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Deutsche Börse | White Paper - Deutsche Börse AG

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Kapitalmarkt Deutschland<br />

Erfolge und Herausforderungen<br />

<strong>White</strong> <strong>Paper</strong>


Kapitalmarkt Deutschland<br />

Erfolge und Herausforderungen<br />

<strong>White</strong> <strong>Paper</strong>


2 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

INHALT<br />

Vorwort................................................................................................................ 5<br />

I. Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

Prof. Bernd Rudolph, Universität München<br />

1. Einleitung .............................................................................................................. 7<br />

2. Insider- und Outsider-Finanzierungen .......................................................................... 8<br />

3. Corporate Governance .............................................................................................. 8<br />

4. Fremd- versus Eigenkapital ........................................................................................ 9<br />

5. Gründe für die mangelnde Eigenkapitalzufuhr ............................................................ 11<br />

6. Asset-Backed-Strukturen für Beteiligungstitel .............................................................. 12<br />

II. Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Karl-Burkhard Caspari, Vize-Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

1. Kapitalmärkte im Wandel – Übersicht über die Reformen zur Weiterentwicklung des<br />

Kapitalmarktes am Finanzplatz Deutschland .............................................................. 15<br />

2. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz – verbesserte Regeln für eine effizientere<br />

Finanzdienstleistungsaufsicht .................................................................................. 19<br />

3. Neuorganisation der Finanzdienstleistungsaufsicht in Deutschland – die Gründung<br />

der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).......................................... 23<br />

4. Ziele der Aufsicht: Anlegervertrauen und Marktintegrität .............................................. 25<br />

5. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland und im Ausland .............................................. 30<br />

6. Die europäischen Bestrebungen, die Finanzmarktaufsicht zu vereinheitlichen .................. 33<br />

7. Veränderungen am Finanzplatz Deutschland durch die Umsetzung der geplanten<br />

Richtlinie der Europäischen Union zur Bekämpfung des Marktmissbrauchs...................... 36<br />

III. Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Prof. Theodor Baums, Universität Frankfurt<br />

1. Corporate Governance in Deutschland........................................................................ 39<br />

2. Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance und seine Umsetzung ........ 42<br />

3. Ausgewählte Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance<br />

– Umsetzung und weiterer Handlungsbedarf .............................................................. 44<br />

4. Das zweistufige deutsche System und die Mitbestimmung ............................................ 51<br />

5. <strong>Deutsche</strong>s Recht im Kontext der EU .......................................................................... 53


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

IV. Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

Sir David Tweedie, Chairman, International Accounting Standards Board<br />

1. Einleitung: Eine Krise von globalem Ausmaß .............................................................. 57<br />

2. Die Säulen der Finanzberichterstattung ...................................................................... 58<br />

3. Auf dem Weg zu einem neuen Modell ........................................................................ 60<br />

4. Der Herausforderung gerecht werden ........................................................................ 62<br />

V. Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Prof. Jörg Baetge, Universität Münster<br />

1. Die Vertrauenskrise ................................................................................................ 65<br />

2. Vier Strukturprobleme ............................................................................................ 65<br />

3. Wege aus der Vertrauenskrise .................................................................................. 67<br />

4. Ein neues Selbstverständnis .................................................................................... 70<br />

VI. Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

Heiko Beck, DekaBank / Dirk Schlochtermeyer, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />

1. Einleitung ............................................................................................................ 73<br />

2. Weiterentwicklung des institutionellen Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrechts .......................... 74<br />

3. Reformen im europäischen Kontext .......................................................................... 77<br />

Aktienmarktneusegmentierung:<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa .................................................. 82<br />

Anhang<br />

Autorenverzeichnis ................................................................................................ 84<br />

Internetlinks und Grafikverzeichnis............................................................................ 88<br />

3


Vorwort<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Vorwort<br />

Rainer Riess, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>, Head of Stock Market Business Development<br />

Es hilft nichts, darum herumzureden: Die Vertrauenskrise an den Märkten ist noch nicht ausgestanden.<br />

Die wirtschaftliche Konjunktur in Europa und besonders in Deutschland steht auf schwachen Füßen,<br />

und der deutsche Gesetzgeber trägt durch seine Steuerpolitik nicht unbedingt zur Investitionsfreude<br />

bei. Darüber darf jedoch eines nicht in Vergessenheit geraten: Die regulatorischen Rahmenbedingungen<br />

am deutschen Kapitalmarkt haben sich durch eine ganze Phalanx von Reformen im vergangenen Jahr<br />

wesentlich verbessert. Dieses Weißbuch soll die aus Kapitalmarktsicht wichtigsten regulatorischen<br />

Fortschritte durch Beiträge namhafter Autoren aus der Praxis und der Wissenschaft zusammenfassen.<br />

Zugleich soll die verbliebene Agenda für die Zukunft skizziert werden - sie ist kürzer, als viele denken.<br />

Wir sparen zwar nicht mit Kritik, doch dies soll dem grundsätzlichem Anspruch dieses Papiers keinen<br />

Abbruch tun: nämlich dem, neue Finanzinvestoren im In- und Ausland für den Kapitalmarkt Deutschland<br />

zu gewinnen.<br />

Selbstverständlich greift der Ruf nach dem Gesetzgeber allein zu kurz. Auch die <strong>Börse</strong> als Selbstverwaltungsorganisation<br />

der Marktteilnehmer ist hier gefragt. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist dieser Verantwortung<br />

nachgekommen. Mit der Aktienmarktneusegmentierung hat sie ein klares und konsistentes<br />

Konzept vorgelegt, das Emittenten und Investoren einen besseren Überblick und mehr Transparenz<br />

bietet. Der General Standard richtet sich an Emittenten, die in erster Linie inländische Investoren<br />

ansprechen wollen. Emittenten, die sich international positionieren wollen, bietet die <strong>Börse</strong> mit dem<br />

Prime Standard ein Qualitätssegment, das höchste Transparenzanforderungen erfüllt – zum Beispiel<br />

Quartalsberichte. Die nach Marktkapitalisierung und <strong>Börse</strong>numsatz größten Unternehmen im fortlaufenden<br />

Handel wiederum werden in die verschiedenen Indizes aufgenommen. Der DAX bleibt,<br />

wie er ist, der MDAX wird verkleinert, und für Unternehmen aus besonders innovativen Branchen<br />

wird der TecDAX eingeführt.<br />

Dass Eigenkapital in Deutschland zukünftig eine immer wichtigere Rolle in der Unternehmensfinanzierung<br />

spielen wird, zeigt Prof. Bernd Rudolph in seinem einleitenden Beitrag. Aus volkswirtschaftlicher<br />

Sicht skizziert er verschiedene Ansätze zur Unternehmensfinanzierung und legt damit die Basis für<br />

die anschließende Darstellung der wichtigsten Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen.<br />

Die beiden wichtigsten regulatorischen Reformen des letzten Jahres waren zweifellos das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz<br />

und die Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

(BaFin). Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz wurde u. a. das <strong>Börse</strong>ngesetz modernisiert<br />

und der Anlegerschutz im Rahmen des Wertpapierhandelsgesetzes verstärkt. BaFin-Vizepräsident<br />

Karl-Burkhard Caspari gibt in seinem Beitrag einen umfassenden Überblick über die Reformen und<br />

skizziert aktuelle und zukünftige Initiativen.<br />

Eine andere wichtige, auf freiwilliger Selbstverpflichtung beruhende Initiative, die im vergangenen<br />

Jahr Früchte getragen hat, ist der Corporate Governance Kodex, der die Grundsätze für die Unternehmensführung,<br />

die Transparenz gegenüber den Anlegern und die Kontrolle des Managements auf ein<br />

internationales Niveau gehoben hat. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) verfügt<br />

der Kodex auch über eine rechtliche Verankerung. Denn durch das TransPuG wurde im Aktiengesetz<br />

die neue Vorschrift eingeführt, dass das Unternehmen im Anhang zu ihrem Jahresabschluss Auskunft<br />

darüber geben sollen, ob sie die Vorschriften des Kodex erfüllen. Nach dem Prinzip „comply or explain“<br />

müssen sie Abweichungen explizit begründen. Prof. Theodor Baums, der Leiter der ersten<br />

5


6 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Vorwort<br />

Corporate-Governance-Kommission, auf deren Ergebnisse die zweite Kommission unter dem Vorsitz<br />

von Gerhard Cromme aufbauen konnte, beschreibt in seinem Beitrag die neuen Regelungen und<br />

beleuchtet einige noch strittige Themen.<br />

Tiefgreifende Veränderungen in der Bilanzierungspraxis wird die Umstellung auf International Accounting<br />

Standards bringen. Nicht zuletzt aufgrund der zukunftsweisenden Anforderungen, die die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen an Emittenten stellt, die sich am Markt<br />

positiv hervorheben wollen, sind die deutschen Unternehmen darauf gut vorbereitet. Sir David Tweedie,<br />

Chairman des International Accounting Standards Board, gibt in seinem Gastbeitrag einen Überblick<br />

über den aktuellen Stand der internationalen Diskussion. Um eine zuverlässige Abschlussprüfung zu<br />

gewährleisten, gibt es darüber hinaus Überlegungen, für diesen Bereich eine wirksame Aufsicht einzurichten.<br />

Wie weit der Stand dieser Debatte gediehen ist, zeigt Prof. Jörg Baetge in seinem Beitrag.<br />

Das reformierte <strong>Börse</strong>ngesetz hat den elektronischen <strong>Börse</strong>nhandel und den Parketthandel gleichgestellt<br />

und den <strong>Börse</strong>n die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Anforderungen an die Zulassung und den<br />

Handel in der <strong>Börse</strong>nordnung zu verankern. Damit können diese Anforderungen mit größerer Rechtssicherheit<br />

für alle Beteiligten in die Praxis umgesetzt werden. Somit ist die Selbstverwaltungskompetenz<br />

der <strong>Börse</strong> gestärkt worden. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> hat von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch<br />

gemacht und eine umfassende Neuordnung der Marktsegmente vorangetrieben. Heiko Beck, Chefsyndikus<br />

der Deka Bank, und Dirk Schlochtermeyer, Head of Market Policy bei der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong>,<br />

beschreiben, wo aus ihrer Sicht noch weiterer Nachholbedarf besteht und welche Themen die politische<br />

Tagesordnung auf nationaler ebenso wie auf europäischer Ebene bestimmen werden. Auch<br />

die <strong>Börse</strong> hat hier im Rahmen der Selbstverwaltung eine Rolle zu spielen. Den Abschluss des Papiers<br />

bildet deshalb eine Übersicht über die Aktienmarktneusegmentierung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong>.


Finanzierungsstrukturen<br />

für die deutsche Wirtschaft<br />

Prof. Bernd Rudolph, Universität München<br />

1. Einleitung<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

Das <strong>Börse</strong>nbarometer steht seit geraumer Zeit auf Sturm. Der Kursverfall hat nicht nur vielen Anlegern<br />

herbe Verluste beschert und das zarte Pflänzchen einer aufkeimenden Aktienkultur in Mitleidenschaft<br />

gezogen, sondern auch zu Umdispositionen im realwirtschaftlichen Bereich gezwungen. Während<br />

der zuvor herrschende <strong>Börse</strong>nboom überbewertete Unternehmen zu erheblichen Fehlinvestitionen,<br />

Fehlkäufen und Fehlausschüttungen an das Management und die Anteilseigner verleitet hat, liegen<br />

nun vermehrt Investitionspläne auf Eis und warten auf günstigere Finanzierungsbedingungen. Auch<br />

die Anreize für das Management und zum Einstieg in neues Unternehmertum sind vielfach zu gering<br />

geworden. Euphorie und Verweigerung sind gleich schädliche Zutaten für ein nachhaltiges Wachstum<br />

der Wirtschaft. Wie kommen wir wieder auf den richtigen Weg?<br />

Der Versuch, Hinweise zur Beantwortung dieser Frage zu finden,<br />

kann auf die Anleger zielen, deren Vertrauen in die Finanzinstitutionen und in die Märkte wieder<br />

gestärkt werden muss,<br />

kann bei den Unternehmen ansetzen, die Finanzanlagen zur Finanzierung ihrer Investitionen<br />

kreieren müssen, die sich für die Anleger als attraktive Anlagemöglichkeiten darstellen, und<br />

kann den Gesetzgeber ins Blickfeld nehmen, der gehalten ist, die Rahmenbedingungen für das<br />

„Zusammenführen“ von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage möglichst einfach und transparent,<br />

aber zugleich möglichst gut auf die Finanzinstrumente zugeschnitten zu gestalten, und<br />

kann schließlich die Funktionen der Finanzintermediäre betreffen, die Kapitalangebot und<br />

Kapitalnachfrage im Rahmen intermedierter Finanzbeziehungen ausgleichen oder im Rahmen<br />

des Emissions- und Anlagegeschäfts an den Märkten zusammenführen. Dazu gehört auch die<br />

besondere Funktion der <strong>Börse</strong>n, einen effizienten Sekundärmarkt zu gewährleisten.<br />

Wenn auch alle vier Themenfelder eng zusammenhängen, so soll hier der Blick auf die Finanzierung<br />

der Unternehmen im Vordergrund stehen. Dazu werden im Folgenden insbesondere Elemente des<br />

Corporate-Governance-Regimes in Deutschland und dessen Einflüsse auf das Zusammenspiel von<br />

Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung betrachtet. Auf dieser Basis wird dann der Frage des ausreichenden<br />

Eigenkapitalpolsters der Unternehmen nachgegangen. Schließlich werden einige Vorschläge<br />

gemacht, wie mögliche Eigenkapitalengpässe beseitigt werden können.<br />

7


8 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

2. Insider- und Outsider-Finanzierungen<br />

Alle Unternehmen müssen ihre wirtschaftliche Lage und ihre Zukunftsperspektiven jenen Anlegern<br />

oder Banken kommunizieren, die ihnen ihr Geld überlassen haben. Das Informations- und Kommunikationsmanagement<br />

ist gegenüber den kontrollierenden Anteilseignern und Banken anders zu<br />

strukturieren als die Informationspolitik gegenüber den Anlegern an den Märkten.<br />

Banken und andere Finanzinstitutionen wie Versicherungen oder Venture-Capital-Gesellschaften<br />

können als Inhaber bedeutender Beteiligungen einen tieferen Einblick in die Geschäftspolitik nehmen<br />

als die übrigen privaten und institutionellen Anleger an den Märkten für Beteiligungskapital. So können<br />

beispielsweise Private Equity-Investoren Insiderwissen generieren und auf die Geschäftspolitik des<br />

Beteiligungsunternehmens mehr oder weniger massiv einwirken.<br />

Das ist durchaus wünschenswert, sodass man sogar fordern muss, dass die Inhaber bedeutender<br />

Beteiligungen Insiderwissen erwerben und umsetzen. Sie übernehmen nämlich Kontrollaufgaben,<br />

die in bestimmten Situationen vor einem Eingriff in die Geschäftspolitik des Beteiligungsunternehmens<br />

oder in die Verträge mit dem Management der Gesellschaft nicht halt machen dürfen. Darüber hinaus<br />

werden sie auch ihre eigene Expertise und ihre Verbindungen in das Unternehmen einbringen, man<br />

spricht von einer Insiderfinanzierung. Dem „Relationship“ entsprechend wird eine enge und<br />

individuelle Informations- und Kommunikationspolitik verfolgt.<br />

Ganz im Gegensatz hierzu ist die Kommunikation mit den Märkten zu organisieren. Normale Anleger<br />

haben nämlich einen vergleichsweise schlechten Informationsstand und können auf direktem Wege<br />

nur einen geringen oder gar keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen. Sie orientieren sich an<br />

wichtigen Kennzahlen, an dem Auftreten und der Suggestionskraft des Managements sowie an den<br />

öffentlich verfügbaren Informationen über das reale und finanzielle Geschehen im Unternehmen.<br />

Gegebenenfalls ziehen sie die von den Analysten aufbereiteten Informationen zu Rate. Anleger und<br />

Analysten müssen sich darauf verlassen können, dass die Geschäftspolitik professionell und in der<br />

Weise erfolgt, wie sie den Marktteilnehmern kommuniziert wurde. Man spricht in der Finanzierungstheorie<br />

von einer Outsiderfinanzierung oder einer marktorientierten Finanzierung und ordnet der<br />

Beziehung zwischen dem mehr oder weniger anonymen Anleger und dem Emittenten den Begriff<br />

„arm’s length“ zu, weil kaum direkte Einwirkungsmöglichkeiten gegeben sind. Umso wichtiger sind<br />

daher vertragliche Absprachen, Ankündigungen, geschäftliche Zielvorgaben und eine laufende<br />

Berichterstattung über die Performance. Wichtig sind diese Elemente in der Outsider-Beziehung,<br />

weil sie den Anlegern die Verlässlichkeit der Geschäftspolitik im Zeitablauf signalisieren können und<br />

einen Reputationsaufbau ermöglichen, der es dann erleichtert, den Märkten auch andere Informationen<br />

glaubhaft zu kommunizieren.<br />

3. Corporate Governance<br />

Im vergangenen Jahr konnten einige Fortschritte in der Weiterentwicklung der Corporate-Governance-<br />

Diskussion festgehalten werden, deren Bedeutung genau an die Schnittstelle der Kommunikation der<br />

Unternehmen mit den Märkten liegt. Diese Schnittstelle wird bekanntlich immer wichtiger, je häufiger<br />

sich Unternehmen zur Befriedigung ihrer Eigen- oder Fremdkapitalwünsche nicht an die Kapitalsammelstellen,<br />

sondern direkt an die Märkte wenden. Die weitere Etablierung strenger Governance-Regeln<br />

korrespondiert also mit dem Trend von der weitgehend intermedierten zur direkten Finanzbeziehung<br />

über den Kapitalmarkt. Dieser Trend, der bei den Großunternehmen schon seit Jahren zu verzeichnen<br />

ist, wird in Zukunft auch bei den mittleren und vielleicht sogar kleineren Unternehmen an Momentum<br />

gewinnen.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

Werden allerdings Governance-Strukturen und -Regeln eines Unternehmens von den Märkten als hohl<br />

und im Zweifel unverbindlich erkannt, dann kann das gegenüber einem weiten Kreis von Emittenten<br />

zu einem Vertrauensverlust führen. Daher war die Etablierung einer gesetzlichen Grundlage, wie sie<br />

nun durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz über die Entsprechenserklärung (Comply-or-Explain-<br />

Gebot) in § 161 Aktiengesetz eingeführt wurde, überfällig (siehe hierzu den Beitrag von Prof. Theodor<br />

Baums, Seite 39 ff). Die Marktteilnehmer werden sich darüber hinaus aber wie im Fall der vielfachen<br />

Nutzung der Ad-hoc-Mitteilungen als Werbebotschaften letztlich keinen Gefallen tun, wenn sie<br />

Governance-Regeln als Instrument des Finanzmarketing missbrauchen.<br />

Regulativer Nachholbedarf besteht jedoch nach wie vor an der schwierigen Nahtstelle zwischen der<br />

Insider- und Outsider-Finanzierung. Diese Nahtstelle tritt insbesondere dann ins Blickfeld, wenn<br />

Insider ihre Anteile an Outsider verkaufen oder wenn Insider einer Vielzahl von Outsidern im Zuge<br />

eines Going Private ein Angebot zur Übernahme ihrer Anteile machen. In diesem Fall haben die Outsider<br />

einen maximalen Informationsnachteil, weil sie als mögliche Vertragspartner eines hervorragend<br />

informierten Insiders agieren müssen. Als Beispiel für die erste Art von Transaktionen stehen Directors’<br />

Dealings, bei denen es zu überlegen gilt, ob nicht deren Durchführung erst nach vorab veröffentlichter<br />

Deklarierung gestattet sein sollte und nicht umgekehrt der Kapitalmarkt von der bereits erfolgten<br />

Transaktion Kenntnis nehmen können muss. Für die zweite Art von Transaktionen stehen Übernahmeangebote,<br />

bei denen sich die frühzeitige und weitgehende Information des Kapitalmarktes bereits<br />

durchgesetzt hat.<br />

4. Fremd- versus Eigenkapital<br />

Finanzierungsstrukturen sind nicht allein durch die mit den verschiedenen Finanztiteln verbundenen<br />

Kommunikations- und Informationsströme gekennzeichnet, sondern auch durch die Art der Finanztitel,<br />

wobei grob zwischen den Eigen- und den Fremdkapitaltiteln unterschieden wird, obwohl es in der<br />

Zwischenzeit viele hybride Zwischenformen gibt. Als eines der sichtbaren Zeichen der Krise auf der<br />

Unternehmensseite gilt die so genannte „Eigenkapitallücke“, deren Spiegelbild ein hoher Verschuldungsgrad<br />

der Unternehmen ist. Die Hebelwirkung des Fremdkapitals treibt bei einer Investitionsrendite<br />

über den Fremdkapitalkosten in Zeiten der Hochkonjunktur und des <strong>Börse</strong>nbooms die Eigenkapitalrendite<br />

weiter nach oben. Ein hoher Fremdkapitalanteil mit festen Rückzahlungsverpflichtungen<br />

gilt darüber hinaus als Disziplinierungsinstrument, das Unwirtschaftlichkeiten und eine zu risikoreiche<br />

Geschäftspolitik vermeiden hilft. Eine hohe Verschuldung ist im deutschen Finanzsystem insbesondere<br />

deshalb möglich, weil die Banken im Kreditgeschäft zu den Insidern gezählt werden können und<br />

daher für ein vergleichsweise hohes Kreditengagement bereit stehen (zur Eigenkapitalquote deutscher<br />

Unternehmen, siehe die Infografiken auf Seite 10).<br />

Eine hohe Verschuldung führt aber im Abschwung und in der Rezession zu festgeschriebenen, d. h.<br />

insbesondere von der wirtschaftlichen Situation des Kreditnehmers unabhängigen Zins- und Tilgungszahlungen,<br />

die zu negativen Eigenkapitalrenditen und letztlich zur Insolvenz des Unternehmens<br />

führen können. Das ist das Ergebnis der volatilitätssteigernden Wirkung des Leverage-Effekts. In der<br />

Finanzierungstheorie wird gezeigt, dass uno actu mit steigendem Verschuldungsgrad das Leverage-<br />

Risiko anschwillt. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Theorie vielfach bei dieser Mikrosichtweise des<br />

Phänomens stehen bleibt, weil der Akkumulationseffekt nicht weiter bedacht wird. Dieser resultiert<br />

daraus, dass sich die Kapitalmarktteilnehmer fast immer im Geleitzug der Konjunktur und der Kapitalmarktverfassung<br />

bewegen, sodass die Auswirkungen des Effekts besonders ausgeprägt sind und zu<br />

einem gesamtwirtschaftlich problematischen Verhalten führen können.<br />

9


10 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

Eigenkapitalquote westdeutscher Unternehmen (in %)<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

28,7<br />

26,0<br />

24,0<br />

19,8<br />

18,1 18,2 17,9<br />

1966 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />

Quellen: <strong>Deutsche</strong> Bundesbank, DAI<br />

Im Konjunkturhoch und <strong>Börse</strong>nboom beschäftigen sich nämlich viele Marktteilnehmer nicht genügend<br />

mit den Spielregeln der Märkte, weil sie mit dem Einsammeln und Darstellen ihrer Erfolge beschäftigt<br />

sind, was sogar in einigen Fällen dazu verleiten mag, Unregelmäßigkeiten in der Berichterstattung in<br />

Kauf zu nehmen. Im Konjunkturtief und der <strong>Börse</strong>nbaisse müssen dann die vorangegangenen „Unregelmäßigkeiten“<br />

aufgearbeitet werden. Dabei kommt es leicht zu einem Reputationsverlust. Werden<br />

dann in einigen Unternehmen noch neue Fehldispositionen und Skandale aufgedeckt, so können die<br />

Marktteilnehmer insgesamt „vergrault“ werden, <strong>Börse</strong> und Wirtschaft geraten in eine Vertrauenskrise.<br />

Welche Wege können aus der Krise herausführen? Ökonomische Analysen sind hier gefragt.<br />

Eigenkapitalquoten in wichtigen Industrieländern<br />

Land in Prozent<br />

USA<br />

Großbritannien<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

22.5<br />

19.1<br />

26,3<br />

30,1<br />

48,0<br />

49,5<br />

58.0<br />

56.9<br />

Anfang der 80er Jahre Ende der 80er Jahre<br />

Quellen: OECD, DAI<br />

17,0


5. Gründe für die mangelnde Eigenkapitalzufuhr<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

Wenn seit geraumer Zeit wieder über die Eigenkapitallücke in der Unternehmensfinanzierung geklagt<br />

wird, dann sind die Ursachen auszumachen und es ist nach Maßnahmen Ausschau zu halten, wie<br />

die Finanzierung der Unternehmen erleichtert werden kann. Warum hat das Thema derzeit eine<br />

besondere Brisanz?<br />

Es ist die schwierige allgemeine Wirtschaftslage, die Unternehmen mit eher dünner Eigenkapitaldecke<br />

zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten bringt sowie von Bankenseite, aufgrund verstärkter<br />

Ausfälle in bestehenden Kreditportfolios, zu einer größeren Zurückhaltung in der Kreditvergabe<br />

und zu einer prozyklischen Erhöhung der Fremdkapitalkosten führt. Mit der Überwindung<br />

der realwirtschaftlichen Talfahrt wird es den Banken leichter fallen, ihre Kreditportefeuilles wieder<br />

zu füllen, zumal die Ratingziffern der deutschen Unternehmen keineswegs in allen Fällen stärker<br />

zurückgenommen worden sind als jene der europäischen Konkurrenten und auch die an den<br />

Märkten festgestellten Credit-Spreads als Ausdruck der Risikoprämien für Fremdkapitaltitel im<br />

Vergleich zum europäischen Umfeld keine außergewöhnliche Höhe erreicht haben. Die Unternehmen<br />

sind offenbar auf einem guten Weg, ihre Reputation an den Märkten wieder auf- und<br />

auszubauen.<br />

Es sind die neuen Eigenkapitalrichtlinien nach Basel II, die auf Seiten der Banken durchaus ein<br />

geschärftes Bewusstsein für Risiko-Rendite-Zusammenhänge bewirken und als Konsequenz für<br />

risikoreichere Unternehmen eine Erhöhung der Fremdkapitalkosten nach sich ziehen. Das bedeutet<br />

aber nicht, dass Basel II die Banken zu einem ökonomisch nicht vertretbaren Verhalten zwingt.<br />

Kredite an Unternehmen mit einem nicht ausreichenden Rating sollten mit einer höheren<br />

Eigenkapitalunterlegung verbunden sein als Kredite an Unternehmen erster Bonität. Das wird<br />

regulatorisch erzwungen und ist ökonomisch vernünftig. Und das wird auch manches Unternehmen<br />

hoher Bonität nach einiger Zeit, wenn das Rating der Institute selbst wieder zufriedenstellend<br />

ist, mit seinen Finanzierungswünschen zu den Banken führen.<br />

Brisanz resultiert auch aus dem mehr als bedauerlichen Scheitern des Projektes Neuer Markt,<br />

der zu Recht zur Erleichterung der Eigenkapitalaufnahme für junge, schnell wachsende Unternehmen<br />

konzipiert war. Dieses Scheitern war nicht die Ursache, sondern ein Begleitumstand der<br />

allgemeinen <strong>Börse</strong>nschwäche. Das Projekt selbst war ein mutiger und richtiger Schritt, und es<br />

sind alle Anstrengungen notwendig, darüber nachzudenken, wie ein vergleichbares <strong>Börse</strong>nsegment<br />

konzipiert sein muss, das in absehbarer Zukunft Fuß fassen und Bestand haben kann. Von der<br />

vergangenen Entwicklung müssen alle Marktteilnehmer lernen.<br />

Der dramatische Kursverfall am Neuen Markt erscheint dabei als Spitze des Eisbergs eines allgemeinen<br />

Kursverfalls, der die deutschen Märkte nach ihrem Höchststand im ersten Halbjahr 2000<br />

stärker getroffen hat als die europäischen Nachbarn. Die verfügbaren Hypothesen über die Gründe<br />

für die am deutschen Markt stärker ausgeprägten Kursbewegungen sind bislang nicht verifiziert.<br />

Ein vielleicht wichtiger Aspekt ist in dem insgesamt vergleichsweise niedrigen Anteil der Vermögensanlagen<br />

in Aktien bei den Haushalten in Deutschland auszumachen, der bedingt, dass eine Verunsicherung<br />

rascher als anderswo zu einer größeren Marktenge und höheren Volatilität führt.<br />

11


12 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Finanzierungsstrukturen für die deutsche Wirtschaft<br />

6. Asset-Backed-Strukturen für Beteiligungstitel<br />

Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Diskussion über effiziente Strukturen in der Unternehmensfinanzierung<br />

vor diesem neuen Hintergrund anders zu führen ist, d. h. ob dem Thema damit neue<br />

Brisanz gegeben ist. Eine starke Verschuldung zu Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs und die entsprechend<br />

schwache aktuelle Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen begründet theoretisch<br />

eine geringe Krisenresistenz im derzeitigen Konjunkturabschwung. Diese schlägt sich potenziell<br />

nieder in einer steigenden Anzahl von Insolvenzen. Ein solcher Anstieg der Insolvenzzahlen ist in<br />

der Tat zu beobachten. Nach Angaben der <strong>Deutsche</strong>n Bundesbank konzentrieren sich die Insolvenzen<br />

aber rein zahlenmäßig (nach wie vor) in erster Linie bei den kleineren und jüngeren Unternehmen.<br />

Im vergangenen Jahr hat sich aber auch die Zahl der Insolvenzen bei größeren und älteren Unternehmen<br />

deutlich erhöht. 1)<br />

Die hohe Anzahl von Insolvenzen im Bereich der kleinen und jungen Unternehmen kann, soweit sie<br />

nicht als Ausdruck funktionierender Marktauslese zu betrachten ist, als ein Zeichen mangelnder<br />

Wachstumsfinanzierungsmöglichkeiten gewertet werden. Eine Verschlechterung der Wachstumsfinanzierungsmöglichkeiten<br />

in der derzeitigen Krise ließe sich erklären durch verschlechterte Exit-Aussichten<br />

für Venture Capital nach dem Niedergang des Neuen Marktes und würde sich somit mit einer<br />

Erholung der Kapitalmärkte zumindest teilweise revidieren. Es ist jedoch gleichzeitig zu vermuten,<br />

dass nur für einen Bruchteil derjenigen Unternehmen, die vor der <strong>Börse</strong>nschwäche Zugang zum<br />

Neuen Markt erlangen konnten, eine solche Publikumsfinanzierung unter den geänderten Rahmenbedingungen<br />

nach der Krise noch vorteilhaft wäre. Für diejenigen Unternehmen, die keinen Zugang<br />

zum Kapitalmarkt haben, müssen alternative Finanzierungswege gefunden werden.<br />

Durch unangemessene Finanzierungsstrukturen induzierte, „überflüssige“ Insolvenzen können zum<br />

Teil vermieden werden, wenn neue externe Eigenkapitalquellen erschlossen werden können. Gerade<br />

institutionelle Investoren (u. a. Pensionsfonds) verfügen derzeit über hohe Bestände an liquiden Mitteln<br />

und suchen nach Möglichkeiten, um diese am Kapitalmarkt zu investieren. Die Mittelanlage setzt<br />

dabei im Bereich der Eigenkapitalfinanzierung für kleine und mittlere Unternehmen eine effiziente<br />

institutionelle Ausgestaltung voraus.<br />

Da die direkte <strong>Börse</strong>nfinanzierung bei kleinen und mittleren Unternehmen unabhängig davon, ob sie<br />

einer Wachstumssparte angehören oder nicht, auch in naher Zukunft eine eher unwahrscheinliche<br />

Alternative darstellt, könnte der Vorschlag der Gründung spezieller Beteiligungsgesellschaften überdenkenswert<br />

sein. Diese Gesellschaften könnten Anteile ihres Beteiligungsportfolios an eine Zweckgesellschaft<br />

(Special Purpose Vehicle) übertragen, die ihrerseits Wertpapiere ausgibt, die man als<br />

Equity Backed Securities (EBS) bezeichnen könnte. Während die systematischen Risiken des Portefeuilles<br />

der Zweckgesellschaft leicht bewertet und dem Markt angeboten werden können, könnten<br />

die schlechter kommunizierbaren und schwieriger zu bewertenden unsystematischen Risiken bei den<br />

„Profis“ verbleiben. Diese Technik ist aus dem Bereich der Refinanzierung von Forderungen bekannt<br />

und eingespielt, könnte aber auch durch eine entsprechende Konstruktion von Derivaten repliziert<br />

werden, wie dies im Kreditbereich durch Kreditderivate möglich ist. 2) Es spricht einiges dafür zu<br />

überlegen, solche Märkte auch im Bereich der Eigenkapitalfinanzierungen zu entwickeln.<br />

1) <strong>Deutsche</strong> Bundesbank: Zur Entwicklung der Bankkredite an den privaten Sektor, in: Monatsbericht, Oktober 2002, S. 43<br />

2) Burghof, Hans-Peter / Henke, Sabine / Rudolph, Bernd / Schönbucher, Philipp J. / Sommer Daniel: Kreditderivate.<br />

Handbuch für die Bank und Anlagepraxis, Stuttgart 2000


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Karl-Burkhard Caspari, Vize-Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

1. Kapitalmärkte im Wandel – Übersicht über die Reformen zur<br />

Weiterentwicklung des Kapitalmarktes am Finanzplatz Deutschland<br />

1.1. Reformen in Deutschland<br />

Kapitalmärkte sind keine statischen Gebilde, sondern befinden sich in einem ständigen Weiterentwicklungs-<br />

und Modernisierungsprozess. Ein leistungsfähiger Kapitalmarkt, der in erfolgreicher<br />

Konkurrenz zu ausländischen Standorten steht, ist nur möglich, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen<br />

den jeweiligen Marktveränderungen zügig Rechnung tragen. Den Beginn einer konsequenten<br />

stufenweisen Modernisierung des deutschen Kapitalmarktrechtes markieren die <strong>Börse</strong>ngesetznovellen<br />

von 1986 und 1989. Damit wurde insbesondere die rechtliche Grundlage für die<br />

Errichtung der heutigen Eurex (früher: <strong>Deutsche</strong> Terminbörse) geschaffen sowie der <strong>Börse</strong>nbegriff<br />

für elektronische <strong>Börse</strong>n geöffnet.<br />

Daran schlossen sich ab 1990 bisher vier Finanzmarktförderungsgesetze an, deren erklärtes Ziel es<br />

war, die Attraktivität des deutschen Finanzplatzes zu fördern und die Rahmenbedingungen an internationale<br />

Standards anzugleichen. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war 1994 die Errichtung<br />

einer nationalen Wertpapierhandelsaufsicht mit dem Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel<br />

(BAWe) und die Einführung des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) mit umfassenden Kompetenzen<br />

zur Überwachung des deutschen Kapitalmarktes.<br />

Der Durchsetzung der Ziele Marktintegrität, Markttransparenz und Anlegerschutz dient folgendes<br />

Maßnahmenbündel: Verbot des Insiderhandels, dessen Einhaltung, flankiert von umfassenden<br />

Meldepflichten für Wertpapiergeschäfte, die neu geschaffene Bundesaufsicht überwacht. Die börsenzugelassenen<br />

Unternehmen sind seither verpflichtet, potenziell kursbeeinflussende Tatsachen als<br />

Ad-hoc-Meldung unverzüglich zu veröffentlichen, um so die Unternehmensereignisse für das Publikum<br />

transparenter zu machen und der Ausnutzung von Insiderwissen präventiv zu begegnen.<br />

Großaktionäre müssen die Stimmrechte, die sie an börsenzugelassenen Unternehmen halten, ab<br />

einer Schwelle von fünf Prozent veröffentlichen. Kreditinstitute haben im Verhältnis zu ihren Wertpapierkunden<br />

anlegerschützende Wohlverhaltensregeln einzuhalten, die insbesondere die Aufklärung<br />

über Risiken von Wertpapieranlagen und die Vermeidung bzw. Steuerung von Interessenkonflikten<br />

umfassen.<br />

Herzstück des im Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur<br />

Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften – Wertpapierdienstleistungs-,<br />

Kapitaladäquanz- und BCCI-Richtlinie – war die Einbeziehung der Finanzdienstleistungsinstitute –<br />

zusätzlich zu den Kreditinstituten – in die staatliche Finanzaufsicht. Durch die Überwachung des<br />

Wertpapierkundengeschäfts insbesondere der Anlagevermittler und Vermögensverwalter wurde der<br />

