Deutsche Börse | White Paper - Deutsche Börse AG
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Kapitalmarkt Deutschland<br />
Erfolge und Herausforderungen<br />
<strong>White</strong> <strong>Paper</strong>
Kapitalmarkt Deutschland<br />
Erfolge und Herausforderungen<br />
<strong>White</strong> <strong>Paper</strong>
2 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
INHALT<br />
Vorwort................................................................................................................ 5<br />
I. Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
Prof. Bernd Rudolph, Universität München<br />
1. Einleitung .............................................................................................................. 7<br />
2. Insider- und Outsider-Finanzierungen .......................................................................... 8<br />
3. Corporate Governance .............................................................................................. 8<br />
4. Fremd- versus Eigenkapital ........................................................................................ 9<br />
5. Gründe für die mangelnde Eigenkapitalzufuhr ............................................................ 11<br />
6. Asset-Backed-Strukturen für Beteiligungstitel .............................................................. 12<br />
II. Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Karl-Burkhard Caspari, Vize-Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
1. Kapitalmärkte im Wandel – Übersicht über die Reformen zur Weiterentwicklung des<br />
Kapitalmarktes am Finanzplatz Deutschland .............................................................. 15<br />
2. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz – verbesserte Regeln für eine effizientere<br />
Finanzdienstleistungsaufsicht .................................................................................. 19<br />
3. Neuorganisation der Finanzdienstleistungsaufsicht in Deutschland – die Gründung<br />
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).......................................... 23<br />
4. Ziele der Aufsicht: Anlegervertrauen und Marktintegrität .............................................. 25<br />
5. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland und im Ausland .............................................. 30<br />
6. Die europäischen Bestrebungen, die Finanzmarktaufsicht zu vereinheitlichen .................. 33<br />
7. Veränderungen am Finanzplatz Deutschland durch die Umsetzung der geplanten<br />
Richtlinie der Europäischen Union zur Bekämpfung des Marktmissbrauchs...................... 36<br />
III. Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Prof. Theodor Baums, Universität Frankfurt<br />
1. Corporate Governance in Deutschland........................................................................ 39<br />
2. Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance und seine Umsetzung ........ 42<br />
3. Ausgewählte Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance<br />
– Umsetzung und weiterer Handlungsbedarf .............................................................. 44<br />
4. Das zweistufige deutsche System und die Mitbestimmung ............................................ 51<br />
5. <strong>Deutsche</strong>s Recht im Kontext der EU .......................................................................... 53
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
IV. Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
Sir David Tweedie, Chairman, International Accounting Standards Board<br />
1. Einleitung: Eine Krise von globalem Ausmaß .............................................................. 57<br />
2. Die Säulen der Finanzberichterstattung ...................................................................... 58<br />
3. Auf dem Weg zu einem neuen Modell ........................................................................ 60<br />
4. Der Herausforderung gerecht werden ........................................................................ 62<br />
V. Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Prof. Jörg Baetge, Universität Münster<br />
1. Die Vertrauenskrise ................................................................................................ 65<br />
2. Vier Strukturprobleme ............................................................................................ 65<br />
3. Wege aus der Vertrauenskrise .................................................................................. 67<br />
4. Ein neues Selbstverständnis .................................................................................... 70<br />
VI. Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
Heiko Beck, DekaBank / Dirk Schlochtermeyer, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />
1. Einleitung ............................................................................................................ 73<br />
2. Weiterentwicklung des institutionellen Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrechts .......................... 74<br />
3. Reformen im europäischen Kontext .......................................................................... 77<br />
Aktienmarktneusegmentierung:<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa .................................................. 82<br />
Anhang<br />
Autorenverzeichnis ................................................................................................ 84<br />
Internetlinks und Grafikverzeichnis............................................................................ 88<br />
3
Vorwort<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Vorwort<br />
Rainer Riess, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>, Head of Stock Market Business Development<br />
Es hilft nichts, darum herumzureden: Die Vertrauenskrise an den Märkten ist noch nicht ausgestanden.<br />
Die wirtschaftliche Konjunktur in Europa und besonders in Deutschland steht auf schwachen Füßen,<br />
und der deutsche Gesetzgeber trägt durch seine Steuerpolitik nicht unbedingt zur Investitionsfreude<br />
bei. Darüber darf jedoch eines nicht in Vergessenheit geraten: Die regulatorischen Rahmenbedingungen<br />
am deutschen Kapitalmarkt haben sich durch eine ganze Phalanx von Reformen im vergangenen Jahr<br />
wesentlich verbessert. Dieses Weißbuch soll die aus Kapitalmarktsicht wichtigsten regulatorischen<br />
Fortschritte durch Beiträge namhafter Autoren aus der Praxis und der Wissenschaft zusammenfassen.<br />
Zugleich soll die verbliebene Agenda für die Zukunft skizziert werden - sie ist kürzer, als viele denken.<br />
Wir sparen zwar nicht mit Kritik, doch dies soll dem grundsätzlichem Anspruch dieses Papiers keinen<br />
Abbruch tun: nämlich dem, neue Finanzinvestoren im In- und Ausland für den Kapitalmarkt Deutschland<br />
zu gewinnen.<br />
Selbstverständlich greift der Ruf nach dem Gesetzgeber allein zu kurz. Auch die <strong>Börse</strong> als Selbstverwaltungsorganisation<br />
der Marktteilnehmer ist hier gefragt. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist dieser Verantwortung<br />
nachgekommen. Mit der Aktienmarktneusegmentierung hat sie ein klares und konsistentes<br />
Konzept vorgelegt, das Emittenten und Investoren einen besseren Überblick und mehr Transparenz<br />
bietet. Der General Standard richtet sich an Emittenten, die in erster Linie inländische Investoren<br />
ansprechen wollen. Emittenten, die sich international positionieren wollen, bietet die <strong>Börse</strong> mit dem<br />
Prime Standard ein Qualitätssegment, das höchste Transparenzanforderungen erfüllt – zum Beispiel<br />
Quartalsberichte. Die nach Marktkapitalisierung und <strong>Börse</strong>numsatz größten Unternehmen im fortlaufenden<br />
Handel wiederum werden in die verschiedenen Indizes aufgenommen. Der DAX bleibt,<br />
wie er ist, der MDAX wird verkleinert, und für Unternehmen aus besonders innovativen Branchen<br />
wird der TecDAX eingeführt.<br />
Dass Eigenkapital in Deutschland zukünftig eine immer wichtigere Rolle in der Unternehmensfinanzierung<br />
spielen wird, zeigt Prof. Bernd Rudolph in seinem einleitenden Beitrag. Aus volkswirtschaftlicher<br />
Sicht skizziert er verschiedene Ansätze zur Unternehmensfinanzierung und legt damit die Basis für<br />
die anschließende Darstellung der wichtigsten Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.<br />
Die beiden wichtigsten regulatorischen Reformen des letzten Jahres waren zweifellos das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz<br />
und die Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin). Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz wurde u. a. das <strong>Börse</strong>ngesetz modernisiert<br />
und der Anlegerschutz im Rahmen des Wertpapierhandelsgesetzes verstärkt. BaFin-Vizepräsident<br />
Karl-Burkhard Caspari gibt in seinem Beitrag einen umfassenden Überblick über die Reformen und<br />
skizziert aktuelle und zukünftige Initiativen.<br />
Eine andere wichtige, auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruhende Initiative, die im vergangenen<br />
Jahr Früchte getragen hat, ist der Corporate Governance Kodex, der die Grundsätze für die Unternehmensführung,<br />
die Transparenz gegenüber den Anlegern und die Kontrolle des Managements auf ein<br />
internationales Niveau gehoben hat. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) verfügt<br />
der Kodex auch über eine rechtliche Verankerung. Denn durch das TransPuG wurde im Aktiengesetz<br />
die neue Vorschrift eingeführt, dass das Unternehmen im Anhang zu ihrem Jahresabschluss Auskunft<br />
darüber geben sollen, ob sie die Vorschriften des Kodex erfüllen. Nach dem Prinzip „comply or explain“<br />
müssen sie Abweichungen explizit begründen. Prof. Theodor Baums, der Leiter der ersten<br />
5
6 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Vorwort<br />
Corporate-Governance-Kommission, auf deren Ergebnisse die zweite Kommission unter dem Vorsitz<br />
von Gerhard Cromme aufbauen konnte, beschreibt in seinem Beitrag die neuen Regelungen und<br />
beleuchtet einige noch strittige Themen.<br />
Tiefgreifende Veränderungen in der Bilanzierungspraxis wird die Umstellung auf International Accounting<br />
Standards bringen. Nicht zuletzt aufgrund der zukunftsweisenden Anforderungen, die die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen an Emittenten stellt, die sich am Markt<br />
positiv hervorheben wollen, sind die deutschen Unternehmen darauf gut vorbereitet. Sir David Tweedie,<br />
Chairman des International Accounting Standards Board, gibt in seinem Gastbeitrag einen Überblick<br />
über den aktuellen Stand der internationalen Diskussion. Um eine zuverlässige Abschlussprüfung zu<br />
gewährleisten, gibt es darüber hinaus Überlegungen, für diesen Bereich eine wirksame Aufsicht einzurichten.<br />
Wie weit der Stand dieser Debatte gediehen ist, zeigt Prof. Jörg Baetge in seinem Beitrag.<br />
Das reformierte <strong>Börse</strong>ngesetz hat den elektronischen <strong>Börse</strong>nhandel und den Parketthandel gleichgestellt<br />
und den <strong>Börse</strong>n die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Anforderungen an die Zulassung und den<br />
Handel in der <strong>Börse</strong>nordnung zu verankern. Damit können diese Anforderungen mit größerer Rechtssicherheit<br />
für alle Beteiligten in die Praxis umgesetzt werden. Somit ist die Selbstverwaltungskompetenz<br />
der <strong>Börse</strong> gestärkt worden. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> hat von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch<br />
gemacht und eine umfassende Neuordnung der Marktsegmente vorangetrieben. Heiko Beck, Chefsyndikus<br />
der Deka Bank, und Dirk Schlochtermeyer, Head of Market Policy bei der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong>,<br />
beschreiben, wo aus ihrer Sicht noch weiterer Nachholbedarf besteht und welche Themen die politische<br />
Tagesordnung auf nationaler ebenso wie auf europäischer Ebene bestimmen werden. Auch<br />
die <strong>Börse</strong> hat hier im Rahmen der Selbstverwaltung eine Rolle zu spielen. Den Abschluss des Papiers<br />
bildet deshalb eine Übersicht über die Aktienmarktneusegmentierung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong>.
Finanzierungsstrukturen<br />
für die deutsche Wirtschaft<br />
Prof. Bernd Rudolph, Universität München<br />
1. Einleitung<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
Das <strong>Börse</strong>nbarometer steht seit geraumer Zeit auf Sturm. Der Kursverfall hat nicht nur vielen Anlegern<br />
herbe Verluste beschert und das zarte Pflänzchen einer aufkeimenden Aktienkultur in Mitleidenschaft<br />
gezogen, sondern auch zu Umdispositionen im realwirtschaftlichen Bereich gezwungen. Während<br />
der zuvor herrschende <strong>Börse</strong>nboom überbewertete Unternehmen zu erheblichen Fehlinvestitionen,<br />
Fehlkäufen und Fehlausschüttungen an das Management und die Anteilseigner verleitet hat, liegen<br />
nun vermehrt Investitionspläne auf Eis und warten auf günstigere Finanzierungsbedingungen. Auch<br />
die Anreize für das Management und zum Einstieg in neues Unternehmertum sind vielfach zu gering<br />
geworden. Euphorie und Verweigerung sind gleich schädliche Zutaten für ein nachhaltiges Wachstum<br />
der Wirtschaft. Wie kommen wir wieder auf den richtigen Weg?<br />
Der Versuch, Hinweise zur Beantwortung dieser Frage zu finden,<br />
kann auf die Anleger zielen, deren Vertrauen in die Finanzinstitutionen und in die Märkte wieder<br />
gestärkt werden muss,<br />
kann bei den Unternehmen ansetzen, die Finanzanlagen zur Finanzierung ihrer Investitionen<br />
kreieren müssen, die sich für die Anleger als attraktive Anlagemöglichkeiten darstellen, und<br />
kann den Gesetzgeber ins Blickfeld nehmen, der gehalten ist, die Rahmenbedingungen für das<br />
„Zusammenführen“ von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage möglichst einfach und transparent,<br />
aber zugleich möglichst gut auf die Finanzinstrumente zugeschnitten zu gestalten, und<br />
kann schließlich die Funktionen der Finanzintermediäre betreffen, die Kapitalangebot und<br />
Kapitalnachfrage im Rahmen intermedierter Finanzbeziehungen ausgleichen oder im Rahmen<br />
des Emissions- und Anlagegeschäfts an den Märkten zusammenführen. Dazu gehört auch die<br />
besondere Funktion der <strong>Börse</strong>n, einen effizienten Sekundärmarkt zu gewährleisten.<br />
Wenn auch alle vier Themenfelder eng zusammenhängen, so soll hier der Blick auf die Finanzierung<br />
der Unternehmen im Vordergrund stehen. Dazu werden im Folgenden insbesondere Elemente des<br />
Corporate-Governance-Regimes in Deutschland und dessen Einflüsse auf das Zusammenspiel von<br />
Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung betrachtet. Auf dieser Basis wird dann der Frage des ausreichenden<br />
Eigenkapitalpolsters der Unternehmen nachgegangen. Schließlich werden einige Vorschläge<br />
gemacht, wie mögliche Eigenkapitalengpässe beseitigt werden können.<br />
7
8 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
2. Insider- und Outsider-Finanzierungen<br />
Alle Unternehmen müssen ihre wirtschaftliche Lage und ihre Zukunftsperspektiven jenen Anlegern<br />
oder Banken kommunizieren, die ihnen ihr Geld überlassen haben. Das Informations- und Kommunikationsmanagement<br />
ist gegenüber den kontrollierenden Anteilseignern und Banken anders zu<br />
strukturieren als die Informationspolitik gegenüber den Anlegern an den Märkten.<br />
Banken und andere Finanzinstitutionen wie Versicherungen oder Venture-Capital-Gesellschaften<br />
können als Inhaber bedeutender Beteiligungen einen tieferen Einblick in die Geschäftspolitik nehmen<br />
als die übrigen privaten und institutionellen Anleger an den Märkten für Beteiligungskapital. So können<br />
beispielsweise Private Equity-Investoren Insiderwissen generieren und auf die Geschäftspolitik des<br />
Beteiligungsunternehmens mehr oder weniger massiv einwirken.<br />
Das ist durchaus wünschenswert, sodass man sogar fordern muss, dass die Inhaber bedeutender<br />
Beteiligungen Insiderwissen erwerben und umsetzen. Sie übernehmen nämlich Kontrollaufgaben,<br />
die in bestimmten Situationen vor einem Eingriff in die Geschäftspolitik des Beteiligungsunternehmens<br />
oder in die Verträge mit dem Management der Gesellschaft nicht halt machen dürfen. Darüber hinaus<br />
werden sie auch ihre eigene Expertise und ihre Verbindungen in das Unternehmen einbringen, man<br />
spricht von einer Insiderfinanzierung. Dem „Relationship“ entsprechend wird eine enge und<br />
individuelle Informations- und Kommunikationspolitik verfolgt.<br />
Ganz im Gegensatz hierzu ist die Kommunikation mit den Märkten zu organisieren. Normale Anleger<br />
haben nämlich einen vergleichsweise schlechten Informationsstand und können auf direktem Wege<br />
nur einen geringen oder gar keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen. Sie orientieren sich an<br />
wichtigen Kennzahlen, an dem Auftreten und der Suggestionskraft des Managements sowie an den<br />
öffentlich verfügbaren Informationen über das reale und finanzielle Geschehen im Unternehmen.<br />
Gegebenenfalls ziehen sie die von den Analysten aufbereiteten Informationen zu Rate. Anleger und<br />
Analysten müssen sich darauf verlassen können, dass die Geschäftspolitik professionell und in der<br />
Weise erfolgt, wie sie den Marktteilnehmern kommuniziert wurde. Man spricht in der Finanzierungstheorie<br />
von einer Outsiderfinanzierung oder einer marktorientierten Finanzierung und ordnet der<br />
Beziehung zwischen dem mehr oder weniger anonymen Anleger und dem Emittenten den Begriff<br />
„arm’s length“ zu, weil kaum direkte Einwirkungsmöglichkeiten gegeben sind. Umso wichtiger sind<br />
daher vertragliche Absprachen, Ankündigungen, geschäftliche Zielvorgaben und eine laufende<br />
Berichterstattung über die Performance. Wichtig sind diese Elemente in der Outsider-Beziehung,<br />
weil sie den Anlegern die Verlässlichkeit der Geschäftspolitik im Zeitablauf signalisieren können und<br />
einen Reputationsaufbau ermöglichen, der es dann erleichtert, den Märkten auch andere Informationen<br />
glaubhaft zu kommunizieren.<br />
3. Corporate Governance<br />
Im vergangenen Jahr konnten einige Fortschritte in der Weiterentwicklung der Corporate-Governance-<br />
Diskussion festgehalten werden, deren Bedeutung genau an die Schnittstelle der Kommunikation der<br />
Unternehmen mit den Märkten liegt. Diese Schnittstelle wird bekanntlich immer wichtiger, je häufiger<br />
sich Unternehmen zur Befriedigung ihrer Eigen- oder Fremdkapitalwünsche nicht an die Kapitalsammelstellen,<br />
sondern direkt an die Märkte wenden. Die weitere Etablierung strenger Governance-Regeln<br />
korrespondiert also mit dem Trend von der weitgehend intermedierten zur direkten Finanzbeziehung<br />
über den Kapitalmarkt. Dieser Trend, der bei den Großunternehmen schon seit Jahren zu verzeichnen<br />
ist, wird in Zukunft auch bei den mittleren und vielleicht sogar kleineren Unternehmen an Momentum<br />
gewinnen.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
Werden allerdings Governance-Strukturen und -Regeln eines Unternehmens von den Märkten als hohl<br />
und im Zweifel unverbindlich erkannt, dann kann das gegenüber einem weiten Kreis von Emittenten<br />
zu einem Vertrauensverlust führen. Daher war die Etablierung einer gesetzlichen Grundlage, wie sie<br />
nun durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz über die Entsprechenserklärung (Comply-or-Explain-<br />
Gebot) in § 161 Aktiengesetz eingeführt wurde, überfällig (siehe hierzu den Beitrag von Prof. Theodor<br />
Baums, Seite 39 ff). Die Marktteilnehmer werden sich darüber hinaus aber wie im Fall der vielfachen<br />
Nutzung der Ad-hoc-Mitteilungen als Werbebotschaften letztlich keinen Gefallen tun, wenn sie<br />
Governance-Regeln als Instrument des Finanzmarketing missbrauchen.<br />
Regulativer Nachholbedarf besteht jedoch nach wie vor an der schwierigen Nahtstelle zwischen der<br />
Insider- und Outsider-Finanzierung. Diese Nahtstelle tritt insbesondere dann ins Blickfeld, wenn<br />
Insider ihre Anteile an Outsider verkaufen oder wenn Insider einer Vielzahl von Outsidern im Zuge<br />
eines Going Private ein Angebot zur Übernahme ihrer Anteile machen. In diesem Fall haben die Outsider<br />
einen maximalen Informationsnachteil, weil sie als mögliche Vertragspartner eines hervorragend<br />
informierten Insiders agieren müssen. Als Beispiel für die erste Art von Transaktionen stehen Directors’<br />
Dealings, bei denen es zu überlegen gilt, ob nicht deren Durchführung erst nach vorab veröffentlichter<br />
Deklarierung gestattet sein sollte und nicht umgekehrt der Kapitalmarkt von der bereits erfolgten<br />
Transaktion Kenntnis nehmen können muss. Für die zweite Art von Transaktionen stehen Übernahmeangebote,<br />
bei denen sich die frühzeitige und weitgehende Information des Kapitalmarktes bereits<br />
durchgesetzt hat.<br />
4. Fremd- versus Eigenkapital<br />
Finanzierungsstrukturen sind nicht allein durch die mit den verschiedenen Finanztiteln verbundenen<br />
Kommunikations- und Informationsströme gekennzeichnet, sondern auch durch die Art der Finanztitel,<br />
wobei grob zwischen den Eigen- und den Fremdkapitaltiteln unterschieden wird, obwohl es in der<br />
Zwischenzeit viele hybride Zwischenformen gibt. Als eines der sichtbaren Zeichen der Krise auf der<br />
Unternehmensseite gilt die so genannte „Eigenkapitallücke“, deren Spiegelbild ein hoher Verschuldungsgrad<br />
der Unternehmen ist. Die Hebelwirkung des Fremdkapitals treibt bei einer Investitionsrendite<br />
über den Fremdkapitalkosten in Zeiten der Hochkonjunktur und des <strong>Börse</strong>nbooms die Eigenkapitalrendite<br />
weiter nach oben. Ein hoher Fremdkapitalanteil mit festen Rückzahlungsverpflichtungen<br />
gilt darüber hinaus als Disziplinierungsinstrument, das Unwirtschaftlichkeiten und eine zu risikoreiche<br />
Geschäftspolitik vermeiden hilft. Eine hohe Verschuldung ist im deutschen Finanzsystem insbesondere<br />
deshalb möglich, weil die Banken im Kreditgeschäft zu den Insidern gezählt werden können und<br />
daher für ein vergleichsweise hohes Kreditengagement bereit stehen (zur Eigenkapitalquote deutscher<br />
Unternehmen, siehe die Infografiken auf Seite 10).<br />
Eine hohe Verschuldung führt aber im Abschwung und in der Rezession zu festgeschriebenen, d. h.<br />
insbesondere von der wirtschaftlichen Situation des Kreditnehmers unabhängigen Zins- und Tilgungszahlungen,<br />
die zu negativen Eigenkapitalrenditen und letztlich zur Insolvenz des Unternehmens<br />
führen können. Das ist das Ergebnis der volatilitätssteigernden Wirkung des Leverage-Effekts. In der<br />
Finanzierungstheorie wird gezeigt, dass uno actu mit steigendem Verschuldungsgrad das Leverage-<br />
Risiko anschwillt. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Theorie vielfach bei dieser Mikrosichtweise des<br />
Phänomens stehen bleibt, weil der Akkumulationseffekt nicht weiter bedacht wird. Dieser resultiert<br />
daraus, dass sich die Kapitalmarktteilnehmer fast immer im Geleitzug der Konjunktur und der Kapitalmarktverfassung<br />
bewegen, sodass die Auswirkungen des Effekts besonders ausgeprägt sind und zu<br />
einem gesamtwirtschaftlich problematischen Verhalten führen können.<br />
9
10 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
Eigenkapitalquote westdeutscher Unternehmen (in %)<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
28,7<br />
26,0<br />
24,0<br />
19,8<br />
18,1 18,2 17,9<br />
1966 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />
Quellen: <strong>Deutsche</strong> Bundesbank, DAI<br />
Im Konjunkturhoch und <strong>Börse</strong>nboom beschäftigen sich nämlich viele Marktteilnehmer nicht genügend<br />
mit den Spielregeln der Märkte, weil sie mit dem Einsammeln und Darstellen ihrer Erfolge beschäftigt<br />
sind, was sogar in einigen Fällen dazu verleiten mag, Unregelmäßigkeiten in der Berichterstattung in<br />
Kauf zu nehmen. Im Konjunkturtief und der <strong>Börse</strong>nbaisse müssen dann die vorangegangenen „Unregelmäßigkeiten“<br />
aufgearbeitet werden. Dabei kommt es leicht zu einem Reputationsverlust. Werden<br />
dann in einigen Unternehmen noch neue Fehldispositionen und Skandale aufgedeckt, so können die<br />
Marktteilnehmer insgesamt „vergrault“ werden, <strong>Börse</strong> und Wirtschaft geraten in eine Vertrauenskrise.<br />
Welche Wege können aus der Krise herausführen? Ökonomische Analysen sind hier gefragt.<br />
Eigenkapitalquoten in wichtigen Industrieländern<br />
Land in Prozent<br />
USA<br />
Großbritannien<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
22.5<br />
19.1<br />
26,3<br />
30,1<br />
48,0<br />
49,5<br />
58.0<br />
56.9<br />
Anfang der 80er Jahre Ende der 80er Jahre<br />
Quellen: OECD, DAI<br />
17,0
5. Gründe für die mangelnde Eigenkapitalzufuhr<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
Wenn seit geraumer Zeit wieder über die Eigenkapitallücke in der Unternehmensfinanzierung geklagt<br />
wird, dann sind die Ursachen auszumachen und es ist nach Maßnahmen Ausschau zu halten, wie<br />
die Finanzierung der Unternehmen erleichtert werden kann. Warum hat das Thema derzeit eine<br />
besondere Brisanz?<br />
Es ist die schwierige allgemeine Wirtschaftslage, die Unternehmen mit eher dünner Eigenkapitaldecke<br />
zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten bringt sowie von Bankenseite, aufgrund verstärkter<br />
Ausfälle in bestehenden Kreditportfolios, zu einer größeren Zurückhaltung in der Kreditvergabe<br />
und zu einer prozyklischen Erhöhung der Fremdkapitalkosten führt. Mit der Überwindung<br />
der realwirtschaftlichen Talfahrt wird es den Banken leichter fallen, ihre Kreditportefeuilles wieder<br />
zu füllen, zumal die Ratingziffern der deutschen Unternehmen keineswegs in allen Fällen stärker<br />
zurückgenommen worden sind als jene der europäischen Konkurrenten und auch die an den<br />
Märkten festgestellten Credit-Spreads als Ausdruck der Risikoprämien für Fremdkapitaltitel im<br />
Vergleich zum europäischen Umfeld keine außergewöhnliche Höhe erreicht haben. Die Unternehmen<br />
sind offenbar auf einem guten Weg, ihre Reputation an den Märkten wieder auf- und<br />
auszubauen.<br />
Es sind die neuen Eigenkapitalrichtlinien nach Basel II, die auf Seiten der Banken durchaus ein<br />
geschärftes Bewusstsein für Risiko-Rendite-Zusammenhänge bewirken und als Konsequenz für<br />
risikoreichere Unternehmen eine Erhöhung der Fremdkapitalkosten nach sich ziehen. Das bedeutet<br />
aber nicht, dass Basel II die Banken zu einem ökonomisch nicht vertretbaren Verhalten zwingt.<br />
Kredite an Unternehmen mit einem nicht ausreichenden Rating sollten mit einer höheren<br />
Eigenkapitalunterlegung verbunden sein als Kredite an Unternehmen erster Bonität. Das wird<br />
regulatorisch erzwungen und ist ökonomisch vernünftig. Und das wird auch manches Unternehmen<br />
hoher Bonität nach einiger Zeit, wenn das Rating der Institute selbst wieder zufriedenstellend<br />
ist, mit seinen Finanzierungswünschen zu den Banken führen.<br />
Brisanz resultiert auch aus dem mehr als bedauerlichen Scheitern des Projektes Neuer Markt,<br />
der zu Recht zur Erleichterung der Eigenkapitalaufnahme für junge, schnell wachsende Unternehmen<br />
konzipiert war. Dieses Scheitern war nicht die Ursache, sondern ein Begleitumstand der<br />
allgemeinen <strong>Börse</strong>nschwäche. Das Projekt selbst war ein mutiger und richtiger Schritt, und es<br />
sind alle Anstrengungen notwendig, darüber nachzudenken, wie ein vergleichbares <strong>Börse</strong>nsegment<br />
konzipiert sein muss, das in absehbarer Zukunft Fuß fassen und Bestand haben kann. Von der<br />
vergangenen Entwicklung müssen alle Marktteilnehmer lernen.<br />
Der dramatische Kursverfall am Neuen Markt erscheint dabei als Spitze des Eisbergs eines allgemeinen<br />
Kursverfalls, der die deutschen Märkte nach ihrem Höchststand im ersten Halbjahr 2000<br />
stärker getroffen hat als die europäischen Nachbarn. Die verfügbaren Hypothesen über die Gründe<br />
für die am deutschen Markt stärker ausgeprägten Kursbewegungen sind bislang nicht verifiziert.<br />
Ein vielleicht wichtiger Aspekt ist in dem insgesamt vergleichsweise niedrigen Anteil der Vermögensanlagen<br />
in Aktien bei den Haushalten in Deutschland auszumachen, der bedingt, dass eine Verunsicherung<br />
rascher als anderswo zu einer größeren Marktenge und höheren Volatilität führt.<br />
11
12 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />
6. Asset-Backed-Strukturen für Beteiligungstitel<br />
Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Diskussion über effiziente Strukturen in der Unternehmensfinanzierung<br />
vor diesem neuen Hintergrund anders zu führen ist, d. h. ob dem Thema damit neue<br />
Brisanz gegeben ist. Eine starke Verschuldung zu Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs und die entsprechend<br />
schwache aktuelle Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen begründet theoretisch<br />
eine geringe Krisenresistenz im derzeitigen Konjunkturabschwung. Diese schlägt sich potenziell<br />
nieder in einer steigenden Anzahl von Insolvenzen. Ein solcher Anstieg der Insolvenzzahlen ist in<br />
der Tat zu beobachten. Nach Angaben der <strong>Deutsche</strong>n Bundesbank konzentrieren sich die Insolvenzen<br />
aber rein zahlenmäßig (nach wie vor) in erster Linie bei den kleineren und jüngeren Unternehmen.<br />
Im vergangenen Jahr hat sich aber auch die Zahl der Insolvenzen bei größeren und älteren Unternehmen<br />
deutlich erhöht. 1)<br />
Die hohe Anzahl von Insolvenzen im Bereich der kleinen und jungen Unternehmen kann, soweit sie<br />
nicht als Ausdruck funktionierender Marktauslese zu betrachten ist, als ein Zeichen mangelnder<br />
Wachstumsfinanzierungsmöglichkeiten gewertet werden. Eine Verschlechterung der Wachstumsfinanzierungsmöglichkeiten<br />
in der derzeitigen Krise ließe sich erklären durch verschlechterte Exit-Aussichten<br />
für Venture Capital nach dem Niedergang des Neuen Marktes und würde sich somit mit einer<br />
Erholung der Kapitalmärkte zumindest teilweise revidieren. Es ist jedoch gleichzeitig zu vermuten,<br />
dass nur für einen Bruchteil derjenigen Unternehmen, die vor der <strong>Börse</strong>nschwäche Zugang zum<br />
Neuen Markt erlangen konnten, eine solche Publikumsfinanzierung unter den geänderten Rahmenbedingungen<br />
nach der Krise noch vorteilhaft wäre. Für diejenigen Unternehmen, die keinen Zugang<br />
zum Kapitalmarkt haben, müssen alternative Finanzierungswege gefunden werden.<br />
Durch unangemessene Finanzierungsstrukturen induzierte, „überflüssige“ Insolvenzen können zum<br />
Teil vermieden werden, wenn neue externe Eigenkapitalquellen erschlossen werden können. Gerade<br />
institutionelle Investoren (u. a. Pensionsfonds) verfügen derzeit über hohe Bestände an liquiden Mitteln<br />
und suchen nach Möglichkeiten, um diese am Kapitalmarkt zu investieren. Die Mittelanlage setzt<br />
dabei im Bereich der Eigenkapitalfinanzierung für kleine und mittlere Unternehmen eine effiziente<br />
institutionelle Ausgestaltung voraus.<br />
Da die direkte <strong>Börse</strong>nfinanzierung bei kleinen und mittleren Unternehmen unabhängig davon, ob sie<br />
einer Wachstumssparte angehören oder nicht, auch in naher Zukunft eine eher unwahrscheinliche<br />
