Haigerloch-Handreichung - Haus der Geschichte Baden-Württemberg
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Spurensicherung:<br />
jüdisches Leben in Hohenzollern<br />
<strong>Handreichung</strong> für die Schulen<br />
Inhaltsübersicht:<br />
I. Einleitung<br />
II. Die Ausstellung<br />
III. Ziele <strong>der</strong> <strong>Handreichung</strong><br />
IV. Ablauf<br />
V. Arbeitsblätter<br />
VI. Erläuterungen zu den Arbeitsblättern<br />
VII. Hinweise<br />
Eine Ausstellung im <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
in <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge <strong>Haigerloch</strong>
I. Einleitung<br />
Bis zur Deportation <strong>der</strong> württembergischen Juden in den Jahren 1941 und 1942 gab es in<br />
Hohenzollern über Jahrhun<strong>der</strong>te hinweg jüdisches Leben, vor allem in den drei Gemeinden<br />
Hechingen, <strong>Haigerloch</strong> und Dettensee. Die Wurzeln <strong>der</strong> jüdischen Gemeinschaft reichen bis ins<br />
14. Jahrhun<strong>der</strong>t zurück.<br />
Die meisten Juden aus Hohenzollern wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Ihr Hab und<br />
Gut wurde entwe<strong>der</strong> zerstört, geraubt o<strong>der</strong> musste unter Druck zu niedrigst Preisen verkauft<br />
werden. Sieht man von jüdischen Zwangsarbeitern, einigen Versteckten und den wenigen<br />
Rückkehrern nach 1945 ab, entstand erst wie<strong>der</strong> in den letzten Jahren durch etwa 80 jüdische<br />
Einwan<strong>der</strong>er aus <strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion eine nennenswerte jüdische Präsenz in<br />
Hohenzollern.<br />
Vom einstigen jüdischen Leben in Hohenzollern sind heute nur noch wenige, weitverstreute<br />
Zeugnisse erhalten. Die wenigen originalen Gegenstände sind ihres ursprünglichen<br />
Zusammenhangs beraubt. In manchen Fällen sind ihre Herkunft und ihr ehemaliger Besitzer<br />
unbekannt. Es sind Fragmente eines ehemals reichhaltigen und vielfältigen Lebens <strong>der</strong> Juden in<br />
Hohenzollern. Nur noch wenige Überlebende können diese Spuren <strong>der</strong> Vergangenheit durch<br />
ihre Erinnerungen ergänzen.<br />
II. Die Ausstellung<br />
Der Titel <strong>der</strong> Ausstellung “Spurensicherung: Jüdisches Leben in Hohenzollern” ist zugleich ihr<br />
Programm. Die Ausstellung hat sich die Aufgabe <strong>der</strong> Spurensicherung gestellt. Dies geschieht<br />
einerseits, indem sie dem jahrzehntelangen Tilgen und Verwischen o<strong>der</strong> dem Vergessen und<br />
Nicht-Wissen-Wollen das Suchen, Sichern und Aufbewahren von Spuren entgegensetzt.<br />
Diese gesetzte Aufgabe erstreckt sich auch auf das Ausstellungsgebäude, die ehemalige<br />
Synagoge in <strong>Haigerloch</strong>. Ihr Schicksal - von <strong>der</strong> Zerstörung, <strong>der</strong> Umnutzung als Turnhalle,<br />
Kino, Supermarkt und Lagerhaus, bis zur Einrichtung des Museums - wird ebenfalls<br />
dokumentiert und damit gesichert. Die Synagoge ist damit zugleich Ausstellungsgebäude und<br />
Ausstellungsobjekt.<br />
Das Erdgeschoss <strong>der</strong> Synagoge bildet den zentralen Ausstellungsteil. Hier befinden sich 25<br />
gesicherte Spuren: 25 Objekte, die als Fragmente des jüdischen Lebens in Hohenzollern nur in<br />
einer geographischen, aber nicht in einer inhaltlichen o<strong>der</strong> chronologischen Ordnung präsentiert<br />
werden. Ein Gesamtbild kann nicht mehr entstehen, es ist verloren. Jede gesicherte Spur ist<br />
gleichwertig: das Nähgarn <strong>der</strong> Firma Julius Levi mit <strong>der</strong> Burg Hohenzollern als Warenzeichen<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koffer von Moritz Fleischer aus Auschwitz ebenso wie das Geschirr <strong>der</strong> Madame<br />
Kaulla, <strong>der</strong> erfolgreichsten jüdischen Unternehmerin ihrer Zeit.<br />
Auf <strong>der</strong> Empore werden in Interviews die Erinnerungen einiger ehemaliger <strong>Haigerloch</strong>er Juden<br />
“gesichert”. Ihre Berichte sind in zwei Monitoren zu sehen. Ein dritter Monitor zeigt Bil<strong>der</strong> von<br />
<strong>der</strong> ersten “Bat Mizwa”-Feier nach dem Holocaust, die im November 2003 in <strong>der</strong> <strong>Haigerloch</strong>er<br />
Synagoge statt gefunden hat. In einem Raum mit dem Titel “My little former Heimatsort”<br />
befinden sich Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden aus ihrer alten und ihrer neuen<br />
“Heimat”.<br />
Zu den Spuren <strong>der</strong> Synagogenumnutzung gehört <strong>der</strong> ebenfalls im oberen Stockwerk befindliche<br />
Filmvorführraum des Kinos. Hier wurde <strong>der</strong> alte Projektor, ein Jahreskalen<strong>der</strong> mit den 1953 im<br />
Kino vorgeführten Filmen, ein Starportrait von Maria Schell sowie ein Wochenschaubericht<br />
2
über das Fußball-Län<strong>der</strong>spiel zwischen Deutschland und <strong>der</strong> Sowjetunion im Jahr 1955<br />
“gesichert”. In diesem Raum werden auch jene Aktenordner des Landratsamts Hechingen<br />
