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Positionspapier Soziale Arbeit und Psychiatrie - Psychiatrische ...

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des Klinikaufenthaltes. Knapp ein Viertel der Suizide geschahen innert drei Monaten, die<br />

höchste Zahl eine Woche nach der Entlassung, wobei die meisten am ersten Tag nach der<br />

Entlassung. Ein erheblicher Teil hatte den Kontakt zu den psychiatrischen Diensten verloren.<br />

(Richter 2003:89) Eine Studie von Appleby et al. (1999) zur Suizidrate mit Fall-Kontroll-<br />

Design zeigt ähnliche Ergebnisse in Bezug auf den nur spärlichen Kontakt zur psychiatrischen<br />

Einrichtung. (op.cit. 89)<br />

Eine schweizerische Studie von Sommerfeld/Calzaferri/Hollenstein (2006) untersuchte die<br />

Re-Integrationsprozesse nach stationären Aufenthalten (u.a. in der <strong>Psychiatrie</strong>). In jedem der<br />

untersuchten Fälle zeigte sich, dass die sozialen <strong>und</strong> kulturellen Determinanten als Mitverursacher<br />

psychischer Erkrankungen im Hinblick auf den miss- oder gelingenden Re-<br />

Integrationsprozess zentral sind, was mit andern Worten heisst, dass bei einer Entlassung<br />

nicht nur mit den KlientInnen, sondern auch an der Veränderung dieser sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Faktoren gearbeitet werden muss. Entscheidend ist also, wie die Entlassenen wieder in<br />

einen Familien-, Ausbildungs-, <strong>Arbeit</strong>sprozess oder auch (nur) nachbarschaftlichen Kontext<br />

eingeb<strong>und</strong>en werden. Wenn diese Einbindung beispielsweise wie vor dem Klinikeintritt mit<br />

Verschuldung, fehlender sozialer Anerkennung, Vorurteilen, erneuter Stigmatisierung, Diskriminierung,<br />

Ausgrenzung oder gar Mobbing seitens des sozialen Umfeldes einhergeht, <strong>und</strong><br />

es während des Klinikaufenthaltes nicht gelang, neue psychische Verarbeitungs- <strong>und</strong> Verhaltensmuster<br />

zu entwickeln <strong>und</strong> zu festigen, sind soziale Konflikte, Zusammenbrüche, Rückfälle<br />

zu erwarten. Dass eine Aufenthaltsdauer von ein paar Wochen oder gar Tagen dazu nahezu<br />

nichts beiträgt, dürfte evident sein. Die sozialen Determinanten <strong>und</strong> psychischen Krisen,<br />

die zu einem Aufenthalt in der <strong>Psychiatrie</strong> führen, stehen also unmittelbar mit der konkreten<br />

Form der (Re)Integration in relevante soziale Systeme in Verbindung.<br />

Das heisst, dass ein Hilfs- <strong>und</strong> Massnahmenplan von Anbeginn immer auch die Frage der<br />

sozialkulturellen (Re)Integration zu berücksichtigen hat. Dabei ist je nach „Entlassungsdiagnose“<br />

zu entscheiden, was von Tageseinrichtungen <strong>und</strong> damit der Gemeindepsychiatrie geleistet<br />

werden kann <strong>und</strong> wo eine direkte, personbezogene Begleitung <strong>und</strong> Wiedereingliederung<br />

in das bestehende soziale Umfeld des Klienten angezeigt ist <strong>und</strong> entsprechend in den<br />

Zuständigkeitsbereich der klinischen SozialarbeiterInnen gehört, welche die Entlassenen<br />

bereits in der Klink kennengelernt <strong>und</strong> begleitet haben. Ihre Aufgabe wäre, einen zentralen<br />

Beitrag sowohl an die (Weiter)Entwicklung <strong>und</strong> Stabilisierung konstruktiver Verarbeitungsmuster<br />

als auch an der Veränderung der belastendsten Faktoren des sozialen Umfeldes zu<br />

leisten. Studien von Sommerfeld/Calzaferri/Hollenstein (2008) <strong>und</strong> Sommerfeld/Dällenbach/<br />

Rüegger (2010) zeigen, dass Stabilisierungsbedingungen im Zusammenhang mit einem professionellen<br />

<strong>Arbeit</strong>sbündnis (z.B. Zusicherung materieller Sicherheit, verlässliche, respektvolle<br />

soziale Beziehungen), wie auch die Erfahrung von Sinnhaftigkeit <strong>und</strong> erfolgreicher Beeinflussung<br />

des sozialkulturellen Kontextes bzw. der relevanten sozialen Systeme, sich in Bezug<br />

auf Re-Integrations- bzw. Ges<strong>und</strong>ungsprozesse positiv auswirken.<br />

Allgemein kann man festhalten (alle nachfolgend aufgeführten Studien in Richter 2003:86),<br />

dass „leicht beeinträchtigte Personen“ die Gewinner, „schwer beeinträchtigte Personen“ <strong>und</strong><br />

„chronisch Kranke“ die Verlierer der Deinstitutionalisierung sind. (Forster 1999:62). Eine<br />

grosse Meta-Analyse von Studien zur Evaluierung von Casemanagement in der <strong>Psychiatrie</strong><br />

kommt zu einer sehr zurückhaltenden Bewertung (Marshall et al. 1999). Eine weitere Studie<br />

mit einer Laufzeit von 5 Jahren (Leff et al. 2000) zeigt keine Kostenreduktion, aber für die<br />

Betroffenen mehr Vor- als Nachteile. Andere Studien zeigen: Wenn Patienten oft aus ökonomischem<br />

Druck ohne Begleitung/Nachsorge aus der Klinik entlassen werden, verbessern<br />

sich die Lebensbedingungen nicht (Busfield 1998:22) (S. 84). Bei privater Versorgungsform<br />

ist zudem die Qualität nur schwer überprüfbar. Weitere Studien ergaben das - auf dem Hintergr<strong>und</strong><br />

unserer Argumentation nicht erstaunliche Ergebnis -, dass der Klinikaufenthalt im<br />

Erleben der Betroffenen nicht zur Verbesserung ihres sozialen Status in ihrer Umwelt beigetragen<br />

hat. Er kann sogar dazu führen, dass dieser Status als noch tiefer erfahren wird als er<br />

vor <strong>und</strong> während des Klinikaufenthaltes war (Wright et al.). (S. 58) Viele entlassene Patienten<br />

versuchen zudem, die Krankheit geheim zu halten, so wie Sozialhilfeempfänger dies<br />

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