Alternative darstellt, könnte der Vorschlag der Gründung spezieller Beteiligungsgesellschaften überdenkenswert<br />
sein. Diese Gesellschaften könnten Anteile ihres Beteiligungsportfolios an eine Zweckgesellschaft<br />
(Special Purpose Vehicle) übertragen, die ihrerseits Wertpapiere ausgibt, die man als<br />
Equity Backed Securities (EBS) bezeichnen könnte. Während die systematischen Risiken des Portefeuilles<br />
der Zweckgesellschaft leicht bewertet und dem Markt angeboten werden können, könnten<br />
die schlechter kommunizierbaren und schwieriger zu bewertenden unsystematischen Risiken bei den<br />
„Profis“ verbleiben. Diese Technik ist aus dem Bereich der Refinanzierung von Forderungen bekannt<br />
und eingespielt, könnte aber auch durch eine entsprechende Konstruktion von Derivaten repliziert<br />
werden, wie dies im Kreditbereich durch Kreditderivate möglich ist. 2) Es spricht einiges dafür zu<br />
überlegen, solche Märkte auch im Bereich der Eigenkapitalfinanzierungen zu entwickeln.<br />
1) <strong>Deutsche</strong> Bundesbank: Zur Entwicklung der Bankkredite an den privaten Sektor, in: Monatsbericht, Oktober 2002, S. 43<br />
2) Burghof, Hans-Peter / Henke, Sabine / Rudolph, Bernd / Schönbucher, Philipp J. / Sommer Daniel: Kreditderivate.<br />
Handbuch für die Bank und Anlagepraxis, Stuttgart 2000
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Karl-Burkhard Caspari, Vize-Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
1. Kapitalmärkte im Wandel – Übersicht über die Reformen zur<br />
Weiterentwicklung des Kapitalmarktes am Finanzplatz Deutschland<br />
1.1. Reformen in Deutschland<br />
Kapitalmärkte sind keine statischen Gebilde, sondern befinden sich in einem ständigen Weiterentwicklungs-<br />
und Modernisierungsprozess. Ein leistungsfähiger Kapitalmarkt, der in erfolgreicher<br />
Konkurrenz zu ausländischen Standorten steht, ist nur möglich, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen<br />
den jeweiligen Marktveränderungen zügig Rechnung tragen. Den Beginn einer konsequenten<br />
stufenweisen Modernisierung des deutschen Kapitalmarktrechtes markieren die <strong>Börse</strong>ngesetznovellen<br />
von 1986 und 1989. Damit wurde insbesondere die rechtliche Grundlage für die<br />
Errichtung der heutigen Eurex (früher: <strong>Deutsche</strong> Terminbörse) geschaffen sowie der <strong>Börse</strong>nbegriff<br />
für elektronische <strong>Börse</strong>n geöffnet.<br />
Daran schlossen sich ab 1990 bisher vier Finanzmarktförderungsgesetze an, deren erklärtes Ziel es<br />
war, die Attraktivität des deutschen Finanzplatzes zu fördern und die Rahmenbedingungen an internationale<br />
Standards anzugleichen. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war 1994 die Errichtung<br />
einer nationalen Wertpapierhandelsaufsicht mit dem Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel<br />
(BAWe) und die Einführung des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) mit umfassenden Kompetenzen<br />
zur Überwachung des deutschen Kapitalmarktes.<br />
Der Durchsetzung der Ziele Marktintegrität, Markttransparenz und Anlegerschutz dient folgendes<br />
Maßnahmenbündel: Verbot des Insiderhandels, dessen Einhaltung, flankiert von umfassenden<br />
Meldepflichten für Wertpapiergeschäfte, die neu geschaffene Bundesaufsicht überwacht. Die börsenzugelassenen<br />
Unternehmen sind seither verpflichtet, potenziell kursbeeinflussende Tatsachen als<br />
Ad-hoc-Meldung unverzüglich zu veröffentlichen, um so die Unternehmensereignisse für das Publikum<br />
transparenter zu machen und der Ausnutzung von Insiderwissen präventiv zu begegnen.<br />
Großaktionäre müssen die Stimmrechte, die sie an börsenzugelassenen Unternehmen halten, ab<br />
einer Schwelle von fünf Prozent veröffentlichen. Kreditinstitute haben im Verhältnis zu ihren Wertpapierkunden<br />
anlegerschützende Wohlverhaltensregeln einzuhalten, die insbesondere die Aufklärung<br />
über Risiken von Wertpapieranlagen und die Vermeidung bzw. Steuerung von Interessenkonflikten<br />
umfassen.<br />
Herzstück des im Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur<br />
Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften – Wertpapierdienstleistungs-,<br />
Kapitaladäquanz- und BCCI-Richtlinie – war die Einbeziehung der Finanzdienstleistungsinstitute –<br />
zusätzlich zu den Kreditinstituten – in die staatliche Finanzaufsicht. Durch die Überwachung des<br />
Wertpapierkundengeschäfts insbesondere der Anlagevermittler und Vermögensverwalter wurde der<br />
Anlegerschutz weiter intensiviert. In die Aufsicht einbezogen wurde außerdem das Geschäft mit<br />
Waren- und Devisenterminkontrakten.<br />
Im April 1998 kam das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz hinzu, das die Attraktivität des Standortes<br />
Deutschland insbesondere für Investmentfonds weiter verbesserte. Das Recht der Investmentgesellschaften<br />
wurde liberalisiert, der Handel in Terminmarktprodukten ermöglicht und Altersvorsorgefonds,<br />
Dachfonds sowie gemischte Wertpapier- und Immobilienfonds und Aktenindexfonds wurden<br />
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16 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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zugelassen. Damit wurden die investmentrechtlichen Vorschriften in Deutschland zu den fortschrittlichsten<br />
in Europa. Sie stellen einen leistungsfähigen Motor für die Investmentbranche dar und wurden<br />
auch von der Branche als positive Zeitenwende eingestuft.<br />
Im Bereich außerbörslicher öffentlicher Wertpapierangebote wurde der Anlegerschutz weiter optimiert.<br />
Als Sanktion für das Fehlen erforderlicher Prospektangaben kann seitdem die Veröffentlichung des<br />
Prospektes und damit das Angebot untersagt werden. Entsprechendes gilt für öffentliche Wertpapierangebote<br />
ohne vorherige Prospektveröffentlichung. Die gesetzlichen Neuerungen bewirkten eine<br />
Verbesserung der Prospektqualität und damit auch der Anlegerinformation.<br />
Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 1. Mai 1998<br />
modernisierte mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung der Kapitalmärkte und eine<br />
steigende Globalisierung der Aktionärsstrukturen die Bestimmungen zur Führung und Jahresabschlusserstellung<br />
von Kapitalgesellschaften. Ziel war es, im Interesse der Anteilseigner eine neue<br />
Leitungs- und Überwachungsstruktur im Sinne von Corporate Governance einzuführen und die Einflussmöglichkeiten<br />
der institutionellen Kontrollorgane auf die Kapitalgesellschaften zu stärken. Das<br />
Gesetz erweitert insbesondere die Pflichten der Geschäftsleitung im Bereich des Risikomanagements,<br />
die Pflichten und die Haftung der Abschlussprüfer. Es regelt den Prüferausschluss bei mangelnder<br />
wirtschaftlicher Neutralität zum Mandanten, die Beschränkung der Ausübung von Vollmachtsstimmrechten<br />
durch Kreditinstitute sowie die Abschaffung von Mehrfach- und Höchststimmrechten. Wer<br />
das deutsche Übernahmerecht kritisiert, sollte allerdings berücksichtigen, dass Deutschland einer<br />
derjenigen Industriestaaten ist, in denen faktisch das Prinzip „one share one vote“ gilt. Damit war ein<br />
wichtiger Schritt zur Verbesserung der Corporate Governance getan. Denn die Akzeptanz deutscher<br />
Unternehmen für Kapitalgeber, insbesondere institutionelle Investoren aus dem Ausland, hängt<br />
vielfach davon ab, ob diese ein System guter und verlässlicher Corporate Governance vorweisen<br />
können.<br />
Vervollständigt wird diese Entwicklung durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG)<br />
vom 26. Februar 2002. Damit wird der von einer Regierungskommission erarbeitete freiwillige<br />
deutsche Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen international und national anerkannter<br />
Verhaltensstandards enthält, um eine gesetzliche Verpflichtung nach dem Grundsatz „comply or explain“<br />
ergänzt. Vorstand und Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften müssen begründen, wenn und<br />
warum sie den Kodex nicht einhalten. Diese Regelung stärkt das Vertrauen der Anleger und der Öffentlichkeit<br />
in die Unternehmensleitung deutscher Aktiengesellschaften. Weitere Verbesserungen,<br />
insbesondere zum Anfechtungs- und Haftungsrecht, sind für die kommende Legislaturperiode geplant<br />
(siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Theodor Baums, S. 39 ff).<br />
Am 1. Januar 2002 ist das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) in Kraft getreten.<br />
Es schuf in Deutschland erstmals Rahmenbedingungen für Angebote zum Erwerb von Wertpapieren,<br />
Übernahmeangebote und Pflichtangebote und ein geordnetes und faires Verfahren. Erfasst werden<br />
als Zielgesellschaft inländische Unternehmen, deren Aktien an einer deutschen <strong>Börse</strong> oder einem<br />
organisierten Markt innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes zum Handel zugelassen sind.<br />
Die Regeln des WpÜG tragen den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen<br />
Rechnung und stärken den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch im internationalen<br />
Wettbewerb.<br />
Neben umfassenden und kontinuierlichen Reformen des materiellen Aufsichtsrechtes kam es in<br />
Deutschland zum 1. Mai 2002 zur Reform der Aufsichtsorganisation hin zu einer modernen Allfinanzaufsicht.<br />
Die drei Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, für das Versicherungswesen und<br />
den Wertpapierhandel wurden zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit Sitz<br />
in Bonn und Frankfurt am Main verschmolzen und so eine moderne, den steigenden Heraus-
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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forderungen gewachsene Aufsichtsstruktur geschaffen. Die Errichtung einer Allfinanzaufsicht erfolgt<br />
im Hinblick auf die zunehmende Verflechtung der Branchen zu Allfinanzkonzernen sowie die vermehrte<br />
Überschneidung von Produkt- und Vertriebsstrategien und folgt in ihrer Organisation internationalen<br />
Vorbildern. Die Finanzmarktaufsicht zählt mit zu den entscheidenden Standortfaktoren<br />
eines erfolgreichen Kapitalmarktes. Die organisatorische Neuausrichtung erhöht die Effizienz der<br />
Aufsicht und stärkt so die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland.<br />
1.2. Europäische Entwicklungen mit Auswirkungen auf den Finanzplatz Deutschland<br />
Viele der gesetzlichen Reformen am deutschen Kapitalmarkt gehen auf europäische Initiativen zurück,<br />
wie die Insiderrichtlinie von 1989, die Transparenzrichtlinie von 1988 und die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie<br />
von 1993. Letztere stellt gewissermaßen die Verfassung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen<br />
dar. Mit ihr wurde die grenzüberschreitende Erbringung von Wertpapierdienstleistungen<br />
Realität ebenso wie die Möglichkeit für <strong>Börse</strong>n, Fernmitglieder elektronisch anzubinden. Für<br />
die Wohlverhaltensregeln, die gegenüber Anlegern einzuhalten sind, gab sie erste wichtige Impulse.<br />
Mit dem Ziel, einen harmonisierten europäischen Finanzmarkt zu schaffen, werden derzeit europäische<br />
Vorgaben in vielfältigen Bereichen erarbeitet. Diese Entwicklung wird maßgeblich beeinflusst durch<br />
den von der EU-Kommission vorgelegten „Aktionsplan Finanzdienstleistungen“. Im Juni 2002 legte<br />
die Europäische Kommission den Sechsten Fortschrittsbericht zum Aktionsplan für Finanzdienstleistungen<br />
vor. Dieser Bericht ist besonders bedeutsam, weil die Umsetzungsfrist für den Aktionsplan<br />
nunmehr zur Hälfte abgelaufen ist. Um die ehrgeizigen Ziele des Aktionsplans zu erreichen, muss<br />
entschlossen agiert werden. Die Umfeldbedingungen dafür sind grundsätzlich günstig. Zwar sind die<br />
Herausforderungen dadurch nicht weniger geworden – im Gegenteil, die Fälle Enron und Worldcom<br />
haben ein neues Betätigungsfeld für die Europäische Union eröffnet. Aber das Bewusstsein, dass<br />
auf wichtige Fragen eine europäische Antwort notwendig ist, ist gewachsen. Die Tatsache, dass der<br />
Nutzen des Binnenmarktes allen Bürgern zu Gute kommen wird, indem Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszuwachs<br />
und nachhaltiger Wohlstand gefördert werden, etabliert sich im Bewusstsein<br />
der Öffentlichkeit. Allerdings sind große Kraftanstrengungen erforderlich, um die Aktionsplanmaßnahmen<br />
annähernd zeitgerecht umzusetzen.<br />
Ein wesentliches Element für eine zeitgerechte Verabschiedung und Umsetzung der einzelnen Maßnahmen<br />
ist die von der Gruppe der Weisen unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy vorgeschlagene<br />
Nutzung des Komitologieverfahrens (siehe Schaubild auf Seite 18). Dabei werden im Verfahren der<br />
Mitentscheidung von Parlament und Rat nur die wesentlichen Grundsätze in so genannten Rahmenrichtlinien<br />
festgelegt. Die Details werden in einer zweiten Stufe in so genannten Durchführungsmaßnahmen<br />
festgelegt. An der Entscheidungsfindung auf dieser zweiten Stufe sind neben der Kommission<br />
zwei neu geschaffene europäische Ausschüsse beteiligt, der Wertpapierausschuss (Securities Committee)<br />
und der Ausschuss der Wertpapierregulierungsbehörden (CESR für Committee of European<br />
Securities Regulators). CESR bündelt den Sachverstand und die Marktnähe der europäischen Aufsichtsbehörden.<br />
Auf der Grundlage von Mandaten stellt CESR der EU Kommission technischen Rat<br />
für Durchführungsmaßnahmen zur Verfügung. Bei der Erarbeitung dieser Ratschläge ist CESR<br />
verpflichtet, eng mit den Marktteilnehmern zusammenzuarbeiten. CESR hat diese Verpflichtung in<br />
Konsultationsgrundsätzen umgesetzt. Eine hochrangig besetzte Gruppe von Marktteilnehmern steht<br />
CESR über die Arbeiten an konkreten Mandaten hinaus in grundsätzlichen Fragen beratend zur Seite.<br />
Dieses Verfahren beschleunigt die Finanzmarktregulierung und Harmonisierung auf europäischer<br />
Ebene. Die Gemeinschaft kann schneller, effizienter und flexibler auf Veränderungen des Marktes<br />
reagieren und die Bedürfnisse der Marktteilnehmer angemessen berücksichtigen. Damit sind alle<br />
Marktteilnehmer angesprochen, also nicht nur die professionellen Marktteilnehmer und die Anbieter<br />
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18 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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von Wertpapierdienstleistungen, sondern auch Privatanleger. Für die Verbände der Dienstleistungsunternehmen<br />
und Emittenten bedeuten die neuen Rechtssetzungsstrukturen eine grundsätzlich<br />
andere Arbeitsweise. Viele Regelungen, die bisher national zu treffen waren, werden zukünftig auf<br />
europäischer Ebene formuliert. Wesentliche Teile der Diskussionen müssen jetzt auf europäischer<br />
Ebene stattfinden.<br />
Das laufende Arbeitsprogramm der Europäischen Union allein in dem Bereich Finanzdienstleistungen<br />
ist außerordentlich ehrgeizig. Praktisch die gesamte Regelungsmaterie steht auf dem Prüfstand.<br />
So wird beispielsweise derzeit die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993 überarbeitet mit<br />
dem Ziel einer Neuausrichtung, die sie den geänderten Marktbedingungen anpasst. Die Modifizierung<br />
der Prospektrichtlinie hat das Ziel, den Emittenten von Wertpapieren die gleiche Freiheit bei ihren<br />
grenzüberschreitenden Aktivitäten zu gewährleisten, wie sie für <strong>Börse</strong>n und Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />
bereits durch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie eingeführt wurde. Die Marktmissbrauchsrichtlinie<br />
stellt die erste umfassende Regelung des Bereichs Marktmissbrauch durch Insiderhandel<br />
oder Marktmanipulation auf europäischer Ebene dar. Ein Teilbereich – Insiderhandel – ist zwar<br />
schon geregelt. Das Fehlen einer umfassenden Regelung führte aber zu erheblichen Aufsichtslücken<br />
auf europäischer Ebene. Die laufende Transparenz börsennotierter Unternehmen ebenso wie die<br />
Fragen der Wertpapierabrechnung und -abwicklung sind Gegenstand von Mitteilungen der Kommission.<br />
Hier sind Richtlinienentwürfe in absehbarer Zeit zu erwarten.<br />
Beschleunigung des EU-Gesetzgebungsverfahrens (Lamfalussy-Verfahren)<br />
Regulierungsintensität<br />
Level 1 Level 2<br />
Level 3 Level 4<br />
Kommission veröffentlicht<br />
nach Konsultation mit<br />
Marktteilnehmern den<br />
Entwurf für eine Richtlinie<br />
Rat der EU und Parlament<br />
erzielen Einigung über<br />
Basisrechtsakt<br />
Kommission bittet<br />
CESR um Rat<br />
(Komitologieverfahren)<br />
CESR bereitet technische<br />
Durchführungsbestimmungen<br />
nach Konsultation mit<br />
Marktteilnehmern vor<br />
Kommission fertigt Entwurf<br />
der Regelung an<br />
ESC stimmt innerhalb von<br />
drei Monaten über Entwurf<br />
ab und Kommission verabschiedet<br />
die Bestimmungen<br />
CESR sorgt für eine<br />
konsistente Umsetzung<br />
und Anwendung<br />
Kommission überprüft die<br />
Einhaltung durch die Mitgliedstaaten<br />
und ergreift<br />
ggf. Zwangsmaßnahmen
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2. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz – verbesserte Regeln für eine<br />
effizientere Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
Die bisher jüngste Reform des deutschen Kapitalmarktrechts erfolgte mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft<br />
getretenen Vierten Finanzmarktförderungsgesetz – einem umfangreichen Maßnahmenpaket, mit dem<br />
Anlegerschutz und Marktintegrität weiter verbessert sowie höhere Transparenzanforderungen eingeführt<br />
wurden (siehe Schaubild auf Seite 21). Gleichzeitig wurden die Handlungsmöglichkeiten der Markteilnehmer<br />
erweitert und flexibilisiert sowie Lücken im Abwehrsystem gegen Geldwäsche<br />
geschlossen.<br />
2.1. Neuregelung der Kurs- und Marktpreismanipulation<br />
Ein Eckpfeiler des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes ist die Neuregelung des Verbots der Kursund<br />
Marktpreismanipulation. Das gesetzliche Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation zielt<br />
darauf ab, die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an <strong>Börse</strong>n und Märkten sicherzustellen.<br />
Des Weiteren wurde ein effektives Aufsichtsinstrumentarium eingerichtet, und zwar durch die Übertragung<br />
der Verfolgungszuständigkeit auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als<br />
bundesweit zentral zuständiger Überwachungsbehörde. Damit wird bereits die Entwicklung auf<br />
europäischer Ebene berücksichtigt.<br />
2.2. Verbesserte Transparenz bei der Ad-hoc-Publizität<br />
Einen maßgeblichen Beitrag zur Markttransparenz leistet die Ad-hoc-Publizität. Zur wirksamen<br />
Bekämpfung von Missständen werden börsenzugelassene Unternehmen jetzt ausdrücklich zur Berichtigung<br />
falscher Angaben sowie zur Benutzung einheitlicher Unternehmenskennzahlen verpflichtet.<br />
Damit sollen Aussagen historisch vergleichbar gemacht werden.<br />
Eine neue eigenständige Schadenersatzgrundlage für geprellte Anleger, die durch eine unterlassene,<br />
verspätete oder unrichtige Ad-hoc-Meldung geschädigt wurden, trägt entscheidend zur Verbesserung<br />
des Anlegerindividualschutzes bei. Der Gedanke einer Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktkommunikation<br />
wurde hier erstmals umgesetzt.<br />
2.3. Veröffentlichung von Geschäften von Unternehmensinsidern (Directors’ Dealings)<br />
Die Transparenz des Marktgeschehens wird erheblich auch durch die unverzügliche Veröffentlichung<br />
der Geschäfte von Primärinsidern in Aktien des Unternehmens gesteigert. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />
hatte im März 2001 für ihr Handelssegment Neuer Markt eine solche Meldepflicht eingeführt. Diese<br />
Meldepflicht wird nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und auf Geschäfte in allen börsenzugelassenen<br />
Aktien und aktienbezogenen Wertpapieren erweitert.<br />
2.4. Wohlverhaltensregeln für Finanzanalysten<br />
Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Finanzanalysen erstellen und veröffentlichen, haben<br />
zum Schutz der Anleger diese künftig mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit<br />
zu erstellen. Mögliche Interessenkonflikte sind offen zu legen. Die Regeln erweitern die<br />
bereits geltenden Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen.<br />
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20 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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2.5. Gesetzliche Regelung für das Aufstellen von Handelsbildschirmen ausländischer <strong>Börse</strong>n am<br />
Finanzstandort Deutschland<br />
Organisierte Märkte außerhalb der Europäischen Union, die Handelsteilnehmern in Deutschland<br />
über ein elektronisches Handelssystem einen unmittelbaren Marktzugang gewähren, bedürfen seit<br />
1. Juli 2002 einer Erlaubnis der BaFin. Mit der Einführung eines Genehmigungserfordernisses wird<br />
eine Lücke im Anlegerschutzsystem geschlossen sowie die Rechtslage in Deutschland an die internationale<br />
Praxis angepasst. Im Ausland ist das Aufstellen von Handelsbildschirmen bereits seit vielen<br />
Jahren genehmigungsbedürftig und an bestimmte Voraussetzungen gebunden.<br />
In Deutschland dürfen künftig nur solche ausländische <strong>Börse</strong>n ihre Handelsbildschirme aufstellen,<br />
die einer dem deutschen Recht vergleichbaren Überwachung unterliegen und deren Aufsichtsbehörden<br />
mit der BaFin kooperieren. <strong>Deutsche</strong> Marktteilnehmer, die als „remote member“ am Handel solcher<br />
ausländischen Märkte teilnehmen wollen, werden dadurch besser geschützt. Außerdem wird sichergestellt,<br />
dass in Marktmissbrauchsfällen international kooperiert werden kann. Für ausländische<br />
organisierte Märkte aus Staaten der europäischen Union bzw. des europäischen Wirtschaftsraumes<br />
gilt eine Anzeigepflicht.<br />
2.6. Weitere Liberalisierung des Investmentrechts<br />
Investmentfonds optimal im Interesse der Anleger zu verwalten und deutsche Kapitalanlagegesellschaften<br />
(K<strong>AG</strong>) im zunehmenden internationalen Wettbewerb der Investmentgesellschaften nicht zu<br />
benachteiligen sind Ziele aller Finanzmarktförderungsgesetze. Die 1998 erreichte Liberalisierung<br />
beim Einsatz derivativer Instrumente ergänzt das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz nun, indem es<br />
weitere Vorteile für den Anleger schafft und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Investmentprodukte<br />
auf den in- und ausländischen Märkten stärkt. Die Stärkung der Wettbewerbsposition des Investmentfondsplatzes<br />
Deutschland wirkt auch der Tendenz entgegen, Teile der deutschen Investmentindustrie<br />
an Plätze mit niedrigeren aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu verlagern.<br />
Liberalisierungsmaßnahmen müssen jedoch stets in Balance stehen mit einem angemessenen Aufsichtsniveau.<br />
Auch die „Vorwarnfrist“ von 13 Monaten bis zum Wirksamwerden einer Anhebung der<br />
Vergütung für das Fondsmanagement verdient Beachtung. Einen wichtigen Akzent auf dem Feld des<br />
Ausbaus des Anlegerschutzes setzt die Ermächtigung der BaFin, Wohlverhaltensregeln für Investmentgesellschaften<br />
in Anlehnung an die §§ 31 ff. WpHG einzuführen, um Interessenkonflikte aufzulösen<br />
und entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen. Dieses Gleichgewicht ist bei allen Novellierungen<br />
des Investmentfondsrechts stets im Auge behalten worden.<br />
2.6.1. Neue Geschäftsmöglichkeiten<br />
Eine Kapitalanlagegesellschaft (K<strong>AG</strong>) darf seit 1. Juli 2002 die Beratung Dritter als Nebentätigkeit<br />
anbieten. Dies ermöglicht es der K<strong>AG</strong>, Spezialwissen aufzubauen, das zur Gewinnerzielung auf<br />
bestimmten Märkten eingesetzt werden kann. Ein so erworbener Wissenszuwachs kommt den von<br />
der K<strong>AG</strong> aufgelegten Sondervermögen und damit den Anteilsinhabern unmittelbar zugute. Mittelbare<br />
Vorteile entstehen für Anleger dadurch, dass entsprechende Beratungseinnahmen die Gesamtkosten<br />
für den Aufbau und die Bereithaltung dieses Spezialwissens verringern.
Wesentliche Reformen im Rahmen<br />
des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes<br />
Mehr Wahlfreiheit für<br />
Emittenten, Intermediäre<br />
und regulierte Märkte<br />
Verbesserter Anlegerschutz<br />
durch erhöhte<br />
Marktintegrität<br />
Markttransparenz<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Eine K<strong>AG</strong> darf künftig auch Anteilsscheine anderer Investmentgesellschaften vertreiben. Dadurch<br />
kann die K<strong>AG</strong> ihre Angebotspalette erheblich erweitern, wovon vor allem die kleineren und mittleren<br />
Gesellschaften profitieren, die auf Grund der eigenen engen Fondspalette bisher im Wettbewerb benachteiligt<br />
waren. Die dadurch angestoßene Intensivierung des Wettbewerbs wird angebotene Fonds<br />
besser vergleichbar machen und somit letztlich dem Anleger zugute kommen.<br />
2.6.2. Erweiterte Anlagemöglichkeiten für Sondervermögen<br />
Nachdem das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz Aktienindexfonds eingeführt hatte, ist es nun auch<br />
möglich, Investmentfonds aufzulegen, die einen allgemein anerkannten Wertpapierindex nachbilden.<br />
Damit werden auch Rentenindexfonds ermöglicht. Zur Wahrung des Anlegerinteresses muss der Wertpapierindex<br />
von der Bundesanstalt anerkannt werden.<br />
Weitreichende Vorteile für die Anleger ergeben sich auch im Bereich der offenen Immobilienfonds,<br />
einem Fondsprodukt, das weltweit seinesgleichen sucht. Hier verfügt die deutsche Fondsindustrie<br />
im internationalen Vergleich über einen großen Know-how-Vorsprung. Diese erhalten erheblich erweiterte<br />
Anlagemöglichkeiten durch Wegfall der 20-Prozent-Grenze für außerhalb der EWR-Staaten<br />
gelegene Grundstücke. Auch kann der Anteil an Grundstücksgesellschaften bis zu 49 Prozent des<br />
Wertes der Immobilienfonds betragen. Bis zu 20 Prozent des Fondsvermögens dürfen in erbaurechtsähnliche<br />
Rechte investiert werden, was den Zugang zu Immobilienwerten in anderen Rechtsordnungen<br />
erleichtert.<br />
2.6.3. Wettbewerbsfähigkeit<br />
Modernisierung des <strong>Börse</strong>ngesetzes<br />
Gleichbehandlung Parkett – elektronischer Handel<br />
Qualitätssegmente auf Basis der <strong>Börse</strong>nordnung<br />
Anpassung des Wertpapierhandelsgesetzes<br />
Meldepflicht für Directors’ Dealings<br />
Sanktionen bei Kursmanipulation<br />
Ad-hoc-Publizität: Standardisierung, Schadensersatz<br />
Ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa ist die Einführung von Anteilsklassen<br />
und Rücknahmeabschlägen. So können für ein und dasselbe Sondervermögen ausschüttende<br />
und thesaurierende Anteile ausgegeben werden oder Anteile, für die unterschiedliche Ausgabeaufschläge,<br />
Rücknahmeabschläge oder unterschiedliche Verwaltungsvergütungen berechnet werden.<br />
Die Möglichkeit der Begründung verschiedener Rechte führt dazu, dass im Verhältnis zur bisherigen<br />
Rechtslage eine geringere Zahl von Sondervermögen aufgelegt werden muss. Dies reduziert die mit der<br />
Auflegung eines Sondervermögens verbundenen administrativen Kosten. Rücknahmeabschläge können<br />
auch abhängig von der Dauer des Anteilsbesitzes fallend bis auf Null gestaffelt werden, sodass derjenige,<br />
der seinen Anteil nur kurzfristig hält, einen höheren Rücknahmeabschlag zu zahlen hat als<br />
derjenige, der den Anteil langfristig hält.<br />
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22 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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2.7. Anpassung der Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche an internationale Standards<br />
Die internationale Reputation Deutschlands fördert auch die im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz<br />
erfolgte weitere Anpassung der deutschen Geldwäscheregeln an internationale Standards der Financial<br />
Action Task Force (FATF) und des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht.<br />
Vorrangiges Ziel war es hierbei, die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern. Intransparente globale<br />
Kapitalflüsse und Finanztransaktionen mit krimineller Herkunft können das nationale und internationale<br />
Wirtschaftssystem destabilisieren und müssen daher mit geeigneten Maßnahmen bekämpft<br />
werden. Geldwäsche birgt immense Gefahren für die Reputation und das Image der einzelnen Institute<br />
ebenso wie des jeweiligen Finanzplatzes. Ebenso besteht das Risiko materieller Schäden. Um diesen<br />
Gefahren aufsichtsrechtlich Rechnung zu tragen, konzentriert sich die Bankenaufsicht im Zuge eines<br />
risikoorientierten Vorgehens – neben der klassischen Solvenzaufsicht – zunehmend auch auf Fragen<br />
des Missbrauchs von Instituten durch kriminelle Aktivitäten, insbesondere durch Geldwäsche und<br />
betrügerische Handlungen zu Lasten der Institute.<br />
2.7.1. Schließung von Lücken im Abwehrsystem gegen Geldwäsche und Terrorismus<br />
Mit den neu aufgenommenen ergänzenden Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der<br />
Terrorismusfinanzierung werden Lücken im gesetzlichen Abwehrinstrumentarium gegen Geldwäsche<br />
sowie bei der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus geschlossen. Zugleich wird das existierende<br />
Geldwäschebekämpfungsregime durch weitere neue Maßnahmen fortgeschrieben.<br />
2.7.2. Automatisiertes Kundenkonten-Online-Abrufverfahren<br />
Insbesondere mit dem automatisierten Konten-Online-Abrufverfahren steht nun ein neues Instrument<br />
zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zur Verfügung. Danach hat jedes<br />
Kreditinstitut eine zentrale Datei mit allen von ihm in Deutschland geführten Konten und Depots zu<br />
führen, in der unverzüglich Daten, wie die Nummer eines Kontos, der Name des Kontoinhabers und<br />
der Verfügungsberechtigten sowie der Name und die Adresse eines abweichenden wirtschaftlich<br />
Berechtigten zu speichern sind. Die BaFin ist berechtigt, einzelne Daten aus diesen Dateien automatisiert<br />
zentral abzurufen und kann so in kürzester Zeit feststellen, ob und ggf. bei welchem Institut<br />
eine bestimmte Person in Deutschland ein Konto oder Depot unterhält.<br />
Dieses zum 1. April 2003 in Kraft tretende Konten-Online-Abrufverfahren ermöglicht es, Geldströme,<br />
die dem Terrorismus und der Geldwäsche dienen, schnell sichtbar zu machen, und erleichtert die<br />
Verfolgung unerlaubt betriebener Bankgeschäfte sowie des Schattenbankenwesens. Die bisher jeweils<br />
erforderliche aufwändige Anfrage bei ca. 2.700 Instituten entfällt damit zukünftig.<br />
2.8. Verpflichtung der Institute auf adäquate interne Sicherungssysteme<br />
In Umsetzung der international gültigen Standards des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht sind<br />
die Institute nun durch § 25 a Abs. 1 Nr. 4 KWG explizit verpflichtet, adäquate interne Sicherungssysteme<br />
gegen Geldwäsche sowie gegen Finanzbetrug zu schaffen, auch und gerade im Massengeschäft<br />
unter Einsatz von EDV. Dadurch ist es möglich, Geschäftsbeziehungen nach Risikogruppen<br />
und Auffälligkeiten zu überprüfen und die Kunden bei bestimmten vertragsbezogenen Finanzdienstleistungen<br />
zu identifizieren.
