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Artikel von Ulrich H. J. Körtner in „die Presse“ vom 10. Mai 2012

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Ökumene <strong>2012</strong>: Die große Ernüchterung « DiePresse.com http://diepresse.com/home/me<strong>in</strong>ung/gastkommentar/756387/Oekumene-...<br />

Ökumene <strong>2012</strong>: Die große Ernüchterung<br />

ULRICH H.J. KÖRTNER (Die Presse)<br />

Enttäuschung über Kard<strong>in</strong>al Kurt Koch, der vor Kurzem <strong>in</strong> Wien die Reformation<br />

des 16. Jahrhunderts als „Sünde“ dargestellt hat.<br />

AUS DEM ARCHIV:<br />

Kopierer, Spaghettifreunde,<br />

Fußballfans: Sie alle nennen sich<br />

„Kirche“ (16.01.<strong>2012</strong>)<br />

Wenn Pfarrer plötzlich den Weg<br />

<strong>von</strong> „verbal zu real“ e<strong>in</strong>schlagen<br />

(07.11.2011)<br />

Wozu s<strong>in</strong>d die Kirchen heute<br />

überhaupt noch gut? (25.09.2011)<br />

Papst: Muslime s<strong>in</strong>d "Merkmal<br />

dieses Landes" (23.09.2011)<br />

Die Unterschiede könnten größer kaum se<strong>in</strong>: Während<br />

Margot Käßmann, die neue Lutherbotschafter<strong>in</strong> der<br />

Evangelischen Kirche <strong>in</strong> Deutschland, die katholische<br />

Kirche e<strong>in</strong>lädt, das Reformationsjubiläum 2017<br />

ökumenisch zu feiern, plädierte Kard<strong>in</strong>al Kurt Koch,<br />

Präsident des Päpstlichen Rates für die E<strong>in</strong>heit der<br />

Christen, zuletzt <strong>in</strong> Wien für e<strong>in</strong> bußfertiges<br />

Reformationsgedenken, dessen Höhepunkt e<strong>in</strong><br />

beiderseitiges Schuldbekenntnis für die seit dem 16.<br />

Jahrhundert bestehende Kirchenspaltung bilden sollte.<br />

Die katholische Haltung erläuterte er mit den Worten:<br />

„Wir können nicht e<strong>in</strong>e Sünde feiern.“<br />

Nachdem schon Papst Benedikt XVI. bei se<strong>in</strong>em<br />

Deutschland-Besuch ke<strong>in</strong>e neuen ökumenischen<br />

Impulse setzte und auf die E<strong>in</strong>ladung, das<br />

Reformationsjubiläum ökumenisch zu begehen, nicht<br />

e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g, sorgen nun die Worte des obersten<br />

Ökumenikers der katholischen Kirche für weitere<br />

Ernüchterung. Man kann nur hoffen, dass sich die nun<br />

e<strong>in</strong>tretende Enttäuschung auf die weiteren<br />

Vorbereitungen des Reformationsjubiläums heilsam<br />

auswirkt.<br />

Bei näherem H<strong>in</strong>sehen dient sie dem Fortschritt der<br />

Ökumene mehr als irgendwelche ökumenischen<br />

Reformationsevents, denen es an theologischer<br />

Substanz mangelt. Der Verzwergung des<br />

reformatorischen Erbes – Stichwort Lutherzwerge –<br />

gilt es, theologisch E<strong>in</strong>halt zu gebieten.<br />

Warum nicht geme<strong>in</strong>sam feiern?<br />

Dass es <strong>in</strong> den zurückliegenden Jahrzehnten e<strong>in</strong>e<br />

