerb ab?<br />
Der Wettbewerb wird vom <strong>Bund</strong>esministerium für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
durchgeführt. Er steht unter der Schirmherrschaft<br />
des <strong>Bund</strong>espräsidenten.<br />
Bei der Durchführung des Wettbewerbs wirkt das<br />
BMELV mit den für den Wettbewerb in den<br />
Ländern zuständigen Ministerien, dem <strong>Bund</strong>esministerium<br />
für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung<br />
(BMVBS), dem <strong>Bund</strong>esministerium für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit (BMU) sowie<br />
Vertretern aus folgenden Behörden, Verbänden<br />
und Organisationen zusammen:<br />
ó <strong>Bund</strong> Deutscher Landschaftsarchitekten e.V.<br />
(BDLA)<br />
ó <strong>Bund</strong> Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU)<br />
ó <strong>Bund</strong> der Deutschen Landjugend e.V. (BDL)<br />
ó <strong>Bund</strong>esverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau<br />
e.V.<br />
ó Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. (DGG)<br />
ó Deutscher Bauernverband e.V. (DBV)<br />
ó Deutscher LandFrauenverband e.V. (dlv)<br />
ó Deutscher Landkreistag (DLT)<br />
ó Deutscher Naturschutzring (DNR) e.V.<br />
ó Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB)<br />
ó Deutscher Verband für Landschaftspflege e.V.<br />
(DVL)<br />
ó Verband der Gartenbauvereine in Deutschland<br />
e.V. (VGiD)<br />
ó Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V.<br />
(ZDH)<br />
ó Zentralverband Gartenbau e.V. (ZVG)<br />
Die Bewertungskommission, die vom BMELV berufen<br />
wird, beurteilt die Leistungen der teilnehmenden<br />
Dörfer.<br />
Die Entscheidungen der Bewertungskommission<br />
sind endgültig. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!<br />
5. Auszeichnungen –<br />
Was können die Gewinner<br />
erwarten?<br />
Den am <strong>Bund</strong>eswettbewerb teilnehmenden Gemeinden<br />
und Gemeindeteile (allgemein mit Dörfer<br />
bezeichnet) werden Gold-, Silber- und Bronzemedaillen<br />
sowie Urkunden verliehen.<br />
87<br />
Leitfragen für die Fachbewertungsbereiche<br />
Vorstellung<br />
ó Kurze Darstellung der Akteure und ihrer Aufgabenfelder:<br />
- Von wem ist die Initiative für die Teilnahme<br />
am Wettbewerb ausgegangen?<br />
- Wer macht was?<br />
ó Kommunaler Handlungsspielraum des <strong>Dorf</strong>es:<br />
- Was sieht die Kommunalverfassung vor?<br />
- Wie viel Planungs-/Gestaltungsspielraum <strong>hat</strong><br />
das <strong>Dorf</strong>?<br />
- Gibt es eine eigene „Ortsvertretung“?<br />
- Wie viele Ratsmitglieder vertreten das <strong>Dorf</strong> im<br />
Rat der Gemeinde?<br />
- Wie wird das <strong>Dorf</strong> von der Gemeinde, dem<br />
Landkreis im Wettbewerb unterstützt?<br />
1. Leitbild und Entwicklungskonzepte<br />
ó Gibt es eine <strong>Zukunft</strong>sperspektive, ein Leitbild<br />
oder Ziele für das <strong>Dorf</strong> ? Wenn ja,<br />
- wie werden Bürgerinnen und Bürger einbezogen?<br />
- wie werden Vereine, Verbände, Behörden und<br />
Unternehmen einbezogen?<br />
- ist der Prozess abgeschlossen, wird er weitergeführt?<br />
ó Sind die entwickelten Ansätze zukunftsfähig?<br />
- Werden die Stärken und Schwächen<br />
analysiert?<br />
- Wie wird die Bevölkerungsentwicklung<br />
berücksichtigt?<br />
- Wie wird die Entwicklung in der Region<br />
berücksichtigt?<br />
- Wie sind die Überlegungen mit anderen<br />
Akteuren in der Region abgestimmt?<br />
- Wie sind die Bewertungsbereiche 2 bis 6<br />
berücksichtigt?<br />
- Wie wird versucht, sich über eine Aufgabenverteilung<br />
mit Orten in der Umgebung abzustimmen?<br />
- Werden Kooperationen organisiert?<br />
- Wie wird mit natürlichen Ressourcen umgegangen?<br />
ó Wie erfolgt die Umsetzung der Konzepte?<br />
- Welchen Beitrag leisten die Akteure im <strong>Dorf</strong><br />
(Bürger und Bürgerinnen, Vereine, Verbände,<br />
Gemeinde und Unternehmen)?<br />
- Welche Vorhaben sind bereits realisiert?