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Bei derartigen „Research-Systemen“ handelt es sich um einen wesentlichen Bestandteil des so genannten<br />
„Know-your-customer“-Prinzips. Ohne sorgfältige Anwendung dieses Prinzips können Banken<br />
operationellen Risiken sowie Rechts- und Reputationsrisiken ausgesetzt sein, die erhebliche Schäden<br />
nicht nur für das einzelne Institut, sondern auch für die Stabilität eines Finanzplatzes insgesamt<br />
nach sich ziehen können.<br />
2.9. Verschärfung der Anteilseignerkontrolle<br />
Ein stabiler Finanzmarkt muss auf Solidität und Integrität der Akteure bauen können. Die Regeln der<br />
Anteilseigner- bzw. Aktionärskontrolle bilden hier einen wesentlichen Baustein. Die Vorschriften zur<br />
Anteilseignerkontrolle wurden weiter verschärft, um schädigende Einflüsse von unseriösen Anteilseignern<br />
abzuwehren, allerdings nur soweit nach dem Schutzzweck der Aufsichtsgesetze zumutbar.<br />
Dabei wurden die Regeln für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie für Versicherungsunternehmen<br />
grundlegend novelliert und inhaltlich weitgehend harmonisiert, sodass der Erwerber<br />
bedeutender Beteiligungen jeweils mit gleichen Rechtsregeln konfrontiert wird. Der Kreis der in die<br />
Aufsicht einbezogenen Unternehmen wurde um die Kreditkartenemittenten erweitert.<br />
Der Inhaber einer wesentlichen Beteiligung gilt jetzt „im Zweifel“ bereits dann als unzuverlässig,<br />
wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Mittel für den Erwerb der Beteiligung aus einer<br />
Tat stammen, die objektiv einen Straftatbestand erfüllt. Die Regelung bewirkt eine Umkehr der materiellen<br />
Beweislast im Interesse der Bekämpfung der internationalen Geldwäsche, d.h. der Anteilseigner<br />
muss im Zweifelsfalle seine Finanzierungsquelle nachweisen.<br />
3. Neuorganisation der Finanzdienstleistungsaufsicht in Deutschland – die<br />
Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)<br />
3.1. Aufsicht als Standortfaktor<br />
Eine effiziente Finanzmarktaufsicht, die internationalen Standards entspricht, schafft Glaubwürdigkeit<br />
und Vertrauen bei Investoren und Marktteilnehmern. Anlegerschutz, Versichertenschutz sowie Sicherstellung<br />
der Solvenz der Institute sind tragende Prinzipien des modernen Aufsichtsrechts. Eine<br />
wirksame Aufsicht trägt insbesondere zu Stabilität und Leistungsfähigkeit des Finanzsektors bei. Im<br />
internationalen Wettbewerb ist die Finanzmarktaufsicht ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor.<br />
3.2. Die Strukturreform der Aufsicht in Deutschland<br />
Auch in Deutschland bildet sich ein integrierter Finanzmarkt heraus, indem sich Allfinanzstrategien<br />
entwickeln und zunehmend Allfinanzprodukte vermarktet werden. Unternehmen eines Sektors dringen<br />
in das Kerngeschäft anderer Sektoren ein, um den ganzheitlichen Bedarf der Kundschaft aus einer<br />
Hand zu decken. Zunehmende Konvergenz der Produkte und Vertriebswege von Banken, Investmentgesellschaften,<br />
Wertpapierhäusern und Versicherungen und immer mehr Schnittstellen der einzelnen<br />
Produkte führen dazu, dass die Grenzen der Produkte verschwimmen. Der europäische Binnenmarkt<br />
wird in diesem Konvergenzprozess als Katalysator wirken.<br />
Vor dem Hintergrund tief greifender Veränderungen an den Finanzmärkten und deren Auswirkungen<br />
auf die materielle Aufsicht wurde als Zukunftsmaßnahme eine neue institutionelle Struktur der Aufsichtsorgane<br />
geschaffen. Die Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen<br />
23
24 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
und den Wertpapierhandel wurden zusammengeführt und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
errichtet. Dadurch werden die Aufsichtsziele Solvenzaufsicht, Marktaufsicht und Kundenschutz<br />
in einem integriertem Aufsichtskonzept vereint. Eine Aufsicht aus einem Guss trägt den<br />
gestiegenen Anforderungen besser Rechnung, die mit der zunehmenden Dynamik und Komplexität<br />
des Finanzdienstleistungsbereichs verbunden sind. Die bisher zersplitterte Aufsichtsstruktur wird zu<br />
einer zeitgemäßen integrierten Aufsicht, die den gesamten Finanzmarkt umfasst, wettbewerbsneutral<br />
und stärker kapitalmarktorientiert agiert.<br />
Die Allfinanzaufsicht ist in der Lage, auf die dynamischen Veränderungen und die branchenübergreifende<br />
Neuzusammensetzung der Märkte angemessen zu reagieren. Sie ist ein wichtiger Baustein<br />
zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland und verbessert die Wettbewerbsfähigkeit<br />
insbesondere im europäischen Konzert. In internationalen Gremien erhält die konsolidierte<br />
deutsche Allfinanzaufsicht mehr Gewicht mit der Folge, dass sich deutsche Interessen international<br />
besser durchsetzen lassen. Die Marktteilnehmer erhalten einen zentralen Ansprechpartner, sodass<br />
sich für sie der Zeit- und Koordinierungsaufwand im Kontakt mit der Aufsicht reduziert.<br />
3.3. Strukturreformen in anderen Staaten als Vorbild<br />
In Großbritannien, den skandinavischen Ländern, in Japan, Korea und Australien bestehen bereits<br />
sektorübergreifende Aufsichtsbehörden. In diese Richtung gehen auch Irland und Österreich. Wichtige<br />
Impulse für die Neuorientierung der Aufsicht gingen, insbesondere von der Umstrukturierung des<br />
Aufsichtssystems in Großbritannien aus. Hier spielten die gleichen Überlegungen eine Rolle, die auch<br />
die Reformpläne in Deutschland maßgeblich beeinflusst haben. Allerdings ist der deutsche Weg keine<br />
Kopie des britischen Ansatzes. Aufgrund der politischen und der finanzmarkthistorischen Gegebenheiten<br />
hat man in Deutschland keinen „single regulator“ im Sinne einer alle Sektoren umfassenden<br />
Aufsichtsinstanz geschaffen. Die <strong>Börse</strong>naufsicht durch die entsprechenden Aufsichtsbehörden der<br />
Länder sowie die Landesaufsicht über regionale Versicherungen bestehen fort. Duale Strukturen<br />
bestehen auch insoweit, als der Bundesbank weiter eine wichtige Rolle in der Bankenaufsicht zu<br />
gewiesen wird.<br />
3.4. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
Die BaFin wurde als selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet. Als Anstalt und der<br />
damit verbundenen Lösung vom Bundeshaushalt gewinnt die BaFin mehr Unabhängigkeit in budgetären,<br />
organisationsrechtlichen und personellen Fragen, was auch auf den operativen Bereich<br />
durchschlägt. Sie finanziert sich durch Gebühren sowie eine Umlage der Aufsichtskosten auf die<br />
beaufsichtigten Institute und Versicherungsunternehmen. Die bisherige zehnprozentige Finanzierung<br />
über den Bundeshaushalt wurde zugunsten einer vollständigen Finanzierung durch die beaufsichtigten<br />
Marktteilnehmer ersetzt. Die Kontrolle der Ausgaben erfolgt über einen Verwaltungsrat, dem Vertreter<br />
der Marktteilnehmer, des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages sowie verschiedener Bundesministerien angehören.<br />
Daneben besteht die Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen.<br />
Das Aufsichtsrecht und die Aufsichtsaufgaben in den Bereichen Kreditwesen, Versicherungswesen<br />
und Wertpapierhandel bleiben bestehen und werden von den entsprechenden drei Sektoren innerhalb<br />
der BaFin wahrgenommen. So kontrolliert der Sektor Bankenaufsicht weiterhin die Einhaltung der<br />
Solvenzvorschriften, ausreichende Eigenkapitalausstattung und Risikomanagementsysteme der<br />
Institute. In vergleichbarer Weise führt der Sektor Versicherungsaufsicht die Überwachung der Versicherungsunternehmen<br />
fort. Der Sektor Wertpapieraufsicht/Asset Management überwacht den Handel<br />
in Wertpapieren und Derivaten mit den Kernbereichen Insiderverfolgung, Transparenz, wie z.B.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Ad-hoc-Publizität sowie Unternehmensübernahmen. In drei sektorübergreifenden Querschnittsabteilungen<br />
erfolgt die Aufsicht über Finanzkonglomerate, die Bekämpfung der Geldwäsche, die Koordinierung<br />
der internationalen Zusammenarbeit und die Fortentwicklung des Verbraucherschutzes<br />
sowie die Bearbeitung von Verbraucherbeschwerden im Finanzdienstleistungsbereich.<br />
Die organisatorische Neuausrichtung stärkt die Effizienz der Aufsicht und führt zu Synergieeffekten,<br />
vor allem bei übergreifenden Querschnittsaufgaben. Aber auch der bisher notwendige Datenaustausch<br />
zwischen den Behörden entfällt. Die Zusammenarbeit mit der <strong>Deutsche</strong>n Bundesbank, insbesondere<br />
deren Einbindung in die laufende Überwachung wurde im Zuge der Errichtung der deutschen Allfinanzaufsicht<br />
erstmals gesetzlich konkret gefasst. Die Bundesbank bleibt in den Informationsfluss<br />
über die finanzielle Situation der Kreditinstitute eingebunden. Die starke Beteiligung der regionalen<br />
Komponente der Bundesbank an der laufenden Aufsicht garantiert wie bisher die Nähe der Aufsicht<br />
zu den geschäftlichen Aktivitäten der Banken in ihren lokalen Märkten.<br />
4. Ziele der Aufsicht: Anlegervertrauen und Marktintegrität<br />
Ein funktionsfähiger Finanzmarkt setzt voraus, dass die Marktteilnehmer auf seine Integrität vertrauen<br />
können. Vertrauen wiederum kann sich ohne Fairness und Transparenz nicht entwickeln. Zur Transparenz<br />
gehören auch Klarheit und Verlässlichkeit der am Markt verfügbaren Informationen. Die Finanzaufsicht<br />
leistet mit ihrer Präsenz am Kapitalmarkt ihren Beitrag. Die Investoren können sich darauf<br />
verlassen, dass die Spielregeln nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ihre Einhaltung auch<br />
durchgesetzt werden.<br />
4.1. Verbesserte Markttransparenz: Ad-hoc-Publizität<br />
Die Regeln zur Ad-hoc-Publizität spielen eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Transparenz am<br />
Markt. Wie bereits skizziert wurden sie durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz weiter konkretisiert.<br />
Werden Unternehmenskennzahlen veröffentlicht, müssen sie üblich sein und keine Eigenschöpfungen<br />
des Emittenten darstellen sowie einen Vergleich mit den zuletzt genannten Kennzahlen<br />
ermöglichen. Dadurch wird unterbunden, dass Emittenten mittels Fantasiekennzahlen oder den<br />
Wechsel der von ihnen benutzten Kennzahlen negative Entwicklungen verschleiern.<br />
Darüber hinaus werden der Missbrauch von Ad-hoc-Mitteilungen zu Werbezwecken und die Veröffentlichung<br />
falscher Angaben erschwert. Die Ad-hoc-Publizität trägt dazu bei, dass Marktteilnehmer<br />
frühzeitig über marktrelevante Informationen verfügen, damit sie sachgerechte Anlageentscheidungen<br />
treffen können. Dieses Transparenzziel verfehlt die Ad-hoc-Publizität aber, wenn eine Flut von<br />
gänzlich oder zum Teil unnötigen Veröffentlichungen es dem durchschnittlichen Anleger unmöglich<br />
macht, die wirklich kursrelevanten Informationen zu erkennen. Deshalb wird die Veröffentlichung<br />
offensichtlich überflüssiger Ad-hoc-Mitteilungen künftig unterbunden. Zusätzlich wird dem Emittenten<br />
auferlegt, unrichtige Inhalte einer Ad-hoc-Mitteilung unverzüglich zu berichtigen.<br />
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26 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
4.1.1. Intensive Kontrolle des Publizitätsverhaltens börsenzugelassener Unternehmen<br />
Im Rahmen ihrer Aufgaben kontrolliert die BaFin laufend das Publizitätsverhalten der börsennotierten<br />
Emittenten und verfolgt insbesondere die unterlassene, verspätete oder unrichtige Veröffentlichung<br />
kursbeeinflussender ad-hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen. Die Befugnisse hierzu wurden durch<br />
das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz erweitert. Die Durchsetzungskraft von Maßnahmen der Aufsicht<br />
bei der Verfolgung von fehlerhaftem oder gar missbräuchlichem Publizitätsverhalten wird verbessert.<br />
Dadurch erhöhen sich im Interesse der Kapitalmarktteilnehmer auch die Aussagekraft und<br />
der Informationsgehalt von Ad-hoc-Mitteilungen. Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht stellen<br />
Ordnungswidrigkeiten dar, die von der BaFin bei vorsätzlichem oder leichtfertigem Handeln der<br />
Emittenten mit einer Geldbuße bis zu 1,5 Mio. € geahndet werden können.<br />
Die BaFin wirkt außerdem Missständen entgegen, die die ordnungsmäßige Durchführung des Wertpapierhandels<br />
beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können,<br />
und trifft die hierzu notwendigen Anordnungen.<br />
4.1.2. Schadensersatzanspruch bei fehlerhaften Ad-hoc-Veröffentlichungen<br />
Anleger profitieren von einer neu geschaffenen Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche auf<br />
Grund von verspäteten, unterlassenen oder unrichtigen Veröffentlichungen potenziell kursbeeinflussender<br />
Tatsachen durch börsennotierte Unternehmen. Das Publizitätsverhalten mancher Emittenten<br />
wies in der Vergangenheit insoweit starke Mängel auf und Anleger waren nur unzureichend geschützt.<br />
Schadensersatzansprüche können aber nicht schrankenlos bestehen, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />
eines Unternehmens zu überfordern und letztlich das Interesse der Anleger als Anteilseigner<br />
eines Unternehmens zu beeinträchtigen. Geschützt wird deshalb nur derjenige Anleger, der<br />
Wertpapiergeschäfte im Vertrauen auf ein ordnungsgemäßes Publizitätsverhalten der Emittenten<br />
börsenzugelassener Wertpapiere abschließt und auf Grund fehlerhafter Publizität einen Schaden<br />
erleidet.<br />
Als nächster Schritt wird gegenwärtig in der rechtspolitischen Diskussion die Einführung einer persönlichen<br />
Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten erörtert, die für grob fahrlässige Falschinformationen<br />
verantwortlich sind.<br />
4.2. Verbesserte Transparenz durch zentrale Veröffentlichung von Directors’ Dealings auf der<br />
Internetseite der BaFin<br />
Seit 1. Juli 2002 müssen Geschäfte von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter<br />
Gesellschaften und ihrer Ehepartner, eingetragenen Lebenspartner und Verwandten ersten Grades in<br />
Wertpapieren der eigenen Gesellschaft gegenüber dem Emittenten und der BaFin unverzüglich mitgeteilt<br />
und vom Emittenten veröffentlicht werden. Die Kenntnis solcher Geschäfte ist für den Markt<br />
wertvoll, da sie Anhaltspunkte für die Einschätzung der weiteren Geschäftsaussichten durch die<br />
Unternehmensleitung geben. Außerdem leistet die unverzügliche Veröffentlichung dieser Geschäfte<br />
einen wichtigen Beitrag zur präventiven Vermeidung von Insidergeschäften.<br />
Die Veröffentlichung der „Directors’ Dealings“ muss der Emittent entweder unter seiner Adresse für<br />
die Dauer von mindestens einem Monat im Internet oder durch Abdruck in einem überregionalen<br />
<strong>Börse</strong>npflichtblatt vornehmen. Aufgrund der Bekanntgabe im Internet erfahren die interessierten Anlegerkreise<br />
zeitnah von der Transaktion. Um Anlegern eine zentrale Informationsquelle über mit-
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
teilungspflichtige Geschäfte zur Verfügung zu stellen, wird die BaFin darüber hinaus auf ihrer Website<br />
unter www.bafin.de in Kürze eine Datenbank mit den gemäß § 15a WpHG mitgeteilten und<br />
veröffentlichten Geschäften anbieten.<br />
Auch im Vergleich zu den Regelungen in Großbritannien und den USA verfügt der Finanzplatz Deutschland<br />
hier über sehr weit gehende Transparenzstandards. In Großbritannien sind die Geschäfte mit einer<br />
Frist von fünf Tagen zu veröffentlichen und werden in ein vom Unternehmen geführtes öffentlich einsehbares<br />
Register eingetragen. In den USA beträgt die Frist seit In-Kraft-Treten des Sarbanes-Oxley<br />
Act Ende August 2002 zwei Arbeitstage, bei Ersterwerben bleibt es bei der zehntägigen Frist. Verstöße<br />
kann in Deutschland die BaFin selbst mittels Bußgeldern ahnden, was eine schnellere und effektivere<br />
Sanktionierung gewährleistet als in den USA, wo ein zeitaufwändigeres und offensichtlich schwerfälligeres<br />
strafrechtliches Verfahren durchgeführt werden muss.<br />
4.3. Kontrolle von Wertpapieranalysen<br />
Weltweit gerieten im Laufe der letzten Jahre die Analysten immer mehr in den Fokus der öffentlichen<br />
Kritik und der Aufsicht. Der aktuelle Vertrauensverlust vieler Anleger in den Kapitalmarkt wird teilweise<br />
auch mit der Rolle der Analysten begründet. Der Analyst von Wertpapieren bzw. sein Arbeitgeber kann<br />
zahlreichen Interessenkonflikten ausgesetzt sein, die nicht zum Nachteil der Anleger bzw. zum eigenen<br />
Vorteil des Analysten oder seines Unternehmens ausgenutzt werden dürfen. Um hier Transparenz<br />
gegenüber den Anlegern zu schaffen, wurde eine besondere Verhaltensregel zu Wertpapieranalysen<br />
geschaffen.<br />
Die Regelung ist nicht an den einzelnen Analysten adressiert, sondern an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen,<br />
das seine Wertpapieranalyse Kunden zugänglich macht oder öffentlich verbreitet.<br />
Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss die Analyse mit der erforderlichen Sachkenntnis,<br />
Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erbringen und mögliche Interessenkonflikte in der Wertpapieranalyse<br />
konkret offen legen.<br />
Interessenkonflikte, die die Neutralität einer Analyse beeinträchtigen können, bestehen insbesondere<br />
bei Beteiligungen an dem analysierten Unternehmen, bei Mitgliedschaft in einem Konsortium für die<br />
Emission von Wertpapieren der betreffenden Gesellschaft sowie bei der Betreuung der analysierten<br />
Wertpapiere aufgrund eines mit dem Emittenten abgeschlossenen Vertrages an der <strong>Börse</strong> oder am<br />
Markt.<br />
Der Anleger soll durch die Offenlegung mögliche Interessenkonflikte erkennen und in seine Anlageentscheidung<br />
miteinbeziehen können. Unzureichend sind daher allgemeine Hinweise, z. B. auf eine<br />
„mögliche“ Beteiligung von mindestens einem Prozent. Der Anleger kann bei derart abstrakten Aussagen<br />
nicht beurteilen, ob die Beteiligung und damit der Interessenkonflikt überhaupt besteht.<br />
Die meisten Privatanleger erhalten nicht die ausführliche, schriftliche Analyse, sondern Informationen<br />
daraus mittelbar über die Presse oder öffentliche Fernsehauftritte von Analysten. Sobald sich ein Analyst<br />
dort näher mit einem Wertpapier auseinandersetzt und eine Empfehlung ausspricht (z. B. für ein<br />
Musterdepot), ist es zum Schutz der Anleger geboten, auch hier auf mögliche Interessenkonflikte<br />
hinzuweisen.<br />
Die Einhaltung der Regelung zu Wertpapieranalysen wird von der BaFin beaufsichtigt, die Auskunftsund<br />
Vorlagerechte gegenüber dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen besitzt sowie jährliche<br />
Regelprüfungen durch Wirtschaftsprüfer oder Sonderprüfungen veranlasst. Zu einzelnen Auslegungsfragen<br />
wird die BaFin Erläuterungen veröffentlichen, die sich an der internationalen Rechtsentwicklung<br />
orientieren.<br />
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28 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland bei der Offenlegung von Interessenkonflikten im<br />
Zusammenhang mit Analysen eine führende Position ein. In Großbritannien gibt es abgesehen von<br />
den allgemeinen Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten und dem Verbot, preissensitive Informationen<br />
selektiv weiterzugeben, keine explizite Regelung für die Behandlung von Analysen und die<br />
dabei auftretenden Einschränkungen der Neutralität des Research. Derzeit wird diskutiert, ob eine<br />
spezielle, der deutschen Regelung vergleichbare Vorschrift eingeführt wird.<br />
In den USA existieren vergleichbare Offenlegungsvorschriften, die aber von Selbstregulierungseinrichtungen,<br />
z.B. der National Association of Securities Dealers (NASD) erlassen wurden. Mit dem<br />
am 30. Juli 2002 in Kraft getretenem Sarbanes Oxley Act wird die Securities and Exchange Commission<br />
verpflichtet, selbst oder durch Delegation auf <strong>Börse</strong>n oder Selbstverwaltungseinrichtungen<br />
weitere Pflichten zu regeln, z.B. Schweigeperioden, interne Organisation, die wohl über die deutschen<br />
Regeln in diesem Bereich hinausgehen werden. Allerdings ermöglichen die abstrakten gesetzlichen<br />
Vorschriften in Deutschland ein Vorgehen gegenüber Wertpapierfirmen, das im Ergebnis den sehr<br />
viel detaillierteren Vorschriften des Sarbanes-Oxley Act in vielen Punkten entsprechen dürfte.<br />
4.4. Schutz der Marktintegrität durch Verfolgung von Marktmissbrauch<br />
Wie bereits dargelegt wurde, hat das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz die Überwachung des Verbots<br />
der Kurs- und Marktpreismanipulation neu geregelt und der BaFin übertragen. Damit wird eine<br />
Lücke im System zum Schutz der Marktintegrität geschlossen. Insiderüberwachung und die Überwachung<br />
des Verbots der Kursmanipulation erfolgt jetzt aus einer Hand.<br />
Der neue § 20 a WpHG verbietet es, unrichtige Angaben über Umstände zu machen, die für die Bewertung<br />
von Vermögenswerten erheblich sind, oder bewertungserhebliche Umstände zu verschweigen,<br />
falls eine entsprechende Rechtspflicht zur Offenlegung besteht. Außerdem werden sonstige Täuschungshandlungen<br />
untersagt, die darauf abzielen, auf den <strong>Börse</strong>n- oder Marktpreis eines Vermögenswertes<br />
einzuwirken. Das Verbot gilt für Vermögenswerte wie Wertpapiere, Geldmarktinstrumente,<br />
Derivate, Rechte auf Zeichnung, Waren und ausländische Zahlungsmittel, die an einer inländischen<br />
<strong>Börse</strong> zugelassen, in den Geregelten Markt oder in den Freiverkehr einbezogen oder in einem anderen<br />
Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen<br />
sind.<br />
Das Verbot der sonstigen Täuschungshandlungen ist sehr weitgehend und ermöglicht dadurch einen<br />
umfangreichen Schutz vor Manipulationen. Um den Marktteilnehmern mehr Rechtssicherheit zu<br />
geben, wurde das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Verbot<br />
der Kurs- und Marktmanipulation zu konkretisieren. Dies ermöglicht eine flexible und schnelle Anpassung<br />
an sich ändernde Marktverhältnisse. „Safe-harbour“-Regelungen können Fälle konkretisieren,<br />
wie international anerkannte Stabilisierungsmaßnahmen bei Neuemissionen, die keinen Verstoß<br />
gegen das Kurs- und Markmanipulationsverbot darstellen.<br />
Der BaFin werden zur effektiven Überwachung des Verbots weitreichende Befugnisse übertragen.<br />
Sie kann Auskünfte und die Vorlage von Unterlagen verlangen sowie Wohn- und Geschäftsräume<br />
von Beteiligten betreten. Zudem kann die BaFin mit ausländischen Aufsichtsbehörden bei grenzüberschreitenden<br />
Verstößen eng zusammen arbeiten und Informationen austauschen. Ergeben sich Anhaltspunkte<br />
für den Verdacht einer Straftat, ist dies der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen.<br />
Wirkt sich die Manipulation auf den <strong>Börse</strong>n- oder Marktpreis aus, liegt eine Straftat vor. Werden unrichtige<br />
Angaben gemacht bzw. bewertungserhebliche Umstände verschwiegen, so ist für eine Strafbarkeit<br />
ausreichend, wenn der Täter die Preiseinwirkung zumindest für möglich hielt und sie in Kauf
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
nahm. Außer in den Fällen von sonstigen Täuschungshandlungen muss es dem Täter daher nicht<br />
mehr darauf ankommen, auf den Preis einzuwirken. Diese Änderung führt zu einer für die Strafverfolgung<br />
wichtigen Beweiserleichterung. Der Strafrahmen von drei Jahren wird auf bis zu fünf Jahre<br />
Freiheitsstrafe angehoben. Manipulationshandlungen, die keine Preisveränderung bewirken, können<br />
künftig von der BaFin als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 1,5 Mio. € sanktioniert<br />
werden.<br />
4.5. Verfolgung unerlaubter Bankgeschäfte<br />
Die BaFin verfolgt zur Sicherung der Integrität des Marktes Unternehmen und Personen, die unerlaubt<br />
Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen und die daher dem so genannten<br />
„Schwarzen Kapitalmarkt“ zuzurechnen sind. Zur effektiven Wahrnehmung dieser Aufgabe verfügt<br />
die BaFin über umfangreiche gesetzliche Befugnisse, die durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz<br />
nochmals erweitert wurden. Sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass unerlaubte<br />
Geschäfte getätigt werden, haben die betroffenen Unternehmen und Personen hierüber Auskunft zu<br />
erteilen und Unterlagen vorzulegen. Die BaFin ist insoweit auch befugt, Durchsuchungen durchzuführen<br />
und Unterlagen sicherzustellen. Um die Ermittlungseffizienz zu erhöhen und durch ein frühzeitiges<br />
Eingreifen eine mögliche Schädigung von Anlegern zu verhindern bzw. möglichst gering zu<br />
halten, kann die BaFin nunmehr ihre Maßnahmen auch gegen solche Unternehmen richten, die<br />
selbst nicht unerlaubt tätig sind, die aber in die Abwicklung unerlaubter Geschäfte einbezogen sind<br />
bzw. waren.<br />
Stellt die BaFin auf Basis ihrer Ermittlungen fest, dass unerlaubt Bankgeschäfte betrieben oder Finanzdienstleistungen<br />
erbracht werden, ordnet sie die sofortige Einstellung dieser Geschäftstätigkeiten an<br />
und führt deren Abwicklung herbei. In Fällen, in denen ein unerlaubt tätiges Unternehmen seine<br />
Geschäftstätigkeit nicht freiwillig einstellt, hat die BaFin die Möglichkeit, diese Geschäftstätigkeit<br />
förmlich zu untersagen und eine solche Untersagung mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Bei der Abwicklung<br />
der unerlaubt betriebenen Geschäfte steht eine frühzeitige Sicherung der Vermögenswerte<br />
der Anleger im Vordergrund. Aus diesem Grund setzt die BaFin in vielen Fällen kompetente externe<br />
Abwickler, meist erfahrene Insolvenzverwalter, ein, um eine zeitnahe und soweit möglich vollständige<br />
Rückführung von Anlegergeldern zu gewährleisten.<br />
Im Jahr 2001 wurden in 150 Fällen von verdächtigen Unternehmen Auskünfte über die Geschäftstätigkeit<br />
und die Vorlage von Unterlagen verlangt. Dabei wurde in 116 Fällen ein förmliches Auskunfts-<br />
und Vorlageersuchen mit Zwangsgeldandrohung durchgesetzt. Gegenüber fünf verdächtigen<br />
Unternehmen wurden richterliche Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt und Prüfungen der Geschäftstätigkeiten<br />
der Unternehmen vor Ort vorgenommen. In 25 Fällen wurde die Einstellung der unerlaubt<br />
betriebenen Geschäfte förmlich durchgesetzt.<br />
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30 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
5. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland und im Ausland<br />
5.1. Stichwort: Kursrückgänge an den Märkten<br />
Seit ihren Höchstständen im März 2000 erfuhren die für die deutschen Aktienmärkte wichtigsten<br />
Indizes einen dramatischen Rückgang. So fiel der DAX, in dem die 30 bedeutendsten deutschen<br />
Aktiengesellschaften zusammenfasst sind, bis zum Sommer 2002 um rund 50 Prozent, der Nemax,<br />
der Index für den Neuen Markt, gar um über 90 Prozent.<br />
Die Entwicklung der Indizes reflektiert nicht nur das Platzen der Spekulationsblase der so genannten<br />
New Economy mit ihren Schwerpunkten Telekommunikation, Technologie und Internet. Hinzu kam ein<br />
Misstrauen gegenüber Vorständen und Aufsichtsräten, aber auch Wirtschaftsprüfern, das inzwischen<br />
als „Enronitis“ bezeichnet wird. In einer Reihe von Fällen führte bereits die vage Vermutung, das<br />
Zahlenwerk eines Unternehmens sei nicht in Ordnung oder es stünde eine so genannte Gewinnwarnung<br />
an, zu erheblichen Kursrückgängen. Weiter hinzu kamen Zweifel über eine baldige wirtschaftliche<br />
Erholung der wichtigsten Volkswirtschaften; so machte der Begriff „Double Dip“ – also ein<br />
erneutes Abflachen der Konjunktur unmittelbar nach einer Rezession – im Sommer 2002 die Runde.<br />
In dieser von wirtschaftlicher Unsicherheit und Vertrauenskrise geprägten Phase überdachten<br />
zahlreiche Anleger ihre Strategien und zogen sich teilweise sogar völlig zum <strong>Börse</strong>nhandel zurück.<br />
So ging zum einen die Zahl der Aktionäre im Jahr 2002 erstmals seit Jahren wieder zurück, zum<br />
anderen nahmen auch die Mittelzuflüsse zu Aktien-Publikums-Fonds ab.<br />
Dieser Vertrauenskrise muss entgegen gewirkt werden, wozu aber auch die Marktteilnehmer, insbesondere<br />
die Anleger ihren Beitrag leisten können. Erste positive Entwicklungen sind denn auch bereits<br />
zu beobachten. Seit dem Platzen der New Economy-Blase, dem Ende der „irrational exuberance“,<br />
kehren immer mehr Marktteilnehmer zu traditionellen Bewertungsmaßstäben zurück. Geschäftsmodelle<br />
werden sehr viel kritischer geprüft als noch vor zwei Jahren, als tatsächliche Gewinne und<br />
Dividende wenig, in Aussicht gestellte Marktanteile und hohe Wachstumsraten hingegen sehr viel<br />
zählten. Viele, vor allem private Anleger machten die schmerzhafte Erfahrung, dass die <strong>Börse</strong> keine<br />
Einbahnstraße ist, die sichere Gewinne verspricht. Es zeichnet sich ab, dass Anleger nunmehr skeptischer<br />
gegenüber Empfehlungen Dritter geworden sind und sich zunehmend ihr eigenes Urteil<br />
bilden.<br />
Aufgabe einer Aufsicht kann es nicht sein, Kursrückgänge zu verhindern. Sie kann Anlegern auch nicht<br />
das verlorene Vermögen zurückholen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr – unabhängig von der aktuellen<br />
Marktlage – für eine größtmögliche Chancengleichheit zu sorgen. Dies gilt gerade bei der Verfolgung<br />
von Insiderhandel. Die Entwicklungen auf den Märkten beeinflussen die Rahmenbedingungen, innerhalb<br />
derer sich die Unternehmen bewegen – und diese wiederum sind Gegenstand staatlicher<br />
Überwachung. Gerade in Krisenzeiten muss besonderes Augenmerk auf sich abzeichnende Fehlentwicklungen<br />
gelegt werden. Der tiefgreifende Abschwung an den <strong>Börse</strong>n hat deshalb auch dazu geführt,<br />
dass die BaFin ihre Schwerpunkte neu ausgerichtet hat.<br />
Lag der Schwerpunkt bei den Insideranalysen und -untersuchungen zunächst auf positiven Ergebniszahlen<br />
und M&A-Aktivitäten, so hat sich das Bild inzwischen entscheidend geändert. Zwar spielen<br />
nach wie vor Periodenergebnisse die prominenteste Rolle, inzwischen sind jedoch vor allem Gewinnwarnungen<br />
Hauptauslöser für Analysen. Die Zahl der Insolvenzen, die Gegenstand einer Insideranalyse<br />
sind, hat sich gegenüber dem Jahr 2001 mehr als verdreifacht. Wie bei den M&A-Aktivitäten geht<br />
die BaFin jeder Insolvenzmeldung nach – hier besteht eine flächendeckende Überwachung.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Bezogen auf die verschiedenen <strong>Börse</strong>nsegmente lässt sich feststellen, dass etwas mehr als 50 Prozent<br />
aller Untersuchungen der BaFin die Kurs- und Umsatzentwicklung von Aktien des Neuen Marktes<br />
betreffen. Der Anteil der Aktien des amtlichen Marktes, die Gegenstand von Untersuchungen der BaFin<br />
sind, hat sich gegenüber 2001 auf über 40 Prozent verfünffacht.<br />
Ein Blick über die verschiedenen Branchen zeigt hingegen keine Besonderheiten. Es wäre also zu kurz<br />
gegriffen, wollte man ein bestimmtes Segment oder eine bestimmte Branche als „schwarzes Schaf“<br />
bezeichnen oder gar unter Generalverdacht stellen. Ansatzpunkt für die Überwachung ist deshalb<br />
nicht die Branchen- oder Segmentzugehörigkeit. Die Konzentration auf M&A-Aktivitäten, Insolvenzen<br />
sowie Periodenergebnisse hat sich als sehr zweckmäßig und effizient erwiesen, scheinen sie doch in<br />
besonderem Maß zu illegalem Handeln zu verlocken.<br />
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Anreize von Insidern zu achten. Wessen persönliches<br />
Vermögen zu einem erheblichen Teil in Aktien des eigenen Unternehmens investiert ist, wird bei absehbaren<br />
Kursrückgängen größeren Anreizen ausgesetzt sein, Insiderhandel zu begehen, als Personen,<br />
die keine oder nur wenige Aktien halten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die neue Meldepflicht für<br />
die so genannten Directors’ Dealings sehr zu begrüßen – schafft sie doch Transparenz und wirkt so<br />
präventiv gegen Insiderhandel. Hier können auch die börsennotierten Gesellschaften einen Beitrag<br />
leisten, indem sie ihre Entlohnungsmodelle und Aktienoptionspläne so konstruieren, dass bestimmte<br />
Anreize im Management erst gar nicht auftreten.<br />
5.2. Stichwort: Bilanzmanipulationen<br />
Die schlechte Marktsituation, rückläufige Gewinne und schwache Konjunktur kennzeichnen nicht<br />
nur die aktuelle volkswirtschaftliche Lage in Deutschland, wie auch im internationalen Umfeld. Sie<br />
haben auch – im In- und Ausland – betriebswirtschaftliche Auswirkungen auf die am Markt agierenden<br />
Unternehmen. So traten Fälle zutage, in denen Unternehmen ihre schlechte Lage dadurch zu verschleiern<br />
suchten, dass unsauber bilanziert wurde bis hin zur Fälschung von Unternehmensdaten<br />
und gezielter Bilanzmanipulation. Die spektakulären Zusammenbrüche der Zugpferde der US-amerikanischen<br />
Konjunktur (Enron, Worldcom), deren desolate Finanzlage bis zuletzt nicht erkennbar war,<br />
haben ihre Wirkung auf das Anlegervertrauen nicht verfehlt. Einige größere Skandale, auch bei<br />
deutschen börsennotierten Unternehmen, zeigten, dass Bilanzzahlen, trotz des Testats eines Wirtschaftsprüfers,<br />
eine Vermögenslage des Unternehmens suggerieren können, die mit der Wirklichkeit<br />
kaum noch übereinstimmt.<br />
Die Problematik hat mehrere Ursachen. Zum einen ermöglicht die Biegsamkeit mancher Bilanzierungsstandards<br />
findige Rechnungslegungsmethoden und ermuntert zu „creative accounting“. In anderen<br />
Fällen gaben Vorstände gezielt Falschinformationen an die Wirtschaftsprüfer, die diese offensichtlich<br />
nicht ausreichend überprüften. Vielfach ist es auch schwer, Verstöße gegen das deutsche Bilanzstrafrecht<br />
nachzuweisen, obwohl sich entsprechende Machenschaften in Kombination mit nachlässiger<br />
Prüfung aufdrängen.<br />
5.2.1. (Staatliche) Aufsicht über Wirtschaftsprüfer?<br />
In diesem Zusammenhang sind Teile des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer in letzter Zeit wiederholt<br />
in das Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geraten. So wurde einigen Wirtschaftsprüfern vorgeworfen,<br />
dass Unregelmäßigkeiten, die das Bild der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens beeinträchtigen,<br />
nicht deutlich genug in den Prüfungsberichten dargestellt wurden. In Einzelfällen wurden sogar<br />
Bilanzmanipulationen von den Prüfern übersehen. Hauptursache dieser Probleme ist der anhaltende<br />
31
32 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsprüfern um die Mandanten, der zum einen die Unabhängigkeit<br />
der Prüfer (z.B. durch unkritische Berichterstattung im Interesse der Mandanten) und zum anderen<br />
die Qualität der Prüfungen (z.B. durch den vermehrten Einsatz von „kostengünstigen“ Berufsanfängern)<br />
beeinträchtigt. Interessenkollisionen ergeben sich darüber hinaus auch durch die allzu enge<br />
Verquickung von Beratungs- und Prüfungsleistungen.<br />
Die vom Berufsstand des Wirtschaftsprüfers durchgeführte Abschlussprüfung ist von großer Bedeutung<br />
für die Stabilität des Finanzsystems, denn den Kapitalmarktteilnehmern wird durch das Testat des<br />
Wirtschaftsprüfers die „Richtigkeit“ des Jahresabschlusses signalisiert. Ordnungsgemäß geprüfte<br />
Jahresabschlüsse tragen insofern mit dazu bei, das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit<br />
der Kapitalmärkte zu erhalten.<br />
Zwar hat der Gesetzgeber, wie auch der Berufsstand selbst in den letzten Jahren zusätzliche<br />
Anstrengungen unternommen, die auf eine nachhaltige Verbesserung der Situation abzielen (z.B. externe<br />
Qualitätskontrollen, Corporate Governance Kodex). Die jüngsten in den Medien geschilderten<br />
Vorfälle verdeutlichen allerdings, dass hier noch weiterer Handlungsbedarf besteht (siehe dazu auch<br />
den Beitrag von Prof. Jörg Baetge, Seite 65 ff).<br />
5.2.2. Bilanzpolizei<br />
Derzeit gibt es Überlegungen, eine Stelle in Deutschland einzurichten, die für die Überwachung der<br />
Rechtmäßigkeit der geprüften Jahresabschlüsse zuständig ist. Auch die Corporate Governance Kommission<br />
hat in ihrem Bericht im Jahr 2001 festgestellt, dass das Bilanzstrafrecht der §§ 331-334<br />
HGB und die Nichtigkeitsklage gemäß § 256 Aktiengesetz nicht mehr ausreichen. Diese „Bilanzpolizei“<br />
würde in Einzelfällen untersuchen, ob bei den geprüften Jahresabschlüssen die gesetzlichen Regelungen<br />
beachtet wurden. Die Einrichtung einer solchen Enforcement-Stelle ist zu begrüßen, denn sie<br />
würde einen Beitrag zur Stabilisierung der Kapitalmärkte leisten. Die vertrauensfördernde Einrichtung<br />