präsentiert, die bei Auflösung des Landkreises 1972/73 in den Müll geworfen wurden. Sie<br />
beinhalten die Unterlagen über die eingezogenen jüdischen Vermögen. Sie sind ebenfalls<br />
“Spuren”, die auf den Umgang mit <strong>der</strong> Erinnerung an das jüdische Leben in Hohenzollern<br />
verweisen.<br />
III. Ziele <strong>der</strong> <strong>Handreichung</strong><br />
Die hier vorliegende <strong>Handreichung</strong> will Lehrerinnen und Lehrern eine Hilfestellung für den<br />
Besuch <strong>der</strong> Ausstellung mit Schulklassen geben. Sie richtet sich primär an die Klassenstufen 9<br />
und 10.<br />
Ihr Ziel ist es, anhand konkreter Einzelschicksale den Schülerinnen und Schüler einen Zugang<br />
zum Thema “jüdisches Leben in Hohenzollern” zu vermitteln. Die Interviews mit den<br />
ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>ern bilden daher den Ausgangspunkt für eine eigene “Spurensuche” und<br />
“Spurensicherung”, die sowohl die 25 Spuren im Erdgeschoss und den Raum “My former little<br />
Heimatsort” mit einschließt. Ferner soll auch die Synagoge als historischer Ort mit ihren Spuren<br />
erschlossen werden. Aus thematischen wie praktischen Gründen (Platzgründen) wird daher die<br />
Aufteilung <strong>der</strong> Klasse in Arbeitsgruppen empfohlen.<br />
IV. Ablauf<br />
Die Klasse wird zunächst in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Gruppe A bearbeitet das Thema<br />
“Erinnerung und Spuren” <strong>der</strong> ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden. Gruppe B widmet sich am<br />
Beispiel <strong>der</strong> Nutzung <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge <strong>Haigerloch</strong> <strong>der</strong> Frage nach dem Umgang mit <strong>der</strong><br />
Erinnerung an die Juden aus Hohenzollern.<br />
Ausgangspunkt für Gruppe A sind die Zeitzeugenberichte, die in zwei von drei Monitoren auf<br />
<strong>der</strong> Empore zu sehen sind. Dort berichten fünf ehemalige <strong>Haigerloch</strong>er Juden über ihr Schicksal.<br />
Bevor sich die Gruppe gemeinsam die Filme anschaut, werden die Arbeitsblätter ausgeteilt.<br />
Dazu formieren sich innerhalb <strong>der</strong> Gruppe A vier Kleingruppen, die jeweils ein Arbeitsblatt zu<br />
einem Einzelschicksal bearbeiten. Nach den Berichten <strong>der</strong> Zeitzeugen forschen die<br />
Kleingruppen in <strong>der</strong> Ausstellung nach den “Spuren” dieser Personen. Dabei werden sowohl die<br />
Exponate im Erdgeschoss wie gegebenenfalls auch die Bil<strong>der</strong> im Raum “My former little<br />
Heimatsort” mit einbezogen.<br />
Die Gruppe B erhält die Aufgabe, sich über die Nutzung <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge zu<br />
informieren. Zentral ist dabei <strong>der</strong> Umgang <strong>der</strong> Erinnerung an das jüdische Leben aus <strong>der</strong><br />
Perspektive nach 1945. Zunächst sollen die Etappen beschrieben, dann jedoch auch bewertet<br />
werden. Je<strong>der</strong> Teilnehmer <strong>der</strong> Gruppe B erhält hier dasselbe Arbeitsblatt.<br />
Im Anschluss an die Gruppenarbeitsphasen können - entwe<strong>der</strong> vor Ort o<strong>der</strong> aber in <strong>der</strong> Schule -<br />
die Ergebnisse vorgestellt werden.<br />
3
Spurensicherung: Spurensicherung: Jüdisches Jüdisches Leben Leben in in Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Arbeitsblatt Arbeitsblatt Gruppe Gruppe A.1: A.1: Ruth Ruth Ruth Ben-David, Ben-David, geb. geb. Spier<br />
Spier<br />
Name:..............................................<br />
In zwei <strong>der</strong> drei Monitore auf <strong>der</strong> Empore laufen Filme mit Interviews mit den<br />
ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden. Schauen Sie sich die Filme an. Beachten Sie<br />
beson<strong>der</strong>s die Erinnerungen von Ruth Ben-David.<br />
1. Welche Erinnerungen hat Ruth Ben-David an ihre Jugend in <strong>Haigerloch</strong>?<br />
2. Wie schil<strong>der</strong>t sie die Reichspogromnacht und ihre Folgen?<br />
3. Wie ist es ihr später ergangen?<br />
4. Wie sieht sie heute <strong>Haigerloch</strong>?<br />
5. Suchen Sie im Erdgeschoss und in dem Raum “My former litte Heimatsort”<br />
nach den Spuren von Ruth Ben-David. Welche Objekte erinnern an ihre Jugend<br />
in <strong>Haigerloch</strong>? Welche <strong>Geschichte</strong>n erzählen sie?<br />
4
Spurensicherung: Spurensicherung: Jüdisches Jüdisches Leben Leben in in Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Arbeitsblatt Arbeitsblatt Gruppe Gruppe A.2. A.2. Alice Alice Alice Wolf, Wolf, geb. geb. Weil<br />
Weil<br />
Name:..............................................<br />
In zwei <strong>der</strong> drei Monitore auf <strong>der</strong> Empore laufen Filme mit Interviews mit den<br />
ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden. Schauen Sie sich die Filme an. Beachten Sie<br />
beson<strong>der</strong>s die Erinnerungen von Alice Wolf.<br />
1. Welche Erinnerungen hat Alice Wolf an ihre Jugend in <strong>Haigerloch</strong>?<br />
