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GEHEIMSpRACHE DER NEURONEN

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Codes für alle Fälle<br />

Denkbar einfaches Alphabet: Ist der<br />

Spike das Grundelement der neuronalen<br />

Sprache, so verwenden Nervenzellen<br />

genau zwei Zeichen: Spike oder<br />

kein Spike, 0 oder 1.<br />

Für die Codierung von genau zwei<br />

möglichen Werten würde es dann genügen,<br />

wenn ein Neuron zuverlässig in einem<br />

irgendwie festgelegten Zeitfenster<br />

für den einen Wert einen Spike aussendet<br />

und für den andere nicht.<br />

Beispiel: Bei der in (a) verwendeten<br />

Codierung passt in das Zeitfenster nur<br />

ein einzelner Spike. Die Orientierung<br />

eines präsentierten Lichtbalkens kann<br />

deshalb nur sehr grob unterschieden<br />

werden: Senkrecht erfolgt keine Aktivierung,<br />

waagrecht wird ein Spike ausgelöst.<br />

Existenz solcher Neuronen ist allerdings<br />

noch kein hinreichender Nachweis. Bestimmt<br />

man über viele Versuche hinweg<br />

die Ratenantwort, ergeben sich auch bei<br />

diesen Neuronen Feuerraten, die sich abhängig<br />

von der variierten Reizeigenschaft<br />

stetig ändern.<br />

Funktionieren<br />

geht über Codieren<br />

Unsere und ähnliche von anderen Forschergruppen<br />

in jüngster Zeit durchgeführten<br />

Untersuchungen deuten darauf<br />

hin, dass die beobachteten neuronalen<br />

Codierungen, verglichen mit den informationstheoretisch<br />

möglichen, nicht unbedingt<br />

optimal sind. Ein Grund dafür<br />

könnte folgender sein: Damit ein Organismus<br />

überleben kann, müssen entscheidungswirksame<br />

Informationen richtig<br />

repräsentiert werden. Aus theoretischer<br />

Sicht impliziert dies wiederum,<br />

dass die größtmögliche Informationsmenge<br />

mit geringstem Aufwand zu<br />

transportieren nicht das einzige relevante<br />

Ziel einer Codierung darstellt. Offensichtlich<br />

ist das Ziel neuronaler Informationsverarbeitung<br />

im Gehirn nicht, so<br />

viel Information wie möglich zu transportieren.<br />

Vielmehr geht es darum, die<br />

implizit bereits vorhandene Information<br />

auf das Wesentliche zu reduzieren und<br />

dadurch für Entscheidungen explizit<br />

nutzbar zu machen.<br />

Ein Beispiel: Es soll entschieden<br />

werden, ob 51 x 17 größer ist als 24 x 37.<br />

GEHIRN & GEIST 02/2002<br />

In (b) verwendet der Code zwei aufeinander<br />

folgende Zeitintervalle. Damit<br />

lassen sich bereits vier Reizorientierungen<br />

unterscheiden (waagrecht, senkrecht<br />

und zweimal diagonal).<br />

Hat man mehrere Intervalle zur Verfügung<br />

(c, d) ergeben sich verschiedene<br />

Codierungsmöglichkeiten. Mit drei Intervallen<br />

sind es maximal 8=2 3 .<br />

Beim Ratencode in (c) lassen sich die<br />

verschiedenen Balkenorientierungen<br />

bereits durch die Anzahl der Spikes differenzieren.<br />

In (d) ist ein anderes Unterscheidungskriterium<br />

verwirklicht: Hier<br />

kommt es lediglich auf den Zeitpunkt<br />

des ersten Spikes an, es handelt sich<br />

um einen so genannten Latenzcode.<br />

Der gezeigte Ratencode und der La-<br />

Dabei ist die gesamte zur Lösung notwendige<br />

Information bereits in der Aufgabenstellung<br />

vorgegeben. Um diese Information<br />

zur Beantwortung der Frage<br />

nutzen zu können, müssen die gegebenen<br />

Ausdrücke jedoch zunächst in geeigneter<br />

Weise umgeformt werden. Am Ende<br />

steht anstelle der zahlreichen Bits, die<br />

zur Codierung der Frage erforderlich<br />

sind, ein einziges Bit: die Antwort<br />

„nein“.<br />

Führt man eine komplizierte Berechnung<br />

durch, die eine große Zahl von<br />

Zwischenschritten erfordert, schleicht<br />

sich mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwo<br />

ein kleiner Fehler ein, der zu einem<br />

falschen Ergebnis führen kann. Die<br />

Effizienz bei der neuronalen Codierung<br />

entspricht dann einem Kriterium für die<br />

Auswahl einer „Notation“, also einer<br />

Darstellung der relevanten Information,<br />

die sich besonders gut dazu eignet, Übertragungsfehler<br />

zu vermeiden.<br />

Was das Gehirn als Ganzes betrifft,<br />

so wissen wir natürlich, dass sich das<br />

Verhalten vieler Tiere und besonders das<br />

des Menschen nicht auf reflexartige<br />

Handlungen reduzieren lässt, die sich<br />

auch ohne Kenntnis der inneren Zustände<br />

des Gehirns beschreiben lassen. Zu<br />

viele andere Einflussgrößen sind im<br />

Spiel – Wachheit und Aufmerksamkeit,<br />

Emotionen und aktuelle Ziele, und nicht<br />

zuletzt das in ständigem Fluss befindliche<br />

Gedächtnis. Wie sich diese inneren<br />

Zustände auf den verschiedenen Zeitska-<br />

tenzcode lassen eine Redundanz erkennen,<br />

bei der unterschiedliche Muster<br />

dasselbe bedeuten. Dies kann die<br />

Fehleranfälligkeit einer Codierung reduzieren.<br />

(e) Man muss aber auch damit rechnen,<br />

dass das Gehirn Spikemuster verwendet,<br />

deren Code schwieriger zu erkennen<br />

ist.<br />

len von einer Sekunde bis hin zur Zeitspanne<br />

des ganzen Lebens organisieren<br />

und wie sie im Einzelnen auf die Informationsverarbeitung<br />

einwirken, bleibt<br />

eine zentrale Frage der Systemneurobiologie.<br />

Um den neuronalen Code – die<br />

„Sprache des Gehirns“ – umfassend verstehen<br />

zu können, müssen Forscher in<br />

der Zukunft vor allem klären, wie das<br />

Gehirn mit sich selbst spricht. ◆<br />

Matthias Bethge und Prof. Klaus Pawelzik<br />

forschen am Institut für Theoretische Physik<br />

der Universität Bremen.<br />

Literaturtipps<br />

Dayan, P., Abott, L. F: Theoretical Neuroscience.<br />

Cambridge, MA: MIT Press 2001.<br />

Richmond, B. J., Gawne, T. J.: The Relationship<br />

Between Neuronal Codes and Cortical<br />

Organization. In: Eichenbaum, H. B.,<br />

Davis, J. L. (Hg.): Neuronal Ensembles –<br />

Strageties for Recoding and Decoding.<br />

New York: Wiley-Liss 1988.<br />

THOMAS BRAUN / G&G<br />

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