einer soliden Aufsicht über die regelmäßige Finanzberichterstattung könnte die Erholung des<br />
Aktienmarktes unterstützen. Auch die staatlich geförderte Altersvorsorge könnte von einer solchen<br />
vertrauensbildenden Kontrolle profitieren.<br />
5.2.3. Internationale Entwicklung<br />
Ab dem Jahr 2005 muss die Konzernbilanz börsennotierter Unternehmen in der Europäischen Union<br />
gemäß den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) des International Accounting Standards<br />
Board (IASB) erstellt werden (siehe dazu auch den Beitrag von Sir David Tweedie, Seite 57 ff).<br />
Ziel der entsprechenden EU-Verordnung ist es, in Europa einen ersten Meilenstein für eine internationale<br />
Vereinheitlichung der Rechnungslegung zu setzen, die auch von den USA akzeptiert wird.<br />
Dadurch sollen erleichterte Zulassungsbedingungen für Emittenten an allen <strong>Börse</strong>n weltweit erreicht<br />
werden, was aber voraussetzt, dass die IFRS auf europäischer und nationaler Ebene gleich angewandt<br />
werden. Um dies zu gewährleisten, ist vorgesehen, dass der Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden<br />
(CESR) einbezogen wird, um ein gemeinsames Konzept für die Durchsetzung<br />
zu entwickeln. Mit der Durchsetzung von Rechnungslegungsstandards ist zugleich aber auch die<br />
Unterbindung von Missbrauch oder Umgehung verbunden. Letztlich geht es also auch hier um eine<br />
systematische Kontrolle der Bilanzen börsennotierter Unternehmen.<br />
Während die EU-Kommission also eine Präferenz für die Durchsetzung der IFRS auf nationaler Ebene<br />
durch Wertpapieraufsichtsbehörden erkennen lässt, hat CESR sich zunächst nicht auf die Art der<br />
zuständigen Stelle festgelegt. In Europa gibt es einerseits Systeme, die mit privatrechtlich organisierten
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
„review panels“ arbeiten, die nur auf Beschwerden hin tätig werden, bei Untersuchungen auf die<br />
freiwillige Mitarbeit des Emittenten und seines Wirtschaftsprüfers angewiesen sind und eine gerichtliche<br />
Klärung erzwingen können (so in England und voraussichtlich demnächst in Schweden und<br />
Irland). Andererseits gibt es Aufsichtsbehörden, die sehr weitgehende Untersuchungs- und Sanktionsbefugnisse<br />
gegenüber Emittenten und Wirtschaftsprüfern haben (so etwa in Frankreich, Italien,<br />
Spanien, Portugal, den Niederlanden, Belgien, Griechenland). Unabhängig von der Organisation ist<br />
entscheidend, dass die zuständigen Stelle, in Abstimmung mit anderen ausländischen Stellen schnell<br />
und effektiv handeln, untersuchen und sanktionieren kann.<br />
5.2.4. <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex<br />
Am 26. Februar 2002 hat die Regierungskommission „Corporate Governance“ den von ihr erarbeiteten<br />
<strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex dem Bundesjustizministerium übergeben. Der Kodex soll<br />
dazu beitragen, die Leitung und Überwachung bei börsennotierten deutschen Unternehmen zu verbessern,<br />
indem er die Befugnisse und Kontrollrechte der Organe (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung)<br />
konkretisiert. So soll etwa der Jahresabschlussprüfer von einem Prüfungsausschuss<br />
bestellt werden, der vom Vorstand unabhängig ist. Diese Regelung trägt mit dazu bei, die Unabhängigkeit<br />
des Abschlussprüfers zu gewährleisten und ist insofern ein weiterer Baustein zur Aufdeckung<br />
von Bilanzfälschungen (siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Theodor Baums, Seite 39 ff).<br />
6. Die europäischen Bestrebungen, die Finanzmarktaufsicht zu vereinheitlichen<br />
6.1. Organisation der Aufsicht – Brauchen wir eine europäische SEC?<br />
Zunehmend lösen sich Grenzen zwischen Banken-, Versicherungs- und Wertpapierhandelssektor<br />
auf, und die Zahl der Finanzkonglomerate nimmt zu. International ist daher ein Trend zu einer über<br />
die Branchengrenzen hinweg integrierten Finanzmarktaufsicht zu erkennen. Der Fortschritt in der<br />
Informations- und Kommunikationstechnik erleichtert den Eintritt neuer Marktakteure und beschleunigt<br />
die Internationalisierung der Finanztransaktionen. Die zu beaufsichtigenden Finanztransaktionen<br />
werden zunehmend komplexer. Schließlich ist die Erweiterung der Europäischen Union auf bis zu<br />
25 Mitgliedstaaten bereits absehbar.<br />
Einige EU-Mitgliedstaaten haben auf nationaler Ebene auf die oben genannten Herausforderungen<br />
bereits reagiert. Stellvertretend für andere Beispiele im europäischen Raum können neben Deutschland<br />
Großbritannien und Österreich genannt werden, die mehrere, bisher getrennt tätige Finanzaufsichtseinrichtungen<br />
zu einer einheitlichen Allfinanzbehörde zusammengeführt haben. Dabei stellt<br />
sich die weitergehende Frage, ob die politisch gewollte Binnenmarktintegration möglich ist, wenn<br />
die Akteure national verhaftet sind und bleiben. Erfordert ein Bekenntnis zu Europa nicht auch eine<br />
sichtbare, eine körperliche Umsetzung in Gestalt einer europäischen SEC?<br />
Finanzmarktaufsicht und vor allem Wertpapieraufsicht ist zunächst einmal Detailaufsicht. Die Aufsicht<br />
braucht Einblick, wie sich die beaufsichtigten Intermediäre am Markt und ihren Kunden gegenüber<br />
verhalten, inwieweit Emittenten ihren Pflichten nachkommen und ob Kapitalmarkttransaktionen den<br />
rechtlichen Anforderungen genügen. Diese und alle weiteren Fragen, die zu stellen sind, erfordern<br />
Sachnähe ebenso wie räumliche Nähe. Sachnähe ist allein schon deswegen erforderlich, weil Kapitalmarktrecht,<br />
bei allem erreichten Harmonisierungsgrad in das erheblich weniger harmonisierte<br />
Gesellschaftsrecht eingebettet ist. Hier hilft eine Beurteilung allein der europäischen Vorgaben nicht<br />
weiter. Räumliche Nähe ist erforderlich, weil bei aller Nutzung der modernen Kommunikationsmittel<br />
ein Besuch, eine Unterredung, eine Nachforschung vor Ort nicht zu ersetzen ist.<br />
33
34 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Ein gangbarer Weg könnte eine schrittweise Europäisierung der Aufsicht sein. Wenn man mit einzelnen,<br />
klar abschichtbaren Funktionen beginnt, etwa der Prüfung von Prospekten für grenzüberschreitende<br />
Wertpapieremissionen, dann wäre dies die Gelegenheit für ein europäisches Konzept, sich zu<br />
beweisen. Wenn der Beweis erbracht ist, könnte die Integration der Aufsichtsstrukturen vorangetrieben<br />
werden. Der graduelle Aufbau einer europäischen Struktur muss mit einem graduellen Abbau auf<br />
nationaler Ebene einhergehen, um glaubwürdig zu bleiben.<br />
Einer organisatorischen Neuausrichtung auf europäischer Ebene muss aber zwingend ein solider<br />
harmonisierter europäischer Rechtsrahmen zugrunde liegen. Ein wesentliches Element für eine<br />
zügige Schaffung eines solchen einheitlichen Rechtsrahmens ist das von der Gruppe der Weisen<br />
unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy vorgeschlagene Komitologieverfahren im Rahmen des europäischen<br />
Gesetzgebungsverfahrens. Dadurch kann die erforderliche Beschleunigung und Flexibilisierung<br />
des Gesetzgebungsprozesses auf EU-Ebene erreicht werden.<br />
Mit einigen Modifizierungen, die die strukturellen Unterschiede der Bankenaufsicht gegenüber der<br />
Wertpapieraufsicht berücksichtigen, dürfte eine Übertragung dieser Vorgehensweise auf die Weiterentwicklung<br />
des Banken- und Versicherungsaufsichtsrechts zielführend sein. Geplant ist auf europäischer<br />
Ebene bereits die Einrichtung eines Ausschusses hochrangiger Vertreter der zuständigen<br />
Finanz- und Wirtschaftsminister unter dem Vorsitz der Europäischen Kommission, der als Komitologieausschuss<br />
fungieren soll, in Anlehnung an das bereits eingerichtete European Securities Committee<br />
(ESC). Ebenso könnten auf einer weiteren Ebene nach dem Vorbild des Committee of European<br />
Securities Regulators (CESR) für den Bereich der Bankenaufsicht, der Versicherungsaufsicht und<br />
der Finanzkonglomerate weitere Komitees eingerichtet werden, in denen die auf nationaler Ebene<br />
mit der Aufsicht betrauten Stellen vertreten wären und eine umfassende Harmonisierung des Aufsichtsrechts<br />
entwickelten.<br />
6.2. Bisherige Fortschritte bei der Harmonisierung des europäischen Aufsichtsrechtes<br />
6.2.1. Die europäische Marktmissbrauchsrichtlinie<br />
Ein harmonisiertes Regime gegen Marktmissbrauch dient der Chancengleichheit und Erhaltung der<br />
Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Kapitalmärkte und Institutionen. Einheitliche Regelungen schaffen<br />
europaweit größere Klarheit und beseitigen mögliche Investitionshemmnisse länderübergreifend<br />
tätiger Marktteilnehmer. Die weiter fortschreitende Harmonisierung zur Stärkung der Marktintegrität<br />
in Europa durch die Marktmissbrauchsrichtlinie ist daher sehr zu begrüßen. Denn die Bekämpfung<br />
des Marktmissbrauchs, also von Insidergeschäften wie von Marktmanipulation, ist wesentliche<br />
Grundlage für umfassende Effizienz und Transparenz an den Kapitalmärkten. Diese wiederum ist<br />
erforderlich, um das Vertrauen der Investoren in die jeweiligen Märkte zu stärken. Gerade im Bereich<br />
der Marktmanipulation, wo die Rechtslage in Europa derzeit noch stark zersplittert ist, bedarf es einer<br />
Harmonisierung auf europäischer Ebene. Die nationalen Bestimmungen weichen hier noch deutlich<br />
voneinander ab. In einzelnen Mitgliedstaaten ist Marktmanipulation sogar sanktionslos möglich und<br />
eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden ist eher die Ausnahme.<br />
6.2.2. Die europäische Prospektrichtlinie<br />
Die Prospektrichtlinie kann dem gesamten deutschen Markt wichtige Impulse geben. Deutschland<br />
als kontinentaleuropäisches Finanzzentrum ist der natürliche Profiteur jeder Erleichterung grenzüberschreitender<br />
Tätigkeit. Dies gilt für Emittenten, die auf eine breitere Anlegerbasis zugreifen können,<br />
ebenso wie für Privatanleger, die leichter Zugang zu Anlagen aus anderen Mitgliedsstaaten erhalten.<br />
Auch die Emissionshäuser können grundsätzlich nur profitieren.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
Allerdings muss auf eine Fortführung der bestehenden marktnahen und flexiblen Strukturen in<br />
Deutschland geachtet werden. Diese dürfen nicht für einen eher abstrakten Harmonisierungseffekt<br />
geopfert werden. Dabei steht insbesondere ein Aspekt im Vordergrund: Die Regelung, dass Emittenten<br />
ihre Prospekte nur im Herkunftsstaat prüfen lassen dürfen. Sie schafft im Vergleich zur jetzigen<br />
Rechtslage eine künstliche und ungerechtfertigte Barriere. Es ist nicht einzusehen, warum ein Emittent<br />
nicht verschiedene Wertpapiere in verschiedenen Ländern emittieren soll. Das ist derzeit die<br />
Norm, ein negativer Effekt für Anleger ist nicht sichtbar. Eine ausschließliche Herkunftslandprüfung<br />
verhindert den Wettbewerb im Binnenmarkt. Man mag dagegen halten, dass ein Wettbewerb bei einer<br />
harmonisierten Regelung nicht möglich ist. Das greift aber zu kurz. Ein Wettbewerb über Regulierung<br />
im Sinne eines „race to the bottom“ ist immer zum Scheitern verurteilt. Vielmehr geht es um die Infrastruktur,<br />
die an einem Finanzplatz vorhanden ist. Und in diesem Bereich hat Deutschland mit<br />
Frankfurt am Main Stärken, die in Kontinentaleuropa einzigartig sein dürften. Diese Stärken dürfen<br />
nicht durch eine sinnwidrige Umverteilung der Emissionsaktivität auf alle Mitgliedstaaten zunichte<br />
gemacht werden.<br />
6.2.3. Die Überarbeitung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie<br />
Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie regelt grundlegend die Bedingungen für den Marktzutritt und<br />
die Tätigkeit als Wertpapierdienstleister bzw. als Betreiber eines Handelssystems. Sie ist damit das<br />
Kernstück des rechtlichen Rahmens für den europäischen Binnenmarkt. Die von der EU-Kommission<br />
vorgelegten Regelungsvorschläge sind aufgrund ihrer erheblichen Auswirkungen auf die deutsche<br />
Marktstruktur von zentraler Bedeutung und bedürfen besonderer Beachtung. Im Wesentlichen handelt<br />
es sich um folgende Eckpunkte:<br />
Einführung eines Transparenzregimes für außerbörslich abgeschlossene Geschäfte: Der Vorschlag der<br />
EU-Kommission sieht die Einführung detaillierter Transparenzregeln für den börslichen sowie außerbörslichen<br />
Handel vor. Eine Realisierung dieses Vorschlages würde zu einer erheblichen Veränderung<br />
der deutschen Marktstruktur führen.<br />
Die EU-Kommission plant weiterhin eine Aufwertung der Anlageberatung zur eigenständigen Wertpapierdienstleistung.<br />
Gleichzeitig soll die bisherige Ausnahmeregelung für Fondsvermittler gestrichen<br />
werden. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie wären danach nur diejenigen Vermittler ausgenommen,<br />
die ausschließlich für Rechnung und unter der Haftung eines anerkannten Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />
tätig sind (sog. „tied-agents“). Unter Berücksichtigung der in Deutschland<br />
vorhandenen Vertriebsstrukturen, insbesondere der in diesem Bereich tätigen Fondsvermittler hätte<br />
der Vorschlag der Kommission zur Folge, dass neben den Eigenkapitalanforderungen auch die anlegerschützenden<br />
Wohlverhaltensregeln Anwendung fänden.<br />
Die genannten Punkte bedürfen einer eingehenden Diskussion. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen,<br />
dass die Interessen und die Struktur des deutschen Kapitalmarktes ausreichend gewahrt<br />
werden.<br />
6.2.4. Eigenkapitalvorschriften – Basel II<br />
Zukünftig wird die Frage der Eigenmittelunterlegung – auch im europäischen Raum – auf eine neue<br />
Basis gestellt werden. Die geplanten Leitlinien zu einer angemessenen Eigenkapitalausstattung von<br />
Banken stellen ein neues Element innerhalb der bankaufsichtlichen Risikovorschriften dar („Basel II“).<br />
Danach wird künftig nicht mehr ausschließlich entscheidend sein, ob der Eigenkapitalkoeffizient in<br />
Höhe von mindestens acht Prozent eingehalten ist. Die Institute sollen vielmehr ihre Risiken selbst<br />
35
36 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />
erfassen und steuern, zeitnah und zuverlässig die Angemessenheit ihrer Eigenkapitalausstattung<br />
unter Berücksichtigung der Geschäftsstrategie und aller damit verbundenen Risiken kontrollieren<br />
sowie sachgerechte Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Feststellungen ziehen. Unabhängig von<br />
der vorgeschriebenen Mindesteigenkapitalausstattung sollte die Bank soviel Eigenkapital vorhalten,<br />
dass das durch die jeweilige Geschäftsausrichtung bestimmte Risikoprofil der Bank ausreichend<br />
gedeckt ist. Wo dies nicht der Fall ist, hätte die Bankenaufsicht auf eine genügend hohe Eigenkapitalquote<br />
hinzuwirken.<br />
7. Veränderungen am Finanzplatz Deutschland durch die Umsetzung der<br />
geplanten Richtlinie der Europäischen Union zur Bekämpfung<br />
des Marktmissbrauchs<br />
Im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber die Umsetzung der europäischen<br />
Marktmissbrauchsrichtlinie in einer Reihe von Punkten bereits vorweggenommen. So orientieren<br />
sich die Regelungen im WpHG zur Kurs- und Marktpreismanipulation bereits an den Vorstellungen<br />
der Richtlinie. Allerdings beinhaltet die deutsche Regelung, wie etwa auch die Vorschrift des USamerikanischen<br />
Rechts ein Absichtselement, während der Manipulationstatbestand in der Richtlinie<br />
nach dem erklärten Willen der EU-Kommission nicht auf die Preisbeeinflussungsabsicht abstellt.<br />
Ebenso ist die Forderung der Richtlinie, in jedem Mitgliedstaat eine einzige Behörde zu bestimmen,<br />
die für die Anwendung aller Vorschriften der Richtlinie zuständig ist, auch im Hinblick auf die Verfolgung<br />
von Kurs- und Marktpreismanipulation bereits erfüllt. Gleichwohl können einzelne Befugnisse<br />
auf weitere Behörden delegiert werden.<br />
Auch Regelungen zur Offenlegung von Geschäften von Unternehmensinsidern (Directors’ Dealings)<br />
existieren bereits. Die Meldepflicht von Geschäften in eigenen Aktien nach deutschem Recht entspricht<br />
im Wesentlichen den Bestimmungen der Richtlinie. Eine Freigrenze bzw. Meldeschwelle wie<br />
in § 15 a WpHG sieht der Richtlinienentwurf aber nicht vor.<br />
Eine grundlegende Änderung für das bisherige deutsche Recht ergibt sich aus der Aufgabe der Trennung<br />
zwischen Insidertatsachen und Ad-hoc-Tatsachen. Denn nach der Richtlinie muss der Emittent<br />
künftig grundsätzlich bereits jede Insidertatsache veröffentlichen, soweit nicht berechtigte Interessen<br />
einer Veröffentlichung entgegenstehen.<br />
Im Insiderrecht wird durch die Richtlinie eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt, soweit es um den<br />
Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren geht. Zugleich wird das Weitergabeverbot von<br />
Insiderinformationen sowie das Empfehlungsverbot auf Sekundärinsider erweitert.<br />
Die Vorschrift über Interessenkonflikte bei Analysen ist in der Richtlinie insofern weiter als im<br />
deutschen Recht, da sich die Pflichten in Bezug auf Analysen und Research-Bericht, die zur Veröffentlichung<br />
bestimmt sind, nicht nur an Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten, sondern<br />
auch für sonstige juristische und natürliche Personen gelten.<br />
Die durch die Richtlinie vorgesehenen Mindestbefugnisse enthalten unter anderem das Recht der<br />
zuständigen Behörde auf Zugang zu allen Dokumenten sowie ein Auskunftsrecht gegenüber jeder<br />
Person, soweit dies für die Ausübung ihrer Aufgaben notwendig sein sollte. Darüber hinaus soll die<br />
zuständige Behörde auch zur Veröffentlichung von verhängten Sanktionen ermächtigt werden, was<br />
eine Neuerung im deutschen Recht bedeuten würde.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Ob letztlich zusätzlicher Anpassungsbedarf des deutschen Rechts entsteht, hängt maßgeblich von der<br />
weiteren Entwicklung der Marktmissbrauchsrichtlinie auf Stufe 2 des Komitologieverfahrens ab, auf<br />
der nähere Bestimmungen und technische Durchführungsmaßnahmen zu einzelnen Vorschriften der<br />
Richtlinie erarbeitet werden.<br />
37
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>?<br />
Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Prof. Theodor Baums, Universität Frankfurt *<br />
1. Corporate Governance in Deutschland<br />
Corporate Governance steht seit einigen Jahren in Deutschland im Mittelpunkt einer wirtschafts- und<br />
rechtspolitischen Diskussion. Hauptsächlich geht es dabei um die Bildung und Weiterentwicklung<br />
möglichst effizienter Grundsätze der Unternehmensführung, der Unternehmenskontrolle und der<br />
Transparenz in Unternehmen mit dem Ziel, eine langfristige Wertschöpfung im Interesse der Aktionäre<br />
zu erreichen. Der folgende Zwischenbericht stellt die Entwicklung der Diskussion und bisherige<br />
Ergebnisse dar und weist auf verbleibenden Reformbedarf hin.<br />
1.1. Hintergründe und Ziele der Corporate-Governance-Diskussion<br />
Fragen der Corporate Governance haben in jüngerer Zeit aus verschiedenen Gründen auch das Interesse<br />
der Öffentlichkeit auf sich gelenkt. Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche der letzten Jahre<br />
sind auch auf Schwächen des Systems der Unternehmensführung und -kontrolle zurückzuführen.<br />
Zudem erfordert die Internationalisierung der Kapitalmärkte eine Modernisierung des rechtlichen<br />
Regelwerks zur Corporate Governance. <strong>Deutsche</strong> Gesellschaften, die an ausländischen <strong>Börse</strong>n notiert<br />
sind oder sich notieren lassen wollen, müssen sich mit dortigen <strong>Börse</strong>nregeln und kapitalmarktrechtlichen<br />
Anforderungen auseinandersetzen, die nicht selten von den deutschen Gegebenheiten erheblich<br />
abweichen. Umgekehrt treten am deutschen Kapitalmarkt zunehmend internationale Investoren auf,<br />
die ihre Erwartungen an ihre Portfoliounternehmen herantragen. Die Internationalisierung der Kapitalmärkte<br />
führt zu einem Wettbewerb der Corporate-Governance-Systeme, dem sich der deutsche<br />
Kapitalmarkt stellen muss.<br />
Das deutsche Corporate-Governance-Regelwerk, das traditionell auf zwingenden Vorschriften des<br />
Aktiengesetzes, des Handels- und Mitbestimmungsrechts fußt, erweist sich zum einen im Vergleich<br />
mit anderen Rechtsordnungen mitunter als starr und unflexibel und weist zum anderen immer noch<br />
Defizite im Anlegerschutz auf, die beseitigt werden müssen. Allgemein gesprochen geht es darum,<br />
die Verhaltens- und Verantwortungsstandards für das Management zu präzisieren, die Kontrollmechanismen<br />
zu verbessern und die Unternehmenstransparenz zu erhöhen. Dabei sind die Möglichkeiten<br />
zu nutzen, die die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie bietet.<br />
1.2. Corporate Governance und Performance<br />
In verschiedenen Untersuchungen aus neuerer Zeit ist versucht worden, einen Zusammenhang<br />
zwischen Corporate Governance und Unternehmenswertentwicklung nachzuweisen. „Gute“ Corporate<br />
Governance soll die Performance positiv beeinflussen, während „schlechte“ Corporate Governance<br />
zu einer Zurückhaltung der Investoren, zu Risikoaufschlägen und damit zu einer Erhöhung der Kapitalkosten<br />
führen soll. Nach einer aktuellen Studie, in der mehr als 200 institutionelle Anleger aus 31<br />
Ländern befragt worden sind, messen Investoren der Corporate Governance genauso viel Wert bei wie<br />
den Finanzkennzahlen. Die Mehrheit der Investoren soll sogar bereit sein, für einen hohen Standard<br />
der Unternehmensleitung und -kontrolle eine Prämie zu zahlen, die zwischen 11 und 16 Prozent für<br />
westeuropäische und nordamerikanische Unternehmen beträgt (siehe Schaubild auf Seite 40).<br />
* Der Verfasser dankt seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Arne Lawall für hilfreiche Unterstützung.<br />
39
40 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Zuschlag, den Investoren für Unternehmen mit<br />
guter Corporate Governance zu zahlen bereit sind<br />
Land in Prozent<br />
Japan<br />
Italien<br />
Schweiz<br />
USA<br />
Spanien<br />
Deutschland<br />
Frankreich<br />
Schweden<br />
Großbritannien<br />
Kanada<br />
Westeuropa<br />
Nordamerika<br />
12<br />
11<br />
16<br />
15<br />
14<br />
14<br />
Quelle: McKinsey Global Investor Opinion Survey<br />
on Corporate Governance, 2002<br />
Die Frage lautete: „Nehmen Sie an, Sie überlegen sich, in Unternehmen<br />
A oder B aus dem gleichen Land zu investieren. Die bisherige<br />
Performance war so gut wie identisch und das zukünftige<br />
Marktpotenzial ist für beide Unternehmen ähnlich. Allerdings ...<br />
hat B ‘gute’ Standards für die ‘board governance’ eingeführt” – z.B.<br />
Mehrheit unabhängiger Vorstände oder an den Aktienkurs gekoppelte<br />
Honorierung. „... Wären Sie bereit, mehr für das Unternehmen<br />
B zu bezahlen als für Unternehmen A? Wenn ja, wie hoch<br />
schätzen Sie den prozentualen Zuschlag, den Sie zu zahlen bereit<br />
wären?”<br />
Andere empirische Untersuchungen beschäftigen sich mit Fragen wie etwa der Auswirkung der<br />
Aktionärsstruktur auf die Aufsichtsratsbesetzung und Unternehmenskontrolle. Für den deutschen<br />
Kapitalmarkt wurde festgestellt, dass im Vergleich mit anderen Ländern inländische Großunternehmen<br />
nach wie vor weitgehend dem Einfluss von Paketaktionären einerseits und Banken andererseits<br />
unterliegen. Als weitere Besonderheit wurde herausgestellt, dass nur schwer feststellbar ist, wer in<br />
einem Unternehmen letzten Endes über kontrollierende Beteiligungen oder institutionalisierten Einfluss<br />
verfügt. Als Gründe hierfür werden vielfältige Kapital- und personelle Verflechtungen, Inhaberaktien<br />
und das Depotstimmrecht der Banken angeführt. Diese fehlende Kontrolltransparenz soll zu<br />
höheren Kapitalkosten der Unternehmen führen, weil Investoren sich deshalb im Vergleich zu transparenteren<br />
Märkten eher zurückhielten. Fehlende Transparenz könne nur durch höhere Rendite ausgeglichen<br />
werden.<br />
Die Ergebnisse der verschiedenen Studien weichen allerdings je nach untersuchten Unternehmen,<br />
Zeiträumen und angewandten Methoden mehr oder weniger stark voneinander ab. Schlüsse können<br />
daraus nur mit großer Vorsicht gezogen werden. Überdies sind die angesprochenen Verflechtungen<br />
gerade in jüngerer Zeit infolge der Fokussierung des Geschäfts, Umstrukturierungen und Änderungen<br />
der steuerlichen Bedingungen sehr stark in Auflösung begriffen.<br />
13<br />
13<br />
13<br />
13<br />
14<br />
21
1.3. Stationen der Entwicklung<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Gesetzliche Regelungen zur Corporate Governance börsennotierter Gesellschaften finden sich vor<br />
allem im Aktiengesetz (AktG), im Abschnitt des Handelsgesetzbuchs (HGB) über Rechnungslegung<br />
und Abschlussprüfung sowie in den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen (MitbestG; Montan-<br />
MitbestG und MitbestErgG; BetrVG 1952). Der Gesetzgeber hat, teilweise durch europarechtliche<br />
Vorgaben veranlasst, insbesondere das Aktien- und Kapitalmarktrecht sukzessive modernisiert und<br />
dadurch die gesetzlichen Grundlagen für Anlegerschutz und gute Corporate Governance deutlich<br />
verbessert. Er hat sich insoweit für eine „Strategie der kleinen Schritte“ entschieden, indem er Reformvorhaben<br />
langfristig und behutsam durch einzelne Änderungen der bestehenden Gesetze umsetzt,<br />
statt, wie 1965 mit der großen Aktienrechtsreform geschehen, einen umfassenden Novellierungsversuch<br />
zu unternehmen.<br />
Vor allem das am 1. Mai 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich<br />
(KonTraG), das Vorschriften des Aktien- und Handelsrechts geändert hat, stellt einen<br />
solchen wichtigen Schritt zur Modernisierung des deutschen Corporate-Governance-Systems dar.<br />
Ziele des KonTraG waren die Beseitigung von Defiziten in der Überwachung der Vorstandstätigkeit<br />
durch den Aufsichtsrat und in der Abschlussprüfung sowie die Begrenzung der Bankenmacht.<br />
Neben Verbesserungen im Bereich von Aufsichtsrat und Abschlussprüfung wurde das Depotstimmrecht<br />
der Kreditinstitute eingeschränkt und das Hauptversammlungsrecht reformiert. Weitere Änderungen<br />
betrafen die Vergütung von Führungskräften durch Aktienoptionen, die Erleichterung des Rückkaufs<br />
eigener Aktien sowie die Abschaffung von Mehrfach- und Höchststimmrechten. Der Weg, der dabei<br />
beschritten wurde, war nicht der einer weiteren Regulierung durch zwingende gesetzliche Verbote.<br />
Mit dem KonTraG setzte der Gesetzgeber vielmehr auf Lenkung durch Offenlegungsvorschriften,<br />
bessere Selbstorganisation der Unternehmen und eine Verbesserung der vorhandenen Kontrollstrukturen.<br />
Mit dem Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG), das<br />
am 18. Januar 2001 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber das Aktienrecht weiter an internationale<br />
Gepflogenheiten und die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
angepasst. Zum einen sollte die Namensaktie aufgewertet werden. Im Vergleich mit anderen Ländern,<br />
insbesondere den USA, ist die Namensaktie in börsennotierten deutschen Unternehmen bisher nur<br />
von untergeordneter Bedeutung. Das NaStraG erleichtert nunmehr die Umwandlung von Inhaber- in<br />
Namensaktien und umgekehrt. Gleichzeitig wurden die Stimmrechtsausübung und die Möglichkeit,<br />
Stimmrechtsvollmachten zu erteilen, reformiert und die Nutzung elektronischer Medien unterstützt.<br />
In einem weiteren Schritt hat der Gesetzgeber noch in der letzten Legislaturperiode das Gesetz zur<br />
weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zur Transparenz und Publizität (TransPuG) verabschiedet,<br />
das am 26. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Parallel dazu hat eine Expertenkommission einen<br />
„<strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex“ erarbeitet, der am 26. Februar 2002 der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt wurde und derzeit von den börsennotierten Gesellschaften implementiert wird. Für die<br />
gegenwärtige Legislaturperiode stehen weitere Reformen an, die das deutsche Corporate-Governance-<br />
System den Anforderungen globalisierter, moderner Kapitalmärkte weiter anpassen sollen.<br />
41
42 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
2. Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance<br />
und seine Umsetzung<br />
2.1. Die Regierungskommission<br />
Mit Schreiben vom 29. Mai 2000 hat Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Regierungskommission<br />
„Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des<br />
Aktienrechts“ (Regierungskommission) eingesetzt. Die Kommission erhielt den Auftrag, sich mit<br />
möglichen Defiziten des deutschen Systems der Unternehmensführung und -kontrolle zu befassen.<br />
Darüber hinaus sollte sie im Hinblick auf den durch Globalisierung und Internationalisierung der<br />
Kapitalmärkte sich vollziehenden Wandel der Strukturen deutscher Unternehmen und Märkte Vorschläge<br />
für eine Modernisierung des rechtlichen Regelwerks unterbreiten. Mitglieder der hochrangig<br />
besetzten Kommission waren Fachleute aus Unternehmen sowie Vertreter der „Stakeholder“ sowie<br />
aus Ministerien, Wissenschaft und Politik. Grundlage der Beratungen der Kommission waren Stellungnahmen<br />
in- und ausländischer Sachverständiger und Interessenverbände zu einem Fragenkatalog,<br />
den die Kommission im Sommer 2000 versandt hatte. In den Beratungen wurden Empfehlungen<br />
an die Bundesregierung erarbeitet, die von der Kommission einstimmig verabschiedet worden sind.<br />
2.2. Der Bericht der Regierungskommission<br />
Am 10. Juli 2001 hat die Regierungskommission dem Bundeskanzler ihren etwa 300-seitigen<br />
Abschlussbericht mit dem Titel „Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung<br />
des Aktienrechts“ vorgelegt. Der Bericht enthält rund 150 Vorschläge, teils an den Gesetzgeber, teils<br />
an eine – auf ihre Empfehlung hin eingesetzte – Kodex-Kommission. Die Vorschläge betreffen zum<br />
einen das allgemeine Grundlagenthema „Gesetzliche Regulierung und Corporate Governanc Kodex“,<br />
zum anderen die Einzelthemen „Pflichten und Befugnisse der Leitungsorgane Vorstand und Aufsichtsrat“,<br />
„Hauptversammlung, Aktionäre und Anleger“, „Rechtsfragen der Unternehmensfinanzierung“,<br />
„Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien im Aktien- und Kapitalmarktrecht“ sowie<br />
„Rechnungslegung und Abschlussprüfung“. Das Bundeskabinett hat den Abschlussbericht gebilligt<br />
und beschlossen, die Vorschläge in vollem Umfang umzusetzen.<br />
2.3. Umsetzung des Berichts<br />
Ein Teil der Vorschläge der Regierungskommission ist inzwischen bereits umgesetzt, und zwar zum<br />
einen durch den neu geschaffenen <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex sowie zum anderen durch<br />
das noch in der letzten Legislaturperiode erlassene Transparenz- und Publizitätsgesetz.<br />
2.3.1. <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex<br />
Eine wichtige Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance war, eine Expertengruppe<br />
zu berufen, die einen Corporate Governance Kodex für börsennotierte Gesellschaften erarbeiten sollte.<br />
Nach Vorstellung der Regierungskommission soll dieser Kodex zwei Aufgaben erfüllen: Zum einen<br />
soll er die zwingende gesetzliche Unternehmensverfassung für deutsche Aktiengesellschaften in ihren<br />
Grundzügen darstellen und so insbesondere ausländischen Investoren das deutsche Corporate-Governance-System<br />
verdeutlichen. Zum anderen soll er Empfehlungen enthalten, die, über die gesetzlichen<br />
Basisregeln hinausgehend, Grundsätze guter Corporate Governance aufstellen. Von diesen Grundsätzen<br />
sollten die Gesellschaften aber – anders als von zwingenden gesetzlichen Vorgaben – abweichen
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
dürfen, wenn sie dies öffentlich mitteilen und die Abweichung dem Kapitalmarkt erläutern (Prinzip<br />
des „entsprich oder erkläre“ – „comply or explain“). Der Kodex versucht insoweit also, eine Verbesserung<br />
der Corporate Governance zu erreichen, dabei aber eine weitere zwingende Regulierung zu<br />
vermeiden. Ganz auf dieser Linie einer Flexibilisierung liegt es, wenn die Regierungskommission,<br />
wo irgend möglich, anstelle neuer zwingender gesetzlicher Bestimmungen Empfehlungen an die<br />
Kodex-Kommission zur Aufnahme in den Kodex gerichtet hat.<br />
Die Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance, eine Expertenkommission zur<br />
Entwicklung des Kodex einzusetzen, ist von der Bundesregierung umgehend aufgenommen worden.<br />
Die von der Bundesjustizministerin einberufene Regierungskommission <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance<br />
Kodex (Kodex-Kommission) unter Vorsitz von Dr. Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender<br />
der ThyssenKrupp <strong>AG</strong>, hat am 26. Februar 2002 einen von ihr erarbeiteten Kodex verabschiedet und<br />
der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Kodex richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften;<br />
aber auch nicht notierten Gesellschaften wird empfohlen, den Kodex zu beachten. Der Kodex stellt<br />
zum einen das deutsche Corporate-Governance-System überschaubar dar. Zum anderen enthält er<br />
Empfehlungen, von denen abgewichen werden kann, wenn dies von der Gesellschaft entsprechend<br />
offengelegt wird, und weitere Anregungen, von denen die Gesellschaften ohne entsprechende Offenlegung<br />
abweichen können.<br />
Der Kodex ist national wie international auf großes Interesse und breite Zustimmung sowohl der<br />
Unternehmen wie der Anleger gestoßen und hat damit zweifellos das erste der beiden Ziele erreicht,<br />
nämlich bessere und verständliche Darstellung des deutschen Corporate-Governance-Systems. Dass<br />
die Implementierung und Beachtung des Kodex auch zu verbesserter Corporate Governance in den<br />
Unternehmen führen wird, steht zu erwarten.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance Kommission besteht auch nach Veröffentlichung des Kodex<br />
fort und verfolgt die Entwicklung von Corporate Governance in Gesetzgebung und Praxis. Sie prüft<br />
mindestens einmal jährlich, ob der Kodex dieser Entwicklung anzupassen ist.<br />
2.3.2. TransPuG<br />
Der Gesetzgeber hat noch in der letzten Legislaturperiode, unmittelbar nach der Vorlage des Berichts<br />
der Regierungskommission, das TransPuG verabschiedet und damit in einem zweiten Schritt weitere<br />
wichtige Empfehlungen der Regierungskommission zur Reform des Unternehmensrechts umgesetzt.<br />
Im Schwerpunkt betreffen die Vorschriften den Aufsichtsrat und seine Informationsversorgung.<br />
Weitere Regelungen des TransPuG nehmen Vorschläge der Regierungskommission in den Bereichen<br />
Unternehmensfinanzierung, Hauptversammlung und Aktionärsrechte auf. Insbesondere ist durch<br />
das TransPuG ein neuer § 161 Aktiengesetz geschaffen worden, wonach Vorstand und Aufsichtsrat<br />
einer börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären haben, dass den vom Bundesministerium der<br />
Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der<br />
„Regierungskommission <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde oder welche<br />
Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Diese Erklärung ist den Anlegern, z. B. auf<br />
der Website der Gesellschaft, dauerhaft zugänglich zu machen.<br />
2.3.3. Weiterer Reformbedarf<br />
Die Empfehlungen der Regierungskommission, die wegen ihrer inhaltlichen Komplexität und des<br />
damit verbundenen erhöhten Diskussionsbedarfs bisher noch nicht umgesetzt worden sind, sollen in<br />
dieser Legislaturperiode angegangen werden.<br />
43
44 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
3. Ausgewählte Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance –<br />
Umsetzung und weiterer Handlungsbedarf<br />
3.1. Vorstand<br />
Die Empfehlungen der Regierungskommission Corporate Governance für den Vorstand betreffen<br />
insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat sowie positive und negative Anreize, die<br />
Einfluss auf die Tätigkeit des Vorstands haben können. An dieser Stelle kann nur auf einige Punkte<br />
näher eingegangen werden.<br />
3.1.1. Aktienoptionen und Offenlegung der Vorstandsgehälter<br />
Regelungsdefizite bestehen nach wie vor hinsichtlich der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, sofern<br />
die Vergütung Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung enthält. Vor allem Aktienoptionsprogramme,<br />