2. Wie schil<strong>der</strong>t sie die Reichspogromnacht und ihre Folgen?<br />
3. Wie ist es ihr später ergangen?<br />
4. Suchen Sie im Erdgeschoss nach den Spuren von Alice Wolf bzw. von<br />
Angehörigen <strong>der</strong> Familie des Viehhändlers Heinrich Weil, dessen jüngste<br />
Tochter Alice war. Was ist mit ihrer Familie geschehen?<br />
5. Welche weiteren Objekte gibt es im Erdgeschoss, <strong>der</strong>en <strong>Geschichte</strong>n dem<br />
Schicksal von Alice Wolf ähnlich sind? Warum?<br />
5
Spurensicherung: Spurensicherung: Jüdisches Jüdisches Leben Leben in in Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Arbeitsblatt Arbeitsblatt Gruppe Gruppe A.3: A.3: Henry Henry Schwab<br />
Schwab<br />
Name:..............................................<br />
In zwei <strong>der</strong> drei Monitore auf <strong>der</strong> Empore laufen Filme mit Interviews mit den<br />
ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden. Schauen Sie sich die Filme an. Beachten Sie<br />
beson<strong>der</strong>s die Erinnerungen von Henry Schwab.<br />
1. Wie schil<strong>der</strong>t Henry Schwab das Verhältnis zwischen Christen und Juden in<br />
<strong>Haigerloch</strong>?<br />
2. Wie und wo hat er die Reichspogromnacht erlebt?<br />
3. Wie beurteilt er den Umgang mit <strong>der</strong> <strong>Haigerloch</strong>er Synagoge in <strong>der</strong> Zeit nach<br />
1945?<br />
4. Was hält er von <strong>der</strong> neuen Nutzung <strong>der</strong> Synagoge?<br />
5. Suchen Sie im Erdgeschoss und in dem Raum “My former little Heimatsort”<br />
nach den Spuren von Henry Schwab und seinen Freunden. Welche Spuren gibt<br />
es?<br />
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Spurensicherung: Spurensicherung: Jüdisches Jüdisches Leben Leben in in Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Arbeitsblatt Arbeitsblatt Gruppe Gruppe A.4: A.4: Edward Edward Levy<br />
Levy<br />
Name:..............................................<br />
In zwei <strong>der</strong> drei Monitore auf <strong>der</strong> Empore laufen Filme mit Interviews mit den<br />
ehemaligen <strong>Haigerloch</strong>er Juden. Schauen Sie sich die Filme an. Beachten Sie<br />
beson<strong>der</strong>s die Erinnerungen von Edward Levy.<br />
1. In welcher Funktion ist Edward Levy nach <strong>Haigerloch</strong> zurückgekommen?<br />
2. Was hat er in <strong>Haigerloch</strong> gemacht? Wie beurteilen Sie sein Verhalten?<br />
3. Gehen Sie auch in den Raum “My former litte Heimatsort” und suchen Sie<br />
nach Bil<strong>der</strong>n von Edward Levy. Welche Bil<strong>der</strong> gibt es?<br />
4. Suchen Sie anschließend im Erdgeschoss nach einem Objekt, das seinem<br />
Vater Raphael Levi gehörte. Auf welche Verbindungen zwischen Vater und Sohn<br />
wird dort hingewiesen?<br />
5. Vergleichen Sie die Lebensgeschichte von Edward Levy mit dem Schicksal von<br />
Alois Horn (Spur 08). Gibt es Gemeinsamkeiten? Wo liegen die Unterschiede?<br />
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Spurensicherung: Spurensicherung: Jüdisches Jüdisches Leben Leben in in Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Hohenzollern<br />
Arbeitsblatt Arbeitsblatt Gruppe Gruppe BB<br />
B B<br />
Name:........................................<br />
Die Synagoge, in <strong>der</strong> wir uns befinden, wurde 1793 eingeweiht. Bis zu ihrer<br />
Verwüstung in <strong>der</strong> Reichspogromnacht vom 9. auf 10. November 1938 befand<br />
sich hier <strong>der</strong> religiöse Mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>Haigerloch</strong>er jüdischen Gemeinde. Mit<br />
<strong>der</strong> Deportation <strong>der</strong> württembergischen Juden 1941 und 1942 in die<br />
Vernichtungslager wurden die jahrhun<strong>der</strong>tealten Gemeinden in Hohenzollern<br />
ausgelöscht. Das Synagogengebäude blieb erhalten, wurde aber nun für<br />
an<strong>der</strong>e Zwecke genutzt.<br />
1. Suchen Sie nach den sichtbaren Zeugnissen <strong>der</strong> unterschiedlichen Nutzung<br />
<strong>der</strong> <strong>Haigerloch</strong>er Synagoge. Welche sichtbaren Überreste gibt es noch?<br />
2. Gehen Sie auch nach außen zum rituellen Tauchbad (Mikwe). Informieren Sie<br />
sich über <strong>der</strong>en Funktion und ihre spätere Nutzung.<br />
3. Erstellen Sie einen chronologischen Kurzbericht über die wichtigsten Etappen<br />
<strong>der</strong> Nutzungsgeschichte.<br />
4. Wie beurteilen Sie die unterschiedlichen Formen <strong>der</strong> Nutzung? War <strong>der</strong><br />
Umgang mit <strong>der</strong> Synagoge angemessen? Welche Alternativen hätten Sie sich<br />
vorstellen können?<br />
5. Im ehemaligen Kinovorführraum stehen Aktenor<strong>der</strong>. Informieren Sie sich,<br />
weshalb sie hier ausgestellt sind. Was tragen sie zum Verständnis im Hinblick<br />
auf die Nutzung <strong>der</strong> Synagoge bei?<br />
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VI. Erläuterungen zu den Arbeitsblättern<br />