Anlegerschutz weiter intensiviert. In die Aufsicht einbezogen wurde außerdem das Geschäft mit<br />

Waren- und Devisenterminkontrakten.<br />

Im April 1998 kam das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz hinzu, das die Attraktivität des Standortes<br />

Deutschland insbesondere für Investmentfonds weiter verbesserte. Das Recht der Investmentgesellschaften<br />

wurde liberalisiert, der Handel in Terminmarktprodukten ermöglicht und Altersvorsorgefonds,<br />

Dachfonds sowie gemischte Wertpapier- und Immobilienfonds und Aktenindexfonds wurden<br />

15


16 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

zugelassen. Damit wurden die investmentrechtlichen Vorschriften in Deutschland zu den fortschrittlichsten<br />

in Europa. Sie stellen einen leistungsfähigen Motor für die Investmentbranche dar und wurden<br />

auch von der Branche als positive Zeitenwende eingestuft.<br />

Im Bereich außerbörslicher öffentlicher Wertpapierangebote wurde der Anlegerschutz weiter optimiert.<br />

Als Sanktion für das Fehlen erforderlicher Prospektangaben kann seitdem die Veröffentlichung des<br />

Prospektes und damit das Angebot untersagt werden. Entsprechendes gilt für öffentliche Wertpapierangebote<br />

ohne vorherige Prospektveröffentlichung. Die gesetzlichen Neuerungen bewirkten eine<br />

Verbesserung der Prospektqualität und damit auch der Anlegerinformation.<br />

Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 1. Mai 1998<br />

modernisierte mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung der Kapitalmärkte und eine<br />

steigende Globalisierung der Aktionärsstrukturen die Bestimmungen zur Führung und Jahresabschlusserstellung<br />

von Kapitalgesellschaften. Ziel war es, im Interesse der Anteilseigner eine neue<br />

Leitungs- und Überwachungsstruktur im Sinne von Corporate Governance einzuführen und die Einflussmöglichkeiten<br />

der institutionellen Kontrollorgane auf die Kapitalgesellschaften zu stärken. Das<br />

Gesetz erweitert insbesondere die Pflichten der Geschäftsleitung im Bereich des Risikomanagements,<br />

die Pflichten und die Haftung der Abschlussprüfer. Es regelt den Prüferausschluss bei mangelnder<br />

wirtschaftlicher Neutralität zum Mandanten, die Beschränkung der Ausübung von Vollmachtsstimmrechten<br />

durch Kreditinstitute sowie die Abschaffung von Mehrfach- und Höchststimmrechten. Wer<br />

das deutsche Übernahmerecht kritisiert, sollte allerdings berücksichtigen, dass Deutschland einer<br />

derjenigen Industriestaaten ist, in denen faktisch das Prinzip „one share one vote“ gilt. Damit war ein<br />

wichtiger Schritt zur Verbesserung der Corporate Governance getan. Denn die Akzeptanz deutscher<br />

Unternehmen für Kapitalgeber, insbesondere institutionelle Investoren aus dem Ausland, hängt<br />

vielfach davon ab, ob diese ein System guter und verlässlicher Corporate Governance vorweisen<br />

können.<br />

Vervollständigt wird diese Entwicklung durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG)<br />

vom 26. Februar 2002. Damit wird der von einer Regierungskommission erarbeitete freiwillige<br />

deutsche Corporate Governance Kodex, der Empfehlungen international und national anerkannter<br />

Verhaltensstandards enthält, um eine gesetzliche Verpflichtung nach dem Grundsatz „comply or explain“<br />

ergänzt. Vorstand und Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften müssen begründen, wenn und<br />

warum sie den Kodex nicht einhalten. Diese Regelung stärkt das Vertrauen der Anleger und der Öffentlichkeit<br />

in die Unternehmensleitung deutscher Aktiengesellschaften. Weitere Verbesserungen,<br />

insbesondere zum Anfechtungs- und Haftungsrecht, sind für die kommende Legislaturperiode geplant<br />

(siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Theodor Baums, S. 39 ff).<br />

Am 1. Januar 2002 ist das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) in Kraft getreten.<br />

Es schuf in Deutschland erstmals Rahmenbedingungen für Angebote zum Erwerb von Wertpapieren,<br />

Übernahmeangebote und Pflichtangebote und ein geordnetes und faires Verfahren. Erfasst werden<br />

als Zielgesellschaft inländische Unternehmen, deren Aktien an einer deutschen <strong>Börse</strong> oder einem<br />

organisierten Markt innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes zum Handel zugelassen sind.<br />

Die Regeln des WpÜG tragen den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen<br />

Rechnung und stärken den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch im internationalen<br />

Wettbewerb.<br />

Neben umfassenden und kontinuierlichen Reformen des materiellen Aufsichtsrechtes kam es in<br />

Deutschland zum 1. Mai 2002 zur Reform der Aufsichtsorganisation hin zu einer modernen Allfinanzaufsicht.<br />

Die drei Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, für das Versicherungswesen und<br />

den Wertpapierhandel wurden zur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit Sitz<br />

in Bonn und Frankfurt am Main verschmolzen und so eine moderne, den steigenden Heraus-


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

forderungen gewachsene Aufsichtsstruktur geschaffen. Die Errichtung einer Allfinanzaufsicht erfolgt<br />

im Hinblick auf die zunehmende Verflechtung der Branchen zu Allfinanzkonzernen sowie die vermehrte<br />

Überschneidung von Produkt- und Vertriebsstrategien und folgt in ihrer Organisation internationalen<br />

Vorbildern. Die Finanzmarktaufsicht zählt mit zu den entscheidenden Standortfaktoren<br />

eines erfolgreichen Kapitalmarktes. Die organisatorische Neuausrichtung erhöht die Effizienz der<br />

Aufsicht und stärkt so die Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland.<br />

1.2. Europäische Entwicklungen mit Auswirkungen auf den Finanzplatz Deutschland<br />

Viele der gesetzlichen Reformen am deutschen Kapitalmarkt gehen auf europäische Initiativen zurück,<br />

wie die Insiderrichtlinie von 1989, die Transparenzrichtlinie von 1988 und die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie<br />

von 1993. Letztere stellt gewissermaßen die Verfassung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen<br />

dar. Mit ihr wurde die grenzüberschreitende Erbringung von Wertpapierdienstleistungen<br />

Realität ebenso wie die Möglichkeit für <strong>Börse</strong>n, Fernmitglieder elektronisch anzubinden. Für<br />

die Wohlverhaltensregeln, die gegenüber Anlegern einzuhalten sind, gab sie erste wichtige Impulse.<br />

Mit dem Ziel, einen harmonisierten europäischen Finanzmarkt zu schaffen, werden derzeit europäische<br />

Vorgaben in vielfältigen Bereichen erarbeitet. Diese Entwicklung wird maßgeblich beeinflusst durch<br />

den von der EU-Kommission vorgelegten „Aktionsplan Finanzdienstleistungen“. Im Juni 2002 legte<br />

die Europäische Kommission den Sechsten Fortschrittsbericht zum Aktionsplan für Finanzdienstleistungen<br />

vor. Dieser Bericht ist besonders bedeutsam, weil die Umsetzungsfrist für den Aktionsplan<br />

nunmehr zur Hälfte abgelaufen ist. Um die ehrgeizigen Ziele des Aktionsplans zu erreichen, muss<br />

entschlossen agiert werden. Die Umfeldbedingungen dafür sind grundsätzlich günstig. Zwar sind die<br />

Herausforderungen dadurch nicht weniger geworden – im Gegenteil, die Fälle Enron und Worldcom<br />

haben ein neues Betätigungsfeld für die Europäische Union eröffnet. Aber das Bewusstsein, dass<br />

auf wichtige Fragen eine europäische Antwort notwendig ist, ist gewachsen. Die Tatsache, dass der<br />

Nutzen des Binnenmarktes allen Bürgern zu Gute kommen wird, indem Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszuwachs<br />

und nachhaltiger Wohlstand gefördert werden, etabliert sich im Bewusstsein<br />

der Öffentlichkeit. Allerdings sind große Kraftanstrengungen erforderlich, um die Aktionsplanmaßnahmen<br />

annähernd zeitgerecht umzusetzen.<br />

Ein wesentliches Element für eine zeitgerechte Verabschiedung und Umsetzung der einzelnen Maßnahmen<br />

ist die von der Gruppe der Weisen unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy vorgeschlagene<br />

Nutzung des Komitologieverfahrens (siehe Schaubild auf Seite 18). Dabei werden im Verfahren der<br />

Mitentscheidung von Parlament und Rat nur die wesentlichen Grundsätze in so genannten Rahmenrichtlinien<br />

festgelegt. Die Details werden in einer zweiten Stufe in so genannten Durchführungsmaßnahmen<br />

festgelegt. An der Entscheidungsfindung auf dieser zweiten Stufe sind neben der Kommission<br />

zwei neu geschaffene europäische Ausschüsse beteiligt, der Wertpapierausschuss (Securities Committee)<br />

und der Ausschuss der Wertpapierregulierungsbehörden (CESR für Committee of European<br />

Securities Regulators). CESR bündelt den Sachverstand und die Marktnähe der europäischen Aufsichtsbehörden.<br />

Auf der Grundlage von Mandaten stellt CESR der EU Kommission technischen Rat<br />

für Durchführungsmaßnahmen zur Verfügung. Bei der Erarbeitung dieser Ratschläge ist CESR<br />

verpflichtet, eng mit den Marktteilnehmern zusammenzuarbeiten. CESR hat diese Verpflichtung in<br />

Konsultationsgrundsätzen umgesetzt. Eine hochrangig besetzte Gruppe von Marktteilnehmern steht<br />

CESR über die Arbeiten an konkreten Mandaten hinaus in grundsätzlichen Fragen beratend zur Seite.<br />

Dieses Verfahren beschleunigt die Finanzmarktregulierung und Harmonisierung auf europäischer<br />

Ebene. Die Gemeinschaft kann schneller, effizienter und flexibler auf Veränderungen des Marktes<br />

reagieren und die Bedürfnisse der Marktteilnehmer angemessen berücksichtigen. Damit sind alle<br />

Marktteilnehmer angesprochen, also nicht nur die professionellen Marktteilnehmer und die Anbieter<br />

17


18 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

von Wertpapierdienstleistungen, sondern auch Privatanleger. Für die Verbände der Dienstleistungsunternehmen<br />

und Emittenten bedeuten die neuen Rechtssetzungsstrukturen eine grundsätzlich<br />

andere Arbeitsweise. Viele Regelungen, die bisher national zu treffen waren, werden zukünftig auf<br />

europäischer Ebene formuliert. Wesentliche Teile der Diskussionen müssen jetzt auf europäischer<br />

Ebene stattfinden.<br />

Das laufende Arbeitsprogramm der Europäischen Union allein in dem Bereich Finanzdienstleistungen<br />

ist außerordentlich ehrgeizig. Praktisch die gesamte Regelungsmaterie steht auf dem Prüfstand.<br />

So wird beispielsweise derzeit die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie von 1993 überarbeitet mit<br />

dem Ziel einer Neuausrichtung, die sie den geänderten Marktbedingungen anpasst. Die Modifizierung<br />

der Prospektrichtlinie hat das Ziel, den Emittenten von Wertpapieren die gleiche Freiheit bei ihren<br />

grenzüberschreitenden Aktivitäten zu gewährleisten, wie sie für <strong>Börse</strong>n und Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />

bereits durch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie eingeführt wurde. Die Marktmissbrauchsrichtlinie<br />

stellt die erste umfassende Regelung des Bereichs Marktmissbrauch durch Insiderhandel<br />

oder Marktmanipulation auf europäischer Ebene dar. Ein Teilbereich – Insiderhandel – ist zwar<br />

schon geregelt. Das Fehlen einer umfassenden Regelung führte aber zu erheblichen Aufsichtslücken<br />

auf europäischer Ebene. Die laufende Transparenz börsennotierter Unternehmen ebenso wie die<br />

Fragen der Wertpapierabrechnung und -abwicklung sind Gegenstand von Mitteilungen der Kommission.<br />

Hier sind Richtlinienentwürfe in absehbarer Zeit zu erwarten.<br />

Beschleunigung des EU-Gesetzgebungsverfahrens (Lamfalussy-Verfahren)<br />

Regulierungsintensität<br />

Level 1 Level 2<br />

Level 3 Level 4<br />

Kommission veröffentlicht<br />

nach Konsultation mit<br />

Marktteilnehmern den<br />

Entwurf für eine Richtlinie<br />

Rat der EU und Parlament<br />

erzielen Einigung über<br />

Basisrechtsakt<br />

Kommission bittet<br />

CESR um Rat<br />

(Komitologieverfahren)<br />

CESR bereitet technische<br />

Durchführungsbestimmungen<br />

nach Konsultation mit<br />

Marktteilnehmern vor<br />

Kommission fertigt Entwurf<br />

der Regelung an<br />

ESC stimmt innerhalb von<br />

drei Monaten über Entwurf<br />

ab und Kommission verabschiedet<br />

die Bestimmungen<br />

CESR sorgt für eine<br />

konsistente Umsetzung<br />

und Anwendung<br />

Kommission überprüft die<br />

Einhaltung durch die Mitgliedstaaten<br />

und ergreift<br />

ggf. Zwangsmaßnahmen


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

2. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz – verbesserte Regeln für eine<br />

effizientere Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

Die bisher jüngste Reform des deutschen Kapitalmarktrechts erfolgte mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft<br />

getretenen Vierten Finanzmarktförderungsgesetz – einem umfangreichen Maßnahmenpaket, mit dem<br />

Anlegerschutz und Marktintegrität weiter verbessert sowie höhere Transparenzanforderungen eingeführt<br />

wurden (siehe Schaubild auf Seite 21). Gleichzeitig wurden die Handlungsmöglichkeiten der Markteilnehmer<br />

erweitert und flexibilisiert sowie Lücken im Abwehrsystem gegen Geldwäsche<br />

geschlossen.<br />

2.1. Neuregelung der Kurs- und Marktpreismanipulation<br />

Ein Eckpfeiler des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes ist die Neuregelung des Verbots der Kursund<br />

Marktpreismanipulation. Das gesetzliche Verbot der Kurs- und Marktpreismanipulation zielt<br />

darauf ab, die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an <strong>Börse</strong>n und Märkten sicherzustellen.<br />

Des Weiteren wurde ein effektives Aufsichtsinstrumentarium eingerichtet, und zwar durch die Übertragung<br />

der Verfolgungszuständigkeit auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als<br />

bundesweit zentral zuständiger Überwachungsbehörde. Damit wird bereits die Entwicklung auf<br />

europäischer Ebene berücksichtigt.<br />

2.2. Verbesserte Transparenz bei der Ad-hoc-Publizität<br />

Einen maßgeblichen Beitrag zur Markttransparenz leistet die Ad-hoc-Publizität. Zur wirksamen<br />

Bekämpfung von Missständen werden börsenzugelassene Unternehmen jetzt ausdrücklich zur Berichtigung<br />

falscher Angaben sowie zur Benutzung einheitlicher Unternehmenskennzahlen verpflichtet.<br />

Damit sollen Aussagen historisch vergleichbar gemacht werden.<br />

Eine neue eigenständige Schadenersatzgrundlage für geprellte Anleger, die durch eine unterlassene,<br />

verspätete oder unrichtige Ad-hoc-Meldung geschädigt wurden, trägt entscheidend zur Verbesserung<br />

des Anlegerindividualschutzes bei. Der Gedanke einer Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktkommunikation<br />

wurde hier erstmals umgesetzt.<br />

2.3. Veröffentlichung von Geschäften von Unternehmensinsidern (Directors’ Dealings)<br />

Die Transparenz des Marktgeschehens wird erheblich auch durch die unverzügliche Veröffentlichung<br />

der Geschäfte von Primärinsidern in Aktien des Unternehmens gesteigert. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />

hatte im März 2001 für ihr Handelssegment Neuer Markt eine solche Meldepflicht eingeführt. Diese<br />

Meldepflicht wird nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und auf Geschäfte in allen börsenzugelassenen<br />

Aktien und aktienbezogenen Wertpapieren erweitert.<br />

2.4. Wohlverhaltensregeln für Finanzanalysten<br />

Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Finanzanalysen erstellen und veröffentlichen, haben<br />

zum Schutz der Anleger diese künftig mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit<br />

zu erstellen. Mögliche Interessenkonflikte sind offen zu legen. Die Regeln erweitern die<br />

bereits geltenden Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleistungsunternehmen.<br />

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20 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

2.5. Gesetzliche Regelung für das Aufstellen von Handelsbildschirmen ausländischer <strong>Börse</strong>n am<br />

Finanzstandort Deutschland<br />

Organisierte Märkte außerhalb der Europäischen Union, die Handelsteilnehmern in Deutschland<br />

über ein elektronisches Handelssystem einen unmittelbaren Marktzugang gewähren, bedürfen seit<br />

1. Juli 2002 einer Erlaubnis der BaFin. Mit der Einführung eines Genehmigungserfordernisses wird<br />

eine Lücke im Anlegerschutzsystem geschlossen sowie die Rechtslage in Deutschland an die internationale<br />

Praxis angepasst. Im Ausland ist das Aufstellen von Handelsbildschirmen bereits seit vielen<br />

Jahren genehmigungsbedürftig und an bestimmte Voraussetzungen gebunden.<br />

In Deutschland dürfen künftig nur solche ausländische <strong>Börse</strong>n ihre Handelsbildschirme aufstellen,<br />

die einer dem deutschen Recht vergleichbaren Überwachung unterliegen und deren Aufsichtsbehörden<br />

mit der BaFin kooperieren. <strong>Deutsche</strong> Marktteilnehmer, die als „remote member“ am Handel solcher<br />

ausländischen Märkte teilnehmen wollen, werden dadurch besser geschützt. Außerdem wird sichergestellt,<br />

dass in Marktmissbrauchsfällen international kooperiert werden kann. Für ausländische<br />

organisierte Märkte aus Staaten der europäischen Union bzw. des europäischen Wirtschaftsraumes<br />

gilt eine Anzeigepflicht.<br />

2.6. Weitere Liberalisierung des Investmentrechts<br />

Investmentfonds optimal im Interesse der Anleger zu verwalten und deutsche Kapitalanlagegesellschaften<br />

(K<strong>AG</strong>) im zunehmenden internationalen Wettbewerb der Investmentgesellschaften nicht zu<br />

benachteiligen sind Ziele aller Finanzmarktförderungsgesetze. Die 1998 erreichte Liberalisierung<br />

beim Einsatz derivativer Instrumente ergänzt das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz nun, indem es<br />

weitere Vorteile für den Anleger schafft und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Investmentprodukte<br />

auf den in- und ausländischen Märkten stärkt. Die Stärkung der Wettbewerbsposition des Investmentfondsplatzes<br />

Deutschland wirkt auch der Tendenz entgegen, Teile der deutschen Investmentindustrie<br />

an Plätze mit niedrigeren aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu verlagern.<br />

Liberalisierungsmaßnahmen müssen jedoch stets in Balance stehen mit einem angemessenen Aufsichtsniveau.<br />

Auch die „Vorwarnfrist“ von 13 Monaten bis zum Wirksamwerden einer Anhebung der<br />

Vergütung für das Fondsmanagement verdient Beachtung. Einen wichtigen Akzent auf dem Feld des<br />

Ausbaus des Anlegerschutzes setzt die Ermächtigung der BaFin, Wohlverhaltensregeln für Investmentgesellschaften<br />

in Anlehnung an die §§ 31 ff. WpHG einzuführen, um Interessenkonflikte aufzulösen<br />

und entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen. Dieses Gleichgewicht ist bei allen Novellierungen<br />

des Investmentfondsrechts stets im Auge behalten worden.<br />

2.6.1. Neue Geschäftsmöglichkeiten<br />

Eine Kapitalanlagegesellschaft (K<strong>AG</strong>) darf seit 1. Juli 2002 die Beratung Dritter als Nebentätigkeit<br />

anbieten. Dies ermöglicht es der K<strong>AG</strong>, Spezialwissen aufzubauen, das zur Gewinnerzielung auf<br />

bestimmten Märkten eingesetzt werden kann. Ein so erworbener Wissenszuwachs kommt den von<br />

der K<strong>AG</strong> aufgelegten Sondervermögen und damit den Anteilsinhabern unmittelbar zugute. Mittelbare<br />

Vorteile entstehen für Anleger dadurch, dass entsprechende Beratungseinnahmen die Gesamtkosten<br />

für den Aufbau und die Bereithaltung dieses Spezialwissens verringern.


Wesentliche Reformen im Rahmen<br />

des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes<br />

Mehr Wahlfreiheit für<br />

Emittenten, Intermediäre<br />

und regulierte Märkte<br />

Verbesserter Anlegerschutz<br />

durch erhöhte<br />

Marktintegrität<br />

Markttransparenz<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Eine K<strong>AG</strong> darf künftig auch Anteilsscheine anderer Investmentgesellschaften vertreiben. Dadurch<br />

kann die K<strong>AG</strong> ihre Angebotspalette erheblich erweitern, wovon vor allem die kleineren und mittleren<br />

Gesellschaften profitieren, die auf Grund der eigenen engen Fondspalette bisher im Wettbewerb benachteiligt<br />

waren. Die dadurch angestoßene Intensivierung des Wettbewerbs wird angebotene Fonds<br />

besser vergleichbar machen und somit letztlich dem Anleger zugute kommen.<br />

2.6.2. Erweiterte Anlagemöglichkeiten für Sondervermögen<br />

Nachdem das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz Aktienindexfonds eingeführt hatte, ist es nun auch<br />

möglich, Investmentfonds aufzulegen, die einen allgemein anerkannten Wertpapierindex nachbilden.<br />

Damit werden auch Rentenindexfonds ermöglicht. Zur Wahrung des Anlegerinteresses muss der Wertpapierindex<br />

von der Bundesanstalt anerkannt werden.<br />

Weitreichende Vorteile für die Anleger ergeben sich auch im Bereich der offenen Immobilienfonds,<br />

einem Fondsprodukt, das weltweit seinesgleichen sucht. Hier verfügt die deutsche Fondsindustrie<br />

im internationalen Vergleich über einen großen Know-how-Vorsprung. Diese erhalten erheblich erweiterte<br />

Anlagemöglichkeiten durch Wegfall der 20-Prozent-Grenze für außerhalb der EWR-Staaten<br />

gelegene Grundstücke. Auch kann der Anteil an Grundstücksgesellschaften bis zu 49 Prozent des<br />

Wertes der Immobilienfonds betragen. Bis zu 20 Prozent des Fondsvermögens dürfen in erbaurechtsähnliche<br />

Rechte investiert werden, was den Zugang zu Immobilienwerten in anderen Rechtsordnungen<br />

erleichtert.<br />

2.6.3. Wettbewerbsfähigkeit<br />

Modernisierung des <strong>Börse</strong>ngesetzes<br />

Gleichbehandlung Parkett – elektronischer Handel<br />

Qualitätssegmente auf Basis der <strong>Börse</strong>nordnung<br />

Anpassung des Wertpapierhandelsgesetzes<br />

Meldepflicht für Directors’ Dealings<br />

Sanktionen bei Kursmanipulation<br />

Ad-hoc-Publizität: Standardisierung, Schadensersatz<br />

Ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa ist die Einführung von Anteilsklassen<br />

und Rücknahmeabschlägen. So können für ein und dasselbe Sondervermögen ausschüttende<br />

und thesaurierende Anteile ausgegeben werden oder Anteile, für die unterschiedliche Ausgabeaufschläge,<br />

Rücknahmeabschläge oder unterschiedliche Verwaltungsvergütungen berechnet werden.<br />

Die Möglichkeit der Begründung verschiedener Rechte führt dazu, dass im Verhältnis zur bisherigen<br />

Rechtslage eine geringere Zahl von Sondervermögen aufgelegt werden muss. Dies reduziert die mit der<br />

Auflegung eines Sondervermögens verbundenen administrativen Kosten. Rücknahmeabschläge können<br />

auch abhängig von der Dauer des Anteilsbesitzes fallend bis auf Null gestaffelt werden, sodass derjenige,<br />

der seinen Anteil nur kurzfristig hält, einen höheren Rücknahmeabschlag zu zahlen hat als<br />

derjenige, der den Anteil langfristig hält.<br />

21


22 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

2.7. Anpassung der Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche an internationale Standards<br />

Die internationale Reputation Deutschlands fördert auch die im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz<br />

erfolgte weitere Anpassung der deutschen Geldwäscheregeln an internationale Standards der Financial<br />

Action Task Force (FATF) und des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht.<br />

Vorrangiges Ziel war es hierbei, die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern. Intransparente globale<br />

Kapitalflüsse und Finanztransaktionen mit krimineller Herkunft können das nationale und internationale<br />

Wirtschaftssystem destabilisieren und müssen daher mit geeigneten Maßnahmen bekämpft<br />

werden. Geldwäsche birgt immense Gefahren für die Reputation und das Image der einzelnen Institute<br />

ebenso wie des jeweiligen Finanzplatzes. Ebenso besteht das Risiko materieller Schäden. Um diesen<br />

Gefahren aufsichtsrechtlich Rechnung zu tragen, konzentriert sich die Bankenaufsicht im Zuge eines<br />

risikoorientierten Vorgehens – neben der klassischen Solvenzaufsicht – zunehmend auch auf Fragen<br />

des Missbrauchs von Instituten durch kriminelle Aktivitäten, insbesondere durch Geldwäsche und<br />

betrügerische Handlungen zu Lasten der Institute.<br />

2.7.1. Schließung von Lücken im Abwehrsystem gegen Geldwäsche und Terrorismus<br />

Mit den neu aufgenommenen ergänzenden Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der<br />

Terrorismusfinanzierung werden Lücken im gesetzlichen Abwehrinstrumentarium gegen Geldwäsche<br />

sowie bei der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus geschlossen. Zugleich wird das existierende<br />

Geldwäschebekämpfungsregime durch weitere neue Maßnahmen fortgeschrieben.<br />

2.7.2. Automatisiertes Kundenkonten-Online-Abrufverfahren<br />

Insbesondere mit dem automatisierten Konten-Online-Abrufverfahren steht nun ein neues Instrument<br />

zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zur Verfügung. Danach hat jedes<br />

Kreditinstitut eine zentrale Datei mit allen von ihm in Deutschland geführten Konten und Depots zu<br />

führen, in der unverzüglich Daten, wie die Nummer eines Kontos, der Name des Kontoinhabers und<br />

der Verfügungsberechtigten sowie der Name und die Adresse eines abweichenden wirtschaftlich<br />

Berechtigten zu speichern sind. Die BaFin ist berechtigt, einzelne Daten aus diesen Dateien automatisiert<br />

zentral abzurufen und kann so in kürzester Zeit feststellen, ob und ggf. bei welchem Institut<br />

eine bestimmte Person in Deutschland ein Konto oder Depot unterhält.<br />

Dieses zum 1. April 2003 in Kraft tretende Konten-Online-Abrufverfahren ermöglicht es, Geldströme,<br />

die dem Terrorismus und der Geldwäsche dienen, schnell sichtbar zu machen, und erleichtert die<br />

Verfolgung unerlaubt betriebener Bankgeschäfte sowie des Schattenbankenwesens. Die bisher jeweils<br />

erforderliche aufwändige Anfrage bei ca. 2.700 Instituten entfällt damit zukünftig.<br />

2.8. Verpflichtung der Institute auf adäquate interne Sicherungssysteme<br />

In Umsetzung der international gültigen Standards des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht sind<br />

die Institute nun durch § 25 a Abs. 1 Nr. 4 KWG explizit verpflichtet, adäquate interne Sicherungssysteme<br />

gegen Geldwäsche sowie gegen Finanzbetrug zu schaffen, auch und gerade im Massengeschäft<br />

unter Einsatz von EDV. Dadurch ist es möglich, Geschäftsbeziehungen nach Risikogruppen<br />

und Auffälligkeiten zu überprüfen und die Kunden bei bestimmten vertragsbezogenen Finanzdienstleistungen<br />

zu identifizieren.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Bei derartigen „Research-Systemen“ handelt es sich um einen wesentlichen Bestandteil des so genannten<br />

„Know-your-customer“-Prinzips. Ohne sorgfältige Anwendung dieses Prinzips können Banken<br />

operationellen Risiken sowie Rechts- und Reputationsrisiken ausgesetzt sein, die erhebliche Schäden<br />

nicht nur für das einzelne Institut, sondern auch für die Stabilität eines Finanzplatzes insgesamt<br />

nach sich ziehen können.<br />

2.9. Verschärfung der Anteilseignerkontrolle<br />

Ein stabiler Finanzmarkt muss auf Solidität und Integrität der Akteure bauen können. Die Regeln der<br />

Anteilseigner- bzw. Aktionärskontrolle bilden hier einen wesentlichen Baustein. Die Vorschriften zur<br />

Anteilseignerkontrolle wurden weiter verschärft, um schädigende Einflüsse von unseriösen Anteilseignern<br />

abzuwehren, allerdings nur soweit nach dem Schutzzweck der Aufsichtsgesetze zumutbar.<br />

Dabei wurden die Regeln für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie für Versicherungsunternehmen<br />

grundlegend novelliert und inhaltlich weitgehend harmonisiert, sodass der Erwerber<br />

bedeutender Beteiligungen jeweils mit gleichen Rechtsregeln konfrontiert wird. Der Kreis der in die<br />

Aufsicht einbezogenen Unternehmen wurde um die Kreditkartenemittenten erweitert.<br />

Der Inhaber einer wesentlichen Beteiligung gilt jetzt „im Zweifel“ bereits dann als unzuverlässig,<br />

wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Mittel für den Erwerb der Beteiligung aus einer<br />

Tat stammen, die objektiv einen Straftatbestand erfüllt. Die Regelung bewirkt eine Umkehr der materiellen<br />

Beweislast im Interesse der Bekämpfung der internationalen Geldwäsche, d.h. der Anteilseigner<br />

muss im Zweifelsfalle seine Finanzierungsquelle nachweisen.<br />

3. Neuorganisation der Finanzdienstleistungsaufsicht in Deutschland – die<br />

Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)<br />

3.1. Aufsicht als Standortfaktor<br />

Eine effiziente Finanzmarktaufsicht, die internationalen Standards entspricht, schafft Glaubwürdigkeit<br />

und Vertrauen bei Investoren und Marktteilnehmern. Anlegerschutz, Versichertenschutz sowie Sicherstellung<br />

der Solvenz der Institute sind tragende Prinzipien des modernen Aufsichtsrechts. Eine<br />

wirksame Aufsicht trägt insbesondere zu Stabilität und Leistungsfähigkeit des Finanzsektors bei. Im<br />

internationalen Wettbewerb ist die Finanzmarktaufsicht ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor.<br />

3.2. Die Strukturreform der Aufsicht in Deutschland<br />

Auch in Deutschland bildet sich ein integrierter Finanzmarkt heraus, indem sich Allfinanzstrategien<br />

entwickeln und zunehmend Allfinanzprodukte vermarktet werden. Unternehmen eines Sektors dringen<br />

in das Kerngeschäft anderer Sektoren ein, um den ganzheitlichen Bedarf der Kundschaft aus einer<br />

Hand zu decken. Zunehmende Konvergenz der Produkte und Vertriebswege von Banken, Investmentgesellschaften,<br />

Wertpapierhäusern und Versicherungen und immer mehr Schnittstellen der einzelnen<br />

Produkte führen dazu, dass die Grenzen der Produkte verschwimmen. Der europäische Binnenmarkt<br />

wird in diesem Konvergenzprozess als Katalysator wirken.<br />

Vor dem Hintergrund tief greifender Veränderungen an den Finanzmärkten und deren Auswirkungen<br />

auf die materielle Aufsicht wurde als Zukunftsmaßnahme eine neue institutionelle Struktur der Aufsichtsorgane<br />

geschaffen. Die Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen<br />

23


24 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

und den Wertpapierhandel wurden zusammengeführt und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

errichtet. Dadurch werden die Aufsichtsziele Solvenzaufsicht, Marktaufsicht und Kundenschutz<br />

in einem integriertem Aufsichtskonzept vereint. Eine Aufsicht aus einem Guss trägt den<br />

gestiegenen Anforderungen besser Rechnung, die mit der zunehmenden Dynamik und Komplexität<br />

des Finanzdienstleistungsbereichs verbunden sind. Die bisher zersplitterte Aufsichtsstruktur wird zu<br />

einer zeitgemäßen integrierten Aufsicht, die den gesamten Finanzmarkt umfasst, wettbewerbsneutral<br />

und stärker kapitalmarktorientiert agiert.<br />

Die Allfinanzaufsicht ist in der Lage, auf die dynamischen Veränderungen und die branchenübergreifende<br />

Neuzusammensetzung der Märkte angemessen zu reagieren. Sie ist ein wichtiger Baustein<br />

zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland und verbessert die Wettbewerbsfähigkeit<br />

insbesondere im europäischen Konzert. In internationalen Gremien erhält die konsolidierte<br />

deutsche Allfinanzaufsicht mehr Gewicht mit der Folge, dass sich deutsche Interessen international<br />

besser durchsetzen lassen. Die Marktteilnehmer erhalten einen zentralen Ansprechpartner, sodass<br />

sich für sie der Zeit- und Koordinierungsaufwand im Kontakt mit der Aufsicht reduziert.<br />

3.3. Strukturreformen in anderen Staaten als Vorbild<br />

In Großbritannien, den skandinavischen Ländern, in Japan, Korea und Australien bestehen bereits<br />

sektorübergreifende Aufsichtsbehörden. In diese Richtung gehen auch Irland und Österreich. Wichtige<br />

Impulse für die Neuorientierung der Aufsicht gingen, insbesondere von der Umstrukturierung des<br />

Aufsichtssystems in Großbritannien aus. Hier spielten die gleichen Überlegungen eine Rolle, die auch<br />

die Reformpläne in Deutschland maßgeblich beeinflusst haben. Allerdings ist der deutsche Weg keine<br />

Kopie des britischen Ansatzes. Aufgrund der politischen und der finanzmarkthistorischen Gegebenheiten<br />

hat man in Deutschland keinen „single regulator“ im Sinne einer alle Sektoren umfassenden<br />

Aufsichtsinstanz geschaffen. Die <strong>Börse</strong>naufsicht durch die entsprechenden Aufsichtsbehörden der<br />

Länder sowie die Landesaufsicht über regionale Versicherungen bestehen fort. Duale Strukturen<br />

bestehen auch insoweit, als der Bundesbank weiter eine wichtige Rolle in der Bankenaufsicht zu<br />

gewiesen wird.<br />

3.4. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

Die BaFin wurde als selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet. Als Anstalt und der<br />

damit verbundenen Lösung vom Bundeshaushalt gewinnt die BaFin mehr Unabhängigkeit in budgetären,<br />

organisationsrechtlichen und personellen Fragen, was auch auf den operativen Bereich<br />

durchschlägt. Sie finanziert sich durch Gebühren sowie eine Umlage der Aufsichtskosten auf die<br />

beaufsichtigten Institute und Versicherungsunternehmen. Die bisherige zehnprozentige Finanzierung<br />

über den Bundeshaushalt wurde zugunsten einer vollständigen Finanzierung durch die beaufsichtigten<br />

Marktteilnehmer ersetzt. Die Kontrolle der Ausgaben erfolgt über einen Verwaltungsrat, dem Vertreter<br />

der Marktteilnehmer, des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages sowie verschiedener Bundesministerien angehören.<br />

Daneben besteht die Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen.<br />

Das Aufsichtsrecht und die Aufsichtsaufgaben in den Bereichen Kreditwesen, Versicherungswesen<br />

und Wertpapierhandel bleiben bestehen und werden von den entsprechenden drei Sektoren innerhalb<br />

der BaFin wahrgenommen. So kontrolliert der Sektor Bankenaufsicht weiterhin die Einhaltung der<br />

Solvenzvorschriften, ausreichende Eigenkapitalausstattung und Risikomanagementsysteme der<br />

Institute. In vergleichbarer Weise führt der Sektor Versicherungsaufsicht die Überwachung der Versicherungsunternehmen<br />

fort. Der Sektor Wertpapieraufsicht/Asset Management überwacht den Handel<br />

in Wertpapieren und Derivaten mit den Kernbereichen Insiderverfolgung, Transparenz, wie z.B.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Ad-hoc-Publizität sowie Unternehmensübernahmen. In drei sektorübergreifenden Querschnittsabteilungen<br />

erfolgt die Aufsicht über Finanzkonglomerate, die Bekämpfung der Geldwäsche, die Koordinierung<br />

der internationalen Zusammenarbeit und die Fortentwicklung des Verbraucherschutzes<br />

sowie die Bearbeitung von Verbraucherbeschwerden im Finanzdienstleistungsbereich.<br />