2. Wirtschaftliche Entwicklung<br />
und Initiativen<br />
ó Welche Initiativen und Maßnahmen zur Gründung<br />
oder Unterstützung örtlicher Unternehmen<br />
werden ergriffen? Inwieweit stimmt sich das <strong>Dorf</strong><br />
mit den Nachbarkommunen ab?<br />
ó Welcher Beitrag wird zur Erhaltung oder Schaffung<br />
von Arbeits- und Ausbildungsplätzen<br />
sowie neuer Einkommensmöglichkeiten geleistet?<br />
ó Was wird zur Verbesserung der Verkehrssituation,<br />
insbesondere des Personennahverkehrs<br />
getan?<br />
ó Was wird zur Verbesserung der Telekommunikation<br />
(z. B. Realisierung von schnellen Internetanschlüssen)<br />
unternommen?<br />
ó Was wird im Bereich Naherholung, Tourismus<br />
(Alleinstellungsmerkmale, Wanderwegenetz,<br />
Buchungsmöglichkeiten, Vernetzung) getan?<br />
ó Was wird getan zur Erhaltung etwa von Lebensmittelgeschäften,<br />
Gaststätten, etc.?<br />
ó Wie unterstützen die Unternehmen die Entwicklung<br />
im <strong>Dorf</strong> (z. B. Sponsoring, Vereinsleben)?<br />
ó Was wird getan zur Verbesserung einer nachhaltigen<br />
Energieversorgung (Blockheizkraftwerk,<br />
Solarkollektoren etc.)?<br />
ó Welche Initiativen zur Erweiterung der Einkommensmöglichkeiten<br />
(Diversifizierung) bestehen?<br />
ó Wie präsentiert sich das <strong>Dorf</strong> im Internet?<br />
3. Soziale und kulturelle Aktivitäten<br />
ó Welche generationen-, geschlechtsspezifischen<br />
oder generationenübergreifenden Einrichtungen<br />
bestehen? Wie werden diese durch Initiativen<br />
zur Begegnung des demografischen Wandels<br />
unterstützt?<br />
ó Wie tragen Vereine, Jugendgruppen, Bürgerinitiativen<br />
u. a. zum <strong>Dorf</strong>leben und <strong>Dorf</strong>entwicklung<br />
bei?<br />
ó Was wird getan, um Jugendliche in das <strong>Dorf</strong>- und<br />
Vereinsleben zu integrieren und an das <strong>Dorf</strong> zu<br />
binden?<br />
ó Was wird zur Verbesserung der Kinder- und<br />
Jugendbetreuung getan?<br />
ó Welche Aktivitäten zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit<br />
bestehen?<br />
ó Wird mit benachbarten Einrichtungen (Krippen,<br />
Kindertagesstätten, Schulen) zusammengearbeitet?<br />
ó Welche Zusammenarbeit gibt es mit Nachbarorten/<br />
-gemeinden bei der Sicherung der sozialen<br />
Infrastruktur?<br />
ó Wie werden Neubürger sowie Bürgerinnen und<br />
Bürger aus anderen Kulturkreisen integriert?<br />
ó Was wird zur Vermittlung von <strong>Dorf</strong>geschichte<br />
und zur Förderung oder Erhaltung von <strong>Dorf</strong>traditionen/Brauchtum<br />
getan?<br />
ó Wie wird das Ehrenamt gewürdigt?<br />
4. Baugestaltung und -entwicklung<br />
ó Was wird unternommen,<br />
- um die charakteristischen Elemente des <strong>Dorf</strong>es<br />
und des <strong>Dorf</strong>bildes zu erhalten und zu<br />
gestalten (Zusammenspiel von alter und neuer<br />
Bebauung, Wegen und Plätzen)?<br />
- um neue Wohn- und Gewerbegebiete baulich<br />
und gestalterisch als organische Weiterentwicklung<br />
des <strong>Dorf</strong>es einzubinden?<br />
- um Gebäudesanierungen unter energetischen<br />
Gesichtspunkten zu realisieren?<br />
- um das <strong>Dorf</strong> barrierefrei zu gestalten?<br />
- um ungenutzte landwirtschaftliche oder<br />
andere Bausubstanz für andere Zwecke weiterzunutzen<br />
(Umnutzung) oder zurückzubauen?<br />
- um nachhaltige Energiegewinnung dem<br />
<strong>Dorf</strong>bild entsprechend einzubinden?<br />
ó Was wird zur Erhaltung, Pflege und Nutzung<br />
ortsbildprägender historischer Gebäude und<br />
Gebäudeensembles getan?<br />
- Sind Baudenkmale sachgerecht saniert?<br />
- Sind Neubauten harmonisch in das Ortsbild<br />
eingepasst (Ensemblesituation)?<br />
- Ist bei Renovierung und Sanierung im Bestand<br />