Arbeitsblatt A.1: Ruth Ben-David<br />
Transkription <strong>der</strong> Interviews:<br />
Ruth Ben-David, geb. Spier<br />
geboren am 27. Juli 1921 in Geisa<br />
lebt in Tirat Zvi, Israel<br />
Erinnerungen an <strong>Haigerloch</strong><br />
Ich habe nur gute Erinnerungen, denn <strong>Haigerloch</strong> ist eine sehr schöne Stadt und die Menschen<br />
sind auch schöne Menschen. Gute Menschen, nette Menschen, es gab keinen Menschen, den<br />
man nicht gekannt hat, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> mich nicht gekannt hat, besser zu sagen.<br />
Mein Vater war sehr viel tätig in nichtjüdischen Veranstaltungen, er war bei allem dabei.<br />
Jüdisches Leben nach 1933<br />
Es hat sich noch mehr konzentriert auf sich selbst. Einmal hat man einen Film gebracht im<br />
“Café Maier”, das war <strong>der</strong> “Weiße Rausch” mit Leni Riefenstahl, aber sonst hat es hier kein<br />
Kino gegeben. Offiziell durften Juden an allem möglichen nicht mehr teilnehmen, da hat man<br />
sich eben sehr auf sich selbst konzentriert. Wir hatten in <strong>der</strong> “Rose” einen großen Saal, in dem<br />
von <strong>der</strong> jüdischen Kulturvereinigung Schauspiele und Kulturvorträge gehalten wurden. Aus <strong>der</strong><br />
ganzen Umgebung, aus Tübingen, Rexingen, Baisingen und Hechingen kamen alle nach<br />
<strong>Haigerloch</strong>.<br />
“Kristallnacht”<br />
Ich war nicht in <strong>Haigerloch</strong>, ich war in <strong>der</strong> Nähe von Fulda auf einem Gut. Dort waren alle, die<br />
nach Israel gehen wollten und Landwirtschaft lernen wollten. Ich war dort während <strong>der</strong><br />
Kristallnacht. Am nächsten Morgen hat meine Mutter telefoniert, dass mein Vater<br />
abtransportiert worden sei. Daraufhin bin ich sofort nach <strong>Haus</strong>e gekommen. Bei uns ist nichts<br />
passiert. Hier habe ich dann gesehen, was sich getan hatte. Gott sei Dank haben die<br />
<strong>Haigerloch</strong>er auf uns aufgepasst und es ist nichts schlimmes passiert. Auch die Synagoge ist<br />
nicht verbrannt worden, die (<strong>Haigerloch</strong>er) haben sie (Nazis) nicht gelassen.<br />
Die Verhaftung des Vaters in <strong>der</strong> Reichspogromnacht<br />
Man hat ihn nach Dachau genommen, meine Mutter hat es sofort dem Schulrat in Hechingen<br />
gemeldet, ich habe die Briefe noch. Der hat sich schrecklich aufgeregt. Und <strong>der</strong> ist nach Dachau<br />
gefahren und hat meinen Vater mit zurück gebracht. Wegen solchen Dingen kann ich heute nach<br />
Deutschland zurück kommen. Ich glaube, sonst hätte ich es nicht übers Herz gebracht, hier zu<br />
sein und alles noch so lieb zu haben.<br />
Emigration<br />
Nach England bin ich gekommen - zu meinem Unglück hat man dort, bei den Leuten wo ich<br />
war, nicht Englisch gesprochen, son<strong>der</strong>n Jiddisch und Jiddisch konnte ich nicht. Es war mir<br />
sehr schwer von dem warmen Elternhaus (zu gehen), ich war kein Kind mehr, ich war 17 1/2.<br />
Aber das war eine <strong>der</strong> schwersten Zeiten. Die erste Zeit, bis alles geordnet war und wir ein Gut<br />
hatten, wo wir, die Gruppe von Zionisten, zusammen wohnen konnten. Wir sollten an und für<br />
9
sich gleich nach Israel, aber dann ist <strong>der</strong> Krieg ausgebrochen. Ich war sechs Jahre in England.<br />
In England, als wir bei den Bauern gearbeitet haben, hatten wir keine richtige Wohnung gehabt,<br />
da haben wir einen Autobus genommen, die Rä<strong>der</strong> entfernt und ihn auf die Wiese gestellt. Das<br />
war sehr schön, aber sowas von kalt und nass.<br />
Was bedeutet Ihnen <strong>Haigerloch</strong> heute?<br />
Ich hatte meine Kin<strong>der</strong> alle schon mal hergebracht, denn <strong>Haigerloch</strong> ist mir wirklich sehr im<br />
Blut. Ich schäme mich manchmal zu sagen, dass mir <strong>Haigerloch</strong> sehr im Blut ist, aber das ist<br />
eben eine Gefühlssache, das an<strong>der</strong>e eine Gehirnsache. Mir ist in <strong>Haigerloch</strong> nichts schlechtes<br />
passiert und ich weiß, die <strong>Haigerloch</strong>er haben sich nichts zu Schulde kommen lassen. Ich habe<br />
zu <strong>Haigerloch</strong>s Ehren im heißen Israel einen Flie<strong>der</strong>strauch <strong>der</strong> blüht, <strong>der</strong> ganze Kibbuz ist voll,<br />
vom Flie<strong>der</strong> im Andenken an <strong>Haigerloch</strong>. Wenn ich schlechte Erinnerungen hätte, wäre ich<br />
bestimmt nicht zurück gekommen.<br />
Mein Mann hat immer gesagt, in <strong>Haigerloch</strong> ist <strong>der</strong> einzige Ort in Deutschland, wo sich die<br />
Menschen nicht entschuldigt haben. In <strong>Haigerloch</strong> ist es auch nicht nötig, es hat sich keiner zu<br />
entschuldigen, denn die <strong>Haigerloch</strong>er haben nie ihre Verbundenheit mit <strong>der</strong> jüdischen Gemeinde<br />
geleugnet.<br />
Interview am 7. November 2003<br />
in <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge in <strong>Haigerloch</strong><br />