Die organisatorische Neuausrichtung stärkt die Effizienz der Aufsicht und führt zu Synergieeffekten,<br />

vor allem bei übergreifenden Querschnittsaufgaben. Aber auch der bisher notwendige Datenaustausch<br />

zwischen den Behörden entfällt. Die Zusammenarbeit mit der <strong>Deutsche</strong>n Bundesbank, insbesondere<br />

deren Einbindung in die laufende Überwachung wurde im Zuge der Errichtung der deutschen Allfinanzaufsicht<br />

erstmals gesetzlich konkret gefasst. Die Bundesbank bleibt in den Informationsfluss<br />

über die finanzielle Situation der Kreditinstitute eingebunden. Die starke Beteiligung der regionalen<br />

Komponente der Bundesbank an der laufenden Aufsicht garantiert wie bisher die Nähe der Aufsicht<br />

zu den geschäftlichen Aktivitäten der Banken in ihren lokalen Märkten.<br />

4. Ziele der Aufsicht: Anlegervertrauen und Marktintegrität<br />

Ein funktionsfähiger Finanzmarkt setzt voraus, dass die Marktteilnehmer auf seine Integrität vertrauen<br />

können. Vertrauen wiederum kann sich ohne Fairness und Transparenz nicht entwickeln. Zur Transparenz<br />

gehören auch Klarheit und Verlässlichkeit der am Markt verfügbaren Informationen. Die Finanzaufsicht<br />

leistet mit ihrer Präsenz am Kapitalmarkt ihren Beitrag. Die Investoren können sich darauf<br />

verlassen, dass die Spielregeln nicht nur auf dem Papier stehen, sondern ihre Einhaltung auch<br />

durchgesetzt werden.<br />

4.1. Verbesserte Markttransparenz: Ad-hoc-Publizität<br />

Die Regeln zur Ad-hoc-Publizität spielen eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Transparenz am<br />

Markt. Wie bereits skizziert wurden sie durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz weiter konkretisiert.<br />

Werden Unternehmenskennzahlen veröffentlicht, müssen sie üblich sein und keine Eigenschöpfungen<br />

des Emittenten darstellen sowie einen Vergleich mit den zuletzt genannten Kennzahlen<br />

ermöglichen. Dadurch wird unterbunden, dass Emittenten mittels Fantasiekennzahlen oder den<br />

Wechsel der von ihnen benutzten Kennzahlen negative Entwicklungen verschleiern.<br />

Darüber hinaus werden der Missbrauch von Ad-hoc-Mitteilungen zu Werbezwecken und die Veröffentlichung<br />

falscher Angaben erschwert. Die Ad-hoc-Publizität trägt dazu bei, dass Marktteilnehmer<br />

frühzeitig über marktrelevante Informationen verfügen, damit sie sachgerechte Anlageentscheidungen<br />

treffen können. Dieses Transparenzziel verfehlt die Ad-hoc-Publizität aber, wenn eine Flut von<br />

gänzlich oder zum Teil unnötigen Veröffentlichungen es dem durchschnittlichen Anleger unmöglich<br />

macht, die wirklich kursrelevanten Informationen zu erkennen. Deshalb wird die Veröffentlichung<br />

offensichtlich überflüssiger Ad-hoc-Mitteilungen künftig unterbunden. Zusätzlich wird dem Emittenten<br />

auferlegt, unrichtige Inhalte einer Ad-hoc-Mitteilung unverzüglich zu berichtigen.<br />

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26 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

4.1.1. Intensive Kontrolle des Publizitätsverhaltens börsenzugelassener Unternehmen<br />

Im Rahmen ihrer Aufgaben kontrolliert die BaFin laufend das Publizitätsverhalten der börsennotierten<br />

Emittenten und verfolgt insbesondere die unterlassene, verspätete oder unrichtige Veröffentlichung<br />

kursbeeinflussender ad-hoc-publizitätspflichtiger Tatsachen. Die Befugnisse hierzu wurden durch<br />

das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz erweitert. Die Durchsetzungskraft von Maßnahmen der Aufsicht<br />

bei der Verfolgung von fehlerhaftem oder gar missbräuchlichem Publizitätsverhalten wird verbessert.<br />

Dadurch erhöhen sich im Interesse der Kapitalmarktteilnehmer auch die Aussagekraft und<br />

der Informationsgehalt von Ad-hoc-Mitteilungen. Verstöße gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht stellen<br />

Ordnungswidrigkeiten dar, die von der BaFin bei vorsätzlichem oder leichtfertigem Handeln der<br />

Emittenten mit einer Geldbuße bis zu 1,5 Mio. € geahndet werden können.<br />

Die BaFin wirkt außerdem Missständen entgegen, die die ordnungsmäßige Durchführung des Wertpapierhandels<br />

beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Wertpapiermarkt bewirken können,<br />

und trifft die hierzu notwendigen Anordnungen.<br />

4.1.2. Schadensersatzanspruch bei fehlerhaften Ad-hoc-Veröffentlichungen<br />

Anleger profitieren von einer neu geschaffenen Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche auf<br />

Grund von verspäteten, unterlassenen oder unrichtigen Veröffentlichungen potenziell kursbeeinflussender<br />

Tatsachen durch börsennotierte Unternehmen. Das Publizitätsverhalten mancher Emittenten<br />

wies in der Vergangenheit insoweit starke Mängel auf und Anleger waren nur unzureichend geschützt.<br />

Schadensersatzansprüche können aber nicht schrankenlos bestehen, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

eines Unternehmens zu überfordern und letztlich das Interesse der Anleger als Anteilseigner<br />

eines Unternehmens zu beeinträchtigen. Geschützt wird deshalb nur derjenige Anleger, der<br />

Wertpapiergeschäfte im Vertrauen auf ein ordnungsgemäßes Publizitätsverhalten der Emittenten<br />

börsenzugelassener Wertpapiere abschließt und auf Grund fehlerhafter Publizität einen Schaden<br />

erleidet.<br />

Als nächster Schritt wird gegenwärtig in der rechtspolitischen Diskussion die Einführung einer persönlichen<br />

Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten erörtert, die für grob fahrlässige Falschinformationen<br />

verantwortlich sind.<br />

4.2. Verbesserte Transparenz durch zentrale Veröffentlichung von Directors’ Dealings auf der<br />

Internetseite der BaFin<br />

Seit 1. Juli 2002 müssen Geschäfte von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter<br />

Gesellschaften und ihrer Ehepartner, eingetragenen Lebenspartner und Verwandten ersten Grades in<br />

Wertpapieren der eigenen Gesellschaft gegenüber dem Emittenten und der BaFin unverzüglich mitgeteilt<br />

und vom Emittenten veröffentlicht werden. Die Kenntnis solcher Geschäfte ist für den Markt<br />

wertvoll, da sie Anhaltspunkte für die Einschätzung der weiteren Geschäftsaussichten durch die<br />

Unternehmensleitung geben. Außerdem leistet die unverzügliche Veröffentlichung dieser Geschäfte<br />

einen wichtigen Beitrag zur präventiven Vermeidung von Insidergeschäften.<br />

Die Veröffentlichung der „Directors’ Dealings“ muss der Emittent entweder unter seiner Adresse für<br />

die Dauer von mindestens einem Monat im Internet oder durch Abdruck in einem überregionalen<br />

<strong>Börse</strong>npflichtblatt vornehmen. Aufgrund der Bekanntgabe im Internet erfahren die interessierten Anlegerkreise<br />

zeitnah von der Transaktion. Um Anlegern eine zentrale Informationsquelle über mit-


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

teilungspflichtige Geschäfte zur Verfügung zu stellen, wird die BaFin darüber hinaus auf ihrer Website<br />

unter www.bafin.de in Kürze eine Datenbank mit den gemäß § 15a WpHG mitgeteilten und<br />

veröffentlichten Geschäften anbieten.<br />

Auch im Vergleich zu den Regelungen in Großbritannien und den USA verfügt der Finanzplatz Deutschland<br />

hier über sehr weit gehende Transparenzstandards. In Großbritannien sind die Geschäfte mit einer<br />

Frist von fünf Tagen zu veröffentlichen und werden in ein vom Unternehmen geführtes öffentlich einsehbares<br />

Register eingetragen. In den USA beträgt die Frist seit In-Kraft-Treten des Sarbanes-Oxley<br />

Act Ende August 2002 zwei Arbeitstage, bei Ersterwerben bleibt es bei der zehntägigen Frist. Verstöße<br />

kann in Deutschland die BaFin selbst mittels Bußgeldern ahnden, was eine schnellere und effektivere<br />

Sanktionierung gewährleistet als in den USA, wo ein zeitaufwändigeres und offensichtlich schwerfälligeres<br />

strafrechtliches Verfahren durchgeführt werden muss.<br />

4.3. Kontrolle von Wertpapieranalysen<br />

Weltweit gerieten im Laufe der letzten Jahre die Analysten immer mehr in den Fokus der öffentlichen<br />

Kritik und der Aufsicht. Der aktuelle Vertrauensverlust vieler Anleger in den Kapitalmarkt wird teilweise<br />

auch mit der Rolle der Analysten begründet. Der Analyst von Wertpapieren bzw. sein Arbeitgeber kann<br />

zahlreichen Interessenkonflikten ausgesetzt sein, die nicht zum Nachteil der Anleger bzw. zum eigenen<br />

Vorteil des Analysten oder seines Unternehmens ausgenutzt werden dürfen. Um hier Transparenz<br />

gegenüber den Anlegern zu schaffen, wurde eine besondere Verhaltensregel zu Wertpapieranalysen<br />

geschaffen.<br />

Die Regelung ist nicht an den einzelnen Analysten adressiert, sondern an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen,<br />

das seine Wertpapieranalyse Kunden zugänglich macht oder öffentlich verbreitet.<br />

Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss die Analyse mit der erforderlichen Sachkenntnis,<br />

Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit erbringen und mögliche Interessenkonflikte in der Wertpapieranalyse<br />

konkret offen legen.<br />

Interessenkonflikte, die die Neutralität einer Analyse beeinträchtigen können, bestehen insbesondere<br />

bei Beteiligungen an dem analysierten Unternehmen, bei Mitgliedschaft in einem Konsortium für die<br />

Emission von Wertpapieren der betreffenden Gesellschaft sowie bei der Betreuung der analysierten<br />

Wertpapiere aufgrund eines mit dem Emittenten abgeschlossenen Vertrages an der <strong>Börse</strong> oder am<br />

Markt.<br />

Der Anleger soll durch die Offenlegung mögliche Interessenkonflikte erkennen und in seine Anlageentscheidung<br />

miteinbeziehen können. Unzureichend sind daher allgemeine Hinweise, z. B. auf eine<br />

„mögliche“ Beteiligung von mindestens einem Prozent. Der Anleger kann bei derart abstrakten Aussagen<br />

nicht beurteilen, ob die Beteiligung und damit der Interessenkonflikt überhaupt besteht.<br />

Die meisten Privatanleger erhalten nicht die ausführliche, schriftliche Analyse, sondern Informationen<br />

daraus mittelbar über die Presse oder öffentliche Fernsehauftritte von Analysten. Sobald sich ein Analyst<br />

dort näher mit einem Wertpapier auseinandersetzt und eine Empfehlung ausspricht (z. B. für ein<br />

Musterdepot), ist es zum Schutz der Anleger geboten, auch hier auf mögliche Interessenkonflikte<br />

hinzuweisen.<br />

Die Einhaltung der Regelung zu Wertpapieranalysen wird von der BaFin beaufsichtigt, die Auskunftsund<br />

Vorlagerechte gegenüber dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen besitzt sowie jährliche<br />

Regelprüfungen durch Wirtschaftsprüfer oder Sonderprüfungen veranlasst. Zu einzelnen Auslegungsfragen<br />

wird die BaFin Erläuterungen veröffentlichen, die sich an der internationalen Rechtsentwicklung<br />

orientieren.<br />

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28 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland bei der Offenlegung von Interessenkonflikten im<br />

Zusammenhang mit Analysen eine führende Position ein. In Großbritannien gibt es abgesehen von<br />

den allgemeinen Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten und dem Verbot, preissensitive Informationen<br />

selektiv weiterzugeben, keine explizite Regelung für die Behandlung von Analysen und die<br />

dabei auftretenden Einschränkungen der Neutralität des Research. Derzeit wird diskutiert, ob eine<br />

spezielle, der deutschen Regelung vergleichbare Vorschrift eingeführt wird.<br />

In den USA existieren vergleichbare Offenlegungsvorschriften, die aber von Selbstregulierungseinrichtungen,<br />

z.B. der National Association of Securities Dealers (NASD) erlassen wurden. Mit dem<br />

am 30. Juli 2002 in Kraft getretenem Sarbanes Oxley Act wird die Securities and Exchange Commission<br />

verpflichtet, selbst oder durch Delegation auf <strong>Börse</strong>n oder Selbstverwaltungseinrichtungen<br />

weitere Pflichten zu regeln, z.B. Schweigeperioden, interne Organisation, die wohl über die deutschen<br />

Regeln in diesem Bereich hinausgehen werden. Allerdings ermöglichen die abstrakten gesetzlichen<br />

Vorschriften in Deutschland ein Vorgehen gegenüber Wertpapierfirmen, das im Ergebnis den sehr<br />

viel detaillierteren Vorschriften des Sarbanes-Oxley Act in vielen Punkten entsprechen dürfte.<br />

4.4. Schutz der Marktintegrität durch Verfolgung von Marktmissbrauch<br />

Wie bereits dargelegt wurde, hat das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz die Überwachung des Verbots<br />

der Kurs- und Marktpreismanipulation neu geregelt und der BaFin übertragen. Damit wird eine<br />

Lücke im System zum Schutz der Marktintegrität geschlossen. Insiderüberwachung und die Überwachung<br />

des Verbots der Kursmanipulation erfolgt jetzt aus einer Hand.<br />

Der neue § 20 a WpHG verbietet es, unrichtige Angaben über Umstände zu machen, die für die Bewertung<br />

von Vermögenswerten erheblich sind, oder bewertungserhebliche Umstände zu verschweigen,<br />

falls eine entsprechende Rechtspflicht zur Offenlegung besteht. Außerdem werden sonstige Täuschungshandlungen<br />

untersagt, die darauf abzielen, auf den <strong>Börse</strong>n- oder Marktpreis eines Vermögenswertes<br />

einzuwirken. Das Verbot gilt für Vermögenswerte wie Wertpapiere, Geldmarktinstrumente,<br />

Derivate, Rechte auf Zeichnung, Waren und ausländische Zahlungsmittel, die an einer inländischen<br />

<strong>Börse</strong> zugelassen, in den Geregelten Markt oder in den Freiverkehr einbezogen oder in einem anderen<br />

Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen<br />

sind.<br />

Das Verbot der sonstigen Täuschungshandlungen ist sehr weitgehend und ermöglicht dadurch einen<br />

umfangreichen Schutz vor Manipulationen. Um den Marktteilnehmern mehr Rechtssicherheit zu<br />

geben, wurde das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Verbot<br />

der Kurs- und Marktmanipulation zu konkretisieren. Dies ermöglicht eine flexible und schnelle Anpassung<br />

an sich ändernde Marktverhältnisse. „Safe-harbour“-Regelungen können Fälle konkretisieren,<br />

wie international anerkannte Stabilisierungsmaßnahmen bei Neuemissionen, die keinen Verstoß<br />

gegen das Kurs- und Markmanipulationsverbot darstellen.<br />

Der BaFin werden zur effektiven Überwachung des Verbots weitreichende Befugnisse übertragen.<br />

Sie kann Auskünfte und die Vorlage von Unterlagen verlangen sowie Wohn- und Geschäftsräume<br />

von Beteiligten betreten. Zudem kann die BaFin mit ausländischen Aufsichtsbehörden bei grenzüberschreitenden<br />

Verstößen eng zusammen arbeiten und Informationen austauschen. Ergeben sich Anhaltspunkte<br />

für den Verdacht einer Straftat, ist dies der zuständigen Staatsanwaltschaft anzuzeigen.<br />

Wirkt sich die Manipulation auf den <strong>Börse</strong>n- oder Marktpreis aus, liegt eine Straftat vor. Werden unrichtige<br />

Angaben gemacht bzw. bewertungserhebliche Umstände verschwiegen, so ist für eine Strafbarkeit<br />

ausreichend, wenn der Täter die Preiseinwirkung zumindest für möglich hielt und sie in Kauf


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

nahm. Außer in den Fällen von sonstigen Täuschungshandlungen muss es dem Täter daher nicht<br />

mehr darauf ankommen, auf den Preis einzuwirken. Diese Änderung führt zu einer für die Strafverfolgung<br />

wichtigen Beweiserleichterung. Der Strafrahmen von drei Jahren wird auf bis zu fünf Jahre<br />

Freiheitsstrafe angehoben. Manipulationshandlungen, die keine Preisveränderung bewirken, können<br />

künftig von der BaFin als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 1,5 Mio. € sanktioniert<br />

werden.<br />

4.5. Verfolgung unerlaubter Bankgeschäfte<br />

Die BaFin verfolgt zur Sicherung der Integrität des Marktes Unternehmen und Personen, die unerlaubt<br />

Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen und die daher dem so genannten<br />

„Schwarzen Kapitalmarkt“ zuzurechnen sind. Zur effektiven Wahrnehmung dieser Aufgabe verfügt<br />

die BaFin über umfangreiche gesetzliche Befugnisse, die durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz<br />

nochmals erweitert wurden. Sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass unerlaubte<br />

Geschäfte getätigt werden, haben die betroffenen Unternehmen und Personen hierüber Auskunft zu<br />

erteilen und Unterlagen vorzulegen. Die BaFin ist insoweit auch befugt, Durchsuchungen durchzuführen<br />

und Unterlagen sicherzustellen. Um die Ermittlungseffizienz zu erhöhen und durch ein frühzeitiges<br />

Eingreifen eine mögliche Schädigung von Anlegern zu verhindern bzw. möglichst gering zu<br />

halten, kann die BaFin nunmehr ihre Maßnahmen auch gegen solche Unternehmen richten, die<br />

selbst nicht unerlaubt tätig sind, die aber in die Abwicklung unerlaubter Geschäfte einbezogen sind<br />

bzw. waren.<br />

Stellt die BaFin auf Basis ihrer Ermittlungen fest, dass unerlaubt Bankgeschäfte betrieben oder Finanzdienstleistungen<br />

erbracht werden, ordnet sie die sofortige Einstellung dieser Geschäftstätigkeiten an<br />

und führt deren Abwicklung herbei. In Fällen, in denen ein unerlaubt tätiges Unternehmen seine<br />

Geschäftstätigkeit nicht freiwillig einstellt, hat die BaFin die Möglichkeit, diese Geschäftstätigkeit<br />

förmlich zu untersagen und eine solche Untersagung mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Bei der Abwicklung<br />

der unerlaubt betriebenen Geschäfte steht eine frühzeitige Sicherung der Vermögenswerte<br />

der Anleger im Vordergrund. Aus diesem Grund setzt die BaFin in vielen Fällen kompetente externe<br />

Abwickler, meist erfahrene Insolvenzverwalter, ein, um eine zeitnahe und soweit möglich vollständige<br />

Rückführung von Anlegergeldern zu gewährleisten.<br />

Im Jahr 2001 wurden in 150 Fällen von verdächtigen Unternehmen Auskünfte über die Geschäftstätigkeit<br />

und die Vorlage von Unterlagen verlangt. Dabei wurde in 116 Fällen ein förmliches Auskunfts-<br />

und Vorlageersuchen mit Zwangsgeldandrohung durchgesetzt. Gegenüber fünf verdächtigen<br />

Unternehmen wurden richterliche Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt und Prüfungen der Geschäftstätigkeiten<br />

der Unternehmen vor Ort vorgenommen. In 25 Fällen wurde die Einstellung der unerlaubt<br />

betriebenen Geschäfte förmlich durchgesetzt.<br />

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30 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

5. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland und im Ausland<br />

5.1. Stichwort: Kursrückgänge an den Märkten<br />

Seit ihren Höchstständen im März 2000 erfuhren die für die deutschen Aktienmärkte wichtigsten<br />

Indizes einen dramatischen Rückgang. So fiel der DAX, in dem die 30 bedeutendsten deutschen<br />

Aktiengesellschaften zusammenfasst sind, bis zum Sommer 2002 um rund 50 Prozent, der Nemax,<br />

der Index für den Neuen Markt, gar um über 90 Prozent.<br />

Die Entwicklung der Indizes reflektiert nicht nur das Platzen der Spekulationsblase der so genannten<br />

New Economy mit ihren Schwerpunkten Telekommunikation, Technologie und Internet. Hinzu kam ein<br />

Misstrauen gegenüber Vorständen und Aufsichtsräten, aber auch Wirtschaftsprüfern, das inzwischen<br />

als „Enronitis“ bezeichnet wird. In einer Reihe von Fällen führte bereits die vage Vermutung, das<br />

Zahlenwerk eines Unternehmens sei nicht in Ordnung oder es stünde eine so genannte Gewinnwarnung<br />

an, zu erheblichen Kursrückgängen. Weiter hinzu kamen Zweifel über eine baldige wirtschaftliche<br />

Erholung der wichtigsten Volkswirtschaften; so machte der Begriff „Double Dip“ – also ein<br />

erneutes Abflachen der Konjunktur unmittelbar nach einer Rezession – im Sommer 2002 die Runde.<br />

In dieser von wirtschaftlicher Unsicherheit und Vertrauenskrise geprägten Phase überdachten<br />

zahlreiche Anleger ihre Strategien und zogen sich teilweise sogar völlig zum <strong>Börse</strong>nhandel zurück.<br />

So ging zum einen die Zahl der Aktionäre im Jahr 2002 erstmals seit Jahren wieder zurück, zum<br />

anderen nahmen auch die Mittelzuflüsse zu Aktien-Publikums-Fonds ab.<br />

Dieser Vertrauenskrise muss entgegen gewirkt werden, wozu aber auch die Marktteilnehmer, insbesondere<br />

die Anleger ihren Beitrag leisten können. Erste positive Entwicklungen sind denn auch bereits<br />

zu beobachten. Seit dem Platzen der New Economy-Blase, dem Ende der „irrational exuberance“,<br />

kehren immer mehr Marktteilnehmer zu traditionellen Bewertungsmaßstäben zurück. Geschäftsmodelle<br />

werden sehr viel kritischer geprüft als noch vor zwei Jahren, als tatsächliche Gewinne und<br />

Dividende wenig, in Aussicht gestellte Marktanteile und hohe Wachstumsraten hingegen sehr viel<br />

zählten. Viele, vor allem private Anleger machten die schmerzhafte Erfahrung, dass die <strong>Börse</strong> keine<br />

Einbahnstraße ist, die sichere Gewinne verspricht. Es zeichnet sich ab, dass Anleger nunmehr skeptischer<br />

gegenüber Empfehlungen Dritter geworden sind und sich zunehmend ihr eigenes Urteil<br />

bilden.<br />

Aufgabe einer Aufsicht kann es nicht sein, Kursrückgänge zu verhindern. Sie kann Anlegern auch nicht<br />

das verlorene Vermögen zurückholen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr – unabhängig von der aktuellen<br />

Marktlage – für eine größtmögliche Chancengleichheit zu sorgen. Dies gilt gerade bei der Verfolgung<br />

von Insiderhandel. Die Entwicklungen auf den Märkten beeinflussen die Rahmenbedingungen, innerhalb<br />

derer sich die Unternehmen bewegen – und diese wiederum sind Gegenstand staatlicher<br />

Überwachung. Gerade in Krisenzeiten muss besonderes Augenmerk auf sich abzeichnende Fehlentwicklungen<br />

gelegt werden. Der tiefgreifende Abschwung an den <strong>Börse</strong>n hat deshalb auch dazu geführt,<br />

dass die BaFin ihre Schwerpunkte neu ausgerichtet hat.<br />

Lag der Schwerpunkt bei den Insideranalysen und -untersuchungen zunächst auf positiven Ergebniszahlen<br />

und M&A-Aktivitäten, so hat sich das Bild inzwischen entscheidend geändert. Zwar spielen<br />

nach wie vor Periodenergebnisse die prominenteste Rolle, inzwischen sind jedoch vor allem Gewinnwarnungen<br />

Hauptauslöser für Analysen. Die Zahl der Insolvenzen, die Gegenstand einer Insideranalyse<br />

sind, hat sich gegenüber dem Jahr 2001 mehr als verdreifacht. Wie bei den M&A-Aktivitäten geht<br />

die BaFin jeder Insolvenzmeldung nach – hier besteht eine flächendeckende Überwachung.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Bezogen auf die verschiedenen <strong>Börse</strong>nsegmente lässt sich feststellen, dass etwas mehr als 50 Prozent<br />

aller Untersuchungen der BaFin die Kurs- und Umsatzentwicklung von Aktien des Neuen Marktes<br />

betreffen. Der Anteil der Aktien des amtlichen Marktes, die Gegenstand von Untersuchungen der BaFin<br />

sind, hat sich gegenüber 2001 auf über 40 Prozent verfünffacht.<br />

Ein Blick über die verschiedenen Branchen zeigt hingegen keine Besonderheiten. Es wäre also zu kurz<br />

gegriffen, wollte man ein bestimmtes Segment oder eine bestimmte Branche als „schwarzes Schaf“<br />

bezeichnen oder gar unter Generalverdacht stellen. Ansatzpunkt für die Überwachung ist deshalb<br />

nicht die Branchen- oder Segmentzugehörigkeit. Die Konzentration auf M&A-Aktivitäten, Insolvenzen<br />

sowie Periodenergebnisse hat sich als sehr zweckmäßig und effizient erwiesen, scheinen sie doch in<br />

besonderem Maß zu illegalem Handeln zu verlocken.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Anreize von Insidern zu achten. Wessen persönliches<br />

Vermögen zu einem erheblichen Teil in Aktien des eigenen Unternehmens investiert ist, wird bei absehbaren<br />

Kursrückgängen größeren Anreizen ausgesetzt sein, Insiderhandel zu begehen, als Personen,<br />

die keine oder nur wenige Aktien halten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die neue Meldepflicht für<br />

die so genannten Directors’ Dealings sehr zu begrüßen – schafft sie doch Transparenz und wirkt so<br />

präventiv gegen Insiderhandel. Hier können auch die börsennotierten Gesellschaften einen Beitrag<br />

leisten, indem sie ihre Entlohnungsmodelle und Aktienoptionspläne so konstruieren, dass bestimmte<br />

Anreize im Management erst gar nicht auftreten.<br />

5.2. Stichwort: Bilanzmanipulationen<br />

Die schlechte Marktsituation, rückläufige Gewinne und schwache Konjunktur kennzeichnen nicht<br />

nur die aktuelle volkswirtschaftliche Lage in Deutschland, wie auch im internationalen Umfeld. Sie<br />

haben auch – im In- und Ausland – betriebswirtschaftliche Auswirkungen auf die am Markt agierenden<br />

Unternehmen. So traten Fälle zutage, in denen Unternehmen ihre schlechte Lage dadurch zu verschleiern<br />

suchten, dass unsauber bilanziert wurde bis hin zur Fälschung von Unternehmensdaten<br />

und gezielter Bilanzmanipulation. Die spektakulären Zusammenbrüche der Zugpferde der US-amerikanischen<br />

Konjunktur (Enron, Worldcom), deren desolate Finanzlage bis zuletzt nicht erkennbar war,<br />

haben ihre Wirkung auf das Anlegervertrauen nicht verfehlt. Einige größere Skandale, auch bei<br />

deutschen börsennotierten Unternehmen, zeigten, dass Bilanzzahlen, trotz des Testats eines Wirtschaftsprüfers,<br />

eine Vermögenslage des Unternehmens suggerieren können, die mit der Wirklichkeit<br />

kaum noch übereinstimmt.<br />

Die Problematik hat mehrere Ursachen. Zum einen ermöglicht die Biegsamkeit mancher Bilanzierungsstandards<br />

findige Rechnungslegungsmethoden und ermuntert zu „creative accounting“. In anderen<br />

Fällen gaben Vorstände gezielt Falschinformationen an die Wirtschaftsprüfer, die diese offensichtlich<br />

nicht ausreichend überprüften. Vielfach ist es auch schwer, Verstöße gegen das deutsche Bilanzstrafrecht<br />

nachzuweisen, obwohl sich entsprechende Machenschaften in Kombination mit nachlässiger<br />

Prüfung aufdrängen.<br />

5.2.1. (Staatliche) Aufsicht über Wirtschaftsprüfer?<br />

In diesem Zusammenhang sind Teile des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer in letzter Zeit wiederholt<br />

in das Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geraten. So wurde einigen Wirtschaftsprüfern vorgeworfen,<br />

dass Unregelmäßigkeiten, die das Bild der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens beeinträchtigen,<br />

nicht deutlich genug in den Prüfungsberichten dargestellt wurden. In Einzelfällen wurden sogar<br />

Bilanzmanipulationen von den Prüfern übersehen. Hauptursache dieser Probleme ist der anhaltende<br />

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32 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsprüfern um die Mandanten, der zum einen die Unabhängigkeit<br />

der Prüfer (z.B. durch unkritische Berichterstattung im Interesse der Mandanten) und zum anderen<br />

die Qualität der Prüfungen (z.B. durch den vermehrten Einsatz von „kostengünstigen“ Berufsanfängern)<br />

beeinträchtigt. Interessenkollisionen ergeben sich darüber hinaus auch durch die allzu enge<br />

Verquickung von Beratungs- und Prüfungsleistungen.<br />

Die vom Berufsstand des Wirtschaftsprüfers durchgeführte Abschlussprüfung ist von großer Bedeutung<br />

für die Stabilität des Finanzsystems, denn den Kapitalmarktteilnehmern wird durch das Testat des<br />

Wirtschaftsprüfers die „Richtigkeit“ des Jahresabschlusses signalisiert. Ordnungsgemäß geprüfte<br />

Jahresabschlüsse tragen insofern mit dazu bei, das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit<br />

der Kapitalmärkte zu erhalten.<br />

Zwar hat der Gesetzgeber, wie auch der Berufsstand selbst in den letzten Jahren zusätzliche<br />

Anstrengungen unternommen, die auf eine nachhaltige Verbesserung der Situation abzielen (z.B. externe<br />

Qualitätskontrollen, Corporate Governance Kodex). Die jüngsten in den Medien geschilderten<br />

Vorfälle verdeutlichen allerdings, dass hier noch weiterer Handlungsbedarf besteht (siehe dazu auch<br />

den Beitrag von Prof. Jörg Baetge, Seite 65 ff).<br />

5.2.2. Bilanzpolizei<br />

Derzeit gibt es Überlegungen, eine Stelle in Deutschland einzurichten, die für die Überwachung der<br />

Rechtmäßigkeit der geprüften Jahresabschlüsse zuständig ist. Auch die Corporate Governance Kommission<br />

hat in ihrem Bericht im Jahr 2001 festgestellt, dass das Bilanzstrafrecht der §§ 331-334<br />

HGB und die Nichtigkeitsklage gemäß § 256 Aktiengesetz nicht mehr ausreichen. Diese „Bilanzpolizei“<br />

würde in Einzelfällen untersuchen, ob bei den geprüften Jahresabschlüssen die gesetzlichen Regelungen<br />

beachtet wurden. Die Einrichtung einer solchen Enforcement-Stelle ist zu begrüßen, denn sie<br />

würde einen Beitrag zur Stabilisierung der Kapitalmärkte leisten. Die vertrauensfördernde Einrichtung<br />

einer soliden Aufsicht über die regelmäßige Finanzberichterstattung könnte die Erholung des<br />

Aktienmarktes unterstützen. Auch die staatlich geförderte Altersvorsorge könnte von einer solchen<br />

vertrauensbildenden Kontrolle profitieren.<br />

5.2.3. Internationale Entwicklung<br />

Ab dem Jahr 2005 muss die Konzernbilanz börsennotierter Unternehmen in der Europäischen Union<br />

gemäß den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) des International Accounting Standards<br />

Board (IASB) erstellt werden (siehe dazu auch den Beitrag von Sir David Tweedie, Seite 57 ff).<br />

Ziel der entsprechenden EU-Verordnung ist es, in Europa einen ersten Meilenstein für eine internationale<br />

Vereinheitlichung der Rechnungslegung zu setzen, die auch von den USA akzeptiert wird.<br />

Dadurch sollen erleichterte Zulassungsbedingungen für Emittenten an allen <strong>Börse</strong>n weltweit erreicht<br />

werden, was aber voraussetzt, dass die IFRS auf europäischer und nationaler Ebene gleich angewandt<br />

werden. Um dies zu gewährleisten, ist vorgesehen, dass der Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden<br />

(CESR) einbezogen wird, um ein gemeinsames Konzept für die Durchsetzung<br />

zu entwickeln. Mit der Durchsetzung von Rechnungslegungsstandards ist zugleich aber auch die<br />

Unterbindung von Missbrauch oder Umgehung verbunden. Letztlich geht es also auch hier um eine<br />

systematische Kontrolle der Bilanzen börsennotierter Unternehmen.<br />

Während die EU-Kommission also eine Präferenz für die Durchsetzung der IFRS auf nationaler Ebene<br />

durch Wertpapieraufsichtsbehörden erkennen lässt, hat CESR sich zunächst nicht auf die Art der<br />

zuständigen Stelle festgelegt. In Europa gibt es einerseits Systeme, die mit privatrechtlich organisierten


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

„review panels“ arbeiten, die nur auf Beschwerden hin tätig werden, bei Untersuchungen auf die<br />

freiwillige Mitarbeit des Emittenten und seines Wirtschaftsprüfers angewiesen sind und eine gerichtliche<br />

Klärung erzwingen können (so in England und voraussichtlich demnächst in Schweden und<br />

Irland). Andererseits gibt es Aufsichtsbehörden, die sehr weitgehende Untersuchungs- und Sanktionsbefugnisse<br />

gegenüber Emittenten und Wirtschaftsprüfern haben (so etwa in Frankreich, Italien,<br />

Spanien, Portugal, den Niederlanden, Belgien, Griechenland). Unabhängig von der Organisation ist<br />

entscheidend, dass die zuständigen Stelle, in Abstimmung mit anderen ausländischen Stellen schnell<br />

und effektiv handeln, untersuchen und sanktionieren kann.<br />

5.2.4. <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex<br />

Am 26. Februar 2002 hat die Regierungskommission „Corporate Governance“ den von ihr erarbeiteten<br />

<strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex dem Bundesjustizministerium übergeben. Der Kodex soll<br />

dazu beitragen, die Leitung und Überwachung bei börsennotierten deutschen Unternehmen zu verbessern,<br />

indem er die Befugnisse und Kontrollrechte der Organe (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung)<br />

konkretisiert. So soll etwa der Jahresabschlussprüfer von einem Prüfungsausschuss<br />

bestellt werden, der vom Vorstand unabhängig ist. Diese Regelung trägt mit dazu bei, die Unabhängigkeit<br />

des Abschlussprüfers zu gewährleisten und ist insofern ein weiterer Baustein zur Aufdeckung<br />

von Bilanzfälschungen (siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Theodor Baums, Seite 39 ff).<br />

6. Die europäischen Bestrebungen, die Finanzmarktaufsicht zu vereinheitlichen<br />

6.1. Organisation der Aufsicht – Brauchen wir eine europäische SEC?<br />

Zunehmend lösen sich Grenzen zwischen Banken-, Versicherungs- und Wertpapierhandelssektor<br />

auf, und die Zahl der Finanzkonglomerate nimmt zu. International ist daher ein Trend zu einer über<br />

die Branchengrenzen hinweg integrierten Finanzmarktaufsicht zu erkennen. Der Fortschritt in der<br />

Informations- und Kommunikationstechnik erleichtert den Eintritt neuer Marktakteure und beschleunigt<br />

die Internationalisierung der Finanztransaktionen. Die zu beaufsichtigenden Finanztransaktionen<br />

werden zunehmend komplexer. Schließlich ist die Erweiterung der Europäischen Union auf bis zu<br />

25 Mitgliedstaaten bereits absehbar.<br />

Einige EU-Mitgliedstaaten haben auf nationaler Ebene auf die oben genannten Herausforderungen<br />

bereits reagiert. Stellvertretend für andere Beispiele im europäischen Raum können neben Deutschland<br />