„wunderbare Wiederannäherung“ der Kirchen gegeben<br />

hat, die man zusammen feiern solle, wie Frau<br />

Käßmann vorschlägt, ist doch ke<strong>in</strong>e ausreichende<br />

Basis, um auch die Reformation geme<strong>in</strong>sam zu feiern.<br />

Das g<strong>in</strong>ge doch nur, wenn man die Reformation des<br />

16. Jahrhunderts eben gerade nicht als Sünde,<br />

sondern als Neuentdeckung des Evangeliums und<br />

Neuwerden der Kirche geme<strong>in</strong>sam gutheißen könnte.<br />

Welche eigene Sicht auf die bleibende Radikalität<br />

Luthers und der Reformation hat eigentlich die<br />

evangelische Kirche heute, wenn sie dem katholischen<br />

Partner solches im Ernst glaubt, nahelegen zu<br />

können? Umgekehrt würde doch e<strong>in</strong><br />

Schuldbekenntnis, wie es Kard<strong>in</strong>al Koch vorschlägt,<br />

das evangelische E<strong>in</strong>geständnis bedeuten, dass die<br />

Reformation und die seitherige Entwicklung der aus<br />

ihr hervorgegangenen Kirchen letztlich e<strong>in</strong> Irrweg war.<br />

Das ist doch im Ernst kaum zu erwarten.<br />

Was sich die Kirchen fragen sollten<br />

Aufhorchen lässt die Aussage des Kard<strong>in</strong>als, „dass die<br />

Reformation im 16. Jahrhundert zum<strong>in</strong>dest<br />

unvollendet geblieben ist und weiter bleiben muss, bis<br />

die E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>er im Geist des Evangeliums erneuerten<br />

Kirche wiederhergestellt se<strong>in</strong> wird“. Dieser Satz lässt<br />

sich so verstehen, dass die Reformation nicht <strong>in</strong><br />

Bausch und Bogen als Sünde verurteilt wird, sondern<br />

auch für die römisch-katholische Kirche e<strong>in</strong>e positive<br />

Bedeutung hat.<br />

Wäre nicht dies e<strong>in</strong> Ansatz für e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Reformationsgedenken: Dass sich die römischkatholische<br />

Kirche fragen könnte, was sie positiv der<br />

Reformation zu verdanken hat, auch wenn sie sich ihr<br />

bis heute nicht anzuschließen vermochte; dass aber<br />

auch die evangelischen Kirchen sich prüfen, was sie <strong>in</strong><br />

Geschichte und Gegenwart der katholisch gebliebenen<br />

römischen Kirche für das eigene Evangelischse<strong>in</strong><br />

d k ?<br />

1 <strong>von</strong> 2 <strong>10.</strong>05.<strong>2012</strong> 09:46


Ökumene <strong>2012</strong>: Die große Ernüchterung « DiePresse.com http://diepresse.com/home/me<strong>in</strong>ung/gastkommentar/756387/Oekumene-...<br />

verdanken?<br />

Was bedeutet es für das eigene Verständnis des<br />

Evangeliums, des Christse<strong>in</strong>s und der Kirche, dass sich<br />

eben nicht die ganze abendländische Christenheit der<br />

Reformation angeschlossen hat? Und welche Impulse<br />

gehen <strong>vom</strong> Erbe der Reformation für den<br />

geme<strong>in</strong>samen ökumenischen Weg <strong>in</strong> die Zukunft aus?<br />

Dann würde vielleicht e<strong>in</strong> ökumenisches Verständnis<br />

<strong>von</strong> Katholizität entstehen, das zugleich gut<br />

evangelisch ist.<br />

Univ.-Prof. <strong>Ulrich</strong> H. J. <strong>Körtner</strong> ist Vorstand des<br />

Instituts für Systematische Theologie und<br />

Religionswissenschaft an der Evangelisch-<br />

Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für<br />

Ethik und Recht <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> der Universität Wien.<br />

E-<strong>Mai</strong>ls an: debatte@diepresse.com<br />

("Die Presse", Pr<strong>in</strong>t-Ausgabe, <strong>10.</strong>05.<strong>2012</strong>)<br />

2 <strong>von</strong> 2 <strong>10.</strong>05.<strong>2012</strong> 09:46

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