Hinweis: An Ruth Ben-David bzw. ihre Familie erinnern die Spuren 02 und 03.<br />
10
Arbeitsblatt A.2: Alice Wolf<br />
Transkription <strong>der</strong> Interviews:<br />
Alice Wolf, geb. Weil<br />
geboren am 21. März 1923 in <strong>Haigerloch</strong><br />
lebt in Glenview, Illinois, USA<br />
Erinnerungen an <strong>Haigerloch</strong><br />
Ich habe gute Erinnerungen mit meinen Eltern und Verwandten, und dann natürlich auch<br />
schlechte. Ich war zehn Jahre alt, als Hitler an die Macht kam und dann sind die Erinnerungen<br />
immer schlechter geworden. Als ich 15 Jahre alt war, ist die Kristallnacht losgegangen. Das<br />
weiß ich noch sehr gut, als sie die Synagoge zerstört haben und die SA einmarschiert ist und<br />
alles zerstört hat. Das habe ich sehr sehr gut gehört. Meine Mutter hat in <strong>der</strong> Nacht die<br />
Fensterläden zugemacht. Wir haben Angst gehabt, was passiert ist in <strong>der</strong> Synagoge, zuerst<br />
wussten wir gar nicht, was los ist. Danach haben sie viele Männer verhaftet, die ins Amtsgericht<br />
<strong>Haigerloch</strong> kamen, viele davon kamen nach Dachau.<br />
Auf einmal hats geheißen, Judenstern müssen wir tragen und wir haben einen an<strong>der</strong>en Namen<br />
bekommen, “Sarah” und die Männer “Israel”. Als ich nach <strong>Haigerloch</strong> zurückkamen, habe ich<br />
gleich gesagt, “Sarah” können sie wegnehmen, meine Eltern haben mich nicht Sarah genannt.<br />
Es war schrecklich. I mean, I like the star of David, but ich brauche keinen Stern tragen, mit<br />
“Jude” in <strong>der</strong> Mitte.<br />
Deportation<br />
Wir sind benachrichtigt worden, wahrscheinlich haben wir die Briefe vom Bürgermeisteramt<br />
bekommen, dass wir uns melden sollen, am Bahnhof in <strong>Haigerloch</strong>. Und dann waren zwei<br />
Frauen da, die haben uns den Schmuck abgenommen. Eine Frau Hodler und einr Frau Pickart?,<br />
die Frau Hodler lebt nicht mehr, die hat sogar im Schloss gewohnt. Die Pickart hat beim<br />
Bahnhof gewohnt, die hatte ein Hutgeschäft. Wir mussten uns alle fertig machen, so und so viel<br />
kann man mitnehmen hats geheißen und wir sind dann am Bahnhof eingestiegen und kamen<br />
nach Killesberg, Stuttgart. Da war das Sammellager von allen württembergischen Juden. Dort<br />
sind wir alle gesammelt worden, bis alle da waren. Und dann sind wir zwei bis drei Tage später<br />
wie<strong>der</strong> in die Züge gekommen und sind nach Osten, Riga, Skirotawa, das war <strong>der</strong> Bahnhof, wo<br />
sie uns ausgeladen haben.<br />
Konzentrationslager<br />
Am 26. März 1942 war ein ganz großer Transport, die Lastwägen sind von morgens bis nachts<br />
gefahren, alle Frauen und Kin<strong>der</strong> von eins bis 14 und ältere Leute, sie haben alle umgebracht.<br />
Und dann hat die freche SS zu den Männern gesagt: ‘Heute mache ich Euch alle ledig’.<br />
Einen schönen Tages hats geheißen, wir sollen uns ausziehen, die SS war da, und wir sollten in<br />
die Shower, sozusagen Shower, o<strong>der</strong> Gaschamber. Sie konnten eine Nadel fallen hören, keiner<br />
hat mehr gesprochen. Wir wussten nicht, kommt Wasser o<strong>der</strong> kommt Gas. Und dann ist das<br />
Wasser gelaufen<br />
Rückkehr nach <strong>Haigerloch</strong> am 16. Juni 1945<br />
Als ich zurück kam vom Konzentrationslager, da waren alle Gebetbücher in einer Scheune. Ich<br />
bin sie alle durchgegangen und habe von meiner Mutter zwei gefunden, wo sie alles eingetragen<br />
11
hat, die ganzen Anniversarys, die Jahrzeiten von ihrer ganzen Familie, das habe ich heute noch.<br />
Und dann kam ein an<strong>der</strong>er Soldat, <strong>der</strong> war in Ulm als amerikanischer Soldat. Die haben ihm<br />
gesagt, da ist ein Mädel hier und da hat er gesagt, die muss ich sofort sprechen. So kam er und<br />
hat sich vorgestellt und mir ein Bild von seiner Freundin in New York, die aus <strong>Haigerloch</strong> ist<br />
gezeigt. Dann habe ich ihn gefragt, ob er eine Ilse Weil kennt, meine Schwester war in New<br />
York. Die an<strong>der</strong>e Schwester war in Denver und dann in Chicago. Dann hat er gesagt, ja die ist<br />
jetzt mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Schwester in Chicago. Dann habe ich gesagt - und ich bin die dritte<br />
Schwester! Dann hat er gesagt, ich soll zwei Zeilen schreiben, die hat er sofort per Luftpost nach<br />
USA geschickt. Nach zwei Wochen kam er schon mit einem Brief von meinen Schwestern<br />
zurück.<br />
Zeugnis ablegen<br />
1977 habe ich einen Brief bekommen, ob ich bei einem Prozess in Hamburg sein könnte. Ich<br />
wusste nicht, ob ich gehen sollte o<strong>der</strong> nicht. Dann bin ich zu meinem Arzt gegangen, <strong>der</strong> aus<br />
Nürnberg war. Da habe ich gesagt: ‘Doktor, soll ich gehen, o<strong>der</strong> nicht?’. Er hat gesagt: ‘Du<br />
musst gehen! ‘ Da hab ich gesagt ‘warum?’ ‘Du musst gehen, für alle die, die nicht<br />
zurückgekommen sind. Für die, die umgekommen sind. Du musst aussagen.’ Und so bin ich<br />
gegangen.<br />
Interview am 30. November 2001<br />