Großbritannien und Österreich genannt werden, die mehrere, bisher getrennt tätige Finanzaufsichtseinrichtungen<br />

zu einer einheitlichen Allfinanzbehörde zusammengeführt haben. Dabei stellt<br />

sich die weitergehende Frage, ob die politisch gewollte Binnenmarktintegration möglich ist, wenn<br />

die Akteure national verhaftet sind und bleiben. Erfordert ein Bekenntnis zu Europa nicht auch eine<br />

sichtbare, eine körperliche Umsetzung in Gestalt einer europäischen SEC?<br />

Finanzmarktaufsicht und vor allem Wertpapieraufsicht ist zunächst einmal Detailaufsicht. Die Aufsicht<br />

braucht Einblick, wie sich die beaufsichtigten Intermediäre am Markt und ihren Kunden gegenüber<br />

verhalten, inwieweit Emittenten ihren Pflichten nachkommen und ob Kapitalmarkttransaktionen den<br />

rechtlichen Anforderungen genügen. Diese und alle weiteren Fragen, die zu stellen sind, erfordern<br />

Sachnähe ebenso wie räumliche Nähe. Sachnähe ist allein schon deswegen erforderlich, weil Kapitalmarktrecht,<br />

bei allem erreichten Harmonisierungsgrad in das erheblich weniger harmonisierte<br />

Gesellschaftsrecht eingebettet ist. Hier hilft eine Beurteilung allein der europäischen Vorgaben nicht<br />

weiter. Räumliche Nähe ist erforderlich, weil bei aller Nutzung der modernen Kommunikationsmittel<br />

ein Besuch, eine Unterredung, eine Nachforschung vor Ort nicht zu ersetzen ist.<br />

33


34 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Ein gangbarer Weg könnte eine schrittweise Europäisierung der Aufsicht sein. Wenn man mit einzelnen,<br />

klar abschichtbaren Funktionen beginnt, etwa der Prüfung von Prospekten für grenzüberschreitende<br />

Wertpapieremissionen, dann wäre dies die Gelegenheit für ein europäisches Konzept, sich zu<br />

beweisen. Wenn der Beweis erbracht ist, könnte die Integration der Aufsichtsstrukturen vorangetrieben<br />

werden. Der graduelle Aufbau einer europäischen Struktur muss mit einem graduellen Abbau auf<br />

nationaler Ebene einhergehen, um glaubwürdig zu bleiben.<br />

Einer organisatorischen Neuausrichtung auf europäischer Ebene muss aber zwingend ein solider<br />

harmonisierter europäischer Rechtsrahmen zugrunde liegen. Ein wesentliches Element für eine<br />

zügige Schaffung eines solchen einheitlichen Rechtsrahmens ist das von der Gruppe der Weisen<br />

unter Vorsitz von Alexandre Lamfalussy vorgeschlagene Komitologieverfahren im Rahmen des europäischen<br />

Gesetzgebungsverfahrens. Dadurch kann die erforderliche Beschleunigung und Flexibilisierung<br />

des Gesetzgebungsprozesses auf EU-Ebene erreicht werden.<br />

Mit einigen Modifizierungen, die die strukturellen Unterschiede der Bankenaufsicht gegenüber der<br />

Wertpapieraufsicht berücksichtigen, dürfte eine Übertragung dieser Vorgehensweise auf die Weiterentwicklung<br />

des Banken- und Versicherungsaufsichtsrechts zielführend sein. Geplant ist auf europäischer<br />

Ebene bereits die Einrichtung eines Ausschusses hochrangiger Vertreter der zuständigen<br />

Finanz- und Wirtschaftsminister unter dem Vorsitz der Europäischen Kommission, der als Komitologieausschuss<br />

fungieren soll, in Anlehnung an das bereits eingerichtete European Securities Committee<br />

(ESC). Ebenso könnten auf einer weiteren Ebene nach dem Vorbild des Committee of European<br />

Securities Regulators (CESR) für den Bereich der Bankenaufsicht, der Versicherungsaufsicht und<br />

der Finanzkonglomerate weitere Komitees eingerichtet werden, in denen die auf nationaler Ebene<br />

mit der Aufsicht betrauten Stellen vertreten wären und eine umfassende Harmonisierung des Aufsichtsrechts<br />

entwickelten.<br />

6.2. Bisherige Fortschritte bei der Harmonisierung des europäischen Aufsichtsrechtes<br />

6.2.1. Die europäische Marktmissbrauchsrichtlinie<br />

Ein harmonisiertes Regime gegen Marktmissbrauch dient der Chancengleichheit und Erhaltung der<br />

Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Kapitalmärkte und Institutionen. Einheitliche Regelungen schaffen<br />

europaweit größere Klarheit und beseitigen mögliche Investitionshemmnisse länderübergreifend<br />

tätiger Marktteilnehmer. Die weiter fortschreitende Harmonisierung zur Stärkung der Marktintegrität<br />

in Europa durch die Marktmissbrauchsrichtlinie ist daher sehr zu begrüßen. Denn die Bekämpfung<br />

des Marktmissbrauchs, also von Insidergeschäften wie von Marktmanipulation, ist wesentliche<br />

Grundlage für umfassende Effizienz und Transparenz an den Kapitalmärkten. Diese wiederum ist<br />

erforderlich, um das Vertrauen der Investoren in die jeweiligen Märkte zu stärken. Gerade im Bereich<br />

der Marktmanipulation, wo die Rechtslage in Europa derzeit noch stark zersplittert ist, bedarf es einer<br />

Harmonisierung auf europäischer Ebene. Die nationalen Bestimmungen weichen hier noch deutlich<br />

voneinander ab. In einzelnen Mitgliedstaaten ist Marktmanipulation sogar sanktionslos möglich und<br />

eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden ist eher die Ausnahme.<br />

6.2.2. Die europäische Prospektrichtlinie<br />

Die Prospektrichtlinie kann dem gesamten deutschen Markt wichtige Impulse geben. Deutschland<br />

als kontinentaleuropäisches Finanzzentrum ist der natürliche Profiteur jeder Erleichterung grenzüberschreitender<br />

Tätigkeit. Dies gilt für Emittenten, die auf eine breitere Anlegerbasis zugreifen können,<br />

ebenso wie für Privatanleger, die leichter Zugang zu Anlagen aus anderen Mitgliedsstaaten erhalten.<br />

Auch die Emissionshäuser können grundsätzlich nur profitieren.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

Allerdings muss auf eine Fortführung der bestehenden marktnahen und flexiblen Strukturen in<br />

Deutschland geachtet werden. Diese dürfen nicht für einen eher abstrakten Harmonisierungseffekt<br />

geopfert werden. Dabei steht insbesondere ein Aspekt im Vordergrund: Die Regelung, dass Emittenten<br />

ihre Prospekte nur im Herkunftsstaat prüfen lassen dürfen. Sie schafft im Vergleich zur jetzigen<br />

Rechtslage eine künstliche und ungerechtfertigte Barriere. Es ist nicht einzusehen, warum ein Emittent<br />

nicht verschiedene Wertpapiere in verschiedenen Ländern emittieren soll. Das ist derzeit die<br />

Norm, ein negativer Effekt für Anleger ist nicht sichtbar. Eine ausschließliche Herkunftslandprüfung<br />

verhindert den Wettbewerb im Binnenmarkt. Man mag dagegen halten, dass ein Wettbewerb bei einer<br />

harmonisierten Regelung nicht möglich ist. Das greift aber zu kurz. Ein Wettbewerb über Regulierung<br />

im Sinne eines „race to the bottom“ ist immer zum Scheitern verurteilt. Vielmehr geht es um die Infrastruktur,<br />

die an einem Finanzplatz vorhanden ist. Und in diesem Bereich hat Deutschland mit<br />

Frankfurt am Main Stärken, die in Kontinentaleuropa einzigartig sein dürften. Diese Stärken dürfen<br />

nicht durch eine sinnwidrige Umverteilung der Emissionsaktivität auf alle Mitgliedstaaten zunichte<br />

gemacht werden.<br />

6.2.3. Die Überarbeitung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie<br />

Die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie regelt grundlegend die Bedingungen für den Marktzutritt und<br />

die Tätigkeit als Wertpapierdienstleister bzw. als Betreiber eines Handelssystems. Sie ist damit das<br />

Kernstück des rechtlichen Rahmens für den europäischen Binnenmarkt. Die von der EU-Kommission<br />

vorgelegten Regelungsvorschläge sind aufgrund ihrer erheblichen Auswirkungen auf die deutsche<br />

Marktstruktur von zentraler Bedeutung und bedürfen besonderer Beachtung. Im Wesentlichen handelt<br />

es sich um folgende Eckpunkte:<br />

Einführung eines Transparenzregimes für außerbörslich abgeschlossene Geschäfte: Der Vorschlag der<br />

EU-Kommission sieht die Einführung detaillierter Transparenzregeln für den börslichen sowie außerbörslichen<br />

Handel vor. Eine Realisierung dieses Vorschlages würde zu einer erheblichen Veränderung<br />

der deutschen Marktstruktur führen.<br />

Die EU-Kommission plant weiterhin eine Aufwertung der Anlageberatung zur eigenständigen Wertpapierdienstleistung.<br />

Gleichzeitig soll die bisherige Ausnahmeregelung für Fondsvermittler gestrichen<br />

werden. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie wären danach nur diejenigen Vermittler ausgenommen,<br />

die ausschließlich für Rechnung und unter der Haftung eines anerkannten Wertpapierdienstleistungsunternehmen<br />

tätig sind (sog. „tied-agents“). Unter Berücksichtigung der in Deutschland<br />

vorhandenen Vertriebsstrukturen, insbesondere der in diesem Bereich tätigen Fondsvermittler hätte<br />

der Vorschlag der Kommission zur Folge, dass neben den Eigenkapitalanforderungen auch die anlegerschützenden<br />

Wohlverhaltensregeln Anwendung fänden.<br />

Die genannten Punkte bedürfen einer eingehenden Diskussion. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen,<br />

dass die Interessen und die Struktur des deutschen Kapitalmarktes ausreichend gewahrt<br />

werden.<br />

6.2.4. Eigenkapitalvorschriften – Basel II<br />

Zukünftig wird die Frage der Eigenmittelunterlegung – auch im europäischen Raum – auf eine neue<br />

Basis gestellt werden. Die geplanten Leitlinien zu einer angemessenen Eigenkapitalausstattung von<br />

Banken stellen ein neues Element innerhalb der bankaufsichtlichen Risikovorschriften dar („Basel II“).<br />

Danach wird künftig nicht mehr ausschließlich entscheidend sein, ob der Eigenkapitalkoeffizient in<br />

Höhe von mindestens acht Prozent eingehalten ist. Die Institute sollen vielmehr ihre Risiken selbst<br />

35


36 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Marktüberwachung und Anlegerschutz<br />

erfassen und steuern, zeitnah und zuverlässig die Angemessenheit ihrer Eigenkapitalausstattung<br />

unter Berücksichtigung der Geschäftsstrategie und aller damit verbundenen Risiken kontrollieren<br />

sowie sachgerechte Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Feststellungen ziehen. Unabhängig von<br />

der vorgeschriebenen Mindesteigenkapitalausstattung sollte die Bank soviel Eigenkapital vorhalten,<br />

dass das durch die jeweilige Geschäftsausrichtung bestimmte Risikoprofil der Bank ausreichend<br />

gedeckt ist. Wo dies nicht der Fall ist, hätte die Bankenaufsicht auf eine genügend hohe Eigenkapitalquote<br />

hinzuwirken.<br />

7. Veränderungen am Finanzplatz Deutschland durch die Umsetzung der<br />

geplanten Richtlinie der Europäischen Union zur Bekämpfung<br />

des Marktmissbrauchs<br />

Im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber die Umsetzung der europäischen<br />

Marktmissbrauchsrichtlinie in einer Reihe von Punkten bereits vorweggenommen. So orientieren<br />

sich die Regelungen im WpHG zur Kurs- und Marktpreismanipulation bereits an den Vorstellungen<br />

der Richtlinie. Allerdings beinhaltet die deutsche Regelung, wie etwa auch die Vorschrift des USamerikanischen<br />

Rechts ein Absichtselement, während der Manipulationstatbestand in der Richtlinie<br />

nach dem erklärten Willen der EU-Kommission nicht auf die Preisbeeinflussungsabsicht abstellt.<br />

Ebenso ist die Forderung der Richtlinie, in jedem Mitgliedstaat eine einzige Behörde zu bestimmen,<br />

die für die Anwendung aller Vorschriften der Richtlinie zuständig ist, auch im Hinblick auf die Verfolgung<br />

von Kurs- und Marktpreismanipulation bereits erfüllt. Gleichwohl können einzelne Befugnisse<br />

auf weitere Behörden delegiert werden.<br />

Auch Regelungen zur Offenlegung von Geschäften von Unternehmensinsidern (Directors’ Dealings)<br />

existieren bereits. Die Meldepflicht von Geschäften in eigenen Aktien nach deutschem Recht entspricht<br />

im Wesentlichen den Bestimmungen der Richtlinie. Eine Freigrenze bzw. Meldeschwelle wie<br />

in § 15 a WpHG sieht der Richtlinienentwurf aber nicht vor.<br />

Eine grundlegende Änderung für das bisherige deutsche Recht ergibt sich aus der Aufgabe der Trennung<br />

zwischen Insidertatsachen und Ad-hoc-Tatsachen. Denn nach der Richtlinie muss der Emittent<br />

künftig grundsätzlich bereits jede Insidertatsache veröffentlichen, soweit nicht berechtigte Interessen<br />

einer Veröffentlichung entgegenstehen.<br />

Im Insiderrecht wird durch die Richtlinie eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt, soweit es um den<br />

Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren geht. Zugleich wird das Weitergabeverbot von<br />

Insiderinformationen sowie das Empfehlungsverbot auf Sekundärinsider erweitert.<br />

Die Vorschrift über Interessenkonflikte bei Analysen ist in der Richtlinie insofern weiter als im<br />

deutschen Recht, da sich die Pflichten in Bezug auf Analysen und Research-Bericht, die zur Veröffentlichung<br />

bestimmt sind, nicht nur an Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten, sondern<br />

auch für sonstige juristische und natürliche Personen gelten.<br />

Die durch die Richtlinie vorgesehenen Mindestbefugnisse enthalten unter anderem das Recht der<br />

zuständigen Behörde auf Zugang zu allen Dokumenten sowie ein Auskunftsrecht gegenüber jeder<br />

Person, soweit dies für die Ausübung ihrer Aufgaben notwendig sein sollte. Darüber hinaus soll die<br />

zuständige Behörde auch zur Veröffentlichung von verhängten Sanktionen ermächtigt werden, was<br />

eine Neuerung im deutschen Recht bedeuten würde.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Ob letztlich zusätzlicher Anpassungsbedarf des deutschen Rechts entsteht, hängt maßgeblich von der<br />

weiteren Entwicklung der Marktmissbrauchsrichtlinie auf Stufe 2 des Komitologieverfahrens ab, auf<br />

der nähere Bestimmungen und technische Durchführungsmaßnahmen zu einzelnen Vorschriften der<br />

Richtlinie erarbeitet werden.<br />

37


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>?<br />

Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Prof. Theodor Baums, Universität Frankfurt *<br />

1. Corporate Governance in Deutschland<br />

Corporate Governance steht seit einigen Jahren in Deutschland im Mittelpunkt einer wirtschafts- und<br />

rechtspolitischen Diskussion. Hauptsächlich geht es dabei um die Bildung und Weiterentwicklung<br />

möglichst effizienter Grundsätze der Unternehmensführung, der Unternehmenskontrolle und der<br />

Transparenz in Unternehmen mit dem Ziel, eine langfristige Wertschöpfung im Interesse der Aktionäre<br />

zu erreichen. Der folgende Zwischenbericht stellt die Entwicklung der Diskussion und bisherige<br />

Ergebnisse dar und weist auf verbleibenden Reformbedarf hin.<br />

1.1. Hintergründe und Ziele der Corporate-Governance-Diskussion<br />

Fragen der Corporate Governance haben in jüngerer Zeit aus verschiedenen Gründen auch das Interesse<br />

der Öffentlichkeit auf sich gelenkt. Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche der letzten Jahre<br />

sind auch auf Schwächen des Systems der Unternehmensführung und -kontrolle zurückzuführen.<br />

Zudem erfordert die Internationalisierung der Kapitalmärkte eine Modernisierung des rechtlichen<br />

Regelwerks zur Corporate Governance. <strong>Deutsche</strong> Gesellschaften, die an ausländischen <strong>Börse</strong>n notiert<br />

sind oder sich notieren lassen wollen, müssen sich mit dortigen <strong>Börse</strong>nregeln und kapitalmarktrechtlichen<br />

Anforderungen auseinandersetzen, die nicht selten von den deutschen Gegebenheiten erheblich<br />

abweichen. Umgekehrt treten am deutschen Kapitalmarkt zunehmend internationale Investoren auf,<br />

die ihre Erwartungen an ihre Portfoliounternehmen herantragen. Die Internationalisierung der Kapitalmärkte<br />

führt zu einem Wettbewerb der Corporate-Governance-Systeme, dem sich der deutsche<br />

Kapitalmarkt stellen muss.<br />

Das deutsche Corporate-Governance-Regelwerk, das traditionell auf zwingenden Vorschriften des<br />

Aktiengesetzes, des Handels- und Mitbestimmungsrechts fußt, erweist sich zum einen im Vergleich<br />

mit anderen Rechtsordnungen mitunter als starr und unflexibel und weist zum anderen immer noch<br />

Defizite im Anlegerschutz auf, die beseitigt werden müssen. Allgemein gesprochen geht es darum,<br />

die Verhaltens- und Verantwortungsstandards für das Management zu präzisieren, die Kontrollmechanismen<br />

zu verbessern und die Unternehmenstransparenz zu erhöhen. Dabei sind die Möglichkeiten<br />

zu nutzen, die die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie bietet.<br />

1.2. Corporate Governance und Performance<br />

In verschiedenen Untersuchungen aus neuerer Zeit ist versucht worden, einen Zusammenhang<br />

zwischen Corporate Governance und Unternehmenswertentwicklung nachzuweisen. „Gute“ Corporate<br />

Governance soll die Performance positiv beeinflussen, während „schlechte“ Corporate Governance<br />

zu einer Zurückhaltung der Investoren, zu Risikoaufschlägen und damit zu einer Erhöhung der Kapitalkosten<br />

führen soll. Nach einer aktuellen Studie, in der mehr als 200 institutionelle Anleger aus 31<br />

Ländern befragt worden sind, messen Investoren der Corporate Governance genauso viel Wert bei wie<br />

den Finanzkennzahlen. Die Mehrheit der Investoren soll sogar bereit sein, für einen hohen Standard<br />

der Unternehmensleitung und -kontrolle eine Prämie zu zahlen, die zwischen 11 und 16 Prozent für<br />

westeuropäische und nordamerikanische Unternehmen beträgt (siehe Schaubild auf Seite 40).<br />

* Der Verfasser dankt seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Arne Lawall für hilfreiche Unterstützung.<br />

39


40 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Zuschlag, den Investoren für Unternehmen mit<br />

guter Corporate Governance zu zahlen bereit sind<br />

Land in Prozent<br />

Japan<br />

Italien<br />

Schweiz<br />

USA<br />

Spanien<br />

Deutschland<br />

Frankreich<br />

Schweden<br />

Großbritannien<br />

Kanada<br />

Westeuropa<br />

Nordamerika<br />

12<br />

11<br />

16<br />

15<br />

14<br />

14<br />

Quelle: McKinsey Global Investor Opinion Survey<br />

on Corporate Governance, 2002<br />

Die Frage lautete: „Nehmen Sie an, Sie überlegen sich, in Unternehmen<br />

A oder B aus dem gleichen Land zu investieren. Die bisherige<br />

Performance war so gut wie identisch und das zukünftige<br />

Marktpotenzial ist für beide Unternehmen ähnlich. Allerdings ...<br />

hat B ‘gute’ Standards für die ‘board governance’ eingeführt” – z.B.<br />

Mehrheit unabhängiger Vorstände oder an den Aktienkurs gekoppelte<br />

Honorierung. „... Wären Sie bereit, mehr für das Unternehmen<br />

B zu bezahlen als für Unternehmen A? Wenn ja, wie hoch<br />

schätzen Sie den prozentualen Zuschlag, den Sie zu zahlen bereit<br />

wären?”<br />

Andere empirische Untersuchungen beschäftigen sich mit Fragen wie etwa der Auswirkung der<br />

Aktionärsstruktur auf die Aufsichtsratsbesetzung und Unternehmenskontrolle. Für den deutschen<br />

Kapitalmarkt wurde festgestellt, dass im Vergleich mit anderen Ländern inländische Großunternehmen<br />

nach wie vor weitgehend dem Einfluss von Paketaktionären einerseits und Banken andererseits<br />

unterliegen. Als weitere Besonderheit wurde herausgestellt, dass nur schwer feststellbar ist, wer in<br />

einem Unternehmen letzten Endes über kontrollierende Beteiligungen oder institutionalisierten Einfluss<br />

verfügt. Als Gründe hierfür werden vielfältige Kapital- und personelle Verflechtungen, Inhaberaktien<br />

und das Depotstimmrecht der Banken angeführt. Diese fehlende Kontrolltransparenz soll zu<br />

höheren Kapitalkosten der Unternehmen führen, weil Investoren sich deshalb im Vergleich zu transparenteren<br />

Märkten eher zurückhielten. Fehlende Transparenz könne nur durch höhere Rendite ausgeglichen<br />

werden.<br />

Die Ergebnisse der verschiedenen Studien weichen allerdings je nach untersuchten Unternehmen,<br />

Zeiträumen und angewandten Methoden mehr oder weniger stark voneinander ab. Schlüsse können<br />

daraus nur mit großer Vorsicht gezogen werden. Überdies sind die angesprochenen Verflechtungen<br />

gerade in jüngerer Zeit infolge der Fokussierung des Geschäfts, Umstrukturierungen und Änderungen<br />

der steuerlichen Bedingungen sehr stark in Auflösung begriffen.<br />

13<br />

13<br />

13<br />

13<br />

14<br />

21


1.3. Stationen der Entwicklung<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Gesetzliche Regelungen zur Corporate Governance börsennotierter Gesellschaften finden sich vor<br />

allem im Aktiengesetz (AktG), im Abschnitt des Handelsgesetzbuchs (HGB) über Rechnungslegung<br />

und Abschlussprüfung sowie in den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen (MitbestG; Montan-<br />

MitbestG und MitbestErgG; BetrVG 1952). Der Gesetzgeber hat, teilweise durch europarechtliche<br />

Vorgaben veranlasst, insbesondere das Aktien- und Kapitalmarktrecht sukzessive modernisiert und<br />

dadurch die gesetzlichen Grundlagen für Anlegerschutz und gute Corporate Governance deutlich<br />

verbessert. Er hat sich insoweit für eine „Strategie der kleinen Schritte“ entschieden, indem er Reformvorhaben<br />

langfristig und behutsam durch einzelne Änderungen der bestehenden Gesetze umsetzt,<br />

statt, wie 1965 mit der großen Aktienrechtsreform geschehen, einen umfassenden Novellierungsversuch<br />

zu unternehmen.<br />

Vor allem das am 1. Mai 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich<br />

(KonTraG), das Vorschriften des Aktien- und Handelsrechts geändert hat, stellt einen<br />

solchen wichtigen Schritt zur Modernisierung des deutschen Corporate-Governance-Systems dar.<br />

Ziele des KonTraG waren die Beseitigung von Defiziten in der Überwachung der Vorstandstätigkeit<br />

durch den Aufsichtsrat und in der Abschlussprüfung sowie die Begrenzung der Bankenmacht.<br />

Neben Verbesserungen im Bereich von Aufsichtsrat und Abschlussprüfung wurde das Depotstimmrecht<br />

der Kreditinstitute eingeschränkt und das Hauptversammlungsrecht reformiert. Weitere Änderungen<br />

betrafen die Vergütung von Führungskräften durch Aktienoptionen, die Erleichterung des Rückkaufs<br />

eigener Aktien sowie die Abschaffung von Mehrfach- und Höchststimmrechten. Der Weg, der dabei<br />

beschritten wurde, war nicht der einer weiteren Regulierung durch zwingende gesetzliche Verbote.<br />

Mit dem KonTraG setzte der Gesetzgeber vielmehr auf Lenkung durch Offenlegungsvorschriften,<br />

bessere Selbstorganisation der Unternehmen und eine Verbesserung der vorhandenen Kontrollstrukturen.<br />

Mit dem Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (NaStraG), das<br />

am 18. Januar 2001 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber das Aktienrecht weiter an internationale<br />

Gepflogenheiten und die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

angepasst. Zum einen sollte die Namensaktie aufgewertet werden. Im Vergleich mit anderen Ländern,<br />

insbesondere den USA, ist die Namensaktie in börsennotierten deutschen Unternehmen bisher nur<br />

von untergeordneter Bedeutung. Das NaStraG erleichtert nunmehr die Umwandlung von Inhaber- in<br />

Namensaktien und umgekehrt. Gleichzeitig wurden die Stimmrechtsausübung und die Möglichkeit,<br />

Stimmrechtsvollmachten zu erteilen, reformiert und die Nutzung elektronischer Medien unterstützt.<br />

In einem weiteren Schritt hat der Gesetzgeber noch in der letzten Legislaturperiode das Gesetz zur<br />

weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zur Transparenz und Publizität (TransPuG) verabschiedet,<br />

das am 26. Juli 2002 in Kraft getreten ist. Parallel dazu hat eine Expertenkommission einen<br />

„<strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex“ erarbeitet, der am 26. Februar 2002 der Öffentlichkeit<br />

vorgestellt wurde und derzeit von den börsennotierten Gesellschaften implementiert wird. Für die<br />

gegenwärtige Legislaturperiode stehen weitere Reformen an, die das deutsche Corporate-Governance-<br />

System den Anforderungen globalisierter, moderner Kapitalmärkte weiter anpassen sollen.<br />

41


42 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

2. Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance<br />

und seine Umsetzung<br />

2.1. Die Regierungskommission<br />

Mit Schreiben vom 29. Mai 2000 hat Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Regierungskommission<br />

„Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des<br />

Aktienrechts“ (Regierungskommission) eingesetzt. Die Kommission erhielt den Auftrag, sich mit<br />

möglichen Defiziten des deutschen Systems der Unternehmensführung und -kontrolle zu befassen.<br />

Darüber hinaus sollte sie im Hinblick auf den durch Globalisierung und Internationalisierung der<br />

Kapitalmärkte sich vollziehenden Wandel der Strukturen deutscher Unternehmen und Märkte Vorschläge<br />

für eine Modernisierung des rechtlichen Regelwerks unterbreiten. Mitglieder der hochrangig<br />

besetzten Kommission waren Fachleute aus Unternehmen sowie Vertreter der „Stakeholder“ sowie<br />

aus Ministerien, Wissenschaft und Politik. Grundlage der Beratungen der Kommission waren Stellungnahmen<br />

in- und ausländischer Sachverständiger und Interessenverbände zu einem Fragenkatalog,<br />

den die Kommission im Sommer 2000 versandt hatte. In den Beratungen wurden Empfehlungen<br />

an die Bundesregierung erarbeitet, die von der Kommission einstimmig verabschiedet worden sind.<br />

2.2. Der Bericht der Regierungskommission<br />

Am 10. Juli 2001 hat die Regierungskommission dem Bundeskanzler ihren etwa 300-seitigen<br />

Abschlussbericht mit dem Titel „Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung<br />

des Aktienrechts“ vorgelegt. Der Bericht enthält rund 150 Vorschläge, teils an den Gesetzgeber, teils<br />

an eine – auf ihre Empfehlung hin eingesetzte – Kodex-Kommission. Die Vorschläge betreffen zum<br />

einen das allgemeine Grundlagenthema „Gesetzliche Regulierung und Corporate Governanc Kodex“,<br />

zum anderen die Einzelthemen „Pflichten und Befugnisse der Leitungsorgane Vorstand und Aufsichtsrat“,<br />

„Hauptversammlung, Aktionäre und Anleger“, „Rechtsfragen der Unternehmensfinanzierung“,<br />

„Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien im Aktien- und Kapitalmarktrecht“ sowie<br />

„Rechnungslegung und Abschlussprüfung“. Das Bundeskabinett hat den Abschlussbericht gebilligt<br />

und beschlossen, die Vorschläge in vollem Umfang umzusetzen.<br />

2.3. Umsetzung des Berichts<br />

Ein Teil der Vorschläge der Regierungskommission ist inzwischen bereits umgesetzt, und zwar zum<br />

einen durch den neu geschaffenen <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex sowie zum anderen durch<br />

das noch in der letzten Legislaturperiode erlassene Transparenz- und Publizitätsgesetz.<br />

2.3.1. <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex<br />

Eine wichtige Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance war, eine Expertengruppe<br />

zu berufen, die einen Corporate Governance Kodex für börsennotierte Gesellschaften erarbeiten sollte.<br />

Nach Vorstellung der Regierungskommission soll dieser Kodex zwei Aufgaben erfüllen: Zum einen<br />

soll er die zwingende gesetzliche Unternehmensverfassung für deutsche Aktiengesellschaften in ihren<br />

Grundzügen darstellen und so insbesondere ausländischen Investoren das deutsche Corporate-Governance-System<br />

verdeutlichen. Zum anderen soll er Empfehlungen enthalten, die, über die gesetzlichen<br />

Basisregeln hinausgehend, Grundsätze guter Corporate Governance aufstellen. Von diesen Grundsätzen<br />

sollten die Gesellschaften aber – anders als von zwingenden gesetzlichen Vorgaben – abweichen


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

dürfen, wenn sie dies öffentlich mitteilen und die Abweichung dem Kapitalmarkt erläutern (Prinzip<br />

des „entsprich oder erkläre“ – „comply or explain“). Der Kodex versucht insoweit also, eine Verbesserung<br />

der Corporate Governance zu erreichen, dabei aber eine weitere zwingende Regulierung zu<br />

vermeiden. Ganz auf dieser Linie einer Flexibilisierung liegt es, wenn die Regierungskommission,<br />

wo irgend möglich, anstelle neuer zwingender gesetzlicher Bestimmungen Empfehlungen an die<br />

Kodex-Kommission zur Aufnahme in den Kodex gerichtet hat.<br />

Die Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance, eine Expertenkommission zur<br />

Entwicklung des Kodex einzusetzen, ist von der Bundesregierung umgehend aufgenommen worden.<br />

Die von der Bundesjustizministerin einberufene Regierungskommission <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance<br />

Kodex (Kodex-Kommission) unter Vorsitz von Dr. Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender<br />

der ThyssenKrupp <strong>AG</strong>, hat am 26. Februar 2002 einen von ihr erarbeiteten Kodex verabschiedet und<br />

der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Kodex richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften;<br />

aber auch nicht notierten Gesellschaften wird empfohlen, den Kodex zu beachten. Der Kodex stellt<br />

zum einen das deutsche Corporate-Governance-System überschaubar dar. Zum anderen enthält er<br />

Empfehlungen, von denen abgewichen werden kann, wenn dies von der Gesellschaft entsprechend<br />

offengelegt wird, und weitere Anregungen, von denen die Gesellschaften ohne entsprechende Offenlegung<br />

abweichen können.<br />

Der Kodex ist national wie international auf großes Interesse und breite Zustimmung sowohl der<br />

Unternehmen wie der Anleger gestoßen und hat damit zweifellos das erste der beiden Ziele erreicht,<br />

nämlich bessere und verständliche Darstellung des deutschen Corporate-Governance-Systems. Dass<br />

die Implementierung und Beachtung des Kodex auch zu verbesserter Corporate Governance in den<br />

Unternehmen führen wird, steht zu erwarten.<br />

Die <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance Kommission besteht auch nach Veröffentlichung des Kodex<br />

fort und verfolgt die Entwicklung von Corporate Governance in Gesetzgebung und Praxis. Sie prüft<br />

mindestens einmal jährlich, ob der Kodex dieser Entwicklung anzupassen ist.<br />

2.3.2. TransPuG<br />

Der Gesetzgeber hat noch in der letzten Legislaturperiode, unmittelbar nach der Vorlage des Berichts<br />

der Regierungskommission, das TransPuG verabschiedet und damit in einem zweiten Schritt weitere<br />

wichtige Empfehlungen der Regierungskommission zur Reform des Unternehmensrechts umgesetzt.<br />

Im Schwerpunkt betreffen die Vorschriften den Aufsichtsrat und seine Informationsversorgung.<br />

Weitere Regelungen des TransPuG nehmen Vorschläge der Regierungskommission in den Bereichen<br />

Unternehmensfinanzierung, Hauptversammlung und Aktionärsrechte auf. Insbesondere ist durch<br />

das TransPuG ein neuer § 161 Aktiengesetz geschaffen worden, wonach Vorstand und Aufsichtsrat<br />

einer börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären haben, dass den vom Bundesministerium der<br />

Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der<br />

„Regierungskommission <strong>Deutsche</strong>r Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde oder welche<br />

Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Diese Erklärung ist den Anlegern, z. B. auf<br />

der Website der Gesellschaft, dauerhaft zugänglich zu machen.<br />

2.3.3. Weiterer Reformbedarf<br />

Die Empfehlungen der Regierungskommission, die wegen ihrer inhaltlichen Komplexität und des<br />

damit verbundenen erhöhten Diskussionsbedarfs bisher noch nicht umgesetzt worden sind, sollen in<br />

dieser Legislaturperiode angegangen werden.<br />

43


44 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

3. Ausgewählte Vorschläge der Regierungskommission Corporate Governance –<br />

Umsetzung und weiterer Handlungsbedarf<br />

3.1. Vorstand<br />

Die Empfehlungen der Regierungskommission Corporate Governance für den Vorstand betreffen<br />

insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat sowie positive und negative Anreize, die<br />

Einfluss auf die Tätigkeit des Vorstands haben können. An dieser Stelle kann nur auf einige Punkte<br />

näher eingegangen werden.<br />

3.1.1. Aktienoptionen und Offenlegung der Vorstandsgehälter<br />

Regelungsdefizite bestehen nach wie vor hinsichtlich der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, sofern<br />

die Vergütung Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung enthält. Vor allem Aktienoptionsprogramme,<br />

bei denen der Bezug von Aktien der Gesellschaft mit dem Erreichen bestimmter Erfolgsziele<br />

verbunden ist, haben in Deutschland in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die konventionelle<br />

Vergütung von Vorständen sollte so (im Detail durchaus fragwürdigen) internationalen „Standards“<br />

angepasst werden. Leider ist in diesem Zusammenhang unterlassen worden, auch internationale<br />

Standards zur Offenlegung der Bedingungen der Optionspläne zu übernehmen.<br />

Die Aktien, die zur Erfüllung solcher Bezugsrechte erforderlich sind, können durch den Rückerwerb<br />

eigener Aktien oder durch eine bedingte Kapitalerhöhung bereitgestellt werden. Dafür ist jeweils ein<br />

Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Im Vorfeld eines solchen Beschlusses ist für eine<br />

sachgemäße und angemessene Meinungsbildung der Aktionäre insbesondere die Kenntnis des<br />

Gesamtwerts des Optionsprogramms oder jedenfalls die Bandbreite des Wertes unerlässlich. Die<br />

Regierungskommission hat deshalb eine Empfehlung an die Kodex-Kommission gerichtet, als „best<br />

practice“ vorzusehen, dass der Vorstand bei Schaffung eines bedingten Kapitals oder einer Ermächtigung<br />

zum Rückerwerb eigener Aktien zur Bedienung von Aktienoptionen für Vorstände oder Mitarbeiter<br />

der Hauptversammlung über den Wert oder die Bandbreite des Werts berichtet. Die Kodex-Kommission<br />

hat diesen Vorschlag der Regierungskommission nicht übernommen. Der <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance<br />

Kodex enthält nur die Empfehlung, dass die konkrete Ausgestaltung eines Aktienoptionsplans<br />

oder eines vergleichbaren Vergütungssystems in geeigneter Form bekannt gemacht werden soll.<br />

Außerdem sollten der Wert der ausgeübten und noch ausstehenden Optionen, die Ausübungshürden,<br />

Laufzeiten und Haltefristen jährlich im Anhang des Jahresabschlusses oder im Geschäftsbericht<br />

veröffentlicht werden. Der <strong>Deutsche</strong> Corporate Governance Kodex enthält hierzu lediglich die unbestimmte,<br />

verbesserungsfähige Empfehlung, dass die Vergütung der Vorstandsmitglieder im Anhang<br />

des Konzernabschlusses aufgeteilt nach Fixum, erfolgsbezogenen Komponenten und Komponenten mit<br />

langfristiger Anreizwirkung ausgewiesen werden soll, sowie die Anregung, dass die Angaben individualisiert<br />

erfolgen sollten.<br />

Verbesserungswürdig ist auch die Regelung zur Fixierung von Erfolgszielen. Der Corporate Governance<br />