bei denen der Bezug von Aktien der Gesellschaft mit dem Erreichen bestimmter Erfolgsziele<br />
verbunden ist, haben in Deutschland in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die konventionelle<br />
Vergütung von Vorständen sollte so (im Detail durchaus fragwürdigen) internationalen „Standards“<br />
angepasst werden. Leider ist in diesem Zusammenhang unterlassen worden, auch internationale<br />
Standards zur Offenlegung der Bedingungen der Optionspläne zu übernehmen.<br />
Die Aktien, die zur Erfüllung solcher Bezugsrechte erforderlich sind, können durch den Rückerwerb<br />
eigener Aktien oder durch eine bedingte Kapitalerhöhung bereitgestellt werden. Dafür ist jeweils ein<br />
Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Im Vorfeld eines solchen Beschlusses ist für eine<br />
sachgemäße und angemessene Meinungsbildung der Aktionäre insbesondere die Kenntnis des<br />
Gesamtwerts des Optionsprogramms oder jedenfalls die Bandbreite des Wertes unerlässlich. Die<br />
Regierungskommission hat deshalb eine Empfehlung an die Kodex-Kommission gerichtet, als „best<br />
practice“ vorzusehen, dass der Vorstand bei Schaffung eines bedingten Kapitals oder einer Ermächtigung<br />
zum Rückerwerb eigener Aktien zur Bedienung von Aktienoptionen für Vorstände oder Mitarbeiter<br />
der Hauptversammlung über den Wert oder die Bandbreite des Werts berichtet. Die Kodex-Kommission<br />
hat diesen Vorschlag der Regierungskommission nicht übernommen. Der <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance<br />
Kodex enthält nur die Empfehlung, dass die konkrete Ausgestaltung eines Aktienoptionsplans<br />
oder eines vergleichbaren Vergütungssystems in geeigneter Form bekannt gemacht werden soll.<br />
Außerdem sollten der Wert der ausgeübten und noch ausstehenden Optionen, die Ausübungshürden,<br />
Laufzeiten und Haltefristen jährlich im Anhang des Jahresabschlusses oder im Geschäftsbericht<br />
veröffentlicht werden. Der <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance Kodex enthält hierzu lediglich die unbestimmte,<br />
verbesserungsfähige Empfehlung, dass die Vergütung der Vorstandsmitglieder im Anhang<br />
des Konzernabschlusses aufgeteilt nach Fixum, erfolgsbezogenen Komponenten und Komponenten mit<br />
langfristiger Anreizwirkung ausgewiesen werden soll, sowie die Anregung, dass die Angaben individualisiert<br />
erfolgen sollten.<br />
Verbesserungswürdig ist auch die Regelung zur Fixierung von Erfolgszielen. Der Corporate Governance<br />
Kodex lässt bedauerlicherweise die ausschließliche Bindung an die Entwicklung des <strong>Börse</strong>nkurses<br />
der eigenen Aktie zu. Dies beschwört je nach Umfang des Programms und Marktentwicklung verschiedene<br />
Gefahren herauf (Änderung des Investitionshorizonts, Verstecken von Risiken und Pushen<br />
des Kurses; Belohnung von „underperformance“ und „windfall profits“). Eine solche Regelung sollte<br />
daher nicht als vom Kodex zugelassene „best practice“ angesehen werden.<br />
Die Regierungskommission Corporate Governance hat ferner davon abgesehen, eine quantitative<br />
Begrenzung der Gewinne aus erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteilen zu empfehlen. Sie hat es
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
für ausreichend erachtet, dass im Falle der Gewährung von Bezugsrechten auf junge oder zurückzuerwerbende<br />
Aktien die Hauptversammlung ein Mitwirkungsrecht hat, und sie im Falle vollständiger<br />
Information den Verwässerungseffekt durch Beschränkung der Anzahl der zu bewilligenden Aktien<br />
begrenzen kann. Außerdem hat sie auf den mäßigenden Einfluss der Mitbestimmung im deutschen<br />
Corporate-Governance-System gesetzt. Diese Erwartung trägt allerdings offenbar zumindest nicht<br />
immer, wie spektakuläre Fälle in der jüngsten Vergangenheit gezeigt haben. Im Hinblick darauf<br />
erscheint es angebracht, dass in Zukunft der Aufsichtsrat durch den Corporate Governance Kodex<br />
dazu angehalten wird, eine individuelle Begrenzung der Höhe der Gesamtvergütung einschließlich<br />
erfolgsabhängiger Vergütungen („cap“) festzulegen und dieses „cap“ zu veröffentlichen.<br />
3.1.2. Haftung<br />
Die in der Theorie durchaus strenge Haftung der Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften<br />
nach deutschem Recht versagt in der Praxis weitgehend. Vorstände und Aufsichtsräte<br />
nehmen sich nicht wechselseitig, in Vertretung der Gesellschaft, auf Schadensersatz in Anspruch,<br />
wenn man von extremen Ausnahmefällen absieht. Haftung von Organpersonen ist aber wichtig, nicht<br />
so sehr, um ex post Schäden der Gesellschaft auszugleichen, als vielmehr als (negativer) Anreiz ex<br />
ante. Dabei geht es nicht etwa darum, allgemeine Sorgfaltswidrigkeiten oder gar das Eingehen von<br />
Risiken abzuschrecken, sondern um die Abwehr von Gesetzesverstößen und illoyalem und treuepflichtwidrigem<br />
Verhalten.<br />
In ausländischen Rechtssystemen, insbesondere in den USA, kann jeder Aktionär in solchen Fällen<br />
namens der Gesellschaft klagen. Die bisher im deutschen Recht vorgesehenen Schwellenwerte und<br />
Hürden sind dagegen erheblich zu hoch und werden insbesondere den Verhältnissen einer Publikumsgesellschaft<br />
nicht gerecht. Die Regierungskommission hat deshalb ebenso wie bereits der <strong>Deutsche</strong><br />
Juristentag vorgeschlagen, das für eine entsprechende Aktionärsklage erforderliche Quorum von<br />
derzeit fünf Prozent des Grundkapitals oder Aktien im Wert von 500.000 Euro nominal auf einen<br />
Aktienbesitz in Höhe von einem Prozent des Grundkapitals oder mit einem <strong>Börse</strong>n- oder Marktwert<br />
in Höhe von 100.000 Euro herabzusetzen. Um missbräuchliche Aktionärsklagen auszuschalten,<br />
sollte vor die eigentliche Klage ein Klagezulassungsverfahren vor dem Prozessgericht vorgeschaltet<br />
werden.<br />
3.2. Aufsichtsrat<br />
3.2.1. Verbesserte Information und stärkere Überwachungsrechte des Aufsichtsrats<br />
Ein wichtiger Eckpfeiler des Berichts der Regierungskommission ist die verbesserte Versorgung des<br />
Aufsichtsrats mit den für seine Arbeit notwendigen Informationen. Dies betrifft vor allem die Zusammenarbeit<br />
des Aufsichtsrats mit dem Vorstand, aber z. B. auch die Information des Plenums über die<br />
Arbeit von Aufsichtsratsausschüssen und die Kooperation mit dem Abschlussprüfer. Wichtige Vorschläge<br />
der Regierungskommission hierzu sind bereits durch den Corporate Governance Kodex und<br />
das TransPuG umgesetzt worden. Beispielsweise ist nach einer Änderung des Aktiengesetzes dem<br />
Aufsichtsrat nunmehr über die Arbeit der Ausschüsse regelmäßig zu berichten. Außerdem wurde die<br />
Regelberichterstattung durch den Vorstand erweitert und schließt jetzt Tochterunternehmen ein.<br />
Ebenfalls neu ist die Pflicht des Vorstands, dem Aufsichtsrat über die Umsetzung der Unternehmensplanung<br />
in der Vergangenheit zu berichten (Follow-up-Berichterstattung). Berichte des Vorstands sind<br />
künftig möglichst rechtzeitig und grundsätzlich in Textform zu erstatten. Der Gesetzgeber hat in das<br />
Aktiengesetz außerdem die Verpflichtung aufgenommen, einen Katalog von Geschäften zu fomulieren,<br />
die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen.<br />
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46 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Eine Empfehlung, die der Gesetzgeber bisher noch nicht umgesetzt hat, betrifft das konzernweite<br />
Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft hat<br />
zwar die Konzerngeschäftsleitung durch den Vorstand zu prüfen und auch den Konzernabschluss zu<br />
billigen. Dem entspricht das Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats derzeit aber nicht. Der<br />
Aufsichtsrat darf nach geltendem Recht Unterlagen der Tochtergesellschaften nicht selbst einsehen,<br />
prüfen oder einen Sachverständigen damit beauftragen. Eine Erweiterung des Einsichts- und Prüfungsrechts<br />
des Aufsichtsrats erscheint insofern angezeigt. Der Aufsichtsrat sollte einen zur Verschwiegenheit<br />
verpflichteten Sachverständigen bestellen können, der Bücher und Schriften von Tochtergesellschaften<br />
einsehen und prüfen sowie von deren gesetzlichen Vertretern Aufklärung und Nachweise<br />
verlangen darf.<br />
3.2.2. Prüfung der Effizienz des Aufsichtsrats<br />
Die Regierungskommission Corporate Governance hat auch das international breit diskutierte Thema<br />
„Effizienzprüfung des Board/Aufsichtsrats“ erörtert. Ihr Abschlussbericht führt dazu aus, dass es Angelegenheit<br />
und Aufgabe jedes Aufsichtsrats selbst ist, einen solchen Evaluierungsprozess anzustoßen<br />
und in Gang zu halten. Die Regierungskommission hat deshalb weder der Kodex-Kommission noch<br />
gar dem Gesetzgeber einen konkreten Vorschlag zur Selbst- oder Fremdevaluierung der Tätigkeit des<br />
Aufsichtsrats unterbreitet. Die Kodex-Kommission hat in den <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex<br />
jedoch die Empfehlung aufgenommen, dass der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit<br />
überprüfen solle. Die Art und Weise dieser Prüfung bleibt dabei jedem Aufsichtsrat selbst überlassen.<br />
Der internationalen Praxis folgend kommt hier entweder eine Prüfung durch externe Berater („board<br />
review“) oder eine Selbstevaluierung in Betracht. Eine einfache Möglichkeit der Selbstevaluierung<br />
besteht darin, einen auf die Verhältnisse der konkreten Gesellschaft zugeschnittenen Fragebogen zu<br />
entwickeln, mit seiner Hilfe Arbeit, Besetzung usw. des Aufsichtsrats von dessen Mitgliedern anhand<br />
eines Punktesystems bewerten zu lassen und die Ergebnisse der weiteren Arbeit zugrunde zu legen.<br />
3.2.3. Prüfungsausschüsse<br />
Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance enthält eingehende Überlegungen zur<br />
Einrichtung von Prüfungsausschüssen („Audit Committees“). Nach Ansicht der Regierungskommission<br />
kann die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, der seinen Ursprung in angelsächsischen Ländern<br />
mit einstufigem Verwaltungsratsmodell hat, auch in der dualistischen Unternehmensverfassung mit<br />
Vorstand und Aufsichtsrat vorteilhaft sein. Das Aufsichtsratsplenum wird nämlich von der gesetzlich<br />
vorgesehenen Aufgabe der notwendig eingehenden und zeitnahen (Stichwort: „fast close“) Prüfung<br />
entlastet. Das Audit Committee gestattet, den durch die Ausschussmitglieder vertretenen Aufsichtsrat<br />
schon vor der endgültigen Aufstellung von Jahresabschluss und Lagebericht einzubeziehen,<br />
und fördert die Entwicklung und den Einsatz spezieller Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern in<br />
diesem Bereich.<br />
Um eine möglichst große Organisationsflexibilität zu wahren, hat die Regierungskommission vom<br />
Vorschlag einer gesetzlichen Regelung abgesehen und der Kodex-Kommission empfohlen, entsprechende<br />
Kriterien für die Einrichtung, Besetzung und Aufgaben eines Prüfungsausschusses<br />
aufzustellen. Die Kodex-Kommission ist dem nachgekommen. Eine börsennotierte Gesellschaft soll<br />
im Regelfall einen Prüfungsausschuss einrichten, der sich – neben der Rechnungslegung – mit Fragen<br />
des Risikomanagements befassen, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers thematisieren, den<br />
Prüfungsauftrag an den Abschlussprüfer erteilen, Prüfungsschwerpunkte festlegen und die Honorarvereinbarung<br />
treffen soll. Ferner regt der Kodex an, dass der Vorsitzende des Ausschusses kein ehemaliges<br />
Vorstandsmitglied der Gesellschaft sein sollte. Das ist zu begrüßen.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
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Wünschenswert erscheint aber, dass der Kodex an dieser Stelle weiter präzisiert wird. Das betrifft<br />
zum einen die – übrigens allgemein an den Aufsichtsrat zu stellende – Frage der Unabhängigkeit<br />
und Qualifikation seiner Mitglieder, zum anderen die Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung<br />
und der Unabhängigkeit der Prüfer. Insbesondere sollte das Audit Committee mit dem Abschlussprüfer<br />
einen Leistungskatalog erarbeiten und sicherstellen, dass Vergabe und Durchführung des<br />
Prüfungsauftrages sich nicht ausschließlich als Ergebnis eines Bieterwettbewerbs mit niedrigen<br />
Honoraren, aber qualitativ schlechter Arbeit darstellt (siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Jörg<br />
Baetge, Seite 65 ff). Außerdem erscheint es wünschenswert, wenn künftig der Aufsichtsrat oder,<br />
falls vorhanden, das Audit Committee sich die Zustimmung zu Beratungsaufträgen oder sonstigen<br />
Geschäften der Gesellschaft mit der den Abschluss prüfenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorbehält.<br />
Auch das könnte der Kodex künftig als „best practice“ vorsehen.<br />
3.3. Hauptversammlung<br />
Die im Bericht der Regierungskommission Corporate Governance enthaltenen Vorschläge zur Reform<br />
des Hauptversammlungsrechts empfehlen insbesondere, den bereits eingeschlagenen Weg der<br />
Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien weiterzugehen. Die Information<br />
der Aktionäre und Anleger, die Abwicklung von Hauptversammlungen sowie die Kommunikation<br />
zwischen Gesellschaft und Aktionären sollen effizienter gestaltet werden.<br />
Den Vorschlag der Regierungskommission, künftig Veröffentlichungen auch in einer elektronischen<br />
Version des Bundesanzeigers publizieren zu können, hat der Gesetzgeber bereits im TransPuG übernommen.<br />
Gegenanträge von Aktionären zu Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung brauchen<br />
künftig den Aktionären nicht mehr vorab mitgeteilt zu werden. Es genügt jetzt, solche Gegenanträge<br />
in allgemein zugänglicher Form, beispielsweise auf der Internetseite der Gesellschaft, zu veröffentlichen.<br />
Zu begrüßen ist auch, dass das Aktiengesetz die telekommunikative Übertragung der Hauptversammlung<br />
erlaubt, und zwar auch ohne konkretes Einverständnis des jeweiligen Redners, sofern<br />
die Satzung dies vorsieht. Aufsichtsratsmitglieder können künftig in begründeten Ausnahmefällen an<br />
der Hauptversammlung per Telekommunikation teilnehmen. Dies kommt dem Interesse der Gesellschaften<br />
entgegen, ihre Aufsichtsräte zunehmend mit internationalen Mitgliedern zu besetzen.<br />
Weitere regelungsbedürftige Fragen in diesem Zusammenhang sind dagegen bisher noch offen.<br />
So sollte das Hinterlegungserfordernis für Aktien, wenn ein Anteilseigner an der Hauptversammlung<br />
teilnehmen will, abgeschafft werden. Internationalen Standards entsprechend sollte es ausreichen,<br />
dass sich die Aktionäre künftig bis spätestens zum siebten Tag vor der Hauptversammlung anmelden<br />
und ihren Aktienbesitz nachweisen müssen. Die entsprechende Empfehlung der Regierungskommission<br />
hat der Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt. Des Weiteren sollten Aktionäre künftig an der<br />
Hauptversammlung ohne körperliche Anwesenheit teilnehmen und ihre Rechte im Wege elektronischer<br />
Kommunikation ausüben können. Dies würde ausländischen Aktionären die Teilnahme an der<br />
Hauptversammlung erheblich erleichtern.<br />
Wünschenswert ist ferner, einen „Wettbewerb der Stimmrechtsvertretungen“ zu ermöglichen. Die Anleger<br />
sollten nicht nur vor der Alternative stehen, entweder selbst Vorschläge zu entwickeln oder aber<br />
die Verwaltung oder ihre Depotbank zu ermächtigen, entsprechend deren Vorschlägen abzustimmen.<br />
Die Webseite der Gesellschaft sollte vielmehr darüber hinaus Links zu den Vorschlägen der drei Aktionärsvertretungen<br />
oder unabhängigen professionellen Stimmrechtsvertretern vorsehen, die auf der<br />
letzten Hauptversammlung die meisten Stimmrechte vertreten haben. Bedauerlicherweise hat der<br />
Kodex diese Empfehlung der Regierungskommission nicht aufgegriffen.<br />
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Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Die Regierungskommission hat eine Reihe weiterer Vorschläge vorgelegt, die zu einer effizienteren<br />
Abwicklung von Hauptversammlungen und sachgerechteren Ausgestaltung ihrer Befugnisse beitragen<br />
sollen, ohne die Rechte der Aktionäre unangemessen zu beschneiden. So hat sie z. B. empfohlen,<br />
dass im Interesse einer zeitlichen Entlastung der Hauptversammlung sowie einer Verringerung des<br />
Risikos der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen der Vorstand eine Information in der<br />
Hauptversammlung verweigern kann, die bis zum Ende der Hauptversammlung auf der Internetseite<br />
der Gesellschaft abrufbar ist und gleichzeitig in der Hauptversammlung schriftlich ausliegt. Dies<br />
könnte z. B. für umfangreiche Unterlagen und Zahlenwerke von Interesse sein. Ferner müssen missbräuchliche<br />
Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse in Zukunft wirksamer als<br />
bisher ausgeschlossen werden. Insbesondere Anfechtungsklagen, die sich gegen Strukturmaßnahmen<br />
richten, können zu schweren Nachteilen für die Gesellschaft führen, weil sich die Handelsregistereintragung<br />
regelmäßig durch die Klage verzögert. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn ein überwiegendes<br />
Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsklägers hieran ersichtlich ist.<br />
3.4. Aktionäre und Anlegerschutz<br />
3.4.1. Haftung für Falschinformation des Kapitalmarkts<br />
Wie die Verhältnisse am Neuen Markt gezeigt haben, bedarf der Schutz der Anleger vor öffentlichen<br />
Falschinformationen seitens einer börsennotierten Gesellschaft und ihrer Leitungsorgane dringend<br />
der Verbesserung. Im internationalen Vergleich weist die Haftung für falsche oder irreführende öffentliche<br />
Informationen nach deutschem Recht deutliche Mängel auf. Die Regierungskommission hat<br />
deshalb empfohlen, das deutsche Recht internationalen Standards anzupassen. So sollten künftig<br />
Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats einer börsennotierten Gesellschaft auch persönlich<br />
haften, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig den Kapitalmarkt mit falschen Informationen versorgt,<br />
dadurch den Anleger zu einem Kauf oder Verkauf veranlasst und ihm einen Schaden zugefügt haben.<br />
Nach dem Vorschlag der Regierungskommission sollte die Haftung bei grober Fahrlässigkeit, für die<br />
in der Praxis ohnehin eine Versicherung genommen werden dürfte, auf einen Höchstbetrag beschränkt<br />
werden. Der Tatbestand der Vorschrift sollte alle gesetzlich vorgeschriebenen Kapitalmarktinformationen<br />
erfassen, wie Zwischenberichte, Konzernabschluss oder Ad-hoc-Mitteilungen, aber auch sonstige<br />
für den Kapitalmarkt bestimmte Darstellungen, wie z. B. Angaben im Geschäftsbericht oder Auskünfte<br />
in der Hauptversammlung.<br />
Diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber bisher noch nicht aufgegriffen. Durch das am 1. Juli 2002 in<br />
Kraft getretene Vierte Finanzmarktförderungsgesetz ist zwar eine Schadensersatzpflicht für fehlerhafte<br />
Ad-hoc-Mitteilungen in das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) aufgenommen worden. Dabei<br />
handelt es sich jedoch nur um eine Teilregelung des Fragenkreises. Die Vorschrift erfasst nur das<br />
vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung einer ad-hoc-publizitätspflichtigen<br />
Tatsache sowie die vorsätzliche oder grobfahrlässige Veröffentlichung unwahrer Tatsachen<br />
in einer Ad-hoc-Mitteilung. Außerdem trifft die Schadensersatzpflicht nicht die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder<br />
der Gesellschaft persönlich, sondern die Gesellschaft selbst. Dies überzeugt<br />
rechtspolitisch kaum, weil die geschädigten Aktionäre und Anleger sich gewissermaßen selbst entschädigen,<br />
wenn der Schadensersatz von der Gesellschaft, an der sie beteiligt sind, geleistet wird.<br />
Dass die Gesellschaft intern vielleicht Regress bei den verantwortlichen Organmitgliedern nehmen<br />
könnte, ist jedenfalls bisher aus den oben (3.1.2.) angedeuteten Gründen Theorie und hilft den<br />
Anlegern bei Insolvenz der Gesellschaft nicht weiter. Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf.
3.4.2. Anlegerschutz durch Klagenbündelung<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Für einen funktionierenden Kapitalmarkt kommt es nicht nur darauf an, dass Aktionäre und Anleger<br />
materiellrechtlich vor Betrug und grob fahrlässigen Falschinformationen geschützt werden. Es muss<br />
auch prozessual ein effektiver Rechtsschutz sichergestellt werden. Dafür reicht es nicht aus, dass<br />
jeder einzelne Anleger individuell Klage erheben kann sondern der Rechtsschutz muss, im Interesse<br />
der Anleger, aber auch der Emittenten, um einen Kollektivvertretungsmechanismus ergänzt werden.<br />
Für die Einführung einer solchen zivilprozessualen Klagenbündelung sprechen folgende Gründe. Eine<br />
Falschinformation des Kapitalmarkts, die zu einem Schaden führt, wirkt sich typischerweise so aus,<br />
dass viele Einzelpersonen einen jeweils überschaubaren Einzelschaden erleiden. Die Einzelschäden<br />
können sich freilich zu einem erheblichen Gesamtschaden summieren. Will bzw. muss jeder einzelne<br />
Anleger allein seinen Schaden einklagen, so entstehen erhebliche Koordinations- und Anreizprobleme.<br />
Denn jeder Einzelkläger muss sich die für die Klage erforderlichen Informationen selbst beschaffen<br />
und einen eigenen Anwalt beauftragen. Überdies kommt einer Vielzahl von Einzelklägern nicht die<br />
Kostendegression bei den Anwalts- und Prozesskosten zugute, die sich ergäbe, wenn nur ein einziger<br />
großer Gesamtschaden eingeklagt würde. Die individuelle Verfolgung von Massenschäden ist somit<br />
ineffizient und teurer als die Verfolgung eines hohen Schadens durch einen Kläger. Der „kleine“<br />
Anleger wird deshalb das Risiko eines Prozesses eher scheuen als ein Großanleger. Umgekehrt bedeutet<br />
das für den Schädiger, dass ein Betrug gegenüber vielen kleinen Anlegern weniger riskant ist<br />
als gegenüber einem Großanleger. Im Übrigen wäre auch für einen Beklagten die Verteidigung gegen<br />
viele Einzelklagen schwieriger und teurer als gegen einen Kläger.<br />
Die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen wäre überdies auch für die Justiz von Vorteil. Ein (Groß-)<br />
Verfahren belastet die Gerichte insgesamt weniger als vielleicht mehrere tausend verschiedene (Klein-)<br />
Verfahren. Man denke nur an die Kostenverwaltung, Ladungen usw. Die individuelle Verfolgung von<br />
Massenschäden nimmt knappe Justizreserven in Anspruch und ist auch deshalb ineffizient. Wenn<br />
überdies Klagen bei verschiedenen Gerichten eingereicht werden, ist auch die Gefahr gegenläufiger<br />
Entscheidungen bei gleichem Tatsachenstoff und gleichen Rechtsfragen nicht auszuschließen.<br />
Ein Kollektivvertretungsmechanismus in solchen Anlegerschutzprozessen wäre deshalb auch für den<br />
deutschen Kapitalmarkt vorteilhaft. Ohne effektiven Rechtsschutz gegen Schädigungen am Kapitalmarkt<br />
fordern Investoren eine höhere Risikoprämie. Die Eigenkapitalaufnahme für alle Unternehmen<br />
wird dadurch teurer, nicht nur für die schwarzen Schafe.<br />
Die Regierungskommission Corporate Governance hat aus all diesen Gründen vorgeschlagen, ein<br />
Verfahren zur Bündelung von Individualschadensersatzklagen einzuführen; dem hat sich der <strong>Deutsche</strong><br />
Juristentag 2002 der Sache nach angeschlossen. Eine „Class Action“ US-amerikanischer Prägung<br />
mit Erfolgshonorarversprechen für Anwälte und der damit zu erwartenden Klagenindustrie wird<br />
allerdings klar und deutlich abgelehnt. Zugleich hat sich die Regierungskommission gegen jeden<br />
Kollektivzwang ausgesprochen; jeder Anleger soll seinen Anspruch auch künftig individuell einklagen<br />
können. Die Regierungskommission schlägt vor, dass künftig jeder geschädigte Anleger bei dem<br />
zuständigen Prozessgericht beantragen können soll, dass das Gericht für die Anleger einen gemeinsamen<br />
Vertreter bestellt. Die Figur des gemeinsamen Vertreters ist dem deutschen Recht übrigens<br />
nicht fremd. Der bestellte Vertreter weist die Anleger öffentlich darauf hin, dass eine Klage beabsichtigt<br />
ist und dass Ansprüche bei ihm angemeldet werden können. Die Anmeldung erfolgt freiwillig.<br />
Bei Obsiegen wird die eingeforderte Summe verteilt, bei Unterliegen teilen sich die beteiligten Anleger<br />
in die angefallenen Kosten.<br />
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Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
3.5. Unternehmenspublizität<br />
Ein weiterer Bereich, in dem Deutschland Aufholbedarf im Interesse eines effizienteren Kapitalmarkts<br />
hat, betrifft die Medien der Unternehmenspublizität. Die Unternehmenspublizität erfolgt derzeit über<br />
mehrere Datensammlungen: das Handelsregister, den Bundesanzeiger, sonstige Gesellschaftsblätter,<br />
die Beteiligungsdatenbank der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Sammlung<br />
der Ad-hoc-Mitteilungen sowie die Archivierung der Zwischenberichte bei den <strong>Börse</strong>n. Neben<br />
der zügigen elektronischen Erfassung aller publizitätspflichtigen Unternehmensdaten in diesen Dateien<br />
muss im Interesse der Kostensenkung, der Erleichterung der Information und der Steigerung der<br />
Transparenz möglichst umgehend ein einheitlicher Zugang zu diesen elektronischen Dateien von einem<br />
einheitlichen Zugangsportal aus geschaffen werden. Deutschland befindet sich in diesem Bereich im<br />
internationalen Vergleich regulatorisch und technologisch im Rückstand. Die Regierungskommission<br />
hat deshalb empfohlen, ein solches Zugangsportal („<strong>Deutsche</strong>s Unternehmensregister“) einzurichten,<br />
das dem Geschäftsverkehr und den Kapitalmarktteilnehmern über elektronische Links den Weg zu den<br />
amtlichen, öffentlichen Unternehmensdateien eröffnet.<br />
3.6. Rechnungslegung und Abschlussprüfung<br />
3.6.1. Zwischenberichte und Risikomanagement<br />
Ein Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance betrifft die international übliche<br />
Pflicht zur Vorlage von Quartalsberichten, die der regelmäßigen, zeitnahen und verlässlichen Information<br />
der Anleger dient. Es sollte eine gesetzliche Verpflichtung aller börsennotierten Gesellschaften<br />
zur Vorlage von Quartalsberichten eingeführt werden. Die Einwendungen eines bekannten deutschen<br />
Autobauers gegen diese Rechenschaftspflicht gegenüber seinen Geldgebern sind unbegründet.<br />
Darüber hinaus sollten die Quartalsberichte einer prüferischen Durchsicht („review“) seitens eines<br />
Wirtschaftsprüfers und des Aufsichtsrats unterliegen.<br />
Die weitere Empfehlung der Regierungskommission, das Risikomanagement in börsennotierten<br />
Gesellschaften zu verbessern, hat der Gesetzgeber bereits übernommen. Das TransPuG hat § 317<br />
HGB dahin geändert, dass sich die Prüfungs- und Berichterstattungspflicht des Abschlussprüfers zu<br />
Einrichtung und Funktionsfähigkeit des Risikoüberwachungssystems des geprüften Unternehmens<br />
künftig auf alle börsennotierten Gesellschaften erstreckt. Bisher galt die Regelung nur für Unternehmen,<br />
deren Aktien zum Handel im amtlichen Markt zugelassen waren.<br />
3.6.2. Enforcement der Rechnungslegung<br />
Die in Deutschland bestehenden Mechanismen zur Sicherung der Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung<br />
(Enforcement) sind nach mehreren Unternehmenskrisen in den letzten Jahren – dies gilt<br />
insbesondere für verschiedene am Neuen Markt notierte Gesellschaften – als unzureichend kritisiert<br />
worden. Dieser Kritik hat sich auch die Regierungskommission angeschlossen. Anders als z. B. in den<br />
USA und in Großbritannien fehlt in Deutschland eine Einrichtung oder Behörde, die Beschwerden oder<br />
Anregungen von Anlegern oder Gläubigern oder auch öffentlichen Hinweisen auf behauptete Fehler<br />
in der Rechnungslegung einer börsennotierten Gesellschaft nachgeht. Die Regierungskommission hatte<br />
sich dafür ausgesprochen, hierfür eine privatwirtschaftlich getragene und organisierte Einrichtung nach<br />
dem Vorbild des britischen „Financial Reporting Review Panel“ ins Leben zu rufen. Diese Einrichtung<br />
sollte nach von ihr erstellten Verfahrensvorschriften im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen<br />
möglichen Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften und -standards nachgehen. Im<br />
Falle fehlender Kooperation der jeweiligen Gesellschaft sollte die Einrichtung das Recht haben, gegen
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
den Jahresabschluss oder dessen Feststellung durch die Hauptversammlung gerichtlich vorzugehen.<br />
Die seit der Vorlage des Berichts der Regierungskommission zu beobachtenden Bilanzfälschungsfälle<br />
werfen allerdings die Frage auf, ob die Einrichtung einer privatwirtschaftlich getragenen Enforcement-<br />
Instanz allein ausreichen wird, um das Vertrauen der Märkte in die Konzernabschlüsse und in die<br />
Wirksamkeit der Abschlussprüfung wieder herzustellen. Einer privatwirtschaftlich organisierten und<br />
getragenen Einrichtung fehlen Auskunfts- und Untersuchungsbefugnisse; die Klage vor einem Zivilgericht<br />
kann dies nicht wettmachen. Deshalb dürfte nicht zu umgehen sein, dass sich ein solches<br />
„Enforcement“-Panel notfalls der Unterstützung der BaFin vergewissern kann. Ein solches „duales<br />
System“ zur Durchsetzung einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung erscheint als überzeugenderer<br />
Weg, um die derzeitigen Defizite zu beheben. Die Kombination einer privatwirtschaftlich organisierten<br />
und getragenen „Ombuds-Stelle“ mit der subsidiär gegebenen Möglichkeit der BaFin, ihre verwaltungsrechtlichen<br />
Zwangsbefugnisse dort einzusetzen, wo das Panel nicht weiterkommt, hätte die üblichen<br />
Vorteile privater Lösungen für sich, ohne in äußersten Fällen auf den Einsatz von Zwangsbefugnissen<br />
verzichten zu müssen (siehe dazu den Beitrag von Prof. Jörg Baetge, Seite 65 ff).<br />
3.6.3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers<br />
Von zentraler Bedeutung ist des Weiteren, wie die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer besser und<br />
deutlicher als bisher sichergestellt werden kann. Auch hier weist das geltende Recht Lücken auf, die<br />
beseitigt werden müssen. Die Regierungskommission hat insofern vorgeschlagen, dass sich der zur<br />
Wahl vorgesehene Abschlussprüfer dem Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss gegenüber zu<br />
solchen Umständen zu erklären hat, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten (Unabhängigkeitserklärung<br />
des Abschlussprüfers). Ferner sollte in den Corporate Governance Kodex auch<br />
eine Empfehlung aufgenommen werden, dass während des erteilten Mandats auftretende Inkompatibilitäts-<br />
oder Befangenheitsgründe sofort dem Aufsichtsrat mitzuteilen sind.<br />
Dem folgend hat die Kodex-Kommission in den <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex entsprechende<br />
Bestimmungen aufgenommen. Die bisherigen Empfehlungen dürften freilich nicht genügen, um die<br />
Unabhängigkeit der Abschlussprüfer wirklich zu sichern. Radikale Vorschläge allerdings wie etwa,<br />
die Abschlussprüfung und das Beratungsgeschäft institutionell aufzuspalten oder eine Zwangsrotation<br />
einzuführen, sind nicht angezeigt. Der Gesetzgeber wird aber nicht umhin können, den Katalog<br />
der einem Abschlussprüfer untersagten Geschäfte der internationalen Entwicklung entsprechend zu<br />
überarbeiten und enger zu fassen. Danach zulässig bleibende Aufträge an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft,<br />
die den Abschluss prüft, sollten künftig nur mehr mit Zustimmung des Aufsichtsrats<br />
erteilt werden können.<br />
Verstärkt werden könnte die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer und die Qualität ihrer Arbeit durch<br />
einen Ethikkodex, der über die gesetzlichen Mindestregeln hinaus Verhaltensstandards als „best<br />
practice“ vorsehen und im Prüfungsauftrag der Gesellschaft als Grundlage festgeschrieben werden<br />
könnte. Wird eine Gesellschaft insolvent, dann sollten die Prüfungsberichte der letzten Jahre offen<br />
gelegt werden; auch diese Vorkehrung könnte dem Abschlussprüfer gerade in der Krise eines Unternehmens<br />
den Rücken stärken.<br />
Der Verbesserung bedarf schließlich auch die Berufsaufsicht über die Abschlussprüfer, die bisher im<br />
Wege der Selbstorganisation durch die Wirtschaftsprüferkammer stattfindet. Die Berufsaufsicht über<br />
die als Abschlussprüfer tätigen Wirtschaftsprüfer sollte stärker als bisher unabhängig ausgestaltet<br />
werden.<br />
51
52 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
4. Das zweistufige deutsche System und die Mitbestimmung<br />
4.1. Aufsichtsrat und Board-Modell<br />
In der Corporate-Governance-Diskussion wird gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob das international<br />
verbreitete einstufige Board-(Verwaltungsrats-)Modell („One-tier“-System) dem deutschen<br />
zweistufigen Vorstands-/Aufsichtsratsmodell („Two-tier“-System) überlegen ist. Daran schließt sich<br />
gelegentlich sogar die Forderung an, das international verbreitete Verwaltungsratsmodell in das<br />
deutsche Recht zu übernehmen. Die Regierungskommission hat allerdings keinen Anlass gesehen,<br />
vom traditionellen zweistufigen deutschen Modell in der Aktiengesellschaft abzugehen.<br />
Verschiedene Gründe sprechen gegen eine Übernahme des „One-tier“-Systems in das deutsche<br />
Aktienrecht. Bisher gibt es keinen Nachweis dafür, dass eines der Systeme dem anderen prinzipiell<br />
überlegen ist. Das einstufige Führungssystem hat den Zusammenbruch großer und wichtiger Unternehmen<br />
ebenso wenig verhindert wie das zweistufige System. Ob Management und Aufsicht in<br />
zwei unterschiedliche Organe aufgeteilt werden oder eine Trennung zwischen „Inside“ und „Outside<br />
Directors“ innerhalb eines Organs stattfindet, ist nur von untergeordneter Bedeutung. Gutes Management<br />
und gute Aufsicht hängen vielmehr davon ab, wie die Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben<br />
rechtlich sichergestellt wird. Insbesondere die Integrität und Qualifikation der handelnden Personen<br />
spielen die maßgebende Rolle. Häufig wird in der Diskussion das deutsche duale Führungssystem<br />
auch mit den Themen „Größe der Aufsichtsräte“ und „Mitbestimmung“ vermengt. Diese Fragen sind<br />
aber voneinander zu trennen.<br />
In der Unternehmenspraxis zeichnet sich überdies eine faktische Annäherung der beiden Systeme ab.<br />
Im einstufigen System ist eine zunehmende Tendenz zu erkennen, die Funktionen von Chairman und<br />
Chief Executive Officer zu trennen. „Board Subcommittees“ werden mehrheitlich mit unabhängigen<br />
Outside Directors besetzt. Umgekehrt ist die Regierungskommission Corporate Governance bestrebt<br />
gewesen, die Information des Aufsichtsrats zu verbessern, negative und positive Anreize für eine<br />
höhere Effizienz der Aufsichtsratsarbeit zu schaffen und so die Qualität der Aufsichtsratsarbeit zu erhöhen.<br />
Die Regierungskommission hat sich auch die Frage gestellt, ob sie eine Empfehlung abgeben sollte,<br />
nach französischem Vorbild den Gesellschaften ein Wahlrecht zwischen einstufigem und zweistufigem<br />
Führungsmodell einzuräumen. Diesen Vorschlag, der durchaus attraktiv erschien, hat sie gleichwohl<br />
nicht unterbreitet. Ein solches Optionsmodell würde erhebliche und außerordentlich schwierige<br />
Änderungen des deutschen Aktien- und Mitbestimmungsrechts erfordern. Da sich der Gesetzgeber<br />
ohnedies im Rahmen der Einführung der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft („Societas<br />
Europaea“) mit der Einpassung des ein- und zweistufigen Führungsmodells befassen muss, sollten<br />
die dabei zu gewinnenden Erfahrungen abgewartet werden.<br />
Die Regierungskommission hat sich auf eine – an sich wünschenswerte – Verkleinerung der Aufsichtsräte<br />
nicht einigen können. Vergleicht man die Größe der Führungsorgane großer deutscher<br />
Gesellschaften (Vorstand und Aufsichtsrat) mit der ihrer ausländischen Wettbewerber, dann wird<br />
deutlich, dass eine effiziente Beratung mit offener Aussprache und Kritik in Gremien mit oft mehr<br />
als 30 Mitgliedern kaum möglich sein dürfte. Das deutsche Corporate-Governance-System muss daher<br />
verstärkt auf Ausschussarbeit und separate Vorbereitung von Plenarsitzungen, aber auch auf<br />
entsprechende Information und Einbindung des Plenums in die Ausschussarbeit setzen. Der Corporate<br />
Governance Kodex hat hierfür entsprechende Empfehlungen entwickelt.