im Schlosshotel <strong>Haigerloch</strong><br />
Hinweis: An Alice Wolf und ihr Schicksal lässt sich über Spur 10 anknüpfen. Die Spuren 11<br />
und 19 und 20 verweisen auf ähnliche Schicksale.<br />
12
Arbeitsblatt A.3: Henry Schwab<br />
Transkription <strong>der</strong> Interviews:<br />
Henry Schwab<br />
geboren am 27. November 1920 in Tübingen<br />
lebt in New York City, New York, USA<br />
Verhältnis zu den Christen<br />
“We always got along pretty well, for quite a long time and the one time when we had a fight,<br />
I remember there was a fight going on between a group of christian children and us. One person,<br />
I remember the name Eugen Linch or something like that, he was the lea<strong>der</strong> of the Hitler Jugend<br />
or Jungvolk and he came to me and asked “what is going on?” And I told him, look they were<br />
starting the fight, we are just defending us. And he said “as long as I am the lea<strong>der</strong> of the Hitler<br />
Jugend there is not gonna be any fighting between us!” He was Schüler in <strong>der</strong> evangelischen<br />
Schule and as long as I was here, that was probably the only fight that I can remember.”<br />
<strong>Haigerloch</strong>er Viehhändlerdeutsch<br />
“Natürlich ist man (in NYC) immer ins Gespräch (mit an<strong>der</strong>en <strong>Haigerloch</strong>ern) gekommen, dann<br />
hat man haigerlocher viehhändler Deutsch gesprochen. Not so much english, mostly deutsch<br />
dann. That was the only occasion that I had a chance to speak that. As long as my parents lived<br />
we spoke that. That’s all we knew, “schwäbisch”. I didn’t know any hochdeutsch. ...It’s not a<br />
real schwäbisch, like they speak in Stuttgart, and it’s definitly not hochdeutsch, so it must be<br />
that striktly haigerlocher”<br />
Kristallnacht<br />
Probably a day or two later I got a telegram of my parents “sind gesund, Eltern”. This was only<br />
about a year after that I got to the United States. I wasn’t very professioned in English, I don’t<br />
know if I read any papers even. So it meant nothing to me. I didn’t un<strong>der</strong>stand, what this meant<br />
“sind gesund”. So I figured I write to them and maybe I find out in the meantime. First of all,<br />
when I visited my unkle and my aunt I mentioned that I had gotten a telegram. Well I got the<br />
biggest argument you have ever had. My aunt said “how could you do that you didn’t tell us you<br />
got a telegram.” I said, what was so important about it, I didn’t know what it meant. That’s<br />
when I found out what happened here because they knew what happened.<br />
Kino in <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge?<br />
“I didn’t feel bad, I didn’t feel bad, the fact, that they didn’t burn it down, they didn’ t destroy it<br />
gave me some satisfaction. Just like when we came the first or second time, when we drove here<br />
and we drove through Rexingen. I wanted to see the frühere Rexinger Synagoge- and they still<br />
had the colored windows and they had the hebrew over the door on the outside and it was a<br />
church. I didn’t feel bad about it, because it was a house of god. The thing to feel bad about it,<br />
is when they destroyed it, or when they do things that should never be done in a synagoge. But<br />
a Kino, well I don’t see where it desacret’s it too much. ... also the supermarket is not as bad as<br />
I heard about what happend to other places.”<br />
Die ehemalige Synagoge heute?<br />
“I was looking forward to it, very much, I can’t speak, I am sorry, it means a lot! And especially<br />
if it’s gonna be a museum, well, it’s far as near to being a synagoge as you can expect it to be.<br />
13
Even, as a meeting place, the Hechinger synagoge it was a meeting place, it wasn’t destroyed,<br />
... and know as I un<strong>der</strong>stand they have services there once a month, - who knows maybe, maybe<br />
it will happend here!!”<br />
Hinweis: Die Spur 03 erinnert an Henry Schwab und die Familie Spier.<br />
14
Arbeitsblatt A.4: Edward Levy<br />
Transkription <strong>der</strong> Interviews:<br />
Edward Levy<br />
geboren 1909 in <strong>Haigerloch</strong><br />
gestorben 2001 in Denver, Colorado, USA<br />
Wie<strong>der</strong>sehensfeier <strong>der</strong> Überlebenden<br />
1945 sofort nach dem Krieg, da habe ich die elf Überlebenden hier in <strong>Haigerloch</strong> getroffen, da<br />
haben wir das große Essen hier gehabt. Die waren so überrascht, dass sie mich als<br />
amerikanischen Offizier (sahen). Die haben eigentlich sehr wenig gesprochen, aber man konnte<br />
sehen, dass sie viel gelitten hatten.<br />
Festnahme des NSDAP-Ortsgruppenleiters Josef Kronenbitter<br />
Dann bin ich den Berg rauf, ganz in <strong>der</strong> Nähe hier und eine Frau in <strong>der</strong> Straße sagte mir, ‘wollen<br />
sie wissen, wo <strong>der</strong> Kronenbitter wohnt?’ ‘Ja’ ‘Der ist in Ertingen.’<br />
So bin ich in meinen Jeep rein mit zwei o<strong>der</strong> drei von den KZ Überlebenden. Ein Mann kam mit<br />