Kodex lässt bedauerlicherweise die ausschließliche Bindung an die Entwicklung des <strong>Börse</strong>nkurses<br />

der eigenen Aktie zu. Dies beschwört je nach Umfang des Programms und Marktentwicklung verschiedene<br />

Gefahren herauf (Änderung des Investitionshorizonts, Verstecken von Risiken und Pushen<br />

des Kurses; Belohnung von „underperformance“ und „windfall profits“). Eine solche Regelung sollte<br />

daher nicht als vom Kodex zugelassene „best practice“ angesehen werden.<br />

Die Regierungskommission Corporate Governance hat ferner davon abgesehen, eine quantitative<br />

Begrenzung der Gewinne aus erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteilen zu empfehlen. Sie hat es


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

für ausreichend erachtet, dass im Falle der Gewährung von Bezugsrechten auf junge oder zurückzuerwerbende<br />

Aktien die Hauptversammlung ein Mitwirkungsrecht hat, und sie im Falle vollständiger<br />

Information den Verwässerungseffekt durch Beschränkung der Anzahl der zu bewilligenden Aktien<br />

begrenzen kann. Außerdem hat sie auf den mäßigenden Einfluss der Mitbestimmung im deutschen<br />

Corporate-Governance-System gesetzt. Diese Erwartung trägt allerdings offenbar zumindest nicht<br />

immer, wie spektakuläre Fälle in der jüngsten Vergangenheit gezeigt haben. Im Hinblick darauf<br />

erscheint es angebracht, dass in Zukunft der Aufsichtsrat durch den Corporate Governance Kodex<br />

dazu angehalten wird, eine individuelle Begrenzung der Höhe der Gesamtvergütung einschließlich<br />

erfolgsabhängiger Vergütungen („cap“) festzulegen und dieses „cap“ zu veröffentlichen.<br />

3.1.2. Haftung<br />

Die in der Theorie durchaus strenge Haftung der Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften<br />

nach deutschem Recht versagt in der Praxis weitgehend. Vorstände und Aufsichtsräte<br />

nehmen sich nicht wechselseitig, in Vertretung der Gesellschaft, auf Schadensersatz in Anspruch,<br />

wenn man von extremen Ausnahmefällen absieht. Haftung von Organpersonen ist aber wichtig, nicht<br />

so sehr, um ex post Schäden der Gesellschaft auszugleichen, als vielmehr als (negativer) Anreiz ex<br />

ante. Dabei geht es nicht etwa darum, allgemeine Sorgfaltswidrigkeiten oder gar das Eingehen von<br />

Risiken abzuschrecken, sondern um die Abwehr von Gesetzesverstößen und illoyalem und treuepflichtwidrigem<br />

Verhalten.<br />

In ausländischen Rechtssystemen, insbesondere in den USA, kann jeder Aktionär in solchen Fällen<br />

namens der Gesellschaft klagen. Die bisher im deutschen Recht vorgesehenen Schwellenwerte und<br />

Hürden sind dagegen erheblich zu hoch und werden insbesondere den Verhältnissen einer Publikumsgesellschaft<br />

nicht gerecht. Die Regierungskommission hat deshalb ebenso wie bereits der <strong>Deutsche</strong><br />

Juristentag vorgeschlagen, das für eine entsprechende Aktionärsklage erforderliche Quorum von<br />

derzeit fünf Prozent des Grundkapitals oder Aktien im Wert von 500.000 Euro nominal auf einen<br />

Aktienbesitz in Höhe von einem Prozent des Grundkapitals oder mit einem <strong>Börse</strong>n- oder Marktwert<br />

in Höhe von 100.000 Euro herabzusetzen. Um missbräuchliche Aktionärsklagen auszuschalten,<br />

sollte vor die eigentliche Klage ein Klagezulassungsverfahren vor dem Prozessgericht vorgeschaltet<br />

werden.<br />

3.2. Aufsichtsrat<br />

3.2.1. Verbesserte Information und stärkere Überwachungsrechte des Aufsichtsrats<br />

Ein wichtiger Eckpfeiler des Berichts der Regierungskommission ist die verbesserte Versorgung des<br />

Aufsichtsrats mit den für seine Arbeit notwendigen Informationen. Dies betrifft vor allem die Zusammenarbeit<br />

des Aufsichtsrats mit dem Vorstand, aber z. B. auch die Information des Plenums über die<br />

Arbeit von Aufsichtsratsausschüssen und die Kooperation mit dem Abschlussprüfer. Wichtige Vorschläge<br />

der Regierungskommission hierzu sind bereits durch den Corporate Governance Kodex und<br />

das TransPuG umgesetzt worden. Beispielsweise ist nach einer Änderung des Aktiengesetzes dem<br />

Aufsichtsrat nunmehr über die Arbeit der Ausschüsse regelmäßig zu berichten. Außerdem wurde die<br />

Regelberichterstattung durch den Vorstand erweitert und schließt jetzt Tochterunternehmen ein.<br />

Ebenfalls neu ist die Pflicht des Vorstands, dem Aufsichtsrat über die Umsetzung der Unternehmensplanung<br />

in der Vergangenheit zu berichten (Follow-up-Berichterstattung). Berichte des Vorstands sind<br />

künftig möglichst rechtzeitig und grundsätzlich in Textform zu erstatten. Der Gesetzgeber hat in das<br />

Aktiengesetz außerdem die Verpflichtung aufgenommen, einen Katalog von Geschäften zu fomulieren,<br />

die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen.<br />

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46 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Eine Empfehlung, die der Gesetzgeber bisher noch nicht umgesetzt hat, betrifft das konzernweite<br />

Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft hat<br />

zwar die Konzerngeschäftsleitung durch den Vorstand zu prüfen und auch den Konzernabschluss zu<br />

billigen. Dem entspricht das Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats derzeit aber nicht. Der<br />

Aufsichtsrat darf nach geltendem Recht Unterlagen der Tochtergesellschaften nicht selbst einsehen,<br />

prüfen oder einen Sachverständigen damit beauftragen. Eine Erweiterung des Einsichts- und Prüfungsrechts<br />

des Aufsichtsrats erscheint insofern angezeigt. Der Aufsichtsrat sollte einen zur Verschwiegenheit<br />

verpflichteten Sachverständigen bestellen können, der Bücher und Schriften von Tochtergesellschaften<br />

einsehen und prüfen sowie von deren gesetzlichen Vertretern Aufklärung und Nachweise<br />

verlangen darf.<br />

3.2.2. Prüfung der Effizienz des Aufsichtsrats<br />

Die Regierungskommission Corporate Governance hat auch das international breit diskutierte Thema<br />

„Effizienzprüfung des Board/Aufsichtsrats“ erörtert. Ihr Abschlussbericht führt dazu aus, dass es Angelegenheit<br />

und Aufgabe jedes Aufsichtsrats selbst ist, einen solchen Evaluierungsprozess anzustoßen<br />

und in Gang zu halten. Die Regierungskommission hat deshalb weder der Kodex-Kommission noch<br />

gar dem Gesetzgeber einen konkreten Vorschlag zur Selbst- oder Fremdevaluierung der Tätigkeit des<br />

Aufsichtsrats unterbreitet. Die Kodex-Kommission hat in den <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex<br />

jedoch die Empfehlung aufgenommen, dass der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit<br />

überprüfen solle. Die Art und Weise dieser Prüfung bleibt dabei jedem Aufsichtsrat selbst überlassen.<br />

Der internationalen Praxis folgend kommt hier entweder eine Prüfung durch externe Berater („board<br />

review“) oder eine Selbstevaluierung in Betracht. Eine einfache Möglichkeit der Selbstevaluierung<br />

besteht darin, einen auf die Verhältnisse der konkreten Gesellschaft zugeschnittenen Fragebogen zu<br />

entwickeln, mit seiner Hilfe Arbeit, Besetzung usw. des Aufsichtsrats von dessen Mitgliedern anhand<br />

eines Punktesystems bewerten zu lassen und die Ergebnisse der weiteren Arbeit zugrunde zu legen.<br />

3.2.3. Prüfungsausschüsse<br />

Der Bericht der Regierungskommission Corporate Governance enthält eingehende Überlegungen zur<br />

Einrichtung von Prüfungsausschüssen („Audit Committees“). Nach Ansicht der Regierungskommission<br />

kann die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, der seinen Ursprung in angelsächsischen Ländern<br />

mit einstufigem Verwaltungsratsmodell hat, auch in der dualistischen Unternehmensverfassung mit<br />

Vorstand und Aufsichtsrat vorteilhaft sein. Das Aufsichtsratsplenum wird nämlich von der gesetzlich<br />

vorgesehenen Aufgabe der notwendig eingehenden und zeitnahen (Stichwort: „fast close“) Prüfung<br />

entlastet. Das Audit Committee gestattet, den durch die Ausschussmitglieder vertretenen Aufsichtsrat<br />

schon vor der endgültigen Aufstellung von Jahresabschluss und Lagebericht einzubeziehen,<br />

und fördert die Entwicklung und den Einsatz spezieller Kenntnisse von Aufsichtsratsmitgliedern in<br />

diesem Bereich.<br />

Um eine möglichst große Organisationsflexibilität zu wahren, hat die Regierungskommission vom<br />

Vorschlag einer gesetzlichen Regelung abgesehen und der Kodex-Kommission empfohlen, entsprechende<br />

Kriterien für die Einrichtung, Besetzung und Aufgaben eines Prüfungsausschusses<br />

aufzustellen. Die Kodex-Kommission ist dem nachgekommen. Eine börsennotierte Gesellschaft soll<br />

im Regelfall einen Prüfungsausschuss einrichten, der sich – neben der Rechnungslegung – mit Fragen<br />

des Risikomanagements befassen, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers thematisieren, den<br />

Prüfungsauftrag an den Abschlussprüfer erteilen, Prüfungsschwerpunkte festlegen und die Honorarvereinbarung<br />

treffen soll. Ferner regt der Kodex an, dass der Vorsitzende des Ausschusses kein ehemaliges<br />

Vorstandsmitglied der Gesellschaft sein sollte. Das ist zu begrüßen.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

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Wünschenswert erscheint aber, dass der Kodex an dieser Stelle weiter präzisiert wird. Das betrifft<br />

zum einen die – übrigens allgemein an den Aufsichtsrat zu stellende – Frage der Unabhängigkeit<br />

und Qualifikation seiner Mitglieder, zum anderen die Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung<br />

und der Unabhängigkeit der Prüfer. Insbesondere sollte das Audit Committee mit dem Abschlussprüfer<br />

einen Leistungskatalog erarbeiten und sicherstellen, dass Vergabe und Durchführung des<br />

Prüfungsauftrages sich nicht ausschließlich als Ergebnis eines Bieterwettbewerbs mit niedrigen<br />

Honoraren, aber qualitativ schlechter Arbeit darstellt (siehe dazu auch den Beitrag von Prof. Jörg<br />

Baetge, Seite 65 ff). Außerdem erscheint es wünschenswert, wenn künftig der Aufsichtsrat oder,<br />

falls vorhanden, das Audit Committee sich die Zustimmung zu Beratungsaufträgen oder sonstigen<br />

Geschäften der Gesellschaft mit der den Abschluss prüfenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorbehält.<br />

Auch das könnte der Kodex künftig als „best practice“ vorsehen.<br />

3.3. Hauptversammlung<br />

Die im Bericht der Regierungskommission Corporate Governance enthaltenen Vorschläge zur Reform<br />

des Hauptversammlungsrechts empfehlen insbesondere, den bereits eingeschlagenen Weg der<br />

Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien weiterzugehen. Die Information<br />

der Aktionäre und Anleger, die Abwicklung von Hauptversammlungen sowie die Kommunikation<br />

zwischen Gesellschaft und Aktionären sollen effizienter gestaltet werden.<br />

Den Vorschlag der Regierungskommission, künftig Veröffentlichungen auch in einer elektronischen<br />

Version des Bundesanzeigers publizieren zu können, hat der Gesetzgeber bereits im TransPuG übernommen.<br />

Gegenanträge von Aktionären zu Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung brauchen<br />

künftig den Aktionären nicht mehr vorab mitgeteilt zu werden. Es genügt jetzt, solche Gegenanträge<br />

in allgemein zugänglicher Form, beispielsweise auf der Internetseite der Gesellschaft, zu veröffentlichen.<br />

Zu begrüßen ist auch, dass das Aktiengesetz die telekommunikative Übertragung der Hauptversammlung<br />

erlaubt, und zwar auch ohne konkretes Einverständnis des jeweiligen Redners, sofern<br />

die Satzung dies vorsieht. Aufsichtsratsmitglieder können künftig in begründeten Ausnahmefällen an<br />

der Hauptversammlung per Telekommunikation teilnehmen. Dies kommt dem Interesse der Gesellschaften<br />

entgegen, ihre Aufsichtsräte zunehmend mit internationalen Mitgliedern zu besetzen.<br />

Weitere regelungsbedürftige Fragen in diesem Zusammenhang sind dagegen bisher noch offen.<br />

So sollte das Hinterlegungserfordernis für Aktien, wenn ein Anteilseigner an der Hauptversammlung<br />

teilnehmen will, abgeschafft werden. Internationalen Standards entsprechend sollte es ausreichen,<br />

dass sich die Aktionäre künftig bis spätestens zum siebten Tag vor der Hauptversammlung anmelden<br />

und ihren Aktienbesitz nachweisen müssen. Die entsprechende Empfehlung der Regierungskommission<br />

hat der Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt. Des Weiteren sollten Aktionäre künftig an der<br />

Hauptversammlung ohne körperliche Anwesenheit teilnehmen und ihre Rechte im Wege elektronischer<br />

Kommunikation ausüben können. Dies würde ausländischen Aktionären die Teilnahme an der<br />

Hauptversammlung erheblich erleichtern.<br />

Wünschenswert ist ferner, einen „Wettbewerb der Stimmrechtsvertretungen“ zu ermöglichen. Die Anleger<br />

sollten nicht nur vor der Alternative stehen, entweder selbst Vorschläge zu entwickeln oder aber<br />

die Verwaltung oder ihre Depotbank zu ermächtigen, entsprechend deren Vorschlägen abzustimmen.<br />

Die Webseite der Gesellschaft sollte vielmehr darüber hinaus Links zu den Vorschlägen der drei Aktionärsvertretungen<br />

oder unabhängigen professionellen Stimmrechtsvertretern vorsehen, die auf der<br />

letzten Hauptversammlung die meisten Stimmrechte vertreten haben. Bedauerlicherweise hat der<br />

Kodex diese Empfehlung der Regierungskommission nicht aufgegriffen.<br />

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48 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Die Regierungskommission hat eine Reihe weiterer Vorschläge vorgelegt, die zu einer effizienteren<br />

Abwicklung von Hauptversammlungen und sachgerechteren Ausgestaltung ihrer Befugnisse beitragen<br />

sollen, ohne die Rechte der Aktionäre unangemessen zu beschneiden. So hat sie z. B. empfohlen,<br />

dass im Interesse einer zeitlichen Entlastung der Hauptversammlung sowie einer Verringerung des<br />

Risikos der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen der Vorstand eine Information in der<br />

Hauptversammlung verweigern kann, die bis zum Ende der Hauptversammlung auf der Internetseite<br />

der Gesellschaft abrufbar ist und gleichzeitig in der Hauptversammlung schriftlich ausliegt. Dies<br />

könnte z. B. für umfangreiche Unterlagen und Zahlenwerke von Interesse sein. Ferner müssen missbräuchliche<br />

Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse in Zukunft wirksamer als<br />

bisher ausgeschlossen werden. Insbesondere Anfechtungsklagen, die sich gegen Strukturmaßnahmen<br />

richten, können zu schweren Nachteilen für die Gesellschaft führen, weil sich die Handelsregistereintragung<br />

regelmäßig durch die Klage verzögert. Dies ist nur gerechtfertigt, wenn ein überwiegendes<br />

Rechtsschutzbedürfnis des Anfechtungsklägers hieran ersichtlich ist.<br />

3.4. Aktionäre und Anlegerschutz<br />

3.4.1. Haftung für Falschinformation des Kapitalmarkts<br />

Wie die Verhältnisse am Neuen Markt gezeigt haben, bedarf der Schutz der Anleger vor öffentlichen<br />

Falschinformationen seitens einer börsennotierten Gesellschaft und ihrer Leitungsorgane dringend<br />

der Verbesserung. Im internationalen Vergleich weist die Haftung für falsche oder irreführende öffentliche<br />

Informationen nach deutschem Recht deutliche Mängel auf. Die Regierungskommission hat<br />

deshalb empfohlen, das deutsche Recht internationalen Standards anzupassen. So sollten künftig<br />

Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats einer börsennotierten Gesellschaft auch persönlich<br />

haften, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig den Kapitalmarkt mit falschen Informationen versorgt,<br />

dadurch den Anleger zu einem Kauf oder Verkauf veranlasst und ihm einen Schaden zugefügt haben.<br />

Nach dem Vorschlag der Regierungskommission sollte die Haftung bei grober Fahrlässigkeit, für die<br />

in der Praxis ohnehin eine Versicherung genommen werden dürfte, auf einen Höchstbetrag beschränkt<br />

werden. Der Tatbestand der Vorschrift sollte alle gesetzlich vorgeschriebenen Kapitalmarktinformationen<br />

erfassen, wie Zwischenberichte, Konzernabschluss oder Ad-hoc-Mitteilungen, aber auch sonstige<br />

für den Kapitalmarkt bestimmte Darstellungen, wie z. B. Angaben im Geschäftsbericht oder Auskünfte<br />

in der Hauptversammlung.<br />

Diesen Vorschlag hat der Gesetzgeber bisher noch nicht aufgegriffen. Durch das am 1. Juli 2002 in<br />

Kraft getretene Vierte Finanzmarktförderungsgesetz ist zwar eine Schadensersatzpflicht für fehlerhafte<br />

Ad-hoc-Mitteilungen in das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) aufgenommen worden. Dabei<br />

handelt es sich jedoch nur um eine Teilregelung des Fragenkreises. Die Vorschrift erfasst nur das<br />

vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung einer ad-hoc-publizitätspflichtigen<br />

Tatsache sowie die vorsätzliche oder grobfahrlässige Veröffentlichung unwahrer Tatsachen<br />

in einer Ad-hoc-Mitteilung. Außerdem trifft die Schadensersatzpflicht nicht die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder<br />

der Gesellschaft persönlich, sondern die Gesellschaft selbst. Dies überzeugt<br />

rechtspolitisch kaum, weil die geschädigten Aktionäre und Anleger sich gewissermaßen selbst entschädigen,<br />

wenn der Schadensersatz von der Gesellschaft, an der sie beteiligt sind, geleistet wird.<br />

Dass die Gesellschaft intern vielleicht Regress bei den verantwortlichen Organmitgliedern nehmen<br />

könnte, ist jedenfalls bisher aus den oben (3.1.2.) angedeuteten Gründen Theorie und hilft den<br />

Anlegern bei Insolvenz der Gesellschaft nicht weiter. Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf.


3.4.2. Anlegerschutz durch Klagenbündelung<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Für einen funktionierenden Kapitalmarkt kommt es nicht nur darauf an, dass Aktionäre und Anleger<br />

materiellrechtlich vor Betrug und grob fahrlässigen Falschinformationen geschützt werden. Es muss<br />

auch prozessual ein effektiver Rechtsschutz sichergestellt werden. Dafür reicht es nicht aus, dass<br />

jeder einzelne Anleger individuell Klage erheben kann sondern der Rechtsschutz muss, im Interesse<br />

der Anleger, aber auch der Emittenten, um einen Kollektivvertretungsmechanismus ergänzt werden.<br />

Für die Einführung einer solchen zivilprozessualen Klagenbündelung sprechen folgende Gründe. Eine<br />

Falschinformation des Kapitalmarkts, die zu einem Schaden führt, wirkt sich typischerweise so aus,<br />

dass viele Einzelpersonen einen jeweils überschaubaren Einzelschaden erleiden. Die Einzelschäden<br />

können sich freilich zu einem erheblichen Gesamtschaden summieren. Will bzw. muss jeder einzelne<br />

Anleger allein seinen Schaden einklagen, so entstehen erhebliche Koordinations- und Anreizprobleme.<br />

Denn jeder Einzelkläger muss sich die für die Klage erforderlichen Informationen selbst beschaffen<br />

und einen eigenen Anwalt beauftragen. Überdies kommt einer Vielzahl von Einzelklägern nicht die<br />

Kostendegression bei den Anwalts- und Prozesskosten zugute, die sich ergäbe, wenn nur ein einziger<br />

großer Gesamtschaden eingeklagt würde. Die individuelle Verfolgung von Massenschäden ist somit<br />

ineffizient und teurer als die Verfolgung eines hohen Schadens durch einen Kläger. Der „kleine“<br />

Anleger wird deshalb das Risiko eines Prozesses eher scheuen als ein Großanleger. Umgekehrt bedeutet<br />

das für den Schädiger, dass ein Betrug gegenüber vielen kleinen Anlegern weniger riskant ist<br />

als gegenüber einem Großanleger. Im Übrigen wäre auch für einen Beklagten die Verteidigung gegen<br />

viele Einzelklagen schwieriger und teurer als gegen einen Kläger.<br />

Die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen wäre überdies auch für die Justiz von Vorteil. Ein (Groß-)<br />

Verfahren belastet die Gerichte insgesamt weniger als vielleicht mehrere tausend verschiedene (Klein-)<br />

Verfahren. Man denke nur an die Kostenverwaltung, Ladungen usw. Die individuelle Verfolgung von<br />

Massenschäden nimmt knappe Justizreserven in Anspruch und ist auch deshalb ineffizient. Wenn<br />

überdies Klagen bei verschiedenen Gerichten eingereicht werden, ist auch die Gefahr gegenläufiger<br />

Entscheidungen bei gleichem Tatsachenstoff und gleichen Rechtsfragen nicht auszuschließen.<br />

Ein Kollektivvertretungsmechanismus in solchen Anlegerschutzprozessen wäre deshalb auch für den<br />

deutschen Kapitalmarkt vorteilhaft. Ohne effektiven Rechtsschutz gegen Schädigungen am Kapitalmarkt<br />

fordern Investoren eine höhere Risikoprämie. Die Eigenkapitalaufnahme für alle Unternehmen<br />

wird dadurch teurer, nicht nur für die schwarzen Schafe.<br />

Die Regierungskommission Corporate Governance hat aus all diesen Gründen vorgeschlagen, ein<br />

Verfahren zur Bündelung von Individualschadensersatzklagen einzuführen; dem hat sich der <strong>Deutsche</strong><br />

Juristentag 2002 der Sache nach angeschlossen. Eine „Class Action“ US-amerikanischer Prägung<br />

mit Erfolgshonorarversprechen für Anwälte und der damit zu erwartenden Klagenindustrie wird<br />

allerdings klar und deutlich abgelehnt. Zugleich hat sich die Regierungskommission gegen jeden<br />

Kollektivzwang ausgesprochen; jeder Anleger soll seinen Anspruch auch künftig individuell einklagen<br />

können. Die Regierungskommission schlägt vor, dass künftig jeder geschädigte Anleger bei dem<br />

zuständigen Prozessgericht beantragen können soll, dass das Gericht für die Anleger einen gemeinsamen<br />

Vertreter bestellt. Die Figur des gemeinsamen Vertreters ist dem deutschen Recht übrigens<br />

nicht fremd. Der bestellte Vertreter weist die Anleger öffentlich darauf hin, dass eine Klage beabsichtigt<br />

ist und dass Ansprüche bei ihm angemeldet werden können. Die Anmeldung erfolgt freiwillig.<br />

Bei Obsiegen wird die eingeforderte Summe verteilt, bei Unterliegen teilen sich die beteiligten Anleger<br />

in die angefallenen Kosten.<br />

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50 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

3.5. Unternehmenspublizität<br />

Ein weiterer Bereich, in dem Deutschland Aufholbedarf im Interesse eines effizienteren Kapitalmarkts<br />

hat, betrifft die Medien der Unternehmenspublizität. Die Unternehmenspublizität erfolgt derzeit über<br />

mehrere Datensammlungen: das Handelsregister, den Bundesanzeiger, sonstige Gesellschaftsblätter,<br />

die Beteiligungsdatenbank der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Sammlung<br />

der Ad-hoc-Mitteilungen sowie die Archivierung der Zwischenberichte bei den <strong>Börse</strong>n. Neben<br />

der zügigen elektronischen Erfassung aller publizitätspflichtigen Unternehmensdaten in diesen Dateien<br />

muss im Interesse der Kostensenkung, der Erleichterung der Information und der Steigerung der<br />

Transparenz möglichst umgehend ein einheitlicher Zugang zu diesen elektronischen Dateien von einem<br />

einheitlichen Zugangsportal aus geschaffen werden. Deutschland befindet sich in diesem Bereich im<br />

internationalen Vergleich regulatorisch und technologisch im Rückstand. Die Regierungskommission<br />

hat deshalb empfohlen, ein solches Zugangsportal („<strong>Deutsche</strong>s Unternehmensregister“) einzurichten,<br />

das dem Geschäftsverkehr und den Kapitalmarktteilnehmern über elektronische Links den Weg zu den<br />

amtlichen, öffentlichen Unternehmensdateien eröffnet.<br />

3.6. Rechnungslegung und Abschlussprüfung<br />

3.6.1. Zwischenberichte und Risikomanagement<br />

Ein Vorschlag der Regierungskommission Corporate Governance betrifft die international übliche<br />

Pflicht zur Vorlage von Quartalsberichten, die der regelmäßigen, zeitnahen und verlässlichen Information<br />

der Anleger dient. Es sollte eine gesetzliche Verpflichtung aller börsennotierten Gesellschaften<br />

zur Vorlage von Quartalsberichten eingeführt werden. Die Einwendungen eines bekannten deutschen<br />

Autobauers gegen diese Rechenschaftspflicht gegenüber seinen Geldgebern sind unbegründet.<br />

Darüber hinaus sollten die Quartalsberichte einer prüferischen Durchsicht („review“) seitens eines<br />

Wirtschaftsprüfers und des Aufsichtsrats unterliegen.<br />

Die weitere Empfehlung der Regierungskommission, das Risikomanagement in börsennotierten<br />

Gesellschaften zu verbessern, hat der Gesetzgeber bereits übernommen. Das TransPuG hat § 317<br />

HGB dahin geändert, dass sich die Prüfungs- und Berichterstattungspflicht des Abschlussprüfers zu<br />

Einrichtung und Funktionsfähigkeit des Risikoüberwachungssystems des geprüften Unternehmens<br />

künftig auf alle börsennotierten Gesellschaften erstreckt. Bisher galt die Regelung nur für Unternehmen,<br />

deren Aktien zum Handel im amtlichen Markt zugelassen waren.<br />

3.6.2. Enforcement der Rechnungslegung<br />

Die in Deutschland bestehenden Mechanismen zur Sicherung der Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung<br />

(Enforcement) sind nach mehreren Unternehmenskrisen in den letzten Jahren – dies gilt<br />

insbesondere für verschiedene am Neuen Markt notierte Gesellschaften – als unzureichend kritisiert<br />

worden. Dieser Kritik hat sich auch die Regierungskommission angeschlossen. Anders als z. B. in den<br />

USA und in Großbritannien fehlt in Deutschland eine Einrichtung oder Behörde, die Beschwerden oder<br />

Anregungen von Anlegern oder Gläubigern oder auch öffentlichen Hinweisen auf behauptete Fehler<br />

in der Rechnungslegung einer börsennotierten Gesellschaft nachgeht. Die Regierungskommission hatte<br />

sich dafür ausgesprochen, hierfür eine privatwirtschaftlich getragene und organisierte Einrichtung nach<br />

dem Vorbild des britischen „Financial Reporting Review Panel“ ins Leben zu rufen. Diese Einrichtung<br />

sollte nach von ihr erstellten Verfahrensvorschriften im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen<br />

möglichen Verstößen gegen Rechnungslegungsvorschriften und -standards nachgehen. Im<br />

Falle fehlender Kooperation der jeweiligen Gesellschaft sollte die Einrichtung das Recht haben, gegen


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

den Jahresabschluss oder dessen Feststellung durch die Hauptversammlung gerichtlich vorzugehen.<br />

Die seit der Vorlage des Berichts der Regierungskommission zu beobachtenden Bilanzfälschungsfälle<br />

werfen allerdings die Frage auf, ob die Einrichtung einer privatwirtschaftlich getragenen Enforcement-<br />

Instanz allein ausreichen wird, um das Vertrauen der Märkte in die Konzernabschlüsse und in die<br />

Wirksamkeit der Abschlussprüfung wieder herzustellen. Einer privatwirtschaftlich organisierten und<br />

getragenen Einrichtung fehlen Auskunfts- und Untersuchungsbefugnisse; die Klage vor einem Zivilgericht<br />

kann dies nicht wettmachen. Deshalb dürfte nicht zu umgehen sein, dass sich ein solches<br />

„Enforcement“-Panel notfalls der Unterstützung der BaFin vergewissern kann. Ein solches „duales<br />

System“ zur Durchsetzung einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung erscheint als überzeugenderer<br />

Weg, um die derzeitigen Defizite zu beheben. Die Kombination einer privatwirtschaftlich organisierten<br />

und getragenen „Ombuds-Stelle“ mit der subsidiär gegebenen Möglichkeit der BaFin, ihre verwaltungsrechtlichen<br />

Zwangsbefugnisse dort einzusetzen, wo das Panel nicht weiterkommt, hätte die üblichen<br />

Vorteile privater Lösungen für sich, ohne in äußersten Fällen auf den Einsatz von Zwangsbefugnissen<br />

verzichten zu müssen (siehe dazu den Beitrag von Prof. Jörg Baetge, Seite 65 ff).<br />

3.6.3. Unabhängigkeit des Abschlussprüfers<br />

Von zentraler Bedeutung ist des Weiteren, wie die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer besser und<br />

deutlicher als bisher sichergestellt werden kann. Auch hier weist das geltende Recht Lücken auf, die<br />

beseitigt werden müssen. Die Regierungskommission hat insofern vorgeschlagen, dass sich der zur<br />

Wahl vorgesehene Abschlussprüfer dem Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss gegenüber zu<br />

solchen Umständen zu erklären hat, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten (Unabhängigkeitserklärung<br />

des Abschlussprüfers). Ferner sollte in den Corporate Governance Kodex auch<br />

eine Empfehlung aufgenommen werden, dass während des erteilten Mandats auftretende Inkompatibilitäts-<br />

oder Befangenheitsgründe sofort dem Aufsichtsrat mitzuteilen sind.<br />

Dem folgend hat die Kodex-Kommission in den <strong>Deutsche</strong>n Corporate Governance Kodex entsprechende<br />

Bestimmungen aufgenommen. Die bisherigen Empfehlungen dürften freilich nicht genügen, um die<br />

Unabhängigkeit der Abschlussprüfer wirklich zu sichern. Radikale Vorschläge allerdings wie etwa,<br />

die Abschlussprüfung und das Beratungsgeschäft institutionell aufzuspalten oder eine Zwangsrotation<br />

einzuführen, sind nicht angezeigt. Der Gesetzgeber wird aber nicht umhin können, den Katalog<br />

der einem Abschlussprüfer untersagten Geschäfte der internationalen Entwicklung entsprechend zu<br />

überarbeiten und enger zu fassen. Danach zulässig bleibende Aufträge an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft,<br />

die den Abschluss prüft, sollten künftig nur mehr mit Zustimmung des Aufsichtsrats<br />

erteilt werden können.<br />

Verstärkt werden könnte die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer und die Qualität ihrer Arbeit durch<br />

einen Ethikkodex, der über die gesetzlichen Mindestregeln hinaus Verhaltensstandards als „best<br />

practice“ vorsehen und im Prüfungsauftrag der Gesellschaft als Grundlage festgeschrieben werden<br />

könnte. Wird eine Gesellschaft insolvent, dann sollten die Prüfungsberichte der letzten Jahre offen<br />

gelegt werden; auch diese Vorkehrung könnte dem Abschlussprüfer gerade in der Krise eines Unternehmens<br />

den Rücken stärken.<br />

Der Verbesserung bedarf schließlich auch die Berufsaufsicht über die Abschlussprüfer, die bisher im<br />

Wege der Selbstorganisation durch die Wirtschaftsprüferkammer stattfindet. Die Berufsaufsicht über<br />

die als Abschlussprüfer tätigen Wirtschaftsprüfer sollte stärker als bisher unabhängig ausgestaltet<br />

werden.<br />

51


52 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

4. Das zweistufige deutsche System und die Mitbestimmung<br />

4.1. Aufsichtsrat und Board-Modell<br />

In der Corporate-Governance-Diskussion wird gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob das international<br />

verbreitete einstufige Board-(Verwaltungsrats-)Modell („One-tier“-System) dem deutschen<br />

zweistufigen Vorstands-/Aufsichtsratsmodell („Two-tier“-System) überlegen ist. Daran schließt sich<br />

gelegentlich sogar die Forderung an, das international verbreitete Verwaltungsratsmodell in das<br />

deutsche Recht zu übernehmen. Die Regierungskommission hat allerdings keinen Anlass gesehen,<br />

vom traditionellen zweistufigen deutschen Modell in der Aktiengesellschaft abzugehen.<br />

Verschiedene Gründe sprechen gegen eine Übernahme des „One-tier“-Systems in das deutsche<br />

Aktienrecht. Bisher gibt es keinen Nachweis dafür, dass eines der Systeme dem anderen prinzipiell<br />

überlegen ist. Das einstufige Führungssystem hat den Zusammenbruch großer und wichtiger Unternehmen<br />

ebenso wenig verhindert wie das zweistufige System. Ob Management und Aufsicht in<br />

zwei unterschiedliche Organe aufgeteilt werden oder eine Trennung zwischen „Inside“ und „Outside<br />

Directors“ innerhalb eines Organs stattfindet, ist nur von untergeordneter Bedeutung. Gutes Management<br />

und gute Aufsicht hängen vielmehr davon ab, wie die Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben<br />

rechtlich sichergestellt wird. Insbesondere die Integrität und Qualifikation der handelnden Personen<br />

spielen die maßgebende Rolle. Häufig wird in der Diskussion das deutsche duale Führungssystem<br />

auch mit den Themen „Größe der Aufsichtsräte“ und „Mitbestimmung“ vermengt. Diese Fragen sind<br />

aber voneinander zu trennen.<br />

In der Unternehmenspraxis zeichnet sich überdies eine faktische Annäherung der beiden Systeme ab.<br />

Im einstufigen System ist eine zunehmende Tendenz zu erkennen, die Funktionen von Chairman und<br />

Chief Executive Officer zu trennen. „Board Subcommittees“ werden mehrheitlich mit unabhängigen<br />

Outside Directors besetzt. Umgekehrt ist die Regierungskommission Corporate Governance bestrebt<br />

gewesen, die Information des Aufsichtsrats zu verbessern, negative und positive Anreize für eine<br />

höhere Effizienz der Aufsichtsratsarbeit zu schaffen und so die Qualität der Aufsichtsratsarbeit zu erhöhen.<br />

Die Regierungskommission hat sich auch die Frage gestellt, ob sie eine Empfehlung abgeben sollte,<br />

nach französischem Vorbild den Gesellschaften ein Wahlrecht zwischen einstufigem und zweistufigem<br />

Führungsmodell einzuräumen. Diesen Vorschlag, der durchaus attraktiv erschien, hat sie gleichwohl<br />

nicht unterbreitet. Ein solches Optionsmodell würde erhebliche und außerordentlich schwierige<br />

Änderungen des deutschen Aktien- und Mitbestimmungsrechts erfordern. Da sich der Gesetzgeber<br />

ohnedies im Rahmen der Einführung der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft („Societas<br />

Europaea“) mit der Einpassung des ein- und zweistufigen Führungsmodells befassen muss, sollten<br />

die dabei zu gewinnenden Erfahrungen abgewartet werden.<br />

Die Regierungskommission hat sich auf eine – an sich wünschenswerte – Verkleinerung der Aufsichtsräte<br />

nicht einigen können. Vergleicht man die Größe der Führungsorgane großer deutscher<br />

Gesellschaften (Vorstand und Aufsichtsrat) mit der ihrer ausländischen Wettbewerber, dann wird<br />

deutlich, dass eine effiziente Beratung mit offener Aussprache und Kritik in Gremien mit oft mehr<br />

als 30 Mitgliedern kaum möglich sein dürfte. Das deutsche Corporate-Governance-System muss daher<br />

verstärkt auf Ausschussarbeit und separate Vorbereitung von Plenarsitzungen, aber auch auf<br />

entsprechende Information und Einbindung des Plenums in die Ausschussarbeit setzen. Der Corporate<br />

Governance Kodex hat hierfür entsprechende Empfehlungen entwickelt.