ortstypisches, umweltfreundliches Material<br />
verwendet worden?<br />
- Gibt es einen Ordnungsrahmen wie z. B. eine<br />
Ortsgestaltungssatzung oder einen Bebauungsplan?<br />
Was bewirkt dieser Rahmen?<br />
ó In welchem Zustand sind gemeinschaftlich genutzte<br />
Gebäude und Anlagen (z. B.: Schulen,<br />
Spiel- und Sportanlagen, <strong>Dorf</strong>platz, Brunnen,<br />
88
89<br />
Denkmale etc.)? Was wird – von wem – zur Verbesserung<br />
getan?<br />
ó Wie wird mit vorhandenen Flächen umgegangen?<br />
- Wird die Siedlungsentwicklung flächensparend<br />
und schlüssig aus der Bauleitplanung<br />
abgeleitet?<br />
- Liegt der Bebauungsplanung sowie der<br />
Straßen- und Platzgestaltung ein funktional<br />
durchdachtes und in der Materialwahl dorfgerechtes<br />
Konzept zugrunde?<br />
- Wie <strong>hat</strong> das <strong>Dorf</strong> auf den/die Bebauungsplan /<br />
-pläne Einfluss genommen?<br />
- Welche Rolle spielt die Innenentwicklung des<br />
<strong>Dorf</strong>es gegenüber der Ausweisung von Neubau-<br />
flächen?<br />
- Wird der Straßenraum dorfgemäß gestaltet?<br />
Werden Einzäunungen, Bepflanzungen,<br />
Pflasterungen, Beschilderung etc. hinsichtlich<br />
Farbe, Material und Form bewusst gewählt?<br />
5. Grüngestaltung und -entwicklung<br />
ó Nach welchen Prinzipien erfolgt die Grüngestaltung<br />
der privaten und öffentlichen Flächen<br />
des Ortes?<br />
- Entspricht die Freiraumgestaltung (u. a. <strong>Dorf</strong>platz,<br />
Teich) dem dörflichen Charakter?<br />
- Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl<br />
der Pflanzenarten und -sorten für die Gestaltung<br />
des <strong>Dorf</strong>platz-, Friedhofs- und Straßenbegleitgrüns?<br />
- Ist die Flächengestaltung und -pflege umweltorientiert?<br />
- Werden herausragende Elemente der Grüngestaltung<br />
(z. B. Naturdenkmale, Friedhöfe)<br />
adäquat gepflegt?<br />
- Ist die Grüngestaltung den Bürgern ein Anliegen?<br />
ó Wie geht der Ort mit naturnahen ökologischen<br />
Lebensräumen oder historischen Kulturlandschaftselementen<br />
um?<br />
- Wie werden die Besonderheiten der Lebensräume<br />
und Elemente berücksichtigt?<br />
- Wie werden diese in die Grüngestaltung des<br />
Ortes eingebunden?<br />
- Was wird zur Erhaltung seltener Tier- und<br />
Pflanzenarten getan?<br />
- Wie werden die ökologisch oder kulturhistorisch<br />
wertvollen Flächen (Gewässer,<br />
Trockenmauern, Hecken etc) gepflegt und<br />
bewirtschaftet?<br />
ó Wie werden vom öffentlichen Raum aus einsehbare<br />
Zier-, Wohn- und Nutzgärten sowie<br />
Schulgärten gestaltet, genutzt und gepflegt?<br />
- Was wird unternommen, um deren Eindruck<br />
zu verbessern?<br />
- Passen diese in das Ortsbild (Ensemblesituation)?<br />
- Werden heimische Arten gefördert oder findet<br />
sich vorwiegend das aus städtischen Vororten<br />
bekannte pflegeleichte „Abstandsgrün“?<br />
6. Das <strong>Dorf</strong> in der Landschaft<br />
ó Wie fügt sich das <strong>Dorf</strong> in die Landschaft ein?<br />
- Passen sich Neubauten bezüglich Baugestaltung,<br />
Farb- und Materialwahl sowie Maßstäblichkeit<br />
der Landschaft an?<br />
- Wie fügt sich die Bebauung harmonisch in die<br />
Landschaft ein (z. B. Eingrünung mit standort-<br />
gerechten Gehölzen)?<br />
- Sind landwirtschaftliche oder gewerbliche<br />
Betriebe außerhalb der Ortslage z. B. durch<br />
Bepflanzung in die Umgebung eingebunden?<br />
- Was wird unternommen, um Verbesserungen<br />
zu erreichen?<br />
ó Wie werden die Wege am <strong>Dorf</strong>rand gestaltet?<br />
Welche Maßnahmen zum Schutz von Kulturlandschaftselementen<br />
werden unternommen?<br />
ó Welche Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt<br />
und des Biotopschutzes werden durchgeführt?<br />