mir und sagte, ‘das ist das <strong>Haus</strong>, aber sie brauchen mich jetzt nicht mehr’ und er ging weg. Ich<br />
ging in das <strong>Haus</strong> und die Treppen kam ein Mann runter und ich sagte ’Ist ihr Name<br />
Kronenbitter?’, ‘Ja’ und ich sagte ‘tun sie die Hände hoch, sie sind verhaftet!’ und dann habe<br />
ich ihn auf den Jeep gesetzt und bin durch die ganze Stadt <strong>Haigerloch</strong> gefahren, dass alle Leute<br />
es sehen konnten.<br />
Ausschnitte aus “Am Schabbes durfte keiner rein”, SWR 2003?<br />
Hinweis: Spur 07 verweist auf Edward Levy und seinen Vater.<br />
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Erläuterungen zum Arbeitsblatt <strong>der</strong> Gruppe B<br />
Zu Frage 1:<br />
Folgende Überreste <strong>der</strong> Nutzung sind in <strong>der</strong> Synagoge noch sichtbar.<br />
1. Freigelegte Inschrift <strong>der</strong> Zehn Gebote<br />
An <strong>der</strong> nach Jerusalem ausgerichteten Ostwand <strong>der</strong> Synagoge befand sich <strong>der</strong> Toraschrein, in<br />
dem die Torarollen aufbewahrt wurden. Während <strong>der</strong> Restaurierung 2001 kamen oberhalb<br />
des Rundfensters Spuren einer hebräischen Inschrift zum Vorschein. Es handelt sich um die<br />
jeweils ersten Buchstaben <strong>der</strong> Zehn-Gebote. Sie wurden 2003 anhand <strong>der</strong> alten Schablonen<br />
nachgezeichnet.<br />
2.Reklamebuchstaben des Supermarktes, 1968<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Stuttgart<br />
Blick auf die Rückwand <strong>der</strong> Synagoge, um 1925<br />
Foto Weber, <strong>Haigerloch</strong><br />
Nach umfassenden Umbauarbeiten eröffnete 1968 ein SPAR-Supermarkt in <strong>der</strong> ehemaligen<br />
Synagoge. Am früheren Eingang in das Gotteshaus befand sich eine Fleischtheke, von <strong>der</strong><br />
nach <strong>der</strong> Restaurierung 2001 lediglich ein kleiner Rest <strong>der</strong> Fliesenwand erhalten ist. Der<br />
ehemalige Supermarkteingang wurde 2001 zugemauert und ist nur noch von außen zu<br />
erkennen.<br />
Der Supermarkt schloss 1981. Anschließend diente das Gebäude bis 1999 als Lagerhalle<br />
eines Textilunternehmens.<br />
Nach dem Kauf des Gebäudes durch die Stadt <strong>Haigerloch</strong> wurden auf dem Dachboden im<br />
Mai 2000 unter an<strong>der</strong>em die Reklamebuchstaben des SPAR-Supermarktes entdeckt.<br />
3. Vorführraum des Kinos<br />
Bereits 1943 wollte ein Kinobesitzer aus Horb die ehemalige Synagoge als Filmtheater<br />
nutzen. Das Unternehmen “Lichtspiele <strong>Haigerloch</strong>” stellte 1949 erneut den Antrag, im<br />
Gebäude Filme zeigen zu dürfen. Nachdem <strong>der</strong> für Denkmalschutz zuständige<br />
Landeskonservator dem Vorhaben ausdrücklich zugestimmt hatte, konnte die ehemalige<br />
Synagoge 1952 zum Kino umgebaut werden. Vom Vorführraum aus wurden die Filme auf die<br />
Leinwand projiziert, die sich direkt vor <strong>der</strong> ehemaligen Torawand befand. Das Kino war bis<br />
1968 in Betrieb.<br />
4. Wochenschaubericht vom Län<strong>der</strong>spiel Sowjetunion - Deutschland, 1955<br />
Stadt <strong>Haigerloch</strong><br />
Vor 80.000 Zuschauern fand am 21. August 1955 in Moskau das Fußball-Län<strong>der</strong>spiel<br />
zwischen <strong>der</strong> Sowjetunion und Deutschland statt. Trotz einer sehr guten Mannschaftsleistung<br />
verlor Weltmeister Deutschland das spannende Spiel mit 2:3. Die Tore für Deutschland<br />
schossen Fritz Walter und Hans Schäfer. In dem knappen Spielbericht <strong>der</strong> Wochenschau ist<br />
jedoch nur <strong>der</strong> sowjetische Siegtreffer von Iljin in <strong>der</strong> 74. Spielminute zu sehen. Zehn Jahre<br />
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam dem in <strong>der</strong> Schlusszene gezeigten<br />
versöhnlichen Abschied zwischen Fritz Walter und dem sowjetischen Spielführer Netto eine<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu.<br />
Der Wochenschaubericht befand sich auf <strong>der</strong> letzten noch erhaltenen Filmrolle des Kinos.<br />
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5. Starportrait von Maria Schell, um 1950<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Stuttgart<br />
Maria Schell war eine <strong>der</strong> populärsten Schauspielerinnen des deutschen Kinos in den 1950er<br />
Jahren. Vor allem an <strong>der</strong> Seite von Dieter Borsche (“Es kommt ein Tag”) und O. W. Fischer<br />
(“Der träumende Mund”, “Tagebuch einer Verliebten”) feierte sie große Erfolge. Während<br />
ein Millionenpublikum sie für ihre emotionalen Rollen verehrte, erwarb sie sich bei Kritikern<br />
den Ruf des “Seelchens”. Gleichwohl war sie eine <strong>der</strong> wenigen deutschsprachigen<br />
Schauspieler, die in den 1950er Jahren auch eine internationale Karriere starten konnten.<br />
Das Portrait gehört zu den Überresten, die aus <strong>der</strong> Kinozeit noch im Gebäude zurück<br />
geblieben sind.<br />