4.2. Stolperstein Mitbestimmung?<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Die Regierungskommission hat das Thema Mitbestimmung aus ihren Beratungen ausgeklammert, zum<br />

einen aus Zeitgründen, zum anderen in Anbetracht der internationalen Diskussion und Entwicklung,<br />

die abgewartet werden sollte (Neuregelung des holländischen Modells, Entscheidung des Europäischen<br />

Gerichtshofs zur Sitztheorie).<br />

Die inzwischen vorliegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Überseering“<br />

wird künftig ermöglichen, zum Beispiel bei der Bildung einer internationalen Unternehmensgruppe<br />

als Holding eine Gesellschaft ausländischen Rechts ohne Mitbestimmung mit Sitz in Deutschland zu<br />

wählen. Damit ist die durch das Mitbestimmungsrecht drohende Gefahr, dass die Holdinggesellschaften<br />

internationaler Konzerne künftig unter anderem wegen der Mitbestimmung in das Ausland<br />

abwandern könnten, fürs Erste gebannt. Es wird freilich abzuwarten sein, wie sich die Dinge weiter<br />

entwickeln. Zweifellos wird eine Diskussion darüber entstehen, ob Deutschland ein „outreach statute“<br />

erlassen sollte, also ein Gesetz, das unser Mitbestimmungsrecht in solchen ausländischen Gesellschaften<br />

mit Sitz in Deutschland implementieren würde und welche Schranken sich für ein solches<br />

Gesetz aus dem europäischen Recht (Kapitalverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit) ergäben.<br />

Unabhängig davon gehört die Mitbestimmung traditioneller Prägung auf den Prüfstand. Seit Einführung<br />

der Mitbestimmung hat sich das wirtschaftliche und politische Umfeld für deutsche Unternehmen<br />

völlig verändert. Beispielsweise war die <strong>Deutsche</strong> Bank <strong>AG</strong>, als die paritätische Mitbestimmung 1976<br />

eingeführt wurde, tatsächlich noch eine „deutsche“ Bank im Sinne des Wortes. Die ganz überwiegende<br />

Mehrheit ihrer Arbeitnehmer war in Deutschland angestellt, die Erträge wurden hauptsächlich hier<br />

erwirtschaftet. Heute beschäftigt die <strong>Deutsche</strong> Bank in New York und London jeweils etwa genauso<br />

viele Arbeitnehmer wie in Frankfurt. Sie erwirtschaftet den Großteil ihrer Erträge heute im Ausland.<br />

Ungeachtet dieser Umstände haben aber nur die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer das<br />

Recht, Vertreter in den Aufsichtsrat zu wählen und zu entsenden. Es liegt auf der Hand, dass dies<br />

langfristig kein akzeptables Modell für eine international tätige Gesellschaft sein kann.<br />

5. <strong>Deutsche</strong>s Recht im Kontext der EU<br />

5.1. Nationale vs. europäische Corporate Governance-Regulierung<br />

Am 4. November 2002 hat eine von dem Niederländer Jaap Winter geleitete Gruppe von Gesellschaftsrechtsexperten,<br />

die von Kommissar Bolkestein eingesetzt worden war, ihren Bericht „A Modern<br />

Regulatory Framework for Company Law in Europe“ („Winter II-Papier“) vorgelegt. Der Bericht enthält<br />

u. a. einzelne bedenkenswerte Vorschläge auch über die in Deutschland bereits bestehenden<br />

oder geplanten Maßnahmen hinaus zur Corporate Governance. Ein Teil der Empfehlungen zeigt<br />

freilich, dass eine europäische Regulierung der Corporate Governance Probleme in sich birgt, wenn<br />

die nationalen Besonderheiten der verschiedenen Corporate Governance-Systeme nicht ausreichend<br />

berücksichtigt werden.<br />

Sicher bedeuten die Vorschläge der Winter-Gruppe noch nicht, dass sich die EU-Kommission diese<br />

Vorschläge auch in vollem Umfang zu Eigen machen wird. Es bedarf aber vor jeder weiteren Sachdebatte<br />

zu Fragen der Regulierung von Corporate-Governance-Problemen auf EU-Ebene offenbar nach<br />

wie vor dringend der weiteren Diskussion darüber, wo die Grenzen einer Angleichung der nationalen<br />

Gesellschaftsrechte zu ziehen sind. Die Winter-Gruppe befürwortet in ihrer Stellungnahme explizit das<br />

Ziel einer von den EU-Organen zu befördernden Konvergenz der Corporate-Governance-Systeme.<br />

53


54 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Das Ende der Deutschland <strong>AG</strong>? Unternehmensrechtsreform in Deutschland<br />

Dieses Regulierungsziel ist fragwürdig. Die aktuelle Diskussion der Corporate-Governance-Probleme<br />

verdankt sich weitgehend marktlichen Initiativen, die dann von den Einzelstaaten aufgegriffen worden<br />

sind. Die Marktkräfte sorgen auch dafür, dass die Diskussion nicht auf nationale Perspektiven beschränkt<br />

bleibt. Eine von der EU-Kommission unterstützte Konvergenz, die den Wettbewerb der Systeme<br />

ausschließt oder beschränkt, ist kein erstrebenswertes Ziel. Zu bedenken ist ferner, dass die<br />

Kapitalmärkte nicht an den Grenzen der EU enden, sodass auch eine Harmonisierung im Rahmen<br />

der EU immer nur Teillösungen liefern kann. Deshalb gibt es jedenfalls im Bereich der Corporate<br />

Governance nur einen sehr geringen Bedarf für Harmonisierung oder Mindeststandards in Form von<br />

EU-Richtlinien oder Empfehlungen. Wichtiger wäre, dass die EU Mobilitätshindernisse für transnationale<br />

Investitionen und Kapitalnachfrager, die aus den nationalen Unternehmensrechten resultieren,<br />

beseitigt und jede Form der Behinderung und Zugangsbeschränkung aufhebt. Unterschiede in den<br />

nationalen Systemen können dem Kapitalmarkt durch vernünftig bemessene Offenlgungsvorschriften<br />

deutlich gemacht werden. Sinnvolle Diversität und Wettbewerb verschiedener Systeme sollten aber<br />

auch in einem zusammenwachsenden Europa als fördernswertes Ziel beachtet werden.<br />

5.2. <strong>Deutsche</strong>s Übernahmerecht und die europäische Diskussion<br />

Nach einer über zwei Jahrzehnte dauernden Debatte ist im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag das Wertpapiererwerbs-<br />

und Übernahmegesetz (WpÜG) verabschiedet worden und am 1. Januar 2002 in Kraft getreten.<br />

Damit gibt es in Deutschland erstmals eine gesetzliche Regelung des Rechts der öffentlichen<br />

Kauf- und Übernahmeangebote für Unternehmen. Das WpÜG soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs<br />

Rahmenbedingungen für Unternehmensübernahmen und andere öffentliche Angebote<br />

von Wertpapieren schaffen, die den Anforderungen der Globalisierung und der Finanzmärkte angemessen<br />

Rechnung tragen, und hierdurch den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland auch<br />

im internationalen Wettbewerb weiter stärken.<br />

Nach dem Scheitern des Vorschlags einer EU-Übernahmerichtlinie im Juli 2001 im Europäischen<br />

Parlament hat die EU-Kommission am 2. Oktober 2002 einen überarbeiteten Richtlinienvorschlag<br />

verabschiedet und der Öffentlichkeit vorgelegt. Gut und richtig ist, dass die Umsetzung der Richtlinie<br />

dazu führen würde, dass die fragwürdigen Übernahmehindernisse, die das deutsche Recht jetzt noch<br />

vorsieht – freilich nur als Reaktion auf die unzureichende Öffnung der meisten anderen europäischen<br />

Länder (Vorratsbeschlüsse; Abwehrmaßnahmen durch Vorstand und mitbestimmten Aufsichtsrat) –<br />

aufgegeben werden müssten. Die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft haben die bisher<br />

vorliegende Fassung des Vorschlags der EU-Kommission aber zu Recht scharf kritisiert. Der Entwurf<br />

wird bisher nach wie vor nicht dem Anspruch gerecht, faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen<br />

sämtlicher Mitgliedstaaten („Level Playing Field“) zu schaffen. Unternehmen in den Mitgliedstaaten,<br />

die Mehrstimmrechte nicht abgeschafft haben, sind gegen feindliche Übernahmeangebote<br />

besser geschützt als deutsche Unternehmen. Mehrstimmrechte erlauben es Minderheitsaktionären,<br />

ihre Gesellschaft gegen feindliche Übernahmen zu schützen, wenn sie ausreichend Stimmen zur Absicherung<br />

einer Kontrollposition gewährleisten. Es bleibt zu hoffen, dass insoweit noch eine befriedigende<br />

Lösung gefunden werden kann, die tatsächlich dem Anspruch eines fairen Spielfeldes für alle<br />

Unternehmen gerecht wird.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

Sir David Tweedie, Chairman, International Accounting Standards Board<br />

1. Einleitung: Eine Krise von globalem Ausmaß<br />

Die spektakulären Unternehmens- und Rechnungslegungsskandale in den Vereinigten Staaten,<br />

aber auch anderswo zeigen, welche verheerenden Folgen ein Vertrauensverlust der Investoren für<br />

die Wirtschaft haben kann. Die Notwendigkeit von Reformen liegt auf der Hand. Denn ein dauerhafter<br />

Verlust von Vertrauen in die Kapitalmärkte wäre fatal für Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze<br />

und private Vermögen.<br />

Schon jetzt hat die Krise in der Rechnungslegung über die Grenzen der USA hinaus wirtschaftlichen<br />

Schaden angerichtet. Der Wert von Pensionsfonds, die stark im Aktienmarkt investiert sind, ist gefallen<br />

und gefährdet so die Altersersparnisse. Es gibt Fragen zur Zahlungsfähigkeit von Banken, die in Kapital-<br />

und Immobilienmärkten engagiert sind. Für Unternehmen ist die Kapitalbeschaffung schwieriger<br />

und teurer geworden. Die Konjunkturschwäche verringert die Steuereinnahmen des Staates und damit<br />

zugleich den Spielraum für fiskalische Maßnahmen – und dies in einem Umfeld steigender Nachfrage<br />

nach öffentlichen Leistungen. Die Unternehmensskandale sind zwar nicht der einzige Grund für Verlangsamung<br />

des Wirtschaftswachstums. Doch es steht außer Frage, dass eine gute Rechnungslegung,<br />

auf die sich die Märkte verlassen können, ein grundlegender Baustein für erfolgreiche Kapitalmärkte<br />

ist.<br />

Viele Regierungen, Rechnungslegungsexperten, Unternehmen und Investoren in Europa und anderswo<br />

trösten sich damit, dass die Skandale bei ihnen noch nicht das gleiche Ausmaß wie in den USA<br />

erreicht haben. Aufgrund meiner 20-jährigen Berufserfahrung als Wirtschaftsprüfer und Standardisierungsexperte<br />

glaube ich jedoch, dass der Verlust an Vertrauen in die Rechnungslegung nicht nur<br />

in den USA ein Thema ist. Unternehmen sind heutzutage weltweit tätig, konkurrieren um denselben<br />

Kapitalbestand und sind denselben wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt. Die meisten multinationalen<br />

Unternehmen, ob in den USA oder anderswo, müssen sich Performance-Ziele setzen, ihre Konkurrenten<br />

beobachten und ähnliche Geschäftsmethoden anwenden, um sicherzustellen, dass ihr Wettbewerber<br />

keine Vorteile erzielt. Zudem sind die Veröffentlichungen zur Rechnungslegung außerhalb<br />

der USA noch lückenhaft oder der Komplexität des modernen Marktes nicht angemessen. Zum Beispiel<br />

gibt es zurzeit in Europa keinen nationalen Standard, der sich der Rechnungslegung für Finanzinstrumente<br />

umfassend widmet, obgleich die Verwendung von Derivaten in immer mehr Unternehmensbereichen<br />

gängige Praxis ist. Es wäre also unklug, wenn die Länder außerhalb der USA behaupten<br />

würden, es gäbe keinen Verbesserungsbedarf bei ihren Rechnungslegungsverfahren.<br />

Die Entwicklung der globalen Kapitalmärkte, die viele Länder maßgeblich vorangetrieben haben und<br />

an deren Erfolg sie ein starkes wirtschaftliches Interesse haben, befindet sich in einer kritischen Phase.<br />

Deutschland, als größte Wirtschaftsmacht Europas und Brücke zwischen den bereits entwickelten<br />

Volkswirtschaften der Europäischen Union und den Beitrittskandidaten, kann und muss eine führende<br />

Rolle bei der Schaffung von Richtlinien für die Kapitalmärkte spielen. Nur so kann eine effiziente<br />

Kapitalallokation erreicht werden, nur so können die Volkswirtschaften Europas ihr volles Potenzial<br />

entfalten.<br />

Regierungen und Investoren in der ganzen Welt werden Europas gemeinsame Antwort auf die Unternehmensskandale<br />

genau beobachten. Die Industrieländer und internationalen Institutionen haben<br />

angeführt, dass einzelne Wirtschaftszweige nicht so stark von der asiatischen Finanzkrise des Jahrs<br />

1997 getroffen worden wären, hätten sie striktere Rechnungslegungsstandards gehabt, unterstützt<br />

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58 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

durch wirkungsvolle Corporate Governance und eine funktionierende Wirtschaftsprüfung. Wenn Europa<br />

und seine Partner sich nicht den anstehenden, oft schwierigen Entscheidungen stellen, werden<br />

sie denen in die Hände spielen, die den Nutzen der globalen Finanzmärkte grundsätzlich<br />

bezweifeln.<br />

2. Die Säulen der Finanzberichterstattung<br />

Gute Finanzberichterstattung ruht auf drei Säulen: erstens, auf Rechnungslegungsstandards, die<br />

konsistent, umfassend und aus klaren Prinzipien abgeleitet sind, damit Finanzberichte die ihnen<br />

zugrunde liegende wirtschaftliche Realität widerspiegeln; zweitens, auf Rechnungslegungs- und<br />

Wirtschaftsprüfungsverfahren sowie einer Politik, die solche Standards in genaue, umfassende und<br />

zeitnahe Berichte der börsennotierten Unternehmen übersetzen; und drittens, auf legislativen und<br />

regulatorischen Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass die Grundsätze der Rechnungslegungsstandards<br />

auch eingehalten werden.<br />

Im Zuge eines beispiellosen Wirtschaftsaufschwungs haben die USA den Verfall dieser drei Säulen<br />

erlebt. Die amerikanischen Unternehmensskandale haben gezeigt, dass die US Generally Accepted<br />

Accounting Principles (GAAP) in verschiedener Hinsicht unzureichend waren. Die Wirtschaftsprüfungsunternehmen<br />

haben gegenüber den Investoren immer weniger Rechenschaft abgelegt, und die US<br />

Securities and Exchange Commission (SEC) war überfordert von dem weit verbreiteten Verfall der<br />

Unternehmens- und Wirtschaftsprüferdisziplin. Diese war bis zu einem bestimmten Grad getrieben von<br />

unangemessenen Vergütungsansprüchen und einer Unternehmenskultur, die Reichtum als Grundrecht<br />

ansah, zu welchem Preis auch immer. In anderen Rechtsbereichen ist die Lage ähnlich.<br />

Aufgrund meiner Tätigkeit beim International Accounting Standards Board (IASB) beschränkt sich<br />

der vorliegende Text auf das Thema Rechnungslegungsstandards. Aber gute Standards allein reichen<br />

nicht aus. Sie müssen unterstützt werden durch eine integre Wirtschaftsprüfung und die strikte<br />

Durchsetzung von Regeln.<br />

Es ist offensichtlich, dass viele Probleme entstanden sind, weil Unternehmen und deren Management<br />

die bestehenden Rechnungslegungsstandards nicht beachtet haben. Die Wirtschaftsprüfer wurden<br />

bedauerlicherweise getäuscht, oder sie haben vergessen, dass der Investor und nicht der Vorstandvorsitzende<br />

der Kunde ist. Dies geschah in einem Klima, in dem Betrug sich auszahlte, weil die<br />

Ausübung von Aktienoptionen bei Erreichung eines festgelegten Preises für das Management zur<br />

Norm geworden war. Wenn aber Regeln wiederholt gebeugt oder gebrochen werden, müssen sich<br />

auch die Standardisierungsorganisationen fragen, ob ihre Standards streng genug sind, um von<br />

Missbrauch abzuschrecken.<br />

Für Europa ist die Erfahrung eines Verlusts an Vertrauen in die Rechnungslegung nicht neu. Es gibt<br />

ganz deutliche Parallelen zwischen der heutigen Krise und der in Großbritannien Anfang der 90er<br />

Jahre. Unternehmen wie Colorell und Polly Peck brachen plötzlich zusammen. Um das Vertrauen<br />

in Finanzberichterstattung wiederherzustellen, wurde der UK Accounting Standards Board (ASB)<br />

gegründet. Der ASB ging davon aus, dass der einzige Weg, mit Rechnungslegungsskandalen fertig<br />

zu werden, die Einführung höchster Qualitätsstandards sei. Nach und nach brachte der ASB Verbindlichkeiten,<br />

die lange Zeit versteckt gewesen waren, wieder zurück in die Bilanzen. Der ASB stoppte<br />

die Manipulation der Ertragsberichterstattung, indem er Sonderregeln abschaffte. Der so genannte<br />

„außerordentliche“ Rechnungsposten, mit dem sich der Ertrag pro Aktie schönen ließ, wurde ebenfalls<br />

abgeschafft. Diese Änderungen wurden gegen den erheblichen Widerstand der Industrie und der<br />

Wirtschaftsprüfer durchgesetzt. Es wäre sicherlich einfacher gewesen, in den damals umstrittensten<br />

Themen Kompromisse zu schließen und auf Kosten der Qualität nur schrittweise Änderungen vorzu-


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

nehmen, um so den verschiedenen Parteien entgegen zu kommen. Der ASB tat das nicht, und der<br />

Markt in Großbritannien hat sich erholt. Die einzige Möglichkeit, das Vertrauen der Märkte wiederzugewinnen,<br />

besteht darin, Schocks zu vermeiden. Völlige Transparenz, nicht Verschleierung ist die<br />

richtige Antwort auf den Verlust des Vertrauens in die Rechnungslegung.<br />

Die Gründung des <strong>Deutsche</strong>n Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) und seine Unterstützung<br />

für die Arbeit des IASB war ein wichtiger Schritt hin zur Schaffung eines effektiven Systems<br />

für die Finanzberichterstattung, der zugleich das Vertrauen in die deutschen Kapitalmärkte gestärkt<br />

hat. Sie hat auch den Prozess der Normsetzung von politischer Einflussnahme entlastet und damit<br />

laue Kompromisse vermieden. Natürlich müssen Standardisierungsorganisationen in allen Ländern<br />

zeigen, dass sie bereit sind, zuzuhören und ihre Positionen zu revidieren, wenn die Argumente der<br />

Gegenseite überzeugen. Aber ebenso müssen Regierungen, die auf unabhängige, privatwirtschaftliche<br />

Standards setzen, willens sein, die Vorschläge der Organisationen zu unterstützen und sie gegen die<br />

Lobbyisten zu verteidigen, die Veränderung aus Eigeninteresse ablehnen. Immer stehen zahlreiche<br />

Interessen auf dem Spiel, und Änderungsvorschläge sind zwangsläufig unbeliebt – besonders weil es<br />

keine einheitliche Vertretung der einzelnen Investoren gibt.<br />

Verständlicherweise fällt es vielen Politikern schwer, diese Position zu akzeptieren, vor allem in<br />

Rechtsordnungen, in denen die unabhängige Festlegung von Standards noch keine lange Tradition<br />

hat. Selbst in Bereichen, die sich lange ihrer Unabhängigkeit bei der Normsetzung gerühmt haben,<br />

haben politische Erwägungen – und nicht so sehr die Wirtschaft – die Formulierung wirkungsvoller<br />

Regelwerke behindert. In den 90er Jahren schlug der US Financial Accounting Standards Board<br />

(FASB) vor, die Aktienoptionen von Angestellten als Ausgaben zu verbuchen. Dank großzügiger<br />

Budgets und guter politischer Verbindungen konnten die Gegner dieses Antrags erreichen, dass der<br />

Kongress den FASB von dieser Regelung abbrachte. Das Ergebnis war eine Regelung, die, wie viele<br />

jetzt glauben, dem Management Anreize gab, die Erträge im eigenen Interesse zu manipulieren.<br />

Standardisierungsorganisationen haben nicht immer Recht, aber Rechnungslegungsstandards, die<br />

statt der wirtschaftlichen Realität politische Einflussnahme widerspiegeln, werden sich immer negativ<br />

auf die Märkte auswirken.<br />

Die Standardisierungsorganisationen selbst können einige Manipulationsmöglichkeiten ausschließen,<br />

indem sie klare Richtlinien schaffen und übertrieben detaillierte Anleitungen vermeiden. Zu detaillierte<br />

Rechnungslegungsstandards fördern eine Mentalität, die sagt: „Wo steht, dass ich das nicht tun kann?“<br />

Diese Einstellung ist kontraproduktiv und hilft eher denen, die versuchen, die Standards zu umgehen,<br />

als denen, die die Standards so anwenden wollen, dass sie nützliche Informationen liefern. Vereinfacht<br />

ausgedrückt, können zu detaillierte Anleitungen die ihnen zugrunde liegenden Grundsätze eher<br />

verschleiern als verdeutlichen. Der Schwerpunkt liegt dann in der buchstabengetreuen Anwendung<br />

als beim eigentlichen Sinn des Rechnungslegungsstandards.<br />

Standards, die auf Grundsätzen beruhen, sind jüngst viel debattiert worden, sowohl unter denen,<br />

die Standards festlegen, als auch in den Medien. Dabei hat sich ein wachsender Konsens über die<br />

Notwendigkeit gebildet, dass solche Standards anderen überlegen sind, allerdings ohne zu definieren,<br />

wie diese Vorgehensweise aussehen könnte – sowohl in den USA als auch international beim IASB.<br />

Deshalb hat der IASB beschlossen, Standards zu entwerfen, die auf festen und erkennbaren Grundsätzen<br />

beruhen.<br />

Letztendlich bekommen Unternehmen und Wirtschaftsprüfer die Standards, die sie verdienen.<br />

Rechnungslegungsgrundsätze sind dafür bestimmt, den Einfluss der ihnen zugrunde liegenden<br />

ökonomischen Realität auf die Unternehmens-Performance darzustellen. Wenn Unternehmen und<br />

Wirtschaftsprüfer diese auf Grundsätzen beruhende Vorgehensweise benutzen, um die Realität zu<br />

verdrehen, wenn sie unwillig sind, ihre eigene Urteilskraft einzusetzen und stattdessen eine detail-<br />

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60 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

liertere Formulierung der Anwendungsregeln verlangen, um zu verhindern, dass Anwälte vor Gericht<br />

die Wirtschaftsprüfer hinterfragen, dann sind Standardisierungsorganisationen zu einer Reaktion<br />

aufgefordert, und es wird unumgänglich, neue Regeln aufzustellen. Man sollte sich daran erinnern,<br />

dass die US-GAAP-Rechnungslegung zwar auf allgemeinen Grundsätzen beruht, aber auch sehr<br />

konkrete Anleitungen beinhaltet. Das ist ein Produkt der Umgebung, in der US-Standards festgelegt<br />

werden. Vereinfacht ausgedrückt: US-amerikanische Standards sind detailliert und spezifisch, weil<br />

die Anwender vom Financial Accounting Standards Board ständig detaillierte und spezifische Standards<br />

gefordert haben.<br />

3. Auf dem Weg zu einem neuen Modell<br />

Es ist eindeutig notwendig, die Modernisierung des bestehenden Rechnungslegungsmodells fortzuführen.<br />

Mit dem technischen Fortschritt, mit den Veränderungen in den Geschäftspraktiken und den<br />

Lehren aus der Erfahrung müssen sich auch die Rechnungslegungsstandards weiterentwickeln – mit<br />

dem Ziel, Investoren mit genaueren und nützlicheren Informationen zu versorgen. In den letzten<br />

Jahren hat es das Rechnungslegungswesen nicht geschafft, mit der Geschwindigkeit der Veränderung<br />

der Weltwirtschaft mitzuhalten. Das liegt teilweise daran, dass die Rechnungslegung sich nur sehr<br />

langsam weiterentwickelt – vom traditionellen kostenbasierten Modell, das für die Wirtschaft nach<br />

der industriellen Revolution entwickelt wurde, hin zu einem Modell, das sich stärker auf Marktwerte<br />

in Echtzeit stützt und besser zu einer modernen Dienstleistungswirtschaft passt. Ein weiteres Problem<br />

ist, dass Kapital frei über die Grenzen fließt, während Rechnungslegungsregeln je nach nationalen<br />

Zuständigkeitsbereichen noch sehr variieren. Dies erschwert den Vergleich von Finanzberichten.<br />

Ein wahrscheinliches Resultat ist eine ineffiziente Kapitalallokation der Investoren.<br />

All dies ändert sich, und die derzeitige Krise eröffnet uns die Möglichkeit, moderne, global anwendbare<br />

Rechnungslegungsgrundsätze zu schaffen. Der IASB, der 2001 aus dem International Accounting<br />

Standards Committee hervorging, hat genau dieses Mandat. Ich glaube, dass die derzeitige Krise<br />

nur die grundlegende Mission des IASB bestärkt: die Erschaffung eines einheitlichen Regelwerks von<br />

qualitativ hochwertigen, global durchsetzbaren Grundsätzen für die weltweiten Kapitalmärkte.<br />

Es verdient Anerkennung, dass die Europäische Union die Veränderungen in der wirtschaftlichen<br />

Landschaft noch vor der Enron-Krise erkannt hat. Die Europäische Kommission hat deshalb die<br />

Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards vorgeschlagen. Wie vom IASB propagiert,<br />

sollen diese für den Großteil der börsennotierten Unternehmen in der EU ab 2005 gelten. Dieses<br />

europäische Beispiel hat wesentlich dazu beigetragen, dass in den USA dem Nutzen internationaler<br />

Standards mehr Beachtung geschenkt wird als früher und dass amerikanische Regulatoren, Politiker<br />

und Unternehmen auf eine Konvergenz hinarbeiten.<br />

Durch die Zusammenarbeit der Standardisierungsorganisationen kann ein einheitliches Paket von<br />

Rechnungslegungsgrundsätzen für eine moderne, globalisierte Wirtschaft geschnürt werden. Auf<br />

kurze Sicht bedeutet dies, dass der IASB mit nationalen Standardisierungsorganisationen in der<br />

ganzen Welt zusammenarbeitet, um Unterschiede in den bestehenden Standards zu beseitigen und<br />

sich auf die bestmögliche Vorgehensweise zu verständigen. Durch dieses Konvergenz-Projekt wird der<br />

IASB zusammen mit den nationalen Standardisierungsorganisationen viele kleinere Unterschiede in<br />

der Rechnungslegung reduzieren, die bei ähnlichen wirtschaftlichen Transaktionen durchaus zu sehr<br />

unterschiedlichen finanziellen Ergebnissen führen können. Dieses kurzfristige Konvergenzprogramm<br />

sollte eine gemeinsame Basis schaffen, auf der wir aufbauen können.<br />

Für Deutschland liegen die Vorteile des Konvergenzprozesses auf der Hand. Die Übernahme von<br />

konsistenten, qualitativ hochwertigen Standards in der Europäischen Union beseitigt Hindernisse für


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

einen grenzüberschreitenden, freien Kapitalfluss innerhalb der EU. Die Reduzierung von Unterschieden<br />

zwischen nationalen Standards und dem US-GAAP wird auch die Bilanzierungskosten für viele in<br />

New York gelistete deutsche Unternehmen reduzieren.<br />

Verwendete Rechnungslegungsvorschriften für den Jahresabschluss: EU vs. Deutschland<br />

Europäische Union Prozent der Unternehmen Deutschland Prozent der Unternehmen<br />

Nationale Vorschriften 79% Nationale Vorschriften 41%<br />

IAS 15% IAS 39%<br />

US-GAAP 6% US-GAAP 20%<br />

Zahl der Befragten: 667 Zahl der Befragten: 82<br />

Quelle: PwC 2002<br />

Um das Rechnungslegungsmodell relevanter zu machen, stellen sich der IASB und seine Partnerorganisationen<br />

aber auch einigen grundsätzlichen Herausforderungen. Zu lange wurden die Erträge<br />

geschönt, um Investoren stetig steigende Profite präsentieren zu können. Obwohl dieser Ansatz ein<br />

einfaches und verständliches Modell liefert, ist er schlichtweg realitätsfremd. <strong>Börse</strong>nnotierte Unternehmen<br />

sind komplexe Einheiten, die zahlreiche Aktivitäten durchführen und diversen Marktzwängen<br />

und Schwankungen unterliegen. Die Rechnungslegung sollte diese Schwankungen und Risiken<br />

widerspiegeln. Das Bemühen, einen stetigen Einnahmefluss zu generieren, führt in die Irre und<br />

widerspricht dem Ziel, Investoren mit präzisen Informationen zu versorgen.<br />

Die Richtung, in die wir uns derzeit bewegen, bezeichne ich gern als „Sag-es-so-wie-es-ist“-Rechnungslegung.<br />

Sie sorgt für wachsendes Vertrauen in die Ergebnisse, sofern diese präzise bestimmt<br />

werden können. Die finanziellen Ergebnisse können infolge dessen stärker schwanken. Doch den<br />

Investoren die Wahrheit vorzuenthalten, wird die Schocks für die Märkte nur verschlimmern.<br />

Dieser Umbruch in der Rechnungslegung hat tief greifende Folgen. Vermögenswerte und Verbindlichkeiten<br />

werden bei Bedarf wieder in die Bilanzen zurückgeführt. In den letzten 20 Jahren gab es<br />

eine Reihe von Unternehmen, die versucht haben, Vermögenswerte und Verbindlichkeiten aus Bilanzen<br />

herauszuhalten, indem sie Transaktionen durchführten, die wahrscheinlich die wirtschaftliche<br />

Substanz der finanziellen Situation verschleiert haben. Dies ist besonders in vier Bereichen der Fall;<br />

jeder einzelne davon kann möglicherweise die finanzielle Situation eines Unternehmens verschleiern.<br />

Unternehmen können alle oder nur eines der folgenden Instrumente nutzen: Verpachtung, Verbriefung,<br />

nicht konsolidierte Einheiten (Einheiten für spezielle Zwecke) und Pensionsrückstellungen. Alle vier<br />

sind legitime betriebliche Verfahrensweisen, aber in den meisten Fällen ist das dazugehörige Risiko<br />

nicht vollständig in der Bilanz des Unternehmens verzeichnet. Wenn einer Verpflichtung nachgekommen<br />

werden muss, kann das zu unangenehmen Überraschungen bei den Investoren führen.<br />

Standardisierungsorganisationen werden versuchen, alle Ausgaben in den Bilanzen sichtbar zu<br />

machen, denn Meldungen sind kein Ersatz für eine gute Rechnungslegung. Wenn Ausgaben, die<br />

ganz eindeutig bestehen, nicht erkannt werden können, verzerrt dies das finanzielle Erscheinungs-<br />

61


62 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

bild von Unternehmen und erschwert die Entscheidungen der Investoren. Ein Beispiel hierfür ist die<br />

aktienbasierte Bezahlung. Unternehmen, die für Produkte und Dienstleistungen mit eigenen Aktien,<br />

Aktienoptionen oder von Aktien abhängigen Instrumenten bezahlen, verbuchen dies in der Rechnungslegung<br />

bestimmter Rechtsordnungen häufig nicht als Kosten. Die am meisten verbreitete Art<br />

dieser aktienbasierten Transaktionen sind Aktienoptionen für Mitarbeiter. Es gibt noch keinen einheitlichen<br />

Rechnungslegungsstandard für aktienbasierte Zahlungen, und diese Praxis nimmt außerhalb<br />

der USA stetig zu. Die Ausgestaltung der aktienbasierten Zahlungen ist in den verschiedenen<br />

Industrien, Sektoren und Ländern sehr unterschiedlich. Die starke Verbreitung von Aktienoptionen<br />

erschwert die Entscheidungsfindung von Investoren und Wirtschaftspolitikern. Zudem können sie<br />

zu einer falschen Kapitalallokation zwischen Sektoren und zu überbewerteten Erträgen führen.<br />

Der DRSC hat das Problem der mangelnden Ausweisung aktienbasierter Zahlungen erkannt und die<br />

Initiative ergriffen, indem er schon 2001 seinen Vorschlag für die Verbuchung von aktienbasierten<br />

Zahlungen präsentierte. Andere europäische Standardisierungsorganisationen sind diesem Schritt<br />

gefolgt. Der IASB hat kürzlich einen Entwurf vorgelegt, der die Ausweisung aller aktienbasierten<br />

Zahlungen verlangt. Wir urteilen nicht darüber, ob aktienbasierte Zahlungen gut oder schlecht sind –<br />

diese Entscheidung müssen die Investoren und das Management treffen. Wir versuchen jedoch,<br />

Investoren und Management die Möglichkeit zu geben, die Nutzung dieser Art von Zahlungen richtig<br />

zu beurteilen. Wir suchen noch nach der richtigen Methode für die genaue Bewertung von aktienbasierten<br />

Zahlungen. Wir sind jedoch sicher, dass die Finanzberichterstattung stark verbessert wird,<br />

wenn diese Art der Zahlung berücksichtigt wird.<br />

Zu guter Letzt: Die Veränderung in der Rechnungslegung zeigt, dass die gegenwärtige Konzentration<br />

darauf, was „unter dem Strich“ steht, falsch ist. Bilanzen sollten die Komplexität der finanziellen<br />

Entwicklung eines Unternehmens widerspiegeln – und dazu gehört auch die Volatilität, die durch<br />

die Wiederaufnahme von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten in die Bilanzen und die stärkere<br />

Marktbewertung entsteht. Unternehmen haben sich bei der Veröffentlichung von Informationen mehr<br />

und mehr der „Pro-Forma“-Berichterstattung zugewandt. Für viele ist die Nutzung von „Pro-Forma“-<br />

Konten ein Weg, Resultate der Rechnungslegung zu verschleiern. Diese Entwicklung zeigt jedoch,<br />

dass Investoren mit verschiedenen Arten von Informationen arbeiten und dass der gegenwärtige<br />

Ertragsbericht dafür nicht ausreicht. Investoren interessieren sich vor allem für Informationen über<br />

die Entwicklung der Kerngeschäftsfelder und die Wirkung einer veränderten Kapitalstruktur auf die<br />

finanzielle Situation eines Unternehmens. IASB und FASB arbeiten deshalb gemeinsam an einer<br />

neuen Finanzberichterstattung, die konsistente Regeln für die Darstellung der betrieblichen und<br />

finanziellen Entwicklung schafft und die Schwankungen aufgrund der Marktbewertung sinnvoll<br />

widerspiegelt.<br />

4. Der Herausforderung gerecht werden<br />

Es überrascht nicht, dass jede Systemveränderung auf Grund der zahlreichen Interessen, die auf dem<br />

Spiel stehen, für Unruhe sorgt. Der IASB wird sorgfältig alle unterschiedlichen Auffassungen zu jedem<br />

Thema überdenken. Jedoch kam es in der Vergangenheit zu oft zu Drohungen und politischen Einmischungen<br />

mit dem Ziel, Standardisierungsorganisationen von der Umsetzung ihrer Beratungsergebnisse<br />

abzubringen.<br />

Es gibt Grund zu Optimismus über die Erfolgschancen des IASB. Zum ersten Mal hat der IASB die<br />

offizielle Unterstützung nationaler Regierungen in wichtigen Volkswirtschaften weltweit. Die Entscheidung<br />

der Europäischen Union, den Großteil der gelisteten Unternehmen in der EU zu internationalen<br />

Standards in ihren konsolidierten Bilanzen ab dem 1. Januar 2005 zu verpflichten, hat hier als<br />

Katalysator gewirkt. Australien und viele Länder in Zentralasien haben ähnliche Pläne angekündigt.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Mehr Transparenz für die Finanzberichterstattung<br />