- Werden Naturschutzmaßnahmen auf der<br />
Grundlage von Landschaftsplänen oder Grünordnungsplänen<br />
entwickelt?<br />
- Werden die Lebensbedingungen für die<br />
heimische Tierwelt (Eulen, Singvögel, Bienen,<br />
Schmetterlinge etc.) verbessert, z. B. durch<br />
bewusste Erhaltung von Biotopen oder<br />
durch die Schaffung von Rückzugsgebieten<br />
oder neuen Lebensräumen (Hecken, Einzelbäume,<br />
Trockenmauern, Höhlen, Tümpel etc.)?<br />
- Wie werden Gewässer und Teiche sowie ihre<br />
Uferbereiche naturnah gestaltet und entsprechend<br />
unterhalten?<br />
- Welche Ansätze zur Biotopvernetzung gibt es?<br />
- Werden die genannten Aktivitäten in<br />
wirtschaftliche Überlegungen einbezogen<br />
(Naturtourismus, Regionalvermarktung)?<br />
- Werden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für<br />
Eingriffe in Natur und Landschaft eingesetzt?<br />
- Wie wird die Jugend an das Thema herangeführt?<br />
ó Wie stimmt sich das <strong>Dorf</strong> mit den Nachbarkommunen<br />
ab?
Teilnehmerzahlen <strong>1961</strong> bis 2010<br />
<strong>1961</strong> 1963 1965 1967 1969 1971 1973 1975 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989<br />
BW 79 62 74 72 107 82 141 561 718 703 611 598 549 519 469<br />
BY 800 834 6<strong>50</strong> 786 1088 1107 1183 1303 1117 1163 1397 1920 1492 1787 1585<br />
BE<br />
BB<br />
HE 355 619 845 454 535 276 392 470 409 390 311 311 281 220 220<br />
MV<br />
NI 29 20 87 92 327 408 467 <strong>50</strong>4 401 579 625 626 706 597 686<br />
NW 30 112 375 536 605 801 830 933 1106 11<strong>50</strong> 1190 1197 1239 1298 1356<br />
RP 433 1053 1065 863 892 10<strong>50</strong> 8<strong>50</strong> 857 791 774 814 748 836 771 696<br />
SL 42 70 71 81 103 110 139 155 176 162 166 169 130 130 121<br />
SN<br />
ST<br />
SH 202 254 280 260 275 246 220 183 232 232 210 232 265<br />
TH<br />
Gesamt 1970 3024 3447 3144 3932 4080 4222 4966 4718 5153 5346 5779 5465 5322 5398<br />
Weitere Informationen zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb und<br />
den Landeswettbewerben:<br />
ó <strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
www.dorfwettbewerb.bund.de<br />
ó Ministerium für Ländlichen Raum<br />
und Verbraucherschut des Landes<br />
Baden-Württemberg<br />
www.mlr.baden-wuerttemberg.de<br />
ó Bayerisches Staatsministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Forsten<br />
www.stmelf.bayern.de<br />
ó Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft<br />
des Landes Brandenburg<br />
www.mil.brandenburg.de<br />
ó Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr<br />
und Landesentwicklung<br />
www.wirtschaft.hessen.de<br />
ó Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und<br />
Verbraucherschutz des Landes Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
www.regierung-mv.de<br />
ó Niedersächsisches Ministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung<br />
www.ml.niedersachsen.de<br />
www.dorfwettbewerb.niedersachsen.de<br />
90
1991 1993 1995 1998 2001 2004 2007 2010 Gesamt Gold Silber Bronze Plakette<br />
439 307 205 558 420 188 147 137 7746 23 29 11<br />
1493 1303 1007 977 1025 973 635 513 26138 68 47 20<br />
91<br />
1 1 1<br />
6 176 232 186 194 142 129 66 1131 6 8 1<br />
189 175 169 155 305 228 173 200 7682 17 26 16<br />
12 137 180 188 257 94 868 4 4 3 2<br />
616 627 553 535 533 470 374 309 10171 40 28 11<br />
1343 1330 1252 1213 1153 1090 1042 1044 22225 55 52 29<br />
626 588 585 426 409 669 562 516 16874 34 45 26<br />
112 112 109 94 102 92 102 80 2628 15 12 10<br />
7 236 225 254 268 264 116 129 1499 5 6 5 2<br />
25 328 366 440 324 240 180 139 2042 2 7 11 2<br />
177 154 110 103 85 84 27 3831 7 15 10<br />
171 327 451 444 175 177 124 76 1945 6 5 7 2<br />