6. Terminkalen<strong>der</strong> 1953<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>, Stuttgart<br />
Im Kalen<strong>der</strong> sind alle Filme eingetragen, die im Jahr 1953 im <strong>Haigerloch</strong>er Kino liefen. Das<br />
<strong>Haigerloch</strong>er Publikum konnte aus einem breiten Angebot auswählen. Neben den aktuellen<br />
Kassenschlagern “Die Försterchristl” o<strong>der</strong> “Sie tanzte nur einen Sommer” zeigten die Eyach<br />
Lichtspiele auch ältere Produktionen. So stand <strong>der</strong> anti-sowjetische NS-Propagandafilm<br />
“Panzerkreuzer Sebastopol” aus dem Jahr 1936 genauso auf dem Programm wie das US<br />
Musical “<strong>Baden</strong>de Venus” von 1944.<br />
Der Kalen<strong>der</strong> wurde 2004 bei Renovierungsarbeiten im Gebäude <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge<br />
gefunden.<br />
7. Filmvorführgerät TKB (Ton-Koffer-Bauer), Modell Sonolux 2, 1937/1938<br />
Der 35mm Filmprojektor Sonolux 2 wurde von <strong>der</strong> Firma Bauer aus Untertürkheim in den<br />
Jahren 1937 und 1938 produziert. Das Vorgängermodell Sonolux 1 war das erste mobile<br />
Vorführgerät von Bauer.<br />
Die Stadt <strong>Haigerloch</strong> konnte den Projektor vor einigen Jahren vom Eigentümer des Kinos<br />
erwerben.<br />
Zu Frage 2:<br />
Die Mikwe<br />
Eine Mikwe ist ein rituelles Tauchbad, das <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> religionsgesetzlich<br />
vorgeschriebenen Reinheit eines Menschen dient. Für Frauen ist <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> Mikwe vor<br />
<strong>der</strong> Hochzeitsnacht, nach <strong>der</strong> Menstruation o<strong>der</strong> einer Geburt vorgeschrieben. Auch wer mit<br />
Toten in Berührung kommt, muss zur Reinigung ein rituelles Bad nehmen. Ferner werden<br />
neue Gefäße vor ihrer Benutzung in das Wasser <strong>der</strong> Mikwe eingetaucht. Das Tauchbecken<br />
<strong>der</strong> Mikwe darf nur ungeschöpftes, “lebendes” Wasser, also Quell-, Grund-, o<strong>der</strong><br />
Regenwasser beinhalten.<br />
Die <strong>Haigerloch</strong>er Mikwe ist um 1840 gebaut worden, als die Synagoge vergrößert wurde. Es<br />
ist davon auszugehen, dass für die rituelle Reinigung Regenwasser verwendet wurde. Benutzt<br />
wurde sie von den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> jüdischen Gemeinde vermutlich bis zur<br />
Reichspogromnacht 1938.<br />
Beim Umbau <strong>der</strong> ehemaligen Synagoge zum Kino 1951/52 wurde das Tauchbecken<br />
zugeschüttet und im Gebäude ein Heizöltank untergebracht. Während <strong>der</strong> Restaurierung<br />
wurde das Tauchbad, das sich auf <strong>der</strong> linken Seite befindet, freigelegt.<br />
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Zu Frage 3:<br />
1939 Plan <strong>der</strong> Stadt <strong>Haigerloch</strong> einen “Gemeinschaftsraum und Turnhalle”<br />
einzurichten<br />
1951 Erich Kern kauft die Synagoge von <strong>der</strong> Isrealitischen Kultusvereinigung<br />
<strong>Württemberg</strong>s und baut sie zum Kino um.<br />
1968 Eröffnung eines Spar-Supermarktes<br />
1981 Lagerhalle eines Textilunternehmens<br />
1999/2000 Kauf durch die Gemeinde <strong>Haigerloch</strong><br />
8.11. 2003 Begegnungs- und Ausstellungszentrum (Bat Mizwa-Feier in <strong>der</strong> Synagoge)<br />
Zu Frage 5:<br />
Aktenordner des Landratamts Hechingen, 1938<br />
Hohenzollerische Heimatbücherei, Hechingen<br />
In den Aktenordnern des Landratsamts befand sich <strong>der</strong> Schriftverkehr über die<br />
nationalsozialistische Judenpolitik im Kreis Hechingen. Neben <strong>der</strong> statistischen Erfassung<br />
aller Juden geben die Unterlagen vor allem Aufschluss über den bürokratisch organisierten<br />
Raub des jüdischen Eigentums durch erzwungene Kaufverträge und Beschlagnahmungen. Die<br />
Abgabe <strong>der</strong> Radioapparate o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Entzug <strong>der</strong> Allmendenutzung - alles wurde genau<br />
festgehalten.<br />
Nach <strong>der</strong> Auflösung des Landkreises Hechingen wurden die Aktenordner 1972/1973 bei <strong>der</strong><br />
Räumung des bisherigen Behördensitzes in die Müllcontainer geworfen. Ein Hechinger<br />
Bürger fand die Aktenordner zufällig und sorgte für eine sichere Aufbewahrung.<br />
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VII. Hinweise<br />
Öffnungszeiten:<br />
donnerstags von 14 - 19 Uhr,<br />
(vom 1.4. bis 30.10.)<br />
samstags und sonntags jeweils von<br />
11 - 17 Uhr (ganzjährig)<br />
Eintritt:<br />
für Schülerinnen und Schüler sowie <strong>der</strong>en Begleitpersonen frei<br />
Führungen:<br />
Gesprächskreis Ehemalige Synagoge <strong>Haigerloch</strong> e.V.<br />
Tel.: 07474-958065<br />
Informationen und Beratung:<br />
Dr. Stefan Feucht<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />
Urbansplatz 2<br />
70182 Stuttgart<br />
Tel.: 0711-2123969<br />
Fax: 0711-2123979<br />
email: feucht@hdgbw.de<br />
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