Die US SEC hat kürzlich erklärt, dass sie die IASB- und FASB-Übereinkunft zur Konvergenz nachdrücklich<br />

unterstützt, und signalisiert, dass sie die Vereinbarungserfordernis für Unternehmen überdenken<br />

will, die die verbesserten internationalen Standards umsetzen.<br />

Erfolg wird sich nicht leicht einstellen, muss der IASB denn eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen<br />

weltweit berücksichtigen. Der IASB hat eigens interne Verfahren entwickelt, um sicherzustellen,<br />

dass er die wichtigsten Meinungen erhält. Es gibt viele Möglichkeiten für die deutsche Regierung,<br />

Wissenschaft und Wirtschaft, sich daran zu beteiligen. Der IASB hat ein offizielles Liaison-Vorstandsmitglied<br />

in Deutschland und arbeitet sehr eng mit dem DRSC zusammen. Deutschland ist im IASB<br />

Standards Advisory Council und in vielen Beratungsgremien bei IASB-Projekten vertreten. Deutschlands<br />

Beitrag ist wichtig, um Standards sicherzustellen, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln.<br />

Wir sind uns vollkommen bewusst, dass der Markt Sicherheit braucht und sich nicht auf faule Kompromisse<br />

einlassen darf. Der IASB und nationale Standardisierungsorganisationen sollten und werden<br />

sich weiter in die unserer Meinung nach richtige Richtung bewegen. Wenn wir erfolgreich sind, werden<br />

die Kapitalmärkte ein einheitliches Regelwerk von weltweiten Rechnungslegungsstandards erhalten,<br />

auf die sie sich verlassen können. Das Vertrauen wird zunehmen, und die Chancen für rationale<br />

globale Investitionsentscheidungen und Wachstum werden sich erhöhen. Dies ist eine einmalige<br />

Gelegenheit, die besten nationalen Standards zu einem weltweiten Standard zusammenzufügen.<br />

Rechnungslegung ist das Fundament der Marktwirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Betrachtung<br />

von Unternehmen in globalen Märkten auf einer einzigen festen Basis steht.<br />

63


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Prof. Jörg Baetge, Universität Münster *<br />

1. Die Vertrauenskrise<br />

2002 wurde wie in keinem anderen Jahr seit Einführung der Pflichtprüfung von der Öffentlichkeit<br />

und der Politik das Erfordernis von Reformen im Bereich der Abschlussprüfung diskutiert. Ausgelöst<br />

wurden diese Diskussionen durch zahlreiche aufgedeckte Bilanzmanipulationen und Rechnungslegungsskandale,<br />

die z. T. Unternehmenszusammenbrüche nach sich zogen, allen voran den des<br />

amerikanischen Energiekonzerns Enron. Das bis dahin weitgehend vorhandene Vertrauen in das<br />

Testat des Abschlussprüfers ist verloren gegangen. Der Abschlussprüfer stand und steht weiterhin im<br />

Mittelpunkt der öffentlichen Kritik, da die Jahresabschlüsse der später gescheiterten Unternehmen<br />

fast ausnahmslos uneingeschränkte Bestätigungsvermerke trugen und keinen Hinweis auf die enormen<br />

wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Bilanzmanipulationen oder kreative Buchführung enthielten.<br />

So titelte die F.A.Z.: „Die Wachhunde haben nicht gebellt.“ In den Augen der Öffentlichkeit haben<br />

die Abschlussprüfer in diesen wichtigen Fällen ihre Hauptfunktion verfehlt: die Überwachung des<br />

Vorstands bezüglich der Ordnungsmäßigkeit und der Aussagefähigkeit des Jahresabschlusses und<br />

des Lageberichts im Hinblick auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (VFE-Lage) für die Kontrollorgane<br />

und für den Kapitalmarkt. Dies hat zu einem massiven Vertrauensverlust der Öffentlichkeit in<br />

die Institution der gesetzlichen Abschlussprüfung geführt.<br />

Auf das (vermeintliche) Versagen der Abschlussprüfung von börsennotierten Unternehmen reagieren<br />

die Öffentlichkeit und die Medien deshalb so empfindlich, weil der geprüfte Jahresabschluss und<br />

der Bestätigungsvermerk die Entscheidungen der Finanzanalysten, Investoren und Kreditgeber maßgeblich<br />

beeinflussen. Der Worldcom-Skandal, der zwar primär die Rechnungslegung betraf und erst<br />

sekundär die Abschlussprüfung, hat die <strong>Börse</strong>nkurse z. B. am 26. Juni 2002 global und über alle<br />

Aktienwerte um durchschnittlich vier bis fünf Prozent einbrechen lassen, weil das Vertrauen in die<br />

Bilanzwahrheit und in die Verlässlichkeit geprüfter Jahresabschlüsse grundsätzlich in Frage gestellt<br />

wurde. Dieser Vertrauensverlust kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.<br />

2. Vier Strukturprobleme<br />

Die Unternehmenszusammenbrüche und die Bilanzskandale geben Anlass zu der Frage, ob der Glaubwürdigkeitsschwund<br />

der Abschlussprüfung auch auf strukturelle Ursachen zurückzuführen ist, die<br />

einer grundlegenden Reform bedürfen. Dabei lassen sich vier Hauptprobleme identifizieren: falsch<br />

verstandene Kundenorientierung, Quersubventionierung, Interessenkonflikte und Erwartungslücken.<br />

2.1. Falsch verstandene Kundenorientierung<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften werden heute teils nach den gleichen Grundsätzen wie Industriekonzerne<br />

geführt. Dies ist unseres Erachtens völlig verfehlt. Denn anders als in Industriekonzernen<br />

darf es in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften keine Kunden- und Marktorientierung in dem Sinne<br />

geben, dass die Wünsche der Vorstände der geprüften <strong>Börse</strong>ngesellschaften und der „Mehrwert der<br />

Abschlussprüfung für das geprüfte Unternehmen“ Priorität genießen. Nicht die Vorstände der geprüften<br />

Gesellschaften sind die Kunden des Abschlussprüfers. Dieser hat sich vielmehr an den Adressaten<br />

des Bestätigungsvermerks und des Prüfungsberichts zu orientieren, also dem Kapitalmarkt und dem<br />

Aufsichtsrat.<br />

* Der Autor dankt seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Heidemann für seine Mitwirkung an diesem Beitrag.<br />

65


66 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Ebenso kontraproduktiv ist das Streben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach schierer Größe,<br />

(a) weil das intern angeordnete Größenwachstum meist über einen unbeschränkten Einsatz<br />

des Marketing-Mix, z. B. Preispolitik und Werbung, aber auch durch Qualitätsreduktion, z. B.<br />

Reduzierung von „substantive tests“, erreicht wurde und<br />

(b) weil Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sich dann zu Beratungskonglomeraten (Multi-Service-<br />

Organisationen) entwickelten, die den Schwerpunkt und die hohe Bedeutung der Qualität der<br />

Abschlussprüfung nicht mehr als absolute Priorität betonten, sondern das Wachstum des Unternehmens<br />

in den Vordergrund stellten. Dies lässt sich an den Incentives für Partner in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften<br />

für zusätzlich hereingebrachte Aufträge leicht erkennen.<br />

Beides ist mit der Freiberuflichkeit der Abschlussprüfer nicht vereinbar. Der ungehemmte Einsatz<br />

des Marketing-Mix schadet dem Ansehen und der Vertrauenswürdigkeit des freien Berufs in der Öffentlichkeit.<br />

Das Unterbieten des bisherigen Abschlussprüfers durch einen anderen Wirtschaftsprüfer<br />

mit deutlich geringerem Prüfungshonorar sowie die nicht kostendeckende Durchführung der Abschlussprüfung<br />

sind nur zwei Beispiele von vielen für das nicht mehr zu verantwortende Vorgehen<br />

derPrüfungsgesellschaften. Es findet ein Preiswettbewerb statt, der unbedingt durch einen Qualitätswettbewerb<br />

ersetzt werden muss.<br />

Auch Punkt (b), das entstehende Beratungskonglomerat, ist für den freien Beruf des Wirtschaftsprüfers<br />

schädlich, denn er verliert dadurch an Unabhängigkeit. Mit der Beratung wird der Prüfer in die Angelegenheiten<br />

des geprüften Unternehmens involviert. Er wird allmählich wie jeder Berater als ein<br />

Partner des Vorstands angesehen, und, schlimmer noch, er sieht sich selbst als Partner des Vorstands,<br />

obwohl er ihn primär für den Kapitalmarkt prüfen soll. Dass der Abschlussprüfer eine besondere Vertrauensperson<br />

für die Kontrollorgane und außen stehenden Kapitalmarktteilnehmer ist, ist darüber<br />

vielfach vergessen worden.<br />

2.2. Quersubventionierung der Prüfung durch die Beratung<br />

Zudem gab und gibt es fälschlicherweise noch erhebliche Quersubventionierungen zwischen Prüfung<br />

und Beratung bezüglich des gleichen geprüften Unternehmens. Es ist schon für das Ansehen des<br />

Abschlussprüfers und seine Unabhängigkeit nachteilig genug, wenn er ständig auf die Wiedererlangung<br />

des Prüfungsauftrages im Folgejahr bedacht ist. Noch schädlicher für sein Ansehen ist aber,<br />

wenn die Beratungsdienstleistungen der Abschlussprüfer für die geprüften Unternehmen einen<br />

erheblichen Umfang haben. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind auch heute noch – selbst nach<br />

den Abspaltungen ihrer Beratungsgesellschaften – Beratungskonglomerate mit Multi-Service-Angeboten,<br />

die den Abschlussprüfer dazu verpflichten, den geprüften Vorstand als Kunden zu behandeln,<br />

eventuell auch beim Prüfungsergebnis.<br />

Hinzu kommt, dass die Gewinnmargen aus der Abschlussprüfung im Vergleich zu denen aus der<br />

Beratung eher gering oder gar negativ sind und daher die Abschlussprüfung durch die Beratungsaufträge<br />

teils quersubventioniert wird. Durch die Absicht, den Prüfungsauftrag wieder zu erlangen, und<br />

durch die Generierung von Beratungshonoraren kann der Abschlussprüfer materiell vom geprüften<br />

Unternehmen abhängig werden. Arthur Levitt, der ehemalige Chef der US Securities and Exchange<br />

Commission, hat als abschreckendes Beispiel ein geprüftes Unternehmen angeführt, bei dem das<br />

Prüfungshonorar 5 Prozent und das Beratungshonorar 95 Prozent ausgemacht hat. Es ist unverständlich,<br />

dass die Prüfungsgesellschaft auf eine solche Relation überhaupt eingegangen ist. Die<br />

Gewinnmargen aus der Abschlussprüfung müssen mindestens genauso groß sein wie die Margen


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

aus der Beratung, auf keinen Fall dürfen sie wesentlich kleiner oder gar negativ sein, weil sonst die<br />

„partnerschaftliche“ Beratung zur Voraussetzung einer für den Prüfer noch akzeptablen Prüfungsintensität<br />

wird.<br />

2.3. Interessenkonflikte<br />

Durch die gleichzeitige Prüfung und Beratung sind Wirtschaftsprüfer oft Diener zweier Herren. Es ist<br />

indes nicht miteinander vereinbar, dass der Abschlussprüfer einerseits bezüglich der Abschlussprüfung<br />

den Kontrollorganen und dem Kapitalmarkt (Aktionären und Gläubigern) und andererseits bezüglich<br />

der Beratung der Unternehmensleitung dienen soll. Abschlussprüfer sind im Sinne der Agency-Theorie<br />

vielmehr die Advokaten der Principals, d. h. der Kontrollorgane und des Kapitalmarktes. Es ist zudem<br />

völlig unakzeptabel und unethisch, wenn Abschlussprüfer Vorstände auf bilanzpolitische Möglichkeiten<br />

aufmerksam machen bzw. diesen Sachverhaltsgestaltungen vorschlagen, die den externen<br />

Abschlussleser über die tatsächliche VFE-Lage im Unklaren lassen oder gar täuschen. Der Abschlussprüfer<br />

verlässt damit eindeutig seine Position als Advokat der Principals.<br />

2.4. Erwartungslücken<br />

Die Abschlussprüfung ist Erwartungslücken ausgesetzt: Die Öffentlichkeit, vor allem die Aktionäre,<br />

erwarten vom Abschlussprüfer z. B.<br />

(a) ein deutliches Signal im Testat, wenn es dem geprüften Unternehmen nicht gut geht, und<br />

(b) eine Aufdeckung von eventuell vorhandenen Bilanzdelikten.<br />

Auf beide Erwartungen der Öffentlichkeit wird bisher vom Berufsstand mit Ablehnung reagiert, man<br />

spricht in Prüferkreisen davon, dass es sich um Erwartungslücken (expectation gaps) handle, die<br />

systemimmanent seien und mit denen sich die Öffentlichkeit abfinden müsse. Der Abschlussprüfer<br />

könne diese Lücken durch seine Arbeit nicht schließen. Unseres Erachtens müssen die Erwartungslücken<br />

dagegen proaktiv geschlossen werden. Das ist ein ganz wichtiger strategischer Punkt bei der<br />

Wiedergewinnung des Vertrauens des Kapitalmarktes in die Institution der Abschlussprüfung. Die<br />

Erwartungslücken müssen konstruktiv und aktiv vom Berufsstand selbst, aber auch vom Gesetzgeber<br />

geschlossen werden. Dafür muss der Bestätigungsvermerk unseres Erachtens zum Bestätigungsbericht<br />

erweitert werden.<br />

3. Wege aus der Vertrauenskrise<br />

3.1. Aufwertung des Bestätigungsberichts<br />

Die Öffentlichkeit erwartet zu Recht über das Medium der an die Öffentlichkeit gerichteten Bestätigung<br />

auf den Jahresabschluss ein explizites Signal über die wirtschaftliche Situation des geprüften Unternehmens.<br />

Es genügt nicht, wenn der Abschlussprüfer nach dem Transparenz- und Publizitätsgesetz<br />

(TransPuG) lediglich im Prüfungsbericht über Beanstandungen zu berichten hat, die zwar nicht zur<br />

Einschränkung oder Versagung des bisher üblichen Bestätigungsvermerks geführt haben, die aber für<br />

die Überwachung der Geschäftsführung und des geprüften Unternehmens von Bedeutung sind.<br />

Diese Informationen gehören vielmehr in einen Bestätigungsbericht, der an den öffentlichen Kapitalmarkt<br />

adressiert ist.<br />

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68 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Ebenso wenig genügt es, dass nach TransPuG nur im Prüfungsbericht darauf einzugehen ist, ob der<br />

Abschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der VFE-Lage vermittelt. Gleiches<br />

gilt für die Erläuterung wesentlicher Bewertungsgrundlagen sowie des Einflusses von Änderungen in<br />

den Bewertungsgrundlagen auf die VFE-Lage, wie z. B. infolge der Ausübung von Bilanzierungs- und<br />

Bewertungswahlrechten, Ermessensspielräumen sowie sachverhaltsgestaltender Maßnahmen insgesamt<br />

(§ 321 Abs. 2 n.F.). Unseres Erachtens gehören auch diese Informationen – selbstverständlich<br />

erheblich verdichtet – in einen Bestätigungsbericht.<br />

Grundsätzlich gilt: Abschlussprüfer haben den Jahresabschluss-Adressaten auch im Bestätigungsbericht<br />

die von ihnen erarbeiteten entscheidungsrelevanten Informationen zur Verfügung zu stellen.<br />

Wir halten es für unethisch, wenn der Adressat des Prüfungsberichts, also der fachlich versierte<br />

Prüfungsausschuss bzw. der fachlich mehr oder weniger versierte Aufsichtsrat, durch den Abschlussprüfer<br />

im Prüfungsbericht auf wichtige bilanzpolitische und sachverhaltsgestaltende Maßnahmen des<br />

Vorstands und dadurch auf die tatsächliche VFE-Lage hingewiesen wird, während der Bestätigungsvermerk<br />

für die oft weniger versierten außen stehenden Aktionäre vom Abschlussprüfer ohne diese<br />

Zusatzinformationen uneingeschränkt erteilt wird. Falls die tatsächliche Lage ohne die im Prüfungsbericht<br />

vorgenommenen Umgliederungen und ohne die weiteren Informationen im Prüfungsbericht<br />

nicht erkennbar ist, muss der Abschlussprüfer diese auch den Außenstehenden via Bestätigungsbericht<br />

verdichtet bekanntgeben. Ein Bestätigungsbericht muss zur Schließung der Ewartungslücke bezüglich<br />

des Krisensignals dienen. Daher sollte ein neuer Grundsatz der materiellen Inhaltsgleichheit von<br />

Prüfungs- und Bestätigungsbericht eingeführt werden.<br />

3.2. Prüfung auf Fraud and Error<br />

Zudem muss der Prüfer grundsätzlich auch auf Fraud and Error prüfen. Der „Eiertanz“ in den diesbezüglichen<br />

Prüfungsstandards muss aufhören. Denn dort wird einerseits eine Verantwortung für die<br />

Aufdeckung von Unterschlagungen abgelehnt. Andererseits wird der Abschlussprüfer aber aufgefordert,<br />

eine risikoorientierte Prüfung auch im Hinblick auf Fraud- and Error-Risiken vorzunehmen. Unseres<br />

Erachtens muss der Prüfer grundsätzlich und systematisch von vornherein nach Fraud and Error<br />

suchen. Die forensischen Abteilungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sollten entsprechende<br />

Prüfpläne für den Berufsstand entwickeln, die zu Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung<br />

erhoben werden. Mit solchen aus der Praxis in Unterschlagungsprüfungen gewonnenen Prüfplänen<br />

lassen sich zwar nicht alle Bilanzfälschungen aufdecken, aber immerhin wesentlich mehr als heute,<br />

denn die Fälscher kommen erfahrungsgemäß immer wieder auf sehr ähnliche Ideen.<br />

Diese Handhabung würde eine weitere Erwartungslücke, die Aufdeckung von eventuell vorhandenen<br />

Bilanzdelikten, wenigstens in vielen Fällen schließen. Denn zur Durchsetzung der Aktionärs- und<br />

Gläubigerorientierung des Abschlussprüfers gehört auch, dass die Abschlussprüfung die Erwartungen<br />

derjenigen erfüllt, für die diese Institution 1931 eingerichtet worden ist. Die Öffentlichkeit erwartet zu<br />

Recht die Aufdeckung von dolosen Handlungen, zumindest soweit diese mit Stichproben-Prüfungen<br />

und forensischen Standard-Prüfungen identifiziert werden können.<br />

3.3. Sicherung der Unabhängigkeit<br />

Während der Wirtschaftsprüfer früher beständig zu den fünf angesehensten Berufen zählte, hat dessen<br />

Reputation vor allem im letzten Jahr seinen vorläufigen Tiefstand erreicht. Dieser Ansehensschwund<br />

resultiert im Wesentlichen aus Zweifeln der Öffentlichkeit an der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers<br />

vom Vorstand der geprüften Gesellschaft und damit an dessen Glaubwürdigkeit der Qualität seiner<br />

Arbeit. Die derzeit bestehenden Instrumente zur Sicherung der Unabhängigkeit und der Qualität der


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Abschlussprüfung haben in den Krisenfällen offenbar noch nicht prohibitiv gewirkt, obwohl sie zum<br />

Teil erst in der jüngsten Vergangenheit eingeführt wurden. Einige wichtige Beispiele für bisherige<br />

und neuere Regelungen auf dem Gebiet der Corporate Governance bezüglich der Abschlussprüfung<br />

sind:<br />

Auftragserteilung durch den Aufsichtsrat (§ 318 Abs. 1 Handelsgesetzbuch – HGB),<br />

Interne Rotation des verantwortlichen Abschlussprüfers (§ 319 Abs. 3 Nr. 6 HGB),<br />

Verbot der Mitwirkung bei Erstellung der zu prüfenden Unterlagen (§ 319 Abs. 2 Nr. 5 HGB),<br />

Begrenzung der Einnahmen aus einem Prüfungsauftrag auf 30 Prozent der Gesamteinnahmen<br />

aus der beruflichen Prüfungs- und Beratungstätigkeit (§ 319 Abs. 2 Nr. 8 HGB),<br />

Verbot der Prüfung bei personeller und finanzieller Verflechtung mit der zu prüfenden<br />

Gesellschaft (§ 319 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3, 6 HGB),<br />

Überprüfung des Qualitätssicherungssystems im Rahmen eines Peer Review<br />

(§ 319 Abs. 2 S. 2 HGB).<br />

Alle diese Maßnahmen haben aber bisher eine unabhängige Abschlussprüfung nicht gewährleisten<br />

können. Beispiel Peer Review: Diese Kontrolle von Abschlussprüfern durch andere Mitglieder des<br />

Berufsstandes unter Aufsicht der Wirtschaftsprüferkammer wurde nach dem Vorbild der USA eingeführt.<br />

Auch in den USA konnte er indes die Bilanzskandale nicht verhindern und wurde daher durch<br />

den Sarbanes-Oxley Act of 2002 abgeschafft. An seiner Stelle wurde der Public Company Accounting<br />

Oversight Board (PCAOB) eingerichtet, eine unter der Aufsicht der SEC stehende private Non-Profit-<br />

Organisation, die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist. Sie hat zugleich die Berufsaufsicht<br />

im Sinne einer Selbstregulierung der Wirtschaftsprüfer in den USA beendet und diese praktisch unter<br />

Staatsaufsicht gestellt. Zudem dürfen von den insgesamt fünf Mitgliedern des PCAOB höchstens zwei<br />

Mitglieder (ehemalige) Certified Public Accountants sein. Insgesamt soll mit der Einrichtung des<br />

PCAOB die Vertrauenskrise in die Rechnungslegung der Unternehmen und in deren Prüfung bewältigt<br />

werden. Bei der zurzeit in Deutschland praktizierten Peer-Review-Regelung, der Prüfung der Abschlussprüfer<br />

durch Wirtschaftsprüfer, kommt dagegen bei den Adressaten des Bestätigungsvermerks<br />

viel zu leicht die Besorgnis der Befangenheit auf.<br />

3.4. Enforcement<br />

Da die Qualität der Rechenschaft gegenüber dem Kapitalmarkt vor allem auch von der Qualität der<br />

Rechnungslegungsstandards abhängt, wird die Rückgewinnung des Vertrauens des Kapitalmarktes<br />

in geprüfte Jahresabschlüsse vor allem von der Verlässlichkeit der Rechnungslegungsinformationen<br />

abhängen. Hier ist mit einer Verbesserung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfer zumindest eine<br />

gleichzeitige Objektivierungskampagne bei den Rechnungslegungsstandards erforderlich, damit die<br />

Abschlussprüfer nicht für subjektive Färbungen des Jahresabschlusses durch den Vorstand verantwortlich<br />

gemacht werden. Diese werden in den Rechnungslegungsstandards von IAS und US-GAAP<br />

aber bewusst erlaubt, z. B. beim Ansatz von solchen Fair Values, die nicht an objektiven Marktwerten<br />

festgemacht werden, sondern subjektive Discounted-Cash-Flow-Kalküle zulassen (siehe dazu den<br />

Beitrag von Sir David Tweedy, Seite 57 ff). Nur eine Rechnungslegungsordnung, bei der auch die ordnungsmäßige<br />

Durchsetzung von Rechnungslegungsnormen garantiert ist, kann den Individualschutz<br />

und den Funktionenschutz für Kapitalmarktteilnehmer permanent und sicher genug gewährleisten.<br />

Deshalb wird in Deutschland – ausgelöst durch die Corporate-Governance-Debatte – derzeit über die<br />

69


70 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Neues Vertrauen in die Abschlussprüfung<br />

Einrichtung eines Enforcement-Systems diskutiert. Mit Hilfe des Enforcement-Systems soll die Qualität<br />

der Finanzberichterstattung und deren Prüfung langfristig verbessert und damit das Vertrauen in<br />

die Rechnungslegung und in deren Prüfung wieder gewonnen werden.<br />

In der Diskussion über die institutionelle und organisatorische Ausgestaltung eines solchen Enforcement-Systems<br />

werden zwei Modelle vorgeschlagen: ein staatliches und ein privatwirtschaftliches<br />

System. Als Vorbilder dienen dabei die US-amerikanische <strong>Börse</strong>naufsicht SEC und das britische<br />

Financial Reporting Review Panel (FRRP). Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) schlug zunächst<br />

ein privatwirtschaftliches Enforcement-Gremium wie das Financial Reporting Review Panel vor.<br />

Dagegen plädiert der Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft<br />

(AKEU) dafür, die Enforcement-Aufgabe auf eine staatliche Behörde zu übertragen. Inzwischen<br />

präferiert das IDW ein zweistufiges Enforcement-System, bei dem in der ersten Stufe ein Review<br />

Panel alle Beschwerden aufnimmt. Falls die Differenzen vom Review Panel nicht aufgeklärt werden<br />

können, sollen die Fälle vom Review Panel an eine staatliche Aufsicht weitergegeben werden.<br />

Dieses zweistufige Enforcement wäre unseres Erachtens ein Beitrag zur Wiedergewinnung des Vertrauens<br />

des Kapitalmarktes.<br />

4. Ein neues Selbstverständnis<br />

Alle diskutierten Maßnahmen müssen letztlich dazu beitragen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit<br />

in die Abschlussprüfung uneingeschränkt wiederhergestellt wird. Dementsprechend sollte die aktienrechtliche<br />

Abschlussprüfung wieder so verstanden werden, wie Eugen Schmalenbach den Begriff einst<br />

interpretierte, nämlich als ein „Amt im besten Sinne des Wortes und nicht einfach als ein Geschäft“.<br />

Dabei ist der Begriff „Amt“ nicht als behördliche Institution zu verstehen, sondern als innere Grundeinstellung<br />

des Abschlussprüfers, absolut neutral und unabhängig vom Vorstand zu prüfen, wie ein<br />

gerichtlich bestellter Gutachter.<br />

Abschlussprüfung ist keine Dienstleistung für das Unternehmen oder den Vorstand, sondern eine<br />

Überprüfung und Bestätigung der formellen und materiellen Richtigkeit des Jahresabschlusses mit<br />

dem Zweck, den Aufsichtsrat und die Anteilseigner des Unternehmens und damit den Kapitalmarkt<br />

gleichermaßen über die Ergebnisse dieser Prüfung zu informieren. Der Abschlussprüfer muss im<br />

Sinne der Principal-Agent-Theorie die Informationsasymmetrie zwischen Principal (Aufsichtsrat/Aktionäre)<br />

und Agent (Vorstand) durch die Testierung des Jahresabschlusses mit einem Bestätigungsbericht<br />

wieder zuverlässig und glaubwürdig sanktionieren, um die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte<br />

sicherzustellen.<br />

Die Abschlussprüfer und der gesamte Berufsstand der Wirtschaftsprüfer müssen aber zunächst<br />

einmal verstehen, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit, das durch die Bilanzskandale verloren<br />

gegangen ist, auch nur von der Öffentlichkeit selbst wieder zurückgegeben bzw. -gewonnen werden<br />

kann. Dies wird aber nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit glaubt und vertrauen kann, dass die<br />

Abschlussprüfung völlig unabhängig von den geprüften Vorständen ausgeführt wird. Bisher kann<br />

die Öffentlichkeit indes nicht feststellen, dass zwischen Abschlussprüfer und Vorstand der geprüften<br />

Gesellschaft ein ebenso distanziertes Verhältnis besteht wie zwischen einem gerichtlich bestellten<br />

Gutachter und den Personen, deren Handeln dieser für das Gericht sachverständig und unabhängig<br />

beurteilen soll. Das aber ist unbedingt Voraussetzung für die Rückgewinnung von Vertrauen. Der<br />

Abschlussprüfer soll durch seine Arbeitsergebnisse dem Aufsichtsrat, aber vor allem auch den außen<br />

stehenden Investoren, also der Öffentlichkeit, ein Vertrauensgut liefern. Deshalb wird er das Vertrauen<br />

nur wieder erlangen, wenn er bei seiner Tätigkeit vor allem die Interessen der außen stehenden Investoren<br />

im Auge hat und nicht die Interessen der Vorstände. Hierzu bedarf es im Berufsstand eines<br />

erheblichen Umdenkens.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006<br />

und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

Heiko Beck, Chefsyndikus, DekaBank<br />

Dirk Schlochtermeyer, Head of Market Policy, <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong><br />

1. Einleitung<br />

Die nationale Agenda im Bereich des Kapitalmarktrechts wird in den kommenden Jahren stärker<br />

denn je durch die Gesetz- und Verordnungsgebung der Europäischen Union (EU) bestimmt werden.<br />

Aus <strong>Börse</strong>nsicht besonders relevant sind in diesem Kontext die Marktmissbrauchs- und Prospektrichtlinien,<br />

die Verordnung zur Bilanzierungspraxis börsennotierter Unternehmen, die geplanten<br />

Richtlinien zur Beaufsichtigung von Finanzkonglomeraten sowie zu den Publizitätspflichten börsennotierter<br />

Gesellschaften. Alle diese Vorhaben sind entweder im Wege der nationalen Gesetzgebung<br />

oder im Fall unmittelbar geltender EU-Verordnungen lediglich durch nationalen Verwaltungsvollzug<br />

umzusetzen. Ebenfalls bereits konkret absehbar ist die neue Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (Investment<br />

Services Directive – ISD), mit der erstmalig die Grundlagen für eine europäisches <strong>Börse</strong>norganisations-<br />

und -aufsichtsrecht geschaffen würden (siehe dazu unter 3., Seite 77 ff). Auch der<br />

Bereich Clearing und Settlement (Abwicklung) ist Gegenstand der Arbeit von Kommission und Europäischem<br />

Parlament.<br />

Nachstehend soll daher unter 2. und 3. ein genauer Blick auf das Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrecht<br />

geworfen werden. Hierunter ist die Gesamtheit der Normen zu verstehen, die für die Verfassung und<br />

Organisation des Kapitalmarktes und seiner Einrichtungen maßgeblich sind. Es geht mithin um den<br />

institutionellen Rechtsrahmen, in dem sich die Akteure des Kapitalmarktes, d. h. die Infrastrukturdienstleister<br />

wie <strong>Börse</strong>n, Clearing-Häuser, Abwicklungs- und Verwahrstellen, die Marktteilnehmer<br />

sowie die Aufsichtsbehörden bewegen.<br />

Die Kapitalmarktorganisation und Kapitalmarktaufsicht ist für die beiden wesentlichen Rechtsgüter<br />

des Kapitalmarktrechts, den Funktionsschutz einerseits und den Anlegerschutz andererseits, von<br />

großer Bedeutung. Die Funktionsfähigkeit eines Kapitalmarktes kann nur mittels eines sinnvollen<br />

und effizienten institutionellen Rahmenwerks erreicht werden; hierzu gehören beispielsweise große<br />

Teile des <strong>Börse</strong>ngesetzes, das die Organisationsstruktur der <strong>Börse</strong>n sowie den Handel und die Zulassung<br />

der Wertpapiere und Derivate regelt. Auch die Gestaltung der Aufsichtsstrukturen ist für einen<br />

ordnungsgemäß funktionierenden effizienten Kapitalmarkt wesentlich. Zugleich besteht ein starker<br />

Bezug zum Anlegerschutz, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen erfordert die Sicherstellung<br />

eines funktionsfähigen Kapitalmarktes stets Maßnahmen zur Sicherung der Marktintegrität, z. B. durch<br />

Gleichbehandlungsgebote und Transparenzvorschriften. Zum anderen bedarf der Anlegerschutz<br />

nicht nur einer Verankerung in materiellen Verhaltensnormen, sondern auch einer institutionellen<br />

Absicherung durch wirksam arbeitende Aufsichtsbehörden.<br />

Die Qualität des Funktions- und Anlegerschutzes ist das Gütesiegel eines Finanzplatzes und damit<br />

entscheidend für seine Wettbewerbsfähigkeit. Gerade im Kontext der Schaffung eines europäischen<br />

Kapitalmarktes ist dem Rechnung zu tragen, weil durch das Ziel eines ungehinderten Dienstleistungs-,<br />

Kapital- und Zahlungsverkehrs der Wettbewerb zwischen den einzelnen europäischen Finanzplätzen<br />

eher noch intensiver werden wird. Die Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen wird zu<br />

mehr, nicht zu weniger Wettbewerb führen. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess mitzugestalten<br />

und die eigenen Interessen zu vertreten. Dies gilt für den Finanzplatz im Allgemeinen und die<br />

Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> im Besonderen.<br />

73


74 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

2. Weiterentwicklung des institutionellen Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrechts<br />

2.1. Rechtsform und Selbstverwaltung der <strong>Börse</strong><br />

Die deutschen <strong>Börse</strong>n verfügen im internationalen Vergleich über eine besonders flexible und weiterentwicklungsfähige<br />

Struktur und Organisationsverfassung. Wesentlicher Grund hierfür ist die dem<br />

deutschen <strong>Börse</strong>nrecht eigene Trennung zwischen öffentlich-rechtlicher <strong>Börse</strong> als Marktorganisator<br />

und dem privatwirtschaftlich arbeitenden Träger andererseits. Die Väter des <strong>Börse</strong>ngesetzes haben<br />

diese gemischt öffentlich-/privatrechtliche Struktur, die zugleich als „Private-Public Partnership“ zu<br />

sehen ist, vor über 100 Jahren geschaffen. Sie ist zwar weltweit einmalig, aber gerade unter Wettbewerbsgesichtspunkten<br />

unverändert zeitgemäß. Dies gilt in dreifacher Hinsicht:<br />

Erstens besteht das insbesondere in der Satzungsautonomie (Befugnis zum Erlass der <strong>Börse</strong>nordnung<br />

und anderer Satzungen) verankerte umfassende Selbstverwaltungsrecht der <strong>Börse</strong>, das ausländischen<br />

<strong>Börse</strong>n weitgehend fremd ist. Der Staat kontrolliert nur die Rechtmäßigkeit des Handels der <strong>Börse</strong>,<br />

nicht aber dessen Zweckmäßigkeit, d. h. es besteht Rechts-, aber keine Fachaufsicht. Dies erhöht<br />

die unternehmerische Freiheit und Schnelligkeit, mit der neue Dienstleistungen oder Produkte angeboten<br />

werden können. Beispielsweise dauerte das Genehmigungsverfahren für die Einführung des<br />

Xetra-Systems vor fünf Jahren nur wenige Monate, während die Nasdaq für die Einführung ihres<br />

neuen Handelssystems Super Montage drei Jahre mit der SEC verhandeln musste, mit allen damit<br />

einhergehenden negativen Folgen wie Marktanteilsverluste gegenüber außerbörslichen Systemen.<br />

Notwendige Voraussetzung hierfür ist die öffentlich-rechtliche Rechtsform der <strong>Börse</strong>, weil nach<br />

deutschem Verfassungsrecht nur Körperschaften oder Anstalten wie die <strong>Börse</strong>n mit weitgehender<br />

Selbstverwaltungskompetenz versehen werden können. Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz hat<br />

die Selbstverwaltungsrechte der <strong>Börse</strong> gerade in positiver Weise nochmals gestärkt. Zu nennen ist<br />

die ausdrückliche Ermächtigung der Wertpapierbörsen, den Handel elektronisch, mittels Skontroführer<br />

oder durch eine Kombination von beidem durchführen zu können, sowie die Befugnis, für Teilbereiche<br />

des amtlichen und des geregelten Marktes über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende<br />

Anforderungen vorsehen zu können. Auf diese Weise wird der Weg für die immer wieder notwendige<br />

Weiterentwicklung der Marktstrukturen bereitet. Davon hat die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> stets Gebrauch<br />

gemacht, z. B. mit der unlängst verabschiedeten Aktienmarktneusegmentierung, und dies wird auch<br />

in Zukunft so bleiben (siehe Seite 82 f).<br />

Zweitens ermöglicht gerade die rechtliche Trennung von Träger und <strong>Börse</strong> die wirtschaftliche Kombination<br />

von unternehmerischer Initiative und Selbstverwaltung und hat dadurch Entwicklungen wie<br />

die Schaffung der Eurex (vormals <strong>Deutsche</strong> Terminbörse), die Einführung des elektronischen Handelssystems<br />

Xetra, die <strong>Börse</strong>nnotierung der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong> und deren Entwicklung als Infrastrukturdienstleister<br />

für den Kapitalmarkt maßgeblich gefördert.<br />

Drittens ist durch die Trennung zwischen <strong>Börse</strong> und Träger eine gute Corporate Governance der <strong>Börse</strong>norganisation<br />

als Ganzes gewährleistet. So werden die Interessen der Handelsteilnehmer, Emittenten<br />

und Anleger im <strong>Börse</strong>nrat als dem demokratisch legitimierten Kontroll- und Rechtsetzungsorgan der<br />

<strong>Börse</strong> vertreten, der für alle wesentlichen Strukturentscheidungen zuständig ist. Die Anteilseignerinteressen<br />

werden hingegen in den Organen der Trägergesellschaft, d. h. Aufsichtsrat und Hauptversammlung,<br />

gewahrt. Auf diese Weise erfolgt ein Ausgleich zwischen den Interessen von Marktteilnehmern<br />

und Anteilseignern. Ein weiterer Vorteil besteht insbesondere für Trägergesellschaften, bei<br />

denen der <strong>Börse</strong>nbetrieb nur eines von mehreren Geschäftsfeldern darstellt. Sie können ihre Unternehmenspolitik<br />

weitgehend eigenständig und unabhängig vom <strong>Börse</strong>nbetrieb festlegen. Die für dessen<br />

Durchführung notwendige Verbindung zwischen <strong>Börse</strong> und Träger, gewissermaßen der Transmissionsriemen<br />

wird über die Betriebspflicht nach § 1 Abs. 2 BörsG hergestellt. Danach hat der Träger die<br />

für den <strong>Börse</strong>nbetrieb erforderlichen Ressourcen zu stellen.


2.2. Zukunft der <strong>Börse</strong>nselbstverwaltung und <strong>Börse</strong>naufsicht<br />

2.2.1. Die <strong>Börse</strong> als Marktveranstalter<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

Wie die obigen Ausführungen zeigen, war und ist die Selbstverwaltung ein für den Erfolg der deutschen<br />

<strong>Börse</strong>n wesentlicher Faktor. Insoweit ist darauf zu achten, dass die europäische Gesetzgebung hier<br />

nicht zu Beschränkungen und Rückschritten führt, die nicht im Interesse des Finanzplatzes liegen<br />

können. Der Entwurf der neuen ISD definiert umfassende Voraussetzungen für den Betrieb so genannter<br />

geregelter Märkte, worunter die <strong>Börse</strong>n zu subsumieren sind. Hierzu gehören auch dem<br />

deutschen <strong>Börse</strong>nrecht bislang unbekannte Genehmigungserfordernisse für die Organisation der<br />

<strong>Börse</strong> und des <strong>Börse</strong>nhandels. Die Rahmenbestimmungen der Richtlinie sind zwar nicht ganz eindeutig,<br />

jedoch bedarf es nur beschränkter juristischer Phantasie, dass dies auf die Einführung der<br />

Fachaufsicht und damit eine deutliche Einschränkung der Selbstverwaltung hinauslaufen könnte.Dies<br />

gilt insbesondere, wenn man ins europäische Ausland blickt, wo die meisten <strong>Börse</strong>n ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse<br />

in den letzten Jahrzehnten weitgehend verlustig gegangen sind.<br />

Zudem sollen die Einzelheiten im so genannten Level-2-Verfahren durch die Kommission geregelt<br />

werden, wobei den in CESR vereinigten nationalen Wertpapieraufsichtsbehörden eine maßgebliche<br />

beratende Rolle zukommt (siehe Schaubild auf Seite 18). Anders als in Deutschland mit der immer<br />

noch dezentralen <strong>Börse</strong>naufsicht sind diese Behörden regelmäßig bereits jetzt für die <strong>Börse</strong>naufsicht<br />

zuständig und üben schon eine Fachaufsicht aus. Eine Angleichung könnte für die deutschen <strong>Börse</strong>n<br />

daher auf den Verlust bestehender Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen EU-<strong>Börse</strong>n hinauslaufen.<br />

Es kommt deshalb darauf an, die Stellung der <strong>Börse</strong> als Marktveranstalter zu erhalten.<br />

2.2.2. Wettbewerb<br />

Soweit bisweilen Wettbewerbsargumente für eine Veränderung der bestehenden deutschen <strong>Börse</strong>nstruktur<br />

vorgetragen werden, gehen diese bei näherer Betrachtung ins Leere. Die Anwendbarkeit des<br />

Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist in sämtlichen Bereichen gegeben, in denen den<br />

<strong>Börse</strong>n und ihren Trägern ein eigenständiger Gestaltungsspielraum zusteht. Somit ist ein ausreichender<br />

Wettbewerbsschutz gewährleistet. Es besteht ein diskriminierungsfreier Zugang für in- und ausländische<br />

Marktteilnehmer zu den <strong>Börse</strong>n, Clearing- und Settlement-Einrichtungen. Hier ist Deutschland<br />

sogar Vorreiter in der EU. Das deutsche Kapitalmarkt- und <strong>Börse</strong>nrecht lässt auch einen weitgehenden<br />

Wettbewerb zwischen <strong>Börse</strong>n und außerbörslichen Handelssystemen zu. Die rechtlichen Markteintrittsbarrieren<br />

für solche Systeme bestehen lediglich im Erfordernis einer Finanzdienstleistererlaubnis<br />

nach § 32 Kreditwesengesetz und künftig zusätzlich einer Anzeige nach § 58 <strong>Börse</strong>ngesetz<br />

(BörsG). Die Gründe für den bislang fehlenden Erfolg dieser Einrichtungen liegen nicht in rechtlichen<br />

Hürden, sondern in der unzureichenden Marktakzeptanz.<br />

2.2.3. Vereinheitlichung der <strong>Börse</strong>naufsicht<br />

Soll die Selbstverwaltung der <strong>Börse</strong>n im europäischen Kontext weiterhin eine Zukunft haben, ist<br />

rechtspolitisch allerdings an der Stelle anzusetzen, die das notwendige Kontrollinstrument darstellt.<br />

Gemeint ist die seit Jahren diskutierte und unveränderte wünschenswerte Vereinheitlichung der<br />

<strong>Börse</strong>naufsicht in Deutschland, sei es in Form einer institutionellen oder auch nur faktischen Zentralisierung.<br />

Die gegenwärtige Situation ist in zweifacher Hinsicht unbefriedigend. Zum einen ist<br />

international nicht vermittelbar, dass die Aufsicht über so wichtige Kapitalmarktinfrastruktureinrichtungen<br />

wie <strong>Börse</strong>n dezentral erfolgt. Zum anderen führt die bestehende Struktur zu einem unterschiedlichen<br />

Aufsichtsniveau in der Bundesrepublik Deutschland, weil die Aufsichtsbehörden personell<br />

75


76 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

und sachlich unterschiedlich ausgestattet sind. Als negatives Beispiel für Regulierungsabitrage und<br />

damit für Wettbewerbsverzerrung in Deutschland ist die unterschiedliche Zuerkennung von <strong>Börse</strong>npreisen<br />

für Internalisierungsangebote von <strong>Börse</strong>n zu nennen. Internalisierung kann nie <strong>Börse</strong>npreise<br />

generieren, weil <strong>Börse</strong>npreise nur dann ordnungsgemäß zustande kommen, wenn Handelsteilnehmern<br />

die Angebote zugänglich sind und die Annahme der Angebote möglich ist. Weil das multilaterale<br />

Kennzeichen bei der Internalisierung stets fehlt, generiert Xetra Best in den Augen der Hessischen<br />

<strong>Börse</strong>naufsicht folgerichtig keine <strong>Börse</strong>npreise. Dies muss auch für andere Internalisierungsangebote<br />

gelten. Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn die Nasdaq Deutschland aktiv für ihr Internalisierungsangebot<br />

mit dem Merkmal „<strong>Börse</strong>npreis“ wirbt und die Berliner <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörde dieser<br />

Auffassung nicht widerspricht. Bessere Argumente für eine Zentralisierung der <strong>Börse</strong>naufsicht kann<br />

es nicht geben. Verschärft wird die Situation noch durch die in den §§ 58, 59 BörsG eingeführte<br />

Regulierung außerbörslicher Handelssysteme, die den <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörden des jeweiligen Bundeslandes<br />

obliegt, in dem ein solches System oder sein Betreiber angesiedelt ist. Hier kann es zu<br />

der kuriosen Situation kommen, dass Systeme in Bundesländern entstehen, in denen es noch keine<br />

<strong>Börse</strong>naufsichtsbehörde gibt und mithin eigens eine solche geschaffen werden müsste, was zu max.<br />

16 <strong>Börse</strong>naufsichtsbehörden in Deutschland führen könnte. Die Bundesregierung ist aufgerufen,<br />

diesen Missstand schnell zu beseitigen.<br />

2.3. Transparenzregeln<br />

Die Transparenzstandards am Finanzplatz haben sich in den vergangenen Jahren durch die Bemühungen<br />

des Gesetzgebers, der Marktteilnehmer und auch der Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> maßgeblich<br />

verbessert.<br />

2.3.1. Publizitätsvorschriften für Unternehmen<br />

Im Bereich der Emittenten sind mit der Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG),<br />

der Meldepflicht für die Geschäfte von Organmitgliedern und diesen nahe stehenden Personen nach<br />

§ 15a WpHG sowie einer gesetzlichen und untergesetzlichen Regelpublizität, die häufig Quartalsberichte<br />

beinhaltet, internationale Standards erreicht oder gar übertroffen worden. Zu verbessern ist<br />

allerdings die inhaltliche Qualität der Berichterstattung. In diesem Bereich hat die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong><br />

durch die so genannten strukturierten Quartalsberichte, die ursprünglich am Neuen Markt eingeführt<br />

wurden, im gesamten neuen Aktienmarktsegment Prime Standard zu einer weiteren Transparenzsteigerung<br />

beigetragen (mehr dazu siehe Seite 82 f). Worauf es jedoch vor allem ankommt, ist, dass<br />

die Verletzung von Publizitätspflichten wirksam sanktioniert wird. Für die bislang in die Zuständigkeit<br />

der <strong>Börse</strong> fallenden Regelpublizitätspflichten der börsennotierten Gesellschaften hat der Gesetzgeber<br />

durch erweiterte Sanktionsmöglichkeiten der <strong>Börse</strong> bereits einen Beitrag geleistet. Dies kann jedoch<br />

nur als Anfang gesehen werden; die Bundesregierung hat daher die Unternehmenstransparenz zu<br />

Recht auf die kapitalmarktpolitische Agenda gesetzt.<br />

2.3.2. Transparenzvorschriften für den börslichen und außerbörslichen Handel<br />

Auch im <strong>Börse</strong>nhandel besteht zum Vorteil der Investoren bereits eine weitgehende Pre- und Post-<br />

Trade-Transparenz. Konkret und dringlich zu verbessern ist allerdings die Transparenz des außerbörslichen<br />

Handels durch eine Veröffentlichung der Preise und Umsätze unverzüglich nach Geschäftsabschluss.<br />

Im Unterschied zu den meisten Mitgliedsstaaten der EU verhält es sich in der Bundesrepublik<br />

Deutschland bislang so, dass zwar alle Geschäfte in börsengehandelten Wertpapieren und Instrumen-


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

ten nach § 9 WpHG an die BaFin gemeldet werden, veröffentlicht werden jedoch nur die Preise und<br />

Umsätze der <strong>Börse</strong>ngeschäfte, nicht hingegen die außerbörslichen Geschäftsabschlüsse. Mithin ist<br />

für die Marktteilnehmer und Investoren unklar, zu welchen Preisen und mit welchen Umsätzen im<br />

außerbörslichen Handel agiert wird. In der Praxis kann daher bei der Erteilung von Aufträgen nie<br />

die Gesamtmarktlage berücksichtigt werden, sondern lediglich die Auftragslage an der <strong>Börse</strong>. Dies ist<br />

insbesondere im Handel mit Aktien und Optionsscheinen nachteilig, da ein Informationsungleichgewicht<br />

zu Lasten des börslichen Handels besteht, auch wenn ca. 70 Prozent des Handels über die<br />

<strong>Börse</strong>n abgewickelt werden.<br />

An anderen Finanzplätzen erfolgt nicht nur die Meldung, sondern auch die Veröffentlichung aller<br />

Geschäfte sofort oder zumindest am gleichen Tag. Der deutsche Markt ist daher immer wieder dem<br />

Vorwurf einer geringen Gesamtmarkttransparenz ausgesetzt und verliert für ausländische Investoren<br />

an Attraktivität. Der Entwurf der neuen ISD sieht ebenfalls weitergehende Transparenzpflichten im<br />

Sinne des oben Gesagten vor. Der deutsche Gesetzgeber sollte sich dieses Themas daher frühzeitig<br />

von sich aus annehmen. Die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist bereit, diesen Prozess aktiv zu unterstützen.<br />

3. Reformen im europäischen Kontext<br />

Die ISD zeugt als Kernelement des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen (Financial Services<br />

Action Plan – FSAP) von der Europäisierung der Regulierung. Im Rahmen des FSAP sollen bis zum<br />

Jahr 2005 über 40 Maßnahmen zur Integration des Finanzbinnenmarktes umgesetzt werden; die<br />

Integration des Wertpapierbinnenmarktes ist bereits für das Jahr 2003 vorgesehen. Dieser Zeitplan<br />

ist ausgesprochen ambitioniert. Er ist auch deshalb ambitioniert, weil die politisch umstrittenen<br />

Projekte erst noch zur Entscheidung anstehen.<br />

3.1. Das Lamfalussy-Verfahren<br />

Ausmaß und Erfolg der Integration hängen im wesentlich von zwei Faktoren ab. Zum einen, ob das<br />

„Lamfalussy-Verfahren“ wirklich geeignet ist, um schneller zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.<br />

Der Versuch, das bisherige Rechtssetzungsverfahren zu beschleunigen, ist richtig und unbestritten.<br />

Danach wird auf Ebene 1 von Rat und Parlament nur noch eine Rahmenregelung beschlossen,<br />

während die Formulierung der Durchführungsbestimmungen durch Ausschüsse von Minister- und<br />

Aufsichtsvertretern auf Ebene 2 erfolgt (siehe auch Seite 18).<br />

Weil die Mitgliedsstaaten dem Verfahren nicht ausreichend trauen, und weil es unter ihnen unterschiedliche<br />

Auffassungen darüber gibt, was etwa „Transparenz“ oder „Marktintegrität“ bedeuten,<br />

konzentrieren sich die Richtlinien nicht auf das Wesentliche. Vielmehr neigen die Verhandlungspartner<br />

bereits auf Ebene 1 zu Überregulierungen und damit zu Zeitverzögerungen. So umfasst etwa der<br />

Richtlinienvorschlag der Kommission zur ISD über 100 Seiten. Der Grund für das Misstrauen in das<br />

Verfahren liegt auch darin, dass auf Ebene 2 von den Aufsichtsbehörden bereits Detail- und Umsetzungsvorschriften<br />

festgelegt werden, obwohl grundlegende Inhalte und Definitionen der Richtlinie<br />

noch gar nicht feststehen. Die Prospektrichtlinie bildet dafür ein problematisches Beispiel. Im Übrigen<br />

ist es ein wesentliches Element des Lamfalussy-Verfahrens, dass das Europäische Parlament nur noch<br />

an dem Basisrechtsakt auf Ebene 1 beteiligt ist, nicht jedoch am Erlass der Durchführungsbestimmungen<br />

auf Ebene 2. Das führt dazu, dass teilweise Beschlüsse mit weit reichenden Folgen ohne<br />

eine parlamentarische Kontrolle getroffen werden.<br />

Jeder der beteiligen Akteure – Kommission, Rat, Europäisches Parlament, Ecofin, Europäische Zentralbank<br />

– verfügt über mindestens ein Beratungsgremium. Das ist einerseits erforderlich, um Kompetenz<br />

77


78 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

aufzubauen. Andererseits nimmt auf diese Weise die Komplexität der Entscheidungsfindung zu. Es<br />

muss daher die Frage gestellt werden, ob die Verfahrensbeschleunigung einen Wert an sich darstellt,<br />

wenn es parallel nicht in ausreichender Form gelingt, die Marktteilnehmer zu konsultieren und eine<br />

inhaltliche Qualitätskontrolle sicherzustellen. Als Richtlinie mit einem zweifelhaften Ergebnis ist die<br />

Prospektrichtlinie zu nennen, die in den Augen der meisten europäischen Marktteilnehmer einen<br />

Rückschritt darstellt, weil sie zu einer Überregulierung führt und die Emittenten abweichend von der<br />

heutigen Praxis zwingt, die Prospektprüfung im Heimatland durchführen zu lassen. Es ist zu früh,<br />

abschließend über die Vorzüge des Lamfalussy-Verfahrens zu urteilen. Vollends unübersichtlich dürfte<br />

das Verfahren aber dann werden, wenn die genannten Gremien auf die Bereiche Banken, Versicherungen<br />

und Finanzkonglomerate ausgedehnt und verdreifacht werden.<br />

3.2. Europäische Integration und nationale Interessen<br />

Darüber hinaus hängt der Erfolg der Integration entscheidend davon ab, ob die Mitgliedsstaaten<br />

bereit sind, bei grundlegenden Vorhaben auf Souveränität zu verzichten, oder ob sie weiterhin alle<br />

Anstrengungen unternehmen, um ihren Heimatmarkt zu protegieren. Das gilt sowohl für Deutschland<br />

als auch für andere Staaten. In der Praxis führte diese Einstellung bisher zu zwei Konsequenzen. Um<br />

politische Kompromisse zu erzielen und dem Zeitdruck nachzugeben, wurden einerseits der Ebene 2<br />

Inhalte überlassen, die eigentlich in der Richtlinie hätten festgeschrieben werden sollen.<br />

Andererseits sind bei wichtigen Themen bisher keine greifbaren Ergebnisse erzielt worden. Dabei ist<br />

sowohl die seit 1974 verhandelte Übernahmerichtlinie als auch die Besteuerung von Zinserträgen<br />

zu nennen, für die sich die Kommission seit 1997 erfolglos bemüht, ein europäisches Koexistenzmodell<br />

einzuführen. In beiden Fällen zeigt der Streit um Fristen, nationale Ausnahmetatbestände,<br />

Übergangsregeln und die Einbeziehung von Drittländern, wie hartnäckig die Regierungen versuchen,<br />

ihre heimischen Finanzmärkte zu verteidigen und abzuschotten. Sollte es endgültig nicht gelingen,<br />

die genannten Richtlinien ohne großen Substanzverlust zu verabschieden – und sie auch einheitlich<br />

umzusetzen –, würde das einen empfindlichen Rückschlag für die Integration des europäischen Kapitalmarktes<br />

bedeuten.<br />

Dabei bildet die Integration des europäischen Kapitalmarktes weiterhin ein besonders lohnenswertes<br />

Ziel, denn die vorhandene Fragmentierung verhindert eine optimale Kapitalallokation in Europa. Zwei<br />

Indikatoren mögen das verdeutlichen: Zunächst hat eine Studie von London Economics im Auftrag<br />

der Europäischen Kommission herausgefunden, dass die Eigenkapitalkosten der Unternehmen in<br />

einem integriertem Kapitalmarkt um 0,5 Prozent sinken und in der Folge die Kosten für Finanzierungen<br />

über den Rentenmarkt um 0,4 Prozent fallen werden (vgl. Abbildung auf Seite 79). Darüber hinaus<br />

liegt die Marktkapitalisierung der meisten europäischen Ländern deutlich unter dem Niveau der USA.<br />

Deutschland liegt wiederum deutlich unter dem europäischen Durchschnitt (vgl. Abbildung auf Seite<br />

80). Das verdeutlicht die Unterentwicklung unseres Kapitalmarktes, zeigt aber auch sein überdurchschnittliches<br />

Entwicklungspotenzial.


3.3. Die ISD als Prüfstein der Integration<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

Geschätzter Nutzen der Integration<br />

der europäischen Aktienmärkte<br />

Land Senkung der Eigenkapitalkosten*<br />

Österreich<br />

Belgien<br />

Luxemburg<br />

Frankreich<br />

Portugal<br />

Irland<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

Finnland<br />

Schweden<br />

Niederlande<br />

Italien<br />

Großbritannien<br />

Griechenland<br />

Spanien<br />

Gewichteter Durchschnitt<br />

* (Schätzung, in Basispunkten)<br />

Quelle: London Economics<br />

November 2002<br />

Der ISD kommt bei der Integration des Binnenmarktes eine besondere Bedeutung zu. Sie bildet einen<br />

Prüfstein für die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, zu einer europäischen Harmonisierung zu kommen.<br />

Denn die ISD reguliert nicht nur Wertpapierdienstleistungen, sondern harmonisiert auch Marktstrukturen<br />

und klassifiziert Wertpapierhandelssysteme. Davon sind Marktorganisatoren, Marktteilnehmer<br />

und Investoren gleichermaßen betroffen, wobei die Intermediäre mit Abstand den größten Marktwert<br />

für sich vereinnahmen. Die Diskussion um Desintermediation und Internalisierung ist daher in erster<br />

Linie auch eine Auseinandersetzung um die Verteilung von Marktanteilen.<br />

Für die ISD gilt, was zu den Zielen der Kapitalmarktaufsicht oben gesagt wurden: Sie soll gleichermaßen<br />

die Ziele Anlegerschutz und Funktionsschutz verfolgen. Letzteres lässt sich nochmals unterteilen<br />

in Wettbewerb von Handelsplattformen und Vermeidung einer Marktfragmentierung. Jedes Ziel<br />

für sich genommen hat eine hohe Bedeutung, untereinander stehen sie jedoch in einem Spannungsverhältnis.<br />

So erschweren hohe Anforderungen an den Anlegerschutz, so wichtig sie auch ohne Zweifel<br />

sind, den Markteintritt neuer Anbieter von Handelsplattformen und vermindern so den Wettbewerb.<br />

Andererseits erhöht sich mit einem Mehr an Wettbewerb auch die Fragmentierung von Liquidität,<br />

was wiederum die Handelskosten in die Höhe treibt. Zugleich ist Wettbewerb notwendig, um Anreize<br />

für kundenorientierte Innovationen und Preissenkungen zu geben.<br />

In der Diskussion um die ISD kommen diese komplexen Spannungsverhältnisse in folgenden Fragen<br />

zum Ausdruck: In welchem Ausmaß müssen Intermediäre bei der Internalisierung von Orders analog<br />

den regulierten Märkten eine Pre-Trade-Transparenz gewähren? Wie ist länderübergreifend eine<br />

konsistente Anwendung von Best-Execution-Vorschriften erreichbar? Ist eine einheitliche Pre-Trade-<br />

Transparenz vor dem Hintergrund der verschiedenen Marktmodelle und Ordertypen realistisch?<br />

60,1<br />

59,0<br />

59,0<br />

58,9<br />

58,7<br />

58,6<br />

56,7<br />

56,4<br />

56,2<br />

54,6<br />

50,6<br />

46,9<br />

38,1<br />

31,8<br />

23,4<br />

46,7<br />

79


80 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die deutsche Reformagenda 2002 bis 2006 und die Rolle der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong><br />

<strong>Börse</strong>nkapitalisierung in Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts (2001)<br />

Land Prozent<br />

Schweiz<br />

Großbritannien<br />

USA<br />

Belgien/Frankreich/Niederlande<br />

Spanien<br />

Deutschland<br />

Japan<br />

Italien<br />

136,3<br />

96,0<br />

80,5<br />

58,1<br />

55,4<br />

48,4<br />

Source: DAI<br />

152,0<br />

Wie kann in Deutschland „post trade“ die Veröffentlichung der außerbörslichen Handelsinformationen<br />

erzielt werden, die in Europa bereits Standard ist und deren Fehlen noch einen Wettbewerbsnachteil<br />

für den Finanzstandort bildet? Sollen die Vorschriften für Pre- und Post-Trade-Transparenz nur für<br />

Aktien oder auch für andere Wertpapiere gelten? Diese Fragen bilden den Kern der kommenden<br />

Diskussion.<br />

Durch ihr Portfolio von Geschäften kann die Gruppe <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> nicht nur für Intermediäre,<br />

Emittenten und Investoren, sondern auch für Informationsanbieter und andere <strong>Börse</strong>n das gesamte<br />

Spektrum an Dienstleistungen – Handel, Clearing und Settlement sowie Informationsprodukte und<br />

Technologieentwicklung – anbieten. Die Integration des europäischen Wertpapiermarktes bietet neue<br />

Chancen, dieses Portfolio über Länder- und Funktionsgrenzen hinweg weiterzuentwickeln. Die Gruppe<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> ist entschlossen, diese Chancen zu nutzen.<br />

213,4


82 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Aktienmarktneusegmentierung: <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />

Aktienmarktneusegmentierung:<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />

Mit der Neusegmentierung des deutschen Aktienmarktes wird ein weiteres Kapitel deutscher Kapitalmarktgeschichte<br />

geschrieben. Die neuere Geschichte begann im Jahr 1996 mit dem Konzept der<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> für ein Segment für junge, innovative Wachstumsunternehmen. Damals entzündete<br />

sich eine heftige Diskussion, weniger an der Frage der Notwendigkeit eines Marktes für Wachstumsunternehmen<br />

als an den seinerzeit als ausgesprochen hoch empfundenen Transparenzanforderungen,<br />

die die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> an die Emittenten stellen wollte. Damals wie heute war die <strong>Börse</strong> der Auffassung,<br />

dass Unternehmen, die Eigenkapital von Aktionären zur Verfügung gestellt bekommen wollen,<br />

gläserne Taschen haben müssen. Die Transparenzstandards des Neuen Marktes waren somit als<br />

Rollenmodell angelegt. Sie werden sich nach Umsetzung der Aktienmarktneusegmentierung nicht<br />

nur auf junge Wachstumsunternehmen, sondern auch auf alle sonstigen Unternehmen erstrecken,<br />

die sich an internationalen Veröffentlichungsstandards messen lassen wollen.<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> trägt mit der Neusegmentierung des Aktienmarktes das Ihrige dazu bei, das Vertrauen<br />

der Investoren in den deutschen Aktienmarkt durch hohe Standards und verbesserte Durchsetzbarkeit<br />

zurückzugewinnen. Außerdem soll die neue Indexwelt an den Bedürfnissen der Investoren<br />

ausgerichtet werden. Der Anleger steht damit im Mittelpunkt der neuen Marktorganisation. Hierzu<br />

werden zwei Segmente für die Zulassung von Unternehmen zur <strong>Börse</strong> geschaffen: Im General Standard<br />

werden die Zulassungsvoraussetzungen des geregelten Marktes weitgehend auf das Niveau<br />

des amtlichen Marktes angehoben, wie sie im <strong>Börse</strong>ngesetz festgelegt sind. Noch weiter gehen die<br />

Vorschriften für das zweite Segment, den Prime Standard. Hier gelten zusätzliche Transparenzstandards,<br />

die den internationalen Gegebenheiten entsprechen, wie Quartalsberichte, internationale<br />

Rechnungslegung, Veröffentlichung von Unternehmenskalendern und Ad-hoc-Nachrichten in englischer<br />

Sprache. Die Emittenten werden sich bei ihrer Entscheidung, welchen Zulassungsstandards<br />

sie entsprechen wollen, von einer Abwägung der Kosten und des Nutzens der Notierung in einem der<br />

beiden <strong>Börse</strong>nsegmente leiten lassen. Wer primär auf deutsche Investoren abzielt, wird sich eher für<br />

den General Standard entscheiden. Für Unternehmen, die ihre Zielgruppe bei Investoren und Kunden<br />

im internationalen Bereich sehen und die eine Chance auf die Aufnahme in einen Leitindex sehen,<br />

ist der Prime Standard richtig (siehe Schaubild unten).<br />

Vereinheitlichung des regulatorischen Rahmens<br />

Alte Struktur Neue Struktur<br />

Amtlicher Markt<br />

Geregelter Markt<br />

Neuer<br />

Markt<br />

SMAX DAX<br />

MDAX<br />

Prime Standard<br />

General Standard<br />

Öffentliches Recht Privatrecht Indexleitfäden<br />

<strong>Börse</strong>ngesetz, Regelwerk Neuer Markt, <strong>Börse</strong>nrichtlinien <strong>Börse</strong>nordnung<br />

<strong>Börse</strong>nordnung SMAX-Teilnahmebedingungen


Indexlandschaft ab 2003<br />

CDAX<br />

Prime All Share<br />

SDAX<br />

DAX<br />

MDAX TecDAX30<br />

General Standard<br />

KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Aktienmarktneusegmentierung: <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> setzt Standards in Europa<br />

18 Branchenindizes<br />

Automobile<br />

Banks<br />

Basic Resources<br />

Chemicals<br />

Construction<br />

Consumer<br />

Financial Services<br />

Food & Beverages<br />

Industrial<br />

Insurance<br />

Media<br />

Pharma & Healthcare<br />

Retail<br />

Software<br />

Technology<br />

Telecommunication<br />

Transportation & Logistics<br />

Utilities<br />

Eng verbunden mit der Neusegmentierung ist das am Investorenverhalten orientierte neue Indexkonzept.<br />

Es ist sektoral auf die Emittenten im Prime Standard ausgerichtet. Insbesondere im Bereich der<br />

Midcaps sind zwei Indizes für klassische Branchen einerseits und Technologiebranchen andererseits<br />

geschaffen worden. So haben innovative Unternehmen in Zukunftstechnologien auch weiterhin eine<br />

Plattform, auf der sich Investoreninteresse finden wird. Damit lebt die Idee des Neuen Marktes weiter,<br />

dass junge, innovative Unternehmen über die <strong>Börse</strong> einen Kanal für die Eigenkapitalfinanzierung in<br />

Ansprach nehmen können.<br />

Auch mit der neuen Segmentierung wird sichergestellt, dass ausreichend Liquidität vorhanden ist.<br />

Werte im Prime Standard sollen grundsätzlich im fortlaufenden Handel in Xetra notiert werden. Die<br />

Notierung im fortlaufenden Handel wird Voraussetzung für eine Aufnahme in die Auswahlindizes der<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> sein (siehe Schaubild oben).<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> hat in den letzten Jahren die Rolle als Agent des Wandels im deutschen Kapitalmarkt<br />

aktiv wahrgenommen. Wer hätte vor sechs Jahren gedacht, dass fast 400 Prime-Standard-<br />

Unternehmen in Deutschland Quartalsberichte erstellen würden? Regelmäßige Analystenveranstaltungen<br />

sind eine Selbstverständlichkeit geworden. Die im Neuen Markt erstmals eingeführten Directors’<br />

Dealings sind inzwischen im Gesetz verankert. Die Qualität der regelmäßigen Berichterstattung<br />

wurde durch die Vorgabe einer Struktur für Quartalsberichte erheblich verbessert. Auch die auf unsere<br />

Initiative verabschiedeten und von zwischenzeitlich 22 Banken als Standard akzeptierten Going-Public-Grundsätze<br />

tragen zu Fairness und Chancengleichheit gegenüber Investoren bei. In puncto<br />

Transparenz ist der Regulierungsrahmen durch die <strong>Börse</strong> weitgehend ausgeschöpft. Bei Themen wie<br />

Anlegerschutz, Rechnungslegung oder Unternehmenskontrolle ist der Gesetzgeber gefordert. Doch<br />

die <strong>Börse</strong> sieht sich in diesem Prozess weiterhin als Moderator.<br />

Kritiker der Neusegmentierung merken an, dass durch diesen Schritt Vertrauen nicht automatisch<br />

zurückgewonnen wird und die Kurse nicht steigen werden. Das ist richtig. Vertrauen können nur alle<br />

Kapitalmarktbeteiligten schaffen: die Emittenten, indem sie ehrlich und fair berichten und Profite<br />

erwirtschaften; die Finanzintermediäre, indem sie <strong>Börse</strong>nkandidaten richtig beraten und prüfen; die<br />

Wirtschaftsprüfer, indem sie ihre Kontrollfunktion noch besser wahrnehmen; die Anleger, indem sie<br />

die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen richtig auswerten. Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> glaubt aber<br />

daran, dass klare Standards, die sich an den Bedürfnissen der Investoren orientieren, Vertrauen in<br />

die Marktorganisation zurückgewinnen können.<br />

83


84 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Autorenverzeichnis<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg Baetge ist emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere<br />

Wirtschaftsprüfung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Honorarprofessor<br />

der Universität Wien. Er sitzt gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h. c. Marcus Lutter dem Arbeitskreis<br />

"Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance" vor, seine Fachgebiete sind externe Rechnungslegung,<br />

Bilanzbonitäts-Ratings und Unternehmensbewertung.<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Baums ist seit April 2000 Inhaber des Lehrstuhls für Bankrecht<br />

an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er war u. a. Mitglied der vom<br />

Bundeskanzler geleiteten Kommission zum Übernahmerecht und Vorsitzender der Regierungskommission<br />

Corporate Governance.<br />

Dr. Heiko Beck ist Rechtsanwalt und Chefsyndikus der DekaBank, Frankfurt am Main. Er begann<br />

seine berufliche Laufbahn in der Rechtsabteilung der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>. Bis Ende 2002 war<br />

er deren Chefsyndikus und Geschäftsführer der Frankfurter Wertpapierbörse. Heiko Beck ist Autor<br />

zahlreicher Veröffentlichungen und Vorträge zum <strong>Börse</strong>n- und Kapitalmarktrecht.<br />

Karl-Burkhard Caspari ist Vizepräsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

(BaFin). Von 1994 bis 2002 war er Unterabteilungsleiter Bank-, Versicherungs- Investment-, <strong>Börse</strong>nund<br />

Wertpapierwesen im Bundesministerium der Finanzen (BMF). Der Jurist begann seine Laufbahn<br />

beim BMF im Jahr 1980.<br />

Rainer Riess ist Head of Stock Market Business Development at <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong>. Bevor er zur<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Börse</strong> kam, arbeitete er seit 1989 in verschiedenen Funktionen für die <strong>Deutsche</strong> Terminbörse.<br />

Er schloss ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt am Main ab und erhielt<br />

einen MBA an der Universität Miami.<br />

Prof. Dr. Bernd Rudolph lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist dort<br />

Vorstand des Seminars für Kapitalmarktforschung und Finanzierung. Rudolph habilitierte sich 1978<br />

an der Universität Bonn für das Fach Betriebswirtschaftslehre und arbeitete von 1979 bis 1993 an<br />

der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungsprojekte betreffen die Bankplanung<br />

und Bankregulierung, Corporate Finance, Kapitalmarkttheorie, Derivative Märkte und Risikomanagement.


KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Dr. Dirk Schlochtermeyer ist Head of Market Policy bei der <strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>. Er gehört dem<br />

Unternehmen seit 1996 an und war von 1999 bis 2001 Leiter der Repräsentanz Berlin. Zugleich ist<br />

er Sekretär der <strong>Börse</strong>nsachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen.<br />

Sir David Tweedie ist Chairman der neu gegründeten International Accounting Standards Board<br />

seit Januar 2001. Davor war er Chairman des UK Accounting Standards Board und Mitglied der britischen<br />

Delegation beim Vorstand des International Accounting Standards Committee. Er erhielt 1994<br />

für seine Verdienste um den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer den Adelstitel verliehen.<br />

85


88 KAPITALMARKT DEUTSCHLAND. ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

Internetlinks<br />

<strong>Börse</strong>ngesetz: www.bafin.de/gesetze/boerseng.htm<br />

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: www.bafin.de<br />

Corporate Governance Kodex: www.corporate-governance-code.de/ger/kodex/<br />

International Accounting Standards: europa.eu.int/comm/internal_market/en/company/account/news/ias.htm<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Börse</strong> <strong>AG</strong>: www.deutsche-boerse.com<br />

Marktmissbrauchsrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/abuse.htm<br />

Prospektrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/prospectus.htm<br />

Transparenz- und Publizitätsgesetz: 217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl102s2673.pdf<br />

Viertes Finanzmarktförderungsgesetz: 217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/BGBl102039s2010.pdf<br />

Wertpapierdienstleistungsrichtlinie: europa.eu.int/comm/internal – market/en/finances/mobil/isd/index.htm<br />

Wertpapierhandelsgesetz: www.bafin.de/gesetze/wphg.htm<br />

Grafikübersicht Seite<br />

Eigenkapitalquote westdeutscher Unternehmen 8<br />

Eigenkapitalquote in wichtigen Industrieländern 11<br />

Beschleunigung des EU-Gesetzgebungsverfahrens (Lamfalussy-Verfahren) 16<br />

Wesentliche Reformen im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes 19<br />

Zuschlag, den Investoren für Unternehmen mit guter Corporate Governance zu zahlen bereit sind 38<br />

Verwendete Rechnungslegungsvorschriften für den Jahresabschluss: EU vs. Deutschland 61<br />

<strong>Börse</strong>nkapitalisierung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2001) 74<br />

Geschätzter Nutzen der Integration der europäischen Aktienmärkte 79<br />

Vereinheitlichung des regulatorischen Rahmens 82<br />

Indexlandschaft ab 2003 83

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