4.2. Stolperstein Mitbestimmung?<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Die Regierungskommission hat das Thema Mitbestimmung aus ihren Beratungen ausgeklammert, zum<br />
einen aus Zeitgründen, zum anderen in Anbetracht der internationalen Diskussion und Entwicklung,<br />
die abgewartet werden sollte (Neuregelung des holländischen Modells, Entscheidung des Europäischen<br />
Gerichtshofs zur Sitztheorie).<br />
Die inzwischen vorliegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Überseering“<br />
wird künftig ermöglichen, zum Beispiel bei der Bildung einer internationalen Unternehmensgruppe<br />
als Holding eine Gesellschaft ausländischen Rechts ohne Mitbestimmung mit Sitz in Deutschland zu<br />
wählen. Damit ist die durch das Mitbestimmungsrecht drohende Gefahr, dass die Holdinggesellschaften<br />
internationaler Konzerne künftig unter anderem wegen der Mitbestimmung in das Ausland<br />
abwandern könnten, fürs Erste gebannt. Es wird freilich abzuwarten sein, wie sich die Dinge weiter<br />
entwickeln. Zweifellos wird eine Diskussion darüber entstehen, ob Deutschland ein „outreach statute“<br />
erlassen sollte, also ein Gesetz, das unser Mitbestimmungsrecht in solchen ausländischen Gesellschaften<br />
mit Sitz in Deutschland implementieren würde und welche Schranken sich für ein solches<br />
Gesetz aus dem europäischen Recht (Kapitalverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit) ergäben.<br />
Unabhängig davon gehört die Mitbestimmung traditioneller Prägung auf den Prüfstand. Seit Einführung<br />
der Mitbestimmung hat sich das wirtschaftliche und politische Umfeld für deutsche Unternehmen<br />
völlig verändert. Beispielsweise war die <strong>Deutsche</strong> Bank <strong>AG</strong>, als die paritätische Mitbestimmung 1976<br />
eingeführt wurde, tatsächlich noch eine „deutsche“ Bank im Sinne des Wortes. Die ganz überwiegende<br />
Mehrheit ihrer Arbeitnehmer war in Deutschland angestellt, die Erträge wurden hauptsächlich hier<br />
erwirtschaftet. Heute beschäftigt die <strong>Deutsche</strong> Bank in New York und London jeweils etwa genauso<br />
viele Arbeitnehmer wie in Frankfurt. Sie erwirtschaftet den Großteil ihrer Erträge heute im Ausland.<br />
Ungeachtet dieser Umstände haben aber nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer das<br />
Recht, Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen und zu entsenden. Es liegt auf der Hand, dass dies<br />
langfristig kein akzeptables Modell für eine international tätige Gesellschaft sein kann.<br />
5. <strong>Deutsche</strong>s Recht im Kontext der EU<br />
5.1. Nationale vs. europäische Corporate Governance-Regulierung<br />
Am 4. November 2002 hat eine von dem Niederländer Jaap Winter geleitete Gruppe von Gesellschaftsrechtsexperten,<br />
die von Kommissar Bolkestein eingesetzt worden war, ihren Bericht „A Modern<br />
Regulatory Framework for Company Law in Europe“ („Winter II-Papier“) vorgelegt. Der Bericht enthält<br />
u. a. einzelne bedenkenswerte Vorschläge auch über die in Deutschland bereits bestehenden<br />
oder geplanten Maßnahmen hinaus zur Corporate Governance. Ein Teil der Empfehlungen zeigt<br />
freilich, dass eine europäische Regulierung der Corporate Governance Probleme in sich birgt, wenn<br />
die nationalen Besonderheiten der verschiedenen Corporate Governance-Systeme nicht ausreichend<br />
berücksichtigt werden.<br />
Sicher bedeuten die Vorschläge der Winter-Gruppe noch nicht, dass sich die EU-Kommission diese<br />
Vorschläge auch in vollem Umfang zu Eigen machen wird. Es bedarf aber vor jeder weiteren Sachdebatte<br />
zu Fragen der Regulierung von Corporate-Governance-Problemen auf EU-Ebene offenbar nach<br />
wie vor dringend der weiteren Diskussion darüber, wo die Grenzen einer Angleichung der nationalen<br />
Gesellschaftsrechte zu ziehen sind. Die Winter-Gruppe befürwortet in ihrer Stellungnahme explizit das<br />
Ziel einer von den EU-Organen zu befördernden Konvergenz der Corporate-Governance-Systeme.<br />
53
54 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />
Dieses Regulierungsziel ist fragwürdig. Die aktuelle Diskussion der Corporate-Governance-Probleme<br />
verdankt sich weitgehend marktlichen Initiativen, die dann von den Einzelstaaten aufgegriffen worden<br />
sind. Die Marktkräfte sorgen auch dafür, dass die Diskussion nicht auf nationale Perspektiven beschränkt<br />
bleibt. Eine von der EU-Kommission unterstützte Konvergenz, die den Wettbewerb der Systeme<br />
ausschließt oder beschränkt, ist kein erstrebenswertes Ziel. Zu bedenken ist ferner, dass die<br />
Kapitalmärkte nicht an den Grenzen der EU enden, sodass auch eine Harmonisierung im Rahmen<br />
der EU immer nur Teillösungen liefern kann. Deshalb gibt es jedenfalls im Bereich der Corporate<br />
Governance nur einen sehr geringen Bedarf für Harmonisierung oder Mindeststandards in Form von<br />
EU-Richtlinien oder Empfehlungen. Wichtiger wäre, dass die EU Mobilitätshindernisse für transnationale<br />
Investitionen und Kapitalnachfrager, die aus den nationalen Unternehmensrechten resultieren,<br />
beseitigt und jede Form der Behinderung und Zugangsbeschränkung aufhebt. Unterschiede in den<br />
nationalen Systemen können dem Kapitalmarkt durch vernünftig bemessene Offenlgungsvorschriften<br />
deutlich gemacht werden. Sinnvolle Diversität und Wettbewerb verschiedener Systeme sollten aber<br />
auch in einem zusammenwachsenden Europa als fördernswertes Ziel beachtet werden.<br />
5.2. <strong>Deutsche</strong>s Übernahmerecht und die europäische Diskussion<br />
Nach einer über zwei Jahrzehnte dauernden Debatte ist im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag das Wertpapiererwerbs-<br />
und Übernahmegesetz (WpÜG) verabschiedet worden und am 1. Januar 2002 in Kraft getreten.<br />
Damit gibt es in Deutschland erstmals eine gesetzliche Regelung des Rechts der öffentlichen<br />
Kauf- und Übernahmeangebote für Unternehmen. Das WpÜG soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs<br />
Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen und andere öffentliche Angebote<br />
von Wertpapieren schaffen, die den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen<br />
Rechnung tragen, und hierdurch den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch<br />
im internationalen Wettbewerb weiter stärken.<br />
Nach dem Scheitern des Vorschlags einer EU-Übernahmerichtlinie im Juli 2001 im Europäischen<br />
Parlament hat die EU-Kommission am 2. Oktober 2002 einen überarbeiteten Richtlinienvorschlag<br />
verabschiedet und der Öffentlichkeit vorgelegt. Gut und richtig ist, dass die Umsetzung der Richtlinie<br />
dazu führen würde, dass die fragwürdigen Übernahmehindernisse, die das deutsche Recht jetzt noch<br />
vorsieht – freilich nur als Reaktion auf die unzureichende Öffnung der meisten anderen europäischen<br />
Länder (Vorratsbeschlüsse; Abwehrmaßnahmen durch Vorstand und mitbestimmten Aufsichtsrat) –<br />
aufgegeben werden müssten. Die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft haben die bisher<br />
vorliegende Fassung des Vorschlags der EU-Kommission aber zu Recht scharf kritisiert. Der Entwurf<br />
wird bisher nach wie vor nicht dem Anspruch gerecht, faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen<br />
sämtlicher Mitgliedstaaten („Level Playing Field“) zu schaffen. Unternehmen in den Mitgliedstaaten,<br />
die Mehrstimmrechte nicht abgeschafft haben, sind gegen feindliche Übernahmeangebote<br />
besser geschützt als deutsche Unternehmen. Mehrstimmrechte erlauben es Minderheitsaktionären,<br />
ihre Gesellschaft gegen feindliche Übernahmen zu schützen, wenn sie ausreichend Stimmen zur Absicherung<br />
einer Kontrollposition gewährleisten. Es bleibt zu hoffen, dass insoweit noch eine befriedigende<br />
Lösung gefunden werden kann, die tatsächlich dem Anspruch eines fairen Spielfeldes für alle<br />
Unternehmen gerecht wird.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
Sir David Tweedie, Chairman, International Accounting Standards Board<br />
1. Einleitung: Eine Krise von globalem Ausmaß<br />
Die spektakulären Unternehmens- und Rechnungslegungsskandale in den Vereinigten Staaten,<br />
aber auch anderswo zeigen, welche verheerenden Folgen ein Vertrauensverlust der Investoren für<br />
die Wirtschaft haben kann. Die Notwendigkeit von Reformen liegt auf der Hand. Denn ein dauerhafter<br />
Verlust von Vertrauen in die Kapitalmärkte wäre fatal für Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze<br />
und private Vermögen.<br />
Schon jetzt hat die Krise in der Rechnungslegung über die Grenzen der USA hinaus wirtschaftlichen<br />
Schaden angerichtet. Der Wert von Pensionsfonds, die stark im Aktienmarkt investiert sind, ist gefallen<br />
und gefährdet so die Altersersparnisse. Es gibt Fragen zur Zahlungsfähigkeit von Banken, die in Kapital-<br />
und Immobilienmärkten engagiert sind. Für Unternehmen ist die Kapitalbeschaffung schwieriger<br />
und teurer geworden. Die Konjunkturschwäche verringert die Steuereinnahmen des Staates und damit<br />
zugleich den Spielraum für fiskalische Maßnahmen – und dies in einem Umfeld steigender Nachfrage<br />
nach öffentlichen Leistungen. Die Unternehmensskandale sind zwar nicht der einzige Grund für Verlangsamung<br />
des Wirtschaftswachstums. Doch es steht außer Frage, dass eine gute Rechnungslegung,<br />
auf die sich die Märkte verlassen können, ein grundlegender Baustein für erfolgreiche Kapitalmärkte<br />
ist.<br />
Viele Regierungen, Rechnungslegungsexperten, Unternehmen und Investoren in Europa und anderswo<br />
trösten sich damit, dass die Skandale bei ihnen noch nicht das gleiche Ausmaß wie in den USA<br />
erreicht haben. Aufgrund meiner 20-jährigen Berufserfahrung als Wirtschaftsprüfer und Standardisierungsexperte<br />
glaube ich jedoch, dass der Verlust an Vertrauen in die Rechnungslegung nicht nur<br />
in den USA ein Thema ist. Unternehmen sind heutzutage weltweit tätig, konkurrieren um denselben<br />
Kapitalbestand und sind denselben wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt. Die meisten multinationalen<br />
Unternehmen, ob in den USA oder anderswo, müssen sich Performance-Ziele setzen, ihre Konkurrenten<br />
beobachten und ähnliche Geschäftsmethoden anwenden, um sicherzustellen, dass ihr Wettbewerber<br />
keine Vorteile erzielt. Zudem sind die Veröffentlichungen zur Rechnungslegung außerhalb<br />
der USA noch lückenhaft oder der Komplexität des modernen Marktes nicht angemessen. Zum Beispiel<br />
gibt es zurzeit in Europa keinen nationalen Standard, der sich der Rechnungslegung für Finanzinstrumente<br />
umfassend widmet, obgleich die Verwendung von Derivaten in immer mehr Unternehmensbereichen<br />
gängige Praxis ist. Es wäre also unklug, wenn die Länder außerhalb der USA behaupten<br />
würden, es gäbe keinen Verbesserungsbedarf bei ihren Rechnungslegungsverfahren.<br />
Die Entwicklung der globalen Kapitalmärkte, die viele Länder maßgeblich vorangetrieben haben und<br />
an deren Erfolg sie ein starkes wirtschaftliches Interesse haben, befindet sich in einer kritischen Phase.<br />
Deutschland, als größte Wirtschaftsmacht Europas und Brücke zwischen den bereits entwickelten<br />
Volkswirtschaften der Europäischen Union und den Beitrittskandidaten, kann und muss eine führende<br />
Rolle bei der Schaffung von Richtlinien für die Kapitalmärkte spielen. Nur so kann eine effiziente<br />
Kapitalallokation erreicht werden, nur so können die Volkswirtschaften Europas ihr volles Potenzial<br />
entfalten.<br />
Regierungen und Investoren in der ganzen Welt werden Europas gemeinsame Antwort auf die Unternehmensskandale<br />
genau beobachten. Die Industrieländer und internationalen Institutionen haben<br />
angeführt, dass einzelne Wirtschaftszweige nicht so stark von der asiatischen Finanzkrise des Jahrs<br />
1997 getroffen worden wären, hätten sie striktere Rechnungslegungsstandards gehabt, unterstützt<br />
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58 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
durch wirkungsvolle Corporate Governance und eine funktionierende Wirtschaftsprüfung. Wenn Europa<br />
und seine Partner sich nicht den anstehenden, oft schwierigen Entscheidungen stellen, werden<br />
sie denen in die Hände spielen, die den Nutzen der globalen Finanzmärkte grundsätzlich<br />
bezweifeln.<br />
2. Die Säulen der Finanzberichterstattung<br />
Gute Finanzberichterstattung ruht auf drei Säulen: erstens, auf Rechnungslegungsstandards, die<br />
konsistent, umfassend und aus klaren Prinzipien abgeleitet sind, damit Finanzberichte die ihnen<br />
zugrunde liegende wirtschaftliche Realität widerspiegeln; zweitens, auf Rechnungslegungs- und<br />
Wirtschaftsprüfungsverfahren sowie einer Politik, die solche Standards in genaue, umfassende und<br />
zeitnahe Berichte der börsennotierten Unternehmen übersetzen; und drittens, auf legislativen und<br />
regulatorischen Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass die Grundsätze der Rechnungslegungsstandards<br />
auch eingehalten werden.<br />
Im Zuge eines beispiellosen Wirtschaftsaufschwungs haben die USA den Verfall dieser drei Säulen<br />
erlebt. Die amerikanischen Unternehmensskandale haben gezeigt, dass die US Generally Accepted<br />
Accounting Principles (GAAP) in verschiedener Hinsicht unzureichend waren. Die Wirtschaftsprüfungsunternehmen<br />
haben gegenüber den Investoren immer weniger Rechenschaft abgelegt, und die US<br />
Securities and Exchange Commission (SEC) war überfordert von dem weit verbreiteten Verfall der<br />
Unternehmens- und Wirtschaftsprüferdisziplin. Diese war bis zu einem bestimmten Grad getrieben von<br />
unangemessenen Vergütungsansprüchen und einer Unternehmenskultur, die Reichtum als Grundrecht<br />
ansah, zu welchem Preis auch immer. In anderen Rechtsbereichen ist die Lage ähnlich.<br />
Aufgrund meiner Tätigkeit beim International Accounting Standards Board (IASB) beschränkt sich<br />
der vorliegende Text auf das Thema Rechnungslegungsstandards. Aber gute Standards allein reichen<br />
nicht aus. Sie müssen unterstützt werden durch eine integre Wirtschaftsprüfung und die strikte<br />
Durchsetzung von Regeln.<br />
Es ist offensichtlich, dass viele Probleme entstanden sind, weil Unternehmen und deren Management<br />
die bestehenden Rechnungslegungsstandards nicht beachtet haben. Die Wirtschaftsprüfer wurden<br />
bedauerlicherweise getäuscht, oder sie haben vergessen, dass der Investor und nicht der Vorstandvorsitzende<br />
der Kunde ist. Dies geschah in einem Klima, in dem Betrug sich auszahlte, weil die<br />
Ausübung von Aktienoptionen bei Erreichung eines festgelegten Preises für das Management zur<br />
Norm geworden war. Wenn aber Regeln wiederholt gebeugt oder gebrochen werden, müssen sich<br />
auch die Standardisierungsorganisationen fragen, ob ihre Standards streng genug sind, um von<br />
Missbrauch abzuschrecken.<br />
Für Europa ist die Erfahrung eines Verlusts an Vertrauen in die Rechnungslegung nicht neu. Es gibt<br />
ganz deutliche Parallelen zwischen der heutigen Krise und der in Großbritannien Anfang der 90er<br />
Jahre. Unternehmen wie Colorell und Polly Peck brachen plötzlich zusammen. Um das Vertrauen<br />
in Finanzberichterstattung wiederherzustellen, wurde der UK Accounting Standards Board (ASB)<br />
gegründet. Der ASB ging davon aus, dass der einzige Weg, mit Rechnungslegungsskandalen fertig<br />
zu werden, die Einführung höchster Qualitätsstandards sei. Nach und nach brachte der ASB Verbindlichkeiten,<br />
die lange Zeit versteckt gewesen waren, wieder zurück in die Bilanzen. Der ASB stoppte<br />
die Manipulation der Ertragsberichterstattung, indem er Sonderregeln abschaffte. Der so genannte<br />
„außerordentliche“ Rechnungsposten, mit dem sich der Ertrag pro Aktie schönen ließ, wurde ebenfalls<br />
abgeschafft. Diese Änderungen wurden gegen den erheblichen Widerstand der Industrie und der<br />
Wirtschaftsprüfer durchgesetzt. Es wäre sicherlich einfacher gewesen, in den damals umstrittensten<br />
Themen Kompromisse zu schließen und auf Kosten der Qualität nur schrittweise Änderungen vorzu-
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
nehmen, um so den verschiedenen Parteien entgegen zu kommen. Der ASB tat das nicht, und der<br />
Markt in Großbritannien hat sich erholt. Die einzige Möglichkeit, das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen,<br />
besteht darin, Schocks zu vermeiden. Völlige Transparenz, nicht Verschleierung ist die<br />
richtige Antwort auf den Verlust des Vertrauens in die Rechnungslegung.<br />
Die Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) und seine Unterstützung<br />
für die Arbeit des IASB war ein wichtiger Schritt hin zur Schaffung eines effektiven Systems<br />
für die Finanzberichterstattung, der zugleich das Vertrauen in die deutschen Kapitalmärkte gestärkt<br />
hat. Sie hat auch den Prozess der Normsetzung von politischer Einflussnahme entlastet und damit<br />
laue Kompromisse vermieden. Natürlich müssen Standardisierungsorganisationen in allen Ländern<br />
zeigen, dass sie bereit sind, zuzuhören und ihre Positionen zu revidieren, wenn die Argumente der<br />
Gegenseite überzeugen. Aber ebenso müssen Regierungen, die auf unabhängige, privatwirtschaftliche<br />
Standards setzen, willens sein, die Vorschläge der Organisationen zu unterstützen und sie gegen die<br />
Lobbyisten zu verteidigen, die Veränderung aus Eigeninteresse ablehnen. Immer stehen zahlreiche<br />
Interessen auf dem Spiel, und Änderungsvorschläge sind zwangsläufig unbeliebt – besonders weil es<br />
keine einheitliche Vertretung der einzelnen Investoren gibt.<br />
Verständlicherweise fällt es vielen Politikern schwer, diese Position zu akzeptieren, vor allem in<br />
Rechtsordnungen, in denen die unabhängige Festlegung von Standards noch keine lange Tradition<br />
hat. Selbst in Bereichen, die sich lange ihrer Unabhängigkeit bei der Normsetzung gerühmt haben,<br />
haben politische Erwägungen – und nicht so sehr die Wirtschaft – die Formulierung wirkungsvoller<br />
Regelwerke behindert. In den 90er Jahren schlug der US Financial Accounting Standards Board<br />
(FASB) vor, die Aktienoptionen von Angestellten als Ausgaben zu verbuchen. Dank großzügiger<br />
Budgets und guter politischer Verbindungen konnten die Gegner dieses Antrags erreichen, dass der<br />
Kongress den FASB von dieser Regelung abbrachte. Das Ergebnis war eine Regelung, die, wie viele<br />
jetzt glauben, dem Management Anreize gab, die Erträge im eigenen Interesse zu manipulieren.<br />
Standardisierungsorganisationen haben nicht immer Recht, aber Rechnungslegungsstandards, die<br />
statt der wirtschaftlichen Realität politische Einflussnahme widerspiegeln, werden sich immer negativ<br />
auf die Märkte auswirken.<br />
Die Standardisierungsorganisationen selbst können einige Manipulationsmöglichkeiten ausschließen,<br />
indem sie klare Richtlinien schaffen und übertrieben detaillierte Anleitungen vermeiden. Zu detaillierte<br />
Rechnungslegungsstandards fördern eine Mentalität, die sagt: „Wo steht, dass ich das nicht tun kann?“<br />
Diese Einstellung ist kontraproduktiv und hilft eher denen, die versuchen, die Standards zu umgehen,<br />
als denen, die die Standards so anwenden wollen, dass sie nützliche Informationen liefern. Vereinfacht<br />
ausgedrückt, können zu detaillierte Anleitungen die ihnen zugrunde liegenden Grundsätze eher<br />
verschleiern als verdeutlichen. Der Schwerpunkt liegt dann in der buchstabengetreuen Anwendung<br />
als beim eigentlichen Sinn des Rechnungslegungsstandards.<br />
Standards, die auf Grundsätzen beruhen, sind jüngst viel debattiert worden, sowohl unter denen,<br />
die Standards festlegen, als auch in den Medien. Dabei hat sich ein wachsender Konsens über die<br />
Notwendigkeit gebildet, dass solche Standards anderen überlegen sind, allerdings ohne zu definieren,<br />
wie diese Vorgehensweise aussehen könnte – sowohl in den USA als auch international beim IASB.<br />
Deshalb hat der IASB beschlossen, Standards zu entwerfen, die auf festen und erkennbaren Grundsätzen<br />
beruhen.<br />
Letztendlich bekommen Unternehmen und Wirtschaftsprüfer die Standards, die sie verdienen.<br />
Rechnungslegungsgrundsätze sind dafür bestimmt, den Einfluss der ihnen zugrunde liegenden<br />
ökonomischen Realität auf die Unternehmens-Performance darzustellen. Wenn Unternehmen und<br />
Wirtschaftsprüfer diese auf Grundsätzen beruhende Vorgehensweise benutzen, um die Realität zu<br />
verdrehen, wenn sie unwillig sind, ihre eigene Urteilskraft einzusetzen und stattdessen eine detail-<br />
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60 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
liertere Formulierung der Anwendungsregeln verlangen, um zu verhindern, dass Anwälte vor Gericht<br />
die Wirtschaftsprüfer hinterfragen, dann sind Standardisierungsorganisationen zu einer Reaktion<br />
aufgefordert, und es wird unumgänglich, neue Regeln aufzustellen. Man sollte sich daran erinnern,<br />
dass die US-GAAP-Rechnungslegung zwar auf allgemeinen Grundsätzen beruht, aber auch sehr<br />
konkrete Anleitungen beinhaltet. Das ist ein Produkt der Umgebung, in der US-Standards festgelegt<br />
werden. Vereinfacht ausgedrückt: US-amerikanische Standards sind detailliert und spezifisch, weil<br />
die Anwender vom Financial Accounting Standards Board ständig detaillierte und spezifische Standards<br />
gefordert haben.<br />
3. Auf dem Weg zu einem neuen Modell<br />
Es ist eindeutig notwendig, die Modernisierung des bestehenden Rechnungslegungsmodells fortzuführen.<br />
Mit dem technischen Fortschritt, mit den Veränderungen in den Geschäftspraktiken und den<br />
Lehren aus der Erfahrung müssen sich auch die Rechnungslegungsstandards weiterentwickeln – mit<br />
dem Ziel, Investoren mit genaueren und nützlicheren Informationen zu versorgen. In den letzten<br />
Jahren hat es das Rechnungslegungswesen nicht geschafft, mit der Geschwindigkeit der Veränderung<br />
der Weltwirtschaft mitzuhalten. Das liegt teilweise daran, dass die Rechnungslegung sich nur sehr<br />
langsam weiterentwickelt – vom traditionellen kostenbasierten Modell, das für die Wirtschaft nach<br />
der industriellen Revolution entwickelt wurde, hin zu einem Modell, das sich stärker auf Marktwerte<br />
in Echtzeit stützt und besser zu einer modernen Dienstleistungswirtschaft passt. Ein weiteres Problem<br />
ist, dass Kapital frei über die Grenzen fließt, während Rechnungslegungsregeln je nach nationalen<br />
Zuständigkeitsbereichen noch sehr variieren. Dies erschwert den Vergleich von Finanzberichten.<br />
Ein wahrscheinliches Resultat ist eine ineffiziente Kapitalallokation der Investoren.<br />
All dies ändert sich, und die derzeitige Krise eröffnet uns die Möglichkeit, moderne, global anwendbare<br />
Rechnungslegungsgrundsätze zu schaffen. Der IASB, der 2001 aus dem International Accounting<br />
Standards Committee hervorging, hat genau dieses Mandat. Ich glaube, dass die derzeitige Krise<br />
nur die grundlegende Mission des IASB bestärkt: die Erschaffung eines einheitlichen Regelwerks von<br />
qualitativ hochwertigen, global durchsetzbaren Grundsätzen für die weltweiten Kapitalmärkte.<br />
Es verdient Anerkennung, dass die Europäische Union die Veränderungen in der wirtschaftlichen<br />
Landschaft noch vor der Enron-Krise erkannt hat. Die Europäische Kommission hat deshalb die<br />
Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards vorgeschlagen. Wie vom IASB propagiert,<br />
sollen diese für den Großteil der börsennotierten Unternehmen in der EU ab 2005 gelten. Dieses<br />
europäische Beispiel hat wesentlich dazu beigetragen, dass in den USA dem Nutzen internationaler<br />
Standards mehr Beachtung geschenkt wird als früher und dass amerikanische Regulatoren, Politiker<br />
und Unternehmen auf eine Konvergenz hinarbeiten.<br />
Durch die Zusammenarbeit der Standardisierungsorganisationen kann ein einheitliches Paket von<br />
Rechnungslegungsgrundsätzen für eine moderne, globalisierte Wirtschaft geschnürt werden. Auf<br />
kurze Sicht bedeutet dies, dass der IASB mit nationalen Standardisierungsorganisationen in der<br />
ganzen Welt zusammenarbeitet, um Unterschiede in den bestehenden Standards zu beseitigen und<br />
sich auf die bestmögliche Vorgehensweise zu verständigen. Durch dieses Konvergenz-Projekt wird der<br />
IASB zusammen mit den nationalen Standardisierungsorganisationen viele kleinere Unterschiede in<br />
der Rechnungslegung reduzieren, die bei ähnlichen wirtschaftlichen Transaktionen durchaus zu sehr<br />
unterschiedlichen finanziellen Ergebnissen führen können. Dieses kurzfristige Konvergenzprogramm<br />
sollte eine gemeinsame Basis schaffen, auf der wir aufbauen können.<br />
Für Deutschland liegen die Vorteile des Konvergenzprozesses auf der Hand. Die Übernahme von<br />
konsistenten, qualitativ hochwertigen Standards in der Europäischen Union beseitigt Hindernisse für
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
einen grenzüberschreitenden, freien Kapitalfluss innerhalb der EU. Die Reduzierung von Unterschieden<br />
zwischen nationalen Standards und dem US-GAAP wird auch die Bilanzierungskosten für viele in<br />
New York gelistete deutsche Unternehmen reduzieren.<br />
Verwendete Rechnungslegungsvorschriften für den Jahresabschluss: EU vs. Deutschland<br />
Europäische Union Prozent der Unternehmen Deutschland Prozent der Unternehmen<br />
Nationale Vorschriften 79% Nationale Vorschriften 41%<br />
IAS 15% IAS 39%<br />
US-GAAP 6% US-GAAP 20%<br />
Zahl der Befragten: 667 Zahl der Befragten: 82<br />
Quelle: PwC 2002<br />
Um das Rechnungslegungsmodell relevanter zu machen, stellen sich der IASB und seine Partnerorganisationen<br />
aber auch einigen grundsätzlichen Herausforderungen. Zu lange wurden die Erträge<br />
geschönt, um Investoren stetig steigende Profite präsentieren zu können. Obwohl dieser Ansatz ein<br />
einfaches und verständliches Modell liefert, ist er schlichtweg realitätsfremd. <strong>Börse</strong>nnotierte Unternehmen<br />
sind komplexe Einheiten, die zahlreiche Aktivitäten durchführen und diversen Marktzwängen<br />
und Schwankungen unterliegen. Die Rechnungslegung sollte diese Schwankungen und Risiken<br />
widerspiegeln. Das Bemühen, einen stetigen Einnahmefluss zu generieren, führt in die Irre und<br />
widerspricht dem Ziel, Investoren mit präzisen Informationen zu versorgen.<br />
Die Richtung, in die wir uns derzeit bewegen, bezeichne ich gern als „Sag-es-so-wie-es-ist“-Rechnungslegung.<br />
Sie sorgt für wachsendes Vertrauen in die Ergebnisse, sofern diese präzise bestimmt<br />
werden können. Die finanziellen Ergebnisse können infolge dessen stärker schwanken. Doch den<br />
Investoren die Wahrheit vorzuenthalten, wird die Schocks für die Märkte nur verschlimmern.<br />
Dieser Umbruch in der Rechnungslegung hat tief greifende Folgen. Vermögenswerte und Verbindlichkeiten<br />
werden bei Bedarf wieder in die Bilanzen zurückgeführt. In den letzten 20 Jahren gab es<br />
eine Reihe von Unternehmen, die versucht haben, Vermögenswerte und Verbindlichkeiten aus Bilanzen<br />
herauszuhalten, indem sie Transaktionen durchführten, die wahrscheinlich die wirtschaftliche<br />
Substanz der finanziellen Situation verschleiert haben. Dies ist besonders in vier Bereichen der Fall;<br />
jeder einzelne davon kann möglicherweise die finanzielle Situation eines Unternehmens verschleiern.<br />
Unternehmen können alle oder nur eines der folgenden Instrumente nutzen: Verpachtung, Verbriefung,<br />
nicht konsolidierte Einheiten (Einheiten für spezielle Zwecke) und Pensionsrückstellungen. Alle vier<br />
sind legitime betriebliche Verfahrensweisen, aber in den meisten Fällen ist das dazugehörige Risiko<br />
nicht vollständig in der Bilanz des Unternehmens verzeichnet. Wenn einer Verpflichtung nachgekommen<br />
werden muss, kann das zu unangenehmen Überraschungen bei den Investoren führen.<br />
Standardisierungsorganisationen werden versuchen, alle Ausgaben in den Bilanzen sichtbar zu<br />
machen, denn Meldungen sind kein Ersatz für eine gute Rechnungslegung. Wenn Ausgaben, die<br />
ganz eindeutig bestehen, nicht erkannt werden können, verzerrt dies das finanzielle Erscheinungs-<br />
61
62 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
bild von Unternehmen und erschwert die Entscheidungen der Investoren. Ein Beispiel hierfür ist die<br />
aktienbasierte Bezahlung. Unternehmen, die für Produkte und Dienstleistungen mit eigenen Aktien,<br />
Aktienoptionen oder von Aktien abhängigen Instrumenten bezahlen, verbuchen dies in der Rechnungslegung<br />
bestimmter Rechtsordnungen häufig nicht als Kosten. Die am meisten verbreitete Art<br />
dieser aktienbasierten Transaktionen sind Aktienoptionen für Mitarbeiter. Es gibt noch keinen einheitlichen<br />
Rechnungslegungsstandard für aktienbasierte Zahlungen, und diese Praxis nimmt außerhalb<br />
der USA stetig zu. Die Ausgestaltung der aktienbasierten Zahlungen ist in den verschiedenen<br />
Industrien, Sektoren und Ländern sehr unterschiedlich. Die starke Verbreitung von Aktienoptionen<br />
erschwert die Entscheidungsfindung von Investoren und Wirtschaftspolitikern. Zudem können sie<br />
zu einer falschen Kapitalallokation zwischen Sektoren und zu überbewerteten Erträgen führen.<br />
Der DRSC hat das Problem der mangelnden Ausweisung aktienbasierter Zahlungen erkannt und die<br />
Initiative ergriffen, indem er schon 2001 seinen Vorschlag für die Verbuchung von aktienbasierten<br />
Zahlungen präsentierte. Andere europäische Standardisierungsorganisationen sind diesem Schritt<br />
gefolgt. Der IASB hat kürzlich einen Entwurf vorgelegt, der die Ausweisung aller aktienbasierten<br />
Zahlungen verlangt. Wir urteilen nicht darüber, ob aktienbasierte Zahlungen gut oder schlecht sind –<br />
diese Entscheidung müssen die Investoren und das Management treffen. Wir versuchen jedoch,<br />
Investoren und Management die Möglichkeit zu geben, die Nutzung dieser Art von Zahlungen richtig<br />
zu beurteilen. Wir suchen noch nach der richtigen Methode für die genaue Bewertung von aktienbasierten<br />
Zahlungen. Wir sind jedoch sicher, dass die Finanzberichterstattung stark verbessert wird,<br />
wenn diese Art der Zahlung berücksichtigt wird.<br />
Zu guter Letzt: Die Veränderung in der Rechnungslegung zeigt, dass die gegenwärtige Konzentration<br />
darauf, was „unter dem Strich“ steht, falsch ist. Bilanzen sollten die Komplexität der finanziellen<br />
Entwicklung eines Unternehmens widerspiegeln – und dazu gehört auch die Volatilität, die durch<br />
die Wiederaufnahme von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten in die Bilanzen und die stärkere<br />
Marktbewertung entsteht. Unternehmen haben sich bei der Veröffentlichung von Informationen mehr<br />
und mehr der „Pro-Forma“-Berichterstattung zugewandt. Für viele ist die Nutzung von „Pro-Forma“-<br />
Konten ein Weg, Resultate der Rechnungslegung zu verschleiern. Diese Entwicklung zeigt jedoch,<br />
dass Investoren mit verschiedenen Arten von Informationen arbeiten und dass der gegenwärtige<br />
Ertragsbericht dafür nicht ausreicht. Investoren interessieren sich vor allem für Informationen über<br />
die Entwicklung der Kerngeschäftsfelder und die Wirkung einer veränderten Kapitalstruktur auf die<br />
finanzielle Situation eines Unternehmens. IASB und FASB arbeiten deshalb gemeinsam an einer<br />
neuen Finanzberichterstattung, die konsistente Regeln für die Darstellung der betrieblichen und<br />
finanziellen Entwicklung schafft und die Schwankungen aufgrund der Marktbewertung sinnvoll<br />
widerspiegelt.<br />
4. Der Herausforderung gerecht werden<br />
Es überrascht nicht, dass jede Systemveränderung auf Grund der zahlreichen Interessen, die auf dem<br />
Spiel stehen, für Unruhe sorgt. Der IASB wird sorgfältig alle unterschiedlichen Auffassungen zu jedem<br />
Thema überdenken. Jedoch kam es in der Vergangenheit zu oft zu Drohungen und politischen Einmischungen<br />
mit dem Ziel, Standardisierungsorganisationen von der Umsetzung ihrer Beratungsergebnisse<br />
abzubringen.<br />
Es gibt Grund zu Optimismus über die Erfolgschancen des IASB. Zum ersten Mal hat der IASB die<br />
offizielle Unterstützung nationaler Regierungen in wichtigen Volkswirtschaften weltweit. Die Entscheidung<br />
der Europäischen Union, den Großteil der gelisteten Unternehmen in der EU zu internationalen<br />
Standards in ihren konsolidierten Bilanzen ab dem 1. Januar 2005 zu verpflichten, hat hier als<br />
Katalysator gewirkt. Australien und viele Länder in Zentralasien haben ähnliche Pläne angekündigt.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />
Die US SEC hat kürzlich erklärt, dass sie die IASB- und FASB-Übereinkunft zur Konvergenz nachdrücklich<br />
unterstützt, und signalisiert, dass sie die Vereinbarungserfordernis für Unternehmen überdenken<br />
will, die die verbesserten internationalen Standards umsetzen.<br />
Erfolg wird sich nicht leicht einstellen, muss der IASB denn eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen<br />
weltweit berücksichtigen. Der IASB hat eigens interne Verfahren entwickelt, um sicherzustellen,<br />
dass er die wichtigsten Meinungen erhält. Es gibt viele Möglichkeiten für die deutsche Regierung,<br />
Wissenschaft und Wirtschaft, sich daran zu beteiligen. Der IASB hat ein offizielles Liaison-Vorstandsmitglied<br />
in Deutschland und arbeitet sehr eng mit dem DRSC zusammen. Deutschland ist im IASB<br />
Standards Advisory Council und in vielen Beratungsgremien bei IASB-Projekten vertreten. Deutschlands<br />
Beitrag ist wichtig, um Standards sicherzustellen, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln.<br />
Wir sind uns vollkommen bewusst, dass der Markt Sicherheit braucht und sich nicht auf faule Kompromisse<br />
einlassen darf. Der IASB und nationale Standardisierungsorganisationen sollten und werden<br />
sich weiter in die unserer Meinung nach richtige Richtung bewegen. Wenn wir erfolgreich sind, werden<br />
die Kapitalmärkte ein einheitliches Regelwerk von weltweiten Rechnungslegungsstandards erhalten,<br />
auf die sie sich verlassen können. Das Vertrauen wird zunehmen, und die Chancen für rationale<br />
globale Investitionsentscheidungen und Wachstum werden sich erhöhen. Dies ist eine einmalige<br />
Gelegenheit, die besten nationalen Standards zu einem weltweiten Standard zusammenzufügen.<br />
Rechnungslegung ist das Fundament der Marktwirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Betrachtung<br />
von Unternehmen in globalen Märkten auf einer einzigen festen Basis steht.<br />
63
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Prof. Jörg Baetge, Universität Münster *<br />
1. Die Vertrauenskrise<br />
2002 wurde wie in keinem anderen Jahr seit Einführung der Pflichtprüfung von der Öffentlichkeit<br />
und der Politik das Erfordernis von Reformen im Bereich der Abschlussprüfung diskutiert. Ausgelöst<br />
wurden diese Diskussionen durch zahlreiche aufgedeckte Bilanzmanipulationen und Rechnungslegungsskandale,<br />
die z. T. Unternehmenszusammenbrüche nach sich zogen, allen voran den des<br />
amerikanischen Energiekonzerns Enron. Das bis dahin weitgehend vorhandene Vertrauen in das<br />
Testat des Abschlussprüfers ist verloren gegangen. Der Abschlussprüfer stand und steht weiterhin im<br />
Mittelpunkt der öffentlichen Kritik, da die Jahresabschlüsse der später gescheiterten Unternehmen<br />
fast ausnahmslos uneingeschränkte Bestätigungsvermerke trugen und keinen Hinweis auf die enormen<br />
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Bilanzmanipulationen oder kreative Buchführung enthielten.<br />
So titelte die F.A.Z.: „Die Wachhunde haben nicht gebellt.“ In den Augen der Öffentlichkeit haben<br />
die Abschlussprüfer in diesen wichtigen Fällen ihre Hauptfunktion verfehlt: die Überwachung des<br />
Vorstands bezüglich der Ordnungsmäßigkeit und der Aussagefähigkeit des Jahresabschlusses und<br />
des Lageberichts im Hinblick auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (VFE-Lage) für die Kontrollorgane<br />
und für den Kapitalmarkt. Dies hat zu einem massiven Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in<br />
die Institution der gesetzlichen Abschlussprüfung geführt.<br />
Auf das (vermeintliche) Versagen der Abschlussprüfung von börsennotierten Unternehmen reagieren<br />
die Öffentlichkeit und die Medien deshalb so empfindlich, weil der geprüfte Jahresabschluss und<br />
der Bestätigungsvermerk die Entscheidungen der Finanzanalysten, Investoren und Kreditgeber maßgeblich<br />
beeinflussen. Der Worldcom-Skandal, der zwar primär die Rechnungslegung betraf und erst<br />
sekundär die Abschlussprüfung, hat die <strong>Börse</strong>nkurse z. B. am 26. Juni 2002 global und über alle<br />
Aktienwerte um durchschnittlich vier bis fünf Prozent einbrechen lassen, weil das Vertrauen in die<br />
Bilanzwahrheit und in die Verlässlichkeit geprüfter Jahresabschlüsse grundsätzlich in Frage gestellt<br />
wurde. Dieser Vertrauensverlust kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.<br />
2. Vier Strukturprobleme<br />
Die Unternehmenszusammenbrüche und die Bilanzskandale geben Anlass zu der Frage, ob der Glaubwürdigkeitsschwund<br />
der Abschlussprüfung auch auf strukturelle Ursachen zurückzuführen ist, die<br />
einer grundlegenden Reform bedürfen. Dabei lassen sich vier Hauptprobleme identifizieren: falsch<br />
verstandene Kundenorientierung, Quersubventionierung, Interessenkonflikte und Erwartungslücken.<br />
2.1. Falsch verstandene Kundenorientierung<br />
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften werden heute teils nach den gleichen Grundsätzen wie Industriekonzerne<br />
geführt. Dies ist unseres Erachtens völlig verfehlt. Denn anders als in Industriekonzernen<br />
darf es in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften keine Kunden- und Marktorientierung in dem Sinne<br />
geben, dass die Wünsche der Vorstände der geprüften <strong>Börse</strong>ngesellschaften und der „Mehrwert der<br />
Abschlussprüfung für das geprüfte Unternehmen“ Priorität genießen. Nicht die Vorstände der geprüften<br />
Gesellschaften sind die Kunden des Abschlussprüfers. Dieser hat sich vielmehr an den Adressaten<br />
des Bestätigungsvermerks und des Prüfungsberichts zu orientieren, also dem Kapitalmarkt und dem<br />
Aufsichtsrat.<br />
* Der Autor dankt seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Heidemann für seine Mitwirkung an diesem Beitrag.<br />
65
66 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Ebenso kontraproduktiv ist das Streben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach schierer Größe,<br />
(a) weil das intern angeordnete Größenwachstum meist über einen unbeschränkten Einsatz<br />
des Marketing-Mix, z. B. Preispolitik und Werbung, aber auch durch Qualitätsreduktion, z. B.<br />
Reduzierung von „substantive tests“, erreicht wurde und<br />
(b) weil Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sich dann zu Beratungskonglomeraten (Multi-Service-<br />
Organisationen) entwickelten, die den Schwerpunkt und die hohe Bedeutung der Qualität der<br />
Abschlussprüfung nicht mehr als absolute Priorität betonten, sondern das Wachstum des Unternehmens<br />
in den Vordergrund stellten. Dies lässt sich an den Incentives für Partner in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />
für zusätzlich hereingebrachte Aufträge leicht erkennen.<br />
Beides ist mit der Freiberuflichkeit der Abschlussprüfer nicht vereinbar. Der ungehemmte Einsatz<br />
des Marketing-Mix schadet dem Ansehen und der Vertrauenswürdigkeit des freien Berufs in der Öffentlichkeit.<br />
Das Unterbieten des bisherigen Abschlussprüfers durch einen anderen Wirtschaftsprüfer<br />
mit deutlich geringerem Prüfungshonorar sowie die nicht kostendeckende Durchführung der Abschlussprüfung<br />
sind nur zwei Beispiele von vielen für das nicht mehr zu verantwortende Vorgehen<br />
derPrüfungsgesellschaften. Es findet ein Preiswettbewerb statt, der unbedingt durch einen Qualitätswettbewerb<br />
ersetzt werden muss.<br />
Auch Punkt (b), das entstehende Beratungskonglomerat, ist für den freien Beruf des Wirtschaftsprüfers<br />
schädlich, denn er verliert dadurch an Unabhängigkeit. Mit der Beratung wird der Prüfer in die Angelegenheiten<br />
des geprüften Unternehmens involviert. Er wird allmählich wie jeder Berater als ein<br />
Partner des Vorstands angesehen, und, schlimmer noch, er sieht sich selbst als Partner des Vorstands,<br />
obwohl er ihn primär für den Kapitalmarkt prüfen soll. Dass der Abschlussprüfer eine besondere Vertrauensperson<br />
für die Kontrollorgane und außen stehenden Kapitalmarktteilnehmer ist, ist darüber<br />
vielfach vergessen worden.<br />
2.2. Quersubventionierung der Prüfung durch die Beratung<br />
Zudem gab und gibt es fälschlicherweise noch erhebliche Quersubventionierungen zwischen Prüfung<br />
und Beratung bezüglich des gleichen geprüften Unternehmens. Es ist schon für das Ansehen des<br />
Abschlussprüfers und seine Unabhängigkeit nachteilig genug, wenn er ständig auf die Wiedererlangung<br />
des Prüfungsauftrages im Folgejahr bedacht ist. Noch schädlicher für sein Ansehen ist aber,<br />
wenn die Beratungsdienstleistungen der Abschlussprüfer für die geprüften Unternehmen einen<br />
erheblichen Umfang haben. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind auch heute noch – selbst nach<br />
den Abspaltungen ihrer Beratungsgesellschaften – Beratungskonglomerate mit Multi-Service-Angeboten,<br />
die den Abschlussprüfer dazu verpflichten, den geprüften Vorstand als Kunden zu behandeln,<br />
eventuell auch beim Prüfungsergebnis.<br />
Hinzu kommt, dass die Gewinnmargen aus der Abschlussprüfung im Vergleich zu denen aus der<br />
Beratung eher gering oder gar negativ sind und daher die Abschlussprüfung durch die Beratungsaufträge<br />
teils quersubventioniert wird. Durch die Absicht, den Prüfungsauftrag wieder zu erlangen, und<br />
durch die Generierung von Beratungshonoraren kann der Abschlussprüfer materiell vom geprüften<br />
Unternehmen abhängig werden. Arthur Levitt, der ehemalige Chef der US Securities and Exchange<br />
Commission, hat als abschreckendes Beispiel ein geprüftes Unternehmen angeführt, bei dem das<br />
Prüfungshonorar 5 Prozent und das Beratungshonorar 95 Prozent ausgemacht hat. Es ist unverständlich,<br />
dass die Prüfungsgesellschaft auf eine solche Relation überhaupt eingegangen ist. Die<br />
Gewinnmargen aus der Abschlussprüfung müssen mindestens genauso groß sein wie die Margen
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
aus der Beratung, auf keinen Fall dürfen sie wesentlich kleiner oder gar negativ sein, weil sonst die<br />
„partnerschaftliche“ Beratung zur Voraussetzung einer für den Prüfer noch akzeptablen Prüfungsintensität<br />
wird.<br />
2.3. Interessenkonflikte<br />
Durch die gleichzeitige Prüfung und Beratung sind Wirtschaftsprüfer oft Diener zweier Herren. Es ist<br />
indes nicht miteinander vereinbar, dass der Abschlussprüfer einerseits bezüglich der Abschlussprüfung<br />
den Kontrollorganen und dem Kapitalmarkt (Aktionären und Gläubigern) und andererseits bezüglich<br />
der Beratung der Unternehmensleitung dienen soll. Abschlussprüfer sind im Sinne der Agency-Theorie<br />
vielmehr die Advokaten der Principals, d. h. der Kontrollorgane und des Kapitalmarktes. Es ist zudem<br />
völlig unakzeptabel und unethisch, wenn Abschlussprüfer Vorstände auf bilanzpolitische Möglichkeiten<br />
aufmerksam machen bzw. diesen Sachverhaltsgestaltungen vorschlagen, die den externen<br />
Abschlussleser über die tatsächliche VFE-Lage im Unklaren lassen oder gar täuschen. Der Abschlussprüfer<br />
verlässt damit eindeutig seine Position als Advokat der Principals.<br />
2.4. Erwartungslücken<br />
Die Abschlussprüfung ist Erwartungslücken ausgesetzt: Die Öffentlichkeit, vor allem die Aktionäre,<br />
erwarten vom Abschlussprüfer z. B.<br />
(a) ein deutliches Signal im Testat, wenn es dem geprüften Unternehmen nicht gut geht, und<br />
(b) eine Aufdeckung von eventuell vorhandenen Bilanzdelikten.<br />
Auf beide Erwartungen der Öffentlichkeit wird bisher vom Berufsstand mit Ablehnung reagiert, man<br />
spricht in Prüferkreisen davon, dass es sich um Erwartungslücken (expectation gaps) handle, die<br />
systemimmanent seien und mit denen sich die Öffentlichkeit abfinden müsse. Der Abschlussprüfer<br />
könne diese Lücken durch seine Arbeit nicht schließen. Unseres Erachtens müssen die Erwartungslücken<br />
dagegen proaktiv geschlossen werden. Das ist ein ganz wichtiger strategischer Punkt bei der<br />
Wiedergewinnung des Vertrauens des Kapitalmarktes in die Institution der Abschlussprüfung. Die<br />
Erwartungslücken müssen konstruktiv und aktiv vom Berufsstand selbst, aber auch vom Gesetzgeber<br />
geschlossen werden. Dafür muss der Bestätigungsvermerk unseres Erachtens zum Bestätigungsbericht<br />
erweitert werden.<br />
3. Wege aus der Vertrauenskrise<br />
3.1. Aufwertung des Bestätigungsberichts<br />
Die Öffentlichkeit erwartet zu Recht über das Medium der an die Öffentlichkeit gerichteten Bestätigung<br />
auf den Jahresabschluss ein explizites Signal über die wirtschaftliche Situation des geprüften Unternehmens.<br />
Es genügt nicht, wenn der Abschlussprüfer nach dem Transparenz- und Publizitätsgesetz<br />
(TransPuG) lediglich im Prüfungsbericht über Beanstandungen zu berichten hat, die zwar nicht zur<br />
Einschränkung oder Versagung des bisher üblichen Bestätigungsvermerks geführt haben, die aber für<br />
die Überwachung der Geschäftsführung und des geprüften Unternehmens von Bedeutung sind.<br />
Diese Informationen gehören vielmehr in einen Bestätigungsbericht, der an den öffentlichen Kapitalmarkt<br />
adressiert ist.<br />
67
68 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Ebenso wenig genügt es, dass nach TransPuG nur im Prüfungsbericht darauf einzugehen ist, ob der<br />
Abschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der VFE-Lage vermittelt. Gleiches<br />
gilt für die Erläuterung wesentlicher Bewertungsgrundlagen sowie des Einflusses von Änderungen in<br />
den Bewertungsgrundlagen auf die VFE-Lage, wie z. B. infolge der Ausübung von Bilanzierungs- und<br />
Bewertungswahlrechten, Ermessensspielräumen sowie sachverhaltsgestaltender Maßnahmen insgesamt<br />
(§ 321 Abs. 2 n.F.). Unseres Erachtens gehören auch diese Informationen – selbstverständlich<br />
erheblich verdichtet – in einen Bestätigungsbericht.<br />
Grundsätzlich gilt: Abschlussprüfer haben den Jahresabschluss-Adressaten auch im Bestätigungsbericht<br />
die von ihnen erarbeiteten entscheidungsrelevanten Informationen zur Verfügung zu stellen.<br />
Wir halten es für unethisch, wenn der Adressat des Prüfungsberichts, also der fachlich versierte<br />
Prüfungsausschuss bzw. der fachlich mehr oder weniger versierte Aufsichtsrat, durch den Abschlussprüfer<br />
im Prüfungsbericht auf wichtige bilanzpolitische und sachverhaltsgestaltende Maßnahmen des<br />
Vorstands und dadurch auf die tatsächliche VFE-Lage hingewiesen wird, während der Bestätigungsvermerk<br />
für die oft weniger versierten außen stehenden Aktionäre vom Abschlussprüfer ohne diese<br />
Zusatzinformationen uneingeschränkt erteilt wird. Falls die tatsächliche Lage ohne die im Prüfungsbericht<br />
vorgenommenen Umgliederungen und ohne die weiteren Informationen im Prüfungsbericht<br />
nicht erkennbar ist, muss der Abschlussprüfer diese auch den Außenstehenden via Bestätigungsbericht<br />
verdichtet bekanntgeben. Ein Bestätigungsbericht muss zur Schließung der Ewartungslücke bezüglich<br />
des Krisensignals dienen. Daher sollte ein neuer Grundsatz der materiellen Inhaltsgleichheit von<br />
Prüfungs- und Bestätigungsbericht eingeführt werden.<br />
3.2. Prüfung auf Fraud and Error<br />
Zudem muss der Prüfer grundsätzlich auch auf Fraud and Error prüfen. Der „Eiertanz“ in den diesbezüglichen<br />
Prüfungsstandards muss aufhören. Denn dort wird einerseits eine Verantwortung für die<br />
Aufdeckung von Unterschlagungen abgelehnt. Andererseits wird der Abschlussprüfer aber aufgefordert,<br />
eine risikoorientierte Prüfung auch im Hinblick auf Fraud- and Error-Risiken vorzunehmen. Unseres<br />
Erachtens muss der Prüfer grundsätzlich und systematisch von vornherein nach Fraud and Error<br />
suchen. Die forensischen Abteilungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sollten entsprechende<br />
Prüfpläne für den Berufsstand entwickeln, die zu Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung<br />
erhoben werden. Mit solchen aus der Praxis in Unterschlagungsprüfungen gewonnenen Prüfplänen<br />
lassen sich zwar nicht alle Bilanzfälschungen aufdecken, aber immerhin wesentlich mehr als heute,<br />
denn die Fälscher kommen erfahrungsgemäß immer wieder auf sehr ähnliche Ideen.<br />
Diese Handhabung würde eine weitere Erwartungslücke, die Aufdeckung von eventuell vorhandenen<br />
Bilanzdelikten, wenigstens in vielen Fällen schließen. Denn zur Durchsetzung der Aktionärs- und<br />
Gläubigerorientierung des Abschlussprüfers gehört auch, dass die Abschlussprüfung die Erwartungen<br />
derjenigen erfüllt, für die diese Institution 1931 eingerichtet worden ist. Die Öffentlichkeit erwartet zu<br />
Recht die Aufdeckung von dolosen Handlungen, zumindest soweit diese mit Stichproben-Prüfungen<br />
und forensischen Standard-Prüfungen identifiziert werden können.<br />
3.3. Sicherung der Unabhängigkeit<br />
Während der Wirtschaftsprüfer früher beständig zu den fünf angesehensten Berufen zählte, hat dessen<br />
Reputation vor allem im letzten Jahr seinen vorläufigen Tiefstand erreicht. Dieser Ansehensschwund<br />
resultiert im Wesentlichen aus Zweifeln der Öffentlichkeit an der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers<br />
vom Vorstand der geprüften Gesellschaft und damit an dessen Glaubwürdigkeit der Qualität seiner<br />
Arbeit. Die derzeit bestehenden Instrumente zur Sicherung der Unabhängigkeit und der Qualität der
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Abschlussprüfung haben in den Krisenfällen offenbar noch nicht prohibitiv gewirkt, obwohl sie zum<br />
Teil erst in der jüngsten Vergangenheit eingeführt wurden. Einige wichtige Beispiele für bisherige<br />
und neuere Regelungen auf dem Gebiet der Corporate Governance bezüglich der Abschlussprüfung<br />
sind:<br />
Auftragserteilung durch den Aufsichtsrat (§ 318 Abs. 1 Handelsgesetzbuch – HGB),<br />
Interne Rotation des verantwortlichen Abschlussprüfers (§ 319 Abs. 3 Nr. 6 HGB),<br />
Verbot der Mitwirkung bei Erstellung der zu prüfenden Unterlagen (§ 319 Abs. 2 Nr. 5 HGB),<br />
Begrenzung der Einnahmen aus einem Prüfungsauftrag auf 30 Prozent der Gesamteinnahmen<br />
aus der beruflichen Prüfungs- und Beratungstätigkeit (§ 319 Abs. 2 Nr. 8 HGB),<br />
Verbot der Prüfung bei personeller und finanzieller Verflechtung mit der zu prüfenden<br />
Gesellschaft (§ 319 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3, 6 HGB),<br />
Überprüfung des Qualitätssicherungssystems im Rahmen eines Peer Review<br />
(§ 319 Abs. 2 S. 2 HGB).<br />
Alle diese Maßnahmen haben aber bisher eine unabhängige Abschlussprüfung nicht gewährleisten<br />
können. Beispiel Peer Review: Diese Kontrolle von Abschlussprüfern durch andere Mitglieder des<br />
Berufsstandes unter Aufsicht der Wirtschaftsprüferkammer wurde nach dem Vorbild der USA eingeführt.<br />
Auch in den USA konnte er indes die Bilanzskandale nicht verhindern und wurde daher durch<br />
den Sarbanes-Oxley Act of 2002 abgeschafft. An seiner Stelle wurde der Public Company Accounting<br />
Oversight Board (PCAOB) eingerichtet, eine unter der Aufsicht der SEC stehende private Non-Profit-<br />
Organisation, die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist. Sie hat zugleich die Berufsaufsicht<br />
im Sinne einer Selbstregulierung der Wirtschaftsprüfer in den USA beendet und diese praktisch unter<br />
Staatsaufsicht gestellt. Zudem dürfen von den insgesamt fünf Mitgliedern des PCAOB höchstens zwei<br />
Mitglieder (ehemalige) Certified Public Accountants sein. Insgesamt soll mit der Einrichtung des<br />
PCAOB die Vertrauenskrise in die Rechnungslegung der Unternehmen und in deren Prüfung bewältigt<br />
werden. Bei der zurzeit in Deutschland praktizierten Peer-Review-Regelung, der Prüfung der Abschlussprüfer<br />
durch Wirtschaftsprüfer, kommt dagegen bei den Adressaten des Bestätigungsvermerks<br />
viel zu leicht die Besorgnis der Befangenheit auf.<br />
3.4. Enforcement<br />
Da die Qualität der Rechenschaft gegenüber dem Kapitalmarkt vor allem auch von der Qualität der<br />
Rechnungslegungsstandards abhängt, wird die Rückgewinnung des Vertrauens des Kapitalmarktes<br />
in geprüfte Jahresabschlüsse vor allem von der Verlässlichkeit der Rechnungslegungsinformationen<br />
abhängen. Hier ist mit einer Verbesserung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfer zumindest eine<br />
gleichzeitige Objektivierungskampagne bei den Rechnungslegungsstandards erforderlich, damit die<br />
Abschlussprüfer nicht für subjektive Färbungen des Jahresabschlusses durch den Vorstand verantwortlich<br />
gemacht werden. Diese werden in den Rechnungslegungsstandards von IAS und US-GAAP<br />
aber bewusst erlaubt, z. B. beim Ansatz von solchen Fair Values, die nicht an objektiven Marktwerten<br />
festgemacht werden, sondern subjektive Discounted-Cash-Flow-Kalküle zulassen (siehe dazu den<br />
Beitrag von Sir David Tweedy, Seite 57 ff). Nur eine Rechnungslegungsordnung, bei der auch die ordnungsmäßige<br />
Durchsetzung von Rechnungslegungsnormen garantiert ist, kann den Individualschutz<br />
und den Funktionenschutz für Kapitalmarktteilnehmer permanent und sicher genug gewährleisten.<br />
Deshalb wird in Deutschland – ausgelöst durch die Corporate-Governance-Debatte – derzeit über die<br />
69
70 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />
Einrichtung eines Enforcement-Systems diskutiert. Mit Hilfe des Enforcement-Systems soll die Qualität<br />
der Finanzberichterstattung und deren Prüfung langfristig verbessert und damit das Vertrauen in<br />
die Rechnungslegung und in deren Prüfung wieder gewonnen werden.<br />
In der Diskussion über die institutionelle und organisatorische Ausgestaltung eines solchen Enforcement-Systems<br />
werden zwei Modelle vorgeschlagen: ein staatliches und ein privatwirtschaftliches<br />
System. Als Vorbilder dienen dabei die US-amerikanische <strong>Börse</strong>naufsicht SEC und das britische<br />
Financial Reporting Review Panel (FRRP). Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) schlug zunächst<br />
ein privatwirtschaftliches Enforcement-Gremium wie das Financial Reporting Review Panel vor.<br />
Dagegen plädiert der Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft<br />
(AKEU) dafür, die Enforcement-Aufgabe auf eine staatliche Behörde zu übertragen. Inzwischen<br />
präferiert das IDW ein zweistufiges Enforcement-System, bei dem in der ersten Stufe ein Review<br />
Panel alle Beschwerden aufnimmt. Falls die Differenzen vom Review Panel nicht aufgeklärt werden<br />
können, sollen die Fälle vom Review Panel an eine staatliche Aufsicht weitergegeben werden.<br />
Dieses zweistufige Enforcement wäre unseres Erachtens ein Beitrag zur Wiedergewinnung des Vertrauens<br />
des Kapitalmarktes.<br />
4. Ein neues Selbstverständnis<br />
Alle diskutierten Maßnahmen müssen letztlich dazu beitragen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit<br />
in die Abschlussprüfung uneingeschränkt wiederhergestellt wird. Dementsprechend sollte die aktienrechtliche<br />
Abschlussprüfung wieder so verstanden werden, wie Eugen Schmalenbach den Begriff einst<br />
interpretierte, nämlich als ein „Amt im besten Sinne des Wortes und nicht einfach als ein Geschäft“.<br />
Dabei ist der Begriff „Amt“ nicht als behördliche Institution zu verstehen, sondern als innere Grundeinstellung<br />
des Abschlussprüfers, absolut neutral und unabhängig vom Vorstand zu prüfen, wie ein<br />
gerichtlich bestellter Gutachter.<br />
Abschlussprüfung ist keine Dienstleistung für das Unternehmen oder den Vorstand, sondern eine<br />
Überprüfung und Bestätigung der formellen und materiellen Richtigkeit des Jahresabschlusses mit<br />
dem Zweck, den Aufsichtsrat und die Anteilseigner des Unternehmens und damit den Kapitalmarkt<br />
gleichermaßen über die Ergebnisse dieser Prüfung zu informieren. Der Abschlussprüfer muss im<br />
Sinne der Principal-Agent-Theorie die Informationsasymmetrie zwischen Principal (Aufsichtsrat/Aktionäre)<br />
und Agent (Vorstand) durch die Testierung des Jahresabschlusses mit einem Bestätigungsbericht<br />
wieder zuverlässig und glaubwürdig sanktionieren, um die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte<br />
sicherzustellen.<br />
Die Abschlussprüfer und der gesamte Berufsstand der Wirtschaftsprüfer müssen aber zunächst<br />
einmal verstehen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit, das durch die Bilanzskandale verloren<br />
gegangen ist, auch nur von der Öffentlichkeit selbst wieder zurückgegeben bzw. -gewonnen werden<br />
kann. Dies wird aber nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit glaubt und vertrauen kann, dass die<br />
Abschlussprüfung völlig unabhängig von den geprüften Vorständen ausgeführt wird. Bisher kann<br />
die Öffentlichkeit indes nicht feststellen, dass zwischen Abschlussprüfer und Vorstand der geprüften<br />
Gesellschaft ein ebenso distanziertes Verhältnis besteht wie zwischen einem gerichtlich bestellten<br />
Gutachter und den Personen, deren Handeln dieser für das Gericht sachverständig und unabhängig<br />
beurteilen soll. Das aber ist unbedingt Voraussetzung für die Rückgewinnung von Vertrauen. Der<br />
Abschlussprüfer soll durch seine Arbeitsergebnisse dem Aufsichtsrat, aber vor allem auch den außen<br />
stehenden Investoren, also der Öffentlichkeit, ein Vertrauensgut liefern. Deshalb wird er das Vertrauen<br />
nur wieder erlangen, wenn er bei seiner Tätigkeit vor allem die Interessen der außen stehenden Investoren<br />
im Auge hat und nicht die Interessen der Vorstände. Hierzu bedarf es im Berufsstand eines<br />
erheblichen Umdenkens.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006<br />
und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
Heiko Beck, Chefsyndikus, DekaBank<br />
Dirk Schlochtermeyer, Head of Market Policy, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />
1. Einleitung<br />
Die nationale Agenda im Bereich des Kapitalmarktrechts wird in den kommenden Jahren stärker<br />
denn je durch die Gesetz- und Verordnungsgebung der Europäischen Union (EU) bestimmt werden.<br />
Aus <strong>Börse</strong>nsicht besonders relevant sind in diesem Kontext die Marktmissbrauchs- und Prospektrichtlinien,<br />
die Verordnung zur Bilanzierungspraxis börsennotierter Unternehmen, die geplanten<br />
Richtlinien zur Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten sowie zu den Publizitätspflichten börsennotierter<br />
Gesellschaften. Alle diese Vorhaben sind entweder im Wege der nationalen Gesetzgebung<br />
oder im Fall unmittelbar geltender EU-Verordnungen lediglich durch nationalen Verwaltungsvollzug<br />
umzusetzen. Ebenfalls bereits konkret absehbar ist die neue Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (Investment<br />
Services Directive – ISD), mit der erstmalig die Grundlagen für eine europäisches <strong>Börse</strong>norganisations-<br />
und -aufsichtsrecht geschaffen würden (siehe dazu unter 3., Seite 77 ff). Auch der<br />
Bereich Clearing und Settlement (Abwicklung) ist Gegenstand der Arbeit von Kommission und Europäischem<br />
Parlament.<br />
Nachstehend soll daher unter 2. und 3. ein genauer Blick auf das Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrecht<br />
geworfen werden. Hierunter ist die Gesamtheit der Normen zu verstehen, die für die Verfassung und<br />
Organisation des Kapitalmarktes und seiner Einrichtungen maßgeblich sind. Es geht mithin um den<br />
institutionellen Rechtsrahmen, in dem sich die Akteure des Kapitalmarktes, d. h. die Infrastrukturdienstleister<br />
wie <strong>Börse</strong>n, Clearing-Häuser, Abwicklungs- und Verwahrstellen, die Marktteilnehmer<br />
sowie die Aufsichtsbehörden bewegen.<br />
Die Kapitalmarktorganisation und Kapitalmarktaufsicht ist für die beiden wesentlichen Rechtsgüter<br />
des Kapitalmarktrechts, den Funktionsschutz einerseits und den Anlegerschutz andererseits, von<br />
großer Bedeutung. Die Funktionsfähigkeit eines Kapitalmarktes kann nur mittels eines sinnvollen<br />
und effizienten institutionellen Rahmenwerks erreicht werden; hierzu gehören beispielsweise große<br />
Teile des <strong>Börse</strong>ngesetzes, das die Organisationsstruktur der <strong>Börse</strong>n sowie den Handel und die Zulassung<br />
der Wertpapiere und Derivate regelt. Auch die Gestaltung der Aufsichtsstrukturen ist für einen<br />
ordnungsgemäß funktionierenden effizienten Kapitalmarkt wesentlich. Zugleich besteht ein starker<br />
Bezug zum Anlegerschutz, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen erfordert die Sicherstellung<br />
eines funktionsfähigen Kapitalmarktes stets Maßnahmen zur Sicherung der Marktintegrität, z. B. durch<br />
Gleichbehandlungsgebote und Transparenzvorschriften. Zum anderen bedarf der Anlegerschutz<br />
nicht nur einer Verankerung in materiellen Verhaltensnormen, sondern auch einer institutionellen<br />
Absicherung durch wirksam arbeitende Aufsichtsbehörden.<br />
Die Qualität des Funktions- und Anlegerschutzes ist das Gütesiegel eines Finanzplatzes und damit<br />
entscheidend für seine Wettbewerbsfähigkeit. Gerade im Kontext der Schaffung eines europäischen<br />
Kapitalmarktes ist dem Rechnung zu tragen, weil durch das Ziel eines ungehinderten Dienstleistungs-,<br />
Kapital- und Zahlungsverkehrs der Wettbewerb zwischen den einzelnen europäischen Finanzplätzen<br />
eher noch intensiver werden wird. Die Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen wird zu<br />
mehr, nicht zu weniger Wettbewerb führen. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess mitzugestalten<br />
und die eigenen Interessen zu vertreten. Dies gilt für den Finanzplatz im Allgemeinen und die<br />
Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> im Besonderen.<br />
73
74 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
2. Weiterentwicklung des institutionellen Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrechts<br />
2.1. Rechtsform und Selbstverwaltung der <strong>Börse</strong><br />
Die deutschen <strong>Börse</strong>n verfügen im internationalen Vergleich über eine besonders flexible und weiterentwicklungsfähige<br />
Struktur und Organisationsverfassung. Wesentlicher Grund hierfür ist die dem<br />
deutschen <strong>Börse</strong>nrecht eigene Trennung zwischen öffentlich-rechtlicher <strong>Börse</strong> als Marktorganisator<br />
und dem privatwirtschaftlich arbeitenden Träger andererseits. Die Väter des <strong>Börse</strong>ngesetzes haben<br />
diese gemischt öffentlich-/privatrechtliche Struktur, die zugleich als „Private-Public Partnership“ zu<br />
sehen ist, vor über 100 Jahren geschaffen. Sie ist zwar weltweit einmalig, aber gerade unter Wettbewerbsgesichtspunkten<br />
unverändert zeitgemäß. Dies gilt in dreifacher Hinsicht:<br />
Erstens besteht das insbesondere in der Satzungsautonomie (Befugnis zum Erlass der <strong>Börse</strong>nordnung<br />
und anderer Satzungen) verankerte umfassende Selbstverwaltungsrecht der <strong>Börse</strong>, das ausländischen<br />
<strong>Börse</strong>n weitgehend fremd ist. Der Staat kontrolliert nur die Rechtmäßigkeit des Handels der <strong>Börse</strong>,<br />
nicht aber dessen Zweckmäßigkeit, d. h. es besteht Rechts-, aber keine Fachaufsicht. Dies erhöht<br />
die unternehmerische Freiheit und Schnelligkeit, mit der neue Dienstleistungen oder Produkte angeboten<br />
werden können. Beispielsweise dauerte das Genehmigungsverfahren für die Einführung des<br />
Xetra-Systems vor fünf Jahren nur wenige Monate, während die Nasdaq für die Einführung ihres<br />
neuen Handelssystems Super Montage drei Jahre mit der SEC verhandeln musste, mit allen damit<br />
einhergehenden negativen Folgen wie Marktanteilsverluste gegenüber außerbörslichen Systemen.<br />
Notwendige Voraussetzung hierfür ist die öffentlich-rechtliche Rechtsform der <strong>Börse</strong>, weil nach<br />
deutschem Verfassungsrecht nur Körperschaften oder Anstalten wie die <strong>Börse</strong>n mit weitgehender<br />
Selbstverwaltungskompetenz versehen werden können. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz hat<br />
die Selbstverwaltungsrechte der <strong>Börse</strong> gerade in positiver Weise nochmals gestärkt. Zu nennen ist<br />
die ausdrückliche Ermächtigung der Wertpapierbörsen, den Handel elektronisch, mittels Skontroführer<br />
oder durch eine Kombination von beidem durchführen zu können, sowie die Befugnis, für Teilbereiche<br />
des amtlichen und des geregelten Marktes über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende<br />
Anforderungen vorsehen zu können. Auf diese Weise wird der Weg für die immer wieder notwendige<br />
Weiterentwicklung der Marktstrukturen bereitet. Davon hat die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> stets Gebrauch<br />
gemacht, z. B. mit der unlängst verabschiedeten Aktienmarktneusegmentierung, und dies wird auch<br />
in Zukunft so bleiben (siehe Seite 82 f).<br />
Zweitens ermöglicht gerade die rechtliche Trennung von Träger und <strong>Börse</strong> die wirtschaftliche Kombination<br />
von unternehmerischer Initiative und Selbstverwaltung und hat dadurch Entwicklungen wie<br />
die Schaffung der Eurex (vormals <strong>Deutsche</strong> Terminbörse), die Einführung des elektronischen Handelssystems<br />
Xetra, die <strong>Börse</strong>nnotierung der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong> und deren Entwicklung als Infrastrukturdienstleister<br />
für den Kapitalmarkt maßgeblich gefördert.<br />
Drittens ist durch die Trennung zwischen <strong>Börse</strong> und Träger eine gute Corporate Governance der <strong>Börse</strong>norganisation<br />
als Ganzes gewährleistet. So werden die Interessen der Handelsteilnehmer, Emittenten<br />
und Anleger im <strong>Börse</strong>nrat als dem demokratisch legitimierten Kontroll- und Rechtsetzungsorgan der<br />
<strong>Börse</strong> vertreten, der für alle wesentlichen Strukturentscheidungen zuständig ist. Die Anteilseignerinteressen<br />
werden hingegen in den Organen der Trägergesellschaft, d. h. Aufsichtsrat und Hauptversammlung,<br />
gewahrt. Auf diese Weise erfolgt ein Ausgleich zwischen den Interessen von Marktteilnehmern<br />
und Anteilseignern. Ein weiterer Vorteil besteht insbesondere für Trägergesellschaften, bei<br />
denen der <strong>Börse</strong>nbetrieb nur eines von mehreren Geschäftsfeldern darstellt. Sie können ihre Unternehmenspolitik<br />
weitgehend eigenständig und unabhängig vom <strong>Börse</strong>nbetrieb festlegen. Die für dessen<br />
Durchführung notwendige Verbindung zwischen <strong>Börse</strong> und Träger, gewissermaßen der Transmissionsriemen<br />
wird über die Betriebspflicht nach § 1 Abs. 2 BörsG hergestellt. Danach hat der Träger die<br />
für den <strong>Börse</strong>nbetrieb erforderlichen Ressourcen zu stellen.
2.2. Zukunft der <strong>Börse</strong>nselbstverwaltung und <strong>Börse</strong>naufsicht<br />
2.2.1. Die <strong>Börse</strong> als Marktveranstalter<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
Wie die obigen Ausführungen zeigen, war und ist die Selbstverwaltung ein für den Erfolg der deutschen<br />
<strong>Börse</strong>n wesentlicher Faktor. Insoweit ist darauf zu achten, dass die europäische Gesetzgebung hier<br />
nicht zu Beschränkungen und Rückschritten führt, die nicht im Interesse des Finanzplatzes liegen<br />
können. Der Entwurf der neuen ISD definiert umfassende Voraussetzungen für den Betrieb so genannter<br />
geregelter Märkte, worunter die <strong>Börse</strong>n zu subsumieren sind. Hierzu gehören auch dem<br />
deutschen <strong>Börse</strong>nrecht bislang unbekannte Genehmigungserfordernisse für die Organisation der<br />
<strong>Börse</strong> und des <strong>Börse</strong>nhandels. Die Rahmenbestimmungen der Richtlinie sind zwar nicht ganz eindeutig,<br />
jedoch bedarf es nur beschränkter juristischer Phantasie, dass dies auf die Einführung der<br />
Fachaufsicht und damit eine deutliche Einschränkung der Selbstverwaltung hinauslaufen könnte.Dies<br />
gilt insbesondere, wenn man ins europäische Ausland blickt, wo die meisten <strong>Börse</strong>n ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse<br />
in den letzten Jahrzehnten weitgehend verlustig gegangen sind.<br />
Zudem sollen die Einzelheiten im so genannten Level-2-Verfahren durch die Kommission geregelt<br />
werden, wobei den in CESR vereinigten nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden eine maßgebliche<br />
beratende Rolle zukommt (siehe Schaubild auf Seite 18). Anders als in Deutschland mit der immer<br />
noch dezentralen <strong>Börse</strong>naufsicht sind diese Behörden regelmäßig bereits jetzt für die <strong>Börse</strong>naufsicht<br />
zuständig und üben schon eine Fachaufsicht aus. Eine Angleichung könnte für die deutschen <strong>Börse</strong>n<br />
daher auf den Verlust bestehender Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen EU-<strong>Börse</strong>n hinauslaufen.<br />
Es kommt deshalb darauf an, die Stellung der <strong>Börse</strong> als Marktveranstalter zu erhalten.<br />
2.2.2. Wettbewerb<br />
Soweit bisweilen Wettbewerbsargumente für eine Veränderung der bestehenden deutschen <strong>Börse</strong>nstruktur<br />
vorgetragen werden, gehen diese bei näherer Betrachtung ins Leere. Die Anwendbarkeit des<br />
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist in sämtlichen Bereichen gegeben, in denen den<br />
<strong>Börse</strong>n und ihren Trägern ein eigenständiger Gestaltungsspielraum zusteht. Somit ist ein ausreichender<br />
Wettbewerbsschutz gewährleistet. Es besteht ein diskriminierungsfreier Zugang für in- und ausländische<br />
Marktteilnehmer zu den <strong>Börse</strong>n, Clearing- und Settlement-Einrichtungen. Hier ist Deutschland<br />
sogar Vorreiter in der EU. Das deutsche Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrecht lässt auch einen weitgehenden<br />
Wettbewerb zwischen <strong>Börse</strong>n und außerbörslichen Handelssystemen zu. Die rechtlichen Markteintrittsbarrieren<br />
für solche Systeme bestehen lediglich im Erfordernis einer Finanzdienstleistererlaubnis<br />
nach § 32 Kreditwesengesetz und künftig zusätzlich einer Anzeige nach § 58 <strong>Börse</strong>ngesetz<br />
(BörsG). Die Gründe für den bislang fehlenden Erfolg dieser Einrichtungen liegen nicht in rechtlichen<br />
Hürden, sondern in der unzureichenden Marktakzeptanz.<br />
2.2.3. Vereinheitlichung der <strong>Börse</strong>naufsicht<br />
Soll die Selbstverwaltung der <strong>Börse</strong>n im europäischen Kontext weiterhin eine Zukunft haben, ist<br />
rechtspolitisch allerdings an der Stelle anzusetzen, die das notwendige Kontrollinstrument darstellt.<br />
Gemeint ist die seit Jahren diskutierte und unveränderte wünschenswerte Vereinheitlichung der<br />
<strong>Börse</strong>naufsicht in Deutschland, sei es in Form einer institutionellen oder auch nur faktischen Zentralisierung.<br />
Die gegenwärtige Situation ist in zweifacher Hinsicht unbefriedigend. Zum einen ist<br />
international nicht vermittelbar, dass die Aufsicht über so wichtige Kapitalmarktinfrastruktureinrichtungen<br />
wie <strong>Börse</strong>n dezentral erfolgt. Zum anderen führt die bestehende Struktur zu einem unterschiedlichen<br />
Aufsichtsniveau in der Bundesrepublik Deutschland, weil die Aufsichtsbehörden personell<br />
75
76 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
und sachlich unterschiedlich ausgestattet sind. Als negatives Beispiel für Regulierungsabitrage und<br />
damit für Wettbewerbsverzerrung in Deutschland ist die unterschiedliche Zuerkennung von <strong>Börse</strong>npreisen<br />
für Internalisierungsangebote von <strong>Börse</strong>n zu nennen. Internalisierung kann nie <strong>Börse</strong>npreise<br />
generieren, weil <strong>Börse</strong>npreise nur dann ordnungsgemäß zustande kommen, wenn Handelsteilnehmern<br />
die Angebote zugänglich sind und die Annahme der Angebote möglich ist. Weil das multilaterale<br />
Kennzeichen bei der Internalisierung stets fehlt, generiert Xetra Best in den Augen der Hessischen<br />
<strong>Börse</strong>naufsicht folgerichtig keine <strong>Börse</strong>npreise. Dies muss auch für andere Internalisierungsangebote<br />
gelten. Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn die Nasdaq Deutschland aktiv für ihr Internalisierungsangebot<br />
mit dem Merkmal „<strong>Börse</strong>npreis“ wirbt und die Berliner <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörde dieser<br />
Auffassung nicht widerspricht. Bessere Argumente für eine Zentralisierung der <strong>Börse</strong>naufsicht kann<br />
es nicht geben. Verschärft wird die Situation noch durch die in den §§ 58, 59 BörsG eingeführte<br />
Regulierung außerbörslicher Handelssysteme, die den <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörden des jeweiligen Bundeslandes<br />
obliegt, in dem ein solches System oder sein Betreiber angesiedelt ist. Hier kann es zu<br />
der kuriosen Situation kommen, dass Systeme in Bundesländern entstehen, in denen es noch keine<br />
<strong>Börse</strong>naufsichtsbehörde gibt und mithin eigens eine solche geschaffen werden müsste, was zu max.<br />
16 <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörden in Deutschland führen könnte. Die Bundesregierung ist aufgerufen,<br />
diesen Missstand schnell zu beseitigen.<br />
2.3. Transparenzregeln<br />
Die Transparenzstandards am Finanzplatz haben sich in den vergangenen Jahren durch die Bemühungen<br />
des Gesetzgebers, der Marktteilnehmer und auch der Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> maßgeblich<br />
verbessert.<br />
2.3.1. Publizitätsvorschriften für Unternehmen<br />
Im Bereich der Emittenten sind mit der Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG),<br />
der Meldepflicht für die Geschäfte von Organmitgliedern und diesen nahe stehenden Personen nach<br />
§ 15a WpHG sowie einer gesetzlichen und untergesetzlichen Regelpublizität, die häufig Quartalsberichte<br />
beinhaltet, internationale Standards erreicht oder gar übertroffen worden. Zu verbessern ist<br />
allerdings die inhaltliche Qualität der Berichterstattung. In diesem Bereich hat die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong><br />
durch die so genannten strukturierten Quartalsberichte, die ursprünglich am Neuen Markt eingeführt<br />
wurden, im gesamten neuen Aktienmarktsegment Prime Standard zu einer weiteren Transparenzsteigerung<br />
beigetragen (mehr dazu siehe Seite 82 f). Worauf es jedoch vor allem ankommt, ist, dass<br />
die Verletzung von Publizitätspflichten wirksam sanktioniert wird. Für die bislang in die Zuständigkeit<br />
der <strong>Börse</strong> fallenden Regelpublizitätspflichten der börsennotierten Gesellschaften hat der Gesetzgeber<br />
durch erweiterte Sanktionsmöglichkeiten der <strong>Börse</strong> bereits einen Beitrag geleistet. Dies kann jedoch<br />
nur als Anfang gesehen werden; die Bundesregierung hat daher die Unternehmenstransparenz zu<br />
Recht auf die kapitalmarktpolitische Agenda gesetzt.<br />
2.3.2. Transparenzvorschriften für den börslichen und außerbörslichen Handel<br />
Auch im <strong>Börse</strong>nhandel besteht zum Vorteil der Investoren bereits eine weitgehende Pre- und Post-<br />
Trade-Transparenz. Konkret und dringlich zu verbessern ist allerdings die Transparenz des außerbörslichen<br />
Handels durch eine Veröffentlichung der Preise und Umsätze unverzüglich nach Geschäftsabschluss.<br />
Im Unterschied zu den meisten Mitgliedsstaaten der EU verhält es sich in der Bundesrepublik<br />
Deutschland bislang so, dass zwar alle Geschäfte in börsengehandelten Wertpapieren und Instrumen-
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
ten nach § 9 WpHG an die BaFin gemeldet werden, veröffentlicht werden jedoch nur die Preise und<br />
Umsätze der <strong>Börse</strong>ngeschäfte, nicht hingegen die außerbörslichen Geschäftsabschlüsse. Mithin ist<br />
für die Marktteilnehmer und Investoren unklar, zu welchen Preisen und mit welchen Umsätzen im<br />
außerbörslichen Handel agiert wird. In der Praxis kann daher bei der Erteilung von Aufträgen nie<br />
die Gesamtmarktlage berücksichtigt werden, sondern lediglich die Auftragslage an der <strong>Börse</strong>. Dies ist<br />
insbesondere im Handel mit Aktien und Optionsscheinen nachteilig, da ein Informationsungleichgewicht<br />
zu Lasten des börslichen Handels besteht, auch wenn ca. 70 Prozent des Handels über die<br />
<strong>Börse</strong>n abgewickelt werden.<br />
An anderen Finanzplätzen erfolgt nicht nur die Meldung, sondern auch die Veröffentlichung aller<br />
Geschäfte sofort oder zumindest am gleichen Tag. Der deutsche Markt ist daher immer wieder dem<br />
Vorwurf einer geringen Gesamtmarkttransparenz ausgesetzt und verliert für ausländische Investoren<br />
an Attraktivität. Der Entwurf der neuen ISD sieht ebenfalls weitergehende Transparenzpflichten im<br />
Sinne des oben Gesagten vor. Der deutsche Gesetzgeber sollte sich dieses Themas daher frühzeitig<br />
von sich aus annehmen. Die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist bereit, diesen Prozess aktiv zu unterstützen.<br />
3. Reformen im europäischen Kontext<br />
Die ISD zeugt als Kernelement des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen (Financial Services<br />
Action Plan – FSAP) von der Europäisierung der Regulierung. Im Rahmen des FSAP sollen bis zum<br />
Jahr 2005 über 40 Maßnahmen zur Integration des Finanzbinnenmarktes umgesetzt werden; die<br />
Integration des Wertpapierbinnenmarktes ist bereits für das Jahr 2003 vorgesehen. Dieser Zeitplan<br />
ist ausgesprochen ambitioniert. Er ist auch deshalb ambitioniert, weil die politisch umstrittenen<br />
Projekte erst noch zur Entscheidung anstehen.<br />
3.1. Das Lamfalussy-Verfahren<br />
Ausmaß und Erfolg der Integration hängen im wesentlich von zwei Faktoren ab. Zum einen, ob das<br />
„Lamfalussy-Verfahren“ wirklich geeignet ist, um schneller zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.<br />
Der Versuch, das bisherige Rechtssetzungsverfahren zu beschleunigen, ist richtig und unbestritten.<br />
Danach wird auf Ebene 1 von Rat und Parlament nur noch eine Rahmenregelung beschlossen,<br />
während die Formulierung der Durchführungsbestimmungen durch Ausschüsse von Minister- und<br />
Aufsichtsvertretern auf Ebene 2 erfolgt (siehe auch Seite 18).<br />
Weil die Mitgliedsstaaten dem Verfahren nicht ausreichend trauen, und weil es unter ihnen unterschiedliche<br />
Auffassungen darüber gibt, was etwa „Transparenz“ oder „Marktintegrität“ bedeuten,<br />
konzentrieren sich die Richtlinien nicht auf das Wesentliche. Vielmehr neigen die Verhandlungspartner<br />
bereits auf Ebene 1 zu Überregulierungen und damit zu Zeitverzögerungen. So umfasst etwa der<br />
Richtlinienvorschlag der Kommission zur ISD über 100 Seiten. Der Grund für das Misstrauen in das<br />
Verfahren liegt auch darin, dass auf Ebene 2 von den Aufsichtsbehörden bereits Detail- und Umsetzungsvorschriften<br />
festgelegt werden, obwohl grundlegende Inhalte und Definitionen der Richtlinie<br />
noch gar nicht feststehen. Die Prospektrichtlinie bildet dafür ein problematisches Beispiel. Im Übrigen<br />
ist es ein wesentliches Element des Lamfalussy-Verfahrens, dass das Europäische Parlament nur noch<br />
an dem Basisrechtsakt auf Ebene 1 beteiligt ist, nicht jedoch am Erlass der Durchführungsbestimmungen<br />
auf Ebene 2. Das führt dazu, dass teilweise Beschlüsse mit weit reichenden Folgen ohne<br />
eine parlamentarische Kontrolle getroffen werden.<br />
Jeder der beteiligen Akteure – Kommission, Rat, Europäisches Parlament, Ecofin, Europäische Zentralbank<br />
– verfügt über mindestens ein Beratungsgremium. Das ist einerseits erforderlich, um Kompetenz<br />
77
78 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
aufzubauen. Andererseits nimmt auf diese Weise die Komplexität der Entscheidungsfindung zu. Es<br />
muss daher die Frage gestellt werden, ob die Verfahrensbeschleunigung einen Wert an sich darstellt,<br />
wenn es parallel nicht in ausreichender Form gelingt, die Marktteilnehmer zu konsultieren und eine<br />
inhaltliche Qualitätskontrolle sicherzustellen. Als Richtlinie mit einem zweifelhaften Ergebnis ist die<br />
Prospektrichtlinie zu nennen, die in den Augen der meisten europäischen Marktteilnehmer einen<br />
Rückschritt darstellt, weil sie zu einer Überregulierung führt und die Emittenten abweichend von der<br />
heutigen Praxis zwingt, die Prospektprüfung im Heimatland durchführen zu lassen. Es ist zu früh,<br />
abschließend über die Vorzüge des Lamfalussy-Verfahrens zu urteilen. Vollends unübersichtlich dürfte<br />
das Verfahren aber dann werden, wenn die genannten Gremien auf die Bereiche Banken, Versicherungen<br />
und Finanzkonglomerate ausgedehnt und verdreifacht werden.<br />
3.2. Europäische Integration und nationale Interessen<br />
Darüber hinaus hängt der Erfolg der Integration entscheidend davon ab, ob die Mitgliedsstaaten<br />
bereit sind, bei grundlegenden Vorhaben auf Souveränität zu verzichten, oder ob sie weiterhin alle<br />
Anstrengungen unternehmen, um ihren Heimatmarkt zu protegieren. Das gilt sowohl für Deutschland<br />
als auch für andere Staaten. In der Praxis führte diese Einstellung bisher zu zwei Konsequenzen. Um<br />
politische Kompromisse zu erzielen und dem Zeitdruck nachzugeben, wurden einerseits der Ebene 2<br />
Inhalte überlassen, die eigentlich in der Richtlinie hätten festgeschrieben werden sollen.<br />
Andererseits sind bei wichtigen Themen bisher keine greifbaren Ergebnisse erzielt worden. Dabei ist<br />
sowohl die seit 1974 verhandelte Übernahmerichtlinie als auch die Besteuerung von Zinserträgen<br />
zu nennen, für die sich die Kommission seit 1997 erfolglos bemüht, ein europäisches Koexistenzmodell<br />
einzuführen. In beiden Fällen zeigt der Streit um Fristen, nationale Ausnahmetatbestände,<br />
Übergangsregeln und die Einbeziehung von Drittländern, wie hartnäckig die Regierungen versuchen,<br />
ihre heimischen Finanzmärkte zu verteidigen und abzuschotten. Sollte es endgültig nicht gelingen,<br />
die genannten Richtlinien ohne großen Substanzverlust zu verabschieden – und sie auch einheitlich<br />
umzusetzen –, würde das einen empfindlichen Rückschlag für die Integration des europäischen Kapitalmarktes<br />
bedeuten.<br />
Dabei bildet die Integration des europäischen Kapitalmarktes weiterhin ein besonders lohnenswertes<br />
Ziel, denn die vorhandene Fragmentierung verhindert eine optimale Kapitalallokation in Europa. Zwei<br />
Indikatoren mögen das verdeutlichen: Zunächst hat eine Studie von London Economics im Auftrag<br />
der Europäischen Kommission herausgefunden, dass die Eigenkapitalkosten der Unternehmen in<br />
einem integriertem Kapitalmarkt um 0,5 Prozent sinken und in der Folge die Kosten für Finanzierungen<br />
über den Rentenmarkt um 0,4 Prozent fallen werden (vgl. Abbildung auf Seite 79). Darüber hinaus<br />
liegt die Marktkapitalisierung der meisten europäischen Ländern deutlich unter dem Niveau der USA.<br />
Deutschland liegt wiederum deutlich unter dem europäischen Durchschnitt (vgl. Abbildung auf Seite<br />
80). Das verdeutlicht die Unterentwicklung unseres Kapitalmarktes, zeigt aber auch sein überdurchschnittliches<br />
Entwicklungspotenzial.
3.3. Die ISD als Prüfstein der Integration<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
Geschätzter Nutzen der Integration<br />
der europäischen Aktienmärkte<br />
Land Senkung der Eigenkapitalkosten*<br />
Österreich<br />
Belgien<br />
Luxemburg<br />
Frankreich<br />
Portugal<br />
Irland<br />
Dänemark<br />
Deutschland<br />
Finnland<br />
Schweden<br />
Niederlande<br />
Italien<br />
Großbritannien<br />
Griechenland<br />
Spanien<br />
Gewichteter Durchschnitt<br />
* (Schätzung, in Basispunkten)<br />
Quelle: London Economics<br />
November 2002<br />
Der ISD kommt bei der Integration des Binnenmarktes eine besondere Bedeutung zu. Sie bildet einen<br />
Prüfstein für die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, zu einer europäischen Harmonisierung zu kommen.<br />
Denn die ISD reguliert nicht nur Wertpapierdienstleistungen, sondern harmonisiert auch Marktstrukturen<br />
und klassifiziert Wertpapierhandelssysteme. Davon sind Marktorganisatoren, Marktteilnehmer<br />
und Investoren gleichermaßen betroffen, wobei die Intermediäre mit Abstand den größten Marktwert<br />
für sich vereinnahmen. Die Diskussion um Desintermediation und Internalisierung ist daher in erster<br />
Linie auch eine Auseinandersetzung um die Verteilung von Marktanteilen.<br />
Für die ISD gilt, was zu den Zielen der Kapitalmarktaufsicht oben gesagt wurden: Sie soll gleichermaßen<br />
die Ziele Anlegerschutz und Funktionsschutz verfolgen. Letzteres lässt sich nochmals unterteilen<br />
in Wettbewerb von Handelsplattformen und Vermeidung einer Marktfragmentierung. Jedes Ziel<br />
für sich genommen hat eine hohe Bedeutung, untereinander stehen sie jedoch in einem Spannungsverhältnis.<br />
So erschweren hohe Anforderungen an den Anlegerschutz, so wichtig sie auch ohne Zweifel<br />
sind, den Markteintritt neuer Anbieter von Handelsplattformen und vermindern so den Wettbewerb.<br />
Andererseits erhöht sich mit einem Mehr an Wettbewerb auch die Fragmentierung von Liquidität,<br />
was wiederum die Handelskosten in die Höhe treibt. Zugleich ist Wettbewerb notwendig, um Anreize<br />
für kundenorientierte Innovationen und Preissenkungen zu geben.<br />
In der Diskussion um die ISD kommen diese komplexen Spannungsverhältnisse in folgenden Fragen<br />
zum Ausdruck: In welchem Ausmaß müssen Intermediäre bei der Internalisierung von Orders analog<br />
den regulierten Märkten eine Pre-Trade-Transparenz gewähren? Wie ist länderübergreifend eine<br />
konsistente Anwendung von Best-Execution-Vorschriften erreichbar? Ist eine einheitliche Pre-Trade-<br />
Transparenz vor dem Hintergrund der verschiedenen Marktmodelle und Ordertypen realistisch?<br />
60,1<br />
59,0<br />
59,0<br />
58,9<br />
58,7<br />
58,6<br />
56,7<br />
56,4<br />
56,2<br />
54,6<br />
50,6<br />
46,9<br />
38,1<br />
31,8<br />
23,4<br />
46,7<br />
79
80 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />
<strong>Börse</strong>nkapitalisierung in Prozent des<br />
Bruttoinlandsprodukts (2001)<br />
Land Prozent<br />
Schweiz<br />
Großbritannien<br />
USA<br />
Belgien/Frankreich/Niederlande<br />
Spanien<br />
Deutschland<br />
Japan<br />
Italien<br />
136,3<br />
96,0<br />
80,5<br />
58,1<br />
55,4<br />
48,4<br />
Source: DAI<br />
152,0<br />
Wie kann in Deutschland „post trade“ die Veröffentlichung der außerbörslichen Handelsinformationen<br />
erzielt werden, die in Europa bereits Standard ist und deren Fehlen noch einen Wettbewerbsnachteil<br />
für den Finanzstandort bildet? Sollen die Vorschriften für Pre- und Post-Trade-Transparenz nur für<br />
Aktien oder auch für andere Wertpapiere gelten? Diese Fragen bilden den Kern der kommenden<br />
Diskussion.<br />
Durch ihr Portfolio von Geschäften kann die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> nicht nur für Intermediäre,<br />
Emittenten und Investoren, sondern auch für Informationsanbieter und andere <strong>Börse</strong>n das gesamte<br />
Spektrum an Dienstleistungen – Handel, Clearing und Settlement sowie Informationsprodukte und<br />
Technologieentwicklung – anbieten. Die Integration des europäischen Wertpapiermarktes bietet neue<br />
Chancen, dieses Portfolio über Länder- und Funktionsgrenzen hinweg weiterzuentwickeln. Die Gruppe<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist entschlossen, diese Chancen zu nutzen.<br />
213,4
82 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Aktienmarktneusegmentierung: <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />
Aktienmarktneusegmentierung:<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />
Mit der Neusegmentierung des deutschen Aktienmarktes wird ein weiteres Kapitel deutscher Kapitalmarktgeschichte<br />
geschrieben. Die neuere Geschichte begann im Jahr 1996 mit dem Konzept der<br />
<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> für ein Segment für junge, innovative Wachstumsunternehmen. Damals entzündete<br />
sich eine heftige Diskussion, weniger an der Frage der Notwendigkeit eines Marktes für Wachstumsunternehmen<br />
als an den seinerzeit als ausgesprochen hoch empfundenen Transparenzanforderungen,<br />
die die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> an die Emittenten stellen wollte. Damals wie heute war die <strong>Börse</strong> der Auffassung,<br />
dass Unternehmen, die Eigenkapital von Aktionären zur Verfügung gestellt bekommen wollen,<br />
gläserne Taschen haben müssen. Die Transparenzstandards des Neuen Marktes waren somit als<br />
Rollenmodell angelegt. Sie werden sich nach Umsetzung der Aktienmarktneusegmentierung nicht<br />
nur auf junge Wachstumsunternehmen, sondern auch auf alle sonstigen Unternehmen erstrecken,<br />
die sich an internationalen Veröffentlichungsstandards messen lassen wollen.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> trägt mit der Neusegmentierung des Aktienmarktes das Ihrige dazu bei, das Vertrauen<br />
der Investoren in den deutschen Aktienmarkt durch hohe Standards und verbesserte Durchsetzbarkeit<br />
zurückzugewinnen. Außerdem soll die neue Indexwelt an den Bedürfnissen der Investoren<br />
ausgerichtet werden. Der Anleger steht damit im Mittelpunkt der neuen Marktorganisation. Hierzu<br />
werden zwei Segmente für die Zulassung von Unternehmen zur <strong>Börse</strong> geschaffen: Im General Standard<br />
werden die Zulassungsvoraussetzungen des geregelten Marktes weitgehend auf das Niveau<br />
des amtlichen Marktes angehoben, wie sie im <strong>Börse</strong>ngesetz festgelegt sind. Noch weiter gehen die<br />
Vorschriften für das zweite Segment, den Prime Standard. Hier gelten zusätzliche Transparenzstandards,<br />
die den internationalen Gegebenheiten entsprechen, wie Quartalsberichte, internationale<br />
Rechnungslegung, Veröffentlichung von Unternehmenskalendern und Ad-hoc-Nachrichten in englischer<br />
Sprache. Die Emittenten werden sich bei ihrer Entscheidung, welchen Zulassungsstandards<br />
sie entsprechen wollen, von einer Abwägung der Kosten und des Nutzens der Notierung in einem der<br />
beiden <strong>Börse</strong>nsegmente leiten lassen. Wer primär auf deutsche Investoren abzielt, wird sich eher für<br />
den General Standard entscheiden. Für Unternehmen, die ihre Zielgruppe bei Investoren und Kunden<br />
im internationalen Bereich sehen und die eine Chance auf die Aufnahme in einen Leitindex sehen,<br />
ist der Prime Standard richtig (siehe Schaubild unten).<br />
Vereinheitlichung des regulatorischen Rahmens<br />
Alte Struktur Neue Struktur<br />
Amtlicher Markt<br />
Geregelter Markt<br />
Neuer<br />
Markt<br />
SMAX DAX<br />
MDAX<br />
Prime Standard<br />
General Standard<br />
Öffentliches Recht Privatrecht Indexleitfäden<br />
<strong>Börse</strong>ngesetz, Regelwerk Neuer Markt, <strong>Börse</strong>nrichtlinien <strong>Börse</strong>nordnung<br />
<strong>Börse</strong>nordnung SMAX-Teilnahmebedingungen
Indexlandschaft ab 2003<br />
CDAX<br />
Prime All Share<br />
SDAX<br />
DAX<br />
MDAX TecDAX30<br />
General Standard<br />
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Aktienmarktneusegmentierung: <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />
18 Branchenindizes<br />
Automobile<br />
Banks<br />
Basic Resources<br />
Chemicals<br />
Construction<br />
Consumer<br />
Financial Services<br />
Food & Beverages<br />
Industrial<br />
Insurance<br />
Media<br />
Pharma & Healthcare<br />
Retail<br />
Software<br />
Technology<br />
Telecommunication<br />
Transportation & Logistics<br />
Utilities<br />
Eng verbunden mit der Neusegmentierung ist das am Investorenverhalten orientierte neue Indexkonzept.<br />
Es ist sektoral auf die Emittenten im Prime Standard ausgerichtet. Insbesondere im Bereich der<br />
Midcaps sind zwei Indizes für klassische Branchen einerseits und Technologiebranchen andererseits<br />
geschaffen worden. So haben innovative Unternehmen in Zukunftstechnologien auch weiterhin eine<br />
Plattform, auf der sich Investoreninteresse finden wird. Damit lebt die Idee des Neuen Marktes weiter,<br />
dass junge, innovative Unternehmen über die <strong>Börse</strong> einen Kanal für die Eigenkapitalfinanzierung in<br />
Ansprach nehmen können.<br />
Auch mit der neuen Segmentierung wird sichergestellt, dass ausreichend Liquidität vorhanden ist.<br />
Werte im Prime Standard sollen grundsätzlich im fortlaufenden Handel in Xetra notiert werden. Die<br />
Notierung im fortlaufenden Handel wird Voraussetzung für eine Aufnahme in die Auswahlindizes der<br />
<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> sein (siehe Schaubild oben).<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> hat in den letzten Jahren die Rolle als Agent des Wandels im deutschen Kapitalmarkt<br />
aktiv wahrgenommen. Wer hätte vor sechs Jahren gedacht, dass fast 400 Prime-Standard-<br />
Unternehmen in Deutschland Quartalsberichte erstellen würden? Regelmäßige Analystenveranstaltungen<br />
sind eine Selbstverständlichkeit geworden. Die im Neuen Markt erstmals eingeführten Directors’<br />
Dealings sind inzwischen im Gesetz verankert. Die Qualität der regelmäßigen Berichterstattung<br />
wurde durch die Vorgabe einer Struktur für Quartalsberichte erheblich verbessert. Auch die auf unsere<br />
Initiative verabschiedeten und von zwischenzeitlich 22 Banken als Standard akzeptierten Going-Public-Grundsätze<br />
tragen zu Fairness und Chancengleichheit gegenüber Investoren bei. In puncto<br />
Transparenz ist der Regulierungsrahmen durch die <strong>Börse</strong> weitgehend ausgeschöpft. Bei Themen wie<br />
Anlegerschutz, Rechnungslegung oder Unternehmenskontrolle ist der Gesetzgeber gefordert. Doch<br />
die <strong>Börse</strong> sieht sich in diesem Prozess weiterhin als Moderator.<br />
Kritiker der Neusegmentierung merken an, dass durch diesen Schritt Vertrauen nicht automatisch<br />
zurückgewonnen wird und die Kurse nicht steigen werden. Das ist richtig. Vertrauen können nur alle<br />
Kapitalmarktbeteiligten schaffen: die Emittenten, indem sie ehrlich und fair berichten und Profite<br />
erwirtschaften; die Finanzintermediäre, indem sie <strong>Börse</strong>nkandidaten richtig beraten und prüfen; die<br />
Wirtschaftsprüfer, indem sie ihre Kontrollfunktion noch besser wahrnehmen; die Anleger, indem sie<br />
die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen richtig auswerten. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> glaubt aber<br />
daran, dass klare Standards, die sich an den Bedürfnissen der Investoren orientieren, Vertrauen in<br />
die Marktorganisation zurückgewinnen können.<br />
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84 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Autorenverzeichnis<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg Baetge ist emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere<br />
Wirtschaftsprüfung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Honorarprofessor<br />
der Universität Wien. Er sitzt gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h. c. Marcus Lutter dem Arbeitskreis<br />
"Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance" vor, seine Fachgebiete sind externe Rechnungslegung,<br />
Bilanzbonitäts-Ratings und Unternehmensbewertung.<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Baums ist seit April 2000 Inhaber des Lehrstuhls für Bankrecht<br />
an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er war u. a. Mitglied der vom<br />
Bundeskanzler geleiteten Kommission zum Übernahmerecht und Vorsitzender der Regierungskommission<br />
Corporate Governance.<br />
Dr. Heiko Beck ist Rechtsanwalt und Chefsyndikus der DekaBank, Frankfurt am Main. Er begann<br />
seine berufliche Laufbahn in der Rechtsabteilung der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>. Bis Ende 2002 war<br />
er deren Chefsyndikus und Geschäftsführer der Frankfurter Wertpapierbörse. Heiko Beck ist Autor<br />
zahlreicher Veröffentlichungen und Vorträge zum <strong>Börse</strong>n- und Kapitalmarktrecht.<br />
Karl-Burkhard Caspari ist Vizepräsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin). Von 1994 bis 2002 war er Unterabteilungsleiter Bank-, Versicherungs- Investment-, <strong>Börse</strong>nund<br />
Wertpapierwesen im Bundesministerium der Finanzen (BMF). Der Jurist begann seine Laufbahn<br />
beim BMF im Jahr 1980.<br />
Rainer Riess ist Head of Stock Market Business Development at <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong>. Bevor er zur<br />
<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> kam, arbeitete er seit 1989 in verschiedenen Funktionen für die <strong>Deutsche</strong> Terminbörse.<br />
Er schloss ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt am Main ab und erhielt<br />
einen MBA an der Universität Miami.<br />
Prof. Dr. Bernd Rudolph lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist dort<br />
Vorstand des Seminars für Kapitalmarktforschung und Finanzierung. Rudolph habilitierte sich 1978<br />
an der Universität Bonn für das Fach Betriebswirtschaftslehre und arbeitete von 1979 bis 1993 an<br />
der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungsprojekte betreffen die Bankplanung<br />
und Bankregulierung, Corporate Finance, Kapitalmarkttheorie, Derivative Märkte und Risikomanagement.
KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />
Dr. Dirk Schlochtermeyer ist Head of Market Policy bei der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>. Er gehört dem<br />
Unternehmen seit 1996 an und war von 1999 bis 2001 Leiter der Repräsentanz Berlin. Zugleich ist<br />
er Sekretär der <strong>Börse</strong>nsachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen.<br />
Sir David Tweedie ist Chairman der neu gegründeten International Accounting Standards Board<br />
seit Januar 2001. Davor war er Chairman des UK Accounting Standards Board und Mitglied der britischen<br />
Delegation beim Vorstand des International Accounting Standards Committee. Er erhielt 1994<br />
für seine Verdienste um den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer den Adelstitel verliehen.<br />
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Internetlinks<br />
<strong>Börse</strong>ngesetz: www.bafin.de/gesetze/boerseng.htm<br />
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: www.bafin.de<br />
Corporate Governance Kodex: www.corporate-governance-code.de/ger/kodex/<br />
International Accounting Standards: europa.eu.int/comm/internal_market/en/company/account/news/ias.htm<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>: www.deutsche-boerse.com<br />
Marktmissbrauchsrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/abuse.htm<br />
Prospektrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/prospectus.htm<br />
Transparenz- und Publizitätsgesetz: 217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl102s2673.pdf<br />
Viertes Finanzmarktförderungsgesetz: 217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/BGBl102039s2010.pdf<br />
Wertpapierdienstleistungsrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/isd/index.htm<br />
Wertpapierhandelsgesetz: www.bafin.de/gesetze/wphg.htm<br />
Grafikübersicht Seite<br />
Eigenkapitalquote westdeutscher Unternehmen 8<br />
Eigenkapitalquote in wichtigen Industrieländern 11<br />
Beschleunigung des EU-Gesetzgebungsverfahrens (Lamfalussy-Verfahren) 16<br />
Wesentliche Reformen im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes 19<br />
Zuschlag, den Investoren für Unternehmen mit guter Corporate Governance zu zahlen bereit sind 38<br />
Verwendete Rechnungslegungsvorschriften für den Jahresabschluss: EU vs. Deutschland 61<br />
<strong>Börse</strong>nkapitalisierung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2001) 74<br />
Geschätzter Nutzen der Integration der europäischen Aktienmärkte 79<br />
Vereinheitlichung des regulatorischen Rahmens 82<br />
Indexlandschaft ab 2003 83