5216 5<strong>50</strong>9 5308 5529 5191 4807 3925 3330 104781 276 283 167 9<br />
Weitere Informationen zum <strong>Bund</strong>eswettbewerb und<br />
den Landeswettbewerben:<br />
ó Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft,<br />
Natur- und Verbraucherschutz des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
www.dorfwettbewerb.de<br />
www.umwelt.nrw.de<br />
ó Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur<br />
www.isim.rlp.de<br />
ó Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft des<br />
Saarlandes<br />
www.saarland.de/ministerium_wirtschaft_wissenschaft.htm<br />
ó Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und<br />
Landwirtschaft<br />
www.smul.sachsen.de<br />
ó Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des<br />
Landes Sachsen-Anhalt<br />
www.mlu.sachsen-anhalt.de<br />
ó Ministerium für Ernährung, Umwelt und Ländliche<br />
Räume des Landes Schleswig-Holstein<br />
www.mlur.schleswig-holstein.de<br />
ó Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten,<br />
Umwelt und Naturschutz<br />
www.thueringen.de
Herausgeber<br />
<strong>Bund</strong>esministerium für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.<br />
Redaktion<br />
Dr. Lutz Wetzlar,<br />
unter Mitarbeit von: Erwin Beyer, Sören Bronsert, Monique Kluge und Helmut Wagner<br />
Text<br />
Alle Texte sind mit den Namen der Autoren gekennzeichnet<br />
Gestaltung<br />
design_idee_erfurt<br />
Druck<br />
BMELV<br />
Stand<br />
September <strong>2011</strong><br />
Foto/Bildnachweis<br />
Alle Fotorechte liegen beim Verfasser der jeweiligen Beiträge, soweit nicht anders vermerkt:<br />
Dr. Lutz Wetzlar, Slg. Wedekin, Archiv der DGG, Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck/Kreisarchiv Tuttlingen,<br />
Freilichtmuseum Beuren, Museum des Landkreises Esslingen für ländliche Kultur, Heimatverein<br />
Verlar, MELVL NDS, Ortschaftsverwaltung Hollerbach, Andreas Schölch, Lieberhausen, SLULG, Hardy<br />
Gertz, Rieth, Dr. Christian Linke, Schmöger, Thierhaupten, Christina Schulze-Bisping, Sören Bronsert,<br />
Bleichstetten, Werner Oeldorf, KernPlan, Gersbach, Latrop, Christian Schwier/Fotolia.com, Ritzinger,<br />
Banzkow, Brokeloh, BMELV/Walkscreen, Innovationszentrum Sternenfels, Ortsmitte Diefenbach 1977,<br />
Tiefengruben, Europäische ARGE, Hartmann-Seeber/Actionfilm.<br />
Mit freundlicher Unterstützung der Landwirtschaftlichen Rentenbank<br />
Diese und weitere Publikationen des BMELV können Sie kostenlos bestellen:<br />
Internet: www.bmelv.de Y Service Y Publikationen<br />
E-Mail: publikationen@bundesregierung.de<br />
Fax: 01805-77 80 94 (Festpreis 14 Ct/Min, abweichende Preise a.d. Mobilfunknetzen möglich)<br />
Tel.: 01805-77 80 90 (Festpreis 14 Ct/Min, abweichende Preise a.d. Mobilfunknetzen möglich)<br />
Schriftlich: Publikationsversand der <strong>Bund</strong>esregierung<br />
Postfach 48 10 09 | 18132 Rostock<br />
oder bei der<br />
Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.,<br />
Claire Waldoff-Straße 7, 10117 Berlin,<br />
Tel: 030-28 09 34 25, E-Mail: info@dgg1822.de<br />
Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.bmelv.de<br />
Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der <strong>Bund</strong>esregierung kostenlos herausgegeben. Sie darf weder von Parteien<br />
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für Europa-, <strong>Bund</strong>estags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an<br />
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Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher<br />
Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer<br />
Weise verwendet werden, die als Parteinahme der <strong>Bund</strong>esregierung zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte.